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19

Umgeben von einem Kreise auserwählter Männer, der bewährten Steuerleute des Werkes, übernahm Frau Elisabeth Stoltenkamp das Erbe für ihre Tochter Margarete. Die Größe der Verantwortung schreckte sie nicht. Sie hatte sich in Fritz Stoltenkamps hinterlassene Papiere vertieft und aus den Aufzeichnungen des starken Mannes, der den Weg vom kleinen Schmiedeamboß bis zum größten Stahlwerk der Welt gegangen war, als Haupt- und Leitsatz sich die Worte zu eigen gemacht: »Vertrauen will Vertrauen!« Uneingeschränktes Vertrauen brachte sie der Geschäftsleitung entgegen, denn sie besah die Ehrfurcht vor der Arbeit und übertrug sie rückhaltlos auf die Hand und auf den Kopf, die der Arbeit erst zu Leben und Weiterwirkung verhalfen. Da war es den Männern eine Freude, zu raten und zu taten, ihr die Verantwortung leichter zu machen und ihr Bestes daran zu setzen, nach drinnen und nach draußen jeden Zweifel an der Befähigung einer Frau zum Hüteramt zu benehmen.

»Wenn ich meine Tochter ansehe,« sagte Frau Elisabeth, »so ist mir, als ob meine Regierung von nicht allzu langer Dauer sein würde. Dann werden Sie wieder mit einem Manne marschieren können. Einstweilen aber bitte ich Sie, mit allen Kräften helfen zu wollen, daß sich bis dahin in der Geschichte der Gußstahlfabrik keine leeren Blätter einfinden.«

Es war nicht nötig, den Ehrgeiz der führenden Männer anzurufen. Feldherren bedürfen keines Ehrgeizes, sie bedürfen des Überblicks über die Gefechtslage und den Stellungsplan und handeln aus innerem Drange danach.

Die Aufwärtsbewegung des Marktes hielt auf der ganzen Linie an. Geringe Schwankungen wurden mit Leichtigkeit aus den angesammelten Rücklagen ausgeglichen. Der Ausbau des Musterwerkes am Niederrhein konnte mit Nachdruck gefördert werden, die Thomashochöfen wurden angeblasen, das Thomasstahlwerk trat in Tätigkeit, der Strom der Arbeit brauste auf, um schnell in die vorgeschriebenen Kanäle einzubiegen und das Gesetz der Stunde zu erfüllen.

Frau Elisabeth saß in ihrem weißen Hause am Arbeitstisch. Sie schrieb keine Kundenbriefe und trug keine Bestellungen ein, wie es Fritz Stoltenkamps liebliche Mutter getan hatte, und sie stellte noch weniger eine Rechnung aus über ein paar Münzstempel oder kleine, gehärtete Walzen, wie es Frau Jodokus Stoltenkamp so oft geübt hatte. Ihre Unterschrift verfügte über unermeßliche Werte, ihre Zustimmung ließ Millionen rollen, um neues Leben zu erzeugen, ihre Anregung schuf Tausenden von Familien Heim, Pflege, Ausbildung, Lebensfreude und Abendfrieden.

Sie ließ sich nicht allzu häufig in den Werksgassen sehen. Sie verzichtete auf eine billige Volkstümlichkeit. Nur der Erfolg ihres Wirkens sollte für sie reden. Wenn sie aber, die hochgewachsene Tochter zur Seite, über die hallenden Höfe und durch die Arbeitermengen schritt, den Adlerblick der großen blauen Augen überall, dann ging es mehr noch als zu Zeiten ihres Mannes wie ein Lauffeuer durch die Werkstätten: »Da geht die Frau!« und in das ehrerbietige Schweigen mischten sich fröhliche Zurufe, wie sie wohl auch der Alte Fritz von seinen Truppen erfuhr.

»Schwerenöters,« murmelte sie, »aber ganze Kerls. Lassen eine Stoltenkamp nicht im Stich.«

Und Margarete besann sich auf eine Zeile aus dem Faust und sprach, neben der Mutter herschreitend: »Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren, ist ehrenvoll und ist Gewinn.«

»Ich höre mit Vergnügen, Margarete, daß das Geld für deine Ausbildung nicht vergeblich angelegt wurde.«

»Du irrst, liebe Mutter. Meine Ausbildung empfange ich erst an deiner Seite. Mit dem Faust allein vermöchte ich hier nicht viel anzufangen, da muß schon die Geschichte des Gußstahls nachhelfen, die du mich in Wort und Bild so gestaltungskräftig lehrst, und ich hoffe, dir bald meine Prüfung ablegen zu können.«

Frau Elisabeth schmunzelte. »Sehr erfreut. Sehr erfreut. Gedenkst du allein oder zu zweit ins Examen zu steigen?«

»Ich muß die Beantwortung dieser Frage ablehnen, Herr Professor. Sie gehört einem anderen Fache an.«

»Das ist stark, Herr Kandidat. In der Tat – mehr als stark.«

»Ich habe das von meiner Mutter, Herr Professor.« – –

Der ruhig und stetig fortschreitende Geschäftsgang erlaubte es Frau Elisabeth, in den kommenden Jahren mit ihrer Tochter einige größere Reisen auszuführen, die ihrer Geselligkeit manchen Zuwachs brachten. Doch ob der Mutter Augen prüfend auf den Kreisen ruhten, die sich allerorts schnell um sie zu bilden pflegten, Margarete ging unberührt ihren Weg.

»Ich hatte es mir doch angenehmer gedacht, die Mutter einer heiratsfähigen Tochter zu sein,« gestand sie eines Tages.

»Du weißt noch gar nicht, was für ein Glück du hast,« tröstete Margarete. »Denke dir einmal aus, du wärst nicht die Mutter, sondern die heiratsfähige Tochter selbst. Nicht wahr, da erschrickst du?«

»Erschrecken? Ich erschrecken? Ich glaube, es würde mir einen kostbaren Spaß machen.«

»Wollen wir die Rollen tauschen?«

»Nur immer heran!«

»Ach nein, Mutter, ich will dir das nicht antun. Ein Husarenrittmeister mag seine großen Vorzüge haben und ein italienischer Graf mit einer schauerlichen Burgruine in den Abruzzen nicht minder. Aber ich kann diese Vorzüge beim besten Willen nicht mit den Vorzügen des Gußstahls in Einklang bringen.«

Da umarmte Frau Elisabeth ihre Tochter ungestüm.

Daheim ging das Leben wie bisher. Die Geschäftsleitung erschien zum Vortrage und zur Beratung im weißen Hause unter den jahrhundertealten Bäumen, die Besucher der Gußstahlfabrik kamen und verloren sich, und manche von ihnen genossen die Gastfreundschaft der Hausfrau.

Eine Studiengesellschaft hatte die Werke besichtigt und war zu Tisch geladen worden. Ihr Führer, ein junger preußischer Landrat, fand seinen Platz zwischen der Herrin und der Tochter des Hauses.

»Wie kommt es, Herr von Stark, daß Sie an gewerblichen Unternehmungen einen so besonderen Anteil nehmen?« fragte Frau Elisabeth. »Ist es lediglich Liebhaberei, die Sie zur Kunst ausbilden?«

»Ich hoffe, es ist etwas mehr, gnädige Frau,« antwortete der Gast. »Ich könnte darauf hinweisen, daß sich die Verwaltung eines Werkes von Umfang und Bedeutung des Ihren in vielen Punkten mit der eines Landkreises deckt. Aber das wäre unbescheiden. Was bei uns in langsamem Zug durch alle Mühlen laufen muß, bis es Form und Wirkung annehmen kann, die nach unten und oben gleich genehm ist, entscheidet hier eine Beratung kluger und hervorragender Männer, und die Verfügungen treten nicht papieren in Kraft, sondern setzen sich auf der Stelle um in lebendige Darstellung, in Fortschritt und Erfolg, und schon ist der Raum zu neuem Schaffen gegeben. Werke wie die Ihrigen sind wie ein König mit dem Hammer in der Hand, die unserigen wie ein pflichtentreuer Schreiber mit der Streusandbüchse. Ich gehe aber lieber bei einem König in die Lehre als – bei einer Streusandbüchse.«

Die Tochter nahm das Gespräch auf. Es lohnte.

»Ihr Wirkungskreis ist Ihnen zu eng, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr von Stark?«

»Nicht zu eng und auch nicht zu klein, mein gnädiges Fräulein. Enge und Kleinheit könnten einen Mann zur Erweiterung und Vergrößerung reizen. Es ist mehr die gebundene Marschrichtung. Der Umstand, daß ich heute schon weiß, wo ich übers Jahr marschieren werde. Nämlich genau von dort aus, wo ich heute abmarschiert bin. Und in zehn Jahren dürfte sich dieser Kreislauf nur um ein geringes verschoben haben. Diese Gleichgewichtssicherung ist eine der starken Wurzeln des Staates. Ich bitte es also rein persönlich zu betrachten, wenn ich einen anderen Marsch als den im Kreise bevorzuge.«

Margarete nickte.

»Weshalb gehen Sie nicht zur Großindustrie über, Herr von Stark?«

»Sie nennen meinen Wunsch, und ich gestehe, daß ich mich mit allen meinen freien Kräften vorbereite. Nur sind die Posten, für die ich in Frage käme, nicht so häufig, daß ich nur umzusatteln brauchte. Und zu einer Beteiligung langt es erst recht nicht. Unsere Familie hat sich von unten heraufgearbeitet, und das Geld ist immer zur Ausbildung der Kinder draufgegangen.«

»Unsere Familie,« sagte Margarete, »hat sich auch von unten heraufgearbeitet. Großvater Fritz Stoltenkamp war sehr stolz darauf und betonte, daß der Erfolg immer nur von der Tüchtigkeit und Zähigkeit eines Menschen abhängig sei. Ich meine nun, Herr von Stark, höhere Verwaltungsbeamte, die schon das Getriebe eines ganzen Landkreises in Ordnung gehalten haben, wären in der Großindustrie sehr gesucht und willkommen.«

»Ich erkenne Ihre Güte sehr dankbar an, mein gnädiges Fräulein. Wenn meine Bemühungen bisher erfolglos waren, so lag es wohl daran, daß ich noch viel zu lernen hatte und gleich zu hoch hinauswollte.«

Margarete lachte ihn an.

»Ich spreche schon wieder mit den Worten meines Großvaters Fritz Stoltenkamp. Sie werden wirklich annehmen müssen, daß ich über einen eigenen Sprachschatz nicht verfüge. Also Großvater Fritz Stoltenkamp lebte und starb darauf, daß sich ein Mann ein Ziel gar nicht hoch und weit genug stecken könne. Auf jeden Fall käme er eher über den Strom als die Zauderer, die so lange prüfen: ›Trägt auch das Eis?‹, bis das flaue Tauwetter ihnen einen Strich durch die ganze Rechnung macht.«

Frau Elisabeth hatte sich mit den übrigen Gästen unterhalten, aber sie verstand die Kunst, seelenruhig nach beiden Seiten zuzuhören. Jetzt wandte sie sich freundlich dem Herrn von Stark zu, der ihr Wohlgefallen erregt hatte.

»Ich möchte Ihnen keine Lehrzeit zumuten, Herr Landrat. Aber schauen Sie doch einmal längere Zeit in einen so vielseitigen und eigenartig behandelten Betrieb hinein. Wenn man sich erst mit einer neuen Art Steuerung vertraut gemacht hat, rückt die Gewißheit, sie auch bald zu meistern, bedeutend näher. Sie verfügen doch über einen längeren Sommerurlaub. Das wäre die richtige Verwendung.«

»Jawohl, gnädige Frau, das wäre wahrhaftig die richtige Verwendung.«

»Wenn Sie es wünschen, spreche ich mit den Herren der Geschäftsleitung. Es ließen sich von dort aus wohl am besten die passenden Monate bestimmen. Ihren Urlaub könnten Sie ja danach einrichten.«

Herr von Stark hob mit einem Ruck den Kopf. Über seine breite Stirn lief die Röte der Freude. Der Zug tatkräftiger Entschlossenheit trat in seinem gebräunten Gesicht noch deutlicher hervor.

»Meine gnädige Frau – das hätte ich nie zu hoffen gewagt. Ich habe mir ja Ihre Güte noch gar nicht verdienen können.«

»Man soll einem jeden, der entschieden zu arbeiten wünscht, die Gelegenheit dazu geben, Herr von Stark.«

»Meine gnädige Frau,« sagte der junge Landrat, »damit Sie sehen, wie entschieden ich das wünsche, nehme ich ohne Zieren und Sträuben, aber mit großem Danke Ihren hochherzigen Vorschlag an und werde mich mit meinem Urlaub ganz nach den Wünschen der Geschäftsleitung richten.«

Frau Elisabeth Stoltenkamp hob die Tafel auf. Die Herren nahmen im Freien den Kaffee ein und verabschiedeten sich.

Herr von Stark drückte fest die Hand Margaretens.

»Dies unerwartete Glück habe ich Ihnen allein Zu verdanken. Wenn Sie nicht die große Freundlichkeit besessen hätten, das Gespräch so teilnehmend mit mir fortzusetzen, wäre Ihre Frau Mutter nicht auf meine geheimsten Wünsche aufmerksam geworden.«

»Ich sehe» daß Sie sich ein wenig freuen,« erwiderte Margarete, »und das ist nun wieder meine Freude.«

»Ich werde Ihnen das nie vergessen, mein gnädiges Fräulein. Nun darf ich sagen: auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen, Herr von Stark ...«

»Ein Mann, der in die Welt paßt und sich sehen lassen kann,« sagte Frau Elisabeth, als die Damen in der Abendsonne noch durch den Garten schritten. »In der festen Oberlippe mit dem hellen,, kurzen Schnurrbart liegt festes Zielbewußtsein.«

»Liebe Mutter,« erwiderte Margarete, »es war zwar ein dunkler Schnurrbart, wenn du es zu hören wünschest, aber im übrigen will ich dir gern recht geben.«

»So, so?« meinte Frau Elisabeth. »Dunkel, sagst du? Da Hab ich ihn wirklich nicht genügend angeschaut.« Und dann gab sie rasch dem Gespräch eine andere Wendung.

Einige Tage darauf erhielt Frau Elisabeth Stoltenkamp von der Geschäftsleitung die Mitteilung, daß Herr von Stark ersucht worden sei, einen achtwöchigen Urlaub zu nehmen und seine freigewählte Tätigkeit auf dem Werk ganz nach Wunsch zu beginnen.

»Was machen wir nun mit ihm?« fragte Frau Elisabeth. »Ihn im Gästehaus wohnen zu lassen, geht wohl nicht gut an? Wir sind zwei alleinstehende Damen.«

»Mutter,« sagte Margarete, »ich verehre täglich in dir eine neue Tugend. Diese Besorgnis kleidet dich wieder so gut. Wie wäre es, wenn wir uns ein paar der allerneusten Schnellfeuergeschütze aus der Fabrik heraufbringen ließen und richteten die Mündungen gegen das Gästehaus? Dann könnte der Herr Landrat doch vielleicht dort wohnen.«

»Der Vorschlag ist beachtenswert,« meinte Frau Elisabeth trocken. »Wir packen die Mahlzeiten vor die Kartusche und Wehen sie ihm pardauz auf den Tisch. Ich werde es mir überlegen, Margarete.«

Margarete antwortete nicht. Sie ging in den nächsten Tagen sinnend umher und wartete auf irgendeine Nachricht.

Es traf ein Brief des Landrats von Stark für Frau Elisabeth Stoltenkamp ein. Herr von Stark sprach in würdigen und doch freudigen Worten seinen Dank für die gütige Einladung aus und meldete sein Kommen für den ersten des nächsten Monats an.

»Er fackelt nicht lange,« meinte Frau Elisabeth.

»Es sind noch drei volle Wochen bis dahin,« sagte Margarete.

»Laß sehen. Eins – zwei – drei Wochen. Das schnelle Kopfrechnen hast du von den Stoltenkamps.«

Aber Margarete ließ sich in ihrer Gelassenheit nicht aufstören, auch als die Mutter nach kurzer Frist allerlei Einzelheiten über die Familie der Starks zu berichten wußte.

»Wäre es nicht hübscher, Mutter, wenn Herr von Stark uns das alles selbst erzählte?«

»Ja, Kind, wenn sich dazu eine Gelegenheit fände? Ich dächte, wir reisten nun bald.«

»Wir reisten? Aber wohin denn? Davon hast du ja noch kein Wort gesprochen? Und gerade jetzt in der heißesten Jahreszeit?«

Frau Elisabeths große blaue Augen wetterleuchteten.

»Na, nun fall mir mal um den Hals, Kind. Es sollte eine Überraschung für dich sein, und sie ist allem Anschein nach geglückt. Wir werden auf unserer Jacht eine Kreuzerfahrt die ganze norwegische Küste entlang bis Spitzbergen machen. Spitzbergen hat keine heiße Jahreszeit. Es liegt dem Nordpol näher als dem Äquator. Ist das nicht rührend von mir?«

»Mutter, sprichst du wirklich im Ernst?«

»Deine Freude äußert sich gerade nicht stürmisch, Margarete. Hast du Einwände?«

»Aber nein, Mutter, natürlich nicht. Ich freue mich auch außerordentlich. Nur könnten wir die Fahrt vielleicht bis zum Frühjahr verschieben. Ich möchte doch so gern die Mitternachtssonne sehen.«

»Ach so – –,« sagte Frau Elisabeth. »Du möchtest die Mitternachtssonne sehen. Ja, dann müssen wir unsere Kreuzerfahrt freilich noch ein bißchen verschieben. Aber heiß wird's auch hier werden, Kind.«

Pünktlich traf der Landrat ein und bezog Wohnung im Gästehaus. Um seine Arbeitszeit nach Möglichkeit ausnutzen zu können, bat er darum, seine Mahlzeiten mit einigen der Herren Geschäftsführer und Betriebsleiter, die gleich ihm Junggesellen waren, einnehmen zu dürfen. Er aß im Beamtenhaus der Fabrik und traf die Damen nur zuweilen in den Abendstunden im Park oder folgte auch einer Einladung zum Tee in das weiße Haus.

»Gut, daß wir die Schnellfeuergeschütze unten gelassen haben,« meinte Frau Elisabeth. »Wir wären nicht einen Schuß los geworden.«

»Seine Zurückhaltung ist nur zu loben, Mutter. Der Herr von Stark müßte sonst ja wirklich glauben –«

»Ich lob sie ja auch, die Zurückhaltung. Sie trägt männliches Gepräge, und das lieb ich. Aber was müßte der Herr von Stark wirklich glauben?«

»Ach, zum mindesten irgendeinen tollen Unsinn.«

»Das nenn ich eine klare Antwort,« sagte Frau Elisabeth Stoltenkamp zufriedengestellt, nahm den Arm ihrer Tochter, spazierte mit ihr im Park und sprach von etwas anderem. –

»Sie brauchen sich wirklich nicht so selten zu machen,« äußerte Margarete nach einigen Wochen zu Herrn von Stark, als sie von einer Waldwiese aus das silberne Band der Ruhr betrachteten. »Unser Haus war zu Vaters und auch schon zu Großvaters Lebzeiten voll von Gästen. Die Einladung meiner Mutter bezog sich nicht allein auf die Fabrik.«

Herr von Stark entschuldigte sich.

»Die Fabrik zählt zu den Weltwundern. Mit jedem Schritt tun sich neue Wunder auf. Sie hat ganz von mir Besitz ergriffen, und ich komme, je länger ich weile, desto weniger aus dem Staunen heraus.«

»Ich bin stolz auf Ihre Worte, Herr von Stark. Aber darüber könnte man doch manche Abende plaudern. Nur Sie geben keine Gelegenheit.«

»Nehmen Sie denn als junge heitere Dame einen solch innerlichen Anteil an dem Werk?« fragte er verwundert.

»Ich trage den Namen Stoltenkamp,« sagte sie mit schlichtem Stolz, »und trage als Erbin noch mehr als den Namen, nämlich das Verantwortlichkeitsgefühl. Sie müssen mich nicht so verwundert ansehen, Herr von Stark.«

Er reichte ihr die Hand.

»Das war schön, Fräulein Stoltenkamp.«

Von jetzt an fand er sich jeden Abend ein. Frau Elisabeth saß auf dem ausgebauten Söller und blickte über die Ruhrwiesen hinüber auf die alte Schicksalsstraße Fritz Stoltenkamps, während Margarete und ihr ernster Begleiter sich in den noch hellen Wiesen ergingen oder auch ein Boot vom Ufer lösten und langsam auf das alte Städtchen zusteuerten. Frau Elisabeth war schweigsam geworden. Nur in ihren großen Augen blitzte es zuweilen eigentümlich auf, wenn sie die ruhigen Stimmen der beiden aus der Ferne vernahm, und ein verräterisches Zucken lief alsbald um ihre Mundwinkel.

»Ja – es hat eben jeder und jede ihre besondere Art.« Und sie dachte den Ehen der Stoltenkamps nach.

An einem Morgen ließ sich Herr von Stark bei Frau Elisabeth Stoltenkamp melden.

»Nun, mein lieber Herr von Stark, nicht in der Fabrik? Sie gedenken doch nicht, frühzeitig abzureisen?«

»Im Gegenteil, gnädigste Frau. Ich möchte sogar um die Erlaubnis bitten, länger als vorgesehen verweilen zu dürfen.«

»Das wird die Geschäftsleitung gewiß gern genehmigen. Sprechen Sie sich nur mit den Herren über Ihre Wünsche aus.«

»Gnädigste Frau,« sagte der junge Landrat ernst, »die Genehmigung hängt lediglich von Ihnen ab. Nur Sie vermögen darüber zu entscheiden, ob ich hier gern gesehen sein werde, oder ob ich mit meinen Wünschen zu spät komme.«

»Sind Sie dessen auch ganz sicher, daß nur ich darüber zu entscheiden vermag, Herr von Stark?«

»Sie sind die Mutter, gnädigste Frau!«

»Dacht ich's mir nicht,« sagte Frau Elisabeth Stoltenkamp, »dacht ich's mir nicht. Es handelt sich also überhaupt nicht um mich, sondern um meine Tochter. Und auf Ihre Frage habe ich nur eine einzige Antwort zu erteilen, die vielleicht kurz angebunden klingt, aber bei der ich bleibe: Ich mische mich grundsätzlich nicht in die Liebesgeschichten anderer Leute. Grundsätzlich nicht!«

»Liebste, beste, gnädige Frau!«

»Sagen Sie das, wenn Sie es unbedingt müssen, meiner Tochter. Ich habe nicht die geringste Veranlassung, hier die Stellvertreterin zu spielen. Sie lachen? Sollten Sie vielleicht mit meiner Tochter schon gesprochen haben?«

»Mutter ...,« sagte Herr von Stark und atmete auf vor Erwartung.

Da ging Frau Elisabeth Stoltenkamp auf den Sohn zu und schüttelte ihm kräftig beide Hände.

»Langes Zaudern ist nicht Stoltenkampsche Art. Der Großvater Margaretens, Fritz Stoltenkamp, verlobte sich, als er seine Braut kaum vierundzwanzig Stunden vorher zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. So sehr verließ er sich auf sein Auge, und es hat ihn auch in diesem Unternehmen nicht getäuscht. Margarete darf sich auch auf ihre Augen verlassen. Ich fühle es mit ihr. Sei mir als Sohn herzlich willkommen.«

»Du nennst mich Sohn, Mutter. Wie gut das tut.« Und er beugte sich tief über ihre Hände und küßte sie.

»Du heißest Friedrich. Das ist mir ein gutes Vorzeichen. Alle Stoltenkamps hießen so von den Anfängen der Gußstahlfabrik an.«

»Ich will in dieser Stunde keine Versprechungen ablegen, Mutter. Das ist wohl zu billig. Ich bitte dich nur um dein Vertrauen.«

»Du möchtest jetzt wohl zu Margarete gehen, Friedrich. Du wirst sie suchen müssen. Ich weiß nicht, wo sie ist.«

»Ich weiß es, Mutter. Wenn ich also darf?«

Sie nickte ihm zu, und er ging. Von der Türschwelle rief sie ihn noch einmal zurück.

»Ein Wort noch, Friedrich. Gerade gewachsene Menschen verstehen sich nicht falsch. Margarete ist die Erbin und Besitzerin der Werke vom Tage ihrer Großjährigkeit an. Also von ihrem Hochzeitstage an. Das – das große Erbe schreckt dich nicht?«

»Es ist eine schwere Mitgabe, Mutter, und verlangt den ganzen Mann. Du hast recht, mich zu fragen. Aber da ich den ganzen Mann zu stellen gedenke, so hoffe ich das Erbe dadurch wohl aufzuwiegen.«

Frau Elisabeths Augen funkelten.

»Du bist in Gnaden entlassen, Friedrich. Grüß mir deine Margarete.« –

Friedrich von Stark hatte seinen Austritt aus dem Staatsdienst vollzogen. Die Hochzeit fand statt.

Einen geheimnisvollen Brief hatte Frau Elisabeth vor der Hochzeit nach Berlin gesandt, und als die Trauung vorüber war und die Gäste an der mit Myrten und Margaretenblumen geschmückten Tafel saßen, traf die Antwort ein. Vor allen anderen Glückwünschen, die der Draht aus aller Welt übermittelte, wurde eine kaiserliche Depesche überreicht. Die Aufschrift lautete: »Herrn Friedrich Stark von Stoltenkamp und Gemahlin.«

Seine Majestät der Kaiser verlieh dem neuvermählten Paare und stets dem Erstgeborenen des Geschlechtes, der als Erbe der Werke zu gelten hatte, das Recht, dem Namen von Stark den unvergänglichen Namen Stoltenkamp hinzuzufügen und sich fürderhin Stark von Stoltenkamp zu nennen.

Friedrich von Stark erhob sich mit seiner jungen Gemahlin von den Sitzen. Der erste Trinkspruch hallte von des Mannes Lippen durch den Saal: »Es lebe der Kaiser!«

Am selben Tage verkündeten Maueranschläge auf allen Werken der Gußstahlfabrik Friedrich Stoltenkamp den Werksangehörigen das Weiterleben des geliebten Namens. Das junge Paar feierte seinen Ehrentag durch die Stiftung einer Million für die Wohlfahrt der Arbeiter, Frau Elisabeth Stoltenkamp, die aus der Firma ausschied, stiftete die doppelte Summe. Von Stund an nahm sie Fritz Stoltenkamps Vermächtnis als die Hauptaufgabe ihres Lebens an und widmete ihren beweglichen Geist und einen Teil ihrer Einkünfte unablässig der Daseinserhöhung der Arbeiterfamilien.

»Früher,« sagte Margarete, als sie auf dem blumenumrankten Söller neben dem Gatten stand und über die Ruhrwiesen blickte, »früher hieß es: ›Stolz wie ein Stoltenkamp‹ Nun ist das Wort veredelt worden. ›Stark wie ein Stoltenkamp!‹ Es ist Name und Wahlspruch zugleich.«

Stark von Stoltenkamp hatte die Arbeit aufgenommen. Er verhehlte sich die Schwierigkeiten seiner Stellung nicht. Er trat als Fremder unter die Alteingesessenen, als Unbekannter unter die mit jedem Nerv des Werkes Verwachsenen. Er wünschte nicht, als Günstling des Glückes gewertet zu werden, sein Streben war allein darauf gerichtet, unter Führern und Werksangehörigen bald als ein Berechtigter zu gelten, und sein ernstes, würdiges Verhalten im Kreise der Beratenden, sein Taktgefühl, mit dem er jedem einzelnen seiner Mitarbeiter als Lernender gegenübertrat, sicherten ihm schnell die Achtung und Anerkennung seiner Person.

Eine Vereinheitlichung des gesamten Betriebes war die erste große Aufgabe, die an Stark von Stoltenkamp herantrat. Die Gebäude und Werkstätten waren angebaut worden, wie es die gesteigerten Forderungen an das eine oder andere Erzeugnis gerade verlangt hatten. Was sachlich zusammengehörte, lag räumlich oft weit getrennt und zerstreut. Eine ungeheure Umwälzung mußte vonstatten gehen, ohne daß ein Betrieb eine Störung erfuhr. Die Arbeit wurde bewältigt, die Zusammenlegung vollzog sich plangemäß. Eine Neuordnung war geschaffen, in der jedes Kettenglied folgerecht in das andere griff, die Arbeit erleichterte, Zeit und Kräfte nützte, die Herstellungskosten verringerte und die Schnelligkeit in der Erzeugung vermehrte. Und hatte sich die Neuordnung auf Jahre verteilt, bevor der Schlußstein gesetzt werden konnte, so galt von nun an die Gußstahlfabrik Friedrich Stoltenkamp nicht nur als das größte Werk des Landes, sondern als das Musterwerk.

Es war nur der Auftakt der Arbeit, die die neue Zeit bald herrisch verlangte. In England saß Eduard der Siebente auf dem Thron. Seine politische Begabung wurde durch seine Mißgunst geschärft, und das geschärfte Werkzeug suchte die Gelegenheit zum Stoß. Die deutsche Industrie hatte England überflügelt, deutscher Fleiß und deutsche Gründlichkeit hatten die Wagschale des Welthandels zugunsten Deutschlands gerückt, die deutsche Flotte ließ ihre Kiele nicht mehr auf englischen Werften strecken, sondern auf vaterländischen, die die englischen an Güte und Erfindergeist übertrafen, und wuchs zu einer Schutz- und Trutzmacht der Meere, die England nach Gutdünken zu öffnen und zu schließen sich vermaß, und die jungen deutschen Kolonien über den Meeren blühten auf und erweckten den fressenden Neid Eduards und seiner Völker.

Und der fressende Neid trieb König Eduard den Siebenten wie einen Hausierer durch die Länder, die rings um Deutschland lagen, und er verkaufte seine Seele und stellte heimliche Wechsel aus auf deutsche, österreichische und ungarische Gebiete und die aufblühenden deutschen Kolonien, und er bildete aus den Völkern einen Händlerring, der giergereizt auf die Stunde der Einbrecher wartete, und hielt die Meute für die Stunde in der Hand.

Gott nahm im Zorn den geklönten Brunnenvergifter von hinnen, aber die Brunnen waren verseucht, und England und seine Meute trank sich den Wahnsinn daraus.

Deutschland sah die Wetterzeichen über die Himmel huschen. Wetterzeichen, die mit einem Wirbelsturm drohten. Ruhig und gefaßt traf es seine Sicherheits-Vorkehrungen im Vertrauen auf die Kraft und Tüchtigkeit seines Volkes und den Segen seiner Arbeit. Der Krieg, dessen Vorbereitungen England wie ein geschickter Puppenspieler aus der Verborgenheit leitete, würde nicht um geringe Grenzverschiebungen gehen. Er sollte das wirtschaftlich erstarkte deutsche Volk, das zu altem Glänz und Ansehen erstandene Deutsche Reich bis in die Wurzeln verderben und vernichten.

Immer näher huschten die Wetterzeichen, und das Geschrei der Geier scholl deutlicher aus den Fernen. Im Winter des Jahres 1911 stürzten sie sich in Marokko auf ihre erste Beute. Es war ein Versuchsjagen, und es glückte. Noch waren Deutschlands Lebenswerte nur leise berührt. Für einen marokkanischen Küstenstrich war ihm das Blut seiner Söhne zu kostbar.

Ruhig und stetig ging die Arbeit in den Stoltenkampschen Werken. Unbeirrt, aber mit gefestigten Zielen gingen sie ihren Weg. Die Stahlbereitung war durch die Einführung der Elektrostahlwerke weiter gesteigert worden, und die Erfindung des rauchlosen Pulvers, die Wirkungssteigerung der Sprengstoffe hatte alle Kräfte an die Geschütze gerufen, um Rohre und Lafetten gleichen Schritt halten zu lassen. Die Schnellfeuergeschütze wurden ausgebaut und durch eigentätige Verschlüsse in Selbstladegeschütze umgebaut, die Lafetten zur Entlastung und zum Ausgleich der Stoßwirkungen auf selbsttätigen Rücklauf und Vorlauf eingerichtet, Panzerschilde gewalzt und geschmiedet zum Schutz der Kanoniere.

Gebirgskanonen reihten sich an, die leicht in Teile zerlegt und von Menschen und Maultieren über die Höhen geschafft werden konnten.

Maschinengewehre wurden in Angriff genommen zur Ausrüstung der Infanterieregimenter.

Abwehrkanonen zur Vertreibung und Vernichtung feindlicher Luftgeschwader gingen aus den Werkstätten hervor.

Unbemerkt liefen auf der Werft die Tauchboote vom Stapel.

Ruhige und doch rastlose Arbeit überall. Ein Zusammenfassen aller geistigen und körperlichen Kräfte. Eine nie erlahmende Hingabe an die Bedürfnisse des Vaterlandes und darüber hinaus. Waren die Aufträge der Regierung erledigt, so wurde ohne Anweisung und Bestellung weiter gearbeitet. Und in den Stoltenkampschen Kanonenwerkstätten dehnten und streckten sich die Riesenrohre der Steilfeuergeschütze, der Mörser und Haubitzen, die auf eine bisher unerreichte Feuergeschwindigkeit, Treffsicherheit und Zerstörungskraft gebracht wurden, und keiner verlor ein Wort darüber.

Wenn Stark von Stoltenkamp mit seiner Gattin und seinen jungen Söhnen, die den Wuchs der Stoltenkamps zeigten, am Abend sich im Park erging, blieb ein Lauschen in seinem Gesicht, als horchte er auf das rastlose Dröhnen der Fabrik oder auf einen fernen Kanonendonner.

»Um die da geht's,« sagte er leise zu Margarete und wies auf die schlanken, frohen Knaben, »um die Zukunft aller deutschen Söhne und Enkel. Da gilt es, Waffen schmieden.«

Und Margarete entgegnete und nahm seinen Arm fester: »Sie haben Eltern, die die Ehre des erworbenen Namens einzuschätzen wissen. Dorthin werden wir sie alle führen. Unser Familienname heißt Deutschland.«

Immer dichter ballten sich die schwefelgelben Wolken an den Horizonten, immer enger umschrieben sie ihren Kreis. Lastend lag die Spannung auf allen Gemütern.

Dann schrillte der erste Warnungspfiff durch die Lande. In Rußland vollzogen sich Truppenverschiebungen. Rußlands Wehrmacht drängte sich mehr und mehr an seiner Westgrenze zusammen. Die Zahl seiner Truppenlager vergrößerte sich von Woche Zu Woche. Munitionshäufungen fanden statt.

Eine Anfrage von Regierung zu Regierung verlief im Sand. Man half sich jenseits der Grenze mit der Ausrede von Truppenübungen in größeren Verbänden. Eine Veranlassung zum Einschreiten wurde nicht gegeben.

Und durch das russische Riesenreich, vom Ochotskischen Meere Ostsibiriens bis zum Schwarzen Meer und der blauen Ostsee Kurlands, rollten Tag und Nacht die Eisenbahnzüge, leerten Städte und Dörfer aus, schleppten ihre Menschenfrachten Zehntausende von Meilen über die geängstigte Erde und luden sie als Soldaten des Zaren an der deutschen und der österreichischen Grenze aus.

Es standen Truppenübungen in größeren Verbänden bevor.

Der Zar schien sich an einer Heerschau neu beleben zu wollen. Der Zar, den die Japaner geschlagen hatten. Der Zar, der seinem die Wasser des Lebens heischenden Volke das Blut des Todes zu trinken gab nach alter Moskowiterart.

Ein Junisonntag war, und die Welt stand in Prangen.

Auf den Feldern reiften die Ernten der Mahd entgegen, die Lerchen stiegen in den Himmel, die Menschen schritten im Festtagsgewand und legten auch der Seele ein Sonntagskleid an.

Friedrich Stark von Stoltenkamp saß bei den Seinen im Park des weißen Hauses und genoß in tiefen Zügen den Frieden des Feiertages. Das Lauschen war aus seinen Augen verschwunden. Sie blickten klar und ruhig auf die stille Sonntagsfreude der Seinen.

»Jetzt spüre ich wieder, was Menschenglück bedeutet, Margarete.«

»Hast du Hoffnung auf die Erhaltung des Friedens, Friedrich?«

»Nein, nicht auf die Erhaltung. England sitzt mit den gezeichneten Karten in der Hand und wartet die Stunde ab, wo es Trumpf stechen kann. Nur eine Friedensfrist von ein paar Jahren ist der Welt noch vergönnt, bis die Handlanger Englands bereit sind. Der Krieg ist ein schwereres Handwerk, als die Hetzer sich träumen lassen. Keiner vermag Ausdehnung und Verlauf von vornherein zu übersehen. England fehlt es noch an Mannschaften, Frankreich möchte noch immer weiter rüsten, um uns schon an unserer Westgrenze auf einen eisernen Wall stoßen zu lassen, noch lieber, um schon den Krieg in die Rheinlande getragen zu haben, bevor wir aufmarschiert sind. Belgien bleibt eine Sphinx. Keiner weiß, wie weit seine geheimen Abmachungen mit England zur Öffnung seiner Grenzen und Festungen gehen. Und Rußland braucht Geld und wieder Geld. Die Unterschiede sollen allein schon bei den stattgefundenen Truppenverschiebungen und Lagereinrichtungen in die ungezählten Millionen gehen, vom kleinen Eisenbahnbeamten an bis zum mächtigsten Großfürsten hinauf. Da heißt es für alle die Herren Gegner, in Geduld ein paar Jährlein zulegen. England versteht meisterhaft zu warten.«

»Und wir sind bereit, Friedrich?«

»Jedenfalls haben wir getan, was in Menschenkräften steht. Und wir werden, wenn's verlangt wird, mit unseren Leistungen über das, was man bisher Menschenkräfte nannte, hinausgehen.«

»Und die anderen Dreibundstaaten, Friedrich? Österreich-Ungarn? Italien?«

»Österreich-Ungarn und Deutschland stehen Schulter an Schulter wie eine einzige Macht. Sie haben es jüngst in Marokko bewiesen und in Bosnien und der Herzegowina. Was den einen berührt, trifft den anderen mit. Sie sind dazu auf der Welt, um Freud und Leid miteinander zu tragen. Italien? Ja, Italien – –«

»Du glaubst nicht an seine Zuverlässigkeit?«

»Sieh einmal, Margarete, wie das Volk im weiteren ist, so ist im engeren seine Regierung. Ein tüchtiges, wenn auch noch etwas einseitiges Deutschland ist ohne eine grundtüchtige, wenn auch ebenfalls noch etwas einseitige Regierungsmaschine einfach undenkbar. In Frankreich muß man auf zähe Gewitter und Entladungen gefaßt sein, wie in seinem Volksgeblüt. In England rechnet der Minister so kaltblütig wie der englische Kaufmann. In Rußland bereichert er sich wie sein Zollwächter, der jedes Trinkgeld nimmt. In Italien aber – nun, du warst ja oft genug in Italien und kennst das Volk in Handel und Wandel – in Italien versucht jedermann den anderen übers Ohr zu hauen, zu feilschen, zu betrügen, ein Sondergeschäftchen herauszuschlagen, und wenn es auf Kosten von Vater und Mutter ging. In Italien kennt man das Wort der Treue nicht. Seine Geschichte kennt es nicht, und Volk und Regierung kennen es noch weniger. Wir werden gut tun, Italien in unseren Berechnungen ausfallen zu lassen.«

»Das ist ein scheußliches Empfinden, Friedrich. Treue will Treue.«

»Wer es ist ein herrlicher Sonntag, Margarete. Glück will Glück überall.«

Und sie sahen beieinander und sahen die schlanken Jungen lachen und spielen und genossen tief den Menschenfrieden ...

Ein Diener kam und bat Stark von Stoltenkamp an den Fernsprecher.

»Komm bald wieder, Friedrich. Es ist so wunderbar schön wie nie.«

Und Stark von Stoltenkamp kehrte nach wenigen Minuten zurück. Seine Augen glühten. In seinem Gesicht arbeitete es.

»Was hast du?« rief Margarete erschreckt und ging ihm hastig entgegen.

»Ein Telegramm ist gekommen, Margarete. Man hat es mir durch den Fernsprecher zugerufen. Der österreichisch-ungarische Thronfolger und seine Gemahlin sind heute vormittag in der bosnischen Stadt Serajewo von gedungenen serbischen Meuchelmördern abgeschlachtet worden. Es ist eines der fürchterlichsten Verbrechen der Weltgeschichte!«

»Line politische Mordtat, Friedrich?«

»Mehr, mehr! Serbische Mordbuben waren es auf österreichisch-ungarischem Boden. Ein Staat überfällt heimlich den anderen mit dem Schlächtermesser in der Hand.«

»Das sollte Serbien wagen? Das kleine Serbien?«

»Rußland hat seinen ersten Jagdrüden zu frühzeitig von der Kette gelassen, oder mit dem Rüden ist das Jagdfieber durchgegangen. Serbien ist die Mordwaffe gewesen, Rußland die Faust.«

»Und nun, Friedrich?«

»Nun? Nun muß ich in die Fabrik, Margarete. Die Geschäftsleitung tritt in einer Stunde zur Beratung zusammen. Die Stoltenkampschen Werke kämpfen im Vordertreffen.«

»Kämpfen?«

Friedrich Stark von Stoltenkamp legte seiner jungen Frau den Arm um die Schulter.

»Das deutsche Vaterland wird die gewaltigste Probe auf seine Daseinsberechtigung zu bestehen haben, und die Stoltenkampschen Werke wie immer mit ihm. Der Doppelmord in Serajewo ist der Krieg, Margarete.«

Der Krieg – –!

Die Spaziergänger in den Wiesen und Wäldern wurden unruhig. Auf allen Straßen drängten sie heim. Das Sonntagskleid war besudelt. Die Sonne schwand wie gejagt.

Ein schneidender Sensenton ging durch die Welt.

Der Krieg!

*

 


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