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Url: (vor dem Kalender, der das Datum »30. April« trägt, und das er scheinbar interessiert anblickt; zögernd) Du weißt ja gar nicht . . . was sich die . . . junge Dame damals . . . vielleicht hatte zuschulden kommen lassen.
Hollrieder: (nachdem er zuerst unwillkürlich kurz gestutzt) Du lieber Gott! . . . Lipsius! . . . Man mag ihm alles nachsagen! Aber Moralfatzke . . . ? Sie hätte pekziert und . . . angestellt haben können, was sie wollte! Wiederholt sogar und nach allen Dimensionen! (da Url, wieder etwas im mittleren Vordergrund, eigentlich im Moment gegen sein eigenes Interesse unwillkürlich eine, das etwas wie in Zweifel ziehende, leichte Bewegung macht; dadurch noch gereizter) Mit Pauken, Zinken, Zithern, Zimbeln und Trompeten! . . . Bis ins Aschgraue! . . . (abwehrend-kopfschüttelnd) Aber Moralfatzke? . . . (zu Url direkt) Lipsius? . . . Lipsius?? . . (energisch) Lächerbar! Unter keinen Umständen! Nein!! Also deshalb? . . . ?! . . . (Geste) Nur man muß diesmal zugeben! Mehr als rätselhaft . . . »Beatrice!« . . . »Beatrice Cenci!« Man nennt sich nicht so!Beatrice Cenci, röm. Edelfräulein, geb. 1577, hingerichtet 1599 wegen des Mordes an ihrem Vater. (Hagel)
Url: (im Vordergrund links sich nach rechts wendend; fast erschrocken; sich schnell fassend; Achselzucken) Echt weiblich exzentrische, unbedacht leichtfertig unkontrollierbare . . .
Hollrieder: (wie mit der Tartsche drein) Abstrus geschmacklose Laune und Kaprice!
Url: (der sofort stehngeblieben war) Die leider bei ihrer ganzen, herausfordernd extravaganten, aufreizend rücksichtslosen Art . . .
Hollrieder: (seinen Versuch, diesen verräterischen » nom de guerre« psychologisch harmlos zu erklären, nicht anerkennend) Die aber in diesem Falle denn doch . . .
Url: (sich wieder in Gang setzend; sein Vorbeugungs- und Vertuschungssystem nach Kräften fortsetzend) Nun ja, ja, aber . . .
Hollrieder: (jetzt einen Moment nicht mehr an seinem Bild arbeitend; ihm voll zugekehrt) Ich bitte dich! . . . Stell dir doch nur mal vor! Ausgerechnet, extra und expreß nach dieser mehr als zweifelhaften . . . canaillös, pervers, blutschänderisch verbrecherischen . . . Vatermörderin aus dem Cinquecento!
Url: (der, ohne ihn anzublicken, wieder stehngeblieben war; erneutes Achselzucken; Hollrieders ihm vielleicht denn doch etwas zu undifferenziert-naiv geratene Geschichtsauffassung in einen immerhin möglichen Zweifel ziehend) Man kann (weiter nach rechts) historisch-kritisch über diese Donna . . .
Hollrieder: (ihm alles weitere abschneidend; wieder an seinem Bild) Trotz ihrer späteren Verehrer, deiner Lieblinge, Shelley, Stendhal und Konsorten! Man tituliert, etikettiert und nennt sich nicht so! Wie man sich ja auch nicht Torquemada, Rinaldo Rinaldini oder Schinderhannes nennt!
Url: (wieder nach links rüber) Gewiß nicht!
Hollrieder: Na ja also!
Url: »Also!« . . . »Also!«
Hollrieder: Es muß doch was . . . dahinterstecken!
Url: Frag sie.
Hollrieder: »Frag sie!« . . . Ich an deiner Stelle . . .
Url: (ganz links stehngeblieben und nach ihm rüber) Erstens nennt sie sich nicht so . . . (Hollrieder von seiner Arbeit wie elektrisiert nach ihm hingedreht) wenigstens nicht . . . direkt öffentlich . . .
Hollrieder: (scharf nach ihm blickend) Und neulich . . . nach jener völlig überflüssigen . . . abrupt von ihr vom Zaun gebrochenen . . . blödsinnig lächerlichen Phryne-Arrangements-Affäre . . .
Url: (aufs peinlichste durch diese Rückerinnerung berührt) Die mir selbst, wie du weißt, höchst . . .
Hollrieder: (offensiv in seinem Satz weiter, und fast jedes Wort schärfst betont, ihn beendend) Gleich sofort den nächsten Tag drauf ihre, wie mit dem Besenstiel, provokatorisch auffälligst auf offner Karte hingehaune und, wie ich das erfreut quittierende Gefühl hatte, für mich bestimmte, unmißverständlich deutliche Unterschrift an dich?
Url: (durch die innere, eigne, scharfe Ablehnung, die er damals gegen diesen »Coup« vor ihr empfunden, und die in ganzer Stärke jetzt wieder in ihm auftaucht, seltsam geistesgegenwärtig kühl) Du solltest dir über sie nicht so den Kopf zerbrechen.
Hollrieder: (wieder bei seiner Arbeit) Mein Gott, ich . . .
Url: Es ist zwecklos!
Hollrieder: Du mißverstehst mich.
Url: (die Daumen in den Hosentaschen, auf seine rechte, etwas vorgeschobene Fußspitze sehend) Um so besser!
Hollrieder: Es ist absolut nicht meine Absicht . . .
Url: (versuchend, ihn noch weiter abzulenken) Wenn sie schließlich mir zu Gefallen . . . Aus der bloßen Tatsache, daß sie dir Modell gestanden hat . . .
Hollrieder: Meinst du?
Url: Sie war stets mehr als kühl zu dir.
Hollrieder: M!
Url: Während sie zu gleicher Zeit gegen mich von einer gesellschaftlichen Liebenswürdigkeit war . . .
Hollrieder: (der ihn nicht mehr anblickt) Brechen wir davon ab! (wieder heller).
Url: (vollständig nach rechts rüber) Ich habe nicht davon angefangen. (nach einer diesmal etwas längeren Pause; froh, die Angelegenheit damit erledigt zu haben; auf der Ecke der Chaiselongue schräg nach vorn, wie im ersten Akt; Unterarme auf den Knieen, die Hände lässig gefaltet; veränderter Tonfall) Du erzähltest mir mal früher . . . gelegentlich von einer Idee. » Gloria victis!« Oder »Nach der Revolte!« Ein verschneiter Kirchhof von Militär besetzt, die Särge schon im offnen Massengrab, die Menge mit entblößten Häuptern, die Führer . . .
Hollrieder: Na ja, und?
Url: Damit du informiert bis. Das Bild ist inzwischen gemalt worden.
Hollrieder: (ohne von seiner Arbeit dabei aufzusehn) Ehren-Musmännchen?
Url: (vor sich in die Luft blickend; besonders betont) In einer Verballhornung, die du morgen sehen wirst.
Hollrieder: (gleichgültig) Eins von meinen Dutzenden. Sei froh, daß ich nicht drauf reinfiel!
Url: (mit scheinbar gelassener Verwunderung, durch das Bild nach ihm hin) Du scheinst nicht im mindesten überrascht zu sein.
Hollrieder: (von seiner Arbeit etwas zurücktretend; die Stelle, an der er eben gemalt hatte, musternd) Da ich meine Leute kenne . . . offen gestanden nee! . . . Taugts wenigstens was?
Url: (aufgestanden, fast an Hollrieder vorbei; indignierter Tonfall) Ich habs nicht zu Gesicht bekommen. Aber ich muß sagen, als ich davon hörte . . .
Hollrieder: (nach seiner Uhr sehend).
Url: (im Vorbeigehn) Du hast noch Zeit. (stehngeblieben und nach ihm zurückgedreht) Sie kommt heute erst später. Ich mit solchem zusammengeluchsten Zeug . . .
Hollrieder: (wieder vor seinem Bild) Mir genügt, daß er uns die ganze Zeit ungeschoren ließ. (Stoß von außen gegen die Tür rechts) Willst du mal sehn? (von neuem dunkler).
Musmann: (Kopf durch den Türspalt. Augen sofort nach dem Bild rüber) Das ist auch doch . . . angenehm?
Hollrieder: (zu Url, der ganz erstaunt dasteht) Wenn man ihn bloß an die Wand malt!
Url: (unwillkürlich mit dem Fuß auftrampfend) Es ist doch . . .
Musmann: (der sich ins Atelier geschoben hat; kurzer, offner, heller Sommerpaletot, darunter braunes Samtjackett, lichtfreudige Hose, roter Künstlerschlips, herausfordernd hoffnungsgrünlicher Plüschhut. Alle Stücke seltsam neu; angesäuselt; mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt; mit dem rechten Daumen nach der Richtung des Fensters hinstochernd; triumphierend zu Url; während seine Augen immer wieder nach dem Bilde schielen) Da unten . . . steht einer!
Url: (nach einem schnellen Blick auf Hollrieder; Musmann entsetzt anstarrend) Da unten? . . . Wer?!
Musmann: (schiefer, triumphierender Blick von Url quer durch das Bild zu Hollrieder rüber) Der . . . Retter!
Hollrieder: (der sich nicht vom Fleck gerührt hat; an seinem Bild ruhig weiterarbeitend) Hhm-m! (Ton auf der zweiten Silbe. Zu Url, während dieser eilig hinter ihm vorbeigeht; sich leicht umdrehend, als ob er nicht recht begriffe) Was hast du?
Url: Einen Augenblick. (hat den mittleren Fenstervorhang zurückgezogen, die Tür zum Balkon aufgerissen und lehnt sich nun, nach allen Seiten spähend, über das Geländer. Man hört eine kurze Zeitlang, lauter als im ersten Akt, das ferne Gebrande der Großstadt).
Hollrieder: (wieder vor seinem Bild; pfeift leise vor sich hin: »Komm herab, o Madonna Theresa!«).
Musmann: (etwas näher getreten; mit dem Versuch, um die Ecke zu glupen) Das is ja . . . so groß?
Hollrieder: (nachdem er zuerst geschwiegen hat, als ob er ihm gar nicht antworten wolle) Jawoll! (mit Absicht maßlos übertreibend) Zwanzig Meter breit, fuffzig hoch!
Musmann: (der sich unterdessen eine erloschene Virginia aus der untern Außentasche seines Überrocks gefischt hat und nun den noch feuchten Rattenschwanz umständlich anbrennt) Hat nu also . . . doch noch was . . . fertig jekricht.
Hollrieder: No, sosolala! So mit Müh und Not, weißte.
Musmann: Da isse . . . wohl drauf?
Hollrieder: Vielleicht.
Musmann: Der Herr Geheimrat . . . gestatten wohl noch nich . ..
Hollrieder: Daß es der Herr Oberkonsistorialrat bereits . . . (Musmann: automatisch wie eine Gelenkfigur auf das Bild zu; Hollrieder: Handbewegung, die ihn sofort wieder bis gegen die Tür klebt) Junge?! . . .
Musmann: Zweimal . . . Aufschub . . . und so ne (nach der Lampe hin) Tranfunzel . . . noch oben drein! . . . Haste dich . . . schon blamiert!
Hollrieder: Sixte?
Musmann: (beide Hände mit ausgespreizten Fingern rechts und links krampfhaft gegen das Türgerüst; Kopf vorgestreckt) Ich hab . . . keine Angst mehr vor dir!
Hollrieder: Neenee. (zu Url, der die Tür wieder hinter sich schließt) Na?
Url: Du hast recht. (an Hollrieder vorbei mit einem halben Blick nach Musmann) Gewisse Dinge stecken wirklich an.
Hollrieder: Ich sagts ja.
Musmann: (der sofort, nachdem Url die Tür hinter sich geschlossen, wieder neugierig ein paar kleine Schritte vorgetappt ist) Ihr habt jetzt n . . . schönen Bammel!
Hollrieder: Vor deinem »Retter«! . . . Mordsmäßig.
Musmann: (der sich nicht weiter vortraut; Kopfbewegung nach dem Fenster hin) Das is n . . . Bruder! . . . (zu Url) Der läßt sich von keinem . . . in de Suppe spucken! (tolpatschig mit dem Finger wie mit einem imaginären Revolver hantierend) Wenn der erst . . . anlegt . . .
Hollrieder: (erst zu Url rüber) Aha so! . . . (dann zu Musmann) Quatschkopp.
Musmann: (nach Hollrieder hin, höhnisch) Der knallt nich vorbei!
Url: (der Hollrieders Blick nicht erwidert hat; bereits nach der Tür rechts) Du entschuldigst. Sollte ich nicht doch mal . . .
Hollrieder: (ihn damit an seine Stelle bannend) Menschenskind! Merkste denn nich? Lipsius! . . . Wie kannst du nur einen Augenblick . . .
Url: (dich notgedrungen zwingend und Musmann wieder den Rücken drehend; mit dem Bestreben, sich selbst zu beruhigen und vor allem auch, namentlich in Hollrieder, keinen Verdacht aufkommen zu lassen) Aber selbstverständlich, ja! Natürlich nicht.
Musmann: (einige Schritte vor, nachdem er den ihm wieder ausgegangenen Stummel, von den beiden andern unbemerkt, seitlich hinter sich nach dem Gasofen geworfen) Ich hab alles rausgekricht! Du hast mich . . . beschwindelt! Wie du den Alten . . . auch beschwindelt hast!
Url: (fest auf ihn zu) Unerhört!
Hollrieder: (achselzuckend; leichter, gleichgültiger Schnalzlaut).
Musmann: Du hast sie . . . in deiner Gewalt! Die ganzen . . . Jahre schon! Wie du mich . . . auch mal . . . in deiner Gewalt hattest! Deinetwegen . . . müssen selbst alle . . . abblitzen! . . . Das macht dir . . . Spaß! Einer . . . hat sich schon aufgehängt! Und ich . . . soll mich jetzt . . . auch aufhängen! Ich . . . häng mich nicht auf! Eh'r . . . (Hände krampfhaft, als ob er wen würgen wollte).
Hollrieder: (der jetzt wieder etwas zurücktritt, und nochmal sein Bild besieht; zu Url, der ganz starr steht) Möchtest du dem Herrn nicht n Stuhl anbieten? Er scheint einen nötig zu haben.
Url: Es ist wirklich . . .
Musmann: Sie . . . haßt dich! Wie ich dich . . . auch hasse! Du . . . brutaler Hund, du . . . Unterdrücker du!
Url: (zu Hollrieder) Und das . . . läßt du dir gefallen? (zu Musmann) Wenn Sie auf Ihrer Verrücktheit hier Konzerte geben wollen . . .
Hollrieder: (zu Url; verächtlich) Ich bitt dich!
Musmann: Ich werd sie schon noch . . . befreien! Wie ich mich . . . auch befreit habe!
Hollrieder: (um die Ecke des Bildes ihn mustern) So siehste aus.
Musmann: So lang ich noch meine Bilder malen kann . . .
Url: (entrüstet) »Malen«? . . . Mopsen!
Musmann: (grinsend; zu Hollrieder; mit dem Daumen nach Url hin) Der is . . . jut! . . . (wieder zu Url) Er meint . . .
Hollrieder: (leicht abwehrende, lässige Bewegung zu Url).
Musmann: (ebenfalls zu diesem; mit dem mißglückten Versuch, sich etwas wie Haltung zu geben) Und die . . . Rosen . . . die s bei mir regnet? . . . Aus den Wolken? . . . Rote? Blaue? Grüne? Gelbe? Und zu denen sie alle . . . die janze Jesellschaft . . . (unwillkürlich selbst eine solche Stellung markierend) wie verzückt . . .
Url: (zu Hollrieder; trocken) Da hast du s.
Hollrieder: (der beim Wort »Rosen« aufgehorcht und Musmann mit wachsendem Erstaunen zugehört hat; hat sein Malzeug beiseitegelegt, ist langsam auf ihn zugetreten und steht nun, die Hände in den Taschen des Malmantels, breitbeinig vor ihm) »Rosen«?
Url: Wie ich dir vorhin . . .
Hollrieder: (der auf ihn gar nicht gehört hat) Aus den »Wolken«? (entsprechende Geste mit der Rechten als ob Verschiedenes aus der Luft fällt) »Rosen«?
Musmann: (der unwillkürlich vor ihm etwas zurückgetreten; ihn verglast anstierend) Nu ja! . . . Man kann doch nicht immer bloß . . . wie auf meinen »Kameraden« . . .
Hollrieder: (der kaum seinen Ohren traut) »Deinen«?
Musmann: (ganz verdattert-dämlich; wie entschuldigend erläuternde Geste nach seinem Atelier rechts hin) Na warum hast du selbst mir denn sonst . . .
Hollrieder: (unwillkürlich, Zischlaut) Tche! . . . (zu Url; grimmig verächtliche Kopfbewegung nach Musmann hin; ebenfalls ganz kurz) Hä! . . . (unterdrückt zornig-bitter) Wie . . . recht du in allem hast!
Url: (verbissen-vieldeutig) Leider, leider!
Hollrieder: (zu Musmann; gesteigert heftig) Weiter! . . . Weiter! . . . Also Rosen? . . . Rosen??
Musmann: (nach Hollrieders alten Bildern hin) Du hast mir doch . . . ixmal selbst . . . (sich einen Ruck gebend) Bloß dadurch . . . hab ich das Ding doch . . . überhaupt erst . . . (sich mit vorgearbeitetem Brustkasten auf Hollrieder fast zuwälzend, sofort aber wieder zurücktaumelnd) auf mein Niveau gehoben!
Hollrieder: (der ihn an der Schulter gepackt hat) Mensch!! Wenn du nicht sternhagelvoll betrunken wärst . . . (hat die Tür geöffnet) Also nu aber . . . (Geste. Abgebrochener, pfiffähnlicher Laut).
Url: (der ihnen beiden nachgeblickt, aufatmend) Endlich!
Musmann: (noch nicht ganz in der Tür; in seinen Taschen wühlend; mit einem schiefen Seitenblick zu Url rüber) Du hast mir mal . . . ne Zigarre gegeben.
Hollrieder: Danke. Du darfste selbst behalten!
Musmann: Haste nich . . . noch eine?
Hollrieder: Nee! Aber wenn du nu nicht bald . . .
Musmann: (noch einmal beide mit einem giftigen Blick streifend; heimtückisch) Ihr werdt schon noch . . . sehn!
Hollrieder: (auf einmal jäh, einen Augenblick lang sich fast selbst vergessend) Raus! . . .
Url: (zu Hollrieder, der hinter Musmann, »als welcher« auf seinen einen Laut fast zusammengesackt war und fluchtartig das Lokal geräumt hatte, die Tür geschlossen hat; leis ironisch) Du verblüffst mich mit einer plötzlichen Energie gegen den Mann . . .
Hollrieder: (wieder ergrimmt vor seinem Bild) Mit dem wär ich jetzt fertig!
Url: (auf dem Weg nach links) Wenns dir nicht wieder leid tut!
Hollrieder: (seine Replik gar nicht beachtend) Daß er mich bestohlen hat . . . schnuppe! Is nich das erstemal! Aber das, was ich ihm eingebleut habe, so zu verraten und wieder mit dem üblichen Kompromiß zu kommen, mit einer so ausspintisirten Verlogenheit . . .
Url: (der sich vom Tisch eine neue Zigarre angezündet hat, das Streichholz in den Aschbecher werfend) Ja . . . lieber Sohn . . .
Hollrieder: Man schließt keine Kompromisse! Man setzt sich durch, oder man krepiert! Wenigstens wenn man Künstler ist!
Url: (noch am Tisch; verächtlich nach der Tür rechts rüber) Der?
Hollrieder: (hartnäckig) Ja: »Der!« . . . Und wenn du jetzt auch noch so über ihn herziehst . . . Wär an dem . . . Lumpen nichts dran gewesen . . .
Url: Aber der Mann . . .
Hollrieder: Unsinn! So total übergeschnappt is er nich! Von seiner fixen Idee abgesehn, weiß der noch ganz genau, wie der Hase läuft! Ich kenn ihn wie meine linke Westentasche! Laß ihn nüchtern und mit Dritten zusammen sein, und von seinem Pips merkt ihm keiner auch nur das Geringste an!
Url: Um so mehr versprichst du mir jetzt: Sobald ich weg bin . . .
Hollrieder: Du hast gehört! Er ist für mich erledigt!
Url: (sich wieder in Bewegung nach rechts setzend) Hoffentlich! (Pause).
Hollrieder: Was hattest du vorhin?
Url: (ausweichend) Ach . . . natürlich nichts Bestimmtes. (da Hollrieder jetzt von seiner Arbeit wieder leicht nach ihm hin aufsieht; durch sein Bild vor ihm verdeckt) Nur bei dem . . . Schubjack muß man ja auf alles gefaßt sein!
Hollrieder: (wieder bei seiner Arbeit) »Schubjack«?
Url: (der sich wieder nach ihm umdreht) Nun verteidigst du ihn ja schon wieder! Ich denke, er ist für dich erledigt?
Hollrieder: (ärgerlich über sich und Url zugleich; noch eifriger weitermalend) »Erledigt«! Daß der arme Kerl im letzten Grunde tief zu bedauern is . . .
Url: (wieder, etwas vorn, an ihn vorbei nach links rüber) »Bedauern« oder nicht! Entsinne dich, mit welchem Raffinement der »arme Kerl« dich mir anfänglich als seinen geistigen Schmarotzer hingestellt hat!
Hollrieder: (sarkastisch bitter) Du lieber Gott!
Url: (nach ihm hin) Der Mensch ist dein Unheil!
Hollrieder: (immer bei seiner Arbeit; tiefernst) Und ich . . . war seins! . . . Hätte ich ihn nicht aus seiner natürlichen Bahn gerissen . . . hätte ich ihm nicht für sein Wollen meins gesetzt . . . hätte ich ihm nicht diese . . . überschraubten Ziele gesteckt, für die sein Hirn nicht langte . . .
Url: (ganz links stehngeblieben, nach ihm hin) Dann wäre aus ihm überhaupt nichts geworden.
Hollrieder: Möglich. Sogar . . . ich gebs dir zu, höchst wahrscheinlich! . . . In keinem Fall hätte er dann so seine Balance verloren. Was früher, wenigstens in seinen ersten Anfängen, wärmste, herzlichste Zuneigung zu mir war, ein Gefühl des sicheren Sichgeborgenwähnens . . . und . . .
Url: (gequält-ungeduldig) Jedenfalls diese entsetzliche, widerwärtige Form, in der sich das jetzt alles äußert . . .
Hollrieder: (seine »Oration pro Roscio»« fortsetzend) Aufrichtigste Anerkennung und Dankbarkeit . . . (abbrechend-summierend) Es ist eben alles bei ihm in sein diametrales Gegenteil umgeschlagen!
Url: (wieder nach rechts) Um so schlimmer! Daß du erst von ihm geheilt sein wirst, nachdem er dir wahrscheinlich Kopf und Kragen gekostet hat, ist für mich nachgrade . . . (Geste) Also reden wir nicht mehr darüber. Auch darüber nicht!
Hollrieder: Einverstanden. (Pause).
Url: (ganz rechts stehngeblieben, Hollrieder durch das Bild ihm verdeckt) Seit wann hat Lipsius nicht mehr geschrieben?
Hollrieder: Aus Rom überhaupt nicht mehr.
Url: Er kann doch vor vierzehn Tagen unmöglich hier sein?
Hollrieder: Nach seinen Dispositionen . . . kaum! . . . Wie kommst du darauf?
Url: (leicht zögernd) Ich . . . meinte nur.
Hollrieder: (um das Bild blickend; etwas verwundert) Du meinst doch nicht etwa wirklich . . .
Url: (schnell; sich dabei wieder in Bewegung nach links setzend) Ich meine, ich bin überzeugt, er wird sich sehr über dein Bild freuen! (es lichtet sich wieder auf)
Hollrieder: Ja so . . . Natürlich. (wieder an seinem Bild arbeitend; nach einer erneuten Pause) Soll ich dir sagen? . . . Wie mir zumut is? . . . (nach Url, der am Tisch wieder die Zigarette abstreift) Was fortwährend in mir schon die ganze letzte Zeit wühlt? . . . (Url: zu seiner Rechten hinter ihn getreten, ihn fragend ansehend. Hollrieder: mit den Augen wieder auf seinem Bild) Ich werde in meinem Leben nicht mehr über dies Bild hinauskommen! Es spricht von mir so alles aus . . . daß ich die Furcht habe . . .
Url: (mit einem leisen Klang fast wie von Neid in der Stimme) Es kann eine tiefere Empfindung eines Künstlers seinem Werk gegenüber nicht geben.
Hollrieder: (nach einer kurzen Pause; scheinbar fast widerwillig; aber dabei doch voll letzter, innerer Wärme; ganz blauer Himmel, hellste Lichtstimmung des Aktes) Ich habe dir noch nie . . . gedankt! (auf eine leicht abwehrende Geste Urls) Nicht der nebensächlichen paar Groschen wegen, die ich dir ja jetzt hoffentlich bald werde wiedergeben können, sondern . . . überhaupt! . . . Erst durch dich . . . und deine ganz andre Welt . . . ist mir das Wichtigste aufgegangen! Die Bewertung der Dinge! Nicht was ich malte, wie ich es malte, war mir früher die Hauptsache! Heute weiß ichs! Beides! Der ist kein Erster, bei dem diese Wage nicht gleich steht!
Url: (der dem Arbeitenden so lange still zugeblickt; ihm die Linke während seiner Replik leicht auf die rechte Schulter legend; durch seinen Ton seine letzte innere Sorge um ihn verratend) Und doch . . . bist du jetzt von dieser nervösen . . . ich möchte fast sagen . . . Unsicherheit?
Hollrieder: Nicht bloß meinem Bild gegenüber, sondern jedem! . . . Meinem ganzen Metier gegenüber! . . . Ich bibbre davor schon heute, wenn ich daran denke, daß ich das Ding morgen . . . unter all dem andern Kram . . .
Url: (mit beiden Unterarmen, die Fäuste geballt, eine energisch zuredend eindringliche Geste machend) Geh nicht hin!
Hollrieder: (ihn dabei anblickend) Feigheit? . . . (wieder nach seinem Bild) Nein.
Url: (Kopfbewegung) Ich nenn es nicht Feigheit, wenn du nach einer Überanstrengung wie deiner . . .
Hollrieder: (fest) Ich hab ihr mein Wort gegeben! (wieder nach seiner Uhr sehend) Sie muß jetzt kommen! (wieder in sein Bild verbissen) Nur noch dieser eine Ausdruck! Dann: meinetwegen!
Url: (der jetzt ebenfalls nach seiner Uhr sieht; fast erschreckt; erst jetzt wieder an Musmanns »Retter« denkend) Sollte sie . . . (von Hollrieder nicht bemerkt, unwillkürlicher Blick nach dem Balkon hin) eine plötzliche Abhaltung gehabt haben? (jähe Verdunklung)
Hollrieder: (der von seiner Arbeit aufgeblickt hat; aus einem jäh in ihm aufschießenden Verdacht) Du hast ihr doch nicht etwa . . . (dieses letzte Wort drängt sich bereits fast wider Willen über seine Lippen) abgeraten? (beide sehn sich einen Augenblick lang an. Hollrieder wieder an seiner Arbeit) Verzeih.
Url: (der sich von ihm abgewandt hat; nach einigen Schritten auf das Regal zu; sich wieder nach ihm umdrehend; leise; schmerzlich) Also so weit ist es schon mit uns gekommen!
Hollrieder: (ohne ihn anzusehn) Ich habe dich . . . bereits um Entschuldigung gebeten.
Url: (eindringlich; gedämpft; auch noch eine Weile im folgenden; wie vorhin) Laß mich es dir wiederholen! Du irrst dich! Wenn sie dir auch dies Opfer gebracht hat . . .
Hollrieder: (gereizt; ihn dabei ansehend) Also mit andern Worten, du glaubst . . . du hoffst . . .
Url: Ich »glaube« und »hoffe« für mich gar nichts! Ich habe dir das schon einmal erklärt. Ich denke nicht mehr daran! Ich möchte nur nicht . . .
Hollrieder: (durch die Zähne) Aber in Yokohama möchtest du bald mit ihr sein!
Url: (sich wieder von ihm wegdrehend; noch weiter nach dem Regal zu) Du wirst nichts mehr daran ändern können.
Hollrieder: (der wieder mehr und mehr die Herrschaft über sich verliert) Also denn laß uns, bitte, heute allein!
Url: (ihm wieder zugewandt; ganz vorn links; ihn groß ansehend; langsam) Ist das . . . dein Ernst?
Hollrieder: (wieder durch die Zähne; ohne ihn dabei anzusehn) So ungeheuer spaßhaft mir in diesem Augenblick zumut ist . . .
Url: (einige Schritte auf ihn zu) Ich . . . bitte dich! . . . Ich bitte dich flehentlich!
Hollrieder: (mit verstecktem Hohn) So sicher bist du dir.
Url: (noch an der selben Stelle) Ich kann nicht in ihrer Seele lesen. Sie ist und bleibt mir in ihrem letzten Wesen . . . ein Rätsel. Aber ein Mann wie du . . . (Hollrieder abwartend, Url nicht ganz klar, wie er sich in diesem Augenblick ausdrücken soll) Bei deinem extremen Standpunkt gegenüber gewissen Dingen, bei deinem unglückseligen Temperament nach jeder Richtung, du wärst imstande, du würdest dich nie . . . (Hagel).
Hollrieder: (scharf; jeder Nerv an ihm ist gespannt) Du weißt was von ihr!
Url: In ihrer Vergangenheit . . .
Hollrieder: (kurzer, heftig fragender, fast röchelnder Laut).
Url: Schuldlos . . . schuldlos oder nicht . . .
Hollrieder: Warum sprichst du nicht weiter?
Url: (unwillkürlich noch etwas näher) Es würde . . . es würde dein ganzes Leben zerreiben! . . . Deins . . . oder ihrs!
Hollrieder: (der kaum noch an sich halten kann; ihm aufrecht gegenüber) Wenn du durchaus und absolut willst . . . daß uns dies noch im letzten Augenblick auseinanderbringt . . . (beide messen sich)
Url: (zuckt die Achseln und geht langsam auf die Tür rechts zu) Du bist hier . . . der Hausherr.