Arno Holz
Ignorabimus
Arno Holz

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Georg: (während Dufroy, angstvollst, von einem zum andern blickt, noch verstärkt, weiter) Daß sie diesen Tag, der ihr vor drei Jahren . . . kurz vor Mitternacht, durch die Erscheinung Mariettes . . .

Onkel Ludwig: (zu Dufroy, nun ebenfalls erläuternd, in Georgs Atempause) Die in der gleichen Zeit hier . . .

Georg: (von neuem; auch jetzt noch gesteigert) Daß sie diesen Tag . . . der ihr als ihr Sterbetag prophezeit wurde . . .

Dufroy: (schon auf dem Weg nach dem Kamin hin) Dann ist es doch aber die höchste, die allerhöchste Zeit, daß wir die Uhr . . .

Onkel Ludwig: (ihm nach; verzweifelt; so daß Dufroy unwillkürlich einen Moment zögernd wieder stehnbleibt) Als ob das . . .

Georg: (noch immer an seinem Platz; nicht minder skeptisch; Dufroy an dessen eigne, ihm vorhin gegebne Auskunft erinnernd) Wenn du auf einmal, plötzlich, glaubst . . . daß das auch nur das geringste . . .

Dufroy: (mit Gewalt sich wieder nach der Uhr znrückdrehend; die Hand bereits nach ihrem Zeiger) Immerhin!

Marianne: (in demselben Moment, so daß Dufroy, wie gelähmt, von seinem Vorhaben abläßt, mit einem tiefsten Seufzer erwachend) Aah . . .!

Georg: (auf sie zu; in maßlosem Entsetzen) Marianne!

Marianne: (sich mit großen Augen umblickend, als ob sie sich in einem ihr gänzlich fremden Raum befände) Wo . . .?

Onkel Ludwig: (der sich sofort, schwerfälligst, aufgerappelt; nun auch bei ihr; besorgt-angstvollst) Wie . . . ist dir?

Dufroy: (ähnlich; halb über sie gebeugt) Wie . . . fühlst du dich?

Marianne: (als ob sie weder ihn, noch Onkel Ludwig überhaupt schon sähe) Georg! . . . (wie vorhin) Wie . . . bin ich nur hier . . .? (jetzt auch zu den beiden übrigen) Warum . . . blickt ihr mich . . .?

Georg: (nachdem er sich inzwischen wieder etwas gefaßt hat; forschend-mißtrauisch) Du bist jetzt wieder . . . ganz munter und wach?

Marianne: (sich wieder umblickend; zuletzt ganz erstaunt-überrascht) Wach? . . . Wach? Ich . . . habe doch nicht . . .

Georg: (energischst-eindringlicher Tonfall) Du hast vier Stunden fest geschlafen!

Marianne: (unsicher-verwundert) In . . . diesem . . .?

Georg: (fest wie vorhin) In diesem Sessel!

Onkel Ludwig: (stockend) Bloß . . .

Marianne: (die sofort aufgehorcht; in seltsamer Spannung) Ja?

Dufroy: (leichthin; um Onkel Ludwig nicht Gelegenheit zu geben, unter Umständen neues Unheil anzustiften; betreffende Geste) Daß du zuletzt . . . ab und zu . . .

Onkel Ludwig: (um so schwer gewichtiger; naivst-phantastisch) Wie von einem andern Stern . . .

Marianne: (die diese Worte wie süßes Gift schlürft; den Kopf ganz zurück, die Augen einen Moment wieder geschlossen) »Wie von einem andern . . .«

Onkel Ludwig: (durch diesen »Erfolg« ermutigt, über den stummen Unwillen der beiden andern hinweg, noch mehr aus sich herausgehend) Oder wie aus einer andern . . . Sphäre, oder Astralebne . . .

Dufroy: (trotz der Situation wieder wie von einer heimlichen Stecknadel gestochen) »As . . .!«

Georg: (ihn nicht ausreden lassend; nervös, Geste) Is ja im Moment ganz . . .

Marianne: (den Blick ekstatisch nach oben gerichtet; verklärteste Züge, kongruierende Sprechweise) Befreit . . . von allem! . . . Ja! . . . In einem Raum . . . und in einer Welt . . . die nur . . . Licht war!

Onkel Ludwig: (der ihren Worten wie einer Offenbarung gelauscht; von Georg zu Dufroy, bewegt) Hört ihr? . . . Ihr hört!

Marianne: (noch gesteigert-verzückter) Die nur . . . Licht war! . . . Licht . . . und Klang! . . . Himmlische Wonne . . . reinstes, wunschloses Glück . . . letzte, unaussprechliche Seligkeit!

Onkel Ludwig: (wie vorhin; vor innrer Genugtuung fast zitternd) Ihr . . . hört!!

Marianne: (klagend-gebrochen; zuletzt qualvollst; immer mit leisen, entsprechenden Gesten, als ob sie das Geschilderte noch einmal durchlebte) Aber dann . . . dann . . . dann . . . Die Lichtflut um mich . . . erlosch . . . die Klangfülle . . . schwieg . . . und ich sank . . . immer tiefer! . . . Irdische Not . . . Schmach und Schmutz . . . menschliches Wehklagen und Jammern!

Dufroy: (seine Ergriffenheit, deren er sich nicht erwehren kann, mit Gewalt niederkämpfend) Eine durchsichtig . . . halluzinatorische Traumvision . . .

Onkel Ludwig: (empört) »Traumvision?«

Dufroy: (wie etwas von sich abwehrend und in seinem Satz weiter) Wie sie sich nur allzu natürlich . . .

Georg: (an Dufroys »Erklärung«, wenn auch in anderm Ton als Onkel Ludwig, skeptisch Kritik übend) »Traumvision!«

Marianne: (von neuem; immer noch wachsend) Nach einer langen . . . bösen . . . furchtbaren Qualfahrt . . . (abbrechend und, wie sich vergewissernd, zu Dufroy und Onkel Ludwig) Habe ich es . . . gesehn und . . . gehört?

Dufroy: (ganz betroffen-perplex; mit einem Blick zu Onkel Ludwig rüber) Du hast . . . »gesehn und . . .?«

Marianne: (wieder, einen Moment, die Augen geschlossen) Wie durch eine ferne Wolke! . . . (jetzt halb nach links gedreht) Ihr saßt da . . . am Schreibtisch . . . (zu ihm auf; mit verhüllt-dunklem Vorwurf) Georg . . . war fort, und Onkel Ludwig . . . (von Dufroy jetzt zu diesem) Ist es wahr?

Onkel Ludwig: (gerührt-zärtlichst; mit einem Blick zu Dufroy rüber) Ja, was, Herzchen?

Georg: (nachdem er alle drei der Reihe nach ganz erstaunt-fragend angesehn) Was?!

Marianne: (zu Georg; sich zwischendurch bei den beiden andern wie vergewissernd, daß sie sich nicht getäuscht) Onkel Ludwig und Vater . . . wollten grade, als du kamst . . . (abbrechend und jetzt ganz bestimmt zu Dufroy und Onkel Ludwig) Ihr wolltet alle beide . . .

Dufroy: (noch immer ganz überrascht; sie unterbrechend; entsprechendes Mienenspiel zwischen ihm und Onkel Ludwig) Wie . . . konntest du . . . in deinem seltsamen Zustand . . . ?

Marianne: (ihren Satz, unbeirrt, mit größtem Nachdruck schließend) Ihr wolltet alle beide . . . sofort und auf der Stelle . . . zu Großmutter gehn!

Georg: (der kaum seinen Ohren traut; fast zurückgeprallt; zu allen beiden) »Zu . . . ?«

Onkel Ludwig: (bestätigend-erschüttert) Ja, Herzl, ja! Bloß . . . (unsichrer Blick nach der Uhr).

Georg: (wie vorhin; noch gesteigert) Zu . . . Großmutter??

Dufroy: (hastig-erregt) Das ist jetzt natürlich unter den obwaltenden Umständen . . . (nun auch seinerseits Blick nach der Uhr).

Onkel Ludwig: (in Dufroys Satz weiter; ebenso) Aber auch vollständig und ganz und gar . . . (wieder Blick nach der Uhr).

Marianne: (die ganz unmöglich einen dieser drei Blicke hatte bemerken können; fast wie aus einem leisen Unmut; überlegen-beherrscht) Glaubt doch nicht, daß mich die dumme Uhr . . .

Georg: (nachdem er Dufroy und Onkel Ludwig, die beide ganz verdutzt stehn, bestürzt angeblickt) Wer hat etwas zu dir von der Uhr . . .

Dufroy: (ähnlich) Dir hat doch niemand . . .

Onkel Ludwig: (sich anschließend) Wo-her . . . ?

Marianne: (in Sprache und Gesichtsausdruck einen Moment fast wie die Erscheinung im dritten Akt) Ich lese, was hinter euren Stirnen steht! Ich kenne alle eure Gedanken! (strafend-drohend zu Georg) Und ich . . . weiß auch . . .

Dufroy: (nachdem es durch alle drei wieder wie ein Ruck gegangen) Du . . . weißt?

Georg: (stärkst fragend; fast zornig) Was weißt du?

Marianne: (Georg voll anblickend; noch gesteigerter als vorhin) Daß du dein . . . verpfändetes Wort . . .

Georg: (aufgeregt, hastig, Geste) Dann geht! Geht!! Es ist besser . . .

Onkel Ludwig: (ihm beipflichtend; in seinem Satz weiter; zu Dufroy) Wir lassen . . . die zwei beiden jetzt allein . . .

Georg: (noch nervös-ungeduldiger; Blick nach der Uhr) Als daß ihr . . . vielleicht nur . . .

Dufroy: (der seinem Blick gefolgt war) Warten wir wenigstens ab, bis die paar Minuten . . .

Marianne: (völlig gelassen-ruhig) Ihr könnt ganz . . . unbesorgt sein! . . . (fast wie versteckt-ironisch) Mir wird diese Uhr . . .

Onkel Ludwig: (dadurch völlig beruhigt und getäuscht; zu Dufroy; bereits auf dem Weg nach der Tür) Komm! . . . Komm!! . . . (stehngeblieben und halb zurück) Wir dürfen . . . die alte Frau . . .

Georg: (Dufroy, der immer noch zögert, gut zuredend) Erfüll ihm schon den Wunsch . . . und sei überzeugt . . .

Dufroy: (sich endlich entschließend, so schwer ihm das auch fällt; erste Silbe betont) Nun, denn . . .

Marianne: (dringlichst bestimmt; fast bereits schmerzlich) Geht!!

Dufroy: (ihr die Hand reichend; mahnend-warm) Auf Wiedersehn, Kind!

Marianne: (wieder völlig beherrscht; trotzdem mit einem seltsamen Unterton) Auf . . . Wiedersehn!

Dufroy: (Onkel Ludwig seinen linken Arm bietend) Lieber Bruder?

Onkel Ludwig: (sich mit ihm türwärts in Bewegung setzend; freudigst-zuversichtlichst, in rührendstem Optimismus) Nun wird sich . . . alles . . . alles . . .

Dufroy: (der die Tür bereits geöffnet; noch mal nach Georg zurück; letzte Sichvergewisserung) Also?

Georg: (beruhigende, ihn »abschiebende« Geste) Du kannst völlig . . .

Onkel Ludwig: (schon auf der Schwelle; nach keinem mehr zurückgedreht) Post . . . nubila . . . Phoebus!

Marianne: (kaum daß ihre Schritte verklungen, sich halb aufrichtend; völlig wie gewandelt) Ich werde . . . Onkel Ludwig . . .

Georg: (sie, entsetzt, groß anstarrend) Marianne!

Marianne: (mit letzter Gewißheit) Nicht mehr wiedersehn! . . . (etwas weicher; nach der Uhr) Und du . . . versprichst mir . . .

Georg: (noch wie vorhin; sie unterbrechend; unterdrückt-angstvollst) Ich verspreche dir alles, wenn du dich von dieser entsetzlichen Selbstsuggestion . . .

Marianne: (wieder nach der Uhr; mit einem fast wie leise mitleidigen Lächeln nur die Worte der Prophezeiung wiederholend) »Noch . . . drei Jahre!«

Georg: (durch den es erneut wie ein Ruck gegangen; sich energischst zusammenraffend; mit aller Kraft) Wer an solche Wahnwitzigkeiten glaubt . . .

Marianne: (ausholend; seltsam ruhig und gefaßt) Was mir in jener Nacht . . .

Georg: (sie vergeblich zu unterbrechen versuchend; durch ihre Art wie gebannt) »Was dir . . .«

Marianne: (in ihrem Satz, langsam sich steigernd, weiter) Nachdem ich schon Monate lang damals, ohne zu wissen, warum, nichts mehr von dir gehört . . .

Georg: (wie vorhin) Gewiß! Gewiß! Nur . . .

Marianne: (immer schmerzlicher) Nachdem ich bereits die ganzen, letzten Wochen in bangster Sorge und Unruhe um euch verbracht . . .

Georg: (seinen Versuch, verzweifelt, wiederholend) Was hat das jetzt . . .

Marianne: (klagend, über seine Einrede hinweg, als hätte er überhaupt nicht gesprochen) Und nachdem ich den Abend, Stunde um Stunde, verlassen, wie ich mich noch nie gefühlt, einsamer denn je, mit meinen Gedanken in quälendst wachsender, unbestimmter Vorahnung . . .

Georg: (gefoltert auf und ab; sich die Ohren zuhaltend) Hör auf! Hör auf!

Marianne: (von neuem; noch verstärkt) Was mir in jener Nacht . . . (abbrechend und in ihrem Satz, als ob sie das Furchtbare noch einmal durchlitte, parenthetisch weiter) Ein schauderndes Grauen, ein mir unerklärbares, zitterndes Angstgefühl, ein gespenstisches, herzlähmendes Etwas hatte mich plötzlich jäh aus dem Schlaf geschreckt . . .

Georg: (wie vorhin; nicht mehr fähig, ihre detailliert-lebhafte Schildrung noch länger zu ertragen) Hör . . . auf!

Marianne: (malend-lebendig ; betreffende, alles verdeutlichende Gesten) Die große Wanduhr im Nebenzimmer, dessen Tür, wie stets, weit offen stand, hatte zum Schlagen grade ausgeholt, ich lag mitten im Dunklen . . . der kleine Ruck . . . klang mir noch im Ohr . . .

Georg: (einen Moment stehngeblieben; die Augen geschlossen, die geballte Linke vor der Stirn) Wenn du nicht . . .

Marianne: (mit verzerrtem Gesichtsausdruck, ganz entsetzt, vorgebeugt) Da hörte . . . und sah ich sie!

Georg: (wieder auf und ab; noch ohnmächtig verzweifelter) Ja! Ja! Ja! Ich . . .

Marianne: (von ihrer eignen Erinnrung fast geschüttelt) Grausenhafter und schrecklicher, als ich dir dies je . . . (abbrechend und als ob sie alles wieder vor sich sähe; letzte, packendste Steigrung) Aufrecht, wie schwebend, in einem fahlen Schein . . . Wangen und Lippen bläulich, Nase und Kinn schon hippokratisch spitz, die starren, glanzlosen Augen hinter den halb geöffneten Lidern bereits gebrochen . . . und . . . eine . . . Stimme . . . eine . . . »Noch . . . drei . . .Jahre! Noch . . .«

Georg: (nachdem er ihr, zuletzt einen Augenblick wie gelähmt, zugehört; mit erhobnen Armen auf sie zu) Reiß dich los von dieser furchtbaren Vorstellung! Reiß dich los!

Marianne: (ihn voll anblickend; zum drittenmal) Was mir in jener Nacht . . . durch Mariette . . .

Georg: (wieder von ihr weg; sich gegen diese ihre Behauptung, da er eine weitere und schlimmere bereits kommen fühlt, sofort erbittert-heftigst auflehnend) »Mariette!!«

Marianne: (noch überzeugt-bestimmter) Durch Mariette vorausgesagt und prophezeit wurde . . .

Georg: (radikal ablehnend; sie unterbrechend) Ich leugne, daß es Prophezeiungen . . .

Marianne: (in ihrer Linie, nur um so hartnäckiger, weiter) Wird bis auf die Sekunde . . .

Georg: (sie nun mit aller Gewalt nicht mehr weitersprechen lassen wollend; noch gereizt-verbissner) Daß es Prophezeiungen überhaupt . . .

Marianne: (mit einem Blick wieder auf die Uhr, als hätte er sie auch diesmal wieder gar nicht unterbrochen) In nicht allzu viel Minuten mehr . . .

Georg: (der ihren Blick bemerkt hat; auf einen Moment wieder stehngeblieben; allerrabiatst und erbittertst) Es gibt keine Prophezeiungen!

Marianne: (unerschüttert; erst jetzt, ganz erschöpft, schließend) In Erfüllung gehn!

Georg: (seinen Gang, empört-zornigst, wieder aufnehmend) Wie alles und jedes auf dieser Welt in Erfüllung geht, wenn man es mit aller Gewalt . . .

Marianne: (sich zur Wehr setzend) Ich habe alles . . . getan . . .

Georg: (der jetzt gar nicht mehr auf sie hört; in seinem Satz, noch betont ingrimmigst-vorwurfsvoller, weiter) Darauf anlegt und absieht, daß Ereignisse und Dinge . . .

Marianne: (noch stärker) Ich habe nichts . . . versäumt . . .

Georg: (wie vorhin; seinen Satz mit dem denkbar wuchtigsten Nachdruck schließend) Die einem vorher- und vorausgesagt wurden, durchaus und um jeden Preis, und sei dieser Preis selbst der allerfurchtbarste, in Erfüllung gehn sollen!

Marianne: (klagendst-schmerzlichst) Ich habe diesen ganzen Tag . . . dessen drohendes Unheil . . . ich kommen fühlte . . .

Georg: (sich von ihr, fast brüsk, abwendend; unmutigst-verzweifelt) Immer und ewig . . .

Marianne: (über seine Unterbrechung hinweg; noch gesteigert) Vor dem ich gebangt . . . und gezittert habe . . . und der mir mit seinen Ängsten und Qualen . . . allein schon durch die voraufgegangne Wiederkehr jenes entsetzlichen Traums . . .

Georg: (die Stirn in die Linke gepreßt, wieder ähnlich wie vorhin) Laß den . . . Traum!

Marianne: (wieder an ihm vorbei und in ihrer Linie, mit jedem Atemzug noch verstärkt, weiter) Und zwar von einer Macht, die ich nicht kenne . . . der ich früher widerstrebte und vor der ich mich jetzt . . . beuge . . .

Georg: (fast wie rasend nach ihr zurückgedreht) Du solltest dich lieber . . .

Marianne: (auf ihn gar nicht achtend, ergriffen, vor sich hin) Warnend, drohend und unmißverständlich deutlich verkündigt wurde . . .

Georg: (von neuem von ihr abgewandt) Schon wieder diese . . .

Marianne: (immer inbrünstiger, immer seelischer, fast wie in religiöser Ekstase; zum Schluß unterdrückt schluchzend) Mit all meiner Kraft, mit meiner ganzen Seele, mit jeder Faser, seit heute früh, habe ich danach gerungen, das Verhängnis abzuwenden, das Verderben aufzuhalten und den Leidens-Kelch . . . an uns beiden . . .

Georg: (von diesem Ton durchschüttert und beinahe wie von ihm angesteckt) Er wird . . . an uns vorübergehn! Er wird . . .

Marianne: (von neuem jetzt aufgerafft und noch immer sich steigernd) Nachdem aber nun alles . . . mißglückt ist . . . nachdem mein ganzes . . . Kämpfen und Ringen . . . nichts genützt und gefruchtet hat . . . nachdem durch diese letzte schaurige Sitzung . . .

Georg: (in ihrem Satz, fast erbittert-froh, sich auf dieses Stichwort nun selbst vor ihr anklagen zu dürfen, leidenschaftlichst weiter) Zu der ich dich gezwungen . . . für deren ganzen, abscheulichen Verlauf und Charakter die alberne, dumme, widersinnige Suggestivfrage, die ich vor vierzehn Tagen damals in einem nahezu halb idiotischen Moment gestellt, von vorneherein grundlegend, ausschlaggebend und entscheidend bestimmend war . . . (vor ihr stehngeblieben; sich gegen die Brust schlagend) und an der also nur ich, ich ganz allein die Verantwortung und die Schuld trage . . .

Marianne: (zu ihm aus; achselzuckend) »Schuld!« Schuld, oder . . . (abbrechend und in ihrem Gedankengang, sich schnell wieder steigernd, weiter) Nachdem jedenfalls nichts uns so erspart geblieben ist, nachdem alles sich bis jetzt erfüllt hat und mein kleiner, schwacher, irdischer Menschenwille . . .

Georg: (beschwörend-energisch; wieder dabei unwillkürlicher Blick nach der Uhr) Mit dem du noch alles retten kannst, wenn du . . .

Marianne: (über seine Worte hinweg) Ohnmächtig zerschellt ist . . .

Georg: (wie vorhin; stärkst) Halt noch aus!! Halt noch aus!!

Marianne: (von allem, was er zu ihr spricht, völlig unberührt) Gebe ich es auf . . .

Georg: (von ihr nach der Uhr; flehentlichst) Nur noch wenige . . .

Marianne: (in ihr Los ergeben, immer demütig-verklärter) Gegen ein ehern notwendiges, übermächtiges Schicksal anzukämpfen, das uns beiden . . .

Georg: (der dunkel fühlt, wie er alle Macht über sie verloren; in sich nochmals zusammenraffender, ohnmächtiger Verzweiflung) Halt noch aus!!

Marianne: (die Augen geschlossen, in seltsamster Mystik, die ihn fast schauernd streift) Das uns beiden vorbestimmt war, vielleicht schon und noch ehe . . . (durch den jetzt doppelten Uhrschlag plötzlich jäh aufgeschreckt) Halb!

Georg: (der einen Moment, entsetzt, ebenfalls nach der Uhr gestarrt; wieder auf und ab; völlig veränderter, mit aller Gewalt sich zusammenruckender Tonfall) Es war der hellste, lichterlohste, hirnverbrannteste Irrsinn, daß wir dich, die bis dahin die einfache, gesunde, schlichte Natürlichkeit und Vernunft selbst war, deren intakt gebliebnes Empfinden sich mit naiv instinktiver Sicherheit . . .

Marianne: (gequält-abwehrend) Laß!

Georg: (in seinen erneuten, zornigen Selbstvorwürfen, als hätte sie ihn gar nicht unterbrochen, erbittert weiter) Schon von vornherein und bis zuletzt gegen den paradoxen Überschwang dieser ganzen modern thaumaturgischen Kabbalistik und Nekromantie, so willig du dich uns mit deinen Kräften . . .

Marianne: (wie vorhin; nur noch gesteigert) Laß!

Georg: (ebenso) Auch stets zum Opfer gabst, doch, innerlich, skeptisch ablehnend verhielt, und die grade heute, aus ihrem bestimmt dunklen Vorgefühl . . . (abbrechend).

Marianne: (jetzt fast ähnlich; wie er vorhin selbst) Wozu . . .

Georg: (der sich am liebsten »zerreißen« möchte; mit gekrampften Fäusten) Daß wir dich mit diesen verrückten Experimenten . . .

Marianne: (nach der Uhr; beinahe grausam) Ich . . . weiß jetzt nur . . .

Georg: (wieder stehngeblieben und zu ihr zurück) Kommen wir doch wieder zu unsern fünf Sinnen! Nehmen wir Verstand an! Wenn wir uns in dieser Weise . . .

Marianne: (ausbrechend-angstvoll; dabei, zwischendurch, wieder Blick nach der Uhr) Jeder . . . Bruchteil einer Sekunde . . . jedes kleinste . . . Augenblickchen, das verrinnt . . .

Georg: (die Zähne zusammenbeißend; mit suggestivster Energie; obwohl er bereits fühlt, daß seine Lüge nichts nützen wird) Du irrst! Es ist bereits Eins! Ich habe die Uhr . . . (abbrechend und unter ihrem Blick nicht fähig, weiterzusprechen).

Marianne: (wehmütigstes Lächeln; schmerzlichst-innigst) Lieber . . . Georg! . . . Laß uns die . . . kurze Zeit . . .

Georg: (die Gewalt über sich verlierend; rechte Hand über Augen und Stirn, von ihr abgewandt, unterdrückter Schluchzlaut) . . .!!!

Marianne: (weich, langsam) Ich hatte nicht . . . geglaubt . . . daß dir mein bißchen Weggehn . . .

Georg: (wieder auf sie zu; seine ganze, letzte Kraft nochmals und mit aller Energie znsammenraffend) Marianne!! . . . Was der Mensch will . . .

Marianne: (mit hochgezogenen Schultern abgewandt) Wer sagt . . .

Georg: (noch inständig flehender und seelischer) Nimm alles . . . in dir zusammen! Spann deine ganze . . . Energie drauf! Denk an nichts . . . als daß du für mich . . .

Marianne: (ihn wieder anblickend; schwermütig-sehnsuchtsvollst) Könnt ich s! Könnt ich s noch!

Georg: (selbst jetzt noch sich steigernd, in seinem Satz weiter) Als daß du für mich . . . jetzt zu leben hast . . . und du wirst . . .

Marianne: (noch immer zu ihm auf; warm) Wie . . . gern!

Georg: (nachdem er einen kurzen Moment mit sich gerungen; schwer) Muß ich dir . . . das überhaupt . . . (fast schluchzend abbrechend und mit ausgebreiteten Armen; sie voll anblickend; elementar) Vom ersten Augen blick!

Marianne: (mit geschlossen Lidern seine Worte wie in sich schlürfend) Vom . . . ersten . . .

Georg: (nachdem er sich nun einmal überwunden, in seinem Geständnis noch rückhaltsloser weiter) Augenblick, wo du damals in dieses Haus tratst! . . . Hätte seitdem . . . nicht so grausam zwischen uns gestanden . . . was mir in meiner kindischen Verblendetheit . . . als unsre Schuld erschien . . .

Marianne: (ganz erstaunt-verwundert; an seiner jetzigen Auffassung heimlich Kritik übend) Sie erscheint es dir . . . nicht mehr?

Georg: (nach dem Schreibtisch, auf dem sie jetzt das Tagebuch Mariettes erblickt; stärkst) Nach diesen . . . Bekenntnissen?!

Marianne: (die lebhaft gestutzt) Du . . . hast . . . ?

Georg: (noch gesteigert) Und nach der erniedrigenden . . . schimpflichen Offenbarung, die uns die Sitzung . . . ?!

Marianne: (energisch verweisendes Kopfschütteln) Du hättest . . . auf keinen Fall . . .

Georg: (über ihren Vorwurf hinweg; alle Akzente aufs schärfste betont) Schuld und Sühne . . . wenn Schuld . . . auf die Dauer als Schuld überhaupt empfunden werden soll . . . müssen unter sich . . . in einem wenigstens annähernd vernunftgemäßen Verhältnis stehn!

Marianne: (so wenig sie sich gegen seine Argumentation als solche auch auflehnen kann, doch nicht überzeugt; leichte, ihre Unsicherheit malende Geste) Gewiß! Ja! Aber . . .

Georg: (zum erstenmal über diesen Komplex zu einem Menschen sprechend; an seinen Worten wie schluckend; halb nach der Tür links rüber) Die Nacht . . . als ich da nebenan . . . Mariette mit ihren Kindern . . .

Marianne: (von tiefstem Mitleid mit ihm gequält) Du . . . solltest . . .

Georg: (einen Moment von seiner Erinnerung so überwältigt, wie sie es vorhin von ihrer gewesen war; als ob er das furchtbare Entsetzensbild, das sich ihm damals geboten, wieder vor sich sähe) Die Kleinste . . . lag schon kalt, der Junge . . . Als ich da . . .

Marianne: (noch gefolterter) Du solltest . . . diese Erinnrung . . .

Georg: (ausbrechend; das letzte Wort, von ihm unwillkürlich mit geschlossen Augen gesprochen, will ihm kaum über die Lippen) Und hätten wir an Mariette . . . selbst das Zehnfache verbrochen . . . eine solche . . . Bestrafung . . .

Marianne: (vor sich hin; fast wie nur zu sich selbst; die letzten drei Worte verzweifelt-schmerzlichst-zerknirscht) So . . . glaubte ich ja auch! So glaubte ich . . . an allem Anfang! Aber . . . jetzt . . . jetzt . . . jetzt . . . !!

Georg: (stärkst fragend vor ihr aufgereckt; sie gar nicht verstehend) Ist unsre Schuld . . . etwa gewachsen? Hat sie in der Zwischenzeit . . .

Marianne: (noch in sich gekehrter; tiefst überzeugt; immer seelischer) Oh, nein! . . . Durch das . . . was du und ich . . . was wir beide . . . ohne, daß es in diesen drei Jahren zwischen uns eine Brücke gab . . . ohne daß je auch nur das geringste Wort, oder der kleinste Blick es dem andern verraten hätte . . . ohne . . . durch all das . . . was wir, jeder für sich . . . im stillen und allein . . . in dieser furchtbaren Zeit . . . steigend durchgemacht und gelitten haben . . . ist sie sogar eher . . .

Georg: (unwillkürlich noch höher gereckt) Nun ja, also!

Marianne: (schwankend-unsicher) Vielleicht!

Georg: (mit aller Energie auf sie einredend) Nicht »vielleicht«, sondern absolut ganz und gar sicher! Denn das beweist . . .

Marianne: (Blick nach der Uhr; noch klagend-zweifelnder) Vielleicht!

Georg: (der jetzt einen Moment lang die Herrschaft über sich fast wieder verloren hat; halb rasend) Blicke nicht nach der Uhr! (Geste, als ob er im nächsten Augenblick die Uhr an sich reißen und zertrümmern wolle) Wenn du nicht willst . . .

Marianne: (gelassen-ruhig; seine letzten Worte von vorhin wieder aufnehmend) »Das . . . beweist . . . ?«

Georg: (nachdem er sich bezwungen; von neuem auf und ab) Das beweist . . . daß das einzige . . . was wir uns Mariette gegenüber . . . allenfalls vorzuwerfen gehabt . . .

Marianne: (in seine Verlegenheitspause; da er bereits nach diesen wenigen Worten stockt; gedehnt fragender Nasaldoppellaut) Hm-n?

Georg: (in seinem Satz, zwischendurch immer wieder stockend und ohne sie dabei anzusehn, weiter) Daß sogar selbst unser ganzer geistiger Verkehr . . . das heißt also unser Briefwechsel . . . so nah wir uns auch bereits mit der Zeit und allmählich durch ihn gekommen waren . . .

Marianne: (ihm scheinbar zu Hilfe kommend) Eine Schuld gegenüber Mariette . . .

Georg: (seinen Satz, fast erbittert, schließend) Eine Schuld gegenüber Mariette . . . nicht gewesen!!

Marianne: (ihm nachblickend; überlegen) Es beweist aber auch genau . . . und ebensogut . . .

Georg: (einen Moment nach ihr zurückgedreht; in ihren Satz fast wider Willen) »Genau und . . . ebensogut?«

Marianne: (fest, beinahe hart; ihn voll dabei anblickend) Das absolut haarscharf diametrale Gegenteil!

Georg: (sich jäh wieder von ihr abwendend; Linke im Schläfenhaar) Du machst mich . . . verzweifelt!!

Marianne: (betont-ruhig) Weil ich die Augen vor dem . . . was hinter uns liegt . . . nicht verschließe?

Georg: (wie ohnmächtig nach Worten ringend) Es kann . . .

Marianne: (wie vorhin; nur noch eindringlich-gesteigerter) Und weil ich das . . . was uns jetzt beide . . . (wieder halber, von ihm diesmal nicht bemerkter Blick nach der Uhr) unabwendbar erwartet . . .

Georg: (der jede Fassung verloren) Es kann noch alles wieder gut werden! Es kann . . .

Marianne: (unerbittlich) Für uns beide . . . (auf einen von ihm jetzt unwillkürlich stutzenden Blick nach ihr) oder doch wenigstens für mich . . .

Georg: (stehngeblieben; unsicher fragend-erstaunt) »Für . . .«

Marianne: (noch unterstrichner) Für mich als gerechte, ausgleichende Strafe, Sühne . . . und Erlösung empfinde?

Georg: (ausbrechend; wieder auf und ab) »Erlösung!« »Sühne!« »Gerechte, ausgleichende Strafe!« Leere, lächerliche Buchstabenzusammenklittrungen, für die es in der Realität . . .

Marianne: (die ihm wieder nachblickt; verweisend-erstaunt) Du . . . leugnest . . .

Georg: (sich kaum mehr kennend; noch immer auf und ab, ohne sie anzublicken) Ich leugne jede Transzendenz! Ich leugne, daß unser Diesseits . . . wie ich das allerdings, aus Gründen, die ich . . . dir gegenüber jetzt nachträglich wohl nicht erst zu streifen brauche, schwachköpfig genug war, eine Zeitlang anzunehmen . . . durch irgendein Jenseits wieder paralysiert und ausgeglichen wird, und erkläre jeden . . .

Marianne: (sich halb aufrichtend; fast strafend) Nachdem . . . wir uns eben erst . . . überführt und überzeugt haben, nachdem auch wir jetzt . . . erlebt haben . . . daß der Tod . . .

Georg: (stehngeblieben; vor Erregung zitternd; mit zornigst gekrampften Fäusten) Marianne!!

Marianne: (noch stärker) Daß der Tod . . .

Georg: (fast rasend) Sprich s nicht erst aus! Ich . . .

Marianne: (noch gehoben-gesteigerter) Daß der Tod keine Grenze setzt?

Georg: (nachdem er wieder Atem geschöpft; erbittertst) Das Ideeenwirrsal Onkel Ludwigs . . .

Marianne: (kopfschüttelnd Einspruch erhebende Geste) Nicht . . . Onkel Ludwig!

Georg: (in seiner empörten Wut noch einen Schuß weiter) Hat dich, wie es scheint, nach und nach vollständig . . .

Marianne: (achselzuckend) Wenn du . . . nicht hörst . . . !

Georg: (mit aller Kraft sich wieder sammelnd, von neuem auf und ab) Ich kann die Erscheinung . . . dies Doppelwesen, oder das Phantom . . . und überhaupt . . . den ganzen, gesamten, einschlägigen Rätselkomplex . . . der mit dieser letzten . . . scheußlichen Sitzung heute . . . seinen letzten . . . scheußlichen Abschluß gefunden hat . . . weder dir . . . noch mir . . . erklären! . . . Er entzieht sich für mich . . . jeder Deutung! . . . Aber gegen den Wahnsinn . . . jawohl, Wahnsinn . . . daß die Erscheinung, und sei s auch nur aus irgend einer Ecke her . . .

Marianne: (unbeirrt) Wenn . . . die Erscheinung aber doch selbst . . .

Georg: (erbittert-heftigst) Ich . . . bitte dich! Um alles in der Welt! Solch ein . . . Aberwitz!

Marianne: (überzeugt-hartnäckig; ausholend) Schon nach jener vierten . . . oder fünften Sitzung . . . als ihr mir zu meinem schaudernden Schrecken erzähltet . . .

Georg: (sie unterbrechend; gefaßter; mit permanent steigender Eindringlichkeit) Die Gestalt . . . die sich aus dir in jedem tiefen Trance . . . zuerst noch unbestimmt und nebelhaft . . . dann immer plastischer und deutlicher, mit konstanter Regelmäßigkeit formte, bildete und entwickelte, und dessen reale Wirklichkeit auch heute wieder, und zwar von vier Personen gleichzeitig, mit unantastbarer Zuverlässigkeit, einwandfrei konstatiert wurde, ist von uns beiden hundertfach beobachtet und von mir zu Dutzenden von Malen stereoskopiert, auf das denkbar Genauste und Gewissenhafteste untersucht und mit allen Hilfsmitteln moderner Anthropometrik wiederholt bestimmt und gemessen worden! Daß sie also genau ebenso viel Male existiert haben muß und ganz unmöglich bloß ein subjektives, irreales Phantasiegebilde von uns gewesen sein kann, darüber ist jeder Zweifel für mich und jede Meinungsdifferenz ausgeschlossen! Jetzt aber zu sagen und . . . behaupten zu wollen . . .

Marianne: (nachdem sie ihm so lange aufmerksam zugehört, ihn unterbrechend und ihren Gedankengang von vorhin wieder aufnehmend; mit schnell wachsender Erregung und lebhaftestem, alle Nüancen spiegelndem Mienenspiel) Schon damals . . . du magst dich dazu stellen wie du willst . . . laß es für dich »Wahnsinn« sein und »Aberwitz«, aber . . . ich kann nicht mehr schweigen! Ich . . . muß dir die Wahrheit gestehn! Schon damals . . . (lebendigste, malendste Gesten; Georg wieder stehngeblieben und zu ihr rüber) hatte ich das dunkle, grauenhafte Gefühl, das . . . lähmende Entsetzen! Dies Wesen, das aus deinem Fleisch und Blut steigt, dies Etwas, das sich aus dir nährt . . . wie ein Vampyr . . .

Georg: (von neuem verzweifelt auf und ab) Hätten wir doch nun und nimmer . . .

Marianne: (noch immer sich steigernd) Und das, wie ein Spukbild . . . sich wieder verflüchtigt hat und zerronnen ist, sobald du wieder . . . aufwachst und . . . zu dir kommst . . . (abbrechend; von Grauen geschüttelt).

Georg: (reuig-gequält; fast nachträglich vorwurfsvoll) Du hattest . . . mir davon bis heute . . .

Marianne: (nachdem sie Atem geschöpft; noch überzeugt-bestimmter) Ich fühlte! Und dieses Gefühl . . . wuchs . . . und wurde immer beängstigender! Dies Wesen ist dein Feind! Es verfolgt und haßt dich! Es zehrt an deinen Kräften und wird nicht eher ruhn . . . als bis . . . (abbrechend, die Augen geschlossen, mit ausgebreiteten Armen) Und jetzt . . . weiß ich s! Und wenn sich auch alles in dir dagegen sträubt! Und wenn dein Verstand . . .

Georg: (wieder stehngeblieben; letzte, qualvollste Angst und Erbittrung) Marianne!! . . . Wenn du dich von diesem Gedanken nicht losmachst, wenn es dir nicht gelingt . . .

Marianne: (durch seine Heftigkeit wieder zu sich gekommen; unerschüttert; markiert gelassen-ruhig) Du hattest . . . früher geglaubt . . .

Georg: (nachdem er sich noch mal mit aller Gewalt zusammengeruckt; von neuem auf und ab) Ich hatte früher geglaubt . . . oder war doch wenigstens neuerdings zu der innern Überzeugung gelangt, daß der Tod . . . wie ihn die heute noch immer herrschende mechanistische Weltauffassung lehrt . . . unmöglich das Ende und den Abschluß unsrer seelischen Existenz bedeuten kann! Und ich bin sogar im Moment auch jetzt noch . . . so herzlich töricht und überflüssig ich mich eben einen Augenblick von meinem Unwillen und Mißmut auch überwältigen und hinreißen ließ . . . eher geneigt, mir diese Frage mit nein, als mit ja zu beantworten! Aber so primitiv in den äußern Vorgängen und in der Form . . . wie du dir das vorstellst . . .

Marianne: (ihm ins Wort; visionär) Es wird . . . nicht mehr lange dauern . . . daß ich auch darüber . . .

Georg: (wieder auf sie zu; letzte, fast wie bettelnde Verzweiflung) Ma-rianne . . . du . . . hörst und . . . siehst, wie ich unter deinem Wahn . . .

Marianne: (langsam nickend; so anklagend ihre Worte ihn auch treffen, ohne jeden Vorwurf) Denkst du noch immer . . . glaubst du . . . auch jetzt noch . . . daß ich den Schleier . . .

Georg: (der sich jetzt nur noch mit Mühe vor ihr aufrecht hält) Es war roh und bar jeder Vernunft, dich mit einem solchen . . . niedrigen . . . tölpelhaften Verdacht . . .

Marianne: (kopfschüttelnd, Geste) Dann verstehe ich dich nicht mehr! Auf der einen Seite gibst du zu, daß die Phänomene auch diesmal . . .

Georg: (sich wieder in Bewegung setzend; kurzer, ungeduldiger Kopfruck) Ja! Aber der Schluß, das Resultat, die Endfolgrung, die du daraus ziehst, daß die Erscheinung oder das Phantom . . . es kostet mir ordentlich Mühe und Überwindung, das auch nur auszusprechen . . . nach irgendeiner Richtung, oder in irgendeiner Beziehung, eine zeitweilige Reinkarnation, oder temporäre Wiederverkörperung Mariettes gewesen sein soll . . . schon der bloße Gedanke ist für mich von einer . . . Absurdität . . .

Marianne: (jetzt ihm ebenfalls ins Wort; fast mit einem ironischen Lächeln) Daß du dich dagegen auflehnst . . . wie sich heute nachmittag . . .

Georg: (sie wieder nicht ausreden lassend; schärfst präzisierend) Die Stellungnahme deines Vaters, die gewiß, nach keiner Richtung und in keiner Weise, gerechtfertigt war, und von der er ja auch . . . inzwischen selbst . . . wenn auch allerdings, wie ich glaube, nicht zu seinem besonders . . . persönlichen Glück und Vorteil . . . und zwar radikal zurückgekommen ist . . . richtete sich gegen Tatsachen!

Marianne: (fast wie ihn nicht begreifend-verwundert) Und der Einspruch . . . den du jetzt erhebst?

Georg: (noch energisch-bestimmter) Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ich mich gegen bewiesne und von mir jederzeit nachkontrollierbare Gewißheiten wende, oder ob ich mich gegen eine Hypothese sträube! Und die Hypothese, um die es sich hier handelt . . .

Marianne: (in seine Atempause; seinem Satz geschickt die Spitze abbrechend) Ist eine Hypothese . . . wie jede andre!

Georg: (um so leidenschaftlicher ihr widersprechend) Nein! Sie ist von allen Annahmen, die die Menschheit in ihrer absoluten Ohnmacht und Ratlosigkeit gegenüber dem Unbekannten sich bisher geleistet hat, die abenteuerlichste, ausschweifendste und phantastischste! Sie würde, wenn sie sich bewahrheitete . . .

Marianne: (wieder wie vorhin) Den Sinn unsres ganzen Lebens umgestalten! Ja! Und warst du nicht grade derjenige . . .

Georg: (ausbrechend; seinem Temperament wieder die Zügel schießen lassend) Unser ganzes Leben ist eine einzige, widerwärtige, infernale Riesensinnlosigkeit!

Marianne: (durch dieses Wort fast wie physisch getroffen; mit wieder schmerzlichst geschlossen Augen) »Infern . . .«

Georg: (im Hintergrund auf und ab; kaum mehr auf sie achtend; noch unvorsichtig-heftiger) Infernale Riesensinnlosigkeit! Ja, ja, dreimal ja! So dachte ich, habe ich gedacht und denke ich auch noch!

Marianne: (wie vorhin; nur noch gepeinigt-gequälter) Und . . . da . . .


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