H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

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Das Osterey.

Kaum war Benno zum Hofe hinaus, so stand Ewald, zur großen Verwunderung des alten Gottlieb, der vom Kopfschmerz gehöret, und zu dessen Vertreibung alle mögliche Haus- und Jägermittel vergeblich empfohlen hatte, frisch und kräftig, wie der junge Morgen, vom Lager auf, und versicherte, daß ihm die freie Luft am heilsamsten sey, und daß er daher gleich nach dem Frühstück einen kleinen Morgenspaziergang in den Gränzbusch zu machen gedenke.

Zu dieser folgenreichen Jagdparthie fehlte es an einer Kleinigkeit, am Hute.

Der alte Gottlieb wollte, als Ewald gar nicht begreifen zu können schien, wo der Vermißte hingekommen, gleich zehntausend Eide schwören, daß er ihn gestern Abend eigenhändig auf das Zimmer gebracht, und ihn dort bei der Thüre an den Nagel gehängt habe; er kam sich wie behext vor, denn daß außer ihm kein Mensch auf dem Zimmer gewesen, wußte er ganz bestimmt; auf einmal aber stand er mitten in der Stube und lachte, und erklärte sich das Räthsel. Der junge Herr Benno, der oft schon dergleichen Anfälle von arger Zerstreuung gehabt, hatte den Hut für den seinigen angesehen, und ihn glücklich mit in die Kreisstadt genommen.

Ewald gab der Idee seinen vollen Beifall, und lächelte im Stillen über die Einfalt der Menschen, die sich, ohne es selbst zu wissen, alle ersinnliche Mühe geben, Andere aus ihrem Trug- und Lügengespinnste heraus zu fitzen.

Er ließ sich aus Bennos Garderobe einen andern Hut geben, aber Bennos Kopf war viel stärker als der seinige; der Hut fiel ihm bis über die Nase; er sah darin aus, wie die Vogelscheuche auf dem Herzkirschenbaum unten im Obstgarten, durch den er eben nolens volens, Chapeau-pas eiligst strich, um nur je eher je lieber hinüber in das Land seiner Liebe zu gelangen, und im Hutkopfe prangte die Firma des Fabrikanten, in Form und Farbe einem Ostereye ähnlich. Ewald lachte, als er das rothe geschmacklose Machwerk des sinnigen Filz-Künstlers gewahrte; doch fand er den Zufall nicht ohne Bedeutsamkeit, denn er meinte bisher auch nur in der stillen Marterwoche seines Herzens, von einfacher Fastenspeise gelebt zu haben, und jetzt die Morgenröthe seines Osterfestes heraufdämmern zu sehen; in der Liebe zur Gräfin Lieschen ahnte er die Auferstehung seines Lebensglücks, und das brennende Roth seines Hut-Eyes, – was weissagte es ihm anders, als den fröhlichsten Erfolg seines eben bevorstehenden Waidganges auf den lauschigen Anstand.

Eberhardine pflückte sich Frühbirnen, reichte mit traulicher Gastlichkeit dem Grafen ein Paar recht saftige, bezeugte ihm ihre Theilnahme an seiner kleiner Unpäßlichkeit, und setzte schmeichelnd hinzu, daß ihr, wenn die Kopfschmerzen nur nicht gar zu heftig wären, der liebe Herr Gott einen rechten Gefallen damit gethan, denn nun müsse der Graf länger hier bleiben, und sie habe das Vergnügen, ihm einige Tage länger bewirthen zu können. Sie bat wiederholentlich, sich doch zu bedecken, und hielt es in ihrer kleinen Eitelkeit für übertriebene Artigkeit, daß Ewald in ihrer Gegenwart, trotz des Kopfwehs, platterdings den Hut nicht aufsetzen wollte.

Um über Cherubims nähere Nachrichten einzuziehen, kam er im Verfolg des Gesprächs auf den nächtlichen Gesang, den er gestern vor Schlafengehen gehört, und frug, ob das hier im Dorfe gewesen.

»Gott bewahre,« entgegnete Eberhardine, und man hörte ihrem Tone an, daß auch sie von dem Familienhasse gegen das Nachbarhaus angesteckt war, »das sind die drüben gewesen; alle Abend sitzen die in ihrem Kiosk, und schreien wie die jungen Klapperstörche im Neste.«

»Wenn ich nicht irre,« sagte Ewald und hielt das mitleidige Lächeln über die Verblendung des Vorurtheils an sich, denn mit Klapperstorchgeschrei war jener Sphärengesang durchaus nicht zu vergleichen, »wenn ich nicht irre, sangen sie dreistimmig.«

»Nun ja,« erwiederte Eberhardine, »es sind ja ihrer dreie; Ida, Henriette und Luise.«

»Luise –« hob Ewald an, und wollte weiter reden, aber vor Schreck, daß er den Namen seiner Traumheiligen von seinen Lippen gehört, konnte er kein Wort mehr herausbringen, und stopfte, um nur geschwind eine Ursache seines Steckenbleibens zu haben, zwei Birnen mit einemmale in den Mund und biß in die Saftreichen, als wären es die letzten seines Lebens.

»Luise,« fuhr Eberhardine fort, ohne seine Verlegenheit zu bemerken, »Luise ist noch ein Backfisch.«

»Backfisch?« fragte Ewald stutzend.

»Nun ja,« versetzte Eberhardine lachend, »so nennt man hier zu Lande solche noch unreife Dinger von Mädchen. Wilder und ungezogener gibt es nichts in der Welt. Neulich setzte sie wahrhaftig vor meinen Augen über den Gränzbach, wie ein Rehbock; mir verging Hören und Sehen, denn 6 Fuß breit ist dort der Bach allerwenigstens, und fiel sie in das Wasser, so war sie ein Kind des Todes, denn dort an der Stelle sucht man umsonst Grund. Hat sie ein Pferd unter dem Sattel, so geht es über Stock und Stein, und daß sie zur Zeit den Hals noch nicht gebrochen, ist ein Wunder Gottes. Ohne Brauschen aber und Schrammen und Beulen geht es selten ab, denn das Mädchen rast mit dem flüchtigsten Renner durch Wald und Gebüsch, als habe der wilde Jäger sie selber gepackt.«

Ewald horchte sinnend, und kaute verlegen an einem holzigen Birnenstiel. Kam, was Eberhardine von dem Mädchen alles erzählte, nicht größtentheils auf Rechnung der zwischen beiden Familien bestehenden Spaltung; so war mit dem Grafenkinde seit Kurzem eine Total-Umwandlung vorgegangen; denn in dem schmachtenden Gesang gestern Abend, in dem schwermüthigen Blick des himmlischen Auges, und in den sanften Zügen des frommen Gesichtchens war von der verschrieenen Wildheit nicht das Geringste zu spüren. Wer aber anders kann, folgerte Ewalds Eitelkeit weiter, diese Umwandelung bewirkt haben, als die Liebe. Luise hatte für ihn – wie blieb ihm noch ein Räthsel – oder – aber dieses oder konnte er ohne einen leisen Fieberschauer nicht denken, – oder für einen andern Ewald fühlen gelernt, und mit diesem Gefühl hatte sie sich ihrer jugendlichen Ungebundenheit, ihrem muthwilligen Kindersinn bald entfremdet, und ihr Herz nur der zartesten Weiblichkeit, den Empfindungen der mädchenhaftesten Zuneigung geöffnet. »Wenn,« hob er, den möglich andern Ewald, den gestern von Ida erwähnten unwillkommenen Bräutigam im Sinne, »wenn aber Gräfin Luise wirklich, wie Sie es nennen. noch ein Backfisch ist, so wundert es mich, daß, wie ich gestern noch hier in der Nähe zufällig erfuhr, ein recht respectabler Mann schon um ihre Hand wirbt.«

Eberhardine lachte mit dem versteckten Grolle, den selten ein Mädchen ganz verbergen kann, wenn es von einem ihm ohnehin unleidlich vorkommenden Andern hört, daß dieses den Rosenstufen des Brautaltars näher stehe, und gratulirte schnippisch dem Glücklichen, der mit diesem Unbande sein Heil versuchen wolle; auf einmal fiel ihr aber ein, daß der Graf Lüdinghausen am Ende selber der Blinde sey, der in dieses Liebesnetz laufen wolle, und daß Gräfin Luise Cherubim die Braut seyn könne, auf deren Wohl sie gestern getrunken, und nun ließ sie der Zunge freien Lauf, um dem Verblendeten den Staar zu stechen, und erzählte von dem Mädchen und der ganzen Familie mit so studirter Bitterkeit, daß Ewald in ihren offenbaren Uebertreibungen die Beruhigung fand, daß nur die ihr von Jugend auf eingeimpfte Partheilichkeit aus ihr sprach, und ihr mit seinem milden Sinne die Wehthat verzieh, die sie den armen Cherubims hinter dem Rücken zufügte.

Des bösen Leumundes müde, mit dem ihm Eberhardine die schöne Morgenstunde vergiftet hatte, ging er, sein blankes Vogelflintchen wieder über der Achsel, und Bennos unaufsetzbaren Ostereier-Filz in der Hand, unter dem Vorwande, das Dorf zu durchstreichen, zum Garten hinaus, wendete sich aber draußen, statt nach dem Dorfe, links nach dem Gränzgraben zu, und jauchzte heimlich auf, als er Gräfin Lieschen von weitem im Kiosk allein erblickte. Von Weiden und Elsengebüsch gedeckt, schlich er sich auf den schmalen Damme immer näher. Die kleine Cherubim saß in Gedanken verloren hinter einem eleganten Gartentischchen; ihre Linke ruhte auf einem Blatte Papier, in ihrer Rechten hatte sie eine Bleifeder, deren neidenswerthe Spitze sie mehreremale in die frischen Purpurlippen nahm. Das Mädchen war heute noch viel schöner, als gestern im Wagen, und diese Nacht hier im Kiosk. Freundlich, wie der junge Morgen, saß sie und sann, und lachte zuweilen halb laut vor sich hin, und schrieb dann, was sie sich ausgedacht, nieder. Das blendend weiße, höchst geschmackvolle Morgengewand, die von spielenden Lüftchen leichtflatternden Bänder am zierlichen Pointhäubchen, die kräftige Fülle des schöner Körpers, das bewegliche Mienenspiel im ausdrucksvollen Gesicht, der schuldlose Scherz, der aus jedem ihrer Züge lustig und lebendig sprach, und die Feuergluth im Liebesblick der beiden Morgensterne – der überselige Ewald hätte gleich hinüberfliegen und zu ihren Füßen das Geständniß seines Entzückens niederlegen mögen.

»Hier bist Du, Lieschen?« hob eine Kinderstimme unten im Garten hinter der Mauer an, »im ganzen Park habe ich Dich schon gesucht.«

»Was soll sein, lieber Raymund?« fragte Gräfin Lieschen, und die weichen Laute ihrer Silberstimme drangen in Ewalds wonnetrunkenes Herz wie Frühlingsthau in den Kelch der eben erst aufgeschlossenen Blume.

»Sie brauchen,« antwortete der Kleine von unten hinauf, »noch viel, viel mehr Vergißmeinnicht, die Guirlande wär' kaum erst zur Hälfte fertig.«

»Schön, schön,« erwiederte der holde Cherubim vom Kiosk herab, und die Zaubergestalt erhob sich vom Sitze, »sag nur ich würde gleich gehen und mehr pflücken, und dann bringen, was ich noch zusammen bekommen.«

Lieschen stieg die Stufen hinab, und verschwand hinter der Mauer, und Ewald schmollte mit dem Raymund, der ihm den Anblick des süßen Mädchens entzogen, aber nach wenig Secunden trat sie – es mußte weiter links, wo der Garten sich an ein Wäldchen lehnte, eine Thür in der Mauer seyn, – hervor, ging die Mauer links, den Gränzbach rechts, nach dem Steig zu, auf dem Ewald diese Nacht den Bach passirt hatte, beugte sich drüben am Ufer nieder, und pflückte die dort einzeln stehenden Vergißmeinnicht; auf dem diesseitigen Ufer aber blühten der Blumen zu tausenden: sie schaute sich ringsum, als wollte sie erspähen, ob von Hollaus Leuten Niemand in der Nähe sey, der ihren kleinen unschuldigen Blumen-Raub auf dem fremden Boden bemerke, war, da sie Niemand gewahrte, in zwei leichten Sätzen über den Steg und pflückte nun im benachbarten Gränzlande die beiden Händchen voll der köstlichsten Vergißmeinnicht.

Ewald schlug das Herz hoch vor Freude, daß das zauberische Mädchen auf seinem väterlichen Grund und Boden sich holte, was ihm zu dem im Schlosse wahrscheinlich bereiteten Familienfeste noch fehlte, daß es ihm entgegen kam, daß es ihm jetzt so nahe war. Er konnte sich jetzt nicht länger halten – eine schönere Gelegenheit, mit dem liebreizenden Kinde zu sprechen, bot sich ihm nie wieder dar – er trat hinter seinem Verstecke hervor, näherte sich der kleinen Gräfin mit freundlichem Lächeln, und rief fröhlich scherzend: »Ein Dieb, ein Dieb!«

Gräfin Lieschen aber erschrack, als sie den jungen Mann, dessen sie sich von der gestrigen Spazierfahrt augenblicklich entsann, auf sie zueilen sah, so entsetzlich, daß sie ihren ganzen Vergißmeinnicht-Vorrath mit einem leichten Schrei zur Erde fallen ließ.

Ewald flog herbei, warf Hut, Taschentuch und Flinte bei Seite, suchte unter tausend launigen Entschuldigungen, daß er ihr den kleinen Schreck verursacht, die Verlorenen wieder zusammen, pflückte, was er in der Nähe vorfand, noch geschwind dazu, überreichte ihr den großen Strauß knieend, und meinte, daß sie durch ihren Gewaltschritt über die Gränze seinem Vaterlande die größte Ehre erwiesen habe, denn er finde das stillschweigende Geständniß darin, daß in diesem die Blume, welche seit Menschengedenken das Sinnbild der Liebe und Treue sey, besser gedeihe, als in dem ihrigen.

Das zarte Nachbarkind stand vor dem knieenden Grafen in der lieblichsten Verwirrung, von der Stirn bis zur Schwanenbrust, hat der dunkelste Karmin die Reizende übergossen; sie senkte den jungfräulichen, schüchternen Blick zu Ewald hinab, empfing zitternd die gerühmten Sinnbilder der Liebe und Treue aus seinen Händen, und wollte sprechen und konnte nicht, denn sie kannte ja den schönen jungen Mann, der mit unaussprechlicher Anmuth zu ihren Füßen lag, ohne zu wissen, wer er war; sie hatte ihn ja schon gesehen, ohne zu wissen wo; sie hatte ihn ja schon gehört, ohne zu wissen wann; sie hatte ja schon mit ihm gesprochen, ohne zu wissen wie. Es war ihr, als habe sie schon einmal gelebt, und hier vor ihr der Jüngling mit den brennenden Augen und den blühenden Wangen und der kräftigen Adonis-Gestalt, sey ein trauter Freund aus ihrer frühern Welt, und wieder war es ihr, als hätte sie ihn viel hundertmal im Traume gesehen, und der sanftlächelnde Blick, mit dem sie das stumme Staunen über das Unbegreifliche, was vor ihrer Seele vorüberging, verrieth, und die freundliche Milde, die aus jedem Gesichtszuge der Ueberraschten sprach, verschönten das Mädchen zum lebendigen Engel.

»Das Vergißmeinnicht,« hob Ewald fröhlich scherzend an, und richtete sich vom Ufer des Gränzbaches auf, »ist eine Wiesen- und Waldblume; folglich gehört vorliegender Fall halb und halb zu den Forstfreveln, und unsere Forstgesetze sind unmenschlich streng; das Erste, was sie vorschreiben, ist die Pfändung; – ein Pfand – meine schöne Gräfin – ohne das werden Sie dießmal nicht wegkommen.«

»Ihre eigenen Blumen,« erwiederte Lieschen mit einiger Befangenheit, »die mir vorhin entfielen, haben Sie mir gereicht; die kann ich Ihnen nun doch nicht wieder zurückgeben, und – weiter habe ich hier nichts! darf ich aber meine Schuld, mit einem Erzeugniß unsers Gartens lösen so –«

Ewald übersetzte sich dieß in eine gastliche Einladung, mit hinüber in ihren Garten zu kommen, und sich dort sein Pfand abzuholen; er trat daher, da Lieschen ohnehin heimgehen zu wollen schien, auf den schmalen Steig, und bot der Comtesse die Hand, um sie hinüber zu geleiten.

Vorhin war die Flüchtige in zwei Sätzen über den Graben gewesen, – jetzt – machte es, daß sie das Bild des frischen jungen Jägers zu ihren Füßen im klaren Silberbache sich widerspiegeln sah, – oder bebten ihr noch die zarten Glieder vom Schreck – oder fürchtete sie, daß das schwache Bret sie Beide nicht tragen möchte – sie zagte ängstlich, und schüttelte, über ihre Furchtsamkeit selbst sich im Stillen wundernd, das vorhin so schwindelfreye Köpfchen, und bat, daß Ewald nur allein vorangehen möge, wo sie dann nachkommen wolle. Sie setzte nun, da er drüben war, zweimal das kleine Füßchen auf das schwankende schmale Bret, als sie aber beidemale sichtlich beklommen, wieder zurücktrat, kam Ewald herüber, bat sich ihre Hand aus, führte sie lachend auf den Steig, und schon hatte Ewald den Fuß drüben auf dem Ufer, als das Bret brach; Lieschen schrie laut auf; Ewald schlug seine Linke, um sich zu halten, in den nächsten am Ufer befindlichen Strauch, schlang um die Fallende seine Rechte, und hob sie mit kräftiger Gewandheit auf das Ufer, so, daß ihr kaum die Schuhspitze am rechten Fuße vom Wasser genetzt ward.

Das alles war Sache des Augenblicks. Gräfin Lieschen, noch halb todt vor Schreck, stand, von Ewald noch umschlungen, gerettet am Ufer, lachte über die glücklich überstandene Gefahr, und in ihrem freundlich sanften Blick, und in dem Wogen der hochbewegten Lilienbrust konnte Ewald mehr als in Worten seinen Dank lesen; sie wollte versichern, daß ihr das Unglück geahnet habe, aber mitten in der Rede blieb sie stecken, denn ihr Auge fiel auf Ewalds Linke, aus der das helle rothe Blut an drei, vier Stellen zur Erde hinab rieselte.

»Um Gotteswillen,« rief sie, »was haben Sie gemacht!« und hob die blutende Hand mit einer Theilnahme in die Höhe, die dem glücklichen Ewald den ersten Schmerz der brennenden Wunden tausendfach versüßte. Der Strauch an dem er sich festgehalten, war ein dorniger gewesen, er hatte sich mehrere Stacheln tief in die Hand gedrückt; indessen zog er sie sich alle gleich wieder heraus, steckte die Hand in den Bach, und ließ die Wunden ausbluten. Während dem plauderte er mit der kleiner Gräfin, die sich tausend Vorwürfe machte, daß sie von dem ganzen Begebnisse eigentlich allein die Schuld trage, und die durch den lebhaften Antheil nur zu deutlich das Wohlwollen verrieth, mit dem sie sich dem ritterlichen Jüngling zugethan fühlte.

Jetzt ließ das Bluten nach; Ewald nahm die Hand aus dem Wasser, wollte sie sich ein wenig verbinden, und bemerkte jetzt erst, daß er sein Tuch drüben bei Hut und Flinte gelassen. Er frug, ob hier in der Nähe kein zweiter Steig über den Gränzbach sey, und kaum hörte Lieschen die Ursache dieser Frage, als sie bat; sich ihres Taschentuches zu bedienen. Dieß war aber von so superfeinem Battist, und so über alle Beschreibung zierlich gestickt, daß Ewald erklärte, dieses Prachttuch dazu unmöglich anwenden zu können; Gräfin Lieschen aber legte es geschwind zusammen, sagte ängstlich, »bitte, bitte,« schlug das Tuch, ohne auf alle seine Einreden zu hören, um seine Hand, schürzte einen leichten Knoten in die Zipfel, und machte das alles mit einer solchen zarten Barmherzigkeit, daß Ewald im Stillen meinte, um den Preis bei der nächsten Gelegenheit mit tausend Freuden sich noch dreimal ärgere Dornenrisse gefallen lassen zu wollen.

Sie gingen jetzt der Gartenthüre zu, aus der vorhin Lieschen herausgekommen war, und traten in den Park; der kleine Unfall hatte sie mit einander bekannter gemacht, als hätten sie Monate lang schon zusammen gelebt; ein junger hübscher Mann, der um eines Mädchens willen, ein halb Pfund Blut verliert, und ein solch Himmelskind, als Gräfin Lieschen war; das mit eigener Hand die Wunden verbindet, die es verursachte, – das sind keine Fremden mehr. Darum sprachen Beide auch herzlich und traulich mit einander, und Ewald sog die bildschöne gräfliche Jungfrau fast mit den Blicken auf. Lieschen hatte gewiß noch nicht geliebt, aber sie ahnete, sie wußte, was Ewalds seelenvolles Auge ihr sagte – sie konnte nicht mehr hinein sehen, in diese hochlodernde Flamme der frisch aufgehenden Feuersbrunst, sie schlug den Blick nieder auf Ewalds Hand, und sah doch wieder hinauf in das Gesicht des liebeerglühten Jünglings, aber blos um zu beobachten, ob ihm der Blutverlust anzumerken.

»Lassen Sie die Hand nicht so hinabhängen,« sagte sie ärztlich altklug und sorglich, »das Blut schießt Ihnen sonst zu sehr in die Wunde; warten Sie – ich mache Ihnen eine Bandage,« und damit flog sie vorauf in den Kiosk, knüpfte dort die Bänder aus ihrem Strohhute zusammen, brachte ihm das Machwerk ihrer Empfindung entgegen, behauptete scherzend, daß Böttcher, Bernstein und Köhler, von denen ihr Leibarzt immer viel Rühmens mache, keine bessere Bandage für diesen wichtigen Fall hätten bereiten können, schlang ihm das Band über die Achsel, legte ihm die Hand, wie sie nach ihrer Meinung liegen sollte; dabei streichelte sie mit kindlicher Gutmüthigkeit die Verletzte, und fragte, ob es noch sehr weh thue.

Ewald wollte, – das Herz preßte ihn, als laste eine ganze Welt auf ihm – er mußte dem Mädchen sagen, wie namenlos er es liebe, wie es das Erste sey, das diesen unbeschreiblichen Eindruck auf ihn gemacht, wie er Blut und Leben für das holde Wesen hinzugeben jeden Augenblick bereit sey, aber mitten in der Rede, die, so wohlgefällig sie auch klingen mochte, Lieschen doch in gewaltige Verlegenheit zu setzen anfing, hielt er inne, sein Blick fiel auf den Zipfel des Battisttuches; in einem weißgestickten köstlichen Kranze von leichtem Blumengewinde prangte der Name »Aloyse.«

»Aloyse?« fragte er, und dachte an die Prinzessin, die er über dieses Gräfchen Wunderhold ganz vergessen hatte. »Ich denke, Sie heißen Lieschen?«

»Woher wissen Sie denn, daß ich Lieschen heiße?« fragte die kleine Gräfin, und sah unter komischem Kampfe mit einer Anwandlung von unbezwinglicher Lachlust, so verschmitzt und listig, und doch dabei so engelgut und lieblich aus, daß, wäre Ewald kein Prinz, und Lieschen keine Gräfin gewesen, er ihr auf diese frommen Schelmenaugen unausbleiblich einen Kuß gedrückt hätte. Beinahe wär ihm das Bekenntniß entschlüpft, daß er sie gestern Abend von ihren Schwestern so hätte nennen hören; er erwischte sich indessen noch in Zeiten bei der Unbesonnenheit, und erzählte, daß ihm Fräulein Hollau gleich nach seiner Rückkehr vom gestrigen Spaziergange, mit den sämmtlichen Gliedern ihres Hauses habe bekannt machen müssen, und daß er daher auch das Glück gehabt habe, von ihr, als von der jüngsten Gräfin zu hören.

»Dann haben wir,« erwiederte Lieschen mit einem Tone, als suche sie etwas in der Sonderbarkeit des Zufalls, »wahrscheinlich zur nämlichen Zeit von einander gehört, denn als wir nach Hause kamen, erfuhren wir schon durch die hiesige Pfarrfrau, die drüben bei der Ihrigen zum Besuch gewesen, daß der junge Baron von Hollau von einem Universitätsfreunde überrascht worden sey; sie wußte schon Ihren Namen, Ihre Herkunft, alles – wie das nun so auf dem Lande ist, wo man sich um Alles bekümmert.«

»Dann haben Sie wahrscheinlich,« fuhr Ewald fort, »das Tuch von irgend einer Freundin erhalten, und – Sie wissen – Sie sind mir ein Pfand schuldig, ich hätte gern um das Tuch – zum Andenken –« setzte er befangener hinzu, »gebeten, aber so müssen Sie mir schon etwas Anders aussuchen, denn –«

»Das Tuch,« fiel sie ihm lächelnd in das Wort, »habe ich von unserer Prinzessin, doch bei der will ich, wenn Sie sich mit diesem Pfande begnügen, wohl vertreten, daß ich es weggab; wenn ich ihr erzähle, daß ich in den tiefen Bach gefallen, daß ich ertrinken konnte, und daß Sie mich vom Wassertode retteten, wird sie gewiß nicht böse sein –«

»Also kennen Sie die Prinzessin?« fragte Ewald, »sie soll sehr hübsch, sehr liebenswürdig, und sehr –«

»Passirt,« entgegnete Gräfin Lieschen, und kam jetzt mit Ewald auf den Kiosk, wo dieser den Zettel, an dem die Gräfin vorhin geschrieben, bemerkte; er erzählte, daß er sie vorhin daran hätte schreiben gesehen, und äußerte mit aufgehobenem Drohfinger, daß das wohl ein kleines Billetdoux gewesen, denn, wenn ihn sein Blick, den er vorhin beim Verbinden in ihre Hand geworfen, nicht ganz getäuscht, so wäre es mit ihrem Herzchen nicht recht richtig.

Lieschen lachte über seinen Scharfblick, erklärte sein chiromantisches Wissen null und nichtig und gab ihm, da er behauptete, ihr seine Kunst beweisen zu können, auf sein dringendes Bitten, nach vielem Weigern, endlich die kleine Hand hin. Ewald verwünschte zum zweitenmale, daß er Prinz und Lieschen Gräfin war, denn als er in die Schneetiefe des wunderniedlichen Flaumenpatschchens sah, kam ihm die Lust, in diese weiche warme Alabasterfülle einen recht herzlichen Kuß zu drücken, so unwiderstehlich an, daß er seine ganze Zigeunerrolle fast vergaß, und nur, als Lieschen sich mit einem neugierigen »nun« vernehmen ließ, wieder zu sich selbst kam.

»Ich habe es ja gleich gesagt,« hob er, auf sein gestriges Horchen gestützt, altklug an, »diese Linien hier sind unwidersprechliche Zeugen meiner Behauptung. Ihr Herz wird in Anspruch genommen, von einem Manne, der Ihnen nicht gefällt. –« Lieschen stutzte, und zuckte mit dem Händchen, als wolle es dasselbe zurückziehen – aber Ewald hielt es in der seinigen, und fuhr, ohne sie anzublicken fort, »Sie lie– ja hier steht es ganz deutlich – Gräfin, Sie lieben; wie Sie den glücklichen Gegenstand Ihrer Liebe haben kennen gelernt, das kann ich Ihnen in dem Augenblick noch nicht sagen; aber den Anfangsbuchstaben – sehen Sie selbst her – ist das nicht ein wie in Kupfer gestochenes E? –« Lieschen erschrak fast noch mehr, als vorhin, wie der Steig brach – sie sagte mit erzwungener Frivolität, »falsch, falsch,« und wollte nichts mehr hören, aber Ewald verwendete kein Auge von der Hand, die sie ihm wieder entziehen wollte, und sprach, um zu forschen, wer eigentlich der Ewald sey, dem sie gestern Abend den Gutenachtkuß zugeworfen, »der junge Mann ist, wenigstens für diesen Augenblick nicht fern von Ihnen, er wird das Ihnen lästige Verhältniß brechen, denn er ist von hoher Geburt, und hat Mittel genug in den Händen, jeden Mitbewerber zu verdrängen, –« (Lieschen sah, hoch aufhorchend, den Unbegreiflichen forschend an, der ihre heiligsten Geheimnisse in Worten aussprach, und ließ ihm, ohne es selbst zu wissen, willig die Hand) – »er ist von der reinsten Gegenliebe durchglüht, er wird, selbst wenn die Verhältnisse seines Standes ihm Hindernisse in den Weg legen sollten, sie alle beseitigen – deute ich den Stern hier im Tiefsten Ihrer kleinen Liniamente richtig, so ist der glückliche Sterbliche, dem Sie Ihre Neigung, Ihr Wohlwollen, Ihre Liebe geschenkt, ein Pr–«

»Meine Schwestern!«rief Lieschen und sprang, von den Eröffnungen des Schwarzkünstlers vor Schreck mehr todt als lebendig, die Treppe hinab in den Garten, den Gräfinnen Ida und Henriette entgegen, wisperte ein paar Worte heimlich mit ihnen, fing dann wieder lauter von den Vergißmeinnicht an, die sie wahrscheinlich abholen wollten, erzählte ihnen im Zurückkommen den Vorfall auf dem Brückchen über den Gränzgraben, und stellte ihnen, als sie mit ihr auf dem Kiosk angelangt waren, den Grafen Lüdinghausen als ihren Lebensretter vor.

Das Gespräch ward nun allgemein, und wo Geist und Herz, Witz und Laune sich den Zügel lassen, spinnt sich die Unterhaltung bald fort. Zweimal erinnerte Ida an das Heimgehen, und an die Fertigung der Blumenguirlanden, die, wie Ewald jetzt hörte, zum heutigen Geburtstagfeste des würdigen Pfarrherrn bestimmt waren, und zu dessen Mitfeyer Ida und Jettchen den Prinzen freundlich einladeten; aber immer gab es noch zu scherzen, zu lachen, zu fragen, und zu erzählen, daß an kein Fortkommen zu denken war. Unter andern nahm Gräfin Lieschen auch den vorhin besprochenen Zettel vom Tisch, erzählte den Schwestern, daß sie vom Grafen sehr keckerweise beschuldigt worden wäre, diesen Morgen hier gesessen, und Liebesbriefe fabrizirt zu haben, und zeigte ihm nun, um ihn vom Ungrunde seines Verdachts, wenn auch nicht mit Schwarz, doch mit Grau auf Weiß zu überzeugen, das Papier, auf dem sich folgende einzelne Worte befanden:

Marienbild. Ideal. Anker. Assa foetida. Heimweh. Extrablatt. Nonne. Vicomte. Leuchtkugeln. Ruhe. Talisman. Sternbild. Erscheinung. Osterei. Eulengeschrei. Immergrün.

zugleich bemerkte sie, daß Idas Bräutigam, Herr Bernhard von Sulzach, sich erboten, gelegentlich aus den ihm gegebenen Worten, eine Geschichte zu erzählen, daß sie den Auftrag erhalten, ihm diese Worte vorzuschreiben, und daß dieß das Resultat ihrer Bemühung sey, ihm das Leben recht sauer zu machen.

»Das sind Hexenworte!« rief Ida mitleidig, »da bringt mein armer Bernhard mit aller Anstrengung gewiß nichts Gescheites heraus.«

Ewald aber durchflog sie noch einmal, lächelte sinnend, und bat um die Erlaubniß, dem Herrn v.  Sulzach, wenn auch nicht gleich heute, doch später einmal einige Data dazu liefern zu dürfen.

Natürlich ward das Anerbieten von den drei Mädchen mit lebhaftem Danke angenommen, und Jettchen eilte der Mutter, die, einen entsiegelten Brief in der Hand, eben aus einem dunkeln Bogengange nach dem Kiosk zukam, entgegen, um ihr den angenehmen Gast vorläufig anzumelden; auch sie sprach mit der Mutter heimlich, und diese beantwortete die ihr zugeflüsterte Mittheilung mit einigem Kopfschütteln, und entgegnete darauf ein freundlich-verweisendes »Mädchen, was macht Ihr für Streiche!« Was Ewald auf Lieschens Gang nach den Vergißmeinnicht auf dem jenseitiger Ufer bezog.

Ewald entschuldigte, als die Gräfin Mutter im Kiosk angelangt war, sein Erscheinen in ihrem Garten mit dem edeln Anstande, der seine feine Erziehung und seinen gebildeten Weltton verrieth, und die Mutter hieß ihn herzlich willkommen, dankte ihm für den, ihrem Lieschen geleisteten Liebesdienst, und küßte dem geretteten Kinde zärtlich liebkosend die Stirn.


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