H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

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Das Extrablatt.

Ewald war wie vernichtet, denn aus demselben Gebüsch, aus dem die Hausmarschallin getreten war, watschelte jetzt auch die alte Lärmkanone die Frau v.  Broich heran; hatte die Battista in seinen Armen gesehen, so wußte es morgen früh die ganze Stadt, denn was der neukreirten Schutzpatronin, der ehernen Leäna fehlte, hatte diese allgefürchtete Stadtglocke, die man in der ganzen Residenz nur das Extrablatt hieß, doppelt und dreifach.

Prinz Ewald kam sich in diesem entsetzlichen Augenblicke leibhaftig vor wie Adam in seiner Bilderbibel, als dieser vom verbotenen Baume des Erkenntnisses gegessen; wie dieser auf Eva, so wollte er im Stillen die ganze Schuld auf Battista schieben; wie diesem das Paradies, so kam auch ihm Oberstallmeisters Park nicht halb so hübsch mehr vor als ehedem; wie dieser von da an den düstern Blick verzagend in die wüste Zukunft warf, so sah auch er nach seiner mädchenhaften Ansicht, einmal herausgetreten aus dem Stande der Unschuld, nichts als eine Reihe von Mühen und verdrießlichen Scenen vor sich, und wie dieser verurtheilt ward, fortan im Schweiße seines Angesichts zu arbeiten, so traten auch ihm schon die hellen Schweißperlen der allerabscheulichsten Verlegenheit auf die feuerbedeckte Stirn. Der Schuldbewußte konnte kein Auge aufschlagen, und bewunderte im Stillen die Fassung, mit der Battista die alte Broich begrüßte, und höchst unbefangen, als sey gar nichts vorgefallen, italienisch mit ihr zu plappern anfing.

Meisterin in der Kunst, ihren einmal errungenen Vortheil zu verfolgen, hing sich, indem sie alle Viere jetzt nach den Schlosse zu gingen und Battista mit der dicken Broich weit zurückblieb, die schlaue Frau v.  Zagern an des Prinzen Arm und demolirte das schwache Schanzwerk seiner Hoffnung, daß ihn die Löwin vielleicht gedeckt, und die Hausmarschallin deßhalb nicht alles gesehen habe, mit der, unter traulichem Lächeln ihm zugelispelten Versicherung, daß die Gruppe sich ganz allerliebst ausgenommen habe; »als hätte ich Amor und Psyche gesehen,« sagte sie beifällig, »so zart, so entgegenkommend, so ansprechend machte sich das Bild, und das lauschige Helldunkel der stillen Abenddämmerung gab dem ganzen eine wundervolle Beleuchtung; das Licht fiel von oben herab aus dem matten Schimmer der hohen Lindenwipfel, deren äußerste Spitzen noch alle von dem Abendrothe magisch vergoldet waren; ich hätte noch stundenlang zugesehen, und gewiß nicht gestört, ich weiß ja wohl aus eigener Erfahrung, wie unwillkommen in solchen Augenblicken jeder Dritte ist, aber die alte Broich konnte ja den Mund nicht halten; fängt die gleich ihr bon soir zu kreischen an, daß alle Vögel oben in den Nestern aufgescheucht durch einander flogen, als hätten sie eine Eule gehört. – Ueber Battista aber,« fuhr sie mit verstelltem Unwillen fort, »kann ich mich ordentlich ärgern; wochenlang habe ich an dem Mädchen gepredigt, und es himmelhoch gebeten, ihrer thörigten Leidenschaft ruhige Vernunft entgegenzusetzen, auf Ihre und eigene Verhältnisse die nöthige Rücksicht zu nehmen und jede Gelegenheit, sich Ihnen zu nähern, möglichst zu vermeiden, aber solch neapolitanisches Blut ist wahrhaftig, als hätte es der Vesuv selbst gekocht; ich kann nicht, rief sie neulich, als ich ihr über dieß gefährliche Kapitel wieder einen sehr strengen Text las, und rang die Hände, ich kann nicht, oder ich gehe zu Grunde; ich weiß, daß es eine Raserei ist, ihn zu lieben, aber er hat ja keine Ahnung davon, und er soll auch die unermeßliche Liebe nie erfahren, die in diesem Busen glüht; es ist meine Erste und es soll und wird meine Letzte seyn.«

Beide standen jetzt an der Thüre des Gartensaales, in dem sich größere Gesellschaft befand, die auf Battistas Rückkunft aus dem Parke wartete, denn sie hatte zu singen versprochen. In diesen Kreis jetzt zu treten wäre dem Prinzen um keinen Preis möglich gewesen. Der selige Augenblick vorhin, der Schreck der Ueberraschung, die Angst vor der Plaudersucht der alten Frau v.  Broich, das neue trauliche Verhältniß mit der Hausmarschallin, die er auf einmal von einer ganz andern Seite kennen lernte, als er sie sich früher gedacht hatte, und die von der überschlauen Frau fein zusammengewobene Lüge von dem Ausbruch der allerersten und nicht länger mehr zu gewältigenden Liebe in Battistas Brust, und die Schnelle der wenigen Minuten, in denen dieß alles auf einander gefolgt war, – nein, nur jetzt in keine Gesellschaft; die Hausmarschallin, die gar zu gern gesehen hätte, daß der Prinz geblieben wäre, schien zu merken, daß er fort wolle, und um dieß zu verhindern, beschleunigte sie jetzt ihre Schritte nach der Saalthüre, damit ihn die Frau vom Hause in das Gesicht bekommen und ihn mit ihr vereint bitten sollte, zu bleiben; sie hatte schon die Klinke der Thüre in der Hand, aber der Prinz, von der peinlichsten Befangenheit gefoltert, nahm hier schnell Abschied.

»Recht Schade,« fabelte die Hausmarschallin, »daß Sie nicht bleiben können; ich hatte auf ein Plätzchen in Ihrem Wagen beim Nachhausefahren gerechnet. Die Roselli hatte wieder auf mich gebaut – folglich hätten Sie heute Abend schon uns Beide mitnehmen müssen – nun – die Oberstallmeisterin wird uns ja wohl mit einem ihrer Wägen aushelfen können, falls wir uns nicht bei einem oder dem andern der Gäste einflicken;« mit den Worten öffnete sie bereits die Thüre, aber der Prinz sprach blos ein kurzes Bedauern über die Unmöglichkeit, dießmal nicht dienen zu können, aus, drückte sich noch in der Geschwindigkeit die Bitte ab, mit Battista über die Sache nicht in gewöhnlicher Strenge zu sprechen und vor allem der alten Broich auf eine feine Weise den Mund zu verbieten, und eilte, ohne sich umzusehen, durch einer Seitenweg zu seinem Wagen.

»Nach Hause – langsam,« befahl er dem Bedienten, der ihn in den Schwimmer hob, schmiegte sich in den Winkel der schaukelnden Wiege, und drückte mit der Linken die Augen fest zu, um seine Paradies-Scene noch einmal, noch zehnmal in der Erinnerung zu durchleben. Er haderte mit dem Zufalle, daß dieser gerade im interessantesten Momente die unwillkommenen Damen hatte zu dem Lindenrondel führen müssen; mit beiden Armen hatte er das wunderholde Mädchen umfaßt gehabt, beide Lippen wären, meinte er, einander schon so nahe gewesen, daß kaum ein Mohnblatt zwischen beiden Platz gehabt, und gerade da, gerade da wären die Unberufenen gekommen, und doch war es ihm auf der andern Seite wieder lieb, daß die Zagern gekommen, hatte er doch nun Jemand, mit dem er von Battista reden konnte. Wie vergiftete Pfeile waren die Worte der Hausmarschallin ihm in das frisch aufgerissene Herz gedrungen, und je mehr er sie sich jetzt wiederholte, desto tiefer gingen sie ihm in das Blut. Hatte er die Frau recht verstanden, so war lange schon Battista ihm zugethan gewesen; er war des Mädchens erste Liebe, er sollte, hatte es gesagt, seine letzte seyn. Battista wollte eher zu Grunde gehen, als diese Neigung aufgeben; sein Rang, sein Vermögen waren es nicht, die sie blendeten, er hatte ja von dem allen nichts wissen sollen – der Zufall hatte sie ihm heute in seinen Wagen führen sollen; wäre er in der Gesellschaft geblieben, so hörte er ihre Zauberstimme, war noch mehrere Stunden mit ihr unter Einem Dache, und saß dann, umschlossen vom verschwiegenen Dunkel der Sommernacht, ihr gegenüber, oder – der Wagen war für Dreie breit genug, – an ihrer Seite. Er ärgerte sich, daß er nicht geblieben war; er begriff nicht, wie er so ganz alle Fassung hatte verlieren können, Battista hätte ihn gewiß nicht verrathen, sie hatte ihm durch die Geschichte der Leäna auf die feinste Weise Verschwiegenheit gelobt; die Frau v.  Zagern hätte, nach ihren Aeußerungen über den ganzen Vorfall, desselben in der Abendgesellschaft gewiß mit keiner Sylbe erwähnt, und die alte Broich – die hatte einen gewaltigen Respect vor der Hausmarschallin; sagte diese, Sie [solle] schweigen, so schwieg sie, und wenn es ihr hätte das Leben kosten sollen. »Warum überlegte ich dieß nicht alles früher,« sagte er, mit sich und seinem Nachhausefahren höchst unzufrieden zu sich selbst, warum nahm ich nicht an des Mädchens Gewalt über sich, ein Beispiel – heute Abend – sagte die Zagern nicht, daß – wie konnte sie ein solches Wort in den Mund nehmen – daß sie sich mit Battista bei einem oder dem andern einflicken wolle? Sie setzt sich in den ersten besten Wagen, Battista muß vielleicht gar allein mit einem Andern fahren!! Der rüde Jagdjunker Flörken, der dummdreiste Kammerherr Boutalp, der Wüstling Graf Balkenburg – bestimmt waren die heute draußen bei Oberstallmeisters – wenn Battista mit einem von diesen heute Abend nach Hause fährt! Allein! von der ganzen Welt ungesehen! – –

Höchst verstimmt fuhr er zum Thore der Residenz ein; die Wache trat in das Gewehr, alle Posten in der langen Straße machten die Honneurs, alle Leute die ihm begegneten, zogen ehrerbietigst die Hüte, und alle Damen verneigten sich freundlich, aber er dankte keinem, er sah nicht einmal hin, denn er lag immer noch im Winkel seines Wagens und hielt sich die Hand vor die Augen, unbekümmert um die ganze Aussenwelt; die Menschen aber sahen dem vorbeifliegenden Wagen nach, und einer fragte den andern, was dem Prinzen fehlen müsse, denn sonst war der liebenswürdige junge Herr die herablassende Güte selbst, und grüßte immer zuerst.

Nur als der Kammerdiener beim Entkleiden die Tuchnadel vermißte, und vor Schreck die Hände in einander schlug, kam Ewald wieder zu sich, warf leicht hin, daß er den Solitair verloren, und tröstete den treuen Diener mit der Versicherung, daß er den Stein wohl wieder zu sehen bekommen werde.

Natürlich erzählte der Kammerdiener das Unglück seinen Umgebungen, von diesen kam es bald weiter; in den am Schloßplatze zunächst gelegenen Straßen war der verlorene Stein schon fünfzehn, in den Vorstädten dreißigtausend Thaler werth, und noch denselben Abend wußten die Leute, warum Prinz Ewald so verstimmt nach Hause gefahren war. So falsch, so unbegründet mag oft das Urtheil des großen Haufens über Personen dieses Ranges seyn.

Den folgenden Morgen legte der Hof-Staatssecretair einen Aufruf an den ehrlichen Finder dem Prinzen zur Genehmigung vor, und bat in seiner Unschuld um nähere Angabe der Stellen, wo der Stein könne verloren gegangen seyn, und um die Bestimmung der Summe, die als Recompens in den Zeitungen solle ausgeboten werden. »Mein Gott,« entgegnete Ewald etwas unwillig, »ist das nicht ein Lärmen um solch einen Stein! Wo kann ich ihn anders verloren haben, als gestern bey dem Jubelfeste oder bei Oberstallmeisters; beide Häuser können wir in der Annonce nicht nennen, das schickt sich nicht, also lassen Sie die ganze Bekanntmachung auf sich beruhen; leben tausend Millionen Menschen ohne solche Tuchnadeln, so werde ich an diesem Verluste auch nicht sterben.«

Der Hofstaatssecretair verbeugte sich tief und wußte nicht recht, ob er die hohe Gesinnung als eine noble verehren, oder in ihr eine leichtsinnige Gleichgültigkeit gegen den, in seinen Augen über alles gehenden Werth des Geldes finden, und sie dann mißbilligen sollte.

Battista war schlau genug, mit dem köstlichen Steine nicht zu prahlen; sie wollte ihn ganz still zu dem Golde legen, das sie sich bereits zusammengesungen hatte, und mit dem sie über lang oder kurz nach Neapel zurückzugehen gedachte, aber Frau v.  Zagern, der sie in der ersten Freude von dem gütigen Geschenke vertrauliche Mittheilung gemacht und der es in ihre Pläne paßte, diesen Beweis von auszeichnender Huld möglichst in das Publikum zu bringen, rief, als Battista zugleich hinzufügte, daß sie diesen köstlichen Solitair heilig verwahren, und um Neid und Mißgunst unter den übrigen Mitgliedern des Theaters zu vermeiden, hier gar nicht zum Vorschein bringen werde, einmal über das andere, »wo denken Sie hin, Battista! der Stein ist Ihnen bestimmt nicht gegeben, daß Sie ihn in Baumwolle einwickeln sollen; der Prinz hat Sie damit schmücken wollen. Er wird ihn, wenn Sie irgend in einem Stück auftreten. wo ein solcher Schmuck zu Ihrem Kostüm paßt, in Ihrem Haar, an Ihrem Halse, auf Ihrem Busen suchen und müßte er, wenn er ihn immer und ewig vermißte, bei seiner Bescheidenheit nicht der Besorgniß Raum gehen, daß der Solitair Ihnen noch nicht gut genug gewesen wäre? oder müßte er am Ende nicht gar auf die Vermuthung kommen, daß Sie auf das Glück, ein solches Geschenk aus seiner Hand selbst erhalten zu haben, gar keinen Werth gelegt und dieß Kleinod beim ersten besten Juden versilbert hätten? Nein, mein Kind, eine Auszeichnung dieses Grades muß man ehren, man muß aber auch der Welt zeigen, daß man sie zu würdigen verstehe, das hebt uns dann selbst in den Augen unserer Feinde. Lassen Sie also einige Ihrer Schmucksachen schnell umarbeiten, und den Solitair mit hineinfassen, und ist jemand dreist genug zu fragen, wie Sie zu diesem kostbaren Steine gekommen, so billige ich Ihr Zartgefühl sehr, die Antwort darauf durch irgend eine ausbeugende Aeußerung zu umgehen. Grade aus diesem Heimlichthun schließen die Leute gewöhnlich auf ein weit engeres Verhältniß zwischen dem Geber und der Empfängerin, als solches eigentlich statt findet; ein solcher Schluß aber, wenn er für den Augenblick auch noch zu voreilig ist, kann Ihnen nicht nachtheilig seyn, denn von einem Prinzen Ewald geliebt zu werden ist wahrlich kein gemeines Glück, ein Glück, dessen sich im ganzen Lande noch keine Einzige rühmen kann; ich weiß, die Carosa und unsere tragische Heldin, die kolossale Mamsell Herbst bersten vor Aerger, wenn sie das Brillantenfeuer in tausend Funkel-Farben im Kohlenschwarz Ihres Haares, oder auf der Schneepracht Ihres Busens spielen sehen, aber sie werden bald ahnen, aus welcher Hand dieser fruchtbare Steinregen gefallen, und sie werden schweigen, der Kabale, mit der beide Ihnen manche bittere Stunde gemacht, den Kopf eindrücken, aus dem Staube ihres Nichts zu Ihnen hinaufblicken und um Ihre Gunst buhlen. An Ihnen ist es jetzt, Battista, den rosenen Faden, den Ihnen die Parzen aus ihrem schönsten Wocken gezogen, fest zu spinnen, daß er halte; Sie können an ihm hinaufklimmen zu einer Höhe, daß mir selbst schwindelt, wenn ich Sie mir auf diesem Kulminationspunkte denke. Doch, Battista, da wir einmal diesen Punkt berühren – um Ihres eigenen Besten willen müssen Sie mir schon nicht übelnehmen, wenn ich hier etwas berühre, was, wie Sie vielleicht nicht mit Unrecht meinen werden, mich eigentlich nichts angeht; aber ich meine es gut mit Ihnen. Der Prinz.– kennten Sie seine frühere Erziehung, so würden Sie entschuldigen, daß er in manchen Punkten noch gewaltig kleinbürgerlich ist; der ganze hiesige Hof – wir sind Beide fremd, und dürfen daher unter vier Augen uns das wohl sagen – hat noch etwas Altfränkisches, eine Strenge, die nicht selten recht drückend wird; über manche Dinge wohl zu beschränkte Ansichten, mit einem Wort, eine Art von Bigotterie in Glauben und Thun. Natürlich ist das auf den Prinzen übergegangen, der nie aus dem Kreise seiner Familie gekommen, und daher ist er in den Studien der eigentlichen großen Welt noch gewaltig zurück; er kann roth werden wie ein Mädchen, wenn man ihn scharf ansieht; in seinen Augen ist Verbrechen, was Andere Leichtigkeit der Sitte nennen; er hat bei allem Umfange seines Wissens, und bei der Masse von Kenntnissen, doch aber auch wieder von einer Menge Dinge, besonders von den verfeinerten Lebensgenüssen, von der Freiheit in Erfüllung unserer Wünsche und Plaisanterien, von dem Gesetz der Leichtigkeit, mit welcher der Gebildetere sich über manchen Stein des Anstoßes hinweghebt, Begriffe wie ein Kind; so hält er z. B. – ich habe ihm wahrhaftig ein paarmal, als er auf das Kapitel kam fast in das Gesicht lachen müssen, die Liebe für etwas rein überirdisches, heiliges; wie er die Ehe ansieht, so ist das ein Nothzwinger, in den zwey Menschen auf Tod und Leben aneinandergeschmiedet sind, mit unerträglichen, eisernem Fesseln. Sein Urtheil über – wie soll ich sagen, über kleine Flatterhaftigkeiten unsers Geschlechts – wahrhaftig, als läge die hiesige Residenz am berühmten See Möris und er wäre zum Todtenrichter bestellt, so unerbittlich so ehern ist seine Strenge, wenn er auf den Punkt kommt; indessen – diesem, ich möchte sagen, in frommer Einfalt aufgewachsenen jungen Menschen, hierüber klarere, richtigere Ansichten beizubringen, ist nicht die Sache des Augenblicks; für jetzt muß man sich also in seine Launen fügen, wenn man ihn gewinnen, wenn man ihn festhalten will. Die Stadt spricht von Ihnen und von Zacharias –«

Die Roselli lachte laut auf.

»Nun ja,« fuhr Frau v.  Zagern sie entschuldigend fort, »wir leben ja alle in der Welt und wissen wie es darinnen zugeht, aber wollen Sie den Prinzen vor Ihrem Triumphwagen sehen, so spannen Sie den Zacharias aus; wie ich Ewald kenne, würde dieser aus der glühendsten Liehe in den eisigsten Haß fallen, wenn er nur leise ahnte, daß er mit einem Andern theilen solle, was ihm nur dann die ganze Lebensseligkeit gewähren kann, wenn er es allein genießt. Also vorsichtig, Battista; lassen Sie ihm Zeit, drängen Sie sich nicht um ihn; beeiligen Sie nicht einmal ihr Entgegenkommen; er muß Sie suchen. Es muß ihm schwer werden, Sie zu finden; er muß Monate lang vergeblich schmachten; dann faßt sein Glaube an Sie Wurzel, und ist dieser erst fest, so traut er sich selbst, und immer enger schürzt sich dann das Band zwischen Euch Beiden, was für Sie, Kleine, mit manchem blanken Goldfaden sich durchweben wird. Der wundervolle Grundstein da, auf dem der Prinz sein Sanssouci, sein Monplaisir, sein St. Clou, oder wie er das Schloß seiner süßen Liebesträume nennen wird, zu bauen gedenkt, ist gar nicht übel, und wenn er solche Baumaterialien zum Fundament verwendet, so kann man wohl denken, daß er zur belle Etage just keine schlechtere nehmen werde.«

Battista, welche in der Schule der Ränke noch auf der untersten Bank saß, und alle diese Aeußerungen und Andeutungen für gutmüthige Theilnahme an ihrem Glücke hielt, küßte, im Ergusse der Freude über das Glück, an der Hausmarschallin eine so wohlwollende Freundin gefunden zu haben, dieser für die umsichtigen Rathschläge, dankbar die Hand, versprach in allem die pünktlichste Folgsamkeit und eilte den folgenden Morgen schon zum Hofjuwelier, um den Solitair in ihr Diadem fassen zu lassen. Natürlich waren der ehrliche Hofstaatssecretair und der treue Kammerdiener, vom Diensteifer getrieben, hier so wie bei allen Juwelieren, Juden und Pfandverleihern der ganzen Residenz schon gewesen, und hatten, da der Prinz jedes öffentliche Bekanntmachen durchaus untersagt, nicht verfehlen wollen, wenigstens hinter der Hand die nöthigen Maßregeln zu treffen, um dem verlorenen Gute auf die Spur zu kommen, und der Hofjuwelier stutzte daher nicht wenig, als Signora Roselli, mit einer Gleichgültigkeit, als wäre das Steinchen Sechs Dreier werth, ihm den Verlorenen, mit ihren darüber getroffenen Dispositionen zustellte.

»Englisches Kind,« sagte er achselzuckend, und hielt den Brillant-Findling mit beiden Händen umschlossen vor der Brust, »Ihre Ideen sind charmant, und das Diadem, diesen kleinen Goliath von Diamanten in der Mitte, wird sich gar nicht übel machen, allein – sagen Sie, wo haben Sie den Stein her?«

»Herr Kiesel,« entgegnete die Neapolitanische Philomele, von der dreisten Frage etwas überrascht, »Ihre Sache ist, meine Bitte zu erfüllen, und den Stein dahin zu setzen, wohin ich ihn haben will, ein Weiteres liegt, scheint mir, außer Ihrem Kreise.«

»Mitnichten, Goldkind,« versetzte der Hofsteinsezzer etwas kurz angebunden, »den Solitair kenne ich; vor Kurzem erst habe ich ihn an seine hohe Behörde abgeliefert, und –«

»Herr Kiesel,« fiel ihm die Gereizte in das Wort, »ich hoffe doch nicht, daß Sie meinen, ich wäre auf unrechtem Wege in den Besitz des Steines gerathen? Solche Dinger kann ich mir, wenn es Noth thut, allenfalls selbst kaufen; Dutzendweise, wenn es seyn muß. Bei Ihrem Verstande werden Sie mir zutrauen, daß, wenn hier etwas Unklares im Spiele wäre, ich den Stein doch wahrhaftig nicht zu Ihnen, zum Hofjuwelier bringen würde; ich will gern zugeben, daß ich nur den zehnten Theil so klug bin, als Sie; allein, wenn Sie mich auch für noch weniger klug halten sollten; so reicht doch dieß Restchen Uebersicht so weit zu, um berechnen zu können, daß ich werth wäre, in das Tollhaus gebracht zu werden, wenn ich die Raserei begehen wollte, mit einem – ich will das Wort nur gerade heraussprechen, was Ihnen auf den Lippen schwebt, – mit einem gestohlenen Steine, den Sie und vielleicht noch zehn Andere hier auf den ersten Blick erkennen, öffentlich auf die Bühne zu treten. Den Sonntag wird Johann von Paris gegeben, ich mache die Prinzessin, dazu muß ich das Diadem haben, und der Solitair muß darin seyn; heute ist Montag; folglich haben Sie eine ganze Woche Zeit. Jetzt können Sie nun thun, was Sie wollen. Der Stein ist in Ihren Händen und darum recht gut aufgehoben; wollen sie sich aber einmal recht ordentlich auslachen lassen, so befördern Sie ihn nur an die hohe Behörde zurück, deren Sie vorhin erwähnten. Adjeu!«

Sie machte Herrn Kiesel, der über die Entdeckung des ihm ganz unerwarteten Verhältnisses zwischen Ewald und der Roselli so verblüfft war, daß er kein Wort erwiedern konnte, eine vornehme, herablassende Verbeugung, lächelte noch einmal mit recht studiertem kaltem Hohn zurück, und ging ab.

Herr Kiesel schoß, das Corpus delikti in der Hand, eiligst und schleunigst zum Hofstaatssecretair und Kammerdiener, und berichtete jedes Wort der Neapolitanischen gazza lodra mit gehöriger Breite.

»Donner und das Wetter,« rief der Kammerdiener, und steckte den vierten Finger seiner Linken zwischen die Zähne, was kuckt mir da heraus! Jetzt geht mir eine Pechfackel auf! Darum sollte in dem Wochenblatte der Deserteur nicht mir Steckbriefen verfolgt werden, darum diese unbegreifliche Ruhe bei dem verdrießlichen Verluste! darum die leichte Selbsttröstung, darum – o sehr richtig, sehr richtig – darum die bestimmte Hoffnung, den Stein gewiß einmal wieder zu sehen. Herr Hofstaatssecretair, Herr Kiesel – das ist ein kitzliches Ding; wollen Sie dem Prinzen den Findling bringen, glauben Sie sich damit liebes Kind bei ihm zu machen, ich habe nichts dawider, gehen Sie hin – ich verzichte gern auf die Ehre. Die kleine italienische Bestie weiß recht gut, woran sie mit ihrem Brillanten ist, sonst würde sie wahrhaftig nicht so keck thun; mich ärgert nur, daß er in solche Hände gefallen ist. Wie lange wird die hier bleiben, über kurz oder lang packt sie ihre sieben Sachen zusammen und geht damit über die Gränze; wir errichten überall Schlagbäume, daß keine Haselnuß aus dem Lande kollern kann, und so ein verschmitztes Ding nimmt es gleich tausendthalerweise in seine ferne Heimath; wollte der Herr seine Juwelen los werden, so waren in der Residenz, im ganzen Lande noch hundert hübsche Mädchen, die mit allen zehn Fingern darnach gegriffen hätten.«

Der alte Hofstaatssecretair, ein bedächtiger, ängstlicher Mann, bat den Entrüsteten, seine vorlaute Zunge im Zügel zu halten, und legte auch dem Herrn Kiesel das strengste Stillschweigen auf. Allein seine vorsichtige Warnung mußte nicht ganz pünktlich befolgt worden seyn, denn als das Publikum den folgenden Sonntag im Rabenhaare der reizenden Prinzessin von Navarra den prächtigen Solitair in seinem vollen Glanze funkeln sah, wendete es seine Augen mehr auf die Loge des Prinzen, als auf die Bühne, und der Neid der schlechtern Hälfte, und das Staunen der Bessern über die unvermuthete Wandlung des bis dahin für unschuldig und unentweiht gehaltenen edeln Ewalds, schwächte den Beifall, den Battista durch ihr Spiel und ihren Gesang heute mehr als je verdient hätte. Der Prinz, welcher vielleicht der Einzige im Hause war, der den Stein des Anstoßes in Battistas Diadem nicht bemerkte, und der natürlich keine Ahnung davon hatte, daß die Neigung, der er selbst kaum recht klar bewußt war, dem großen Haufen zur Kunde gekommen, und von diesem, nach der leidigen Gewohnheit der verdorbenen Menge aus jedem noch so schuldlosen Verhältniß, gleich das Schlechteste zu folgern, in den nachtheiligsten Schatten gestellt war, gab sich seinem Gefühle hin, und beehrte die Künstlerin nach der bekannten Arie: »welche Lust gewährt das Reisen,« vom Glockenton ihrer Zauberstimme berauscht, mit den Zeichen des lautesten Beifalls. Das Publikum schwieg, einige Stimmen liessen sich sogar zischend vernehmen. Jetzt zweifelten selbst die Ungläubigsten nicht mehr und Frau v.  Zagern feierte in ihrer Loge den glänzendsten Triumph; Ewald aber übersetzte sich das vernommene Mißfallen des Parterrs, in Partheihaß gegen die arme Roselli, die an einer zweiten Sängerin bei der Bühne, eine gefährliche, von einem großen Theile des Publikums enthusiastisch geliebte Nebenbuhlerin hatte, und schmollte im Stillen über die erbärmliche Einseitigkeit der bestochenen, ungerechten Theater-Kritik.


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