Arno Holz
Sonnenfinsternis
Arno Holz

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Zweiter Akt.

(Szene wie im ersten Akt. Nur die beiden Vasen und der Kranich fehlen; dafür von der Decke eine große elektrische Lampe und schräg vor dem Fenster, fast unmittelbar aus der Ecke rechts bis etwa zur Mitte der Bühne, auf einer mächtigen Staffelei, nahezu bis auf den Boden reichend, vier zu zweieinhalb Meter, von der oberen Mitte nach hinten stark verknotet, das inzwischen vollendete Bild Hollrieders. Der Vorhang vor der Tür links ist fast ganz zur Seite geschoben. Unter dem rechten Drittel des Bildes eine Metallstange, von der an Ringen ein Leinenvorhang hängt, der nach rechts bis an die vordere Kante des Bildes zurückgeschoben ist. Vor dieser Staffelei, mit Rücksicht auf den kostbaren Teppich Urls, ein dunkles, dickes, betreffend großes Friesstück. Nach dem Fenster zu ein Maltisch, davor ein dreistufiger Tritt. Ein Schemel etwas mehr vorn. Der große Lichtvorhang links etwas vorgezogen, das ganze untere Fensterdrittel durch die entsprechenden drei kleineren Vorhänge abgedeckt. Vormittagslicht. Draußen, in jähem Wechsel, Aprilwetter. Jagende Wolken, aus Schornsteinen zerflatternder Rauch, zwischendurch immer wieder hellste, grellste, blendendste Sonne.)

Hollrieder: (in langem, elfenbeinfarbnem Malmantel mit Pinsel und Palette vor seinem Bild. Er arbeitet noch an der Ecke rechts und ist also, namentlich sobald er etwas zurücktritt, für den ganzen Zuschauerraum sichtbar. Url einige Schritte vor Hollrieder nach dem Zuschauerraum zu in einer Haltung, der man anmerkt, daß er Hollrieder grade Modell steht. Hollrieder, der eben aufblickt, zu Url; Drehung mit der rechten Hand; scharf) Bitte! . . . Etwas mehr . . . (da Url die gewünschte Stellung bereits eingenommen hat) So. (keine Sonne).

Url: (dessen Haltung und ganzes Wesen jetzt einen ungleich gefestigteren Eindruck macht als im ersten Akt, während umgekehrt Hollrieders Nervosität noch gewachsen scheint, die selbe Kleidung wie im ersten Akt, nur andre Weste, andres Plastron und dunkle Gamaschen) Als die Herren vom Vorstand der Sezession eben gingen, hat bei deinem Freund Musmann die Tür geknarrt.

Hollrieder: (ohne von seiner Arbeit aufzublicken; etwas ungeduldig) Ich habs gehört.

Url: Er wird aufgeschnappt haben, was du noch an der Treppe gesagt hast.

Hollrieder: Mag er.

Url: Wenn du doch bloß von deiner Sorglosigkeit zu kurieren wärst!

Hollrieder: (mit leisem Stirnrunzeln; da Urls Position sich etwas geändert hat; Bewegung mit der Linken; wie vorhin) Noch mehr.

Url: Und die Leute haben sich also tatsächlich damit zufrieden gegeben?

Hollrieder: Daß ichs erst morgen abliefre. Ja. Drei Stunden vor der Eröffnung.

Url: Das wird dir doch hoffentlich . . . ein Beweis sein?

Hollrieder: (der auf die letzte Frage nicht mehr geantwortet hat; jetzt zurücktretend und seine Arbeit nochmals überblickend) Auch dein Kopf . . . scheint mir jetzt wieder zu stimmen. (ihm leicht abwinkend) Danke dir. Diese verdammte Gruppe! Auf die ich den ganzen . . . Kitsch überhaupt angelegt habe!

Url: (von seiner Haltung wieder frei) Nun quäl dich doch wieder, ja?

Hollrieder: Alles auf die drei! Als ob sich das damals . . . so abgespielt hätte! (auf die Stelle deutend, an der er eben gemalt hat) Ich stand allein auf dem Fleck! . . . Aber das kommt davon, wenn man »komponiert«! Man soll nicht komponieren! Komponieren heißt fälschen!

Url: Solche »Fälschung« soll dir erst einer nachmachen.

Hollrieder: Ich möchte wirklich wissen, warum mich der Deubel ritt? Was ihr da zu suchen habt?

Url: (ihn musternd) Du bist total kaputt!

Hollrieder: Du . . . magst vielleicht noch am passabelsten geraten sein, das Weib . . .

Url: Möchtest du nicht jetzt . . . doch lieber . . .

Hollrieder: Hab ich die ganzen . . . drei Monate geschuftet . . . so werd ichs doch wohl . . . auch noch diesen einen Tag durchhalten!

Url: Dein Bild ist fertig. Du hättest dir diese erneute Nachfrist erst gar nicht geben lassen sollen.

Hollrieder: (immer verbißner) So . . . sieht sie . . . nicht aus!

Url: Erstens sieht sie so aus, und zweitens . . . verlaß dich drauf! (jetzt auch vor dem Bild ganz vorn rechts) Grade unsre Gruppe! So scheinbar nebensächlich du sie auch in die Ecke gerückt hast! Man merkt sofort: diese drei sind nicht bloß notwendige Bestandteile des Ganzen, wie die übrigen, sondern sie wachsen aus ihm heraus und genießen dieses . . . grandiose Ganze gewissermaßen schon zugleich als Kunstwerk! Erst das . . . gibt den letzten Tupf auf das Bild!

Hollrieder: Ders wieder zum Theater macht! (nach seinen alten Bildern hin) Da waren die anders!

Url: Ich denke . . . das waren bloß . . . »Ausschnitte«? Dinge, die man durch die »hohle Hand« sieht!

Hollrieder: Es kommt drauf an . . . wer durch die »hohle Hand« sieht!

Url: Du wolltest dir »eher die Finger abhacken« . . .

Hollrieder: (mit zusammengebißnen Zähnen) Es taugt . . . überhaupt nichts!

Url: (ungeduldig in den Vordergrund rechts) In einem Augenblick taugts überhaupt nichts, und im nächsten wirfts wieder die ganze moderne Malerei über den Haufen!

Hollrieder: Ich kann nichts . . . dafür, daß ich nicht mehr klar sehe.

Url: (nach links) Um so mehr solltest du endlich aufhören!

Hollrieder: Und wenn ich dabei . ..

Url: (stehnbleibend) Du fliegst ja schon! . . . Du kannst nicht mehr!

Hollrieder: (jetzt gegen ihn gewandt; feindselig; fast zitternd) Willst du mich . . . wirklich . ..

Url: (sich achselzuckend von ihm abwendend; weiter links) Du bist überreizt! Diese letzten Nachtarbeiten haben dir den Rest gegeben! . . . (ganz vorn links stehngeblieben und nach der Decke hoch) Aber daran ist diese niederträchtige Lampe schuld! Ich habe dich gleich gewarnt! Du hättest früher nie bei solchem Licht gemalt! Das muß einen ja . . . (Geste).

Hollrieder: Und wann . . . wär ich dann fertig geworden?

Url: (wieder nach rechts) Aber wie du »fertig« geworden bist, was dir das gekostet hat . . . danach fragst du nicht!

Hollrieder: (mit den Augen immer in seinem Bild) Ich weiß: es ist mehr wert . . . als was ich je gemacht habe! Aber ob es das ist, was es sein soll . . . ob es das wirklich ist . . . (sich wie unter einem körperlichen Schmerz windend) mm! . . . Gott sei Dank, daß sie heute noch mal kommt!

Url: (der ihn fortwährend im Auge behalten, schon vor seinem letzten Satz etwas in der Mitte des Vordergrundes stehngeblieben) Ja.

Hollrieder: Zum letztenmal!

Url: Sie war oft genug hier.

Hollrieder: Und ich bin dir . . . aufrichtig dankbar . . . (stockt)

Url: Da du mir kategorisch erklärt hattest, daß du dein Bild ohne sie nicht weitermalen würdest . . .

Hollrieder: Du sahst es doch . . . ein.

Url: (wieder nach rechts weiter) Nun, ich habe dir ja deinen Wunsch erfüllt, und . . . allzu schwer hat sie s mir nicht grade gemacht. (Sonne)

Hollrieder: (schnell) Es war ohne jede Frage . . . (mit einem kleinen Anlauf) außerordentlich liebenswürdig von ihr, mir ihre Privat-Studienaufnahmen, die, von dir abgesehn, noch niemand bis dahin gekannt hatte . . .

Url: (der inzwischen wieder nach links umgeschwenkt) Hundert Stück an der Zahl, und zwar, noch ehe du ihr dann deine erste Antrittsvisite gemacht hattest, völlig überraschend und unaufgefordert hierher ins Haus zu schicken.

Hollrieder: Doch nur . . . weil sie selbst nicht wieder kommen wollte!

Url: (trocken) Du hast ja dann auch das erreicht.

Hollrieder: Ich kann dir dafür . . . nur nochmal . . .

Url: (abgewandt im Vordergrund links) Ich habe deinen Dank bereits akzeptiert.

Hollrieder: (vor seinem Bild; kleine Pause; pfeift verbittert, die erste Taktphrase des Rakoczymarsches; dann wieder leichthin) Und euer Programm . . . habt ihr also inzwischen beide zu Ende geführt? (bissig) Das überwältigende Schlußtableau ist euch geglückt) (wieder dunkel)

Url: (der ihn permanent beobachtet, bereits wieder im mittleren Vordergrund) Soweit ich dies als vorläufiger Nochnichtfachmann beurteilen konnte . . .? Sie ist von einer Begabung, die selbst das Gewagteste . . .

Hollrieder: (noch gesteigert) »Kunst!« . . . Selbstprostitution! . . . Schamlos!

Url: (ihm nicht mehr sichtbar rechts; scheinbar gleichgültig; Achselzucken) Wer das so auffassen will . . . Mir persönlich lag das jedenfalls immer sehr fern.

Hollrieder: (erbittert an seinem Bild weiter) Die . . . Augen! . . . Die werd ich . . . nie rauskriegen! Die bleiben mir . . . wie tot drin! Oder obs am Mund liegt? . . . Ich hab sie immer bloß . . . wie durch ne Glaswand gesehn! . . . Gleich von jenem ersten Tage ab! . . . Und das ist nie anders geworden! . . . Wie sie in Wirklichkeit is . . . was sie in Wirklichkeit is . . . (mit einem plötzlichen Blick zu Url rüber) das weißt du auch nicht!

Url: (immer den Blick auf ihn; schon wieder weiter links) Ihre Sache.

Hollrieder: (unwirsch) » Ihre Sache!« (Geste: wie sich etwas vormachend) Man darf sich doch wohl noch . . . da muß irgend etwas . . . (aus seinem dunklen Verdacht raus, tastend-ausholend, weiterbohrend) Wer fähig ist . . . mit seinem eignen Korpus . . . mimoplastisch eine solche Reihe . . . unbezweifelbarer Kunstwerke hinzupflanzen . . . wie sie uns . . . aus jenen geradezu fabelhaften Photographien . . . (auf ein unwillkürliches Räuspern Urls, nach einem rapiden Blick auf ihn) die sie mir . . . rein sachdienlich . . . für mein Bild zur Verfügung gestellt . . . ganz unwiderlegbar ad oculos bewiesen waren . . . kann absolut unmöglich . . . bloß die kommune, trivial übliche Modellvergangenheit hinter sich haben! Sondern ein solches . . . phänomenales . . . ja in seiner Art einfach geradezu singuläres . . . »Individibum« . . . (von neuem helle Lichtstimmung).

Url: (der, ganz vorn links, beobachtend stehngeblieben; seufzend-achselzuckend) Cha . . .

Hollrieder: (in seinem Satz gesteigert weiter) Muß meinem fachmännischen Urteil und Dafürhalten nach . . . schon von frühst an . . .

Url: (scheinbar vollkommen ruhig-gleichmütig seinen Satz fortsetzend und beendend) Sagen wir, in einer Sphäre aufgewachsen sein . . . die eine solche eminente Entwicklung . . . ganz besonders begünstigte. Möglich. Warum nicht?

Hollrieder: (ärgerlich, mit seiner »Diplomatie« keinen Schritt weitergekommen zu sein) Freilich, freilich! Das eben meinte und behauptete ich ja!

Url: (achselzuckend; nach rechts) Bloß ich . . . ahne nicht . . .

Hollrieder: (hartnäckig weiter; dabei innerlich immer nervöser) Sie muß nach meinem . . . verlaß dich drauf . . . untrüglichen, grade in diesem Punkt . . . unfehlbaren Instinkt . . .

Url: (ihm seinen Satz wieder beendend, wie vorhin) Aus einer Künstlerfamilie stammen. Vielleicht.

Hollrieder: (mit apodiktischer Bestimmtheit) Und zwar aus einer allerersten!

Url: (rechts wieder stehngeblieben; dies für alle Fälle vorsichtshalber doch lieber in Frage stellend; achselzuckend) Das . . . (Sonne)

Hollrieder: (wie vorhin; nur noch hartnäckig verbißner und durch Urls vorsichtig-unvorsichtigen, halben Widerspruchsversuch sich steigernd bis ins letzte) Wozu für mich, abgesehen davon und außerdem, auch noch ihre direkt . . . faszinierend auffällig überlegnes, du wirst mir zugeben, ohnedem für ein solches, sonst geradezu Musterbeispiel feminis generis . . . wie soll ich mich ausquetschen . . . aber auch total . . . völlig unerklärbares . . . exorbitant außergewöhnliches, gewandt nach jeder Richtung, in allen Farben, Lichtern und Tönungen verführerisch . . . schlangenklug schillerndes . . . kurz und gut, frappierend . . . einzigartig ganzes Wesen und Wissen paßt.

Url: (der diese offenbar indirekte Liebeserklärung, fälschlich-irrtümlich an seine Adresse gerichtet, stoisch über sich hatte ergehen lassen müssen; wieder notgedrungen bestätigend; etwas zögernd; dabei nach links) Allerdings. (leis nachklappernde Ironie) Eva als Genie!

Hollrieder: (von seinem Bild nach ihm hin; »rauh wie Esau«) Warum denn bloß immer Adam? (Url: zugeknöpft) Und nur durch ein . . . weiß der Deubel was für ein Ereignis . . . mir vollkommen schwanenhaft . . . (da Url, jetzt abwartend stehngeblieben, ihm noch nicht antwortet; in seinem Unmut mit wachsender Heftigkeit) kann dieses Weib . . . (starke Verdunklung)

Url: (weiter nach links, mit dem Versuch, die Diskussion abzuschneiden) Wozu . . .

Hollrieder: (mit dem Versuch, seinen Satz zu enden) Aus seiner ihr mal ursprünglich wie angegossen passend . . . kongenialen und konformen . . . ganz und gar anders gearteten Welt . . . in diese . . . skandalös widerwärtige . . .

Url: (wieder stehngeblieben, achselzuckend; scheinbar vollkommen kalt) »Hypothese!«

Hollrieder: (grimmigst) »Hypothese!!« . . . (nach einer kleinen Pause) Hast du schon mal übrigens was . . . von ihrem merkwürdigen Renommee gehört? . . . (da Url, im vorderen Mittelgrund stehngeblieben, ihn scheinbar verständnislos anblickt) Von ihrer . . . »Spezialität«? . . . (da Url noch immer abwartet) Alles an sich herankommen lassen, ja gewisse Dinge geradezu zu provozieren und im entscheidenden Moment dann . . . Tritt?!

Url: (wieder nach rechts) Hier in Berlin . . . hat man ihr nichts nachreden können.

Hollrieder: (verbissen) Nein! Hier war sie von einer Vorsicht . . . (auf ein anderes Thema springend; immer bei seiner Arbeit) Diese sonderbaren, seltsamen Umständlichkeiten und Bedingungen, als sie mir damals zusagte! Kein Mensch dürfte sie hier sehn! (auf die Zugvorrichtung hin) Diese schauderöse Zugvorrichtung, daß ja nicht ein Unbefugter Ihr Porträt . . . Sollte es mal klingeln oder klopfen, »wer es auch sei« . . .

Url: (umschwenkend nach dem Tisch) Es hat sich ja alles erledigt.

Hollrieder: (Palette und Pinsel auf den Maltisch werfend und auf dem Schemel vor dem Bild plötzlich zusammenbrechend) Äh!! . . . Wär ich doch nie auf diese wahnsinnige Idee verfallen! (Kopf in beide Hände) Hätt ich dies ganze, furchtbare Biest doch überhaupt nicht angefangen!

Url: (sich vom Tisch eine Zigarette anzündend) Nerven. Wenn du s für zwanzigtausend Mark verkauft haben wirst, machst du vorläufig mal Schicht und . . . ich hielte dann als das entschieden Beste für dich Nordland, Lappmarken oder die Lofoten.

Hollrieder: (sich von seinem Schemel wieder aufrichtend) Wo sich die Wölfe mit den Polarfüchsen gute Nacht sagen! Danke schön! . . . Und ihr?

Url: (sich in den Sessel links setzend) Wir bleiben bis zum Achten in London, wo wir unsern Vertrag mit der Alhambra persönlich abschließen müssen, passieren am Zwanzigsten San Franzisko und schlagen dann unser Sommerquartier wahrscheinlich irgendwo am Fusijama oder in Nikko auf.

Hollrieder: (wieder vor seinem Bild) Ihr reist . . . bestimmt?

Url: Morgen mit dem Einuhrzug.

Hollrieder: Sie hat mir versprochen . . . noch in die Sezession zu kommen. Um zwölf ist die Eröffnung für die Geladnen. Um elf . . . will sie da sein. Ich habe um die Erlaubnis . . .

Url: (ungehalten-vorwurfsvoll, ihn unterbrechend) Jawohl! (Kopfbewegung) Vorhin auf der Treppe! Als bei dem Gentleman da die Tür knarrte!

Hollrieder: (ungeduldig-unwillig) Nu, wenn schon, wenn schon! Ich habe also jedenfalls um die Erlaubnis auch für dich gebeten. Falls du sie also . . . begleiten willst?

Url: Ich werde sehn. (nach dem Fenster blickend, an das eben wieder ein Hagelschauer prasselt) Ein Wetter heut!?

Hollrieder: (flüchtig von seinem Bild auf) Ja. Famos. (kleine Pause. Hollrieder eifrig weiterarbeitend, dann, von seinem Bild dabei nicht aufsehend) Wenn das Biest . . . nun doch was ist . . . ich meine . . . wenns mir auch noch morgen gefällt . . . wo s aus dem Atelier is . . . wo ich s unter den andern Bildern . . . vielleicht wieder beurteilen kann . . . ginge es da nicht . . . daß ihr ebensogut . . . erst übermorgen aufbrecht?

Url: (sieht erstaunt nach ihm rüber; unruhig) Nachdem wir nun unsre Abreise von Tag zu Tag schon seit Wochen verschieben?

Hollrieder: (seine Arbeit überblickend; nicht ganz sicher) Schließlich . . . würden doch auch wir uns dann . . . sobald nicht wiedersehn!

Url: (widerwillig) Wenn du drauf bestehst . . . Wir dürften dann nicht über Paris fahren.

Hollrieder: (überrascht) Wolltet ihr das?

Url: Sie besitzt dort bei Bougival ein kleines Landhaus, das ihre ganze Freude ist. Und da ihr dieser . . . Japan-Entschluß ja eigentlich ziemlich Hals über Kopf kam . . .

Hollrieder: (»einhakend«) Als ich ihr neulich mal wieder nicht gleich Order pariert hatte!

Url: Du meinst die kleine, peinliche Geschichte mit dem Phryne-Arrangement. (scheinbar leichthin) Sie hätte dich allerdings nicht erst auffordern . . . und bitten sollen.

Hollrieder: Hattet ihr mich solange nicht gebraucht . . .

Url: Ich glaube kaum . . . daß hier ein . . . direkter Zusammenhang besteht.

Hollrieder: (unwirsch) Wer hat das behauptet?!

Url: Es klang mir so.

Hollrieder: (nachdem er auch diese Pille verschluckt; von neuem) Also jedenfalls einrichten ließe es sich?

Url: (aufgestanden und nach dem Regal zu) Ist sie dir zuliebe die letzten vier Wochen geblieben, so wirds ihr wahrscheinlich auch auf diese vierundzwanzig Stunden wieder nicht ankommen.

Hollrieder: Mir zuliebe? . . . (unsicher) Das heißt . . . du meinst wohl eigentlich . . . mehr dem Bild zuliebe.

Url: Oder dem Bild zuliebe.

Hollrieder: (auffahrend) Ja, du lieber Gott, da ich doch nun mal mitten bei der Arbeit war . . .

Url: (vorn links stehngeblieben) Jedenfalls sie blieb. Nachdem sie bereits zweimal ihren Vertrag verlängert hatte! (wieder seinen Weg zurück) Nimm mir nicht übel, aber jede Sekunde, die wir jetzt früher aufbrächen, wäre mir nachgrade wie eine Erlösung!

Hollrieder: (mit aller Kraft sich bezwingend) Also in aller Form abgewimmelt.

Url: (bestimmt-fest) Wir haben hier nichts mehr zu suchen.

Hollrieder: (mit seinem Malzeug in Unordnung) Verflixt!

Url: (unwillkürlich stehngeblieben; schneller, sich orientierender Blick auf ihn).

Hollrieder: (verärgert weiterarbeitend; nach einer kurzen Pause) Wie stehts übrigens mit deinem . . . (durch die Zähne) Riesenzentralkunstmarkthallenprojekt? Von dem sie ja so entzückt war?

Url: (wieder nach vorn) Du scheinst es für ein bloß (entsprechende, das Aufsteigen einer Hirnblase markierende Geste vor der Stirn mit der Rechten) . . . nebulos eingebildetes Hirngespinst zu halten!

Hollrieder: (amüsiert-sarkastisch) Ecke Leipziger- und Friedrichstraße, der ganze Block bis zur Dreifaltigkeitskirche in einen einzigen, pompös monumentalen, gewaltigen Passagenbau umgeschmolzen . . .

Url: (ihn unterbrechend) Nach deinen . . :

Hollrieder: (schnell-bissig) Entwürfen! Als dein neuer . . .

Url: (vorn links; nicht minder fix; fest-bestimmt) Michelangelo! Jawohl! Gewiß!

Hollrieder: (Urls Unterstreichung gar nicht beachtend; in seinem Satz von vorhin, noch ironisch gesteigerter, weiter) Phantastisch bombastisch mit vier bizarren . . .

Url: (der sich nicht aus seiner Fassung bringen läßt) Assyrisch karthagischen Erz- und Ecktürmen, oben mit . . .

Hollrieder: (erbittert seinem Ende zu) Sagen wir hängenden Gärten etcetra, durch den du als Neo-Ratten-, Mädchen- und Menschenfänger, wenn auch nicht von Hameln . . . (einen Augenblick Sonne).

Url: (mit ruhiger Energie; bestätigend) Durch den ich . . . »verlaß dich drauf« . . . in sicherster, zuverlässigster, statistisch kühlst bestimmtester Vorausberechnung den ganzen Weltstadtverkehr zwingen will . . . zwingen will und zwingen werde . . . So ist es . . .

Hollrieder: (fast höhnisch) Wenn es dir gelingen wird . . . (abbrechend und schneller Schluß) Alle Achtung! Das muß man dir lassen: mit Kleinem gibst du dich nicht erst ab!

Url: (wie nebensächlich; dabei nach rechts schwenkend) Grade das imponierte ihr ja so.

Hollrieder: (einlenkend; widerwillig-anerkennend) Immerhin! . . . So hundsgemein miserabel und hanebüchen mußtest du erst verkrachen . . .

Url: (stehngeblieben; seinen Satz ihm von sich aus fort- und weiterführend) Um aus dem weltabgekehrtesten aller Wolkenkuckucksheimer . . .

Hollrieder: (ihn unterbrechend; halb bereits beifällig, halb noch knurrend) Du hast dich gewandelt in einer Weise . . .

Url: (schließlich und seinen letzten Trumpf ausspielend) Jetzt vielleicht doch noch etwas wie ein halbwegs brauchbarer Mensch zu werden. (weiter nach rechts) Amüsanter als umgekehrt! (es wird wieder dunkler).

Hollrieder: (durch diese Ruhe geschlagen; plötzlich heimlich-hastiger Blick auf Url, von dem er annimmt, daß dieser ihn nicht bemerkt hat; dann an seinem Bild mit besonderem Eifer) Sie hat dir damals . . . (stockt) nicht die Wahrheit gesagt! (Url: vorn etwas nach rechts stehngeblieben; ihn prüfend ansehend) Sie kennt Berlin! Sie ist aus Berlin!

Url: (sich nach links wieder in Bewegung setzend) Möglich.

Hollrieder: (ihm nachblickend) Ich schließ es aus dem Verschiedensten! (da Url schweigt) Ich muß es draus schließen.

Url: Meinst du, ich war taub und blind?

Hollrieder: Du hast mir . . . nie etwas davon gesagt!

Url: Du auch nicht.

Hollrieder: Wir haben . . . seit jenem erstenmal . . . nicht mehr über sie gesprochen.

Url: Was das vernünftigste war.

Hollrieder: Und du weißt also . . . immer noch nicht, wer das damals . . . war an jenem ersten Abend?

Url: (Vor dem Regal, gegen das er sich lehnt, die Hände hinter sich auf dem Instrument) Da ich jetzt bald mit ihr in Yokohama sein werde, ist mir das gleichgültig.

Hollrieder: Du dachtest. . . früher anders.

Url: Du nicht?

Hollrieder: Ich glaubte . .. es interessierte dich noch.

Url: (wieder nach rechts) Mich interessiert jetzt, wie gesagt, nur noch, daß wir so bald als möglich von hier fortkommen! Und zwar (mit besonderer Betonung) zum gleichen Wohl aller Beteiligten!

Hollrieder: In deinen Antworten . . . vibriert ein Ton . . .? (sich bezwingend) Schweigen wir.

Url: Das ist oft das beste (Pause)

Hollrieder: (bei seiner Arbeit) Du glaubst also in allem Ernst, daß du mit deinem . . . phantastischen . . . kapitalen . . .

Url: (vorn rechts stehngeblieben, mit etwas hoch gezogenen Augenbrauen) »Phantastischem«? . . . »Kapitalem«? . . .

Hollrieder: (noch verärgert-betonter) Jedenfalls überkandidelten Kunstkauftempel und Allerweltsbasar, in dem du dann ja wohl auch allerhöchsteigenpersönlichst meine Bilder verhökern willst . . .

Url: (nach links schwenkend; trocken) Und zwar schon bei deinen Lebzeiten zu den Preisen, die sie sonst erst später mal . . .

Hollrieder: (ihn nicht erst ausreden lassend; in seinem eignen Satz weiter und zu Ende) Daß du damit also wirklich eines schönen Tages . . . (einen kurzen Moment ungläubig-thomashaft zu ihm aufblickend) nimms mir nicht übel, de facto in Ehren niederkommen, durchs Ziel passieren . . . (bereits wieder bei seinem Bild) und deine . . . (wieder stockend).

Url: (wieder nach rechts schwenkend; wie um ihm die Fortsetzung seines Satzes zu erleichtern) Bitte . . . ?

Hollrieder: (noch intensiver an seinem Bild; erst jetzt seinen Satz schließend) Durch dieses . . . monströse achte Weltwunder . . . total überraschte, überrannte und überrumpelte Zeitgenossenschaft beglücken wirst? (eine kurze Zeit wieder heller).

Url: (wieder vorn etwas nach rechts, Hollrieder zugedreht; von seinem sarkastisch bohrenden Zweifel ganz unberührt) Ein . . . solches, in der ganzen Welt noch nicht vorhandenes, gestatte mir schon, Kolossalhaus . . . durch das täglich fast halb Berlin fluten würde, in dem es vom Billigsten bis zum Erlesensten nicht einen geschmacklosen Gegenstand gäbe, und das allabendlich, durch eine besondere Einrichtung, mit einem Ruck seine gesamten Geschäfts- und Ausstellungslokalitäten in Klub-, Vortrags- und Konzerträume wandelte, verbunden mit Restaurants, Kaffees und Theatern, so daß das Geschäftliche für das Künstlerische und das Künstlerische für das Geschäftliche einspränge . . . warum nicht?

Hollrieder: (sich noch immer nicht ergebend; mit letztem Groll) Und in diesem Rassen-, Klassen- und Massenbumms . . . in dieser ideal-realen Jahrmarktsbaracke und bachanalischen Trödelkarawanserei   dich . . .

Url: (ihn unterbrechend; bereits auf dem Weg schräg nach dem Tisch hin) Ausgesucht mich . . .

Hollrieder: (noch höhnend-stärker) Dich in deinem ewig nobel diskreten, stets leicht glockenförmig gleichen, immer . . . ästhetisch distinguiert . . . präraffaelitisch angehauchten Kostüm als maître de plaisir!

Url: (gelassen seine Zigarette dabei in den Aschenbecher werfend) Meinst du, du würdest dich dazu besser eignen? (von neuem dunkler).

Hollrieder: (abspringend; vor dem Porträt auf seinem Bild) Dies eigentümliche Haar! . . . Als ich die Partie hier anlegte, hatte ich eigentlich bloß . . . das scheußliche Rot in Erinnrung! (Url: links stehngeblieben; sich vergewissernder Blick nach ihm) Nur einmal . . . glaube ich solches Haar schon gesehn zu haben.

Url: (scheinbar gleichgültig) So?

Hollrieder: (mit einer gewissen, seltsamen, plötzlichen Erbitterung) Verrücktheit steckt an!

Url: Wie meinst du das?

Hollrieder: Musmann. (da Url noch abwartend dasteht und ihn ansieht) Ich bin diese letzten vier Wochen schon oft drauf und dran gewesen, seine fixe Idee, die in jedem Weibsbild, das auftaucht . . .

Url: (energisch auf das Regal zu) Also doch!

Hollrieder: (auffahrend) Ja, wenn du mich wieder gleich so haarsträubend . . .

Url: (wieder umkehrend; gelassen) Bitte?

Hollrieder: (noch ganz aufgebracht) Weiß der Himmel, wo das arme Mädel längst . . . selbstverständlich! (Url: von neuem nach rechts) Halt mich nicht für so hirnverbrannt! . . . Wenn sies wäre, brauchte sie dem Alten doch bloß ne Rohrpostkarte hinzupusten, nach Benevent, oder wo er sich jetzt sonst amüsiert, und das ganze Tiergartenviertel würde vor Enthusiasmus kopfstehn!


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