H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

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Die Erscheinung.

»Nein, nein,« versetzte Ida scherzend, »daran kann etwas seyn; drüben bei Hollaus gehen die Fenster des Fremdenzimmers hier zu uns heraus. Der junge Herr Graf von Lüdinghausen, vom überfreundlichen Abendgruße getroffen, wie von einem Wetterstrahl, hat weder Ruhe noch Rast – er kann nicht schlafen, er liegt im Fenster und stiert herüber; sein Adlerauge erspäht das süße Wunderbild, und die Strahlen seines sehnsüchtigen Blickes treffen auf Herz und Wange.«

»Oder Prinz Ewald,« fuhr Jettchen fort, und man hörte ihr am Tone an, das sie das furchtsame Lieschen durch ihre Neckerei noch mehr einschüchtern wollte, »oder Prinz Ewald, der jetzt in Schreckenstein ist, hat den verfallenen Gang, der tief unter der Erde, vor vielen hundert Jahren, von der Feste dort hierher zum Grauenfels geführt, wieder aufgefunden, und ist hier bei den alten Ruinen zu Tage gekommen, und steht, von unserm Dreigesang festgezaubert und lauscht, von irgend einem Burggeist unsichtbar gemacht, in unserer Nähe, und der Athem seiner von stürmischer Liebe hochbewegten Brust trifft auf Wange und Herz.«

»Laßt die albernen Possen,« flehte Lieschen beklommen; »mitten in der stillen Geisterstunde ist solch kecker Scherz wahrhaftig gefährlich. Ich wette Ihr hieltet Beide nicht Stich, wenn aus dunkler Tiefe des unterirdischen Ganges, dort aus den Felstrümmern der Burg, sich eine Gestalt langsam emporhübe und gerade auf uns hierher zukäme.«

»Wenn es Prinz Ewald wäre, warum nicht?« fiel Ida lachend der Aengstlichen in das Wort. »Er soll bildhübsch, und liebenswürdig sein über alle Maaßen.«

»Sonderbar,« entgegnete Lieschen, und legte auf das Wort eine eigene Betonung. »Auch ihr stellt den Prinzen und den Lüdinghausen neben einander; mir war es gleich beim ersten Blick, als wären Beide eine und dieselbe Person, dasselbe Gesicht, dieselben Züge.«

»Nein, nun ist es Zeit, daß wir zu Bette gehen,« sagte Gräfin Henriette mit gutmüthigem Spott und strich Lieschen die Locken von der Stirn, »denn unser Lieschen träumt bey wachendem Leibe. Keine von uns hat den Prinzen mit Augen gesehen, und mein englisches Lieschen findet ihn mit dem jungen fremden Grafen drüben ähnlich zum Verwechseln. Das ist ja offenbarer Spuk der Burggeister von Grauenfels, die haben den Prinzen in den Lüdinghausen verwandelt, und nun umschwebt uns seine unsichtbare Gestalt, und verrückt unserm Lieschen das sinnige Köpfchen. – Kommt laßt uns das Lied von Ewald singen, daß wir die bösen Gedanken vertreiben.«

Und sie sangen das Abendständchen von Ewald und der überselige Prinz lauschte mit verhaltenem Athem unter seinem Versteck, denn schöneres als diese drei Mädchenstimmen, hatte er nimmer gehört, bei den ersten Versen war Lieschen, noch in dem vorhergehenden Gespräch verloren, kaum hörbar, dann aber hob sich ihre Silberstimme, und die Glockentöne dieses himmlischen Metalls verschwammen bald im heimlichen Flüstern des linden Zephyrs, bald stiegen sie wolkenan zu den flimmernden Sternen, bald verhauchten sie sich im leisesten Echo des stillen Hochgebirges.

Aber kaum hatten sie die zweite Strophe begonnen, als alle Dreie, wie von einem zuckenden Blitz durchbebt, stockten, und, ohne einen Laut hervorbringen zu können, hinstarrten zum schwarzen Grauenfels, denn dort oben am verfallenen Gemäuer der Burgkapelle hob sich aus den Ruinen eine weiße Gestalt hervor, die, von dem Mondlichte seltsam beleuchtet, selbst in Ewalds Augen wie ein Nachtgespenst, wie ein wandelndes Todtenbild aussah.

Es stand unbeweglich da..

Die drei Mädchen im Kiosk schienen die Sprache verloren zu haben. Dem Prinzen lief es kalt über Haut und Rückenmark.

Täuschung war es nicht, denn acht gesunde klare Augen sahen das schauerliche Burgräthsel deutlich.

Jetzt bewegte es sich einige Schritte rechts nach den hochgewölbten Bogenfenstern des Ahnensaals zu, dessen Vorderwand die Zeit vernichtet hatte, so daß man in das Innere des weiten, jetzt von Strauchwerk und Gestrüpp überwachsenen Gemaches schauen konnte, dann schwankte es links nach den Ueberresten der Rüstkammer und verschwand in der Gegend des Burgverließes.

Gräfin Ida saß mit den Händen vor den Augen, Jettchen hatte sie gerungen von sich gestreckt, Lieschen sie wie zum Gebet gefaltet.

Alle Dreie hatten Sprache, Gegenwart des Geistes und Muth verloren, und es grauste ihnen vor dem Rückweg, den sie jetzt, in der tiefsten Mitternacht, durch den langen einsamen Park, bis zum Schloßhofe zu machen hatten.

Da rief aus der Thalschlucht des hohen Granit-Zakkens, der auf dem Grauenfels lag, eine weibliche Stimme: »Gräfin Ida! Gräfin Henriette!« und beide Gräfinnen erwiederten fröhlich: »hier! hier!« denn sie erkannten die Stimme des Kammermädchens, Charlotte, das jetzt von der Burgseite her aus dem Gebüsch herabeilte, und fast athemlos erzählte, daß es im Garten nicht geheuer seyn müsse; sie habe im Auftrage der Gräfin Mutter, die jungen Gräfinnen suchen, und sie, da es hoch Mitternacht sey, bitten sollen, zu Bette zu gehen, in der Vermuthung, sie am Goldforellen-Teiche zu finden, habe sie sich dahin gewendet, aber auf einmal sey das Lied erklungen; der Schall wäre, darauf wolle sie in ihrer letzten Stunde schwören, wie vom Grauenfels gekommen; sie wäre hinaufgeeilt, aber da hinauf müsse sie ein Kobold geneckt haben; denn nirgends, weder in der Kapelle, noch im Ahnensaale, noch auf der großem Bank in der Rüstkammer hinter dem Burgverließ, wären sie zu finden gewesen. Nun hätte sie sich nicht halten können, sie hätte sie, was sich eigentlich nicht schicke, beim Namen rufen müssen. »Gott sey Dank,« schloß sie, »daß ich Sie Alle endlich gefunden. Da oben bringt mich kein Mensch in der Nacht mehr hinauf; mitten im Burghofe, wo der unterirdische Weg vom Schreckenstein her sonst zu Tage ausgegangen, da pullerte es tief unten in der Erde, als hämmerten hundert Bergleute an altem Gerille und festem Gestein.

»Das ist Prinz Ewald,« entgegnete Jettchen, jetzt wieder ermuthigt, zu Lieschen gewendet, »der gräbt sich zu uns durch, und erscheint mit dem Frühroth der morgenden Sonne hier zu unsern Füßen.«

»Da braucht er sich nicht zu übereilen,« erwiederte Ida, »denn morgen vor eilf Uhr bringt mich kein Mensch aus dem Bette. – Gute Nacht Ew. Durchlaucht,« sagte sie mit einer leichten Verbeugung nach dem Schreckenstein gewendet und stieg vom Kiosk in den Garten hinab.

»Gute Nacht, Herr Graf,« rief Jettchen nach Hollaus Schlosse hinüber, »unser Lieschen wird bestimmt von Ihnen recht angenehm träumen, und wenn Sie nicht alle Lebensart verlernt haben, so kommen Sie morgen und lassen Sich wieder auf einem kleinen Streifzuge von uns ein bischen beliebäugeln – o – herrlich – eben fällt mir ein – die ganze Geschichte muß morgen Abend Freund Bernhard in seine Erzählung bringen, aber, bitte, bitte,« sagte sie im Begriff, auch vom Kiosk in den Garten hinab zu gehen, zu Lieschen gewendet; »recht schwere Worte; wir wollen ihm das Leben blutessigsauer machen; warum hat er sich der schweren Aufgabe so gar gewaltig dreist unterzogen!«

Lieschen aber, jetzt allein auf dem Kiosk, stellte sich an das niedrige leichte Geländer, mit dem Gesichte nach dem Schreckensteine gerichtet, und lispelte leise: »gute Nacht, Ewald« Verschämt lächelnd schaute sie sich um, ob sie jemand sehen könne. Es war ja niemand, der sie belausche, als der freundliche Vollmond, der tausendjährige Vertraute der heimlich Liebenden – sie lüftete den weichen Faltenmantel, legte die rechte Hand auf die Schwanenbrust, drückte dann die Rosenfinger auf ihre Lippen, warf den Herzenskuß durch die stille Nacht in die Gegend des Schreckensteins, und sagte mit unendlicher Weichheit: »gute, gute Nacht, mein lieber Ewald.«

Ewald – offenbar galt der liebreizenden Gräfin Cherubim englischer Nachtgruß ja ihm – Ewald – alle Nerven hatte es ihm durchzuckt, er vergaß sich und seinen Versteck, – er richtete sich rasch höher, stieß oben an einem Aste an, der Hut fiel ihm vom Kopfe, er wollte ihn fangen; und schlug mit der flachen Hand auf den Hutdeckel; vom dumpfen Schlage aufgeschreckt, sprang Lieschen mit einem lauten Schrei in zwei Sätzen vom Kiosk die Treppe in den Garten hinab; Ewald hatte den verwünschten Hut nicht erwischt, der Deserteur rollte hinter Ewalds Rücken in den dicht an der Wurzel des Birkenstammes vorbeifliessenden Gränzbach hinab, und Ewald stand wie eine Bildsäule, denn Lieschen rief in der allerhöchsten Bestürzung den vorangeeilten Schwestern zu – »Ida, Jettchen um Gotteswillen, draußen an der Mauer ist ein Mensch! –«

Die Mädchen lachten, aber Lieschen betheuerte, unter der Hangebirke etwas rauschen gehört zu haben, und ein dumpfer Schlag sey gefallen, der habe geklungen, als falle ein schwerer Stein auf ein hohles Gefäß. Ida und Jettchen sprachen, so viel Ewald in seiner Todesangst von ihrer verworrenen Reden, die, je mehr die Mädchen dem Schlosse zueilten, ihm immer unvernehmlicher wurden, verstehen konnte, vom Herausschicken der Jäger und Bedienten, welche mit den Hunden die ganze Gegend draußen vor dem Garten durchspüren sollten; Charlotte indessen äußerte, wahrscheinlich um die Furcht, die sämmtliche drei Mädchen ergriffen zu haben schien, zu mildern, daß das ganze Geräusch gewiß von nichts anderm hergerührt; als von einem Fische, der, wie ja das bei warmen Sommerabenden oft der Fall im Gränzgraben aus dem Wasser emporgesprungen sey.

Sobald Ewald nach den sich immer mehr entfernenden Tritten der Heimeilenden berechnen konnte, daß sie weit genug waren, um von ihm nichts mehr zu hören, trat er seinen Rückzug an, und flog mehr, als er ging, den schmalen Damm entlang, nach Hause, denn die Jäger und Bedienten und Hunde aus dem Gräflich Cherubimschen Schlosse saßen ihm in Gedanken schon auf den Fersen. Erst kurz vor der Hollauischen Gartenthüre fiel ihm bei, daß er den Hut im Stich gelassen. Umzuwenden war nicht möglich, denn er wäre ja den Nachsetzenden grade in die Hände gelaufen. Was war am Hut gelegen! wenn er nur in Sicherheit war. Athemlos erreichte er die Thüre, schlich sich ungesehen in Garten, Schloß und Zimmer, und lag lange noch im Fenster, um abzuwarten, ob sie drüben kommen und die Ufer des Gränzbachs und die daran stoßende Umgegend nach ihm absuchen würden!

Aber es kam Niemand.

Die ganze Welt war still, die Dorfglocke schlug zwölfe, der Wächter machte wieder die Runde, und alle Hunde heulten auf das mißtönige Horngebrüll wieder wie vorhin.

Eine Stunde war er also weggewesen. Aber was war dieß für eine Stunde! die allerseligste seines Lebens!

Er streckte sich auf sein Lager, aber wie konnte er, bis zum höchsten Grade aufgeregt, jetzt schlafen! Derselbe Mond, der sich in den Augen des lieblichsten aller Lieschen des ganzen Erdenrundes gespiegelt hatte, zu dem die Zagende mit unbeschreiblicher Bangigkeit hinaufgeblickt, lächelte ihm sanft und freundlich in das Gesicht.

Sein erstes Abenteuer im Leben – ein Jahr hätte er Zeit haben mögen, um Alles recht genau sich zu zerdenken, um diese Stunde noch hunderttausendmal in der Erinnerung zu durchleben. Die zarte anmuthige Gestalt, der Flötenlaut ihrer Stimme, das Geistvolle, Schmachtende ihres Blicks, die jugendliche Frische ihrer Reize, er sah, er hörte sie ja lebendig vor sich! Woher aber wußte sie, daß er mit dem vorgeblichen Lüdinghausen sich gleiche? Wer war der widrige Bräutigam? War er denn wirklich der Ewald, den sie meinte, als sie den Kuß des Herzens ihm zur guten Nacht zuwarf? Wie hatte ihn das Mädchen lieb gewonnen, so lieb gewonnen, das er mit keinem Auge gesehen, von dem er nie gehört? Alle diese Räthsel und noch viel hundert andere, in die sich seine Seele verwirrte, löste ihm der schalkhafte Traumgott, der ihm allmählig das müde Auge schloß und ihm das wundersüße Lieschen Cherubim in die Arme legte; mit zauberischem Lächeln erzählte ihm die zarte Traumgestalt den wunderbaren Zusammenhang der Dinge, hob seine Zweifel, und verkündigte ihm ihre stille, noch von keinem menschlichen Wesen bemerkte Liebe durch den Honigkuß der bräutlichen Schaam, er hob die umfangenden Arme, um das reizende Grafenkind an seine Brust zu drücken, und erfaßte Bennos Arm, der vor seinem Bette stand, und über den Schlaftrunkenen laut lachte, denn zehn Minuten hatte er schon gerufen und gerüttelt, doch alles vergeblich.

Ewald schlug, noch halb im Schlafe die Augen auf; an der Stelle des eben entschwebenden Luftbildes seiner entzückten Phantasie, den stürmigen Benno zu finden, war ihm eine höchst unwillkommene Erscheinung, und die Nachricht, daß das Frühstück und der Wagen bereit standen, und daß wenn sie bei Zeiten in Habichtswalde eintreffen wollten, kein Augenblick zu verlieren sey, tönte ihm widrig in das Ohr. Was sollte er in Habichtswalde! Lieblicher, als Lieschen Cherubim, war ja kein Mädchen in der Welt; Aloyse konnte ihm jetzt unmöglich gefallen; sie war ihm die allergleichgültigste Person auf dem ganzen Erdenrunde. Ueberdieß mußte er über die kleine Cherubim noch nähere Aufschlüsse haben; die Zeit, die er sich von Schreckenstein losgemacht, konnte er ja nirgends besser zubringen, als hier in ihrer Nähe; jede Stunde, die er aus dem magischen Kreise dieses unwiderstehlichen Magnets verlebte, war ihm ja rein verloren.

Dieß Alles machte er sich, während Benno in ihn hineinredete, daß er aufstehen und sich mit dem Anziehen möglichst beeiligen solle, klar, und förderte eine in der Geschwindigkeit recht sauber zusammengeflochtene Nothlüge zu Tage. Er hatte wüthenden Kopfschmerz; der gestrige starke Ritt in der Sonnenhitze, hatte ihn angegriffen; er erklärte, daß es ihm heute platterdings unmöglich sey, zu reisen, daß er mit seinem Schmerzensgesichte drüben in Habichtswalde eine miserable Figur spielen werde, und es daher am Besten sey, den kleinen Ausflug noch ein bis zwei Tage aufzuschieben.

Benno war über diese unerwartete Erklärung sichtlich betroffen. Er wollte sogleich nach einem Arzt schicken, Ewald verbat diesen aber in sehr bestimmten Ausdrücken, und meinte, daß er sich kenne, daß er an diesem periodischen Uebel jetzt öfters leide, daß es aber, wenn er sich nur einige Ruhe gönne, bald und ohne alle ärztliche Mittel wieder vorüberzugehen pflege.

»Ganz offenherzig heraus,« hob jetzt Benno an, »wenn wir heute nicht reisen können, so mußt Du mir nicht übel nehmen, wenn wir nun unsere Fahrt nach Habichtswalde wenigstens bis übermorgen oder vielleicht noch bis auf einen Tag später verschieben, und dann bitte ich Dich, mich auf diese Zwischenzeit zu beurlauben. Wir hatten heute in unserer Kreisstadt beim Friedensgericht, einen uns wichtigen Termin. Der Vater kann, wie Du weißt, wegen seines Fußes nicht von der Stelle; ich hatte also den Termin abwarten wollen, ließ ihn aber, da Du kamst, gestern Abend spät absagen; da Du nun aber doch nicht reisest, so fahre ich gleich nach der Kreisstadt, komme dort hoffentlich noch früher an, als mein zu Fuße abgegangener Bote, mache mein Geschäft, das mich vielleicht bis morgen dort aufhalten kann, ab, eile übermorgen zurück, und bin dann zu Deinem Dienst nach Habichtswalde und tausend Meilen weiter.«

»Fahr in Gottes Namen!« erwiederte Ewald mit der freundlichsten Herzlichkeit, und dankte seinem Gott im Stillen, daß er Benno los ward; konnte er doch nun seinen Versuchen, sich Lieschen Cherubim weiter zu nähern, desto ungestörter nachhängen.


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