Arno Holz
Ignorabimus
Arno Holz

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Georg: (auf diesen heimlichen »Herzenston«, so durchaus er ihn auch gehört, aus seiner momentanen Stimmung heraus nichts weniger als reagierend; ja, sogar eher fast gradezu grausam-brutal) Lieber Onkel . . . ich achte und ehre deinen Schmerz, aber . . . bitte, weine nicht!

Onkel Ludwig: (in berechtigtster Empörung zunächst zu Uexküll rüber) Haben Sie . . . gehört?

Uexküll: (auf den diese Nachricht ganz anders gewirkt; über Onkel Ludwigs Beschwerde hinweg; allervorsichtigst sondierend) Dürften . . . Verzeihung, gegen Ihren überraschenden Entschluß . . . nicht allein schon Exzellenz . . .

Onkel Ludwig: (wie vorhin; nur noch gesteigert und jetzt ebenfalls zu Georg) Wenigstens vor meinen weißen Haaren (»Knax«) solltest du doch noch . . .

Georg: (der ihn einer Antwort überhaupt gar nicht würdigt; schneidendst-wegwerfend-eisig) Ich habe mich mit dem Herrn Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat eben verständigt, und diese endliche und, wie ich Gott sei Dank das tröstende Gefühl habe, für sämtliche dabei direkt oder indirekt Beteiligten gleich angenehme Dislozierung, die übrigens, nebenbei bemerkt, meine Absicht schon seit längerem war, erfolgt, oder vielmehr wird jetzt sogar auf seinen eignen, ausdrücklichen, allerhöchst-persönlichsten Wunsch erfolgen!

Onkel Ludwig: (nicht ohne eine gewisse, innre Genugtuung jetzt an ihm »sein Mütchen« kühlend) Kann ich . . . und zwar vollkommen verstehn und begreifen! (Kopfbewegung nach der großen Flügeltür rechts, die in den Gartensaal führt, aus dem man dann ins Musikzimmer gelangt) Nachdem du ihn erst vorhin drüben, als Mensch und als Vater . . .

Georg: (brüsk-harter Stimmklang; alles übrige ihm damit abschneidend; dann wieder zu Uexküll rüber, der jetzt hinter dem Sessel rechts steht, an dessen geschnitzter Rücklehne er sich leicht hält, und, ohne seinen Gang zu unterbrechen, von neuem auf sein Ziel los) Weiß ich! Meine Sache! . . . Da ich also aus dem angeführten Grunde nun vermutlich nicht so bald wieder die große Ehre, den Vorzug und das Vergnügen haben dürfte, Ihnen auf diesem runden Erdball etcetra, etcetra, möchte ich jetzt, wie gesagt . . .

Uexküll: (der seinen Blicken standgehalten; behutsam lavierend) Ich hielt zwar unser »kleines Konto«, wie Sie es hier vorhin nannten, eigentlich schon für etwas reichlich beglichen . . .

Georg: (plötzlich stehngeblieben und ihn von unten auf allerschärfst-mißtrauisch musternd; sämtliche drei Hauptakzente stärkst betont) Davon sind Sie so . . . überzeugt?

Uexküll: (ausweichend; markiert leicht verletzter Tonfall) Sie haben mir bereits erklärt . . .

Georg: (scharf; ohne seinen Gang schon wieder aufzunehmen; in den hochfahrend-feindseligen, gradezu mißachtenden Ton, den er fast während des ganzen dritten Akts gegen ihn angeschlagen, wieder zurückfallend) Ich habe Ihnen bereits erklärt und erkläre Ihnen, falls Sie dies wünschen, hiermit noch mal, daß ich auf jede mir jetzt mehr als überflüssig erscheinende, nachträgliche Wiederdurchkäuung der in dieser jämmerlichen Sitzung gegen Sie vorgebrachten, groben, dunklen Andeutungen, Provokationen und Unkontrollierbarkeiten glatt und mit Genuß verzichte! Aber als ich (kurze, energische Kopfbewegung nach der Tür links) eben da nebenan Sie so angenehm eifrig miteinander causieren hörte, fiel mir doch ein, und so heftig ich mich auch dagegen sträubte und wehrte, ich rief mir zurück und erinnerte mich, daß da noch so verschiednes . . .

Onkel Ludwig: (dem schon bei dem Gedanken an die bloße Möglichkeit einer solchen neuen Wiederaufrollungsdebatte ganz wehmütig angst und schwach wird; grotesk-jämmerlichst protestierende Geste; in den höchsten, fast überkieksenden Kopftönen) Tittitittitittiti!

Georg: (nach einem einen Moment lang erstaunt-mißbilligenden Blick zu ihm rüber; als hätte er aus seiner entsetzten Abwehr, die er haarscharf verstanden, einen ganz andern Sinn rausgehört) Ich merk s! Der Abschied von mir fällt dir schwer!

Onkel Ludwig: (sich in seinem Sessel, in dem er schon halb zusammengesunken war, wieder aufrappelnd; nach dem eben erst mit ihm Erlebten ehrlichst) Nu! . . . Grade das?!

Georg: (seine Offenherzigkeit ignorierend; von neuem zu Uexküll; ihn schärfst ins Auge fassend) So schmerzlich unlieb meine fortgesetzte Hartnäckigkeit . . .

Uexküll: (schnell; sehr gegen sein wirkliches Empfinden) Oh! Keineswegs! Es ist mir sogar im Gegenteil . . .

Georg: (ihm ins Wort; gemessen-nachdrücklich; Pferdegetrappel) Wie zum Beispiel kam es, daß Sie heute nachmittag, als ich Sie mit Fräulein Doktor Dufroy . . . (aus einem hastig-unruhigen, einen kurzen Moment fast wie um Hilfe bettelnden Blick Uexkülls zu Onkel Ludwig rüber, der, ganz harmlos-naiv, jetzt am liebsten alle beide zu sämtlichen Teufeln wünschte, den wahren Sachverhalt bereits nahezu erratend; abbrechend und noch langsam-inquirierender) Herr Doktor Brodersen, hoffe ich doch, stört nicht?

Onkel Ludwig: (bereit, den beiden Kampfhähnen mit Freuden das Feld zu räumen; entsprechende, illustrierende Handbewegung nach dem Zimmer links) Sonst . . . falls . . . ?

Uexküll: (der sich mit aller Gewalt zusammengerissen hat; diplomatisch-geschickt von diesem für ihn so gefährlich-brenzlichen Thema abbiegend) Aber ganz und gar nicht! Absolut nicht! Ich stehe Herrn Professor selbstverständlich auch jetzt noch nach wie vor völlig zur Verfügung, (halb zu Onkel Ludwig, halb nach der Tür ihm gegenüber) nur möchte ich noch bitten . . .

Georg: (ganz überrascht-erstaunt; im Augenblick wirklich noch nicht ahnend, worauf das hinaus soll) »Noch bitten?«

Uexküll: (in seiner Taktik weiter, Vogellärm schwächer) Der mich aufs schmerzlichste beunruhigende Zustand unsrer Kranken . . .

Georg: (der sofort die Ohren gespitzt; womöglich noch erstaunter; aber bereits wieder nicht ohne Sarkasmus) »Der Sie aufs schmerzlichste . . . ?«

Uexküll: (der jetzt fühlt, daß er seine ganze Sicherheit voll wiedergewonnen) Wenn Herr Professor . . . gestatten?

Onkel Ludwig: (ihm sekundierend; die Zweige vor dem Fenster leicht bewegt, nur noch schwacher Tropfenfall) Wir möchten doch endlich alle beide . . .

Georg: (jetzt völlig abgelenkt; seinen Gang wieder aufnehmend; kühl-trocken) Ich glaube, die Herren . . . brauchen weiter nicht mehr besorgt zu sein!

Uexküll: (dem dieser zuversichtliche Optimismus nicht recht verständlich ist; mit einem schnellen Blick nach der Tür links) Hat sich irgend . . . ?

Onkel Ludwig: (besorgt-ähnlich) Isse denn wenigstens schon wach?

Georg: (wie aus einer heimlichen Wut, deren er sich vergeblich bemüht Herr zu werden; die letzten Worte mit unterstrichen-deutlichem Nebensinn) Sie schläft und wird wahrscheinlich, über kurz oder lang, und zwar noch innerhalb dieser dreidimensionalen Wirklichkeit, zur vollen Klarheit wieder aufwachen!

Uexküll: (über seine scheinbare Gelassenheit, auch wenn er deren Untertöne kochen hört, ganz frappiert-verwundert) Sie hatten doch ausdrücklich . . . als Sie uns so eindringlich verwarnten, die materialisierte Erscheinung weder zu berühren, noch gar unversehns anzupacken . . . die schwerwiegende Befürchtung geäußert . . .

Georg: (ihm wieder ins Wort; mit erhobner Stimme; sein ganzer Grimm, den er so lange mit aller Kraft in sich niedergehalten, steigt sofort in ihm hoch; trotzdem bis zum Schluß, und zwar mit diesem namentlich, sich noch steigernd) Jawohl! Und ich würde von der aufrichtigen, ehrlichen, reuig-zitternden Angst, daß die traurigen, durch nichts wieder gut zu machenden Folgen, die ich Ihnen und mir an die Wand gemalt hatte, nun doch noch eintreten könnten, jetzt selbst und am allerschwersten bedrückt sein, wenn es sich bei dem ganzen Schwindel um eine »materialisierte Erscheinung« überhaupt gehandelt hätte!

Onkel Ludwig: (gegen diese Behauptung denn doch, energisch-überzeugt, Front machend) Wir haben aber doch ganz deutlich . . .

Uexküll: (ihm lebhaft beipflichtend) Zum mindesten im Anfang, in einem bestimmten Augenblick hatten wir uns durch das Konstatement von Exzellenz einwandfrei überzeugt . . .

Georg: (ihm seinen Satz und Gedankengang nervös-ungeduldigst abnehmend und ironisch-verbissen fortsetzend) Daß nicht bloß das Medium allein, sondern die erfreuliche Vielzahl von zwei völlig voneinander getrennten und sogar ganz verschieden gekleideten, weiblichen Gestalten, Personen oder Individuen am löblichen Werk war! (allernachdrücklichst) Ganz recht und unbestreitbar! (maßlos von neuem) Die vermeintliche Materialisation aber, die ich ergriff . . .

Onkel Ludwig: (ihm lebhaft in die Parade) Ein Phantom, das man ergreift, kann unter menschlichen Händen . . . (abbrechend und mit elementarster Bestimmtheit) Irgendwie und irgendwann muß es doch mit seinem Medium stofflich wieder eins werden!

Georg: (wütendst, gegen diese Logik nicht anzukönnen) Unbezweifelbar!

Onkel Ludwig: (in seinem Ideengang weiter) Und ob nun das Phantom wieder in sein Medium zurückgeht, oder das Medium in sein Phantom . . . das ist doch bei Licht besehn . . .

Georg: (höhnisch; erste Silbe schärfst betont) Namentlich »bei Licht besehn!«

Onkel Ludwig: (unbeirrt zu Uexküll rüber und sich einen Moment auf dessen Zeugenschaft beziehend; dann sofort nieder zu Georg und mit den entsprechenden, lebhaftesten Gesten) Wir haben uns doch beide mit unsern Augen überführt! Du griffst zu, in demselben Moment bauschte und blähte sich, wie geschwellt von einem Sturmwind, der Vorhang . . . das Medium war nicht mehr da . . .

Uexküll: (eifrigst zu Georg rüber; Onkel Ludwig wieder vollst beipflichtend) Ich hätte es sonst unbedingt erblicken müssen!

Onkel Ludwig: (der jetzt mit Aplomb seine Folgerung ziehen will; zu allen beiden) Es kann sich also nur blitzschnell . . .

Georg: (ihm seinen Satz, ebenso blitzschnell, wieder sarkastisch schließend, ohne sich dabei in seinem Gang auch nur eine Sekunde lang aufhalten zu lassen) Veratomisiert und mit seinem Fluidkörper wieder verkonglomeriert haben! Ich finde, du gehst mit deiner Theorie ziemlich weit!

Onkel Ludwig: (wieder von ihm zu Uexküll rüber; Georgs Erbittrung gar nicht begreifend) Ja nu simpler kann man sich so n komplizierten Vorgang doch gar nicht vorstellen!

Georg: (grausamst, ohne ihn anzublicken) » Mundus explicatus! Das gelöste Welträtsel, oder der durchhaune gordische Knoten!« (dann, noch ehe Onkel Ludwig zu Atem gekommen, mit einem kurzen, hochmütigen Kopfruck zu Uexküll und diesem damit gewissermaßen gestattend, nun auch seinerseits in die Debatte zu greifen) Verehrtester Herr Baron?

Onkel Ludwig: (dem erst jetzt, ganz empört, die Worte kommen; wieder Hand an der Hüfte) Wenn du hier . . . meinst, und du glaubst . . .

Uexküll: (ihn beeilt-hastig unterbrechend; auf einmal gänzlich veränderte Frontstellung; nicht ohne eine gewisse Schärfe) Ich glaube, falls Herr Doktor Brodersen gestattet, vielmehr, ganz im Gegensatz zu ihm, absolut konstatiert zu haben, daß bereits bevor die Katastrophe eintrat, die materialisierte Erscheinung auf einen kurzen Augenblick hinter den Vorhang vollständig . . .

Georg: (dieses Wort wie mit einer Lanzette aufpiekend) »Vollständig?«

Uexküll: (bestätigend nickend und in seiner Überzeugung weiter) Vollständig ins Kabinett zurückgetaucht war, nehme an, daß sie sich mit ihrem Medium schon hier wieder vereint hatte, und möchte nun daraus folgern, daß es sich zuletzt . . .

Georg: (ihm seinen Satz, seiner Gewohnheit gemäß, ungeduldig abnehmend und beschleunigt schließend) Nur noch um das transfigurierte Medium selbst gehandelt hat!

Uexküll: (wieder bestätigendes Nicken) Ganz recht!

Onkel Ludwig: (mit dieser Erklärung, kein »Spielverderber«, durchaus ebenfalls zufrieden) Das kann allerdings auch sein!

Georg: (bissigst-sarkastisch) Mit andern Worten, drei Menschen und sieben Meinungen! (hinter dem großen Mittelsessel, dessen Rücklehne er mit beiden Händen packt, und nun, sich permanent steigernd, seine eigne Überzeugung präzisierend) Von einem vollständigen Verschwinden der Erscheinung, und sei s auch nur auf einen Moment, habe ich mit meinen Augen nichts bemerkt, die von mir ergriffne Person oder Gestalt, ich bleibe dabei, entpuppte sich als das Medium, die flüchtig übergeworfne »duftig weiße Kostümage«, angeblich sogenannt transzendentaler Herkunft, lagert für jeden, der sich mit diesem angenehmen, wahrscheinlich deutsch-völkisch-vaterländischen Textilfabrikat etwa noch zu befassen und zu beschäftigen wünscht, zum kläglichen Klumpen geballt, (verächtlich-zornige Kopfbewegung schräg vorn nach rechts) hinter wohlverschlossner Tür, drüben . . .

Onkel Ludwig: (wieder vollständig bei der Sache; in seine Atempause; ähnlich wie bereits in der ersten Szene, da er alles übrige leider zugeben muß) Und das . . . Kettchen?

Georg: (überzeugt-nachdrücklichst, fast höhnisch) Würde der Betreffende dann schon noch finden!

Onkel Ludwig: (nach dieser Richtung durchaus nicht seiner Meinung; ihn groß anstarrend; allerstärkst) Das hältst du für so sicher?

Georg: (den Sessel noch fester packend und ihn mit einem Ruck vor sich hinstoßend) Jedenfalls und vor allem! (wieder auf und ab; von neuem sich schnell und heftigst steigernd) Diese famose, bräutliche, indische Schleierdraperie, mit der man uns nun aber auch total fraglos, wie ich mich inzwischen überzeugt habe . . .

Onkel Ludwig: (aufhorchend-ungläubig) »Inzwischen überzeugt?«

Georg: (der sich jetzt vor Zorn kaum noch kennt; über seine Zwischenfrage hinweg; immer mit den entsprechenden Gesten) Dieser gemeine, buntschillernde Fetzen, den du noch extra mit rübergeschleppt hast . . . die ganze Zeit drin war er mir mein besondres Pläsier . . . dieser lächerliche Lappen, daran gibt s nichts mehr zu drehn und nichts zu deuteln, war von der »Dame des Hauses«, (ziemlich naher, kurzer Autolaut) aus irgend einem Anlaß, oder Antrieb, über den ich mir . . . (plötzlich unversehns zu Uexküll rüber, der mit aller Energie seine Fassung bewahrt) Sie müssen schon entschuldigen . . . zu meinem Bedauern noch immer nicht recht klar bin, der aber, wie ich unbedingt glaube annehmen zu dürfen, erst ganz kurz, ja vielleicht sogar erst fast unmittelbar vorher, an sie von außen herangetreten sein mußte, in unsern bescheidnen Kreis der Harmlosen vorsorglich eingeschmuggelt worden, (wieder jetzt einen Moment hinter dem großen Mittelsessel, wie vorhin; letzte wuchtigste Steigrung) wo also, und das ist für mich die ausschlaggebende Hauptsache, wo also lag diesmal zwischen Phänomenen und Betrug, zwischen Betrug und Phänomenen die, oder vielmehr eigentlich überhaupt eine Grenze?!

Onkel Ludwig: (völlig ratlos; Seitenbeschwerde; alle vier Worte schwer betont) Ja, wer soll das . . .

Uexküll: (mit dem vergeblichen Versuch, für die Abwesende, wenn auch keinen Entschuldigungsgrund, so doch wenigstens irgend etwas dem ähnliches zu konstruieren) Die Psychologie . . . aller solcher Medien scheint mir eine so diffizile . . .

Georg: (losbrechend; einen Moment sich völlig vergessend) Unsinn! . . . (auf eine unwillkürlich stutzende Bewegung des so rücksichtslos von ihm Angefauchten die Gewalt über sich sofort wieder gewinnend und, seinen Gang abermals aufnehmend; fast in dessen Tonfall) Das heißt . . . Pardon! Verzeihung! . . . (von neuem sich steigernd) Das Vertrauen, das ich in meine Versuchsperson setzte, und das ich . . . wie ich bis zum heutigen Tag der festen Überzeugung war, in sie setzen durfte, war ein so blindgläubiges, daß mir durch die Beweiswucht auch nur dieses einen einzigen, doch bloß durch puren Zufall offenbar gewordnen, kindischen Schwindelmanövers meine ganze Untersuchungsreihe . . . (sich den Rest seines Satzes erbittert schenkend).

Onkel Ludwig: (dem dies »Ausschütten des Kindes mit dem Bade« absolut nicht in den Kopf will; knurrend-mißbilligend; erneuter Seitenstich) Da könnt ich ja ebensogut mein ganzes »System« . . .

Georg: (dem diese »Parallele« noch grade gefehlt hat; mitleidslos) Wozu ich dir ehrlich und aufrichtig . . . und zwar von ganzem Herzen . . .

Onkel Ludwig: (von neuem zu Uexküll; über Georgs empörende Häßlichkeit zu ihm ganz entsetzt) Haben Sie wieder gehört?

Uexküll: (über seine Beschwerde hinweg; einen Moment mit Georg, trotz dessen im Augenblick gradezu fast abstoßender Härte, unwillkürlich und ehrlich mitempfindend) Es wäre doch . . . bedauerlich und aufs tiefste beklagenswert, wenn Herr Professor sein großes Werk, dessen . . . grundlegende Bedeutung ich erst jetzt . . .

Georg: (der seine Worte kaum hört; letzte verbissen-grimmigste Steigerung) Aus! Ex! . . . Futschikato! . . . Hin zum übrigen! (in diesem Augenblick, nebenan, die Stimme Dufroys; etwas unwillig. »Wenn du absolut darauf bestehst?« Stimme Mariannes: »Ich befinde mich vollständig wohl und munter!« Wieder, wie vorhin, die Stimme Dufroys: »Gut! Frag ihn ! Frage Georg selbst ! Er wird dir nur bestätigen . . .« Georg, der sofort stehngeblieben war und, wie auch die übrigen, aufgelauscht hatte, sich wieder in Bewegung setzend; kurz; triumphierend, daß seine so bestimmte Voraussage, wie es den Anschein hat, bereits in Erfüllung gegangen; dabei zugleich fast wegwerfend-verächtlich) Wie ich Ihnen sagte! Ich halte diese ärztlich-väterliche Fürsorge und Prophylaxis zwar für völlig überflüssig, aber . . . (wieder, während Georg von neuem unwillkürlich stehnbleibt, die Stimme Mariannes; seltsam rührend und weich: »Siehst du? Es geht schon! Es geht ganz gut!« Georg, zu den beiden übrigen, gedämpft und nun etwas hastig) Sollte die Patientin, (wieder in Bewegung) wie es fast den Anschein hat, jetzt hier eintreten, so bitte über den letzten, lieblichen Kuddelmuddel, in den ich mich unter keinen Umständen noch mal verstrickt sehn möchte, selbstver ständlich . . .

Uexküll: (schnell; ebenfalls etwas gedämpft; mit einem scheu-unruhigen Blick nach der Tür links rüber) Und das restierende . . . Privatissimum . . . ?

Georg: (ohne wieder stehnzubleiben; lässig-knapp) Schenken Sie mir dann noch!

Uexküll: (ähnlich; während sich die Türklinke bereits senkt) Selbstver ständlich!

Dufroy: (Arm in Arm im Türrahmen mit Marianne; man merkt seinem Ton, der noch immer ein leis unmutiger ist, an, daß er ihr nur sehr widerwillig ihren Wunsch erfüllt hat; mit einem sich schnell informierenden Blick über die Anwesenden: Uexküll, gefaßt-aufrecht, etwas nach vorn rechts, Onkel Ludwig in seinem Sessel nach den Eintretenden halb zurückgedreht und Georg, Marianne und Uexküll schärfst beobachtend, ziemlich nach der Ecke zu, vor dem ersten, offnen Fenster links) So! . . . Da sind die Herren!

Uexküll: (sich verbeugend ; prononciert-respektvollst) Allergnädigstes?

Onkel Ludwig: (zärtlichst-»schalkhaft«) Kuck einer an!

Marianne: (nachdem sie fragend-forschend von einem zum andern geblickt; mit heimlicher Angst zu Georg rüber, dessen seltsames Schweigen sie lebhaft beunruhigt) Nun?

Dufroy: (mit einem kurzen, entsprechenden Blick zu ihm, wie um ihn noch mal an sein gegebnes Wort zu erinnern) Sie will durchaus von dir wissen . . .

Georg: (ihn nicht erst ausreden lassend; mit äußerster Selbstbeherrschung; nach dem großen Mittelsessel) Du wirst noch müde sein! Möchtest du dich nicht setzen?

Marianne: (durch dieses offenbare Ausweichen von ihm noch besorgt-beunruhigter; erschreckt-irritiert-unsichrer Blick über alle Anwesenden; Auto) Es . . . scheint also . . . doch, oder . . . ? (der Vogellärm von hier ab wieder stärker und zeitweise fast unangenehmst schrill).

Dufroy: (da sie an seinem Arm jetzt fast wankt; mit sanfter Gewalt sie um den Sessel Onkel Ludwigs führend) Stütz dich ganz fest auf mich! Ganz fest!

Marianne: (die, wieder halb ohnmächtig, kaum noch imstande ist, auch nur ihre Füße zu setzen) Ich . . . weiß nicht . . . daß mir grad heute . . .

Dufroy: (nachdem er sie an Georg vorbei, der sie stumm an sich vorüberläßt, glücklich bis hinter den Tisch gebracht; ihr den Sessel rückend; so mild-behutsam als möglich) Der alte, einstmalige Ehren-, Ruhe- und Würdesitz des Hauses!

Onkel Ludwig: (nachdem sie sich, ganz erschöpft, niedergelassen; seinem »Herzblatt« und »Liebling«, froh, sie jetzt wenigstens wiederzuhaben, die kleine, kraftlos-blasse Patsche streichelnd) Schatzel!

Dufroy: (der inzwischen den Sessel rechts ergriffen und sich grade setzen will; sich noch rechtzeitig seiner Pflicht gegen den gemeinsamen »Gast« erinnernd; Uexküll dabei unwillkürlich mit einem fast scheu-eindringlich-prüfenden Blick messend) Herr Baron?

Uexküll: (als hätte er diesen Blick gar nicht bemerkt; den Sitz Dufroy zuvorkommend überlassend) Exzellenz?

Dufroy: (nachdem er Uexküll nochmals mit seinem Blick gestreift) Na . . . (sich setzend; wie etwas noch nachträglich mit aller Energie in sich runterschluckend; nach Georg rüber, der jetzt vor dem offnen Fenster links in den mehr und mehr sich färbenden Spätnachmittag sieht) einem Schwergeprüften!

Marianne: (die wieder sofort aufgehorcht hatte) Du sagst das . . . so seltsam und . . . sonderbar . . .

Dufroy: (über seine eigne Unvorsichtigkeit ungehalten) Du mußt mir nicht jedes Wort . . .

Marianne: (sich jetzt nicht mehr beruhigend; in seinen und Onkel Ludwigs Mienen nach dem, was sich während ihrer langen Ohnmacht und Bewußtlosigkeit zugetragen, vergeblich zu lesen versuchend; mit »klopfendem Herzen«) Hat euch die Sitzung . . .

Dufroy: (nicht fähig, so sehr er dies im Moment am liebsten möchte, durch eine direkte und mutige Lüge ihr die heimliche Angst, die sie quält, schon seit sie wieder aufgewacht, mit einem Ruck zu benehmen) Die Sitzung war sehr schön, und . . . manches . . . hat mich sogar überzeugt . . .

Marianne: (zu Georg; halb nach ihm zurückgedreht; ganz befremdet) Du . . . schweigst?

Georg: (sich notgedrungen ebenfalls halb umwendend; jetzt aber schon etwas weniger beherrscht und ohne sie anzublicken) Es mag dir vorläufig genügen, daß auch dein anfänglicher Widersacher, Herr Baron . . .

Uexküll: (beeilt-zuvorkommend) Ich schließe mich Exzellenz durchaus mit größtem Vergnügen und allerehrerbietigst an!

Onkel Ludwig: (zu Marianne, die unter Georgs Antwort unwillkürlich sofort schaudernd zusammengezuckt war; besorgt-erregt) Du zitterst? . . . Du frierst?

Dufroy: (ähnlich; wenn auch maßvoller) Falls du wünschst, daß wir die Fenster . . .

Marianne: (mit einer leisen Abwehr zu Uexküll rüber; ihn an seinem Platz zurückhaltend; wie eine nach schwerster Krankheit noch ganz müde und ermattete Rekonvaleszentin; stärkerer Windzug, nochmals Tropfen) Die frische Regenluft . . . ist so angenehm . . .

Georg: (dem diese vermeintliche »Komödie« von ihr denn doch bereits zu weit geht; durch die Zähne; ihren Tonfall so verbissen als nur irgend möglich travestierend) Und die Vögel singen so schön . . .

Dufroy: (mit einem empört-mißbilligenden Blick, der aber Georg nur in den Rücken trifft) Es sind zwar nur unsre lieben Spatzen . . .

Georg: (noch ergrimmter) Auch diese loben Gott, den Herrn!

Onkel Ludwig: (schon aufstehend und in seiner nun noch gesteigerte Angst und Besorgnis alles Geschehne vollständig vergessend) Nein, nein, Kindchen! Du . . . schutterst ja ordentlich! (bereits stakrig auf dem Weg nach der Tür links; Hüfte) Da muß ich doch gleich . . . (Auto).

Georg: (dem blitzschnell aufgeht, welche gradezu unglaubliche Dummheit der in seinem momentanen Zustand einfach Unzurechnungsfähige jetzt wahrscheinlich zu begehn vor hat; energisch zurückgedreht; »a« kurz und schärfst betont) He, Holla! Wohin? Wohin?

Dufroy: (durch Georgs Tonart plötzlich nach derselben Richtung ebenfalls stutzig) Du wirst doch nicht etwa . . . ?

Onkel Ludwig: (schon an der Tür; auf Dufroy gar nicht achtend; grob-aufgebrachte Geste nach Georg zurück; seine Seitenbeschwerde macht ihm wieder lebhaft zu schaffen) Das geht grade dich an!

Uexküll: (nachdem er dem Verschwundnen, einen Augenblick, fast wie entsetzt, nachgestarrt; fragender Blick zu Dufroy und Georg rüber) Soll ich nicht . . . vielleicht doch . . .

Marianne: (ganz bestürzt von einem zum andern) Was . . . ist?!

Georg: (vor sich hin; halblaut-grimmigst) Dieser . . . Taper!

Dufroy: (nach ihr rübergebeugt und ihr sanft den linken Unterarm streichelnd) Nichts, Liebling! Nichts! . . . (beruhigend und dabei gleichzeitig doch besorgt-unruhiger Blick nach der etwas offen gebliebnen Tür) Onkel Ludwig . . .

Marianne: (die seinem Blick gefolgt war; mit großen Augen ihn anstarrend) Warum sollte eben . . . Onkel Ludwig . . .?

Dufroy: (diesmal ganz gegen alle Wahrheit und sein Gewissen) Wir haben ja nichts dagegen!

Marianne: (schnell, aufgeregt; bald zu ihm, bald zu Georg rüber; sich sofort fast bis zur höchsten Verzweiflung steigernd) Doch! . . . Doch!! Ihr . . . verbergt vor mir etwas! Ich soll das nicht wissen! Ihr habt ein Geheimnis!

Dufroy: (gemacht-harmlos; so »unschuldig« als nur möglich) Närrchen! (in diesem Augenblick, das corpus delicti auf beiden Händen behutsamst vor sich hertragend und noch gänzlich ahnungslos, was er anzurichten im Begriff steht, Onkel Ludwig wieder im Türrahmen; Marianne, die in blitzschneller Rückerinnrung an das heute nacheinander von ihrem Vater, Georg und Uexküll Gehörte diesen »buntschillernden Fetzen« sofort mit Mariette und jenem siebzehnten Märzabend in Zusammenhang bringt, schrickt merkbar zusammen und sucht mit einem seltsam unsicher gleitenden, entsetzt forschenden Blick erneut in aller drei Mienen zu lesen).

Onkel Ludwig: (unbeholfen näher; Vogellärm schwächer) Du darfst mir hier doch nicht . . . totfrieren?!

Marianne: (halb noch Schreck, halb schon gemacht-»berauschtes Entzücken«) Aah . . .!

Onkel Ludwig: (dem, halb durch ihren Laut, der ihn ganz sonderbar berührt, halb durch die merkwürdig abweisend-strengen Mienen der drei übrigen, deren Augen er auf sich gerichtet sieht, plötzlich die Erkenntnis aufsteigt, was er vermutlich für eine Riesendummheit begangen; erst auf das »Unglücksbiest«, dann auf die Korona starrend; gedeppt-kläglich; zweites »a« kurz und betont) Ja . . . Ja . . .

Marianne: (nach ihm vorgebeugt; jetzt schon mit einem Gemisch von im Moment fast aufrichtiger Freude) Ist das ein schönes . . . Schleiertuch!

Georg: (der aus Zorn über ihre Verstellung, der er allerdings ganz andre Gründe zuschreibt, kaum noch an sich halten kann; seinen Gang wieder aufnehmend; erbittert-höhnisch zu Onkel Ludwig rüber) Wenn du glaubst, daß das so . . . besonders warm hält?

Dufroy: (zu Onkel Ludwig, der noch immer wie verdattert dasteht) Also nun gib s ihr doch schon!

Onkel Ludwig: (ihr mit zitternden Händen ihren Wunsch erfüllend; »a« kurz, »u« länger und betont) Ja nu . . .

Marianne: (die sich mit dem Schleier, halb unbewußt weiblich-kokett, schmückt; ihn nun aufrichtigst und ehrlichst bewundernd) Weißbunter, glitzernder, silbriger Seiden-musselin!

Dufroy: (auf ihre, wie er der ganzen Sachlage nach ja ebenfalls glauben muß, »Verstellungskomödie« als kluger Arzt ohne weiteres eingehend) Gefällt er dir?

Marianne: (noch gesteigerter, als vorhin; sich wirklich in ihm »wohl«fühlend) Herrlich!

Onkel Ludwig: (wieder rührend-tolpatschig; mit einem »vielsagenden« Blick zu Uexküll) Wie eine Braut im Hochzeitsstaat!

Dufroy: (selbst auch noch hier wieder mitmachend) Wahrhaftig!

Uexküll: (als Dritter im Chorus, mit ganz besondrem Genuß) Genau so!

Georg: (schneidendster, durch die Luft wie ein Peitschenhieb sausender Hohn; Auto) Schade, daß man nicht gleich gratulieren kann!

Marianne: (durch diesen Ton wieder stutzig; fragend-erstaunt; während die übrigen, über Georg noch ganz starr, sich untereinander ansehn; erneut schriller Vogellärm) Wo kommt dieser . . . wundervolle Prachtshawl . . . mit einmal her?

Georg: (mit noch gesteigertem Ingrimm; immer dabei auf und ab) Jaja! Wo kommt der mit einmal her?

Marianne: (nach ihm zurückgedreht, ebenfalls noch gesteigerter als vorhin) Du bist so . . . heftig . . . ?

Dufroy: (ablenkend zu Onkel Ludwig, der sich, die Hand wieder an der Hüfte, kaum noch auf den Beinen halten kann; entsprechende Geste nach dessen Sessel) Nun bleibt dir doch nichts mehr übrig . . .

Onkel Ludwig: (sich setzend; tiefst bedrückt) Ich hab mir . . . gedacht . . .

Georg: (losbrechend; Radfahrer, schrillst) Jedem Menschen, der »denkt« . . . sollte man überhaupt den Hals umdrehn!

Dufroy: (sein Verhalten, nervös, aufs schärfste mißbilligend und ihn zugleich damit, indirekt, energisch an sein gegebnes Wort erinnernd) Bitte, wenigstens mäßige dich jetzt noch!

Georg: (dem dieser »Rüffel«, angesichts der für ihn »Unerhörtheit der Situation«, nichts reuiger als »berechtigt« vorkommt; womöglich noch stärker) Ich bin die Ruhe und Mäßigung selbst!

Marianne: (der, so verworren und unklar alle diese Reden, Anspielungen und Andeutungen auch für sie sind, doch immer deutlicher und klarer wird, daß in der relativ kurzen Zwischenzeit, über die sie sich keine Rechenschaft abzulegen vermag, irgend etwas Allerschwerstes und Schrecklichstes vorgefallen sein muß; wieder von einem zum andern; Uexküll dabei immer instinktiv vermeidend und ganz aufgeregt) Was ihr sprecht . . . klingt alles so merkwürdig . . . Was habt ihr bloß?

Onkel Ludwig: (üblich ungeschickt) Gott, na . . .

Dufroy: (ihn für alle Fälle doch lieber unterbrechend; nun schon gradezu mit dem Mut der Verzweiflung) Wirklich! Aufrichtig! Nicht das Geringste! Wir . . . freuen uns nur . . .

Georg: (der sich noch immer nicht wieder beherrschen kann; in einem Tonfall, daß es selbst Uexküll einen Moment eiskalt über den Rücken läuft) Auch die berechtigtste Freude . . . muß mit ihrem beredten Jubel . . . doch schließlich Maß und Ziel halten können!

Marianne: (der dieser Ausbruch einen Augenblick lang fast den Atem verschlagen; mit aller Energie sich zusammenraffend; fest entschlossen, von ihrer verlangten Aufklärung nun unter keinen Umständen mehr abzustehn) Was ist . . . seit ich in dieser Sitzung . . . ?

Georg: (schärfst-brüsk) Nichts!!

Marianne: (noch energischer als vorhin; mit einer Kraft, die ihr vielleicht niemand von den Anwesenden bis dahin zugetraut) Ich will . . . und muß das jetzt . . . unbedingt wissen!

Dufroy: (mit dem vergeblichen und noch dazu in seiner Konsterniertheit ganz und gar ungeschickten Versuch, ihr ihre Fordrung, und wenn auch nur für den Augenblick, auszureden) Du wirst ja alles . . . durch mich erfahren! Dir soll nichts verschwiegen werden! Nur . . .

Marianne: (die sofort, mißtrauisch, gestutzt hatte) Durch . . . dich?!

Dufroy: (sich jetzt nur noch unglücklicher und noch mehr verhaspelnd) Durch mich, oder durch jemand andern! (entsprechende, überflüssig lebhaft ausgeprägte Gesten) Durch Herrn Baron, oder durch Onkel Ludwig!

Marianne: (mit einem erstaunt-fragenden Blick nach Georg rüber, der, ihr jetzt den Rücken drehend, vor seinem Fenster links wieder stehngeblieben) Wes-halb nicht . . . durch . . . ? (abbrechend; noch unruhiger; nach einer kleinen Pause, wie zu sich selbst) Ich . . . muß mich doch . . . darauf besinnen können?

Georg: (durch ihre letzte Wendung die Herrschaft über sich fast wieder verlierend) Vielleicht? Wenn du gründlich nachdenkst . . .?!

Marianne: (sich mit aller Energie jetzt zu erinnern versuchend; zum erstenmal direkt zu Uexküll rüber, der ihr für diese endliche Notiznahme von seiner Persönlichkeit mit einer leichten, kaum merklichen Verbeugung quittiert; Georg sofort wieder nach beiden zurückgedreht) Herr Baron . . . hatte sich plötzlich . . . eigenmächtig erhoben . . .

Dufroy: (gequält-erregt; in der mehr als verständigen Absicht, sie von diesem für sie so gefährlichen Thema wieder abzubringen) Laß!

Marianne: (in ihrer Erinnrung weiter) In der allgemeinen Zänkerei . . . die sofort darüber entstanden war . . .

Dufroy: (noch besorgter) Laß!!

Marianne: (wie vorhin) Hatte ich mich abseits gesetzt . . .

Dufroy: (aus seinem selben Bemühen; noch gesteigert) Es ist wirklich und wahrhaftig für dich besser . . .

Marianne: (den Moment wie noch einmal erlebend) Dann erklang zu meinem Schrecken . . .

Dufroy: (verzweifelt in seinem Sessel hin und her; beide Hände auf dessen Lehnen; nervös-unruhigstes Fingerspiel) Herr . . . Gott!

Marianne: (von einem erneuten Schauer gepackt; zuerst zu Onkel Ludwig, dann zu Georg, der sie wieder aufs mißtrauischste beobachtet) Diese ernste . . . eherne . . . unerbittliche Melodie, die mich schon die vergangne Nacht . . .

Onkel Ludwig: (der ihr mit großoffnen Augen zugehört; sich mit der Rechten, wie in auf einmal heftigster Empörung auf sich selbst, vor die Stirn schlagend) Is ja wahr! Is ja wahr! . . . Und ich hatte . . . in meinem Unverstand . . .

Georg: (seinen Reueerguß unterbrechend; höhnisch-hochmütig, fast verächtlich) Diese etwas verspätete Erkenntnis dämmert dir erst jetzt?

Marianne: (etwas vor sich über den Tisch gebeugt, die Augen gleichsam ins Leere und wie bereits nach einem ganz bestimmten, letzten Erinnrungsmoment suchend) Ich wehrte mich . . . wie aus einem dunklen Grauen . . . mit aller Macht . . .

Dufroy: (sich nochmals aufraffend und ihr wieder ins Wort) Nun hör doch schon auf!

Georg: (der jetzt immer aufmerksamer geworden und sogar etwas mehr vorgetreten, um sie von der Seite besser beobachten zu können; schärfst, fast heftig) Unterbrich sie nicht!

Marianne: (dem gesuchten Erinnrungsetwas schon beinahe auf der Spur) Und dann . . . (in ihren Sessel wieder zurückgelehnt, die Augen geschlossen, und die Linke wie schmerzlichst vor der Stirn) weiß ich nur noch . . . (abbrechend und nach einigen Sekunden, die Augen wie erschreckt wieder weit auf, von neuem) War es nach Stunden . . . oder Sekunden . . . oder einer halben Ewigkeit? . . . (letzte, ihren ganzen Körper wie durchwühlende Steigrung) Einen Moment, einen kurzen, schrecklichen Moment lang, lag ich wach . . . (einen Augenblick, beide Hände am Herzen, wieder nach Georg rüber) Du beugtest dich über mich . . . ich empfand einen Schmerz . . . einen furchtbaren Schmerz, der jetzt . . . wieder ist . . .

Dufroy: (angstvollst aus seinem Sessel und die fast wieder in Ohnmacht Gefallne mit beiden Armen stützend) Kind!

Onkel Ludwig: (zitternd ebenfalls aufgestanden und von seinem Platz nach ihr rüber) Herzchen!

Uexküll: (verhalten-empört, gepeinigt zu Georg rüber, der mit steinerner Ruhe die Szene beobachtet) Herr Professor sollten jetzt wenigstens . . .

Dufroy: (jetzt ebenfalls zu Georg rüber; ähnlich) So hilf uns doch!

Marianne: (wieder zu sich gekommen; von neuem zu Georg und sich abermals steigernd) Du hast mich . . . oder das Phantom . . . das Phantom . . . oder mich . . . gegen alle Vernunft . . . gegen jede Voraussetzung und Bedingung . . . du hast nach ihm zugepackt . . . und dabei mich . . . ergriffen!

Georg: (von dem allen noch immer, wie völlig unberührt; finster-forschendst) Wer sagt dir das?

Marianne: (die Linke am Herzen, die Augen wieder geschlossen) Der . . . Schmerz . . . den ich hier fühle!

Onkel Ludwig: (in seinem Sessel, Hand an der Hüfte, wieder zurücksinkend) Puttchen! Puttelchen!!

Dufroy: (Georg beschwörend, unterdrückt-heftig) Ich bitte dich, nun endlich . . .

Uexküll: (ebenfalls zu Georg; Dufroy von sich aus konform) Sie sehn, wie wir hier machtlos . . .

Marianne: (aus ihrem völligen Unschuldsgefühl heraus mit schwerstem, klagendstem Vorwurf) Warum . . . tatest du das? Warum hast du dein Wort . . . das du dir hundertfach selbst gegeben . . .

Georg: (ihr ins Gesicht; ausbrechend; beide Fäuste geballt von sich ruckend und, hinter Onkel Ludwig vorbei, erbittert-ergrimmt bis in den Vordergrund links) Komödie!!

Marianne: (der der Laut auf den Lippen stirbt) »Ko . . . ?«

Georg: (vorn links, nach ihr zurückgedreht, stehngeblieben) Aus welchem Grund . . .

Dufroy: (noch immer neben Mariannes Sessel; seine Tochter jetzt wie gewissermaßen vor ihm schützen wollend) Ich ersuche dich dringend als Arzt . . .

Georg: (mit noch erhobnerer Stimme; nochmals zu seiner Anklage ausholend) Aus welchem Grund . . .

Uexküll: (hastig-verwarnendst; nun auch seinerseits ihm ins Wort) Herr Professor hatten vor wenigen Minuten selbst . . .

Georg: (für alles taub; von Marianne, die ihn wie entgeistert anstarrt, kein Auge lassend; vor innerster Empörung fast zitternd) Machtest du uns hier eben das törichte Spiel vor?

Dufroy: (ähnlich wie vorhin; mit dem ganzen Aufgebot seiner Autorität; seine Stimme überschlägt sich fast) Ich verbiete dir als Vater . . .

Marianne: (klagend-hilflos; bei allen sich umblickend; halb wie irr) Welches »törichte Spiel«?

Uexküll: (wahrend Onkel Ludwig, von alldem ganz blöde, wie nach Luft ringt; Georg jetzt fast ansehend; allereindringlichst) Herr Professor mußten doch sehn, daß hier von einem »Spiel«, daß von einer »Verstellung« . . .

Georg: (zum drittenmal anhebend; mit letzter Energie) Aus welchem Grund, ich frage dich jetzt direkt und ohne alle Umschweife, hattest du diesen Schleier, bevor du heute nachmittag zu unsrer Sitzung runterkamst, zu dir gesteckt?

Marianne: (nachdem sie das Gespinst sich, schaudernd-blitzschnell, abgerissen; in fassungslosem Entsetzen) Diesen . . . Schleier??!

Onkel Ludwig: (zu Georg rüber; erst jetzt wieder zu sich gekommen; aus tiefster, gerechtester Herzensempörung; drohende, flackernde Geste mit der Rechten) Das . . . wirst du . . . bereuen! . . . Das . . . wirst du . . .

Uexküll: (der nun auch kaum noch an sich halten kann; sich auf die Lippen beißend) So eine . . .

Dufroy: (halb über Marianne gebeugt, die in ihrem Sessel wieder zusammengebrochen liegt, nach ihm rüber; jetzt ebenfalls mit ihm einen Moment vollständig »fertig«) Na, weißt du!

Marianne: (schwach, die Augen wieder geschlossen, die Hand von neuem am Herzen) Es . . . wird schon . . . vorübergehn!


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