Arno Holz
Sonnenfinsternis
Arno Holz

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Fünfter Akt.

(Die Bühne ist fast vollkommen dunkel. Im Hintergrund sehr große Scheiben, gegen die Regen schlägt. Dann schlurft, stolpert und grunzt es, und in eine Tür rechts wird von außen ein Schlüssel geschoben. Die Tür springt auf, und ein matter Lichtschein fällt vom Korridor her in das Atelier Hollrieders.)

Url: (kleiner steifer Hut, dunkler Überrock mit hochgeklapptem Kragen, darunter Kleidung wie immer; von der Türschwelle her in den Korridor zurück) Kommen Sie! (bugsiert Musmann in den Raum bis zur Mitte).

Musmann: (während Url ihn noch an der Schulter hält) Hpff! . . .

Url: Darf man Sie jetzt n Augenblick loslassen?

Musmann: (der schwer geladen hat) Alle-mmal!

Url: (an den Tisch getreten, wo er im Halbdunkel hörbar nach Streichhölzern tastet) . . .

Musmann: Sie sind ja . . . n juter . . . Kerl! . . . Gegen Sie . . . hab ick nischt!

Url: (nachdem er eine gefundene Schachtel geschüttelt) Endlich.

Musmann: Ihn . . . hab ick überhaupt . . . das Leben jerettet!

Url: (entzündet ein Streichholz und steckt mit ihm die oberste Kerze des Rokokoleuchters an) Erst mal . . . Licht! (im schwach erhellten Raum sieht man: die Wände sind von Bildern ganz leer. Statt ihrer, zwischen dem Regal und der Tür links, ein großer, kaufmännisch-kartothekisch eingerichteter, dunkler Arbeitsschrank mit vielen Abteilungen und Fächern, in denen, ebenso wie auch auf dem Tisch, einige Papierrollen liegen. Auf der Staffelei noch immer die »Kameraden«. Der Wandkalender zeigt als Datum den Ersten November)

Musmann: (sich umblickend und erst jetzt merkend, wo er sich befindet, zusammenschreckend; jedoch nicht zu heftig, da sein ganzer Zustand ihn seelisch gleichsam wie mit Schleim überzieht) Hier? . . . (nachdem Url eine zweite Kerze angesteckt; von dem Ort, an dem er sich befindet, noch »unsympathischer« berührt; zwei Schritte rücklings nach der Chaiselongue zu) Nee! . . .

Url: (nun noch eine dritte Kerze der zweiten gegenüber ansteckend) An . . . die . . . Stuckerfahrt werd ich denken!

Musmann: (scheuer Blick nach der offen gebliebnen Tür zurück) Und . . . bei mir . . . (stumpf vor sich hin) ooch nich! . . . Nirgends!

Url: (nachdem er die Streichholzschachtel, die er noch immer in der Linken gehabt, auf den Tisch geworfen; energisch nach ihm zurückgedreht) Warum wollten Sie denn immerzu aus der Droschke springen? . . . (den Leuchter vom Tisch hebend) Sie hatten wohl Angst, ich würde Sie gleich nach dem Polizeipräsidium schaffen?

Musmann: (einige Schritte zurücktorkelnd; der Schreck ist ihm so in die Beine gefahren, daß ihm von jetzt ab die ganze Szene über die »P«s nicht mehr parieren) P . . . P . . . Polizeipräsidium? . . . Ich hab doch . . . bloß . . .

Url: (mit dem Leuchter, den er hoch hebt, vor Musmann, der sich nur mit Mühe auf den Beinen hält).

Musmann: (vor ihm zurück; drei dumpfe Auftapfe auf den Fußboden, die die Stille durchbrechen; sein Hut ist zerbeult, sein langer Paletot ist beschmutzt und an der linken Tasche aufgerisen, das rechte Ende seines Hemdkragens ragt zerknittert, als ob man ihn gewürgt hätte, bis übers Ohr).

Url: Sie sehn aus! . . .

Musmann: Sssauwetter . . . verdammtes!

Url: (in seinem Ton während dieses ganzen ersten Teils der Szene wie ein Arzt zu einem Kranken; eine nicht verdammende, aber doch gewisse, feste Entschiedenheit) Seit wieviel Nächten sind Sie wieder nicht nach Haus gekommen?

Musmann: (philosophisch vor sich hin) Das jeht nu so . . . schon . . . den . . . sechsten . . . Monat!

Url: Sie sollen Ihr Messer gezogen haben! . . . Erst dann hat man Sie an die frische Luft gesetzt!

Musmann: Die . . . B . . . brüder!

Url: (mit dem Leuchter nach dem Tisch zurück) Bis in die verrufensten Viertel muß man Ihnen immer nachkriechen! . . . (den Leuchter auf den Tisch setzend) Sie frequentieren ja nur noch die niedrigsten Verbrecherdestillen!

Musmann: (dumpf zornig vor sich hin) Wenn . . . andre Leute . . .

Url: (auf dem Wege nach dem Schrank, an dessen dem Zuschauer abgekehrter Seitenwand rechts er an einen Haken seinen Hut anhängen will; einen Moment wartend und nach Musmann zurückblickend).

Musmann: P . . . Paris! . . . Die . . . Turteltäubchen! . . .

Url: (seinen Hut anhängend) Ah, so.

Musmann: (vor der Vorderkante »seines« Bildes; stier nach dem Zuschauerraum) Hat er erst immer . . . so getan . . . als ob er der reine Wüstenheilje wäre . . . und nu . . . (verdächtige Gebärde, die Url in diesem Moment zum Glück nicht sieht: rundgespreizte Finger, um Brüste anzudeuten, dann linkisch kurze, empörende Geste mit der Rechten nach hinten rum, um auch hier die betreffende Rundung zu markieren. Darauf verächtliche, tolpatschige Geste mit der Linken, als ob er, wie üblich, etwas von sich würfe, Gespucke und so weiter; alles in ganz wenigen Augenblicken und halb taumelnd) Fatzke!

Url: (der sich inzwischen auch seines Überrocks entledigt hat; ihn noch in den Händen, halb zu Musmann zurückgedreht; mit einsetzender Ungeduld) Reißen Sie sich doch mal endlich . . . (den Rock jetzt anhängend) mit Ihrem Innern los von den beiden! . . . (an den Tisch zurück) So viel sollte Ihnen doch nachgerade so gut wie gewiß sein: in diesem Leben werden Sie sie kaum wiedersehn!

Musmann: (unruhig nach der noch immer offnen Tür) Sie . . . werden schon . . . noch kommen!

Url: (über den eigentümlichen Ton, in dem Musmann diese Worte vorgebracht hat, doch eine Sekunde stutzig; dann leicht ironisch) Höchst wahrscheinlich. (auf die Tür zu, die er schließt) Vielleicht sind sie sogar schon unterwegs.

Musmann: (dem es bei dieser Perspektive nicht recht geheuer scheint; sich nochmals umblickend; dann halb nach dem Leuchter zugedreht; aus einer dumpfen, knurrenden Unzufriedenheit mit sich selbst) Sitzt das da immer . . . über seinen dummen . . . Grundrissen und . . . Tabellen, über seinem . . . lächerlichen, übergeschnappten . . . Friedrichstraßenpassage . . . Schwindelunternehmen und . . . rechnet und . . . rechnet und . . . und . . . unsereens . . .

Url: (zu ihm getreten; trotz seines Ekels halb mit Mitleid) Nu ziehn sich mal Ihren schrecklichen Mantel aus!

Musmann: Nee! . . .

Url: Ich werd Ihnen helfen.

Musmann: (einen halben Schritt vor ihm zurück; noch hartnäckiger) N . . . nee!

Url: (ärgerlich an den Tisch zurück, wo er einen etwas verschobenen Schirm zurechtrückt) Na also dann machen Sie, was Sie Lust haben!

Musmann: (wieder wie vorhin; nur gesteigert) Nischt . . . kann eener mehr! . . . Nischt! . . . (knirschend) Dieses . . . W . . . Weib!!

Url: (vom Tisch nach ihm hinblickend) Es war wieder mal eine Donkischotterie von mir sondergleichen, daß ich Sie nicht Ihrem Schicksal überließ! (verstimmt auf das Regal zu).

Musmann: (stumpf-grübelnd vor sich hin) La bella . . . »Cenci!« . . . (langsam; als ob eine alte, sehr starke Erinnerung in ihm erwacht) Da . . . hab ich mal . . . sone . . . Tijerin jesehn! . . . Der . . . Blick! . . .

Url: (der schon bei dem Wort »Tijerin« stehngeblieben und nach ihm hingeblickt, wieder von ihm abgewandt noch etwas weiter nach vorn) Sie kommen immer wieder auf die selbe Vorstellung zurück!

Musmann: (der gar nicht auf ihn gehört hat; noch bei seinem »Blick«) Da waren . . . (den rechten Handteller, während er vor sich hinstarrt, lose schaukelnd) Dinge . . . drin . . . Dinge . . . (abbrechend; geduckt mißtrauisch; zu Url rüber; halb als ob er sich vergewissern wolle, wie weit er ihm da eigentlich trauen darf) Es gibt doch . . . Fernsuggestion? . . .

Url: (beim Wort »Dinge« wie lauschend wieder stehngeblieben; forschend stutzend nach ihm zurückgedreht; kein Wort).

Musmann: (verschmitzt-blöde vor sich hin) Wenn man . . . ne Nadel nimmt . . . und man hat . . . zum Beispiel . . . ne Photographie von wem . . . und durchsticht ihr . . . den Kopf . . . bloß son . . . bißchen . . . glauben Sie . . . daß das was . . . hilft?

Url: (der bei dem Wort »Kopf« unwillkürlich etwas zurückgezuckt war) Ich habe Sie wiederholt . . . vor dem Bild gesehn! Ich glaube jetzt wirklich, Sie wären imstande . . . (wieder seinen Weg zurück) Gott sei Dank, daß die Sezession gestern geschlossen ist! . . .

Musmann: (befriedigt vor sich hin) Der wird sich . . . freuen!

Url: (der wieder haltgemacht) »Der«? . . . Wieso? . . . Wer?

Musmann: Achtzichdausend Mark! . . . Total . . . überjeschnappt! . . . Für son Schinken! . . . (schadenfroh in sich hineinkichernd) Nu . . . kannern sich . . . sauer kochen!

Url: (auf seinem Gang weiter) Daß dieser Preis Ihnen kein Vergnügen war, während Sie mit Ihrem Bild . . .

Musmann: (ihn unterbrechend; mit sofort einsetzender Heftigkeit, die sich schnell bis zu letzter, schäumender Wut steigert) Aufhängen . . . müßte man die ganze . . . Package! . . . Aufhängen! . . . Mit . . . Petroljum bejießen . . . und denn . . . anstecken! . . . »K . . . K . . . Kritiker!!« Alle haben se . . . Jeld jekricht! . . . (vor dem Bild; mit dem Finger zeigend) Ich hab den . . . Schnee jemalt! Ich!! . . . Ooch den Zaun! Und die . . . Pulle! Und die . . . Jasanstalt!! . . . Überhaupt . . . Nischt hatter jemacht! Janischt!! Nischt!! Keen Strich!! . . . (ihm, lockend, von weitem, mit gehaktem Finger winkend; dann auf das Porträt Hollrieders zeigend) Kiekst? . . . Wie er aussieht? . . . Wie ick ihn . . . heimlich . . . Den . . . Bullenbeißer? Den . . . Schlagdot? Den . . . Dummkopp? (in sich reinkichernd) Und dafor . . . willstet jloobn? . . . Dafor . . . hat er mir noch . . . jelobt, det ick ihn nich . . . jeschmeichelt hab! (in ein triumphierendes Glucksen ausgebrochen).

Url: (angewidert, hart) Nu lassen Sie mal Ihre Destillenwitze!

Musmann: Die . . . Maulschnauze! Die . . . Glotzen! Det . . . Kinn! Verjiften hatter mir wolln!! Verjiften!!! . . . (fast auf das Bild eindringend, als ob es der Gehaßte selbst wäre) Dieb! . . . Giftmischer! . . . Blutschänder!!

Url: (seit dem Wort »Petroljum«, fast schon am Tisch, stehngeblieben; vor seinem Ausbruch wie gelähmt) Hören Sie auf!

Musmann: (noch stärker) Blutschänder!! (ihn plötzlich groß anstierend) Du . . . (den rechten Arm wie drohend erhoben, einige Schritte schwer auf ihn zu) Daraus . . . mach ich dir was! . . . Wie ers mir immer . . . ins Jehirn telepathiert! . . . Jenau so! . . . Erst . . . der Alte . . . dann . . . (stiert vor sich hin, als ob er ein ihn unsagbar Quälendstes leibhaft vor sich sähe; fast zischend) Diese . . . Jemeinheit! . . . Alles . . . was er mit ihr tut . . . bloß immer . . . damit ich dabei bin! . . . (knirschend) Und das muß ich . . . nu aushalten!!

Url: (aus seinem Grauen ihn anstarrend) Sind Sie ein . . . Mensch!

Musmann: (von neuem zu ihm; seine Augen blinkern) Merkste? (mit schlenkernden Fingern nach der Tür links) Dazu hat er mich damals . . . hinter die Tür jesteckt! . . . Das war sein . . . Meisterstück!! . . . (auf ihn zutaumelnd und den vor ihm Zurückweichenden, wie vertraulich, am Rockknopf packen wollend) Kennste Goya? . . . Haste mal was . . . von Rops jesehn? . . . Anspucken! . . . Anspucken sollste ihn noch! . . . Anspucken!!

Url: (vor Ekel und Abscheu fast keuchend) Machen Sie . . . daß Sie jetzt zu sich rüber kommen! . . .

Musmann: (der vor Urls Ton wieder zurückgetaumelt war; durch seinen Paroxysmus ganz erschöpft; von der Seite nach dem Ausgang rechts schielend) Nee! . . . (sich umdrehend und plump-täppisch, leicht wankend, auf die Chaiselongue zu) Lieber schon . . . (gähnend) Uuha! . . .

Url: (nachdem er sich ermannt hat, und aus dessen Ton jetzt auf einmal eine ihm sonst fremde Härte klingt; ihm nach; fast bis zur Mitte der Bühne) Ich werde Ihnen sagen: Sie fürchten sich!

Musmann: (sich mit Gewalt einen Ruck gebend; irritiert-ängstlicher Blick nach Url zurück, der stehngeblieben ist) . . .

Url: (ihn scharf beobachtend) Sie können nicht mehr mit sich allein sein! . . . Seit sich Ihr . . . Opfer damals . . .

Musmann: (erst jetzt sich von seinem Fleck losreißend; wieder nach der Chaiselongue hin) Ich . . . hab den . .. Ollen nich . . . dodt jemacht!

Url: O nein. Nicht direkt. Aber . . .

Musmann: (auf die Chaiselongue stierend) Dafor . . . schmeißen selbst ihm ooch . . . in der Sezession . . . jetzt ne Kollektivausstellung!

Url: (fast grausam) Das regt Sie wohl wieder auf?

Musmann: (vor der Chaiselongue, auf die er noch immer starrt) Mit dm . : . Meechn aus m . . . Schlafzimmer . . . als Pjäß de . . . Resistangß! . . . Da wird Berlin . . . Oogn machn!

Url: Es war eine übel angebrachte Großmut von mir, damals nicht gleich alles aufzubieten, um Sie festzusetzen!

Musmann: (stumpf wütend; halb nach ihm zurückgedreht) Ich! . . . Ich! . . . Immer ich!

Url: Daß Sie es mir jetzt nachträglich nicht zugeben werden, ist selbstverständlich. Sie haben mit Ihren Ausstreuungen und Drohungen nicht geruht, als bis Sie dem armen Gehetzten schließlich den Revolver in die Hand und die Kugel aus dem Lauf zwangen!

Musmann: (schon fast hin- und herschwankend) Das hat er mir . . . auch suggeriert!

Url: Um möglichst schnell in den Besitz der fetten Millionenerbschaft zu gelangen. Natürlich! . . . Und die infame, niederträchtige Verdächtigungs- und Verleumdungskampagne, die sich dann nach erfolgter Testamentseröffnung . . . mit diesem Ihrem Wahnsinn als Grundlage . . . in einer gewissen Presse gegen ihn selbst entspann? . . . Die hat er Ihnen wohl auch suggeriert?

Musmann: (nach ihm zurückgedreht; ihn anstarrend) Mm m?

Url: Na wer anders als Sie hat dann dahinter gesteckt?

Musmann: (ihn feindlich von der Seite messend; verächtliche Handbewegung, wie mit ihm fertig) Pfff! . .

Url: (angeekelt sich von ihm abwendend und nach dem Regal zu) Sie wußten leider nur zu genau; selbst wenn der durch den Kot Geschleifte, dem man seinen jungen, unerhörten Ruhm beneidete, von seinem freiwilligen Exil aus sich hätte verteidigen wollen . . . der Name seiner ihm eben erst angetrauten Frau, der Universalerbin, der in die allgemeine Erregung wie eine Bombe geplatzt war . . . (sich auf ein knackendes Geräusch umdrehend; sieht, wie Musmann, der auf Spitzzehen nach der Chaiselongue geschlichen war und erst eine kleine Weile horchend gesessen, es sich heimlich auf ihr bequem macht) Sie! . . . (auf ihn zu) Sie wollen doch nicht etwa hier Ihr Nachtquartier aufschlagen?

Musmann: (sich lang ausstreckend, wobei er ihm den Rücken dreht) Scht . . . uß! . . .

Url: (ihn rüttelnd) Ich muß doch sehr bitten!

Musmann: (stöhnend).

Url: (von ihm ablassend) Widerlich! . . . (nach einer kleinen Pause; schon in der Mitte der Bühne und von dort nach dem Regal zu) Jedenfalls wird Ihnen jetzt wenigstens eins aufgegangen sein: daß man Ihnen bei allen Ihren saubern Manipulationen sehr genau auf die gelenken Finger gesehn hat! . . . (rechts nach dem Tisch biegend) Und das lassen Sie sich doch ja noch gesagt sein: bei der geringsten Handhabe! Von jetzt ab gibts keinen Pardon mehr! Ein Gemeingefährlicher wie Sie gehört hinter Schloß und Riegel!

Musmann: (erster Schnarchlaut).

Url: (sich nach ihm hindrehend und bis zur Mitte der Bühne) Der schläft wohl schon gar!

Musmann: (leiser werdend) . . .

Url: (jetzt unmittelbar vor ihm) Da hab ich mir was Schönes eingebrockt! . . . (über ihn leicht, halb widerwillig, eine Decke spreitend, die auf der Chaiselongue gelegen; dabei dreimaliges, angeekeltes Ächzen; wieder von ihm abgewandt und auf den Tisch zu) Ich . . . danke! (hebt vom Tisch den Leuchter, steht eine Sekunde wie nachsinnend, geht dann mit dem Leuchter, den er ein klein wenig höher hebt, etwas auf den Schrank zu, als wollte er noch arbeiten, steht so abermals einen Moment und dann ganz leichthin) . . . Ach . . . (sich wieder umdrehend) Morgen! . . . (er will nun quer über die Bühne nach seiner Kammer. Es klopft. Einen Augenblick dastehend, als hätte er nicht recht gehört; dann den Leuchter wieder zurückstellend und auf die Tür zu, die er öffnet. Er erblickt vor sich Beatrice; zurückgeprallt; die Klinke noch in der Linken) Sie!? . . .

Beatrice: (in dunklem Reisemantel, unter dem sie diskrete Trauerkleidung trägt; an ihm vorbei in den Raum tretend; langsam, wie hypnotisiert auf das Regal zu; in ihrem ganzen Wesen eine große Müdigkeit und Erschöpfung; ungefähr in der Mitte der Bühne stehngeblieben; leise) Ja. (wie fremd den Raum musternd; ganz kurze Pause; ohne sich nach Url umzudrehen) Sie haben uns nicht . . . (ihn jetzt erst mit einem Blick streifend, dann wieder durch den Raum) erwartet?

Url: (von seiner Überraschung noch immer nicht ganz zu sich gekommen; mit einer hilflosen Geste die Tür schließend).

Beatrice: (ohne ihn anzublicken) Ich dachte es mir! . . . Aus Ihren Briefen! . . . Sie leben hier . . . (Blick nach Tisch und Arbeitsschrank) unter Ihren Plänen . . . wie auf einem Leuchtturm! . . . (hat jetzt Musmann entdeckt, nach dem sie, leicht vorgebeugt, spähend hinüberblickt; fragender Blick zu Url, der erst jetzt die Klinke losläßt).

Url: (halb zu ihr, halb zu Musmann rüber) Ich las ihn . . . vor noch nicht einer Stunde . . . in der Friedrichshaingegend auf. Seit er nicht mehr malt . . .

Beatrice: (lasch abwehrende Geste; müde auf den Tisch zu, vor dem sie sich langsam nach Url zurückdreht. Kleine Pause. Ihn plötzlich voll anblickend. Letzter, erschütterndster Tonfall, als ob man sie ins eigne Herz getroffen) Das . . . Bild ist zerstört! . . .

Url: (der bei dem Wort »Bild« zusammengezuckt war; entsetzt auf sie zu) »Das . . .«?

Beatrice: (schwer; alle drei Silben stark betont, vor der dritten noch ein Einschnitt; klagender, unterdrückter Zorn; Url immer noch anblickend) Absichtlich!

Url: (der vor ihrem Schmerz stehngeblieben war; den Zusammenhang sofort ahnend; jedes Wort stärkst fragend) Ihr . . .? Ihr . . .? Bild . . .?!

Beatrice: Die . . . Tat . . . eines . . . (nach Musmann rüber, zu dem Url jetzt ebenfalls blickt) Wahnsinnigen . . . (wieder zu Url) oder ein . . . Racheakt!

Url: (fast atemlos; mit einem nochmaligen Blick Musmann streifend) Hat man . . . einen Anhalt?

Beatrice: (sich nur mühsam wieder zusammenraffend) Wie es scheint . . . noch nicht. Wir erhielten nur das Telegramm . . . und erreichten grade noch den Zug.

Url: Und wo ist Ihr . . . (stockend) Mann?

Beatrice: (als ob dieses Wort sie innerlich getroffen hätte; einen Augenblick ebenfalls stockend) Der fuhr eben vom Bahnhof . . . sofort nach der Sezession.

Url: (wieder, wie vorhin, halb nach Musmann) Hat er schon . . . Verdacht auf ihn? Oder sonstwie irgend eine Vermutung?

Beatrice: (ausweichend; wie in eine weite Ferne vor sich hinsehend) Ich . . . weiß es nicht.

Url: Das geringste . . . Nachdenken müßte ihn doch . . . Es ist für mich . . . gar kein Zweifel! Ich behaupte sogar . . . mit aller Bestimmtheit . . .

Beatrice: Auch für mich ist kein Zweifel.

Url: (auf Musmann zu) Er darf ihn hier unmöglich . . .

Beatrice: (Geste) Nein. Lassen Sie ihn! Sie können ihm dann . . . auf diese Weise . . . für den Notfall gleich versichern . . . Sie wären die letzten vierundzwanzig Stunden . . . jede Minute mit ihm zusammen gewesen! . . .

Url: (wieder nach ihr zurückgedreht) Erst jetzt . . . faß ichs! . . . Ein Werk, das so . . . zitterndstes Leben war! . . . Nach allem, was über ihn hereingebrochen . . . muß das in ihm aussehn!

Beatrice: Die Art . . . wie er mir von dem Geschehenen Mitteilung machte . . . verriet mir deutlich, was ihm sein Werk in der Zwischenzeit . . . wieder geworden war.

Url: (mit einem erneuten Blick auf Musmann) Um Gotteswillen! (wieder zu Beatrice) Bei seiner Maßlosigkeit . . . Wenn er dahinter käme!

Beatrice: Er darfs nicht! . . .

Url: Wann hat man es entdeckt?

Beatrice: Gestern Nachmittag, als die Sezession geschlossen wurde.

Url: (wieder mit einem unwillkürlichen Blick nach Musmann zurück) Nun . . . versteh ich! . . . (in seiner Verfassung erst jetzt ihre absolute Erschöpfung bemerkend) Verzeihung! . . . (ihr am Tisch den rechten Sessel zuschiebend) Ich war von Ihrer Eröffnung . . . so konsterniert . . . Sie müssen ja todmüde sein!

Beatrice: (ihre langen Handschuhe ausziehend, die sie in eine Tasche ihres Mantels steckt, während Url hinter ihr um den Tisch geht und die übrigen vier Lichter anzündet) Danke. (sie legt auch den Hut ab; nach dem Bilde hin; während sie den Mantel aufknöpft) »Kameraden!« . . . Das hat ihm gekostet! . . .

Url: (links vor dem Tisch; sie anstarrend; nach einer kleinen Pause) Sie tragen . . . Trauer.

Beatrice: (die sich gesetzt hat) Sollte ichs nicht?

Url: Allerdings. Nur . . . (abbrechend) Verzeihn Sie.

Beatrice: Sie dürfen zu mir . . . ganz offen sein. Sprechen Sie ruhig alles aus.

Url: Es . . . schoß mir nur durch den Kopf. Ich . . . Wie konnten Sie es nur . . . über sich gewinnen, Ihren Mann jetzt . . . in diesem Augenblick allein zu lassen?! . . .

Beatrice: Ich? . . . (wieder aufgestanden) Sein linker Stiefelabsatz ist ihm mehr wert . . . (jäh abbrechend; an die Glastür tretend, durch deren dunkle Scheiben sie hinausstarrt; nachdem sie sich wieder gefaßt hat, sich wieder in den Raum zurückdrehend) Und außerdem wars ja auch meine Pflicht (mit einem Blick nach Musmann) Sie zu warnen. (Url: nicht fähig, vor Erschütterung auch nur ein Wort zu sprechen. Beatrice, wieder an den Sessel getreten, andrer Tonfall) Er hat Ihnen die ganzen Monate nichts geschrieben?

Url: (mühsam) Wir korrespondierten . . . nur rein geschäftlich.

Beatrice: (während ihr Blick die leeren Wände streift) Wegen der Bilderverkäufe.

Url: Persönliches haben wir nie berührt.

Beatrice: (leis mißtrauischer, sich vergewissernder Blick nach ihm, auf den hin Url etwas zur Seite sieht; etwas veränderter Ton) Wie wir beide auch. (dann nicht ohne einen gewissen kleinen Vorwurf in der Stimme; einige Schritte nach rechts, dann auf das Regal zu) Sie hätten das Geld,. das ich Ihnen für Ihre Idee zur Verfügung stellte, nicht zurückweisen sollen.

Url: (zögernd) Ich wollte nicht . . . ohne sein Wissen . . . (Beatrice nach ihm rüberblickend; Url mit einem Blick über die leeren Wände) Und als sich dann hier . . . durch meine Tätigkeit als sein unumschränkter Sachwalter . . . die ersten Anknüpfungen ganz von selbst ergeben hatten . . .

Beatrice: (im Weitergehen auf das Regal zu; ohne nach ihm hinzublicken; halb automatisch) Dann darf man Ihnen ja also schon fast . . . gratulieren!

Url: (Geste; ihre Gratulation bis zu einem gewissen Grade akzeptierend).

Beatrice: (vor dem Regal; mit den lose gespitzten Fingern der Rechten leicht über einige Tasten gleitend, ohne daß ein Ton erklingt; melancholisch bitter) Die sieben . . . Verwandlungen! . . .

Url: (nach einer kurzen Pause; bis zur Mitte der Bühne; dann nach ihr zurückgedreht; langsam) Ich habe Ihre Einwilligung zur Ausstellung des gesamten (dieses letzte Wort ganz besonders und eigentümlich betonend) künstlerischen Nachlasses den Herren von der Sezession über mittelt. In drei Tagen bereits . . .

Beatrice: (nach ihm zugedreht, hastig) Jenes Original befindet sich doch nicht schon dort?

Url: (erschreckt; die rechte Hand vor der Stirn; ihm taucht auf, wie Hollrieder jetzt in der Ausstellung usw.; beide sehen sich einen Augenblick wie ratlos an).

Beatrice: (vor ihrer Vorstellung zusammenschauernd) Wenn ers gesehen hätte! Jetzt! In seinem . . . Aufruhr! . . .

Url: (wieder auf seinen Platz links; wie nach einem Ausweg suchend) Es wäre ein fatalstes . . . Zusammentreffen!

Beatrice: (sich aufraffend; mit dem Versuch, sich zu beruhigen; bis in die Mitte des Vordergrunds) Ich durfte nicht anders handeln. Ich war das dem Andenken meines . . . (das Wort nur zögernd aussprechend, als ob es ihr Schmerz bereite; Url unwillkürlich abgewandt) Vaters schuldig! Es bleibt . . . sein eigentlichstes Werk.

Url: (wieder ihr zugewandt; mühsam; die linke Hand, den Arm ausgestreckt, auf der Lehne des linken Sessels) Auch auf mich war der Eindruck . . . ein elementarer gewesen!

Beatrice: (sich nach ihm zurückdrehend und auf den Tisch zu; kleine Pause; nachdem sie sich gesammelt hat; sich setzend) Ich habe . . . eine Frage an Sie.

Url: (hinter den Sessel links getreten; zögernd; nicht ganz sicher, wie er sich dazu stellen soll) Ich . . . ahne nicht.

Beatrice: (zu ihm aufblickend) Werden Sie sie mir . . . beantworten? (auf sein Stutzend) Der Wahrheit gemäß?

Url: (leicht bestürzt) Wenn es in meiner . . . Macht und Möglichkeit liegt?


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