Annie Hruschka
Das silberne Auto
Annie Hruschka

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17

Als Hempel am Abend mißmutig in sein Mietzimmer in der Alserstraße zurückkehrte, erwartete ihn seine Wirtin bereits auf der Treppe.

»Guten Abend, Herr Hempel. Sehen Sie aber müde aus. Ja, ich weiß, das Leben ist heute nicht einfach. Man hat eben so seine Sorgen. Ja, ja . . .«

Sie schüttelte ihren unordentlich frisierten Kopf und strich sich mit der Hand über die Schürze, die sie umgebunden hatte. Hempel dachte nach, wie er der Geschwätzigkeit seiner Vermieterin entkommen könnte.

»Ja, ich bin sehr abgespannt«, brummte er nur und wollte sich an ihr vorbei drücken, die Treppe hinauf. Aber die alte Frau ließ nicht locker.

»Ach Gott, ich weiß, die Männer haben es in unseren Tagen streng. Immer nur Arbeit, nie ein Stündchen ausruhen . . . unsereins geht es ja auch nicht besser . . . Aber wissen Sie was, Herr Hempel, kommen Sie doch zu einer Tasse Tee zu mir. Das ist so gemütlich und läßt Sie vielleicht ihre Arbeit vergessen.«

Herr Hempel war sich über die Gemütlichkeit dieses Plauderstündchens ganz im klaren. Die Zimmervermieterin war einfach neugierig. Die »Mieter« waren ihr einziger Lebensinhalt. Aber er nahm die Einladung doch an.

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen«, erwiderte er. »Ich muß nur noch rasch in mein Zimmer. Ich komme gewiß.«

*

Die Frau empfing ihn in ihrer Wohnstube. Hempel sah sich ein wenig um. Ein rotes Plüschsofa, ein Kanarienvogel – das interessierte ihn ein wenig – ein knalliger Öldruck »Der Tod des Gemsjägers«, eine gehäkelte Decke über dem runden Tisch, auf den ein alter, mit kleinen Glasperlen bestickter Lampenschirm herabhing.

Hempel trat zum Kanarienvogelkäfig, während die Frau in die Küche hinausging, um den Tee zu bereiten. Er steckte den Finger zwischen das Gitter, und der Vogel pickte ihn. Mit einem leisen Schmerzruf zog er den Finger zurück.

»Ah, Sie haben schon Freundschaft mit meinem Hansi geschlossen«, rief die alte Frau entzückt, als sie mit einem Servierbrett, auf dem die Kannen und Tassen standen, wieder ins Wohnzimmer trat.

Hempel nickte bloß und rieb sich seinen Finger.

*

Auch der Tee war nicht geeignet, seine Müdigkeit und seinen Ärger zu verscheuchen. Doch der Redestrom der alten Frau plätscherte zufrieden weiter. Sie war es wahrscheinlich gewohnt, daß ihre Mieter bei der Erzählung von ihrem verstorbenen Mann, der bei den Alpenjägern Dienst getan hatte und später im Finanzministerium eine Stelle als Portier gehabt hatte, einschliefen oder mindestens einsilbig wurden. Nein, das störte sie gar nicht.

Sie hielt nur ein, als von der Treppe draußen Schritte herein tönten.

»Das muß Herr Walter sein«, unterbrach sie sich.

Hempel sah gespannt auf, während die Frau zur Türe eilte.

Hempel vernahm nun ihre Stimme vom Flur her.

»Aber Herr Walter, ist das schön, daß Sie endlich kommen! Solange auf der Reise gewesen? Ja, ja ich weiß, man muß eben seiner Arbeit nachgehen; aber wollen Sie nicht noch rasch hereinkommen zu einer Tasse Tee? Es ist noch der neue Mieter da, den können Sie gleich kennenlernen.«

Sie achtete nicht auf die Ausflüchte des Herrn Walter und schob den Mann einfach zur Türe herein.

Es war ein mittelgroßer, gutgenährter Mann.

»Herr Walter wollte nicht hereinkommen, weil er von der Reise übermüdet sei. Aber ich sagte, eine Tasse Tee könne nichts schaden, ehe er zu Bett geht. Im Gegenteil. Ich habe es so gern, wenn es meine Mieter gemütlich haben.«

Sie macht eine altmodische Handbewegung: »Darf ich vorstellen? Herr Walter, Herr Hagemann! Bitte, setzen Sie sich doch, Herr Walter!«

Der Reisende verbeugte sich und ließ sich etwas unwillig auf dem ihm angebotenen Stuhl nieder.

Hempel hatte ein unangenehmes Gefühl, als ihn der andere musterte.

Und dann die Stimme: Poldi Wieser hatte ganz recht gehabt, daß man sie unter Tausenden heraus kennen würde.

Walter bemüht sich jedoch, leise zu sprechen.

Er sprach vom Wetter in Innsbruck, von den schlechten Bahnverbindungen in Österreich, besonders auf dem Lande, und von unerfreulichen Geschäften.

Hempel wollte keine Fragen stellen. Wozu auch? Er pflegte nie einen Verdacht herauszufordern. So sagte er nur sehr leutselig: »Eigentlich müßte ich Ihnen dankbar sein, Herr Walter. Denn durch Ihre Mithilfe habe ich endlich ein so ruhiges Zimmer gefunden.«

Der Reisende sah erstaunt auf.

»Durch meine Mithilfe? Ich wüßte nicht . . .«

»Doch, doch« lächelte Hempel zurück. »Das war eben ein komischer Zufall. Mein Schuhmacher, dem ich meine Sorgen wegen eines Zimmers klagte, erzählte mir von Ihnen und meinte, daß im gleichen Hause sicher ein Zimmer zu haben wäre. Da bin ich einfach hierhergekommen und habe nach Ihnen gefragt. Da Sie nicht hier waren, bin ich gerade der richtigen Stelle in die Hände gelaufen . . .« Er wies auf die Zimmervermieterin.

»Ja, ja«, mischte sich diese nun ins Gespräch. »Ich habe auch Herrn Hagemann gleich von ihnen erzählt, wie ordentlich Sie seien, und daß ich mich freue, nur wirklich gute Mieter zu haben.«

Sie strahlte ihn an, aber der Reisende schien weniger von diesem Kompliment begeistert zu sein. Er bemühte sich, seinen Unmut hinter einem steifen Lächeln zu verbergen, und leerte seine Tasse. Dann erhob er sich, um sich zu verabschieden. Er sei todmüde von der langen Fahrt.

»Schade, daß er nicht länger bleiben wollte«, meinte die alte Frau. – »Aber wollen Sie denn auch schon aufbrechen?«

*

Als Hempel wieder in seinem Zimmer war, lief er eine Weile auf und ab, soweit es der enge Raum zuließ. Das war also dieser Helfershelfer Andagolas, der bestimmt über Doktor Wendlands Tod Bescheid wissen mußte. Morgen früh bot sich sicher eine unauffällige Gelegenheit, das Gespräch auf den Mordfall Doktor Wendlands zu bringen.

Mit diesem Vorsatz schlief Hempel ein.

*

Als er am andern Morgen gegen acht Uhr die Küche betrat, um sein Frühstück einzunehmen, fand er die alte Frau aufgeregt vor ihrem Kaffee sitzen. Sie stürzte sogleich auf ihn zu:

»Denken Sie, Herr Hagemann, Herr Walter ist fort! Fort für immer! Er wollte es mir bloß gestern abend noch nicht sagen, damit ich keine schlaflose Nacht habe. Er hätte es schon lange gewußt und seine Ausreise vorbereitet. Ja, ja, die Ausreise. Nach Südamerika!«

Hermann Hempel stand mit zusammengezogenen Brauen da und überlegte:

Entwischt!

Er glaubte kein Wort von dem, was die alte Frau erzählte. Walter hatte sicher keine Vorbereitungen für eine Reise nach Südamerika getroffen, wenn ihn nicht alles täuschte. Er hatte wohl überhaupt nichts Derartiges im Sinn. Seine Pläne bewegten sich in ganz andrer Richtung.

Der neue Zimmernachbar mußte sein Mißtrauen erregt haben, besonders durch den Umstand, daß der Schuhmacher Weiß ihm die Adresse gegeben hatte.

Der Entschluß, auszureißen, mußte erst gestern abend entstanden sein.

»Ärgerlich!« brummte Hempel und seufzte. Nun ging die Jagd von neuem los.

Trotzdem er fest überzeugt war, daß Walter noch in Wien war, fragte er, um ganz sicher zu sein, bei der argentinischen Gesandtschaft an, ob einem Herrn Walter ein Visum erteilt worden sei. Die Antwort lautete verneinend.

*

Im Hotel Imperial erfuhr Hempel von Kobler, daß Juan Andagola nach wie vor sehr zurückgezogen lebe und bestimmt keinen Besuch erhalten habe. In den letzten Tagen habe das Paar Einkäufe gemacht.

Kobler war ganz sicher, daß während dieser Ausgänge Herr Andagola mit keiner dritten Person zusammengetroffen war. Er selbst habe ihn beim Verlassen des Hotels beobachtet, bis er und seine: Frau wieder zurückgekommen seien. Sie waren keinen Augenblick unbeobachtet geblieben.

»Hoffentlich hat er nicht gemerkt, daß er unter Beobachtung steht?« fragte Hermann Hempel besorgt.

»Ausgeschlossen, Herr Hempel!« versicherte Kobler. »Erstens sind Salzer und ich keine Anfänger. Und dann ist mir auch noch nie ein Mensch vorgekommen, der ahnungsloser wäre als dieser Argentinier. Nicht eine Spur von Mißtrauen gegen seine Umgebung, nicht ein einziges Mal, daß er sich auch nur umsieht.«

Hermann Hempel blickte verstimmt vor sich hin.

Wenn Franz Walter Andagolas Mitschuldiger ist – und das muß er allem Anschein nach sein –, dann war es seltsam, daß keine Verbindung zwischen den beiden nachweisbar war.

»Hat Andagola Briefe erhalten? Hat er telephoniert?«

»Sein Telephon ist unter ständiger Beobachtung, da kann uns nichts entgehen. Er hat nicht angerufen und wurde auch von niemand verlangt. Briefe hat er erhalten, sie stammten aber alle drei aus Solis, wie ich mich persönlich überzeugte.«

 


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