H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

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Assa foetida.

Der Oberceremonienmeister an Ewalds Hofe feierte sein Dienstjubiläum; der Prinz beehrte das Fest mit seiner Gegenwart. Bei der Tafel saß ihm Frau v.  Zagern schräg gegenüber. Der Prinz ergötzte sich an ihrer fröhlichen Laune, an ihrem Witze, an der Lebendigkeit ihrer Unterhaltung, auch mochte er sich nicht bergen, daß die geistreiche Frau nicht zu den Häßlichsten gehöre; sie fing zwar noch nicht eigentlich an zu herbsteln, doch stand der Zeitmesser ihrer äußern Reize ungefähr im Ende des Augustmonats, wo indessen gewöhnlich noch recht warme Sonnentage zu seyn pflegen. Freigebig wie Pomona, die Göttin des Herbstes, bot sie den so noch ziemlich conservirten Reichthum ihrer Reize, halb unverhüllt, dem schaulustigen Publicum dar, und der blitzende Juwelenschmuck, der ihr im Haare und Ohr, um Hals und Arm prangte, gab der vollen Figur ein recht anziehendes Lüstre.

Was Spanien, Frankreich und Deutschland, Ungarn und Italien, Griechenland und die Azoren, die Kanarischen Inseln und das Cap an guten Weinen nur liefern, hatte, selbst älter als der Jubelgreis die Tafelrunde schon passirt, und die vielen Toasts, die bereits waren ausgebracht worden, hatten sämmtliche Gäste überfröhlich gestimmt. Des alten Jubilars Enkelin war Braut; auf ihr und des Bräutigams, eines stattlichen Jägerhauptmanns Wohl, trank jetzt die ganze Gesellschaft unter Trompeten- und Paukenschall; das Pärchen eilte zum Silbergreis, der neben dem Prinz Ewald saß, und der alte Mann küßte segnend das blühende Engelkind, und sprach zu ihm und dessen Geliebten über ihr künftiges Verhältniß, in dem sie mit einander die Freuden und Leiden dieses Lebens hienieden theilen, und in treuer Liebe einander gehören sollten, herzlich rührende Worte. Prinz Ewald, den bräutlichen Enkel in der jugendlichen Frische des süßesten Liebreizes vor sich, und die Gluth der vielen alten Sorten im Kopfe, hörte die einfache Rede des ehrwürdigen Silberkopfs mit wunderlicher Andacht. Er dachte sich an die Stelle des Jägerhauptmanns, den jetzt das liebliche Mädchen mit beiden Schwanenarmen umfing, und er warf schnell wieder den Blick weg, und heftete ihn auf die dunkele Spiegelfläche des vor ihm stehenden Konstantiaweines, denn ihm begann der Mund zu wässern nach dem würzigen Kusse, den die Rosenlippen der in Unschuld und Liebe züchtig erglühenden Jungfrau dem bärtigen Jägerhaupte, unter heimlichen Zuflüstern ihres ehrlichen Gelöbnisses ewiger Treue, mit unnennbarem Zauber bot.

»Nun, mein Prinz,« hob drüben Frau v.  Zagern, den Augenblick seiner stillen Verzückung bemerkend, mit scherzhaftem Lächeln an, und berechnete im Geheimen, daß jetzt der rechte Moment gekommen sey, das Wort zur Welt zu bringen, das ihr seit Wochen schon auf dem Herzen gelegen, »nun mein Prinz, wann dürfen wir denn einen gleichen Toast auf Ihr Wohl ausbringen?«

Ewald bückte sich schnell zu dem vor ihm auf dem Desertteller stehenden Glase nieder, damit die Fragerin den Purpurguß nicht gewahren sollte, den er im ganzen Gesichte fühlte; war es doch, als hätte ihn die Frau mit ihrer Frage wie mit einem zweischneidigen Speer mitten durch das Herz gestoßen. Er schüttelte mit dem Kopfe, zwang sich zu lachen, meinte, daß es damit noch lange Zelt habe, und sog, um die übermäßige Verlegenheit zu verbergen, in die er sich wie ringsum eingestrickt fühlte, mit eng zusammengepreßten Lippen den köstlichen Konstantia in schlürfenden Zügen hinab.

»Trinken Sie, trinken Sie,« sagte die Hausmarschallin lachend mit gedämpfter Stimme, »das ist gerade der Wein, in dem jeder Mann auf das Wohl seiner Braut trinken sollte, vielleicht würden dann unsere Herren ein wenig beständiger.«

Der Prinz meinte, daß, wenn er einmal liebe, er gewiß, auch ohne seine Festigkeit in Konstantiawein sich zu erholen, in seiner Liebe beständig seyn würde; doch das meinte er nur, recht deutlich sagen konnte er es nicht, weil er in seinem Leben über die Liebe noch nie gesprochen, und dieß hier an der geräuschigen Tafel zum erstenmal zu thun am wenigsten im Stande gewesen wäre; die Frau v.  Zagern aber, den Zaun einmal niedergetreten, verfolgte ihre Bahn mit raschem kühnen Schritt, und äußerte – während die fröhliche Tischgesellschaft über einen andern ganzen hetrogenen Gegenstand in einem überlauten Gespräch höchst lebhaft begriffen war, und die nächsten Nachbarn dorthin ihre Aufmerksamkeit gerichtet hatten, daß ihm, dem Prinzen, die Tugend der Beständigkeit auch gar zu leicht gemacht werde, denn wenn er der ihm Bestimmten untreu werden könnte, so wäre, falls das Gesicht wirklich getroffen, und sie also wirklich so blendend schön wäre, als sie in diesem Portrait natürlich seyn sollte und müsse, an der Männertreue im Allgemeinen zu verzweifeln.

»Was ist das?« fragte der Prinz, seinem Ohr nicht trauend, und hob den Kopf über die leichten Nebeldünste, mit denen ihm die Mänaden von den Rebenhügeln der fernsten Länder die Schläfe umschleiert hatten, und bog sich vor über die Tafel und fragte über ihre höchst merkwürdigen und ihm höchst spaßhaften Neuigkeiten, in halblautes Lachen ausplatzend, »was schwatzen Sie da von einer mir Bestimmten, von einer Sie – von einem Portrait?«

»Läugnen Sie mir nicht,« rief die Hausmarschallin, »ich weiß, was ich weiß, und wünsche Ihnen und uns zu der getroffenen Wahl aufrichtig Glück;« sie nickte bei den Worten ihrem Manne zu, griff mit ihrer Rechten an den kleinen Finger ihrer Linken, an welchem gewöhnlich der Trauring steckt, warf einen bedeutenden, sehr verständlichen Blick auf den Prinzen, langte nach dem Glase, und trank mit einer kleinen Verneigung gegen Ewald, als wolle sie ihrem Manne durch diese Pantomime andeuten, der Trunk gelte auf das Wohl der künftigen Gemahlin des Durchlauchtigsten Prinzen.

Herr v.  Zagern, auf diesen Coup de Main wahrscheinlich schon früher einexerzirt, griff rasch nach seinem Pocale, bückte sich gegen den Prinzen so tief, daß seine Nasenspitze in den Schaum des vor ihm auf dem Teller liegenden Baisers tippte und leerte das Glas in Einem Zuge.

»Auch Ihr Mann weiß?« fragte der Prinz überrascht, und hatte nicht den Muth weiter zu sprechen.

»O der hat sie in der Tasche,« entgegnete die Hausmarschallin, und ein Glück war, daß eben die Tafelrunde sich erhob, denn die Antwort der Frau v.  Zagern kam dem Prinzen so komisch vor, daß er nahe daran war, in ein lautes Lachen auszuplatzen. Er drängte sich durch das Gewühl der weinfrohen Gäste, die sich jetzt unter lauter Gesegnetemahlzeitwünschen im bunten Kreise untereinander mischten, zum Hausmarschall, klopfte diesem muthwillig auf beide Taschen und bestürmte ihn, über die bewußte ihm Bestimmte, nähern Aufschluß zu geben. Die Hausmarschallin kam ihrer verlegenen Hälfte bald zum Sukkurs, und jetzt erfuhr der Prinz zu seinem größten Erstaunen, was außer Zagerns eigentlich noch kein Mensch wußte, nähmlich, daß von seiner nahen Verbindung in der ganzen Stadt, wie von einer völlig bekannten Sache gesprochen werde; beide wunderten sich, daß er davon nichts wissen wolle, und zögerten lange, seine dringende Frage nach dem Namen der vorgeblichen Braut zu beantworten. Frau v.  Zagern erzählte, wie sie Beide höchst neugierig gewesen wären, die Glückliche näher kennen zu lernen, und pries den Zufall, endlich durch die dritte, vierte Hand ein Gemälde von ihr bekommen zu haben; ihr Mann sey eben im Begriff, dasselbe heute noch an seine Behörde zurückzugeben; darum trage er es bei sich, und darum habe sie sich wohl den Scherz erlauben dürfen, zu sagen, daß er die Braut des Prinzen in der Tasche habe, die mit Einem Worte – Prinzessin Aloyse heiße.

»Aloyse?« rief der Prinz, aus den Rosenhimmeln seiner fröhlichen Laune fallend. »Kennen Sie denn diese Aloyse genauer? Glauben Sie denn im Ernst, daß ich mich entschließen könnte, eine solche Wahl zu treffen? Zeigen Sie mir ihr Portrait nicht; ich mag es gar nicht sehen. Sie soll hübsch, sie soll sehr hübsch seyn! Das Gesicht könnte mich verführen; die Hofmaler sind überdieß feile Söldlinge, und führen einen gefälligen Pinsel – nein, behalten Sie ihr Portrait. Wollen Sie aber ein wahres von dieser belobten Aloyse haben; so fragen Sie die alte Mohrenhoven, die hat dort Verwandte, Bekannte, die hat mir der Prinzessin Bild neulich nur in leichten Schattenrissen hingeworfen, aber –«

»Die Mohrenhoven,« fiel Frau v.  Zagern ihm in das Wort, »Sie kennen ja die alte gute Gräfin und ihr Talent, aus einem Maulwurfshügel gleich einem Himmelaya zu machen.«

»Und wenn nur die Hälfte von dem wahr ist,« fuhr der Prinz in rascher Aufwallung fort, »und wenn es auch nur ein Maulwurfshügel ist; auf der Blumenwiese meines häuslichen Lehens mag ich keinen solchen Hügel leiden, er bleibt immer eine Entstellung. Glauben Sie mir, ich bin ganz unpartheiisch; Rantaus und die Gräfin Stockheim waren, als sie zurückkamen, von der Prinzessin bezaubert. Klorinde Kulm hat neulich an Oberstallmeisters eine wahre Hymne über sie geschrieben; ich zweifle gar nicht, daß sie auch ihre guten Seiten haben mag, und lasse ihren gerühmten Talenten und ihrem Wissen alle mögliche Gerechtigkeit widerfahren – aber –«

»Nun, was hat den die Mohrenhoven geschwatzt?« fragte die Hausmarschallin mit einem Tone, der sattsam verrieth; wie sehr sie die Klatschwuth der Alten mißbillige und freute sich heimlich, daß das Gift, was sie bereitet, se trefflich gewirkt hatte.

»Davon spricht man nicht gern,« entgegnete der züchtige Fürstensohn; »fragen Sie sie nur selbst; die Prinzessin scheint – etwas viel Temperament zu haben, ist bei dergleichen Verirrungen das Herz mit im Spiele – und das soll hier der Fall seyn, – so steht die Sache noch schlimmer; die Liebe soll blind machen, und die gute Prinzessin muß ganz erblindet seyn, denn sie hat die große, hohe Stufe übersehen, die sie herabgesprungen ist, um einen Herrn Jemand mit ihrem Wohlwollen zu beglücken, der keinen andern Werth haben soll, als den ihm sein Regimentsschneider verliehen. Dieß Mißverhältniß ist so offenkundig geworden, daß wie mir erst gestern noch die Mohrenhoven erzählte, der heimlich Beglückte in ein entferntes Gränzregiment hat versetzt werden müssen, und nun soll ich die Trauernde um ihren Verlust trösten? Nein, beste Zagern, wenn ich dereinst einmal ein Herz besitzen soll, so will ich es aus der ersten Hand der Liebe haben und nicht aus der zweiten; ein Mädchen, das früher schon einmal geliebt hat, kann, sollte ich meinen, den zweien nie mit der Klarheit, mit der Hingebung, mit der Treue lieben, als den ersten. Es wird immer zwischen Beiden im Geheimen Vergleiche anstellen, und – der Mensch bleibt ja auch in der Liebe Mensch – immer den höher stellen, den es nicht besitzen kann, selbst wenn der, dem es zu Theil geworden, besser seyn sollte, als der, auf dessen Besitz es hat verzichten müssen, was übrigens im vorliegenden Falle noch unentschieden ist, da ich meinen Herrn Vorgänger zu kennen nicht das Glück habe, und überhaupt, ich denke jetzt noch gar nicht an das Heirathen; unter drei, vier Jahren wünsche ich von all dergleichen Vorschlägen gar nichts zu hören, am wenigsten würde ich mich entschließen können, auf ein Porträt hin zu heirathen. Könnte ich, wie ich wollte, so reiste ich dann in der Welt umher, aber ganz incognito, sähe mir Europas Fürstentöchter der Reihe nach an, suchte mich unter irgend einem angenommenen Grafentitel ihnen zu nähern, und wählte dann selbst nach meinem Gefühl und nach meinem Herzen – aber – können wir armen, von Manchem, dem unsere Verhältnisse fremd sind, oft mit Unrecht beneideten Menschen denn das? Wir sind noch nicht zum Thore hinaus, so weiß die ganze Welt, daß wir gereist sind, wohin, und unter welchem Namen wir gereist sind; man legt unserer Reise hundert Zwecke unter, einen immer alberner als den andern, und man weiß am Ende mehr von uns, als wir selbst. Das alles trat mir heute recht deutlich vor die Seele, als unser glücklicher Jägerhauptmann mit dem niedlichen Enkelkinde den alten Großvater um seinen Segen bat; beide haben sich durch eine freie Wahl gefunden, keine Nebenrücksicht, nichts, als die Liebe selbst, hat die seligen Menschen zusammengeführt – wahrhaftig, ich kam mir vor, als stände ich am Gitterthor des Paradieses, das mir nie geöffnet werden würde, da das niedliche Mädchen im Rausche der süßester Empfindung den Geliebten bräutlich umschlang!« –

»Ja,« versetzte Frau v.  Zagern, und benutzte das Terrain, das ihr der Prinz blos gegeben, um ihre zweite Batterie schnell aufzufahren, »ja, das muß man dem Mädchen lassen, es ist ein allerliebstes Kind; aber finden Sie nicht auch, daß die Kleine recht viel Aehnlichkeit mit der Roselli hat? nur ist die Roselli – das Bräutchen hört es ja nicht, – noch hübscher und interessanter; aber in der Zartheit der Figur, in der Grazie der Bewegungen, in der stolzen Haltung, und selbst in den Hauptzügen des Gesichtes, ist zwischen Beiden wirklich recht viel Gleiches, auch Andere wollen das finden.«

Hatte es denn die Frau heute darauf abgesehen, den Prinzen einmal über das andere aus der Fassung zu bringen! Die schöne Roselli – die junge Männerwelt der ganzen Residenz huldigte dem Neapolitanischen Grazienkinde, aber es war auch ein so liebreizendes Wesen, daß selbst der Älteste und Kälteste bei ihrem Anblick nicht ungerührt blieb; ein Körper, als hätte Praxiteles seine ganze Kunst in diesem Prachtwerk erschöpft; eine Fülle, eine Üppigkeit so schön, so verführerisch, als wäre dieses Ideal unmittelbar aus der Phantasie des Cephißodorus hervorgegangen, und das Schelmengrübchen in der Wange erinnerte an die Kunstfertigkeit ihres Landsmanns Bernini, dessen Meisel bekanntlich in dieser Parthie unter allen Bildhauern seiner Zeit unerreichbar blieb; aber was alle jene Meister geliefert, war immer nur kalter Marmor – hier dieses brennende große Auge, diese Rosengluth auf der zarten Lilienwange, dieser unaussprechliche Zauber im Lächeln des kleinen Mundes, dieser Perlenschmelz der blendend weißen Zähne, dieses himmlische Schmachten im verlangenden Blick – das Bild des schönen neapolitanischen Mädchens stand in diesem Augenblicke im Strahlenglanze seiner ganzen Glorie vor der Seele des hochaufgeregten Prinzen; es war, als hätte er sich lange gewehrt, sich selbst die Gewalt zu gestehen, mit der er zu dem holden, anmuthigen Wesen unwiderstehlich hingezogen werde.

Es kostete ihm die angestrengteste Mühe, die schlaue Hausmarschallin das Entzücken nicht merken zu lassen, das ihn überströmte, als er aus ihrem Munde das Lob des liebenswürdigen Mädchens hörte, und ihre leicht hingeworfene Frage, ob er nicht heute Abend auch zu Oberstallmeisters in den Garten hinauskommen werde, wo die Roselli versprochen habe, Einiges aus der Olympia zu singen, bestimmte ihn zu der Lüge, daß er sich ohnehin vorgenommen, bei Oberstallmeisters heute noch ein wenig vorzusprechen, denn eigentlich hatte er sich bei dem Kriegsminister schon halb und halb versagt; aber was sollte er bei dem alten Manne in den stillen finstern Gemächern, da ihn der Sommerabend und etwas anderes noch mit magischer Gewalt hinaus in die reizende Villa des Oberstallmeisters zog.

Frau v. Zagern sprach jetzt ein Mehreres über die Privatverhältnisse des Mädchens. Es sollte seit Kurzem von mehreren jungen reichen Männern der Residenz, die als Wüstlinge bekannt waren, entehrende Anträge bekommen haben, die es mit edlem Stolze ausgeschlagen hatte; sie klagte über die Lage eines solchen sich selbst überlassenen, allein stehenden Wesens; sie äußerte die Besorgniß, daß das Mädchen über kurz oder lang doch einmal in die Schlingen gerathen werde, die ihm von der Schlechtigkeit der heutigen jungen Männerwelt mit der raffinirtesten Bosheit gelegt würden, beschwerte sich über den Generalintendanten, der aus falsch verstandener Sorge für seine Theater-Casse der Roselli das nicht gebe, was ihrem Talente gebühre, was dem armen Mädchen den Schritt, zu dem es durch Versprechungen auf Reichthum und Wohlleben täglich verlockt werde, am Ende nun erleichtern würde, und fand das einzige Mittel, das schuldlose Geschöpf vor dem unvermeidlichen Verderben zu retten, darin, daß man suche, dem Mädchen, sobald als möglich eine schickliche Parthie zu verschaffen, wozu sich indessen im Augenblicke keine günstige Gelegenheit zeige, oder – sie stockte absichtlich, und der Prinz mit dem Seelenheil der armen Roselli auf das lebhafteste beschäftigt, fragte rasch »oder?«

»Ja,« sagte Frau v. Zagern mit verstelltem Antheil an der Lage des bedauernswerthen Kindes, und zuckte die weißgeschminkten Achseln, anderer Orten gibt es wohl Personen von Einfluß, welche sich eines solchen liebenswerthen Mädchens mit Nachdruck annehmen, die, ohne sich und ihrer Ehre im Mindesten etwas zu vergeben, ein engeres Verhältniß mit ihm anknüpfen und dadurch alle Andere von der zudringlichen, unverschämten Klasse entfernt halten, allein hier wüßte ich in der Art nicht Einen, und ich sehe das Kind, das – die verläumderische Stadt mag sagen was sie will – mit seltener Strenge sich bis jetzt auf den Pfad der Tugend erhalten hat, für verloren an. Lassen sie nur erst den Winter kommen, dann kehrt alles, was sich zu unserm reichen Adel zählt, wieder in die Residenz zurück, und sieht z. B. unser guter Graf Rhog, oder der allbekannte Herr Kammerherr v.  Leegen das Mädchen, so werden diese ihre goldenen Netze schon aufzustellen wissen, daß ihnen der Fang nicht entgehen kann.«

Das Gespräch ward hier von einigen, die aus der Gesellschaft hinzutraten, unterbrochen und Hausmarschalls entfernten sich, um zu Oberstallmeisters zu fahren.

Der Prinz ward über eine Stunde noch festgehalten; brach er auf, so ging der ganze Kreis auseinander, und der fröhliche Jubelgreis suchte seine Gäste so lange als möglich um sich versammelt zu behalten. Das aus Lüge und Bosheit mit besonnener Raffinerie zusammengerührte Mittelchen der Frau v.  Zagern wirkte trefflich. Ewald stand auf Kohlen, er dachte an nichts, als an die bedrängte Lage der armen Roselli; er war so zerstreut, daß er auf mehrere Anreden, die an ihn von dem und jenem gerichtet wurden, keine Sylbe antwortete, denn er hatte sie gar nicht gehört, und manche der Höflinge zogen sich, von diesem unerwarteten Zeichen der Ungnade tief erschüttert zurück, und ihr Inneres krampfte in einander, denn die Umstehenden, unter denen der und jener ihnen im Geheimen nicht wohlwollte, hatten gelächelt, als der Prinz ihr unberufenes Herandrängen und Wedeln unbeachtet gelassen, und sie nicht einmal einer Antwort gewürdigt hatte.

Im Fensterbogen des einen Zimmers stand der General-Intendant. Bei der raschen Lebendigkeit, mit welcher der junge Prinz gewöhnlich handelte, hätte er den Mann am liebsten vor der Brust gepackt, und ihn gefragt, wie er die Unschuld und die Tugend des Mädchens so auf die Spitze stellen und diesem so wenig geben könne, daß es am Ende aus Mangel, aus Hunger sich dem Laster in die Arme werfen müsse. Aber das ging ja nicht. Er zügelte den glühenden Unwillen, der ihm in der Brust kochte, fing von gleichgültigen, das Theater betreffenden Dingen zu sprechen an, ging dann auf die Oper über, wendete, um dahin zu kommen, wohin er eigentlich wollte, vor, gehört zu haben, daß die – er setzte zweimal an, ehe er den Namen herausbrachte, daß die Roselli den Plan habe, sich bei einem andern Theater zu engagiren, und fragte, ob die Sage gegründet sey.

Allein auf diesem verdeckten Wege kam er nicht zu seinem Zwecke, denn der General-Intendant erwies den Ungrund dieses Gerüchts mit dem Umstande, daß Signora Roselli durch ihren Kontract noch zwei Jahre gebunden sey, und daher jetzt vor ihrem Abgange keine Rede seyn könne.

»Sie soll aber,« fuhr der Prinz fort, »mit ihrer Lage durchaus unzufrieden seyn, und daher dringend wünschen, sie zu verändern; ihre Gage, hat sie hie und da geäußert, sey zu spärlich abgemessen, so daß sie bei andern Bühnen auf das Doppelte rechnen könne.«

Die letzten Worte sprach der Prinz viel leiser und unvernehmlicher, als die ersteren, denn der General-Intendant, ein schlauer alter Herr, sah ihn an, als wundere er sich, aus diesem Munde eine Art von Verwendung um Zulage für die junge und sehr hübsche Signora Roselli zu hören; der Prinz fühlte, wie ihm der listige Blick des Spähers auf die Wangen brennte, er wendete sich gegen die Scheiben und spielte, ohne den Theatertyrannen weiter ansehen zu können, mit dem Fensterwirbel.

»Die Sänger,« begann der Intendant lächelnd, »die Sänger, mein Prinz, die Schäfer, die Müller und die Feldmarschalls nach glücklichem Feldzuge, – die gehören, was die Unersättlichkeit anbelangt, alle in eine Klasse. Kein Müller hat Wasser genug, keinem Schäfer ist das ihm verabreichte Heu gut genug, keinem Feldmarschall sind seine Staatsdotationen groß und einträglich genug, und kein Sänger und absonderlich keine Sängerin, vornehmlich wenn sie überdieß so hübsch ist, als unsere Roselli, finden ihre Gage ihrer Verdienstlichkeit angemessen. Die Roselli hat ein Einkommen, wie hier kein Geheimer Hofrath hat, und das mit Recht, denn sterben heute zehn Geheime Hofräthe, so sind morgen zehn andere da, die deren Dienst eben so gut versehen; geht aber ein Mädchen wie die Roselli ab, so dürfte ihr Platz schwerlich wieder sobald zu ersetzen seyn, und darum –«

»Und eben darum,« fiel ihm der Prinz, dem diese Aeußerung des General-Intendanten recht vernünftig vorkam, beifällig in das Wort.

»Und eben darum,« fuhr der alte Herr fort, ohne sich unterbrechen zu lassen, »bekommt sie auch was die Casse zu geben nur irgend vermag. Beschwert sich Signora, daß das, was sie erhält, für ihr Talent und ihre Leistungen zu wenig sey, so handelt sie unklug und unbillig, unklug, denn sie hat gewußt, was sie hier zu erwarten hatte; sie hat darauf ihren Kontract abgeschlossen: war die Summe zu gering, so zwang sie kein Mensch den Kontract einzugehen; glauben Ew. Durchlaucht nur, so eine pfiffige Italienerin nimmt hier nicht eine Stelle an, bei der sie einen Kreuzer weniger Einnahme hat, als an einem andern Orte, wenn sie einen andern Ort weiß, wo sie mehr bekommt, unbillig aber, denn sie kennt recht gut die Gehalte der Uebrigen beim Theater und muß die Ueberzeugung haben, daß deren und ihre Leistungen, mit ihrem Einkommen im möglichsten Verhältnisse stehen. Ein Mehreres kann die Casse nicht geben, und um der Signora Roselli halber, auf außerordentliche Zuschüsse anzutragen, würde ich mit gutem Gewissen nicht über das Herz bringen können.«

Der Prinz wendete sich verdrießlich von ihm. Der Mann widerte ihn mit seinen hartherzigen Ansichten wie assa foetida an; verstimmt warf er sich in den Wagen und befahl dem Hoflackey kaum vernehmlich, »zu Oberstallmeisters.«


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