Arno Holz
Sonnenfinsternis
Arno Holz

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Lipsius: (Stock und Zylinder in der behandschuhten Rechten, im gleichen eleganten Überrock wie in der Sezession; hinter ihm Url, der die Tür schließt; aufgeräumt warmer Ton) Also, lieber . . . (bereits eine Nuance verdutzt) Ich bin untröstlich! . . . (etwas vor der äußersten Kante der Staffelei; die Arme sinken lassend und fragend nach Url zurück, der, vor Hollrieders seltsamer Stellung ganz sprachlos, nicht weit von der Tür stehngeblieben ist) Ja, haben Sie ihm denn nicht mitgeteilt . . .?

Url: (in seiner Ratlosigkeit nicht recht wissend, wie er die Sache wieder einrenken soll) Wir haben eben . . .

Lipsius: (der ihn erst gar nicht weitersprechen läßt, zu Hollrieder) Ich komme, Ihnen doch schließlich . . . abbitten!

Hollrieder: »Abbitten«? . . . Was!

Lipsius: (fast, als ob er das Atelier wieder verlassen wolle) Wenn Sie aber natürlich . . .

Hollrieder: Also »abbitten«. Ich höre.

Lipsius: (nicht ganz sicher) Ich habe Sie gestern . . . schwer beleidigt.

Hollrieder: Und heute, als Sie mich vor der Ausstellung schnitten, zum zweitenmal!

Lipsius: (verwunderter Blick zu Url rüber; Url: beschwörende Geste).

Hollrieder: Wollen Sie fortfahren!

Lipsius: (wie im Zweifel, ob er an dieser Stelle nicht doch lieber die Unterredung bereits abbrechen solle) Wenn ich nicht wüßte, daß Sie durch Ihre Arbeit . . .

Hollrieder: (hart) Von meiner Arbeit, die hinter mir liegt, reden wir nicht mehr! . . . Das Zeug ist nicht die Leinwand wert, auf die es geschmiert ist!

Url: (der in seiner ersten Überraschung nicht fähig gewesen, auch nur ein Wort rauszubringen, starrt Hollrieder vollständig verständnislos an; auch Lipsius, der von ihm zu Hollrieder blickt, steht wie angewurzelt; Url: endlich) Du hast mir . . . eben erst . . .

Hollrieder: (scharf) Nichts habe ich dir »eben erst! . . . Nichts!

Lipsius: (dem erst jetzt die Sprache wiederkehrt) Entweder . . . Sie wollen uns hier düpieren, oder . . . (zu Url, der noch ganz wie betäubt steht; erbittert) Ich hatte mir von dieser Unterredung ein andres Bild gemacht!

Url: (aus seiner Erstarrung sich jetzt lösend; zu Hollrieder) Ich begreife dich nicht!

Hollrieder: (zu Lipsius) ich »düpiere« nicht, Herr Professor! . . . Weder Sie, noch . . . (Url mit einem schnellen Blick streifend) sonst jemand! . . . Wenn Sie aber allerdings das beklemmende Gefühl haben, daß mein Freund Sie in eine Art Falle gelockt hat . . .

Lipsius: (der hochmütig abweisend ihn bis hierher angehört hat; zu Url; trotzdem aber an seiner Stelle bleibend) Also ich geh. Ich muß gehn. (ebenfalls zu Url; scharf; dabei halb nach Hollrieder zurück) Schon aus Rücksicht auf Ihren Freund, Herrn Hollrieder!

Hollrieder: (kalt) Ich kann Sie nicht halten!

Url: (in seiner Aufregung Lipsius, der jetzt endlich Miene zum Gehen macht, von weitem den Weg vertretend; hastig) Ich ahne nicht, was mit Herrn Hollrieder vor sich gegangen ist, aber sind Sie ihm schon so weit entgegengekommen . . .

Lipsius: (der jetzt wieder zu bleiben bereit scheint) Alles hat seine Grenzen!

Url: (der unwillkürlich einige Schritte näher auf ihn zugetreten war, gedämpft) Sie kennen ihn doch!

Hollrieder: Ich rette Ihnen als junger Bursche Ihr einziges Kind, und zehn Jahre später ist dann dafür Ihr Dank . . . (vor innrem Ekel abbrechend; Lipsius von oben nach unten musternd) Was müssen Sie für eine Phantasie haben! . . . (zu Url, der mit etwas einfallen will) Störe uns nicht! Nur unter dieser Bedingung . . .

Url: (sich zurückzwingend) Verzeih.

Lipsius: (der sich gleichfalls bezwungen hat; argwöhnisch sich noch nicht klar darüber, wie weit der offenbare Verdacht Hollrieders sich gegen ihn vorwagt; nach einer kurzen Pause) Meine Kunst . . . ist rein! . . . Und um mein Leben . . . (sich aufreckend und zu Hollrieder direkt) hat sich niemand zu bekümmern! . . . Niemand! . . . (wieder wegblickend) Sie am wenigsten!

Hollrieder: (über den empfangenen Hieb quittierend) Danke! . . . (nach diesem kurzen Moment sofort wieder zur Parade ausfallend) Aber um das Leben andrer bekümmern Sie sich!

Lipsius: Ich konnte nicht ahnen, daß jene Briefe . . .

Hollrieder: (gallenbitter) Trotzdem sich der Absender Ihrer besondern Antipathie erfreute! (auf eine nervös gelangweilte Geste von Lipsius, als ob dieser Herr Musmann ihm wirklich für eine solche Antipathie zu gleichgültig-unbedeutend wäre) O, sie war oft sehr deutlich! Während Ihnen die ganze Art des Beschuldigten . ..

Lipsius: Ich habe an der einen Seite Ihres Wesens nie gezweifelt.

Hollrieder: (einen Ausbruch zurückhaltend) Aber um so mehr an der . . . »andern«, meinen Sie jetzt!

Lipsius: Wir sind alle Menschen!

Hollrieder: (unwillkürlich zu Url rüber) Herrlich! . . .

Lipsius: (der sich auf die Lippen gebissen hat) Jedenfalls, als ich dann auch noch diese . . . flüchtige Ähnlichkeit entdeckt zu haben glaubte . . . (stockt).

Hollrieder: (zorniges Auflachen; Lipsius erstaunt hochmütig. Hollrieder: bitter boshaft) Sie sagten doch eben »flüchtige Ähnlichkeit«! (Lipsius sich befremdet achselzuckend nach Url umblickend).

Url: (erregt lebhaft) Herr Professor hat sich in der Zwischenzeit überführt! Die Dame ist ihm wildfremd! Er hat nie auch nur das Geringste mit ihr zu tun gehabt!

Hollrieder: (auf seinem Platz vor dem Tisch, gegen den er noch immer lehnt, vor dieser für ihn einfach ungeheuerlichen Lüge förmlich zurückgeprallt; Lipsius anstarrend, als ob er plötzlich einen ganz andern Menschen in ihm sähe) Das, habe Sie den Mut, mir ins Gesicht zu behaupten?

Lipsius: (nach einer ganz kurzen Pause, während welcher Url ihn erwartungsvoll aufmunternd angeblickt; wieder gesammelt, kalt, aber doch vermeidend, Hollrieder dabei anzusehn) Es ist die Wahrheit.

Hollrieder: Die . . . Wahrheit!! . . .

Url: (zu Hollrieder; eifrig) Du hörst s!

Lipsius: (die Augen nach der Decke; seine Stimme hat nicht mehr ihren ungebrochnen Klang) Ich wüßte nicht, was mich im Moment . . . davon abhalten sollte . . . Ihnen ebensogut auch das Gegenteil zu sagen . . . wenn dieses Gegenteil . . . der Fall wäre.

Hollrieder: (der auf Url gar nicht geachtet hat; nach einer kurzen Pause; es ist ihm gelungen, sich niederzuzwingen; seine Stimme klingt verändert, fast geschäftsmäßig) Darf ich mir jetzt . . . einige Fragen erlauben?

Lipsius: (zu Url) Also ein Verhör. (zu Hollrieder) Gut. Verhören Sie.

Hollrieder: Was hatte Ihr Fräulein Tochter . . .

Url: Du darfst nicht . . . (entsetzt beide anstarrend).

Lipsius: (fast gleichzeitig; scharf) Das gehört nicht hierher!

Hollrieder: (zu Url) Ich bitte dich dringend! . . . (zu Lipsius) Was hatte Ihr Fräulein Tochter damals veranlaßt, lieber den Tod im Wasser zu suchen, als einem Leben entgegenzugehn, um das sie Hunderttausend beneidet hätten?

Url: (zu Lipsius, da dieser nicht sofort antwortet) Hätte ich geahnt . . . daß sich mein Freund erlauben würde . . .

Hollrieder: (zu Url) Ich ersuche dich nochmal!

Lipsius: (in dessen Maske durch die grausame Erinnrung, die Hollrieder in ihm geweckt hat, jetzt doch etwas wie Qual aufgetaucht ist; weder Hollrieder noch Url dabei anblickend) Ich habe meine Antwort . . . Herrn Hollrieder bereits erteilt.

Hollrieder: (jedes Symptom an Lipsius scharf beobachtend und bei sich registrierend) Die Gerüchte, die damals im Umlauf waren, sind mir bekannt. Ihr Fräulein Tochter war in vollkommner Freiheit von Ihnen erzogen worden, Ihr Haus, selbst schon zu Lebzeiten Ihrer Frau, die Sie noch dazu »vergöttert« haben sollen, war nie das . . . reinst gewesen . . .

Lipsius: (nach einem hastigen Blick auf Url, den dieser aufgefangen hat; sich beherrschend) Sie sehn: ich unterbreche Sie nicht einmal.

Hollrieder: (fortfahrend) Dutzende von jungen Künstlern, wie ja auch noch heute, umdrängten Sie stets, was Wunder, wenn man also annahm, die damals für tot Gehaltne, die mit diesen jungen Menschen wie mit Kameraden gelebt hatte, die täglich frei durch alle Säle gegangen war, und vor der es nie Metiergeheimnisse gegeben . . . diese Ärmste sei irgend einem von ihnen . . . zum Opfer gefallen!

Lipsius: (schneller, flackernder Blick zu Hollrieder rüber).

Hollrieder: (der diesen Blick sehr wohl bemerkt hat) An dieses Märchen . . . glaube ich jetzt nicht mehr!

Lipsius: (dessen innerer Kampf sich jetzt deutlich in seinen Mienen spiegelt) Ich kann Ihnen ein andres . . . nicht aufbinden.

Url: (zu Lipsius; mit einer leicht verdeutlichenden Geste, als ob es jetzt vielleicht doch für ihn an der Zeit sei, den Raum zu verlassen) Falls Sie es jetzt . . . nicht doch vorziehen, Herr Professor . . .

Lipsius: (mit scheinbarer Verwunderung) Warum? . . . Weil Herr Hollrieder sich hier offenbar . . . (plötzlich empört bissig) in irgendeiner Hintertreppenphantasie gefällt?

Hollrieder: (immer tiefer bohrend; langsam) Als ich Sie . . . an jenem Sommermorgen damals . . . in Ihrer Verzweiflung sah . . . oder war es . . . die Reue? . . . da taten Sie mir . . . in tiefster Seele leid. Und dieses Mitleid mit Ihnen . . . empfinde ich jetzt, in diesem Augenblick . . . wieder! Ja . . . trotz aller Wut, die in mir kocht . . . vielleicht sogar noch stärker!

Lipsius: (dessen Stimme immer verschleierter klingt; mit seinem Stock um seinen rechten Stiefel spielend) Sie sollten . . . Ihre Gefühle . . . an ein würdigeres Objekt vergeuden! . . .

Hollrieder: (seinen letzten Trumpf vorbereitend) Ich weiß . . . nur eins noch nicht! . . . Nur darüber bin ich mir noch nicht klar! . . . Wenigstens noch nicht ganz!

Lipsius: (seinen Blick mit dem Hollrieders kreuzend).

Hollrieder: (sehr artikuliert und deutlich) Bis zu welchem Grade ich berechtigt bin, zu meinem . . . Mitleid . . . nun auch noch Verachtung zu fügen!

Lipsius: (nach schnellem Sichniederzwingen; wie beim besten Willen gar nicht begreifend; zu Url, ausholende flüchtige Geste mit spielenden Fingern vor der Stirn) Apokalyptisch! . . .

Hollrieder: (von seinem Platz aus plötzlich zu Url; noch bevor dieser etwas zu sagen vermag; heftig) Warum habt ihr euch beide zusammen getan, um mich zu belügen?

Url: (mit dem Versuch, zu Worte zu kommen) Ich . . .

Hollrieder: Schweig!

Lipsius: (hochfahrender Blick zu Url rüber, der aber in diesem Moment nur auf Hollrieder achtet) Ist das . . . immer Ihr Ton?

Url: (zu Hollrieder; sich dabei unwillkürlich, wie suchend, im Raum umblickend; zuletzt bleiben seine Augen auf der Tür haften, durch die vorhin Musmann verschwunden) Es scheint . . . man hat dir in der Zwischenzeit . . . (unwillkürlich einen Schritt auf die Tür links zu).

Hollrieder: (leichte Handbewegung nach ihm, die ihn auf seinen Platz zurückbannt; zugleich zu Lipsius, der, durch die Haltung Urls aufmerksam geworden, ebenfalls beunruhigt nach der Tür links blickt) Wir sind hier . . . unter uns.

Url: Ich versichre dich!

Hollrieder: »Versichre«! . . . Kein Wort mehr glaub ich dir! . . . (wieder zu Lipsius) Die Dame, die Sie gestern bis in diesen Raum verfolgten, und von deren Existenz ich bis vor drei Monaten noch nichts gewußt habe . . . ich setze voraus (jetzt einen Augenblick zaudernd, da er damit Url trifft)  . . . der . . Herr hat Ihnen das mitgeteilt . . . (sofort wieder zu Lipsius) diese Dame (seinen Trumpf ausspielend) ist Ihre Tochter!

Lipsius: (zusammengezuckt).

Url: (sich aufraffend) Du kannst doch unmöglich . . . Wenn Herr Professor selbst . . .

Lipsius: (der sich wieder zusammengerissen hat; als ob er es aufstecken müsse, mit einem Manne wie Hollrieder sich über diesen Punkt noch auseinanderzusetzen) Wenn Herr Hollrieder das besser weiß . . .

Hollrieder: (unmittelbar fortfahrend; als hätten die beiden ihre Einsprüche gar nicht erhoben) Und ich wäre sicher schon längst dahintergekommen, (wieder zu Url, der noch vergeblich nach Fassung ringt) wie du, lieber Sohn, womöglich schon an jenem ersten Abend dahintergekommen bist, (mit einem sich weidenden Blick nach Lipsius rüber, der durch einen scheinbar erstaunt fragenden Blick zu Url rüber, als »begriffe« er nicht, sich nur allzu deutlich selbst verrät) als der mysteriöse »Unbekannte« durch dich von der Bildfläche gewischt wurde (zu Lipsius direkt) wenn nicht meine dumme, blöde Vertrauensseligkeit gewesen wäre! (allgemein) Die selbe, die mir auch diesen Filou Musmann aufgeladen hat!

Lipsius: (ebenso allgemein) »Auch« ist gut. (zu Hollrieder direkt; amüsiertes, mokantes Hohnlächeln) Ich denke, Sie halten diesen Biedern für verrückt?

Hollrieder: Das ist mit einem Verrückten, verehrtester Herr Professor, wie mit einem Betrunknen. Erst in solchem Zustand verrät sich sein wahrer Charakter. (auf eine Bewegung von Lipsius, die über diese Theorie eine lebhafte Skepsis andeutet) Wenigstens hat er sich in diesem Falle erst so verraten!

Lipsius: (bedenkliche Geste zu Url) Ich muß sagen . . . derartige Theorien . . . (zu Hollrieder) Ich enthalte mich jedes Urteils!

Hollrieder: (scharf) Weil Sie Partei sind!

Lipsius: (aufblickend) . . . ? . . .

Hollrieder: (noch deutlicher werdend) Weil die Möglichkeit nur allzu naheliegt, daß auch bereits . . . gewisse andre Dinge unter diese Rubrik summiert werden könnten!

Lipsius: (trotz seiner ungeheuerlichen inneren Aufregung den blasiert Gelangweilten spielend; zu Url) Finden Sie sich das raus? . . .

Url: (ebenfalls den Verständnislosen spielend) Ich . . . muß offen gestehn . . .

Hollrieder: (ergrimmt über ihn, durch die Zähne) Du bist gelungen!

Url: (in der verzweifelten Hoffnung, die Situation womöglich doch noch retten zu können) Es liegt eine Reihe von unglücklichen Zufällen und Irrtümern vor! Ich würde dir doch zweifellos . . .

Hollrieder: (die selbe Wendung, sarkastisch ironisiert) Zweifellos! (dann sofort eisig; beinahe feindselig) Du bist von deiner alten Offenheit mir gegenüber, die ich ja nun schon fast diese ganze letzte Zeit an dir habe bewundern dürfen. (in der grausamen Absicht, sich in diesem Augenblick aus seiner verzweifelten Stimmung heraus an Url zu rächen) Oder . . . hoffst du noch immer . . .

Url: (dem es entsetzlich ist, daß in Gegenwart von Lipsius, der sofort scharf aufgemerkt hat, dieses Thema auch nur angeschnitten werden könnte; ihm nach einem schnellen, sich orientierenden Blick nach Lipsius sofort ins Wort fallend) Du weißt sehr wohl: ich hoffe gar nichts?

Hollrieder: (hartnäckig) Aber du hast doch mal gehofft . . .

Url: (seine Verletztheit über Hollrieders Vorgehn gegen ihn mit Gewalt niederkämpfend) Mit dir ist jetzt nicht . . . zu rechten.

Lipsius: (in seinem Benehmen jetzt total erkältet, auch gegen Url) Es scheint, daß die Herren . . . (sich zum Gehn wendend) Ich überlasse Sie also . . . (sehr mokant betont) Ihren delikaten Erörterungen.

Hollrieder: (scharf; mit Bezug auf Url) Was wir unterein ander abzuwickeln haben, geht Sie nichts an!

Lipsius: (erstaunt stehngeblieben; über die rechte Achsel hochmütig nach Hollrieder zurückblickend).

Hollrieder: (unerschütterlich) Ich werde Ihnen jetzt nicht eher gestatten, diesen Raum wieder zu verlassen, als bis sie mir Rede und Antwort gestanden haben!

Lipsius: (an seinen alten Platz wieder zurückgetreten) Nun fängt die Sache allerdings an, mir Spaß zu machen.

Hollrieder: (die Uhr in der Hand) Dieser »Spaß« wird für Sie vielleicht überraschend bald . . . in einen betäubenden Ernst umschlagen!

Lipsius: (sich seinen langen Bart streichend) Um so . . . interessanter.

Hollrieder: (zu Url über; mit verstecktem Hohn, so daß dieser dadurch innerlich noch beunruhigter wird) Du wirst zu spät in euer Hotel kommen.

Url: (der hastig nach seiner Uhr sieht; zu Hollrieder) Ich habe noch Zeit.

Hollrieder: (trocken) Vorausgesetzt, daß du dich nicht nochmal einmischst!

Lipsius: (zu Url) Auch mir täten Sie damit einen Gefallen.

Url: (erbittert) Ich werds versuchen. (sich ganz vorn rechts, die Hände hinterm Rücken, gegen den Türpfosten lehnend).

Hollrieder: Was hat Sie veranlaßt, Ihre Tochter vor mir zu verleugnen?

Lipsius: (unwillkürlich wieder zu Url zurück; als ob er es in Hollrieder mit einem Irren zu tun hätte) Meine »Tochter«! . . .

Hollrieder: Da Sie mir die Antwort verweigern, werde ich sie Ihnen selbst geben! . . . (wieder sehr artikuliert und deutlich) Wahrscheinlich das selbe, das die Verzweifelte damals . . . fast in den Tod getrieben hatte!

Lipsius: (wie mit einmal besonders für die Blumen um die Staffelei interessiert; an einer zupfend) Lassen Sie sich nicht aus dem Text bringen.

Hollrieder: Von jenem Bildwerk, das Sie berühmt gemacht hat . . .

Lipsius: (wie nebensächlich kühl) Ich bin durch viele Bildwerke berühmt.

Hollrieder: Von jenem Bildwerk existieren zwei Fassungen!

Url: (aufmerksam).

Lipsius: Und das hat man Ihnen erst neuer dings gesteckt?

Hollrieder: (nach einigem Zögern; entschieden) Ja. Und zwar steht das hüllenlose Urbild, dessen Kopf porträtähnlich sein soll, noch heut in Ihrem Hause. (auf eine auffahrende Geste von ihm; langsam; seine Worte besonders betonend) Wenn auch nicht für jedermann zugänglich!

Lipsius: (auf den letzten Teil seiner Replik gar nicht mehr eingehend) Als ein ehemaliger Schüler von mir sollten Sie wissen . . .

Hollrieder: . . . Daß ein Bildner bei einer Gestalt, wie der hier in Frage stehenden, erst die Gestalt und dann den »Sternenmantel« formt. Selbstver ständlich! Das Abc kenne ich noch! . . . Daß er aber dem Untier, das sich unter ihr krümmt, in jener Urfassung auch noch seine Züge lieh . . .

Lipsius: (der sich wieder gefaßt hat; zu Url rüber) Entzückend! (wieder zu Hollrieder direkt) Und aus dieser . . . Künstlerlaune, gestatten Sie sich jetzt plötzlich irgendwelche Schlüsse zu ziehn? Das Werk ist seit zehn Jahren einer ganzen Reihe von Leuten bekannt!

Hollrieder: Leute, die keinen besonderen Verdacht haben, sehn an solchen Dingen vorbei! Wie ja auch ich zum Beispiel immer daran vorbeigesehn habe, daß jene Gestalt, deren Urbild die Verschwundne war, seitdem in all Ihren Schöpfungen unablässig wiederkehrt! Einfach, als läge es gar nicht mehr in Ihrer Macht, sich dieser Art . . . Selbsthypnose . . . zu entziehn!

Lipsius: Diagnostizieren Sie weiter.

Hollrieder: Dieser Typus des erwachenden Weibes in seiner ersten . . . Frühblüte . . . dessen unbestrittener Schöpfer Sie sind . . . hat auf diese Weise, zugleich mit Ihre Ruhm . . . auch bereits dessen Verfall begründet.

Lipsius. (in prononciert vorgekehrtem Stolz) Ich befinde mich Gott sei Dank noch immer in einem Aufstieg.

Hollrieder: Nach außen. Aber jede Ihrer Kopieen . . .

Lipsius: (hochfahrende Geste).

Hollrieder: Bewußt, oder unbewußt: für das Resultat blieb es sich gleich. Aus der ursprünglichen Reinheit ist allmählich ein . . . Gemisch geworden . . .

Lipsius: (der nur noch mit Mühe seine Haltung bewahrt; wieder zu Url zurück) Das nenn ich bei der Sache bleiben!

Hollrieder: Es gehörte für mich in sofern zur Sache, als Sie sich damals sehr wohl gehütet hatten, Ihr verräterisches Selbstporträt . . .

Lipsius: (endlich aufbrausend) Ich muß es mir ganz entschieden verbitten . . .

Hollrieder: (mit scheinbarer Verwundrung) Sie wollten mir doch Rede und Antwort stehn?

Lipsius: (sich wieder etwas mäßigend) Was für mich aber absolut nicht damit eins ist, daß ich mir hier von Ihnen Deutungen bieten lasse, die . . .

Hollrieder: (ruhig weiter) Das Mitverschwinden jenes alten Familienschmucks . . . (Lipsius hoch aufgerichtet) erfuhr ich von Ihnen erst nach Jahren! Ich bin jetzt überzeugt, Sie hatten sein Fehlen schon am ersten Tage entdeckt! Warum verhalfen Sie damals der Polizei nicht sofort auf die Spur?

Lipsius: (leicht ironisch zu Url rüber; wie sich über Hollrieder belustigend) Aus dem Nachlaß von Herrn Musmann!

Hollrieder: (durch diese scheinbare Sicherheit nicht im mindesten irritiert) Es genügt, daß Sie mich verstanden haben. Ferner! Sie verwahrten sich vorhin gegen jederlei Einmischung in Ihre Privatangelegenheiten. Ich würde diese Verwahrung mit Vergnügen respektieren . . .

Lipsius: (auf einmal eine ganz andre Haltung einnehmend) Sie wollen sich erfrechen . . .

Hollrieder: Ich will mich erfrechen, meine »Diagnose« jetzt zum Abschluß zu bringen.

Lipsius: (sich wieder bezwingend; mit einer deutlichen Drohung im Ton) Dann wählen Sie aber . . . Ihre Worte!

Hollrieder: Sie sind seit länger als einem halben Menschenalter einer der gesuchtesten . . . (unwillkürlich wieder zu Url hin; halb ironisch) ja, wie sagt man da? . . . »Löwen« . . . (auf eine entsprechende schnelle Bewegung von Lipsius) das kann Sie doch nicht beleidigen! . . . unsrer sogenannten besten Gesellschaft. Von der Aureole, die Ihren Namen umstrahlt, ganz abgesehn: Ihre persönlichen Vorzüge . . .

Lipsius: (der in seiner Linken so lange lässig den Zylinder gehalten, in diesem Moment den Stock mit einem plötzlichen Hieb wie spielend durch die Luft sausen lassend).

Hollrieder: Sie besitzen welche. Sogar sehr beträchtliche. Ich bin der Letzte, das zu leugnen.

Lipsius: (mit dem Stock einmal auf den Teppich stampfend) Bemühen Sie sich nicht.

Hollrieder: Wie Sie wünschen. Trotzdem dürfte Ihnen bereits aufgefallen sein. Wenigstens bildet es das allgemeine Künstlergespräch. Familien . . . instinktiv, oder nicht . . . mit halberwachsenen Töchtern . . .

Lipsius: (mit dessen Selbstbeherrschung es jetzt aus ist) Noch einen Laut . . . (sich wieder bezwingend; bereits nach ihm zurückgewandt) Sie werden von mir hören.

Hollrieder: (kalt; während Lipsius ganz erstaunt sich nochmal nach ihm umgedreht hat) So sehr mir auch bekannt ist, daß Sie seit geraumer Zeit auf gewisse Provokationen nur noch mit fünf Schritt Distanz und Kugelwechsel bis zur völligen Abfuhr antworten . . . ein Sport, an dem ich mich nicht beteiligen würde . . . (horcht plötzlich auf) Verzeihung. (alle lauschen; man vernimmt wieder das Knarren von Stufen, leichte Schritte und ein sich näherndes Rascheln von Seide).

Url: (beide Hände entsetzt auf der Klinke; erst auf Lipsius, dann auf Hollrieder blickend) Um . . . Gottes willen! . . . (es klopft).

Hollrieder: (an Url vorbei, der, ganz in den Vordergrund rechts getreten, wie gelähmt ihn an sich vorüber läßt, auf die Tür zu) Auf diesen Augenblick hab ich gewartet! . . . (öffnet; auf der Schwelle, in herrlichster, lichter Frühlingstoilette, den Arm voller bunter, langgestielter Rosen, Beatrice).

Beatrice: (die Lipsius, der fast atemlos auf ihre Stimme horcht, noch nicht sehen kann; verwundert lächelnd) Du machst ja son Gesicht! . . . Ich . . . habe dir hier . . . (zu Url, der, vollkommen fassungslos, sich nicht vom Fleck rührt) Was ist Ihnen denn? . . . (wieder zu Hollrieder) Ihr seid beide . . .? Habt ihr alten Brummbären . . .?

Hollrieder: (der vor ihrer strahlenden Stimmung einen Augenblick gezaudert hat; plötzlich vollständig ruhig) Komm nur herein. (die Tür hinter ihr schließend).

Beatrice: (die jetzt erst Lipsius bemerkt, der wie vor einer Erscheinung bis an den Sessel rechts neben den Tisch vor ihr zurückweicht; sie steht wie erstarrt, die Rosen sind ihr alle zu Boden geglitten; fast tonlos) Du? . . . (entsetzt fragender Blick nach Url zurück).

Lipsius: (fast heiser) Ich . . . kenne die Dame nicht!

Beatrice. (unterdrückt außer sich; auf ihn zu bis an die Stelle, an der er solange selbst gestanden) Du hast es . . . gewagt? . . . (nach Hollrieder zurück, der etwas vor der vorderen Ecke der Chaiselongue steht; blitzend) Warum ist er hier?

Hollrieder: (auf Url weisend) Bitte.

Beatrice: (zu Url; wie es noch gar nicht fassend) Das . . . taten Sie Ihrem einzigen Freund an?

Url: (zu Lipsius rüber; gedämpft) Gehen Sie. (Hollrieder auf Url aufmerksam).

Beatrice: (deren Empörung jetzt keine Grenze mehr kennt) Er soll jetzt alles sagen! Alles! . . .

Url: (zu Lipsius, der inzwischen seine Haltung vollkommen wiedergefunden hat und Hollrieder nun wie einen Rivalen von der Seite mußt, noch eindringlicher) Ich beschwöre Sie!

Hollrieder: (dem durch das Benehmen Urls im Verein mit den Worten, die er eben von Beatrice gehört hat, jetzt alles bis in seine letzte Konsequenz dämmert, mit erhöhter Stimme) Warum soll er gehn?

Lipsius: (sich nochmal zusammenraffend) Der Herr . . . scheint nicht zurechnungsfähig!

Beatrice: (die ihn solange sprühend gemessen; keinen Blick von ihm lassend; fast zischend) Schurke! . . .

Lipsius: (nach einer ganz kurzen Pause; mühsam; die Augen nicht von ihr lassend) Du weißt wohl nicht . . . zu wem du . . . sprichst?!

Hollrieder: (der wie aus Stein gestanden; bebend) Herr Professor!

Url: (zu Lipsius) Ich bitte Sie nochmal!

Hollrieder: (plötzlich auf Beatrice zu und sie am Handgelenk packend; ihr entsetzt ins Gesicht starrend) Ist es wahr? Ist es das? . . . Hat dich der Schuft . . . (einen Augenblick nach Lipsius rüber; dann wieder zu Beatrice) Du kannst mir nicht in die Augen sehn?

Beatrice: (unter seinem Blick sich kaum noch aufrecht haltend; sich ihm zu entwinden suchend; fast keuchend) . . . Laß mich! . . . Du tust mir weh! . . . Laß! . . .

Hollrieder: (nach einem Blick voll Ekel zu Lipsius rüber; wie von Abscheu übermannt, mit einem plötzlichen Ruck sie loslassend, als ob er sie von sich stieße) Eh! (die Augen wie stier auf die Seitenwand vorn links, starr auf diese zu).

Beatrice: (zwei Schritte vor ihm zurückgetaumelt; die Augen geschlossen; in namenloser Qual) . . .

Hollrieder: (von allen weggedreht, gegen die Seitenwand links, in stummer Wut und Empörung).

Lipsius: (zu Beatrice; seit ihrem Ausbruch wie verändert; fast verächtlich zu Hollrieder hin) Und diesem . . . Mann . . .

Hollrieder: (zu Url; aus derselben Stellung) Mach die Tür auf!

Url: (stumme, flehende Gebärde mit erhobenen Händen zu Lipsius).

Lipsius: (der sich nicht vom Platz rührt; wieder zu Beatrice; schwer) Du willst mich . . . nicht mehr hören? . . .

Beatrice: (stumm; schneller, scheuer Blick zu Hollrieder rüber).

Hollrieder: (fast erstickt) Warum ist er nicht schon fort?

Url: (jetzt leise die Tür öffnend).

Lipsius: Ich frage dich . . . nochmal!

Hollrieder: (in der gleichen Stellung wie vorhin; mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft) Ich . . . steh für mich nicht mehr! . . .

Lipsius: (nachdem er nochmal auf irgend ein Zeichen Beatrices, die ihn nicht mehr ansieht, vergeblich gewartet) Es ist vielleicht . . . (nach einem unwillkürlichen Blick zu Hollrieder rüber) meine letzte Bitte! (als sie auch darauf schweigt, sich langsam zum Gehen anschickend) Gut. Dann . . . weiß ich . . . (mit sehr deutlich unterstrichner Betonung) was ich zu tun habe.

Hollrieder: (wie vorhin) Verbrecher! . . .

Lipsius: (der unter diesem Wort zusammengezuckt ist, wie unter einem Peitschenhieb; unwillkürlich haltmachend) . . .

Beatrice: (die ihm mit den Augen gefolgt ist; zu Hollrieder rüber; stockend) Laß ihn nicht . . . so von dir! . . . Es genügt . . . (schaudernd) daß ein . . . Schrecklichstes geschehn ist! (Lipsius, unter diesem direkten Geständnis, mit einem Blick nach Beatrice, sich mit Gewalt aufrichtend; auch an Url und Hollrieder hat man einen entsprechenden Eindruck bemerkt).

Hollrieder: (nach einer kurzen Pause; noch immer in der selben Stellung) Wähle!

Lipsius: (Beatrice, unter seinem Blick, nach kurzem Schwanken, wie automatisch, zwei Schritte auf ihn zu; auf eine kurze Bewegung Hollrieders, der sich in diesem Augenblick wie instinktiv halb nach ihr umgedreht, ebenso wieder auf ihren Platz zurück) Die Wahl . . . (jetzt an ihr vorbei auf die Tür zu; die Rosen nach einem kurzen, unwillkürlichen Stutzen absichtlich zu treten vermeidend) soll dir erspart bleiben! . . . (die Tür fassend) Ich werde mein Leben . . . zu tragen wissen! . . . (mit einem letzten Blick nach ihr) Um deinetwillen! (ab, während die Augen Beatrices in seltsam irrem Ausdruck ihm gefolgt sind; die Tür hinter sich schließend).

Url: (nach einer kurzen Pause; da keiner von den beiden andern sich regt) Das war . . . meine Schuld! . . . (zu Beatrice rüber) Ich hätte nicht ohne Sie . . .

Hollrieder: (auch jetzt noch wie vorhin; ohne sich umzudrehn) Du hast das Beste gewollt!

Url: (tiefst schmerzlich) Grade das . . . was ich mit aller Kraft . .. hatte verhindern wollen, habe ich jetzt . . . durch mein unglückliches Handeln . . . heraufbeschworen! . . . (wieder zu Beatrice rüber) Sie werden mir das nie . . . verzeihen können!

Beatrice: (nach einer kleinen Pause; mit einem Blick über den Raum hin; letzte innere Müdigkeit) Ich werde jetzt auch gehn.

Hollrieder: (erst jetzt wieder ihr halb zugewandt) . . . Du? . . .

Beatrice: (vor sich wie auf etwas Unabwendbares in die Ferne sehend) Ja.

Hollrieder: (stumm; ihr jetzt ganz zugewandt).

Beatrice: (drei ganz langsame, schlaffe Schritte auf die Tür zu).

Hollrieder: (ihr nachblickend; stockend) Du willst dich mir nicht mehr . . . vertrauen? . . .

Beatrice: (stehngeblieben; sich nach ihm umblickend; dann traurig den Kopf schüttelnd).

Hollrieder: Und das . . . »Leben« . . . auf das wir für uns gehofft hatten?

Beatrice: (wie abwesend; als hätte sie seine Worte gar nicht gehört) Der Traum . . . ist jetzt aus.

Hollrieder: (nach einem letzten, kurzen Kampf mit sich selbst) Du bist mir . . . die selbe geblieben . . . die du mir warst!

Beatrice: Wenn ich dir das . . . auch nur einen Augenblick glauben wollte . . . Du versündigst dich ja . . . damit an dir selbst!

Hollrieder: (mit steigender Eindringlichkeit) Du sollst es mir glauben! Du . . . darfst es mir glauben! . . . Ich will, daß du s mir glaubst!

Beatrice: Es gibt Dinge . . . gegen die wir mit all unserm Willen . . . machtlos sind.

Hollrieder: (sie groß ansehend; aufgerichtet) Du . . . beleidigst mich!

Beatrice: (leise) Hab Erbarmen!

Hollrieder: (der sie noch einen Augenblick angesehen hat, wie mit einem plötzlichen Entschluß auf die Tür zu und Hut und Mantel abhakend, den er sich über den linken Arm wirft; zu Url rüber; in seiner Stimme wieder die alte Energie) Du wirst aus England die Nachricht von unsrer Trauung erhalten! (schnell an den Tisch zurückgegangen, auf den er aus der Tasche seinen Schlüsselbund legt und von ihm, wie mechanisch, ein gefülltes Zigarrenetui einsteckt) Du schickst uns alles nach. Wir reisen jetzt nicht erst morgen, wir reisen sofort.

Beatrice: (die ihm zuerst nachgestarrt, als verstünde sie ihn gar nicht, wie angstvoll vor ihm zurückweichend) Nein! . . .

Hollrieder: (am Tisch, auf seine Art »reisefertig«, zu Url) Sag ihr Adieu.

Beatrice: (die Augen nur auf Hollrieder; sich bis ins letzte steigernd) . . . Nein! . . . Nein! . . . Ich . . . Du darfst nicht! Du . . .

Hollrieder: Du sollst dich noch nicht entscheiden.

Beatrice: Uns trennt eine Kluft, die . . . Du würdest mich . . . über kurz oder lang . . . ja doch nur . . . Ich . . . (wie vor ihm fliehend, halb rückwärts auf die Tür zu) Bleib! . . . Bleib!! . . . Ich . . . (die Tür aufreißend; schluchzend) kann nicht mehr! . . . (ab).

Hollrieder: (der solange, ihr nachblickend, am Tisch stehngeblieben war; die Linke schon auf dem Drücker; nach Url, ihm die Hand hinhaltend) Ich halte mein Wort!. . . Leb wohl!

Url: (der seine Hand ergriffen hat) Leb wohl!

Hollrieder: (ab).

Url: (einen Augenblick auf die geschlossene Tür starrend und lauschend, wie draußen Hollrieders schnelle Schritte verhallten; dann, die Linke vor der wie schmerzenden Stirn, mit geschlossenen Augen langsam, fast automatisch, bis in die Mitte des Vordergrunds; einen Augenblick so stehend, dann nochmals, die Augen immer noch geschlossen, die Hand noch vor der Stirn, wie sich selbst einen gefaßten Entschluß bestätigend, nickend. Flüsternd, kaum hörbar) Jetzt. (steht noch einen Moment da, läßt die Hand schlaff sinken und schleppt sich mit stockenden Schritten bis vor das Schränkchen über der Chaiselongue rechts, wo er wieder stehnbleibt; die Augen wie hypnotisiert auf das Schränkchen, den rechten Arm schon halb erhoben, dreht sich sein Blick nach den Rosen, und sein Arm sinkt ihm wieder. Plötzlich, kopfschüttelnd, energisch) Nein. (nochmals, aufatmend, mit letzter Entschiedenheit) Nein! . . . Nein!! . . .

Musmann: (nach dem ersten »Nein« Urls durch die Tür links, die er lautlos geöffnet hat; auf Spitzzehen bis gegen die Mitte der Bühne; das Gesicht hämisch auf Url gerichtet; leise loskichernd) . . .

Url: (der, zusammengefahren, die Hände geballt, mit gerunzelter Stirn sich nach ihm umgedreht hat; entsetzt) Wo waren Sie?

Musmann: (verschmitzt »diabolisch« auf das Schränkchen deutend; entsprechende Geste) Man knipst, und denn springt das so auf! (Bewegung, als ob er einen Schnaps hinterkippe) Hupp . . . und . . . (markierend, als ob ein Vergifteter taumelnd hinschlüge; vorm letzten Moment sich wieder hochruckend) Nee! . . . Nu grade! . . . Jetzt . : . haben wir se! . . . (vor Haß funkelnd und auch die Rosen dabei nicht überblickend) Alle!!

Url: (von seinem Schrecken sich jetzt erst ermannend, auf ihn zu) Was Sie auch gehört haben! Sie werden zu niemand . . .

Musmann: (ihn auf einmal wie seinen Kumpan und Vertrauten behandelnd) Jetzt sind . . . (ihm auf die Schulter klopfend) wir an de Reihe! Wenn ich jetzt . . . pfeife . . . (plötzlich im Ton umschlagend; knirschend vor sich hin) Dieses . . . W . . . Weib!!

Url: Kommen Sie zu sich!

Musmann: (bereits dicht vor einem Anfall) W . . . Wasser! . . . Wasser! . . .

Url: (schnell nach dem Tisch, wo er aus einer Karaffe mit zitternden Händen ein Glas füllt).

Musmann: (in schäumendem Grauen vor sich selbst; plötzlich mit der geballten Linken sich zuerst die Brust schlagend, dann von oben die linke Schädelhälfte, zuletzt mit beiden Fäusten sich den Sitz und Urquell aller seiner Qualen bearbeitend; die Worte alle einzeln, mit gleicher Wucht, in gleichem Tempo, wie Hammerschläge) Ich . . . bin . . . ein . . . Schuft!! . . . Ich . . . bin . . . ein . . . Schuft!! . . . (während der Vorhang sich bereits schließt) Ich . . . bin . . . ein . . .

(Vorhang)


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