Arno Holz
Sonnenfinsternis
Arno Holz

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Vierter Akt.

(Atelier Hollrieders. Wie im zweiten Akt. Der aufgeräumte Maltisch sowie der Tritt in die rechte hintere Ecke gerückt. Auf der Staffelei, die mit einer bunten Umkränzung von Frühlingsblumen geschmückt ist, statt des bisherigen Riesenbildes ein bereits gerahmtes, sehr erheblich kleineres und auf dem Tisch in einer tiefblauen Schale ein großer Butterblumentuff. Der Vorhang vor der Tür links etwas zur Seite geschoben. Die Tür nach dem Balkon weit auf, draußen strahlend sonnenblauer Himmel. Am Kalender 1. Mai. Solange die Balkontür offen steht, ab und zu entsprechende ferne und nähere Außenlaute.

Musmann: (wie im dritten Akt, aber ohne Zylinder; verstört vor dem Bild, das er zurechtrückt, wie um dessen Wirkung zu prüfen; mit den bei ihm in erregten Zuständen üblichen Halsverdrehungen und mit zuckenden Mundwinkeln; nach einer kleinen Pause, durch die gedämpftes Summen der Großstadt tönt) Das wird ihn doch . . . freuen! . . . Wenn er jetzt alles . . . (nach den Bildern hoch) aufsteckt . . . dann ist der Weg . . . für mich frei! Dann . . . (wieder nach der Staffelei) Ich bin ihm ja . . . so dankbar! . . . (sich irr umblickend) Wenn er mir jetzt bloß . . . verzeiht! Ich . . . kann ja doch nichts dafür! Ich . . . (auf dem stehngebliebenen Schemel zusammenknickend) Bloß nicht verrückt werden! (leiser; jämmerlich vor sich hin) Bloß nicht . . . verrückt werden! . . . (das Summen der Großstadt wird stärker; von draußen her feste Schritte, dann ein Klopfen an eine Tür).

Hollrieder: (noch draußen vor Urls Kammer, an die er nochmals, und diesmal stärker, mit der Faust stößt) Du! . . . Url! . . . (seine Stimme zum erstenmal aufgeräumt, fast freudig) Ich bins! . . . (Geklink eines Drückers) Bist du nicht da? . . . M! (in die Tür rechts wird ein Schlüssel geschoben, die Tür geht auf, und Hollrieder im Überrock und Zylinder, die Schlüssel noch in der Hand, steht da und sieht Musmann, der verwirrt aufgesprungen ist, verdutzt an; hat zugleich den Tuff auf dem Tisch und die bekränzte Staffelei erblickt) Wer hat dich hier reingelassen?

Musmann: (der vor Erregung kaum sprechen kann) Als ich vorhin . . . zurückkam . . .

Hollrieder: (die Tür hinter sich schließend; hängt den Überrock neben die Tür an den Haken, an dem bereits sein Hut hängt, und deponiert auf dem kaminartigen Vorsprung des Gasofens seinen Zylinder; währenddem) »Zurückkam«? . . . Du warst doch nicht etwa eben . . . auch in der Ausstellung?

Musmann: (durch den Ton Hollrieders sofort wieder gekränkt; sich zur Wehr setzend) Ich hatte das selbe . . . Recht! . . . (da Hollrieder schweigt) Vielleicht hat man mich sogar . . . ohne daß ich erst, wie du . . . um die Erlaubnis gebeten, mit reingenommen!

Hollrieder: (einige Schritte näher auf ihn zugetreten; die Stirn leicht gekraust) Als du also wieder zurückkamst?

Musmann: Da war hier . . . so n Gärtner da. Wahrscheinlich . . . (nach den Blumen hin) Ob das nun . . . Url so, oder . . . (Hollrieder halb lauernd dabei ansehend) Ich weiß nicht.

Hollrieder: (der sich nicht vom Platz gerührt hat; nach der Staffelei hin; kurz) Was ist das für n Bild?

Musmann: (wie auf einer Schandtat ertappt; dann aber doch erwartungsvoll) Unsre . . . »Kameraden«.

Hollrieder: (auf seinem Platz wie vorhin; schneller Blick nach dem Bild rüber, dann sofort wieder zu Musmann; mit zusammengezogenen Augenbrauen) »Unsre . . .«

Musmann: (ohnmächtig abwälzende Bewegung mit seiner zu einer Art Kralle gekrümmten Linken) Nu . . . laß doch schon! Laß!

Hollrieder: (schon etwas herabgemindert) »Laß«?

Musmann: (froh, seine Seele endlich erleichtern zu können; zuerst noch etwas »maikäfernd«) Ich . . . Du hast den ganzen . . . Kitsch gemacht! Du! Du! Und . . . ich hab überhaupt bloß . . .

Hollrieder: (vollkommen ruhig, seinen Satz ihm beendend) Bloß meine Figur gemalt. Oder mein Porträt. Wie du willst. (mit fester Bestimmtheit) Weil es mit zu stupide und zu saudumm vorkam . . .

Musmann: (verächtlich wegwerfende Bewegung mit der Rechten) Pftt!

Hollrieder: (mit der gleichen Ruhe; seinen Satz schließend) Mich selbst, dem Spiegel pratschig vis-a-vis, als mein eignes Modell hinzupatzen! . . . Pose bleibt Pose!

Musmann: (geduckt-wehmütig; nach dem Bild hin) Wenn du dir . . . das Ding jetzt wieder . . . (scheuer Blick an den Wänden hoch) aufhängen willst? . . . Es stand grade . . . die Tür auf, und da . . . (eine fern vorüberpassierende Elektrische).

Hollrieder: (der ihn nicht aus den Augen gelassen; während Musmann ihn zuletzt kaum noch anzusehen gewagt hat) Du siehst also jetzt deinen ganzen . . . Unverstand ein? . . . (Musmann stumm) Wie lächerlich du dich und mich . . . gequält hast? . .. Bis du dich dann schließlich . . . in einer Weise erniedrigtest . . .

Musmann: (fast heulend) Ich . . . wußte ja nicht . . : was ich dir damit . . . tat! Ich . . .

Hollrieder: (jetzt endlich auf ihn zu) Also gut, gut. (ihm die Hand hinreichend) Probieren wirs nochmal! . . . (nachdem er sich etwas nach vorn links gewandt; sich nochmal zu ihm zurückdrehend und warnend mit dem Finger drohend) Vorausgesetzt natürlich . . .

Musmann: (dessen Augen sich vergrößern; andrer Tonfall) Ich habe alles . . . von euch gehört! Ich . . . verstehe mich jetzt gar nicht mehr! Ich . . . war ja . . . (schaudernd) wahnsinnig! . . .

Hollrieder: (durch diese Eröffnung Musmanns gegen seinen Willen wieder verstimmt) Du warst in einem der Säle neben an?

Musmann: (durch diesen Ton, aus dem fast die alte Schärfe klingt, wieder bis in sein letztes Innre getroffen; steht auf einmal wieder da, als ob er gespannt auf etwas horcht, und antwortet nicht).

Hollrieder: Was ist dir?

Musmann: (noch in derselben Haltung; mit zuckendem Gesicht) Nichts! (sich geduckt langsam wie nach etwas umsehend; groteske Bewegung mit der Rechten, wie im dritten Akt, dann plötzlich ganz veränderter Tonfall; wieder die alte Tücke) Du wirst jetzt nicht mehr . . . malen? (wieder stärker das Brausen der Großstadt; eine andre Elektrische).

Hollrieder: (sich mit einem schweren Seufzer nach dem Tisch zu abwendend, wieder stehnbleibend und nach seiner Uhr sehend; ihm gar nicht antwortend; die Uhr wieder einsteckend; unruhig um den Tisch herum).

Musmann: (der ihn mißtrauisch beobachtet hat) Oder isses dir . . . schon wieder leid?

Hollrieder: Sei unbesorgt. Ich werde dir nicht mehr ins Handwerk pfuschen.

Musmann: (wie geistesabwesend vor sich hin) Nicht mehr . . . malen! . . . An allem . . . wie blind vorbei! . . . Nicht mehr . . . (zu den Wänden aufblickend) Künstler sein wollen! Das ist ja . . . nicht möglich! Das . . .

Hollrieder: (in der offenen Balkontür; mit dem Rücken gegen Musmann; in die Sonne draußen blickend) Abwarten!

Musmann: Hast du . . . mein Bild gesehn?

Hollrieder: Ja. Aber nun geh.

Musmann: Wie hat dir . . . der Schnee gefallen?

Hollrieder: Ich möchte nicht, daß . . . wenn nachher Url kommt, und außerdem . . .

Musmann: (fast atemlos) Du sagst nichts?

Hollrieder: (noch immer von ihm gewandt; in seiner Stimme eine leichte Ungeduld) Ich habs dir schon ixmal gesagt. Du hast noch nie welchen gesehn! Für solche Dinge muß man wie ich aus dem bittersten Nordnord osten sein! (nach einigen Sekunden) Auch n Vergnügen! . . . Dafür verstehst du die Maisonne besser! . . . (draußen zwitschernde Spatzen).

Musmann: (über sich selbst erbittert; hilflos vor sich hin) Die Maisonne! . . . Die . . . Maisonne! . . . Nie einen . . . erreichen! Nie . . . (abbrechend; scheu nach Hollrieder hin; wie ihn aushorchen wollend; angstvoll) Könntest du s . . . ertragen . . . wenn du wüßtest . . . daß einer . . . größer ist, als du?

Hollrieder: (halb nach ihm zurück; verblüfft; dann trotz des Ernstes der Situation einen Augenblick fast amüsiert; kurz; kräftig) Mm- nee! . . . (von neuem auf die Straße blickend).

Musmann: (nachdem er einmal heftig mit dem Hals geruckt; erwartungsvolle Neugier; neue, beginnende, leise Unruhe) Was wirste denn . . . nu anfangen? . . . Du mußt doch . . . n Plan haben? . . . (wieder besorgt; beinahe angstvoll) Du tust nichts . . . ohne Absicht!

Hollrieder: (sich wieder zurückdrehend) Früher mal! (man fühlt, wie er mit seinem momentanen Zustand, trotz seiner gegenteiligen Versicherung, nichts weniger als zufrieden ist) Als ich noch der selbe Hammel war, der du noch jetzt bist!

Musmann: (ihn bösartig anfunkelnd).

Hollrieder: (auf ihn gar nicht achtend; an dem Butterblumentuff vorbei, auf den er einen Blick wirft, seinen Gang nach links wieder aufnehmend; mit dem Versuch, sich mehr und mehr von sich selbst zu befreien) Ein Mensch, der über die nächsten fünf Minuten raus denkt, ist für mich ein Narr! . . . (Kinderstimmen).

Musmann: Du wirst jetzt . . . wohl wieder . . . Bildhauer werden?

Hollrieder: Bildhauer, Kaiser von China, Kunstkaufmann wie Url . ..

Musmann: (fast zurückgeprallt) Wie . . . wie . . . Url? . . .

Hollrieder: (ärgerlich, daß er sich verplappert hat) Na ja . . . oder wie sonst wer!

Musmann: Du willst ich . . . bloß einlullen! Du . . . denkst gar nicht so!

Hollrieder: (durch die Zähne) Un-ver-besserlich!

Musmann: Ich soll mir bloß . . . keine Mühe mehr geben! . . . Du denkst . . . durch deine Suggestion . . .

Hollrieder: (im Vordergrund links, von ihm abgewandt, einen Augenblick stehnbleibend, mit Gewalt sich zusammennehmend, um nicht loszubrechen) Machst du einen mürbe! . . . (nach rechts rüber weiter).

Musmann: Ich . . . lasse mir nichts . . . suggerieren! . . . So . . . schlau du s auch . . . anfängst! (höhnisch) Wenn du glaubst, daß ich mir einbilde, die Malerei . . .

Hollrieder: (mit dessen Selbstbeherrschung es jetzt fast zu Ende ist) Glaube du . . . deinen Glauben . . . und laß mir meinen! (wieder nach seiner Uhr sehend; eine dritte Elektrische).

Musmann: (lauernd) Du jlupst ja immer so . . . nach der Uhr? . . . Du erwartest wohl wen?

Hollrieder: Das geht dich an!

Musmann: (hämisch losplatzend) Tchchch . . . ! . . .

Hollrieder: (vorn rechts stehngeblieben; ihn verwundert mißbilligend musternd) Was hast du schon wieder?

Musmann: (perfid grinsend; nach seinem Schlips greifend) Meine Krawatte sitzt schief.

Hollrieder: (der diese Anspielung natürlich nicht verstanden hat; kurz; seinen Gang nach links wieder aufnehmend) Dann rück sie grade!

Musmann: (durch diesen Ton für einen Moment wieder wie verwandelt; mit haßerfüllten Zügen, wie zu einem nur ihm sichtbaren Phantom neben sich; gedämpft) Du . . . Luder!

Hollrieder: (wieder stehngeblieben und ihn einen Moment lang scharf anblickend; dann sehr deutliche Kopfbewegung nach der Tür rechts) Hast du mich vorhin nicht verstanden?

Musmann: Du ziehst schon wieder . . . andre Saiten auf!

Hollrieder: Und ich werde noch ganz andre aufziehn, wenn du dich nicht endlich . . . (wieder stehnbleibend; von der Straße herauf laute Stimmen).

Musmann: (mit verzerrten Zügen neben den Kranz getreten, an dessen Blüten er jetzt zupft; wieder mit den üblichen Halsverdrehungen) Sogar . . . (dieses Wort ganz besonders durch die Zähne) Himmelsschlüsselbliemchen! (mit einem hämischen Schielblick nach dem Tuff auf dem Tisch; zugleich mit dem Finger zeigend; grinsend) Kiek! . . . Deine Lieblingsblumen! (den nicht zu lang gezogenen Brüllaut einer Kuh karikierend) Muuh! . . .

Hollrieder: (noch immer an seiner selben Stelle; scharf) Halt deinen . . . Schnabel! . . .

Musmann: (in ohnmächtiger Wut noch einen Augenblick zaudernd, dann mit einem Ruck einen Teil der Bekränzung runterreißend) Rrrritt! . . .

Hollrieder: (mit einem Sprung neben ihm) Du machst das sofort wieder an!

Musmann: (mit zusammengepreßten Zähnen, die Hände geballt, den am Boden liegenden Girlandenfetzen anstierend; dabei schwer pustend und fauchend) Phhh! . . . Phhh! . . . Phhh! . . . Phhh! . . .

Hollrieder: Wirds?

Musmann: (ihn anstierend; vor Haß fast zitternd; an seine Stelle wie gebannt).

Hollrieder: Eins?! . . .

Musmann: (vor sich und der Art Rache, die er an Hollrieder jetzt nehmen will, nicht zurückschreckend)  . . . Duuh . . . ?! . . . (fernes Pfeifen der Verbindungsbahn).

Hollrieder: Zwei?! . . .

Musmann: (jetzt nicht länger mehr zurückhaltend) Ich weiß . . . wo dein Freund Url ist!

Hollrieder: (zurückgezuckt; ihn anstarrend).

Musmann: (in sich sättigendem Triumph) Bei deinem . . . Herrn Schwiegerpapa!

Hollrieder: (wie unter einem erhaltenen Schlag zurückgeprallt) Url? (nach einem kurzen Augenblick; nochmal; mit starker, fragender Stimme, aus der es fast wie Entsetzen klingt) Url?? . . .

Musmann: (wie vorhin; nur noch gesteigert) Bei deinem ehemaligen . . . Konkurrenten! . . .

Hollrieder: (als ob er sich auf ihn stürzen wollte; mit ganzer Gewalt sich zurückhaltend).

Musmann: Jetzt, hehe . . . jetzt . . . weißte wohl . . . warum se dich nich . . . heiraten will?! . . .

Hollrieder: (wie gelähmt)

Musmann: Ein . . . saubrer . . . Herr . . . der . . . »Herr Professor«! . . .

Hollrieder: (ihn noch immer anstarrend; zuerst fast tonlos; dann sich schnell steigernd) Das ist nicht wahr! . . . Du schwindelst!! . . . Du phantasierst!!!

Musmann: (schadenfroh in sich hineinkichernd) Die »Jungfrau« . . . die den . . . »Drachen« tötet! . . . (dummhärig, als ob da ja allerdings weiter »nichts dran« wäre) Na ja! (beidemal »a« kurz).

Hollrieder: (seiner kaum noch mächtig) Noch eine Silbe . . .

Musmann: (geduckt; mit gespitzten Ohren plötzlich nach der Tür rechts horchend; man hört das Knarren einer Treppe, sich nähernde Schritte und die Stimme Urls).

Url: (noch unsichtbar; verbindlich) Gewiß, Herr Professor.

Lipsius: (ebenfalls noch unsichtbar) Also abgemacht! . . .

Musmann: Da . . . kommen . . . die vereinten Herren . . . ja schon!

Url: (draußen. Hollrieder steht da, wie versteinert; den Blick auf die Tür geheftet. Url mit einem Schlüssel seine Kammer aufschließend) Wenn Sie die Güte haben wollen . . .

Lipsius: Danke. (beide treten in die Kammer ein, und man hört, wie die Tür sich wieder schließt).

Musmann: (der, wie Hollrieder, atemlos gelauscht hat; schadenfroh grinsend) Das ist »nicht wahr«! . . . Du »schwindelst«! . . . Du »phantasierst«! . . .

Hollrieder: (wieder nach ihm zurückgedreht, einen Augenblick fast wie gebrochen) Woher hast du das . . . (stockend) gewußt?

Musmann: (sich an ihm weidend) Ich kenn einen . . . der sich für . . . furchtbar klug hält! . . . So klug! . . . Oh! . . . Und dabei . . . (den Kopf wie blöd vorgestreckt, den Unterkiefer vorgeschoben) ganz dumm isser! . . . Ganz dumm! . . . Buh! . . .

Hollrieder: (der zornig auf ihn zugegangen ist und ihn mit der Rechten am rechten Handgelenk gepackt hält; wieder wie sonst; nur noch nachdrücklicher) Antworte!

Musmann: (geduckt; Hollrieder in ohnmächtigem Ringen mit sich selbst) Du denkst wohl . . . weil du . . . der Stärkre bist! . . . (man hört, wie draußen die Kammertür sich wieder öffnet).

Hollrieder: (Musmann schleunigst nach der Tür links drängend; gedämpft) Hinten über den Hof! . . . Schnell!

Musmann: (sich sträubend, unwillkürlich aber auch gedämpft) Ich . . . will doch aber . . .

Hollrieder: (unterdrückt heftig; ihn durch die Tür schiebend, die er mit der Linken selbst geöffnet hat) Trapp!

Musmann: Sch . . . weinebande . . . (nachbrummelnd) verfluchte . . . (ab).

Url: (nachdem das letzte sich rapid abgespielt hat, leise anklopfend).

Hollrieder: (nach einem schnellen Blick auf die Tür rechts; flink die Girlande ordnend; sich mit aller Kraft zusammennehmend; Urls Klopfen absichtlich überhörend; bis von links deutlich die Hintertür geklappt hat, und dann erst noch die Balkontür schließend).

Url: (klopft nochmal; etwas bestimmter).

Hollrieder: Wer ist da?

Url: (eingetreten und die Tür hinter sich schließend; Kleidung wie in den andern Akten, nur ganz besonders künstlerisch elegante Weste und entsprechendes Plastron, Halblackstiefel; sich etwas verwundernd umblickend) Da war doch jemand?

Hollrieder: (noch unweit der Balkontür; kurz; nach der Tür links) Wenn du dich überzeugen willst . . .

Url: (in seiner feinen, vornehmen Weise leicht abwehrend) Aber ich bitte dich. (erst jetzt näher tretend; nach dem Bild hin auf der Staffelei) Was ist denn das da?

Hollrieder: (trotzdem alles in ihm noch in Aufruhr ist; wie auf etwas absolut Gleichgültiges; markiert leger hinten um den Tisch herum) N kleiner Scherz Musmanns.

Url: (vor dem Bild; mit einem besorgt fragenden Blick auf Hollrieder) Er versucht es jetzt wieder . . . sich an dich heranzudrängeln?

Hollrieder: (trocken) Scheint so.

Url: Du tust mir den Gefallen und gibst mir das bindende Versprechen . . :

Hollrieder: (sich in den Sessel links plazierend, der etwas nach vorn neben dem Tisch steht; zurückgelehnt, den rechten Knöchel übers linke Knie) Überflüssig!

Url: (befremdeter Blick).

Hollrieder: (der seinen Blick aufgefangen; zuerst gemacht obenhin, dann energisch) Wenn dich kein weitrer Kummer drückt . . . die Sorge kann ich dir abnehmen . . . Ich war mit ihm fertig schon damals und bin s jetzt erst recht!

Url: (eindringlich; rechte Hand auf der Lehne des Sessels rechts) Ich darf mich . . . absolut drauf verlassen?

Hollrieder: Absolut.

Url: (sich nochmals vergewissernd) Ich habe also dein Wort! Ich reise jetzt, und du läßt dich . . : in keiner Weise mehr mit ihm ein! . . . (da Hollrieder hierauf nicht mehr geantwortet) Hörst du? . . . In keiner! . . . Was er dir auch vorschwatzt!

Hollrieder: (ihn plötzlich scharf ansehend) Ist das alles?

Url: (durch seinen Tonfall betroffen; nach der Umkränzung und den Blumen hin) Du hast mir die bunten Dingerchen da . . . doch nicht übelgenommen?

Hollrieder: (noch immer vollständig zugeknöpft; aber jetzt doch mit einem leisen Akzent in der Stimme, aus dem es wie eine ferne Anerkennung und Dankbarkeit klingt) Ganz und gar nicht! . . .

Url: (dem man anmerkt, wie schwer es ihm fällt, mit dem, was er Hollrieder jetzt gern eröffnen möchte, rauszurücken. Nach der Mitte der Bühne, sich nach ihm zurückdrehend) . . . Du warst . . . in der Sezession. (da Hollrieder, jetzt von ihm wegblickend, darauf schweigt) Bist du schon . : . lange zurück?

Hollrieder: (ihn absichtlich dabei wieder nicht anblickend) So ziemlich.

Url: (von ihm weg; noch weiter nach rechts; von neuem anfangend; im Grunde immer unsicherer) Es tat mir außerordentlich leid . . .

Hollrieder: (der ihm wieder nachgeblickt) Da du eine so außerordentlich wichtige Abhaltung hattest . . .

Url: (zu ihm zurückgedreht; mit erst jetzt in ihm auftauchender, nachträglicher Besorgnis) Du warst mit deinem Bilde . . . doch hoffentlich zufrieden?

Hollrieder: (scheinbar gleichgültiges Achselzucken; Geste, als sei es gar nicht der Mühe wert, darauf zurückzukommen).

Url: (dadurch vollkommen beruhigt) Na! . . . Gott sei Dank! . . . Selbstverständlich! . .. Wär ja auch noch schöner! . . . (da Hollrieder noch immer stumm bleibt; wieder von ihm weg) Und du hast sie . . . getroffen?

Hollrieder: (auf diese Frage, die Url, namentlich aber ihr letztes Wort, nur zögernd vorgebracht, schnell erwidernd; mit deutlich durchklingender bissiger Ironie) Woher weißt du das?

Url: (auf diese direkte Frage nicht gefaßt gewesen; wieder zurückgedreht; perplex).

Hollrieder: Da du sie doch unmöglich schon gesehn haben kannst!

Url: (ausweichend) Ich hätte es allerdings . . . für besser gehalten . . .

Hollrieder: Deine weise Fürsorge ist mir berichtet worden.

Url: (mit dem Versuch, sich durch einen kühnen Ruck aus seiner Klemme zu reißen; Hollrieder voll anblickend) Also nu laß uns mal offen reden!

Hollrieder: (von ihm weg nach der Decke zu blickend) Darauf warte ich nur.

Url: Um eins reisen wir. Damit mußt du dich abfinden! Du bist ein Mensch der Arbeit und wirst nicht lange müßiggehn.

Hollrieder: (ihn sich von der Seite besehend) Das weißt du so genau.

Url: (überzeugt) Daß es für dich . . : jetzt keinen Stillstand mehr gibt! Daß der beste Teil deiner Entwicklung . . . noch vor dir liegt! Müssen wir andern mit unserm armseligen bißchen Leben schon fast permanent durch allerhand Prüfungen und Fegefeuer, ein Künstler wie du . . .

Hollrieder: (aufstehend, abschneidend und in den Vordergrund links) Lassen wir das! . . . Das ist nicht der Zweck, zu dem du gekommen bist. Um diese allgemeinen . . . Betrachtungen anzustellen . . .

Url: Allerdings nicht. Aber . . . Um es dir also zu sagen! . . . Ich habe es nicht über mich gewinnen können, dich zu verlassen, jetzt, wo du vielleicht überhaupt erst in deiner eigentlichen Krisis steckst, ohne dir nicht wenigstens . . .

Hollrieder: (der diese Verklausulierungen nicht länger aushält; noch gezügelt; vor dem Regal nach ihm hingedreht) Also was, was? Kurz und bündig! . . . Du siehst ja . . . daß ich auf allerhand gefaßt bin!

Url: (noch immer nicht mit der Tür ganz ins Haus fallend) Ich habe dir wenigstens . . . (halb sich rechtfertigende Geste) und sei es einen auch noch so bescheidnen, kleinen Dienst erweisen wollen.

Hollrieder: Und der wäre? . . . (da Url nicht gleich imstande ist, darauf zu antworten; wieder in seiner verbißnen Ironie; etwas nach dem Tisch zu) Du erlaubst doch, daß ich bis zu einem gewissen Grade . . . sagen wir, darauf neugierig bin? . . .

Url: (zögernd; behutsam) Ich weiß nicht recht . . . wie ich dir das . . . beibringen soll.

Hollrieder: (kalter, fast verächtlicher Blick zu Url rüber).

Url: (ausholend) Du hattest gestern . . . nachdem ich mich . . . in meinem Ärger . . . natürlich gänzlich überflüssig, eingeschlossen hatte . . . einen unvermuteten . . . ganz überraschenden Besuch bekommen.

Hollrieder: (wieder zurück, ohne ihn anzublicken) Auf den du aber, wie es schien, wunderbarer Weise sehr wohl vorbereitet warst! (Url, wie plötzlich ganz und gar von etwas überrumpelt, Hollrieder wortlos anstarrend; dieser wieder nach ihm hinblickend) Oder hattest du dich dort (Kopfbewegung nach dem Balkon) nach jemand anderm umgesehn?

Url: (erregt) Durch das konfuse Gerede dieses . . . Tölpels von . . . Musmann; ich will ihn nicht wieder beschimpfen, aber . . .

Hollrieder: (stehnbleibend) Aber?

Url: Ich hatte bloß das ganz allgemeine Gefühl . . .

Hollrieder: (wieder noch weiter nach vorn) Soso. (kaum noch imstande, seine wahre Stimmung zurückzuhalten) Also und was (mit einem plötzlichen energischen Ruck nach der Tür rechts) will nu der Herr?

Url: (überrascht) Du hast uns kommen hören?

Hollrieder: Das war doch deine Absicht.

Url: Ich wollte dich natürlich . . . bei deiner mir bekannten Explosivmanier . . .

Hollrieder: (ganz vorn links nach ihm hingedreht; seine Stimme hat einen seltsamen Klang) Führe den Herrn Professor herein!

Url: (bestürzt) . . . Du darfst nicht vergessen . . .

Hollrieder: (von sich aus doppeldeutig) Ich werde ihm nichts vergessen! . . . Nichts!!

Url: (eifrig) Ihr müßt euch ganz unbedingt wieder versöhnen! . . . Was euch auseinandergebracht hat . . .

Hollrieder: (mit einem leisen Unterton von Verachtung in der Stimme) Du hattest gestern so energisch zu »handeln« gedroht! Ist das jetzt deine große Tat!

Url: (achselzuckend; fast wie ihn bemitleidend) Eine »große Tat« von mir erübrigte sich, nachdem du dann . . . mit deinem unsinnigen Vorhaben zu deinem eignen Glück so abgefallen warst.

Hollrieder: (ihn von der Seite messend; mit schon fast nicht mehr zurückgehaltnem Hohn) Psychologe! . . .

Url: (einen kurzen Augenblick stutzend, dann von neuem) Titulier mich, wie du willst, ich könnte nicht von hier fort, ich hätte keine ruhige Minute, wenn ihr auch jetzt nicht vernünftig . . .

Hollrieder: Führe ihn herein!

Url: Du sagst das mit einer Heftigkeit . . .

Hollrieder: (sich niederzwingend; so ruhig, als es ihm im Augenblick möglich ist) Also führ ihn herein.

Url: (nach einigem Zaudern; ihm zu bedenken gebend) Das entschieden beste wärs doch, wenn du ihn selbst . . . (leis andeutende Geste nach der Tür).

Hollrieder: (mit Aufbietung seiner letzten Kräfte) Liebster Url? . . . (seine Augen sprühen) Überspann den Bogen nicht!

Url: Jedenfalls du versprichst mir . . .

Hollrieder: Ich verspreche gar nichts.

Url: (mit einer leichten Geste nach der Kammer hin) Ja, ich kann den Herrn Professor doch da unmöglich noch länger . . .

Hollrieder: Willst du nun also endlich zu deinem Entschluß kommen? Ja oder nein?

Url: (noch einen Augenblick zögernd; dann auf die Tür zu; gewissermaßen sich damit selbst beruhigend) Du wirst ja sehn. (die Tür bleibt halb auf, und man hört, wie draußen die Tür zur Kammer geöffnet und wieder geschlossen wird).

Hollrieder: (mit dem, kaum daß Url den Raum verlassen hat, die erschreckendste Veränderung vor sich gegangen ist: sein Gesicht ist entstellt, seine Hände haben sich gekrampft; er ist, die Augen auf die halb offen gebliebene Tür, langsam bis gegen die vordere Mitte der Bühne gegangen, und man sieht ihm an, daß er jetzt eigentlich am liebsten aufbrüllen möchte. Statt dessen qualvollstes Gestöhn aus tiefster Brust).

Lipsius: (noch draußen; nachdem die Kammertür wieder geöffnet worden ist; eine übertriebene Aufgeräumtheit in der Stimme) O nein! wenn es Ihre Zeit noch erlaubt . . . Sie stören durchaus nicht! (die Kammertür wird wieder geschlossen).

Url: (ebenfalls noch draußen) Danke sehr.

Hollrieder: (hat sich auf die ersten Laute, die er gehört hat, wieder zusammengerissen, ist rückwärts, die Augen immer auf die Tür, bis gegen den Tisch gegangen und steht nun, den Kopf vorgeduckt, Lipsius erwartend, mit beiden Händen sich rücklings auf die runde Platte stützend; durch die Zähne vor sich hin) Jetzt bin ich . . . neugierig! . . .


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