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10

Unerwartet war Fritz Stoltenkamp daheim eingetroffen. Er kam zu Fuß von der Stadt her, wo er die Post verlassen hatte, und trat durch die Pforte in den Hof. Aus den Fabrikgebäuden dröhnte das Stampfen und Schnauben der Dampfmaschine, das taktfeste Pochen des großen Hammers. Kein Mann war hier draußen zu sehen. Alle standen sie in Reih und Glied bei der Arbeit.

Fritz Stoltenkamp ging in das Wohnhaus. Er winkte der Magd, die neugierig aus der Küche kam, ab und schritt weiter, um die Mutter zu suchen. Wußte er doch, wo er sie fand.

Da saß Frau Margarete im Arbeitszimmer und hielt den braunen Kopf mit angespannten Gesichtszügen über die Bücher gebeugt, in die sie Ziffer für Ziffer ihre Eintragungen machte.

»So hat sie alle die Monate gesessen, die du fern warst,« sagte sich der Heimgekehrte, »so ganz allein und im selben Gleichmaß ihrer Arbeitstage. Und so hat sie alle die Jahre gesessen, während jeder Frühling, der durch die Fenster schaute, ein Stück ihrer Jugend mit sich nahm. Und sie hat nichts gemerkt vom wechselnden Frühling und nichts von der bleibenden Arbeit. Aus Mutterliebe.«

Frau Margaretes Feder stockte plötzlich. Ihre Augenbrauen hoben sich. Es kam eine Unruhe in ihre Gestalt. Und mit einem Male erhob sie sich und wandte sich der offenen Tür zu, in der der Sohn stand und sie mit seinen Blicken streichelte.

»Fritz! – – – Fritz!«

»Mutter!« erwiderte er, »Mutter!« Und hielt ihren Kopf in seinen beiden Händen und küßte sie auf das Haar. »Mutter, da bin ich.«

»Das ist gut,« sagte sie verwirrt, »das ist gut.« Und sie legte ihm die Arme über die Schultern und hielt sich ganz still an ihm.

»War es so schwer, Mutter? So ganz allein? Hab ich dir zuviel aufgebürdet? Ich rechne nur immer von meinen Kräften aus und vergesse dabei, wer du bist. Daß du eine Frau bist und meine Mutter bist, die ich schonen und bewahren sollte.«

Sie ließ die Arme auf seinen Schultern, als fürchte sie, ihn wieder wie einen Traum dahinschwinden zu sehen, und regte nur den Kopf.

»Es war nicht schwer, Fritz. Nicht schwerer als sonst. Und allein kann ich ja gar nicht sein. Meine Gedanken waren ja doch bei dir. Nur leichter ist es, wenn du da bist. Dann spüre ich nicht so, was mir alles Zur Mitleiterin des Werkes fehlt.«

»Hat dich Eberhard nicht unterstützt, Mutter? Eberhard ist alt und erfahren genug.«

»Eberhard ist jung, Fritz. Und Jugend stellt andere Anforderungen ans Leben als wir beiden Alten.« Sie löste die Arme ein wenig und ließ die Hände auf seinen Schultern ruhen. »Als wir beiden Alten,« wiederholte sie und hatte ihr Lächeln wiedergefunden. »Denn alt ist mein Junge geworden, der Bart verwildert und die ganze Stirn voll Sorgenfalten. Nun muß ich dich wieder jung machen und die Stirn wieder aufglätten. Du machst mir mehr Last als alle die anderen.«

»Also Last haben dir die anderen auch gemacht. Das war es, was ich fürchtete.«

»Ob es wirklich Last war, weiß ich jetzt schon nicht mehr,« sagte Frau Margarete und saß dicht neben dem Heimgekehrten. »Es war vielleicht mehr das Unvermögen, mich in die jüngeren Hirne hineinzudenken. Ich habe zu lange mit dir das gleiche gedacht, und wir denken vielleicht ein wenig zu schroff über alles, was wir außerhalb unserer Bahn gelassen haben.«

»Gibt es denn noch etwas Bedeutsames außerhalb unserer Bahn?«

»Ja, Fritz,« entgegnete Frau Margarete. »Es gibt noch etwas und wohl auch noch sehr viel. Das kommt auf den Menschen an und wie er es betrachtet. Der eine nimmt die Arbeit als Freude, die alles umschließt, der andere als Mittel Zur Freude. Beide können sie recht haben. Darüber entscheidet ihr Lebensbedürfnis.«

»Und Eberhards Lebensbedürfnis hat sich für die Arbeit als Mittel zur Freude ausgesprochen? Du willst ihn entschuldigen, Mutter.«

»Nein, Fritz. Dazu habe ich nicht einmal das Recht. Alle Maschinenteile werden auch nicht aus ein und derselben Form gegossen, und doch hat jeder Teil Wert und Bedeutung für sich. So wird es bei der großen Lebensmaschine wohl auch sein.«

»Spricht jetzt nicht etwa die Mutter aus dir, die mehrere Kinder hat?«

»Es will mir eher scheinen, Fritz, es spricht eine große und sehr von sich eingenommene Philosophin aus mir, weil ich über meiner Weisheit sogar die Wiedersehensfreude vergesse.«

»Ach, Mutter ...« sagte er und nahm ihre Hände und preßte sie.

»Nun wollen wir erst einmal ein Viertelstündchen ganz still beieinander sitzen, Fritz.« –

Als er sich nach kurzem Ausruhen erhob, ging sie mit ihm und brachte ihn auf sein Zimmer. »Schade, daß ich dich nicht mehr waschen, bürsten und kämmen kann wie als ganz kleines Kind. Was glaubst du, was die Mutter verliert, wenn die Kinder groß werden ...«

Und Fritz Stoltenkamp lachte: »Sie verliert die Rute, Mutter, die oft auch den großen Kindern noch sehr gut täte.«

Frau Margarete blickte sich im Zimmer um. »Es ist alles in Ordnung. Ich habe jeden Morgen hier nachgesehen. Und wenn du den englischen Werkmann abgestreift und den deutschen Werkbesitzer wieder angezogen hast, kannst du kommen und nachsehen, ob auch meine Bücher in Ordnung sind.«

»Ich brenne darauf, Mutter. Aber ich werde dich wohl bis zum Abend zappeln lassen müssen.«

»Willst du sofort in die Fabrik, Fritz? Doch nicht ohne Frühstück?«

»Das Frühstück werde ich wohl bei den jungen Grotes erhalten. Amalie hat mir einen Brandbrief geschrieben. Bevor da nicht gelöscht und aufgeräumt ist, macht mir der Gang durch die Fabrik keine Freude.«

Frau Margarete blickte dem Sohn in die Augen. Eine lange Weile.

»Es handelt sich um Eberhard. Ich weiß es. Sprecht euch in Ruhe darüber aus, und dann sprecht mit Eberhard und laßt euch ebenso ruhig seine Wünsche sagen. Was ihr drei untereinander beredet und beschlossen habt, das teilt mir mit. Ich habe drei Kinder und darf für keines von ihnen Partei ergreifen und gegen keines. Das vergiß nicht, Fritz, wenn es Amalie vergessen sollte, und daß es immer auf die Natur des einzelnen ankommt, wo hinaus sein Leben will und muß.«

»Ich werde es nicht vergessen, Mutter. Gräm dich nicht. Vielleicht sind sogar die Andersgearteten die glücklicheren.«

»Vielleicht und vielleicht nicht. Was Glück ist, kann nur jeder für sich bestimmen.« –

Wie in fassungslosem Staunen stampfte und schnob die Dampfmaschine, donnerte der dumpfe Ruf des Reck-Hammers, als Fritz Stoltenkamp den Fabrikhof verließ, ohne seinem Werk den ersten Gruß geboten zu haben. So wollte es dem Davonschreitenden scheinen. Aber er bezwang sich und blickte nicht einmal über die Schulter zurück. Er ging zur Stadt und nahm sich, da für die nächsten Stunden keine Postgelegenheit war, ein Gefährt, das ihn in schneller Fahrt zur Ruhr brachte und über die Brücke in das kleine, altertümliche Städtchen.

Amalie Grote war gar nicht so sehr erstaunt, den Bruder vor sich erscheinen zu sehen. Sie saß daheim vor dem großen buntgemusterten Nähkorb und zog gleichmäßig den Faden durchs Leinen, denn sie erwartete ihr zweites Kind.

»Da bist du ja, Fritz. Herzlich willkommen. Nimm dir einen Stuhl und setz dich zu mir, denn das Aufstehen wird mir ein bißchen sauer. Unser kleines Mädelchen wollte durchaus noch ein Brüderchen haben – ja so, das sind für dich arg verheiratete Sachen. Du kommst geradeswegs aus England?«

»Geradeswegs, Amalie. Dein Brief ließ wohl keine andere Wahl zu.«

»Nein, das tat er wohl nicht. Und das sollte er auch nicht. Wenn man in Kürze zwei Wiegen besetzt hat, denkt man gereifter über Geld und Geldeswert und nicht mehr so leichtfertig wie in den Tagen jugendlicher Torheit.«

»Du hast nie im Leben leichtfertig gedacht, Amalie, und auch nie eine Torheit begangen.«

Die junge Frau senkte ihren Kopf tief auf ihre Näharbeit. Eine ärgerliche Blutwelle war ihr in die Stirn gestiegen. Die brauchte der Bruder nicht zu bemerken.

»Du willst doch nicht auch etwa den Torheiten das Wort reden? Du hast sie doch gerade so von dir ferngehalten wie ich.«

»Amalie,« sagte der Bruder, »ich war mit sechzehn Jahren das Familienoberhaupt und der Fabrikleiter. Ich habe bis heute vor Arbeit nicht aus noch ein gewußt. Ich wäre sonst gern einmal töricht gewesen.«

»Gott, du willst dich der Person wohl auch noch annehmen?«

»Von welcher ›Person‹ sprichst du? Das ist ein eigentümliches Wort in Frauenmund.«

»Ich spreche von Eberhard und seiner ewigen Flamme. Du weißt das ebensogut wie ich, auch ohne daß ich Namen nenne. Vor ein paar Jahren schon ließ ich dich deshalb von Berlin zurückkommen.«

»Das tatest du. Und es hat mir das ganze russische Geschäft erschwert.«

»Soll ich mir vielleicht von diesem – diesem Fräulein Schlechtendahl auf der Nase herumtanzen lassen? Wo kommt sie denn eigentlich her? Was nimmt sie sich gegen mich heraus? Nur weil sie so ein besonderes Frätzchen hat? Sie ist nur ein knappes halbes Jahr jünger als ich, also mindestens anderthalb Jahr älter als der Eberhard. Weshalb bemächtigt sie sich des Jungen? Aus Liebe? Aus Leidenschaft? Nur um ihren armseligen Namen, an dem noch ihres Vaters Schusterpech klebt, in den Namen Stoltenkamp umwandeln zu können, um eine ›alte Familie‹ darzustellen.«

»Es gibt keine alten Familien, Amalie. Nicht in deinem Sinne. Es gibt nur brauchbare oder unbrauchbare Familien, und der alte Schuster Schlechtendahl war eine brauchbare Familie» das siehst du an seinem geschickten und fleißigen Sohn und, wenn du sehen wolltest, auch an seiner so entwicklungsfähigen Tochter.«

Amalie Grote stichelte ruhig weiter, biß dann den Faden ab, glättete und faltete das Leinenstück vor sich auf der Tischplatte und legte es in den großen bunten Korb zu den übrigen.

»Streng dich nicht weiter an, Fritz,« sagte sie gleichmütig. »Die Sache ist für mich erledigt, und mein Mann denkt darin wie ich. Wir sind die ewigen Herausforderungen leid. Man kann sich ja nirgends mehr sehen lassen, ohne auf Eberhard und sein hochmütiges Dämchen zu stoßen. Er macht sich mit seinen Pagendiensten einfach lächerlich, und sie hat nur das eine und einzige Bestreben, überall der Mittelpunkt zu sein und mit ihrem erkünstelten Glanz alle anderen Frauen auszustechen. Ja, glaubst du denn, das lasse ich mir bieten? Glaubst du denn, ich lasse mich von der so mir nichts dir nichts als Mauerblümchen behandeln und in den Hintergrund schieben, wenn sie einmal Frau Stoltenkamp heißen und in der Fabrik mitzureden haben sollte? Das mutest du mir doch wohl nicht zu.«

»In der Fabrik haben nur die Teilhaber mitzureden, Amalie. Kein Mensch sonst.«

»So denkst du dir das. Aber Frau Eberhard Stoltenkamp wird nicht so denken. Heute ist sie ja noch Fräulein Schlechtendahl, aber wenn sie heute schon fertig bringt.

Eberhard täglich aus der Arbeitszeit herauszunehmen und für sich zu beanspruchen, ganz gleich, ob Lieferungen dadurch verderben und Auftrage darüber verloren gehen oder nicht, wie wird sie dann erst als Eberhards Frau und Herrin schalten und walten? Was die Fabrik auf Eberhards Anteil einbringt, wird sie spielend für sich verbrauchen und noch mehr dazu, und das Werk wird es schnell spüren, wenn du ihm Kapitalien auf Kapitalien entziehen mußt, statt sie zur Vergrößerung und Erweiterung hineinzustecken wie bisher. Denn der verheiratete Teilhaber Eberhard Stoltenkamp wird nicht mehr das lenkbare Brüderlein sein.«

»Genug, Amalie. Von allem, was du sagtest, kommen ernsthaft nur zwei Dinge in Betracht. Widmet Eberhard seine ganze Kraft dem Werk, und wird er sie ihm weiter widmen? Und: wie gedenkt er es mit seinen Gewinnanteilen zu halten? Paßt ihm die strenge Pflichterfüllung nicht, die das Werk fordern muß, und will er seinen Gewinnanteil bis auf das unbedingt Nötige nicht in der Fabrik stehen lassen, wie ich es immer getan habe und weiter tun werde, bis die Fabrik darauf verzichten kann, so soll er sich äußern, und wir müssen zu einem anderen Abkommen gelangen. Damals, als du mich riefst, war er noch ein Junge. Heute vermag er seine Aussichten selber zu überblicken.«

Amalie Grote schüttelte unwirsch den Kopf.

»Ich lasse mir nichts vormachen, und wenn er das Blaue vom Himmel herunter verspricht. Nur unter einer Bedingung gebe ich nach. Er soll eine andere Frau heiraten, und das so schnell wie möglich.«

»Läßt sich denn so was von einem Tag zum anderen machen?« fragte Fritz Stoltenkamp lachend. »Verheiratete Dinge verstehst du ja wohl besser als ich.«

Das Lachen aber erregte den Zorn der jungen Frau.

»Jawohl, auf das bessere Verständnis kommt es an, auf die bessere Einsicht, wie ein anständiges Verhältnis zwischen Mann und Frau beschaffen zu sein hat. Oder hältst du es für so besonders anständig, daß sich Eberhard von meinem Mann heimlich die Gelder borgt, um mit der entwicklungsfähigen Dame, wie du sie so schön benanntest, nach Düsseldorf zu fahren und im großen Stil zu leben, während die Mutter daheim die Butter auf dem Brote spart? Ja, jetzt horchst du anders auf. Und jetzt wirst du wohl auch begreifen, daß ich keine Lust verspüre, meinen Werksanteil in Gefahr zu bringen, und auf einer Regelung, so oder so, bestehe.«

Fritz Stoltenkamp hatte sich erhoben. Er suchte nach seinem Hut.

»Das ist – buchstäblich wahr, wie du es sagst? Eberhard hätte heimlich Geld von deinem Manne geborgt? Nur – um es – zu verjubeln – während Mutter daheim – sich um jeden Groschen noch immer abrackert?« Er hielt seinen Hut in der Hand. »Wo treffe ich deinen Mann, Amalie? Es ist mir unerklärlich, wie Walter Grote die Hand dazu bieten konnte.«

»Bitte, laß es meinen Mann jetzt nicht ausbaden. Ich habe ihm schon das Nötige gesagt, als er mir beichten mußte.«

»Weshalb mußte er dir beichten?«

»Weil ihm Eberhard zu oft kam. Nun weißt du es.« –

Fritz Stoltenkamp traf seinen Schwager auf der Straße, gerade als er sein Gefährt besteigen wollte. In ehrlicher Wiedersehensfreude winkte ihm der Schwager zu. »Willkommen daheim, alter Englandfahrer. Herzlich willkommen!«

Er nahm Walter Grotes Arm und ging mit ihm zu Fuß bis zur Ruhrbrücke, während der Wagen langsam hinterdrein fuhr.

»Warum Haft du mir das angetan, Walter?«

Der Schwager wurde verlegen. »Hat Amalie doch geplaudert? Frauen können nun einmal den Mund nicht halten, wenn sie auf eine andere einen heimlichen Groll haben und ihr eins auszuwischen vermögen.«

»Trotzdem, Walter. Warum hast du mir das angetan.«

Und Walter Grote antwortete ruhig: »Weil es dein Bruder war, Fritz. Und weil ich nicht wollte, daß er in der Stadt herumlaufen sollte, um sich die Gelder zusammenzusuchen. Denn du hast dafür gefolgt, daß in der Stadt der Name Stoltenkamp so gut wie bar Geld ist. Daran sollte mir auch von Eberhard nicht getastet werden.«

»So, so,« sagte Fritz Stoltenkamp, »so, so. Dann hab ich dir ja noch zu danken, Walter.«

»Es ist nicht gefährlich,« beruhigte der Schwager. »Ein paar hundert Taler. Aber dann wollte er mich zu einer Art Privatbankier erheben, und da hab ich energisch abgewinkt. Dir das nach England zu schreiben, hatte ja keinen Zweck. Es hätte dich nur gestört und nichts gebessert. Seit es aber Amalie weih, sind alle Puppen am Tanzen, und es geht auf Biegen oder Brechen.«

»Auf Biegen oder Brechen. Das scheint mir nachgerade auch so.«

Er bestieg sein Gefährt. »Nochmals – ich dank dir.« Und dann fuhr er schweigend heimwärts.

Als er sich der Stadt näherte, fiel ihm ein, daß er gar nicht zu Mittag gegessen hatte. Die so ganz von ihren eigenen Gedanken benommene Schwester hatte versäumt, ihn danach zu befragen, und er selber hatte es auch vergessen. Er ließ das Gefährt durchs Stadttor fahren, stieg aus und legte den Weg zum Schlechtendahlschen Haufe zu Fuß zurück.

Er wollte Max Schlechtendahl sprechen. Unter Männern ließen sich solche heiklen Angelegenheiten leichter bereden.

Als er durch die Geschäftsräume schritt und einem Angestellten zum abgesonderten Geschäftszimmer folgte, schärfte sich sein Blick. Eine große Druckerei tat sich vor ihm auf, Warenlager, bis unter die Gewölbesparren angefüllt, Verkaufsräume, Schreibstuben, und alles von schaffenden Männern und Mädchen bevölkert. Das war ja mit der Zeit ein ganz bedeutender Betrieb geworden! Der alte Jugendfreund verstand sein Handwerk.

»Fritz Stoltenkamp,« sagte der kleine bebrillte Mann mit dem Altersgesicht, kletterte vom Drehschemel herunter, legte die Schreibfeder aufs Pult und ging, beide Hände ausgestreckt, auf den Besucher zu. »Fritz Stoltekamp.«

»Wir haben uns lange nicht gesehen, Max. Ich komme nun gerade von England zurück und war vorher überall und nirgends, wenn ich nicht draußen im Werke steckte. Da lockern sich die freundlichsten Beziehungen.«

»Fritz Stoltenkamp,« wiederholte der Kleine, nahm die Brille ab und rieb sich die immer noch entzündeten Augen, um den einstigen Gefährten besser ansehen zu können. »Du bist es wirklich. Ein stolzer Mann und Fabrikherr. Und findest nach Jahren wirklich einmal zu mir.«

»Du hast gearbeitet, Max, und ich habe gearbeitet. Aber es geht dir gut, wie ich sehe.«

»Ja, ja, ja, – mehr als gut. Aber setz dich doch nieder. Oder wollen wir hinaufgehen? Wie wird sich Mathilde freuen.«

»Wenn es dir recht ist, bleiben wir hier ein Weilchen sitzen. Arbeitstiere wie wir fühlen sich am wohlsten in einer vertrauten Umgebung. Ja, eine Zigarre nehme ich. Danke dir.«

Wie ein Wiesel huschte der kleine Mann umher, holte Feuerzeug, trug ein Lederkissen herbei und saß endlich, die Knie reibend, dem Gaste gegenüber.

»Ja, ja, ja – wir haben nicht gefaulenzt, wir beide. Wir haben uns nicht gescheut, uns den Wind um die Nase wehen zu lassen. Weiht du noch, wie wir mit der schweren Mustertasche nach der Enneper Landstraße pilgerten? Und die großartigen Gespräche führten, um uns den Weg zu kürzen? Kein Wort habe ich vergessen. Und nachher trafen wir uns auf dem Wittener Pferdemarkt, und Mathilde ritt auf dem Holzschimmel. Damals hattest du keine Zeit für uns, und das habe ich damals nicht recht verstanden. Denn die kleine Mathilde sah doch bildhübsch aus in ihrem Blumenkleidchen und hatte auch gleich eine kleine Schwärmerei für dich. Und nun muß ich dir etwas gestehen, Fritz. Ich dachte wahrhaftig damals und auch ein paar Jahre später, als wir euch einen Besuch machten, wir schienen dir doch wohl nicht gut genug, und das – das wurde nun wieder der Sporn für mich, noch schärfer ins Geschirr zu gehen, noch fester und immer noch fester die Geschäfte anzufassen, um in geldlicher Beziehung vor keinem Menschen zurücktreten zu brauchen. Du wirst über mein Geständnis lachen, und ich lache ja heute auch darüber, besonders seit dein Bruder Eberhard ein so häufiger Gast bei uns geworden ist und ein immer gern gesehener Gast in seiner unbekümmerten Jugendlust, die uns beiden doch beträchtlich fehlte. Ja, so kam's, und das Geschäft wuchs, und die Zeitung ist tonangebend in bergbaulichen Interessen, und ich denke schon daran, auch in Düsseldorf eine größere Zeitung zu gründen und vielleicht ganz nach Düsseldorf überzusiedeln. Denn man möchte doch auch ein wenig von der Heiterkeit des Lebens.«

Wie ein Strom kam es aus dem kleinen Manne heraus, wie eine Freude und Genugtuung, dem seltenen und lieben Gast einen Einblick in Herz und Geschäft gewähren zu können. Das geschah ihm nicht oft, denn er war mißtrauisch und sparsam und machte nur in seiner Schwester die alleinige Ausnahme.

Fritz Stoltenkamp aber dachte: Sie hatte als kleines Mädchen eine Schwärmerei für mich, die Mathilde Schlechtendahl? Und sie haben mich auch später noch für hochmütig gehalten, Bruder und Schwester? Und der Eberhard ist fast täglich mit ihnen zusammen und spielt mit anderer Leute Geld den unbekümmert Jugendlustigen?

»Also ihr wollt nach Düsseldorf übersiedeln, Max? Das wird für deine Schwester wohl eine rechte Freude sein.«

Wie sollte er nur diesem fröhlichen Menschen gegenüber auf seine todernste Angelegenheit kommen? Der Mann schlug ihm mit seiner freundschaftlichen Herzlichkeit ja alle Waffen aus der Hand.

Der Kleine hatte den Kopf gewiegt.

»Ob Mathilde mittun wird, weiß ich eben noch nicht. Sie ist mir zuweilen unerklärlich. Und dabei solltest du sie sehen! Für die große Welt wie geschaffen. Und nun ist sie doch auch schon vierundzwanzig gewesen.«

»Lieber Max,« sagte Fritz Stoltenkamp mit Anstrengung, »da wir gerade von deiner Schwester sprechen –«

Aber der Kleine hatte schon das Sprachrohr ergriffen, das über seinem Pult hing.

»Entschuldige, aber ich kann es wirklich nicht länger verantworten. Ich muß doch wenigstens Mathilde benachrichtigen, wer seit einer halben Stunde bei mir sitzt. Nein, nein, keine Abwehr. Sie freut sich sicher wie ich. Holla! Mathilde? Ja, ich bin's, Max. Rate mal, wen ich hier habe? Seit einer halben Stunde. Fritz Stoltenkamp! Jawohl, seit einer halben Stunde. Er wollte erst bei mir eine gemütliche Zigarre rauchen. Was? Nun willst du ihn allein haben? Zur Strafe? Ja, wenn das eine Strafe für ihn ist? Ich will ihn mal fragen. Aber zum Kaffee komme ich zu euch herauf.«

Er ließ das Sprachrohr los und wandte sich dem Freunde zu.

»Da hast du es gehört. Sie hat mir den Kopf gewaschen. Und nun mach schnell, daß du zu ihr hinaufkommst.« Er öffnete eine Glastür zum Stiegenhaus. »Hier hinauf und geradeaus. In einem Stündchen komme ich nach.«

Fritz Stoltenkamp stand im Stiegenhaus. Er setzte den Hut auf den Kopf und überlegte, ob er geradeswegs heimgehen sollte. Nein, das ging nicht. Unverrichteter Sache kehrte er nicht um. Wollte der Bruder ihn nicht hören, so muhte er Mathilde Schlechtendahl selber sprechen. Es war auch der kürzeste Weg.

Mathilde Schlechtendahl begrüßte den Gast mit aller Höflichkeit. Er war ein wenig verwundert, denn er hatte nach dem, was er unfreiwillig durch das Sprachrohr hatte erlauschen müssen, einen Ton größerer Herzlichkeit vermutet. Aber der Höflichkeitston war ihm jedenfalls der liebere. Er nahm auf einem der hellen, seidenüberzogenen Birnholzstühle Platz und wartete auf ihre Anrede.

Und als er sie in ihrer gelassenen Schöne in diesem fein abgewogenen und doch so kostbaren Stübchen sitzen sah, kam es ihm zum Bewußtsein, daß sie sich auch nicht um einen Strich und einen Schatten verändert hatte, daß die Jahre für sie nur gekommen und gegangen waren, um ihre Jugend und Schönheit immer noch feiner und wirksamer herauszuarbeiten, und er selber kam sich alt und in seiner Jugend verbraucht vor wie niemals sonst.

»Ich freue mich,« sagte Mathilde Schlechtendahl, und der still forschende Blick war auch noch in ihren Augen, »daß Sie so schnell nach Ihrer großen und wohl besonders anstrengenden Reise zu mir gefunden haben. Ich weiß zwar nicht, ob Ihr Besuch eine besondere Bewandtnis hat, aber ich freue mich doch.«

»Fräulein Schlechtendahl,« entgegnete Fritz Stoltenkamp, »der Weg führte mich zu Ihrem Herrn Bruder.«

»Ist es Ihnen unangenehm, mit mir zu sprechen?«

Da riß sich Fritz Stoltenkamp zusammen.

»Sie wissen also, weshalb ich komme. Und so peinlich es mir ist – ich muß Klarheit haben.«

»Bitte, fragen Sie ungescheut. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«

»Sie wollen es mir durch Ihre übergroße Höflichkeit schwer machen, Fräulein Schlechtendahl. Es hilft nichts – ich muß doch fragen. Es steht für mich – es steht für das Werk draußen Zu viel auf dem Spiel.«

»Für Sie? Oder für das Werk?«

»Nun denn – um ganz klar zu sein – für das Werk.« Und plötzlich tanzten ihm tausend Funken und wirbelnde Linien vor den Äugen, und er mußte einmal ganz, ganz tief den Atem herausholen, um die Blutstockung zu überwinden.

»Also für das Werk,« hörte er ihre Stimme wie aus weiter Ferne, und dann deutlicher: »Sie wollten weitersprechen, Herr Stoltenkamp.«

»Für das Werk,« wiederholte er und hatte sich wieder in der Gewalt. »Ich weiß, daß ich offen und ehrlich zu

Ihnen sprechen darf. Das Werk steht in seinem schwierigsten Zeitabschnitt. Es verträgt nicht die geringste Belastung und verlangt die Kraft und Anspannung jedes einzelnen, der daran beteiligt ist, bis zum letzten. Denn die nächsten Jahre müssen erbringen, ob das Werk einmal auf dem Weltmarkt mitzusprechen hat oder nicht.«

»Weiter,« bat sie, und die Augen standen wie früher ganz dunkel in dem elfenbeinfarbigen Gesicht.

»Weiter,« sagte Fritz Stoltenkamp, »ja, weiter. Es sind große Opfer, die das Werk uns auferlegt, jedem einzelnen von uns, Eberhard wie mir, und so schwer der eine oder andere von uns darunter leidet – das Ziel will, daß sie ertragen werden.«

»Und wenn der eine oder andere – nicht darunter zu leiden gedenkt?«

Noch einmal spürte Fritz Stoltenkamp die seltsame Anwandlung. Dann sagte er, und die Worte fielen ihm einzeln von den Lippen: »Sie meinen Eberhard.«

Mathilde Schlechtendahl wartete, bis die Worte im Raum verklungen waren – – – –

»Ich überlasse es Ihnen, Namen zu nennen, Herr Stoltenkamp ... Wer mich liebt, muß sich zu mir bekennen. Dem muß die lebendige Liebe über dem toten Stahle stehen.«

»Der Stahl ist nicht tot. Der Stahl ist das Leben. Für Hunderttausende, für Millionen ist er das Leben und die Kraft dazu. Da hat ein Einzelleben seine Bedeutung verloren.«

»Ihre Leidenschaftlichkeit kleidet Sie gut, Herr Stoltenkamp. Ich habe die meine und zeige sie nur nicht. Wer ich bin so stolz wie Sie und weiß, ob ich so viel wert bin wie ihre Leidenschaft für den Stahl. Das darf ich wohl bemerken.«

»Fräulein Schlechtendahl,« erwiderte Fritz Stoltenkamp, und in seinem Gehirn kreisten die Worte, »ich bin der Letzte, der Ihnen die Berechtigung zu Ihrer Sprache rauben möchte. Sie sind nicht nur schön, Sie sind auch klug. Sie haben darüber nachgedacht, was Sie wollen. Mein Bruder Eberhard ist ein frischer, feuriger und begabter Mensch. Etwas zerfahren und leicht nach oben hinaus, das darf ich bei seinem Lobe nicht verschweigen. Wird er Ihnen genügen? Glauben Sie wirklich glücklich miteinander zu werden? Einen anderen Grund kann es doch nicht geben? Ich zerbreche mir vergeblich den Kopf.«

»Und wenn es nun nichts anderes wäre als die Vorliebe für die Stoltenkamps?«

»Sie spotten, Fräulein Schlechtendahl. Es klingt ganz heiter, aber – es klingt nur so. Eberhard ist anderthalb Jahre jünger als Sie. Haben Sie das auch bedacht?«

Sie strich sich leise über die Augen. »Sieht man es mir an?«

»Nein,« sagte er zornig, »man sieht es Ihnen nicht an. Sie könnten tausend Jahre auf der Welt sein wie die Eva, und Sie würden ganz gewiß genau so aussehen, wie Sie heute aussehen. Nur weil Sie es so wollen und einen Zweck dabei verfolgen. So gelangen wir nicht weiter, Fräulein Schlechtendahl. Denn auf einen Anbeter mehr kommt es Ihnen doch bei mir nicht an. Wenn Sie Eberhard lieben –«

»Wenn ich Eberhard liebe –?«

»So können und dürfen Sie nur sein Bestes wollen. Wie es augenblicklich um das Werk steht, sagte ich Ihnen bereits. Ich bin gezwungen, hinzuzufügen, daß meine Schwester Amalie und mein Schwager Grote gegen diese Heirat sind, weil sie darin eine schwere und dauernde Schädigung des Werkes erblicken und eine Auflassung der Firma zur Auszahlung der Erbschaftsanteile beantragen werden, und daß ich selber nicht in der Lage sein werde, einen in der Geschäftsverfolgung so wenig zuverlässigen Mann als Teilhaber zu halten.«

Er schwieg, und alles Blut war ihm während des Sprechens aus dem Gesicht gewichen. Er wußte: es war die Entscheidung.

Mathilde Schlechtendahl erhob sich, und er erhob sich mit ihr.

»Das war wohl Ihr letztes Wort, Herr Stoltenkamp? Dann sollen Sie auch mein letztes hören. Gerade weil ich Ihres Bruders Bestes will, rette ich ihn heraus aus Ihren zu Stahl erstarrten Anschauungen. Es soll doch wenigstens ein Stoltenkamp fröhlich werden.«

Seine Hände kämpften sich um den Hutrand. Dann machte er eine tiefe Verbeugung und ging.

»Nicht als Feinde, Schwager Stoltenkamp.«

Er wandte sich um. Ihre Blicke trafen sich. »O nein,« sagte er, und dann ging er hinaus. –

Fritz Stoltenkamp schritt durch die Fabrik und begrüßte Eberhard. Er begrüßte Ungemach, Frowein, die Meister und die Leute. Er schritt durch alle Gebäude hindurch, und der lange Haniel ließ dem Heimgekehrten zu Ehren den Reckhammer donnern, daß die Funken sprühten. »Glückauf, Herr Stoltenkamp.«

»Glückauf, das Stahlwerk!«

Und er ging mit Eberhard, Ungemach und Frowein in die Zeichenstube und gab ihnen in kurzen, greifbaren Linien einen Umriß seiner Reise und der angesammelten Erfahrungen.

»Hier ist das schwedische Eisen,« sagte er und holte ein paar Proben aus der Rocktasche, »und hier ist der englische Tiegelton. Morgen, meine Herren, wollen wir von diesen Erläuterungen zu den Versuchen übergehen und dann zur Beschaffung auf irgendeinem Wege. Für den ernstlich Wollenden gibt es keine Hindernisse. Eberhard, du bleibst wohl noch.«

Die beiden Brüder standen sich in dem engen Räume gegenüber. Der jüngere mit heiterem Blick.

»Man hat mir mitgeteilt, Eberhard, daß du trotz deiner wiederholten Versprechungen das Geschäft gröblich vernachlässigt hast. Zu einer Zeit dazu, wo du hier als der Fabrikherr zu gelten hattest. Das war ein trauriger Befähigungsnachweis.«

»Wenn du damit meinst, daß ich nicht wie eine maschinenmäßige Schreiberseele auf Minute und Sekunde meine Stunden abgesessen habe, geb ich dir ohne weiteres recht. Aber es kommt nicht auf die Länge, sondern auf den Inhalt an, den wir den Stunden geben. Und die meinen hab ich mit dem Kopf ausgenützt und nicht mit dem Hosenboden. Schau dir mal meine neuesten Erfindungen an. Was? Da staunst du? Und wenn ich sie dir erst im Betrieb vorführe –«

»Aber Erfindungen zu brüten, ist gut für einen, der nicht die Hände voll Arbeit hat und es sich daher leisten kann. Das sagte ich dir wohl schon früher einmal. Du, hast aber mit deinem Krimskrams da nicht nur der Fabrik deine Arbeitskraft entzogen, sondern auch Materialien und Geldwerte, und den Betrieb dazu aufgehalten. Laß mich jetzt aussprechen. Streitigkeiten führen zu nichts mehr. Es muß klare Bahn geschaffen werden, und Amalie besteht darauf.«

»Ach, die herzensgute Amalie – –«

»Auch der herzensgute Schwager Walter, bei dem du das Geld für deine üppigen Fahrten auf Borg genommen hast.«

»Er soll sich nicht aufspielen,« lachte der Jüngere. »Ich hätt's auch ohne ihn überall bekommen.«

»Ja,« sagte Fritz Stoltenkamp, »überall, wo es auch der Vater und der Großvater bekommen hat. Ohne Unterlage. Rein auf den guten Namen hin. Und weshalb? Weil der Name so gut ist, daß sich immer noch ein Stoltenkamp, ob Mann oder Frau, findet, der mit dem Schweiß eines ganzen Lebens den Namen wieder blank zu kriegen sucht. Erst mußte die Großmutter dran glauben, dann Mutter und ich. Du siehst, du hast ganz richtig gerechnet.«

»Fritz» Fritz,« bat der Bruder, »mach doch nicht gleich einen Verbrecher aus mir. Ich habe ein bißchen über die Verhältnisse gelebt. Das ist bei unseren Verhältnissen doch wahrhaftig kein Kunststück. Was weiter denn, Fritz? Ich hol's schon wieder herein.«

»Wodurch, Eberhard? Etwa durch eine Heirat mit Fräulein Schlechtendahl?«

»Wäre das das Dümmste? Der Bruder ist der reinste Geldmacher. Der wird seine Schwester schon ausstatten wie eine Prinzessin.«

»Höre mal, mein Junge, auf den Ton will ich nicht eingehen. Ich will dir nur trotz des Tones sagen, daß du dich da bös verrechnest. Der Bruder hat sein Geld zu anderen Dingen nötig. Der plant eine neue Unternehmung nach der anderen und weiß, wieviel ein Taler in bar heckt. Eine verschwenderische Aussteuer wird er seiner schönen Schwester geben, eine prunkvolle Einrichtung, die Kleider einer Prinzessin, o ja – – und dem Gatten wird die Pflicht zufallen, die ganze kostspielige Anlage so zu unterhalten, daß sie nicht an Reiz und Liebhaberwert einbüßt. Dazu aber gehört die freie Verfügung über große Einnahmen, Eberhard.«

»Nichts leichter als das! Sie werden beschafft! Wofür hat der Mensch seine Begabung?«

»Du hast sie. Und du wirst auch genügend Geld verdienen können. Unbedingt. Aber das Geld muß auf viele Jahre hinaus, so wie es verdient wird, in die Fabrik gesteckt werden.«

»Gibt es denn nur dies eine Feld der Tätigkeit? Gott sei auf allen Knien gedankt, es gibt mehrere. Und solche, auf denen man doch etwas freier über sich selber und die Erfüllung seiner Wünsche verfügen kann als auf diesem hier. Wenn es darauf allein ankäme?! Aber es gibt nur eine Mathilde Schlechtendahl und auf der ganzen Welt keine, die diesem beseligenden Geschöpf, aus dem man im Leben nie klug wird, auch nur das Wasser reichen könnte. Fritz, und ich will ja auch im ganzen Leben nicht klug werden, darin nicht! Klug werden und übersatt sein, das ist doch gehauen wie gestochen, und dieser unausrottbare Heißhunger, Fritz, das ist ja gerade das Schönste im Leben.«

»Eberhard,« sagte Fritz Stoltenkamp und wartete, bis der Bruder sich beruhigt hatte» »Eberhard, Amalie legt die Fabrik still, wenn du auf deiner Absicht bestehst. Sie zieht ihren Anteil heraus.«

»Laß sie doch tun, was sie will! Du hast schon größere Schwierigkeiten überwunden.«

»Wenn ich gezwungen werde, das Werk allein zu übernehmen, kann ich auch dich nicht mehr darin gebrauchen, Eberhard. Dann kommt erst die rechte Zeit des Schwarzbrots, lieber Junge, und damit ist dir und deiner Liebe nicht gedient.«

Eberhard Stoltenkamp lachte sein keckstes Knabenlachen.

»Nee, Fritz. Nimm's mir nicht übel, aber Schwarzbrot, das is nich. Dann pack dir nur die ganze Geschichte selbst auf die Schultern und bezahl mich aus. Ich will Herr über jeden Groschen sein, den ich verdiene, und jede Sekunde darüber bestimmen können, wofür ich den Groschen gerade in seine Bestandteile auflöse. Im Alter nutzen mich alle Reichtümer Brasiliens nix, wenn ich als abgehalfterter Gaul eine schöne Frau nicht mehr damit zum Lachen kriegen kann. Laß mich laufen, Fritz.«

Fritz Stoltenkamp zog den Atem ein.

»Ist das möglich? So wenig gilt dir das ganze Stahlwerk?«

»Fritz,« sagte der Bruder, und sein Ton war ernsthafter geworden, »das Stahlwerk gilt mir gewiß viel, aber die Mathilde Schlechtendahl gilt mir nun einmal so viel mehr, daß da ein Entschluß für mich gar nicht in Frage kommt. Um mich selber ist mir dabei keinen Augenblick bange. Ich verdiene Geld, wo ich will und soviel ich will. Aber tu mir doch die einzige brüderliche Liebe an und geh selber hin. Geh hin und schau dir das Mädchen an. Und wenn dich der Anblick nicht vergnügt bis in die Fingerspitzen macht –«

»Ich bin hingegangen, Eberhard.«

»Du – bist – hingegangen? Und was, wenn es zu fragen erlaubt ist, hat sie dir gesagt?«

»Dasselbe, was du mir gesagt hast. Daß ihr das Schicksal der Fabrik in ihrem Falle völlig gleichgültig sei.«

Da fiel der jüngere dem älteren Bruder wie ein Tollhäusler um den Hals und schrie, daß es von den Wänden schallte.

»Eberhard! Sei vernünftig, Eberhard! Wir feiern doch hier kein Freudenfest.«

»Was feiern wir nicht? Kein Freudenfest? Ich kenn mich ja nicht mehr aus auf der Erde, und da soll ich noch vernünftig sein? Fritz, du entschuldigst mich wohl bei der Mutter. Entschuldige mich in der ganzen Welt. Und mit der Amalie mach's nur ab, wie euch alles am schönsten deucht. Von mir habt ihr Vollmacht. Unbeschränkte!« –

So irrsinnig glücklich kann also Frauenliebe machen? dachte Fritz Stoltenkamp, als er das einsame Zeichenzimmer verließ. Daß man alles in den Wind schlägt, was der Arbeit und der Welt nützen kann? Gott, mein Gott, es muß ja gewiß schön sein. Aber nun darf ich auch nicht mehr daran denken.

Er kam zur Mutter und setzte sich ihr gegenüber.

»Wir beiden Alten,« sagte er mit einem heiteren Anflug. »Ja, Mutter, wir bleiben übrig.«

»Hast du schon mit Eberhard gesprochen? Und nicht im Zorn?«

»Im Zorn, Mutter? Wo die Lebensmaschine doch die verschiedensten Bestandteile gebraucht, um laufen zu können?«

»Ich danke dir, Fritz. Das hast du gut behalten. Und – und, was sagte Eberhard?«

»Du möchtest ihn heute abend entschuldigen. Er mußte ganz eilig zu Fräulein Schlechtendahl.«

Da lachte Frau Margarete von Herzen, obwohl sie immerfort den braunen Kopf schüttelte.

»Ich war nämlich auch bei Fräulein Schlechtendahl. Vorher, Mutter. Bevor ich mit Eberhard sprach. Der Fabrik wegen.«

»Und – was sagte sie?« fragte Frau Margarete und hielt den Atem an.

»Sie sagte» wichtiger als die ganze Fabrik schiene ihr, daß wenigstens ein Stoltenkamp den Himmel für einen Dudelsack ansähe.«

Da legte Frau Margarete die Hände zusammen und wurde ganz still und versonnen.

»Wenn das bei Eberhard eintrifft, Fritz, und ihm das ganze Leben mit Musik füllt, so wollen wir auch das segnen, Fritz.« –

Wenige Tage darauf kam der Schwager Grote zur Regelung der Übernahmegeschäfte angefahren. Amalie Grote hatte es sich nicht nehmen lassen, trotz ihres beschwerlichen Zustandes den Gatten zu begleiten, und der alte Grote hatte seine behagliche Kutsche hergeliehen. Es war überflüssig gewesen. Fritz Stoltenkamp hatte vorgesorgt und jeden Punkt unantastbar klar in Rechnung gestellt. Eine Gelegenheit zum Handel wurde nicht geboten, und selbst Amalie verstummte vor dem Ernst der Stunde.

Schweigend legte Fritz Stoltenkamp im Beisein der Mutter die Bücher vor. Schweigend nahm Walter Grote sie entgegen und prüfte die Anlagewerte, Vermögensstand und Schlußabrechnung. Der Betrag war nicht groß. Jetzt erst zeigte sich, mit welcher Kraft und Zähigkeit Fritz Stoltenkamp das Werk von Schulden freigearbeitet und fortgeführt hatte. Da die Errungenschaften der Mutter während ihrer Teilhaberschaft mit dem ältesten Sohne zu Lebzeiten für die Geschwister nicht in Frage kamen und die Grundstücke der Frau Jodokus Stoltenkamp testamentarisch zur Hälfte Frau Margarete, zur Hälfte Fritz Stoltenkamp zugefallen waren, so ergab sich bei weitherzigster Bewertung der väterlichen Hinterlassenschaft, des einstigen Hammerwerks in der alten Mühle und der ersten Schmelzbaueinrichtung, doch nur ein Kapital von dreißigtausend Talern. Die Mutter hatte sich, um jedes Markten aus dem Wege zu räumen, bereit erklärt, ihren Anteil zu gleichen Teilen mit den Kindern zu bemessen. Auf jeden der vier Erbberechtigten entfielen siebentausendfünfhundert Taler.

Eberhard hatte sein Einverständnis schriftlich erteilt. Ihm war, als hätte er lebenslängliche Ferien erhalten, und er trat sie auf der Stelle an.

Fritz Stoltenkamp entnahm einer Kassette das seiner Schwester Amalie zukommende Geld. Sie schaute ihn ganz versteinert an. »Wie kommst du auf so was? Ich laß es auf der Fabrik stehen.«

»Und ich zahl es aus, wie du verlangt hast, daß ich es Eberhard ausbezahle. Von dieser Stunde an wünsche ich mir von keinem Menschen mehr in die Werksangelegenheiten hineinreden zu lassen. Am allerwenigsten von einem Gläubiger aus der engeren Familie, die sich auf jede zehn Taler Einlage für hundert Taler Vorschriften erlaubt. Heute muß das Werk einen neuen Abschnitt beginnen. Schwieriger kann es nicht mehr kommen. Aber nun will ich auch freier Herr des Werkes sein, ob's gedeiht oder verdirbt.«

»Und Mutter?« fragte Amalie kleinlaut.

»Mutter läßt ihr sauer verdientes Geld samt ihrem Erbanteil einstweilen zum Bankfuß stehen. Als Teilhaberin ist sie bereits gestern ausgeschieden. Ich habe nur dich und Eberhard auszuzahlen und diese fünfzehntausend Taler von der Bank gegen Pfand erhalten. Klare Bahn, Amalie. Weiter hätte ich geschäftlich nichts mitzuteilen.«

Die behagliche Kutsche war davongefahren. »Rege dich nicht auf, Amalie,« sagte im Wagen Walter Grote zu seiner immer noch entgeisterten Frau, »die Firma Grote ist auch eine gute Firma, und nun gehörst du ganz zu uns.« – Frau Margarete war mit dem Sohn allein. Sie trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand, die er fest umschloß. »Glückauf, Fritz. Ich bleib bei dir. Und nun streich die aufsteigenden Sorgen von der Stirn und geh zum erstenmal als alleiniger Herr und Meister durch dein Werk.«

Da war Fritz Stoltenkamp gegangen. Mit seinem ruhigen, gleichmäßigen Schritt.

*

 


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