Arno Holz
Ignorabimus
Arno Holz

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Uexküll: (der auch jetzt noch nicht ahnt, worauf sie damit hinaus will; noch immer, indem sie sich beide dabei anblicken) Ganz recht! Und ich folgre also daraus . . . noch heute . . .

Marianne: (energisch nickend) Gewiß! Unbestreitbar! Aber bei ihrem sprunghaften Temperament, bei ihren jähen, plötzlichen Entschlüssen, die sie immerfort wechselte, ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sie sich dieses tödlichen Mittels, sobald sie auch nur einigermaßen wieder zur Besinnung und zu sich gekommen wäre . . .

Uexküll: (ihr für ihre Frage von vorhin jetzt quittierend; einen Moment fast mokant) Das . . . wissen Sie ebenfalls so genau?

Marianne: (mit letzter, äußerster Selbstsicherheit und Bestimmtheit) Nach der von ihr ganz fraglos, wenigstens für mich und mein Empfinden, rein instinktiv erfolgten Mitnahme (entsprechende Geste) dieses Schleiers zu schließen, ja! (nun womöglich noch gesteigert) Mit diesem Hochzeitsschleier ihrer Mutter kann es ursprünglich nur ihr Plan oder ihre Absicht gewesen sein, ihr junges Leben . . .

Uexküll: (alles übrige bereits erratend; sie unterbrechend; bewegt) Sie . . . glauben? . . . Sie . . . meinen?

Marianne: (langsam; schwerst; fast jedes Wort nachdrücklichst betont) Noch keine fünfzig Schritt weit von hier, zwischen steinernen Quaimauern, mit widerwärtgem Wasser, schlammig und scheinbar bewegungslos, strömt der Kanal!

Uexküll: (noch unter dem stärksten Eindruck des eben Gehörten) Jaja, aber . . .

Marianne: (in ihrer Beweisführung, sich fortwährend wieder steigernd, weiter) Schon gleich und damals, so schrecklich und verzweifelt es auch in ihr ausgesehn haben muß, hatte ihr zur schließlichen Ausführung ihres traurigen Vorhabens im letzten, entscheidenden Augenblick . . . die Kraft gefehlt! Sie war im Dunklen mit sich ringend in dieser einsamen Gegend wahrscheinlich trostlos auf und ab geirrt . . . und erst . . . nachdem sie gemerkt . . . nachdem sie sicher schaudernd gefühlt . . . daß ihr der Tod in dieser Form . . .

Uexküll: (wie vorhin; nur noch gepackter) Er ist für uns Menschen . . . in aller und jeder Gestalt und Form . . .

Marianne: (von neuem; ihre Deduktion schließend) Sie hatte also den Mut, der zu der schrecklichen Ausführung eines solchen Entschlusses ganz unstreitig gehört, schon einmal nicht gehabt, und es kommt mir daher . . . eigentlich . . . so gut wie ganz und gar ausgeschlossen vor . . .

Uexküll: (sich noch mal und mit letzter Kraft wehrend) Mag sein! Ich kann Ihre Beweisführung . . . (abbrechend und sofort weiter) Nur begreife ich . . . verzeihn Sie, leider noch immer nicht . . . wieso grade ich es gewesen sein soll . . . der dann an diesem späteren . . . tragischen Ausgang . . . (Auto).

Marianne: (mit sich ringend; jetzt zu ihm bereits fast wie aus einem gewissen Mitgefühl) Sie sollen es wissen! . . . Ich will Sie nicht länger . . . Sie dürfen unmöglich im unklaren bleiben, was Sie mit Ihrer damaligen »Weltabwertung« . . . allein schon in diesem einen Einzelfall . . .

Uexküll: (von ihrem Ton immer beunruhigter; trotzdem, mit aller Gewalt, nochmal, sich zusammenraffend) Ich bin kein Heiliger! Ich habe die Welt, in die eingesperrt wir nun einmal leben, nicht grade als Kloster angesehn! Vor mir und meinem Gewissen . . . trotzdem, ich kann es Ihnen nur wiederholen . . . war ich mir irgendeiner Schuld, oder auch bloß eines Unrechts . . . es sei denn, daß man diesen Begriff nach unsern im Moment bestehenden Zivilgesetzen rein juristisch faßt . . . wenigstens damals . . . nicht bewußt gewesen!

Marianne: (ausholend; wie vorhin; nur noch gesteigert) Sie tun mir fast leid! . . . Sie dauern mich! . . . Aber so grausam es Ihnen auch klingen wird . . .

Uexküll: (durch ihre Worte, und fast noch mehr wieder durch deren Ton, elementar berührt; nun, ohne daß er sich dagegen zu wehren vermag, wie bereits auf etwas gefaßt, vor dem ihm schauert) Sprechen Sie! Durch nichts . . . weiß ich, bin ich es wert . . . daß Sie mich schonen! . . . Ich habe heute . . . im Verlauf dieser wenigen, letzten Stunden . . . bereits so viel erfahren . . . und innerlich durchgemacht . . . ich bin als Mensch . . . ein so gänzlich andrer geworden . . .

Marianne: (stark; ihn vollst anblickend; mit wieder sich bis ins letzte steigernder Eindringlichkeit) Auch um Ihrer selbst willen! Ich muß es Ihnen sagen! Es steht jetzt gar nicht mehr in meiner Macht, es Ihnen zu verschweigen! . . . Die »weiteren Folgen« . . . um die Sie sich an jenem Abend so wenig gekümmert hatten . . . waren derart gewesen . . . daß meine Schwester . . . die ihren Mann geliebt hatte . . . (auf eine dies wie unwillkürlich in Zweifel ziehende Geste von ihm; abbrechend und, fast leidenschaftlichst, sofort wieder weiter) Ja! . . . Sie hatte ihn geliebt! Sie hat ihn geliebt! Mit allen reichen, starken, überströmenden Kräften ihres ganzen Gemüts und ihrer ganzen Seele! Und nur allein aus diesem Gefühl, das sie mit der gleichen Inbrunst und Kraft nicht zurückerwidert geglaubt hatte, und der krankhaft aberwitzigen Vorstellung, sie müsse sich für das, was sie in ihrem eifernden, irrig mißleiteten, für alles andre und übrige blind kritiklosen Überschwang für ein gröbliches, tödlich beleidigendes, schimpflichst entehrendes Verschmähtsein hielt, rächen . . . einzig aus diesem Widerstreit kann ihr ganzes, unglückseliges Verhalten an jenem verhängnisvollen siebzehnten Märzabend, wenn natürlich auch nicht entschuldigt, so doch wenigstens immerhin . . . und sei es auch nur bis zu einem gewissen Grade . . . verstanden und erklärt werden!

Uexküll: (der ihren Worten mit steigender Erregung gefolgt war; aus jetzt nicht länger mehr zurückgedämmter Eifersucht) »Nicht zurückerwidert« und »verstanden und erklärt werden«, weil auch Herr Professor . . . schon damals . . .

Marianne: (stärkst-entschieden; ihn wieder voll anblickend) Das ist nicht wahr! . . . (betreffende Geste) Als er mir in diesem Garten . . . zum erstenmal damals gegenübertrat . . . hat er keine Sekunde lang gewußt . . . daß nicht meine Schwester vor ihm stand . . . ich weilte seitdem von beiden über hundert Meilen weit . . . und mein Weg hätte sich mit seinem nie wieder in diesem Leben gekreuzt . . .

Uexküll: (reuig-schmerzlichst; in diesem Augenblick fast bereits schuldbewußt) Wenn nicht . . . ich . . .

Marianne: (energisch) Ja, Sie! . . . Sie und Ihr »unbekümmertes« . . . wie Sie sich vorhin so zart auszudrücken beliebten ». . . taktisches . . .« (einen Moment fast wie angewidert; abbrechend).

Uexküll: (in ihrem Satz unwillkürlich weiter) » Vorgehn an jenem Abend« . . . zu dem ich mir bereits zu bemerken erlaubte . . . (abbrechend und mit nochmals respektvollst betonter Bestimmtheit sofort weiter) Und ich bedaure auch jetzt . . . nur wiederholen zu können . . .

Marianne: (die ihn nicht ausreden läßt; ihre unterbrochne Eröffnung mit von neuem gesammelter Kraft wieder aufnehmend; die letzten Worte unterstrichenst betont) Die »weiteren Folgen« . . . es scheint . . . Sie ahnen das noch immer nicht . . . waren derart gewesen . . . daß meine arme Schwester . . . nach einem zwei Monate später festgestellten ärztlichen Befund . . .

Uexküll: (durch den es plötzlich wie ein Ruck gegangen; stockend-hastig) Selbst . . . die Richtigkeit . . . die unbedingte Richtigkeit . . . der betreffenden . . . ärztlichen Feststellung . . . zugegeben . . . wer . . . kann . . . und darf behaupten . . .

Marianne: (wie vorhin; nur noch verstärkt; anklagend aufgerichtet) Die Wucht der . . . Tatsachen! . . . Keine Frau, und wäre sie selbst das unglücklichste, exaltierteste Geschöpf der Welt gewesen, hätte sich sonst zu einer so grausigen, gräßlichen, unmenschlichen Entsetzenstat aufreizen und hindrängen lassen!

Uexküll: (auch jetzt aus der Überzeugung, noch nicht überführt zu sein) So sehr . . . Ihre Annahme . . .

Marianne: (dadurch unberührt; zum letzten, entscheidenden Schlag ausholend) Außerdem . . . und dadurch . . . wird mein mehr als Wahrscheinlichkeitsbeweis zu einem absoluten und gewissen . . . erfuhr ich durch Zufall . . . hatten beide Gatten . . . seit jenem verhängnisvollen siebzehnten Märzabend . . . (auf eine wie noch immer, auch selbst dies wieder in Zweifel ziehende Geste Uexkülls; parenthetisch) das Datum steht unverrückbar sicher . . . nicht ein Wort mehr miteinander gewechselt!

Uexküll: (zusammengezuckt; mit vollständig verändertem Stimmklang) »Nicht . . . ?«

Marianne: (noch gesteigert-bestimmter) Nicht ein Wort mehr! . . . Sie sahen sich nur noch bei den Mahlzeiten! . . . Jeder hatte am andern vorübergelebt . . . als ob der andre für ihn Luft wäre! . . . Nach acht Wochen dann . . . heute . . . in dieser nun bald . . . kommenden Nacht . . . vor drei Jahren . . .

Uexküll: (sie entsetzt anstarrend) »In . . . dieser . . .?«

Marianne: (mit erhobner Stimme) In dieser nun bald . . . kommenden Nacht . . . vor drei Jahren . . . plötzlich . . . ereignete sich . . . die Katastrophe!

Uexküll: (mit geschlossen Augen, die Hände gekrampft, den Kopf zurück, als ob er sein Todesurteil empfangen) Und mich . . . trifft die Schuld! Mich . . .

Marianne: (noch wuchtiger) Drei . . . Leben!

Uexküll: (mit der Linken sich über die Stirn streichend; noch mal einen Schritt zurück) »Drei . . . ?«

Marianne: (wie vorhin; bestätigend) Drei herrlichste, prächtigste, blühendste Menschenleben! Von denen jedes . . .

Uexküll: (sie unterbrechend und dabei noch immer, wie halb betäubt, sie anstarrend) »Drei . . .« Ich bitte um Verzeihung, wenn ich ganz ratlos frage, aber . . . »drei . . . ?«

Marianne: (letzte, erbarmungsloseste Eindringlichkeit) Die junge Mutter . . . ein kleines, kaum erst zweijähriges Mädchen Marion, ihr getreues Ebenbild . . . und . . . an den Folgen . . . noch nachträglich . . . ein bereits über viereinhalb Jahr alt gewesner, entzückendster Knabe . . . Georg . . . das Abbild des Vaters . . . (Geste) die hier nun beide noch vergnügt . . . ( Stimme Georgs, nachdem gleichzeitig die Tür des Musiksaals wieder aufgegangen; Uexküll und Marianne horchend. »Es ist zwar völlig überflüssig, aber . . . Gut! Sehn wir nach! Denn . . . wenn das wäre . . .!!« Stimme Dufroys, offenbar zu Onkel Ludwig: »Ein paar Minuten! Ich werde dich nachher . . .« Stimme Onkel Ludwigs, nachdem inzwischen auch noch eine zweite Tür geöffnet wurde: »Karzinom! . . . Karzinom!« . . . Marianne, nachdem, wie es scheint, die zweite Tür sich wieder geschlossen, den roten Widerschein in den Glasschränken bemerkend, sich halb umdrehend; leises Vogelgezirp, eine flötende Amsel) Das schöne . . . Abendrot!

Uexküll: (der sich wieder znsammengeruckt hat; ebenfalls nach den Fenstern hin; mit seltsamstem Stimmklang) Für mehr . . . als einen heut . . . vielleicht . . . das letzte!

Marianne: (betroffen; ihn groß anblickend) Sie . . . sagen das . . .

Onkel Ludwig: (die Rechte gegen seine Hüfte, schwer durch die Tür) Nu werden wir ja bald . . .

Uexküll: (unterstrichen-bestimmt, mit deutlichster Beziehung) Ja! Jetzt wird sich alles bald . . .

Onkel Ludwig: (von seinem Ton angesteckt; trübst vor sich hin; dabei aber dem Augenschein nach nur an sich selbst und seine Seitenbeschwerde denkend) Bewahrheiten und erfüllen!

Marianne: (ihn mitleidig betrachtend; ans innerster Empörung) Du wirst doch hoffentlich . . . nicht glauben . . . was dir das Scheusal . . .

Onkel Ludwig: (was er »weiß«, sich nicht »ausreden« lassend; womöglich noch kläglicher, als nun schon so oft) Karzinom hat sie gesagt! Karzinom!

Marianne: (zusprechend-nachdrücklich) Mein Vater . . . wird dich sofort nachher . . . untersuchen, und du wirst sehn . . .

Onkel Ludwig: (ihr wieder ins Wort; lebhafte, prophetische Geste mit der erhobnen, schlotternden Linken) Dies irae . . . dies illa! Wir sind hier alle . . . »Drei Jahre noch! . . . Noch drei Jahre!« . . . Wie konnte ich alter, hirnloser, dekrepider Schwachkopf . . .

Uexküll: (jetzt innerlich zu einem Entschluß gekommen; zu ihm zurück; den zweiten Satz zu Marianne) Herr Doktor . . . hatten vorhin recht! Ich hätte dieses Haus . . . nie betreten sollen!

Marianne: (fest, hart) Nein!

Onkel Ludwig: (ganz verdutzt-irritiert; zu allen beiden) Gewiß!! Gewiß!! Aber . . .

Uexküll: (bereits eine Visitenkarte in der Hand; nach den Schreibutensilien auf dem Tisch ; wieder zu Marianne) Wollen Sie mir auf dieser Karte für Herrn Professor gütigst einige Zeilen gestatten?

Marianne: (erstaunt, mit aufsteigender Besorgnis) Wozu? . . . Zu welchem Zweck?

Uexküll: (eine der Federn schon in der Hand) Pardon!

Onkel Ludwig: (sich nach seinem ursprünglichen Platz begebend; den Schreibenden dabei kopfschüttelnd halb umkreisend; zuletzt mißbilligend nach der Tür rechts) Seltsam! . . . Seltsam! . . . Mein Neffe . . . muß doch jetzt gleich . . .

Marianne: (die seinem Blick gefolgt war; sich vergewissernd) Georg . . . ist mit Vater . . . ?

Onkel Ludwig: (der sich, jetzt wieder seine Seite haltend, in seinen Sessel setzt; ihre Frage bestätigend; unbestimmte Geste nach der Decke hoch) Sie sind jetzt beide oben in deinem Zimmer, und ich bin überzeugt . . .

Marianne: (zu Uexküll, dessen schreibende Rechte noch über die Karte fliegt) Ich begreife offen gestanden nicht . . . was Sie mit Herrn Professor noch schriftlich . . .

Uexküll: (die Karte, nachdem er sie abgelöscht, in ein vom Tisch genommnes Kuvert praktizierend, das er aber nicht schließt; alles, ohne sich dabei zu setzen) Herr Professor hat nach dem . . . was Sie mir eben eröffnet haben . . .

Onkel Ludwig: (ganz perplex) Er . . . ?

Uexküll: (noch verhalten-bestimmter zu Marianne in seinem Satz weiter) Eröffnet haben, das Anrecht, jede Aufklärung, oder Genugtuung von mir zu verlangen, die ihm etwa wünschenswert erscheinen sollte . . .

Marianne: (fragend einfallend und sofort stockend) Und Sie . . .

Uexküll: (mit einem leichten, bestätigenden Kopfnicken seine Erklärung korrekt schließend) Und ich gedenke jetzt, ihm dieses Anrecht nach keiner Richtung mehr streitig zu machen! . . . (zu Onkel Ludwig; das Kuvert mit der Karte dabei auf den Tisch legend) Falls Sie, Herr Doktor . . .

Onkel Ludwig: (beide Hände am Kopf; vollständig verdattert und hilflos) »Aufklärung?« . . . »Genugtuung?« . . . »Anrecht?« . . . (Auto).

Uexküll: (mit der Miene und in der Haltung eines sich Verabschiedenwollenden) Ich habe die verehrten Herrschaften bereits allzulange . . .

Onkel Ludwig: (mit dem ungeschickten Versuch, ihn zurückzuhalten) Sie werden doch nicht . . . jetzt . . .

Uexküll: (dies völlig ignorierend) Bitte, mich Exzellenz . . . gütigst zu empfehlen!

Onkel Ludwig: (wie vorhin; nur noch gesteigert) Ausgerechnet grade jetzt . . .

Uexküll: (tiefe, respektvollste Verbeugung) Mein allergnädigstes Fräulein? . . . (formell) Herr Doktor?

Onkel Ludwig: (kaum daß Uexküll die Tür hinter sich geschlossen und seine festen, schnellen Schritte verklungen) Was . . . hast du diesem Menschen . . . ?

Marianne: (die Uexkülls Karte hastig aus dem Kuvert gerissen; mit steigender Angst die Schrift entziffernd) »Für Sie . . . oder jeden von Ihnen bevollmächtigten Dritten . . . bis heute abend zwölf Uhr . . . zu sprechen Hotel Bristol!« (entsetzt aufblickend) Das . . . kann doch nur . . .

Onkel Ludwig: (dem gleichfalls der Atem stockt) Das kann nur . . .

Marianne: (erst jetzt fähig, ihren Satz mühsam zu Ende zu bringen) Das kann nur . . . (Auto) den einen . . . einzigen Sinn haben!

Onkel Ludwig: (pathetisch-feierlich, die Rechte dabei unwillkürlich erhoben, wie visionär vor sich hin) »Ich . . . sehe dich . . . mit zerschossner Stirn . . .«

Marianne: (die Hände gekrampft auf dem Tisch, zu ihm vorgebeugt, als ob sie aufstehn wolle) Wer . . . hat das von ihm . . . ?! . . . (plötzlich, mit einem jähen Ruck, als ob sie alles begriffe) Mariette??

Onkel Ludwig: (in seinem lapidarischen Bericht weiter) »Morgen früh . . . noch bevor die Sonne . . .

Marianne: (mit fiebernden, jagenden Pulsen) Das . . . darf nicht . . . sein! Das darf unter keinen Umständen . . .

Onkel Ludwig: (noch wuchtiger) »Über deiner verkrampften Hand . . . schaukelt sich ein Kiefernast . . . (mit den entsprechenden Gesten) und, zehn Schritt dir gegenüber . . . raucht noch die Waffe des andern . . . der dich . . . in den Tod gestreckt!«

Marianne: (letzte, entsetzt-angstvollste Steigrung) Georg?? . . . Georg???

Onkel Ludwig: (allerschwerst; nickend; ganz erschöpft) Ge-org!! (in diesem Augenblick nebenan wieder eine Tür auf; während beide gespannt horchen, hastige Schritte).

Georg: (ungestüm eintretend; mit den Augen sofort Uexküll suchend; allerstärkst) Das Kettchen ist da!!

Dufroy: (die Tür hinter sich schließend; lebhaft, noch ganz erregt, zu Marianne rüber) Wir fanden es oben, genau . . .

Georg: (wie angewurzelt; elementar) Wo ist Herr Baron??

Onkel Ludwig: (schnell; Georgs Frage mit Absicht »überhörend«; eifrigst zu Marianne) Wie du s uns gesagt hattest! (zu den beiden übrigen; triumphierend) Seid ihr nun endlich . . .

Dufroy: (sich über die Stirn streichend) Mir absolut . . .

Georg: (für den jetzt im Moment alles andre kein Interesse hat; seine Frage verstärkt, wenn auch in andrer Form, wiederholend) Als wir eben die Treppe passierten, hörten wir, wie jemand . . .

Marianne: (da Georg in diesem Augenblick die Karte Uexkülls bemerkt; sie schleunigst mit beiden Händen bedeckend) Nicht!!

Georg: (schon am Tisch und, seinen begonnenen Satz dabei vollendend, die Karte rücksichtslos an sich reißend) Die Gartentür schloß! . . . (schärfst) Was ist das für nicht Wisch?!

Dufroy: (unwilligst-verweisend; bereits hinter seinem Sessel rechts) Man nimmt nicht eine Karte, wenn sie nicht für einen . . .

Onkel Ludwig: (in seinem Sessel links, erbost, aufgestanden) Du gibst sie . . . mir her!

Georg: (der die Karte inzwischen gelesen; sie Dufroy reichend; höhnisch-erbittertstes Auflachen) Tchähahah!!!

Dufroy: (sie jetzt ebenfalls lesend; mit zusammengezognen Brauen) »Für Sie . . . (stutzend, während Onkel Ludwig, total geschlagen, sich nieder setzt) oder jeden von Ihnen bevollmächtigten Dritten . . . (aufblickend) bis heute abend . . .«

Georg: (ingrimmigst-sarkastisch; den Rest ihm abnehmend) »Zwölf Uhr zu sprechen Hotel Bristol!« Jawoll! So steht s da! Genau so steht s da!

Dufroy: (der sich wieder zusammengeruckt; ganz erstaunt-überrascht; Geste nach der vorderen Mitte des Raums) Ich denke, ihr hattet euch doch . . . bereits . . .

Marianne: (mit aller Kraft sich jetzt ebenfalls aufraffend; letzte, entschlossen-verzweifeltste Energie) Du wirst . . . weder selbst gehn . . .

Onkel Ludwig: (ähnlich; ihr assistierend) Aber auch unter ganz und gar keiner Bedingung!

Marianne: (in ihrem Satz, vor Erregung kaum fähig zu sprechen, weiter) Noch . . . wirst du . . .

Georg: (losbrechend; allerelementarst; nach der Stelle im Vordergrund, auf die Dufroy eben hingedeutet, und beim letzten Wort, jäh wieder nach ihm zurückgedreht) »Siebzehnter Drei Null Neun!!«

Dufroy: (der die Karte erst jetzt wieder vor sich auf den Tisch legt; aufrecht und, so sehr er auch Georgs Überzeugung nun teilt, sich doch gegen dessen Entschluß, den er bereits ahnt, mit aller Macht auflehnend) Es ist der hellste Wahnsinn . . .

Georg: (ihm den Sinn seiner erregten Worte sofort verdrehend und mit denkbar stärkster Wucht, permanent sich steigernd, von neuem) Es war der hellste Wahnsinn und ich begreife einfach gar nicht mehr, weshalb, warum, wieso, wie und wodurch ich mich überhaupt dazu habe verleiten, aufstacheln und hinreißen lassen können, in die Echtheit der Phänomene grade diesmal, in ihre absolute, exakte, zwingende Echtheit, ausgesucht grade diesmal, auch nur den geringsten, mindesten, leisesten Zweifel zu setzen!

Dufroy: (unwillkürlich noch höher gereckt; protestierend) Na, erlaube!!

Georg: (rapid weiter; auch jetzt noch sich steigernd; immer mit den entsprechenden, erregtesten Gesten) Das Gewand, nach dem wir den ganzen Saal, bis in seinen letzten verstaubtesten Winkel, noch mal durchsucht haben, bleibt verschwunden, das Kettchen Mariannes, vorausgesetzt, daß es sich um das Kettchen Mariannes überhaupt gehandelt hatte, hat sich oben in seinem blauen Etui, und zwar völlig intakt, wieder- respektive vorgefunden, sein kurzes, von uns allen deutlich wahrgenommnes Aufblinkern um den linken Arm der Transfiguration oder Erscheinung, ganz gleich, wie wir uns im übrigen nachträglich zu diesem eigentlichen Haupt- und Zentralphänomen als solchem stellen, könnte also nur durch mediumistischen Apport erklärt werden, (nach dem Tisch hin) und dieser Schleier . . .

Dufroy: (jetzt völligste Ohnmacht und absolute Ratlosigkeit ausdrückende Geste) Mir ist das alles . . .

Georg: (Dufroy nicht beachtend; als hätte dieser sein einen Augenblick indirektes Zugeständnis überhaupt gar nicht erst abgelegt) Hat diese Sitzung, diese ganze Sitzung, die uns den endgültigen, letzten, überzeugenden Abschluß bringen sollte, und auf die wir gewartet hatten, qualvoll gewartet, vierzehn Tage lang, vierzehn Tage, hat diese Sitzung überhaupt irgendwelchen Sinn und Verstand gehabt, und sie muß ihn gehabt haben, sie hat ihn gehabt, so kann das nur der gewesen sein . . .

Onkel Ludwig: (ihm seinen Satz, jetzt wieder ganz auf Georgs Seite, mit überzeugtestem Nachdruck unwillkürlich vollendend) Der dir . . . verheißen war!

Georg: (noch überzeugter; jeden Iktus schärfst betont) Und der sich mir jetzt auch prompt . . .

Dufroy: (erst jetzt wieder imstande einzugreifen; nervös-heftigst und vergeblich bemüht, in den Ideeengang der beiden andern, der ihm zum Teil völlig unverständlich ist, einzudringen) »Verheißen« war! »Verheißen«! Was für eine Verheißung?

Georg: (wieder sich gar nicht um ihn kümmernd und von neuem nach dem Tisch hin) Dieser Schleier . . . »Erkennst du ihn? Erkennst du ihn wieder? Du hast ihn schon einmal gesehn?! . . .« (abbrechend und sofort weiter; mit jetzt letzter, wie nun durch nichts mehr beirrbarer Sicherheit und Bestimmtheit) Diesen Schleier trug an jenem siebzehnten Märzabend . . .

Dufroy: (wieder gegen seine jetzt eigene Überzeugung; um so prononciert-ablehnender) Das übersteigt . . .

Marianne: (die bei den von Georg zitierten Worten, die er unwillkürlich ähnlich wie im dritten Akt die Erscheinung gesprochen, sofort schärfst aufgehorcht hat; erst jetzt wieder zu Worten kommend; mit von neuem gesammelter Energie) Du wirst auf keinen Fall . . .

Onkel Ludwig: (ihr auch jetzt wieder beipflichtend) Wie auch die Sache zusammenhängt!

Georg: (in seiner Aufreihung der beweisenden Indizien, die für ihn irgendeines Kommentars nicht mehr bedürfen, weiter) »Jetzt wirst du bald erfahren, was Mariette so in Schuld verstrickte . . .«

Dufroy: (alle zehn Fingerspitzen vor der Stirn) Man kommt sich bald wirklich . . .

Marianne: (die wieder ganz entsetzt aufgehorcht; Georg groß anstarrend) Das . . . ? Das hat das Phantom . . . ?

Georg: (unterstrichen-heftigstes Kopfnicken) Wörtlich!!

Onkel Ludwig: (außer sich; dabei wieder gleichzeitig an sein »Karzinom« denkend) So ein . . . Weibstück!

Dufroy: (von neuem Geste, als ob er sich in einem Tollhause befände) Mir scheint, daß hier nachgrade alles und jeder . . .

Georg: (seine Indizienreihe, womöglich noch ingrimmig-verbissner, fortsetzend und dabei auch jetzt wieder nur die betreffenden, von ihm zitierten Worte für sich selbst sprechen lassend; von neuem auf und ab) »Ein Tag, wie jeder andre, und zum Schluß . . .« »Dies Abenteuer hatten Sie hier in Berlin gehabt!« »Darüber verweigre ich die Auskunft!!«

Dufroy: (nochmals, wenn auch bereits etwas schwächer, gegen seine eigne Überzeugung) Wie kannst du daraus schließen . . .

Onkel Ludwig: (»racheschnaubende«, empört-aufgebrachte Geste nach der Tür rechts rüber, durch die vorhin Uexküll gegangen) Dieser . . . Halunke!!

Georg: (noch stärker; fast wie jetzt nichts mehr um sich hörend und sehend) »Du . . . lügst!!« Wie sich das alles . . . Wie das alles jetzt klar wird! Wie das zusammenschießt!

Dufroy: (mit aller Gewalt und Kraft sich nun endlich und bis ins letzte zusammenraffend; schnelle, fast atemlose Sprechweise) Deine ganze Phantastik, um dich zu beruhigen, nur um dich zu beruhigen, einen Moment, einen kurzen Moment hypostasiert und als Realität, als volle, zurück- und hinter uns liegende, diskutierbare Realität interimistisch akzeptiert und angenommen! Schön! Gut! Also deine Frau war durch einen Zufall . . . mein Gott, durch einen Zufall, durch irgendeinen Zufall . . . mit diesem auch mir höchst unsympathischen Herrn an jenem Abend, sagen wir auf der Straße, in einer Gesellschaft oder im Vestibül eines Etablissements . . .

Georg: (der ihm mit verbissenstem Hohn, ohne sich dabei auf seinem Gang wieder zu unterbrechen, solange zugehört; »vulkanisch«; durch die Zähne) Eines »Etablissements« . . .

Dufroy: (beeilt hastigst, um ihn nur ja nicht schon wieder zu Wort kommen zu lassen; in seinem Tonfall noch verstärkt, weiter) Jedenfalls irgendwie, flüchtig zusammengetroffen! Das lag nicht außerhalb des Bereichs jeder Möglichkeit und mag also meinethalb vorgefallen sein! Nur, wie kannst du dich dann unterstehn, wie darfst du es wagen, daraus zu folgern . . . allein schon dir selbst gegenüber . . .

Georg: (ausholend, von neuem) Die Aussage der Erscheinung . . .

Dufroy: (mit dem vergeblichen Versuch ihn zu unterbrechen) »Die Au . . .«

Georg: (wuchtigst, noch mal) Die Aussage der Erscheinung, der Materialisation, oder des doppelgängerischen Phantoms . . .

Dufroy: (unwilligst; nicht ganz ehrlich-sarkastisch) Laß dich doch nicht auslachen!

Onkel Ludwig: (empört, Dufroy fast »auffressend«) »Auslachen«?!

Georg: (zum drittenmal, noch gesteigert) Die Aussage, ganz gleich, wie du dich zu diesem, im übrigen auch mir gänzlich unbekannten Ix stellst, lautete klar und bestimmt: Nicht um einen zufälligen, traurigen Unglücksfall hatte es sich damals gehandelt . . . (Marianne, die die ganze Zwischenzeit über, mit jeder neuen Aufklärung immer entsetzter, nach Georg gestarrt, unter diesen letzten Worten, wie von ihnen ganz besonders getroffen, wieder zusammengezuckt).

Dufroy: (auch jetzt wieder ihn unterbrechend ; seinem Gedankengang geschickt eine von Georg gar nicht beabsichtigte Spitze gegen sich selbst gebend, um ihn so endlich, wie er glaubt und hofft, von der Weiterverfolgung seiner »Indizienreihe« abzubringen) Sondern meine amtliche autoritäre Bekundung, die ich, als erster, zur Stelle gerufner Arzt, der behördlichen Untersuchungskommission dann später zum Überfluß auch noch schriftlich abgab, war falsch, und Mariette hat sich mit ihren beiden Kindern . . .

Georg: (stehngeblieben; ihm ins Gesicht; fast verächtlich-heftigst) Daran hast du nie, auch nur eine Sekunde lang, gezweifelt!

Marianne: (sich wieder zusammenraffend; energisch) Du sprichst in einem Ton zu meinem Vater . . .

Onkel Ludwig: (ihr auch jetzt nieder eifrigst-lebhaft assistierend; Seitenbeschwerde) Da müssen wir denn doch . . .

Dufroy: (während Georg sich wieder in Gang setzt; ablehnend-warm) Ich danke euch! Aber es ist wirklich . . . (von neuem; andrer Tonfall) Also deinem vollkommnen Irrsinn . . . so sehr du damit nicht bloß dich, sondern auch uns andre beleidigst, nachgegeben sogar bis zu diesem Punkt! Wie willst du mir dann erklären, daß jene entsetzliche Katastrophe . . . die uns alle . . . so tiefunglücklich gemacht hat . . . daß Mariette diese Tat . . . die ja gar nicht auszudenken wäre . . . (abbrechend und, noch verstärkt, sofort weiter) Ich bitte dich! Nach zwei Monaten erst! Nach zwei Monaten!!

Onkel Ludwig: (der ganz erstaunt aufgehorcht; wieder total verdattert; mit beiden Händen sich über die Schläfen streichend) Davon hab ich ja . . . von all dem hab ich ja . . . bis heute . . .

Marianne: (zu Georg; nun nur noch von diesem einen Bestreben, diesem einen Gedanken erfüllt) Du gibst mir jetzt . . . dein Wort . . .

Georg: (der auf alle beide nicht mehr gehört; mit gekrampften Fäusten auf und ab; in ohnmächtigem Ingrimm vor sich hin) Die ganze Schlußkette ist in meiner Hand! Die ganze Schlußkette! Bis auf dieses eine . . .

Dufroy: (bestätigend-nachdrücklichst, fast jede Silbe betont; seines jetzt endlichen »Sieges« über ihn bereits so gut wie sicher und innerlich aufatmend, damit, wie es scheint, alles noch drohend Weitre »glücklich verhütet« zu sehn) Bis auf dieses eine unbeantwortete Fragezeichen! Für das du eine Antwort nie finden wirst, weil deine ganze »Schlußkette« auf einer falschen, irrigen, sich mit der Realität nicht deckenden Voraussetzung beruht!

Georg: (wie vorhin; nur noch gesteigert) So nah am Ziel! So nah am Ziel! Und noch immer . . . (Auto).

Onkel Ludwig: (als das enfant terrible das er sein Lebtag geblieben, naiv-treuherzigst in seinen Taschen kramend) Da hatte ich doch . . . als wir vorhin im Kabinett . . .

Georg: (sofort in der dunklen Hoffnung, nun vielleicht doch noch die letzte Klarheit zu erlangen, auf ihn zu) Da hatte, verdeckt von einer Vorhangfalte, (zu Dufroy rüber) dein Block gelegen! (zu Onkel Ludwig) Gib ihn her!

Onkel Ludwig: (während Marianne und Dufroy unwillkürlich einen besorgt-erschreckten Blick wechseln, den Block bereits in den Händen und vergeblich bemüht, das darauf Gekritzelte zu enträtseln) Die Schrift . . . ist so undeutlich . . .

Georg: (den Block an sich nehmend; ähnlich) Vielleicht gelingt es mir jetzt . . .

Dufroy: (zu Onkel Ludwig; erbittert; fast versucht, einen ihn beleidigenden Ton anzuschlagen) Es ist doch wieder eine Torheit sondergleichen und grenzt beinahe gradezu . . .

Marianne: (zu Georg; angstvoll-beschwörend) Lies das nicht!! Nach all dem Abscheulichen . . .

Onkel Ludwig: (zu beiden; sich verteidigend) Ihr wißt ja noch nich . . .

Georg: (dem es anfangs nicht gelungen war, auch nur ein einziges Wort zu entziffern; plötzlich wie von einem Gedanken oder einer Erleuchtung durchzuckt) »Grau . . .«

Onkel Ludwig: (verdutzt-neugierig) »Grau . . . ?«

Georg: (bereits vor dem betreffenden alten Instrument; den Block halb rund biegend) Es ist Spiegelschrift! . . . Ganz deutlich! . . . Die Schrift . . . (fast zurücktaumelnd) Mariettes!!

Onkel Ludwig: (dem der Laut in der Kehle stecken bleibt) »Ma . . . ?«

Dufroy: (tiefst unwillig-erschreckt) Mariettes!! (hastig-vorwurfsvoll zu Marianne rüber) Du hast sie sicher in deinem Trance . . .

Georg: (mühsam, ein Wort nach dem andern, in wachsender Erregung, während alle atemlos horchen) »Grausames . . . qualvollstes . . . unerbittliches . . . Leben . . . das ich . . .« (jäh zusammenzuckend abbrechend, das oberste Blatt heftigst abreißend, es zerknüllend und den Block auf den Tisch schleudernd; dabei, wie aus letzter, tiefster Qual, aufstöhnend) Mmm!!!

Onkel Ludwig: (ganz perplex; stärkst) »Das ich . . . ?«

Marianne: (die den Rest bereits erraten; verzweifelt) Georg!!

Dufroy: (aus dem gleichen Grunde, kaum mit äußerster Mühe seine Haltung bewahrend, zu Onkel Ludwig) Wo zu . . .

Georg: (mit rauher Stimme; Onkel Ludwig den Papierknäul überreichend) Willst du . . . den Herrschaften . . .

Dufroy: (gefoltert; wie vorhin) Wozu den . . . elenden . . . gemeinen . . .

Onkel Ludwig: (der sich den Spiegel jetzt näher gerückt; schwerfällig; sofort wieder stockend) »Das ich . . . unter . . .«

Georg: (der diese Langsamkeit nicht ertragen kann; jetzt schon mehr »tot«, als »lebendig«, die letzten Worte, an denen er fast erstickt, aus sich rauswürgend) »Meinem Herzen trug!!«

Onkel Ludwig: (von dieser »Eröffnung« wie zerschmettert) Das . . . ?! . . . Das . . . ?!!

Georg: (zu Dufroy rüber; ruckweis, mit arbeitender Brust) Glaubst du . . . glaubst du . . . auch jetzt noch . . . glaubst du . . . noch immer . . . daß deine herrliche Tochter . . .

Marianne: (sich nochmals, verzweifelst, aufraffend) Du . . . wirst . . .

Onkel Ludwig: (entsetzt-beschwörende Geste zu Georg und Dufroy rüber; Hand an der Hüfte) Kinder!! Kinder!!

Georg: (keuchend; fast rasend; zuletzt Blick nach der Tür rechts) Ich werde . . . und zwar auf der Stelle . . .

Dufroy: (einen Augenblick lang fast drauf und dran, umzusinken; die Linke vor der Stirn, die Augen geschlossen, in letzter, tiefstschmerzlichster Selbstanklage) So . . . vergilt es sich jetzt . . .

Georg: (noch immer vorm Tisch links; Dufroys Worte aufgreifend und ihnen von sich aus einen ganz andern Sinn unterschiebend; ausbrechend; schonungs- und mitleidslos von neuem) Ja!! . . . So vergilt es sich jetzt . . . daß du mir in deiner feigen, unmännlichen, nachgiebigen Schwäche . . .

Onkel Ludwig: (ihn unterbrechend; ähnlich wie vorhin) Du darfst . . .

Georg: (noch wuchtiger) Daß du mir deine erste Tochter unterschlugst . . .

Dufroy: (ihn groß anstarrend; wie ihn noch nicht verstehend) »Meine . . . ?«

Georg: (fast haßerfüllt) Deine erste Tochter unterschlugst und dafür und statt dessen . . . (sich wieder in Gang setzend).

Dufroy: (durch den es plötzlich wie eine »Erleuchtung« zuckt; einen Schritt, unwillkürlich, zurück und, die Linke leicht vor der Stirn, ihm ganz überrascht nachblickend) Georg!!

Onkel Ludwig: (dem nun auf einmal auch noch das Geständnis Uexkülls einfällt; empört-aufgebrachte Geste nach der Tür rechts; Hand von jetzt ab fast andauernd an der Hüfte) Und dieser . . . Lump . . . dieser Erz-Lotterbube und Mameluck . . .

Marianne: (schon ahnend, womit er wieder kommen will; ihm vergeblich ins Wort) Du . . .

Onkel Ludwig: (noch »gerecht«-entrüsteter) Dieser siebenfache Bruder Liederjahn . . .

Marianne: (wie vorhin) Du sollst nicht . . .

Onkel Ludwig: (jetzt direkt zu ihr rüber, immer polternder) Dieser bodenlose Frechling hatte dann noch die elende Courage . . .

Georg: (der in seiner Erregung zuerst gar nicht auf ihn geachtet hatte; plötzlich, rechts vorn, nieder stehngeblieben) Welche »Courage?!«

Marianne: (zu ihm rüber; nach Onkel Ludwig hin; flehend-angstvollst-verzweifeltst) Hör nicht auf ihn! Hör nicht! Er . . .

Onkel Ludwig: (zu Marianne, sich dabei wütend vor die Brust schlagend, in seiner Beschwerde fortfahrend) Sich bei mir, als deinem zweiten Art Vater . . .

Dufroy: (dem erst jetzt das betreffende »Verständnis« aufgeht; ganz verblüfft-entsetzt) Doch nicht etwa gar . . .

Onkel Ludwig: (wie vorhin; naivst-umständliche Gesten) Als du dort lagst und wir hier in aller Vertraulichkeit . . .

Georg: (der sich nicht von seinem Platz gerührt; in Onkel Ludwigs Satz weiter) Sozusagen in regelrechter Form . . .

Onkel Ludwig: (stärkst nickend; zu Marianne) Um deine Hand zu bemühn! Ja!

Georg: (mit einem jähen Ruck seinen Gang wieder aufnehmend) Hund der! (zu Marianne zurück) Nachdem er sich wahrscheinlich bei dir schon vorher . . .

Marianne: (jetzt mit letzter Energie; unwillkürlich dabei aufstehend) Du wirst jetzt auf keinen Fall morgen . . .

Onkel Ludwig: (vollständig umgeschlagen; seinen Stock schwingend) Du wirst morgen . . .

Dufroy: (in Rückerinnrung an die Prophezeiung unwillkürlich zusammenschauernd) Morgen!

Georg: (mit geballten Fäusten, rasend, auf und ab) Morgen!! . . . Morgen!!!

Marianne: (von neuem; jede Fiber gespannt) Nach dem . . . was euch das Schreckgespenst . . . prophezeit hat . . .

Georg: (stehngeblieben; sie feindseligst, fast drohend, messend) Willst du dich etwa schützend vor ihn stellen?

Marianne: (ihn voll anblickend; stärkst) Wäre das . . . kein Kampf mehr . . . kein gerechter Kampf . . . sondern ein Mord!!

Georg: (kaum mehr fähig, auch nur noch diese drei Laute aus sich rauszubringen) Hat der Hund . . .

Marianne: (un erschüttert; fast strafend streng) Du wirst die Schuld . . . die wir alle beide haben . . .

Georg: (leidenschaftlichst) Ich lehne jede Schuld . . .

Marianne: (letzte, verzweifelst gesteigerte Gegenwehr) Du wirst sie nicht jetzt . . . durch Blut . . .

Georg: (von neuem; kein Auge von ihr lassend; selbst jetzt noch gesteigert; fast sinnlos auf sie zu) Hat der Hund . . . der mir alles genommen . . . hat er mir jetzt . . . auch dich . . . auch dich noch . . .

Marianne: (wie von einem Blitzstrahl getroffen, in ihrem Sessel plötzlich zusammenbrechend; nach Atem ringend und beide Hände, wie sich noch an etwas halten wollend, erhoben vor sich hin) Vater!!

Dufroy: (nach einem wie tödlichsten Schreck auf sie zu und sie in seine Arme nehmend; dabei empört-zornigst nach Georg rüber) Wie ich es dir gesagt habe! Wie . . .

Onkel Ludwig: (aufgesprungen; schon ebenfalls bei ihr; sich fast die Haare raufend) Um alles in der Welt!! Um alles in der Welt!!

Georg: (fast in der Mitte der Bühne; beide Fäuste geballt, die Arme von sich streckend) Und wenn sich . . . mir alles . . .

Marianne: (mit verzerrten Zügen, wie etwas Unsichtbares, das auf sie eindringen will, verzweifelst abwehrend) Noch vor . . . Mitternacht! Noch vor . . . Mitternacht! Noch vor . . .

Georg: (noch finstrer-energischer; letzter, unbeugsamer Entschluß) Auge um Auge und . . .

Marianne: (sich steigernde, gellende, plötzlich furchtbarste Angstschreie) Mariette! . . . Mariette!! . . . Mariette!!!

(Vorhang).


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