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7

Das Frühlingsfieber hatte die deutschen Lande ergriffen. Es kümmerte sich nicht um den Kalender. Es ging durch alle Jahreszeiten. Und die Männer, denen die Wirtschaftspolitik der Regierungen eine Ziffer im eigenen Hauptbuch bedeutete, schnupperten in der Luft und bekamen rote Backen. Die ganz klugen aber richteten sich in der Stille auf eine Verstärkung ihrer Warenerzeugung ein und vergrößerten Lager und Mustersammlungen, um bereit zu sein, wenn es galt.

»Frowein,« meinte Fritz Stoltenkamp nachdenklich, als er mit dem Meister durch die Fabrikräume schritt, die kaum noch eine leere Stelle zeigten, »jeder Berufsstand hat doch eigentlich seine besondere Selbstsucht; jeder glaubt, er sei der wichtigste im Staat, und schreit, je nach der Beteiligung seines Geldbeutels, nach Freihandel oder Schutzzoll. Wir wollen uns nichts weismachen, wir haben auch mitgeschrien, als ob das ganze Vaterland nur vom Gußstahl lebte.«

Frowein rückte die Mütze aus dem Gesicht. »Das ist nun mal so, Herr Stoltenkamp, und ist die alte Bauernregel. Wer sich wild gebärdet und nach allem schreit, kriegt vielleicht die Hälfte, wer aber ganz artig ist und sich nicht muckst, der kriegt gar nix.«

Fritz Stoltenkamp nickte. »Ich hab darüber nachgedacht. Gerade weil jetzt etwas in der Luft liegt. Die Wohlhabenheit im ganzen Land ist gestiegen, und man müßte sich mit aller Macht blind stellen, wenn man es nicht auf die billigen Einfuhrbedingungen schieben wollte. Was uns den Schweiß herausgepreßt hat, hat bei den vielen anderen Fett angesetzt. Sollte die Regierung doch schlauer gewesen sein als wir, Frowein?«

»Die Regierung ist auch nicht mehr als ein Berufsstand. Nur mit größerem Anlagekapital und gerisseneren Kniffen und Pfiffen, um die Zinsen hereinzukriegen, Herr Stoltenkamp.«

»Geb ich zu, Frowein. Aber diese Kniffe und Pfiffe kommen der Allgemeinheit zugute, oder das Geschäft ist pleite. Wir stecken nur die Nase in den eigenen Betrieb und halten das für allein maßgebend. Die Regierung aber überschaut alle Betriebe und das ganze Getriebe und muß Ursachen und Wirkungen genau die Wage stellen. Vor einem Dutzend Jahren war von Wohlstand im Land noch nichts zu merken, alles lag noch nach den langen Kriegen danieder. Das Inland wäre aus Mangel an Geld für uns überhaupt gar nicht marktfähig gewesen, das leuchtet mir jetzt langsam ein, und es mußte sich erst durch die billigen Bezüge von draußen erholen. Jetzt, wo es Geld angesammelt hat, kommt für die Regierung der Zeitpunkt, um durch ein paar sanfte Zölle zu verhindern, daß es wieder ins Ausland abfließt, und zu sorgen, daß es im eigenen Land in Umlauf bleibt und seine Kaufkraft erhöht. Das heißt, daß jetzt auch die deutschen Fabrikanten an die Krippe herangelassen werden, nachdem für Futter gesorgt ist.«

»Das hat Hand und Fuß, Herr Stoltenkamp, und an unserem Appetit soll es bei Gott nicht fehlen.« –

Die Frühlingslüfte wehten weiter. Sie wehten ohne Kalender und Sonnenstand und wehten vom Norden nach dem Süden Deutschlands. Schon hatte sich Kurhessen dem preußischen Zollgebiet angeschlossen, andere mitteldeutsche Staaten folgten ihm nach, auch Süddeutschland verließ seine Kampfstellung, witterte die großen Vorteile des Zusammenschlusses und begann die Verhandlungen. Und in der Neujahrsnacht des Jahres 1834 fielen die Zollschranken in allen deutschen Landen als Brennholz für das erste große Freudenfeuer nach der Befreiung des Vaterlandes vom korsischen Joch, für das erste deutsche Freiheitsfeuer.

Da rasselten die Lastwagen, bis unter das pralle weiße Plantuch hoch mit Gütern beladen, im Festzug über die Landstraßen, an denen ein Heer von Arbeitern baute. Die Gäule trugen grünes Tannengezweig im Geschirr, und die Fuhrknechte fühlten sich im bebänderten Zylinder als freie Männer und gröhlten, wenn sie von einem Ländchen ins andere kamen, statt sich untertänigst bei einer hochfürstlichen Zollverwaltung anzumelden. An den Ufern der Flüsse wurden Leinpfade getreten, und die lustig bewimpelten Marktschiffe und Güterkähne fuhren, von kräftigen Gäulen an der Leine gezogen, auf Rhein und Main, Weser und Donau, Elbe und Oder zu den Messen und den großen Umladefirmen in den Hafenorten. Und Landstraßen und Flüsse reichten nicht aus, und Hacke und Spaten mußten heran, Kanäle zu graben und immer neue Verkehrswege zu schaffen für den aus dem Schlaf erwachten deutschen Handel und Wandel.

Es war eine Umwälzung, die alles in Atem hielt, alle Hände mit Arbeit füllte. Aus den kleinen Gewerken, die bisher nur handwerksmäßig betrieben worden waren, entwickelten sich Fabrikbetriebe, aus dem Hausierer und kleinen Geschäftsmann stattliche Reisende und Meßbesucher. Selbst die Postkutschen bekamen Feuer unter die Achsen, verdoppelten ihre Fahrgeschwindigkeit und brachten es auf achtzig Kilometer den Tag bei genügender Fütterung der Pferde und Tränkung des Postillions.

Fritz Stoltenkamp war vorbereitet. Wie mit gespitzten Ohren war er in all der Zeit herumgegangen, um das Wachsen keines Gräsleins zu überhören. Nichts anderes bestand mehr für ihn in der Welt als die kommende Stunde. Längst hatte er den Bedarf der süddeutschen Industrie studiert. Seine Muster waren vollständig. Auf seinen Stahl verließ er sich wie auf sich selbst. Er war angriffsbereit.

Zwei Jahre lang schon hatte er Eberhard, den Bruder, in der Gußstahlbereitung und jeder Werkzeugherstellung unterwiesen. Was Eberhard auf der Schule versprochen hatte, hielt er in der Lehre. Seine außergewöhnliche Begabung entfaltete sich nach allen Seiten, er lernte spielend wie einst sein Vater, doch hatte er auch die Erbschaft der Unbeständigkeit und Sprunghaftigkeit überkommen. Fritz Stoltenkamp aber war froh, in dieser mächtig vorwärtsschießenden Zeit einen Menschen von ebenso rasch folgender Gedankenwelt daheim zu wissen, der überdies durch das Stoltenkampblut auf Gedeih und Verderb mit dem Werk zusammengekittet war.

»Leb wohl, Mutter. Bleib mir gesund. Hörst du? Nur das eine. Das andere werd ich schon selber besorgen.«

»Leb wohl, Fritz. Komm heil zurück. Glückauf.«

Sie winkte ihm nach, wie sie es immer tat. Mütterlich fröhlich und ein wenig bräutlich dazu. Und als sie sich umwandte mit dem versonnenen Mutterlächeln, stand Frau Jodokus Stoltenkamp auf der Schwelle, und sie ging mit der alten Frau ins Arbeitszimmer, zündete die Öllampe an und rückte sie zwischen die Arbeit der Alten und ihre eigene Arbeit.

Fritz Stoltenkamp fuhr den Rhein hinauf. Berühmte Ortsnamen schlugen an sein Ohr, Namen, die einen Duft von Weinlaub an sich trugen und ins Ohr klangen wie Freudenglocken und Böllerschüsse. Er horchte kaum auf. Er horchte nur auf, wenn ein Mitreisender von den Eisenerzgruben des Westerwaldes und des Lahngebietes erzählte und ein anderer von der freien Reichsstadt Frankfurt, der Pforte nach Süddeutschland. Und die Märchenstadt der deutschen Kaufleute, Frankfurt, wurde erreicht, durchwandert und wieder verlassen. Und wie einst auf seiner ersten Kundenfahrt auf der Enneper Landstraße ging er mit weitgeöffneten Augen durch die ihm noch unbekannte Gold- und Silberindustrie Hessens, Württembergs und Bayerns mit seinen Stahlproben und mit seiner Lernbegierigkeit. Ein anderes Geschlecht aber war es, als er es auf seinen mühsamen Fahrten durch Westfalen und das niederrheinische Land gefunden hatte, eine höhere und verfeinerte Handwerkkultur, Menschen, die mit Gold, Silber und Edelsteinen schafften statt mit schwarzem Eisen und Reckhämmern, und denen für ihre kostbaren Erzeugnisse nichts gut genug war als das Beste. Und sie hatten ein Auge für das Beste.

Fritz Stoltenkamp legte seine Stahlproben vor. Sie wurden gehämmert und gewalzt und in jeder neuen Streckung mit der Lupe betrachtet. Fast ging ihm der Atem aus. Das war die Generalprobe für den Stahl und für ihn. Bestand sein Stahl für die feinste aller Hantierungen, für die Auswalzung der hauchdünnen Gold- und Silberdrähte zu den zarten Streifen, den Lahnen, ohne das Spinnweb zu verletzen, so gab es nichts mehr, das seinem Stahl unerreichbar gewesen wäre. Die süddeutschen Goldschläger legten die Lupe beiseite und schoben die Brille auf die Stirn. Sie betrachteten sich den jungen, blassen Mann aufmerksam und klopften ihm dann fröhlich auf die Schulter.

»Sie ham's erreicht. Ihr Stahl da, dös is a fetterer Bissen als unser Gold und Geschmeid. Sie ham's Glück beim Zipfel verwischt.«

Es war die erste Anerkennung und Prophezeiung aus fremdem Mund. Nur der Düsseldorfer Münzwardein Noelle hatte ähnlich gesprochen.

»Sie sind zufrieden?«

»Zufrieden? Ja, ja, da schaun's, zufrieden zum erstigenmal. Der englische Stahl, dös is a Dreckbatzen dahingegen. Und jed's Paar englischer Lahnwalzen kostet uns sechshundert Gulden in bar und versaut uns oft dös Doppelte.«

Der englische Stahl! Fritz Stoltenkamps Augen leuchteten wie Kämpferaugen. Der erste Sieg über englischen Stahl.

»Mein Stahl ist der reinste, härteste und darum polierfähigste. Ich übernehme jede Haftung.«

»Und kosten tut er?«

»Nicht einen Kreuzer mehr als der englische. Ich gebe Ihnen das Paar Walzen auch zu sechshundert Gulden.«

Die Geschäfte wurden abgeschlossen. Das Haupt wurde höher getragen. Jetzt konnte die letzte Scheu vor der Fremde abgetan werden. Die Fremde wartete auf ihn. Er besuchte, was nur immer Bedarf an Stahl und Fertigware haben konnte, und das Zeugnis der süddeutschen Goldschläger half schnell über jedes Mißtrauen hinweg. Er trat in die Königliche Münze zu München ein und verließ sie mit neuen Bestellungen. Er gewann Verbindungen und verpflichtete sich geübte Vertreter an allen wichtigen Plätzen. Durch Sachsen fuhr er nach Leipzig, Dresden und das ganze reiche Industriegelände, und kam nach Berlin, der zähen Arbeitsstadt, und die Maschinenfabriken taten sich dem jungen Eiferer deutschen Stahles auf, und er übersah nichts.

Ein halbes Jahr trieb er sich nun schon in allen Postkutschen, auf allen Landstraßen des südlichen und östlichen Deutschlands umher. Die Mutter schrieb vergnügt, und am liebsten wäre er weiter gefahren nach Rußland und Österreich hinein, wohin er von Berlin aus Geschäftsverbindungen angeknüpft hatte, als er einen Brief Amaliens erhielt, der ihm mehr zu denken gab, als er sich eingestehen mochte. Amalie Stoltenkamp schrieb dem Bruder, daß das Fräulein Schlechtendahl nunmehr wieder im Lande sei, nachdem sie sich den letzten und feinsten Schliff in der welschen Schweiz geholt habe, und daß Eberhard seine Arbeiten darüber vernachlässige, um dem allzu häufigen Gast als Kavalier zu dienen.

»Was weiter?« sagte er sich zuerst, steckte den Brief ein und stürzte sich in den Strom der Arbeit, die allenthalben auf ihn zu warten schien, je weiter und kühner er sich vorwagte. Dann aber holte er häufiger und häufiger den Brief aufs neue hervor, und als er sich eingestand, daß sein Auge auf dem Namen des schönen Mädchens haften blieb, zwang er sich, nur immer dieselbe Stelle zu lesen: »Eberhard aber vernachlässigt darüber seine Arbeiten.«

Und wenn es selbst um der seltsam zwingenden Augen Mathilde Schlechtendahls geschah, seine Pflichten durfte kein Mensch vernachlässigen. Und ein Stoltenkamp? Davon war gar nicht zu reden. Lief er fiebernd und gehetzt durch die Städte und fuhr hustend und abgerackert über die Landstraßen, damit sich daheim ein Bürschlein von achtzehn Jahren als Kavalier aufspielte? Zu einer Zeit, da jeder Nerv der tadelsfreien Erledigung der Auftrage zu gehören hatte und alle Fähigkeiten und Gaben zusammenzureißen waren, um die Hundertzahl der gestellten Anforderungen zu erfüllen? Und mit einem Male glaubte er das mühsam Erreichte gefährdet, gestört, bedroht, und er gab sich nur noch eine letzte kurze Frist, um noch ein paar größere schwebende Aufträge hereinzuholen und auf kürzestem Wege heimzufahren.

Eberhard Stoltenkamp wußte nichts von den Besorgnissen seines Bruders, und hätte er darum gewußt, so hätte er sie ganz sicher nicht verstanden. Ihm war die Arbeit im Werk nur eine veränderte Gelegenheit, um seine Fähigkeiten glänzen zu lassen, und lieber als mit den bis zur Langweile wiederkehrenden Erfordernissen des Tages beschäftigte er sich mit kleinen verblüffenden Erfindungen, die, so glücklich sie waren, nichts mit dem Tag und seinen unerbittlichen Forderungen zu schaffen hatten. Frowein hatte alle Hände voll zu tun und immer nur den Hinweis auf die dringende Arbeit, die jetzt keine Seitensprünge erlaube, Mutter und Großmutter waren nicht von den Geschäftsbüchern wegzuschlagen, und der gestrengen Schwester Amalie wagte er mit solchen Dingen überhaupt nicht zu kommen. Da erschien das schöne Fräulein Mathilde Schlechtendahl allein und ohne ihren Bruder im Hof der Fabrik.

Wie der Wind war er aus dem Verschlage heraus, den er sich in einen Raum der Schmelzerei hineingezimmert hatte, und auf dem Hofe. Sie sah ihn überrascht an und erkannte ihn nicht gleich. Er aber tat, als ob es sich um eine lange und vertrauliche Bekanntschaft handele, und streckte ihr stürmisch beide Hände entgegen.

Zögernd legte sie die behandschuhten Fingerspitzen hinein. »Ja, wer sind Sie denn nur? Der Fritz doch nicht ...?«

»Gott sei Dank der Eberhard. Eberhard Stoltenkamp. Wissen Sie noch, Fräulein Schlechtendahl, wie wir bei Ihrem letzten Besuche den Fritz samt der Schwester Amalie kleinlaut kriegten, die nur Kohle und Eisen sahen, wo für uns alle Zauber der Romantik losgelassen waren?«

»Wir –?« fragte das schöne Mädchen gedehnt. Aber der stürmische Junge gefiel ihr. »Nun, so wird es wohl so sein, obgleich ich mich wirklich ganz und gar nicht dieser Geschäftsverbindung entsinne.«

»Das beweist nur, daß ich das treuere Gedächtnis habe. Wollen Sie zu Amalie und zur Mutter?«

»Ich bin nur auf einem Spaziergang zufällig hierhergeraten. Sie sehen ja an meiner Kleidung, daß ich für Besuche nicht eingerichtet war.«

»Nicht?« staunte er in ehrlicher Bewunderung, und seine Augen hefteten sich an das luftige weiße Kleidchen aus feinstem Musselin und wanderten ungescheut von dem breitkrempigen Florentiner Strohhut bis zur Spitze ihres hohen, schmalen Schuhs. »Ja, kann man sich denn überhaupt noch besser anziehen?«

»Das kann man sehr wohl, und eine jede Gelegenheit verlangt, daß man sich darauf besinnt.« Und ihr ruhig forschender Blick wanderte ebenso ungescheut über sein blaues Arbeiterhemd und hinab bis zu den Holzpantoffeln.

Da lachte er ein helles Knabenlachen. »Auch nicht für Besuche eingerichtet? Nein, Fräulein Schlechtendahl?«

»Das blaue Hemd kleidet Ihre schlanke Gestalt ganz gut. Aber die Holzpantoffeln sind ein Greuel.«

»Schon erledigt,« rief er übermütig und schleuderte die Holzpantoffeln rücklings von den Füßen, daß sie im Fabrikeingang polternd verschwanden. »Befehlen Sie auch einen anderen Anzug? Es wäre nur schad um die schöne, verlorene Zeit.«

»Wie höflich Sie sein können, Herr – Herr Stoltenkamp.«

»Ach nee. Bitte nicht: Herr Stoltenkamp. Der Herr Stoltenkamp ist der Bruder Fritz in seiner ganzen ernsten Würde. Ich bin nur der Eberhard. Schlankweg.«

Nun lachte sie auch. Die forschenden Augen bekamen mädchenhaften Glanz und der Elfenbeinton ihres Gesichtes eine leichte Röte.

»Sie sind ein toller Junge. Glauben Sie, ich merkte nicht, daß Sie mich überrumpeln wollen? Wenn ich Sie beim Vornamen nennen würde, würden Sie sich dasselbe herausnehmen, wie ich Sie bis jetzt kennen gelernt habe.«

»Lachen Sie doch noch ein bißchen so weiter. Dann sind Sie nämlich erst recht entzückend.«

Sie bog ein wenig den Sonnenschirm über ihre Schulter, daß ihr Gesicht in den Schatten kam. Seine Worte überhörte sie.

»Grüßen Sie Ihren Bruder Fritz – den Herrn Stoltenkamp. Ich hätte ihn gern einmal wiedergesehen. Wollen Sie ihm das sagen?«

»Ich denke gar nicht daran, es ihm zu sagen, und wenn ich daran dachte, könnte ich es gar nicht, denn der Bruder Fritz befindet sich seit einem halben Jahr auf Reisen und hat viel ernsthaftere Dinge im Kopf als Sie und ich, nämlich: Gußstahl.«

Er sagte das mit einem so unwiderstehlichen, frechen und lustigen Jungengesicht, daß sie, von ihm angesteckt, laut und heiter hinauslachte. »Und was haben wir im Kopf?«

»Dummheiten, aber ganz wundervolle Dummheiten. Sie mögen nun zornig sein oder nicht.«

»Weshalb soll ich zornig sein. Es kommt im Leben immer nur auf das Wundervolle an, und das waren Sie ja so gütig hinzuzusetzen. Auf Wiedersehen, Sie großer Menschenkenner.«

»Was? Sie wollen schon wieder fort? Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein. Wahr und wahrhaftig? Und das wollen Sie meinem Bruder Fritz antun, daß Sie nicht einmal seine Fabrik besichtigen?«

»Sieh da. Auf einmal spielt der Bruder Fritz und die Fabrik eine Rolle. Haben die ›wundervollen Dummheiten‹ schon abgedankt?«

»O, Fräulein Schlechtendahl, Sie sollten ihn davon reden hören. Keine Mutter kann ihr Kind, kein Bräutigam die Braut in helleren Farben malen. Sie würden den Gußstahl aus seiner Hand essen lernen wie geschnittenen Pumpernickel.«

»O nein, denn ich esse nur aus meiner Hand.«

»Lassen Sie sich eines anderen belehren, Fräulein Schlechtendahl. Treten Sie in die Fabrik ein, und lassen Sie sich in den Bann der eisernen Männer ziehen. Vertrauen Sie sich mir an. Herr Fritz Stoltenkamp soll nicht wieder sagen können, ich hätte die Firma schlecht vertreten.«

»Närrchen,« sagte sie. »Einen Kopf größer sind Sie als ich und ein solches Närrchen. Ich weiß zwar nicht, wie Ihr Bruder Fritz die Firma zu vertreten pflegt, aber daß Sie sie schlecht vertreten, glaube ich Ihnen aufs Wort.«

»Ach, Fräulein Schlechtendahl, dann vielleicht in eigener Sache – –?«

Sie legte den Sonnenschirm auf die andere Schulter und wandte die Fußspitze. »Wenn ich einmal so viel Überfluß in der Hand habe, daß ich Sie daraus mitessen lassen kann.«

»Nun sehen Sie, Fräulein Schlechtendahl,« sagte der Junge mit kecker Fröhlichkeit, »das ist doch wenigstens ein Wort. Wollen Sie nicht schon mal in der Hand nachschauen? Nur zur Probe. Der Tag ist doch nun mal so schön geworden.«

»Also ich komme schon einmal. Wann, weiß ich nicht. Das hängt von Laune und Stimmung ab. In dieser Woche – in der nächsten vielleicht – und ich werde mich doch danach anziehen müssen. Im weißen Musselinkleid besucht man doch nicht die Feuerstätte Wielands des Schmieds!«

»Kommen Sie, wie Sie wollen. Aber kommen Sie bald. Laune und Stimmung nehme ich ganz auf mich. Und die Fabrik ist wirklich lohnend und sehenswert – auch in der Abwesenheit des Herrn Stoltenkamp.«

Er hatte sie über den Hof bis zur Pforte begleitet. Sie streifte wie in Gedanken den rechten Handschuh ab und reichte ihm die Hand.

»Ich glaube,« sagte Eberhard Stoltenkamp, »daraus lernte ich schon das Essen,« beugte sich über sie und preßte seinen heißen Knabenmund darauf. »Auf Wiedersehen, schöne Hand.«

»Auf Wiedersehen, Herr Eberhard.« Und die Pforte fiel zu.

»Aber natürlich! Aber gewiß! Nur das ›Herr‹ muß noch weg. Auf Wiedersehen, schönstes Ritterfräulein Mechthildis!«

Sie ging durch die grünen, sonnenbeschienenen Felder, als ob ein weißer Falter über die Blumen zöge. Und sie freute sich der heißen Knabenaugen, die ihr nachstarrten, bis Sommerhut und Rauscheröckchen in letzter Ferne verschwunden waren. –

Nach acht Tagen kam sie wieder. Er hatte zum Fenster hinausgelugt wie alle Tage und zwanzigmal zu jeder Stunde des Tages und sie sofort weit draußen in den Feldern erkannt, trotz des Regenmantels, der ihre modische Kleidung verbarg und eng umschloß. Als sie bis zur Pforte herangekommen war, stand er schon empfangsbereit auf Posten.

»Wußten Sie denn, daß ich kommen würde?«

»Ich wußte es nicht, aber ich hatte auf einmal so eine Mordsfreude in mir, und da wußte ich es auf der Stelle.«

»Das ist schön, daß Sie sich ein wenig gefreut haben,« lobte sie ruhig. »Nun bin ich gespannt auf den Fabrikbesuch.«

»Darauf bin ich selber gespannt, Fräulein Mechthildis. Ritterfräulein haben sonst andere Leidenschaften.« Aber als sie ihn fremd anblickte, änderte er den Ton. In dem straffen Regenmantel kam sie ihm gereifter und seinen Jahren überlegen vor, und er bat sie höflich und ritterlich, in den Schmelzbau einzutreten und sich nicht an den glühenden Stahlblöcken zu verbrennen.

»Ich brenne nicht so leicht,« sagte sie, hob den Saum des Mantels und trat ein.

Geblendet blieb sie stehen. Der Saum des Mantels entglitt ihr. Wie ein Kind, die Hände vors Gesicht geschlagen, stand sie und wagte nur langsam die Finger ein wenig zu spreizen und durch den Spalt in die höllische Glut des Schmelzofens zu blicken, den die Arbeiter gerade aufgestoßen hatten. »Das ist – so herrlich – wie furchtbar.«

Da fühlte er sich ganz als Mann dieses herrlichen und furchtbaren Berufes, und er führte sie vom Roheisen zu den Tiegeln, von den Tiegeln zu den Vorwärmöfen und Schmelzgluten und erklärte ihr den Werdegang des Verfahrens. Ruhig und sicher schritt er durch die Reihen der glühenden Blöcke, des zischenden und dampfenden Eisens, und nun war sie es, die, ohne es zu wollen, in ihm den Gereifteren und Überlegenen sah, und sie schmiegte sich ängstlich an ihn, als die schweißtriefenden, rußigen Männer mit Stangen und Zangen durch die Luft hantierten, als gäbe es hier nur Platz für die Arbeit und nicht für müßiggehende Neugier.

»Gefällt's Ihnen?« fragte Eberhard Stoltenkamp und sah dabei seinem Bruder verblüffend ähnlich.

»Sehr, sehr!« stieß sie hervor. »So entsetzlich hätte ich mir das nicht gedacht.«

»Das ist doch erst Kleinbetrieb,« belehrte sie Eberhard. »Warten Sie erst einmal ab, wie das hier wachsen und wachsen wird, wenn es mit den Bestellungen so weiter geht und erst die Erfindungen ein Wort mitsprechen. Dann wärmt man sich an diesen Feuerchen höchstens die Hände.«

»Sie machen Erfindungen? Der Herr Stoltenkamp oder Sie, Eberhard?«

»Der Herr Stoltenkamp macht die seinen, und der Eberhard macht die seinen,« lachte der Junge und riß die Tür zu dem selbstgezimmerten Verschlag auf. »Wer's besser versteht, wird die Zeit lehren. Aber Sie selber sollen den ersten Blick darauf werfen. Sie verraten ja nichts. Tiefes Geheimnis, Fräulein Mechthildis!«

Sie stand neben ihm in dem engen Raum und suchte die Tiefe des Geheimnisses vergebens zu erraten, so große Mühe er sich mit seinen fachmännischen Erklärungen gab, und so sehr ihr scharfer Verstand herausfühlte, daß hier ein begabter und eigenwilliger Kopf bei der Arbeit sei. Ihr forschender Blick wanderte von den Dingen, an denen seine Hände herumfuhren, zu seinen Augen, bis er es merkte und sagte: »Nein, so geht es nicht. Ich rede in lauter geschraubten Tönen, und das liegt nur daran, daß Sie mir in dem Regenmantel wie ein verkleideter Professor vorkommen, der Examen abhält, und nicht wie die schöne Sommerfee, die in den ganzen Quark hier erst die richtige Sonnenbeleuchtung bringt.«

Sie öffnete den Mantel weit und reckte sich, daß sie aus dem schlanken Leibchen herauswuchs. Er streckte die Arme, als wollte er ihr behilflich sein. Aber seine Augen hefteten sich auf ihren Mund, und jeder Muskel in seinem Gesicht spannte sich.

Unbeweglich blickte sie ihn an. Nur die Brauen zogen sich ein wenig zusammen. Bis er trotzig verlegen den Kopf in den Nacken warf.

»Unterstehen Sie sich nicht, mich zu küssen. Darüber entscheide nur ich. Und ich erlaube es nicht.«

»Ja» ja,« murmelte er, »mit dem Mund sind Sie tapfer.«

Sie sah, daß er geschlagen war. Eine leise Genugtuung erschien in ihren Mundwinkeln. Er wendete den Kopf weg und warf mit ein paar Handbewegungen seine aufgebauten Gerätschaften über den Kaufen. »Dummer Herr Eberhard,« sagte sie, »Sie sind ja ganze anderthalb Jahre jünger als ich. Das ist doch schon an und für sich ein Unsinn.«

»Wenn Sie sich lieber von einem Meergreis küssen lassen als von einem verliebten Jungen – bitte.«

Sie trat vor ihn hin und zwang ihn, sie anzusehen, zog ihre Handschuhe ab und legte ihm die Hände fest über die Augen. Und erhob sich auf den Fußspitzen und berührte mit ihren Lippen eine Sekunde seinen Mund.

Als ob ein schneller, fremder Duft über ihn hinstriche, so war ihm. Und er griff nach ihren Händen, um den Augenblick zu verlängern.

»Wenn Sie etwas erzwingen wollen, komme ich nicht wieder.«

»Ah,« stammelte er, »Sie wollen also wiederkommen?«

»Nur wenn Sie brav sind, ganz brav. Der frische Junge, den ich gern habe. Und nun führen Sie mich hinaus.«

»Ja,« sagte er und hielt immer noch ihre gesteiften Hände, »wenn Sie eins zurücknehmen. Das mit den blöden anderthalb Jahren, das war doch ein Unsinn, nicht wahr?«

»Wir wollen es abwarten, Freund Eberhard. Ich kann da wirklich nichts versprechen.«

»Aber nicht mehr daran denken, nicht wahr? Nicht mehr daran denken. Sie sollen sehen, daß es ein Unsinn ist.«

Sie lachte ihn aus den Augen an, ohne daß ihr Gesicht sich veränderte. Und er zog mit einem raschen Ruck ihre Hände an seinen Mund.

»Keine anderen Mädchenhände duften so, keine anderen Mädchenlippen. Das ist einfach unmöglich.«

»Gehen wir jetzt?« fragte sie, und ohne weiteres ging er mit ihr durch die Reihen der schweißtriefenden Männer hindurch, vor denen ihr schauderte, an den glutströmenden Ofen und weißbrodelnden Stahlmassen vorbei, die ihr Sehen und Hören benahmen. Mit gestrecktem Leib ging er, als ob er an Körper und Jahren gewachsen wäre, und mit starren Siegeraugen. Kaum, daß er die Arbeiter sah, deren niedergebeugte Schultern er streifte, als sie im Gleichtakt die Zangen in den Schmelzofen schoben.

Bis zur Torpforte behielt er die stolze Gangart bei, und sie beobachtete ihn von der Seite und freute sich an ihm, als freute sie sich an sich selber. »Kehren Sie jetzt sofort um,« befahl sie ihm. »Es ist nicht passend, zwischen Tor und Angel zu stehen, als ob man noch Geheimnisse zu flüstern hätte.« Und sie hielt, während sie sprach, die Augen fest auf ihn geheftet.

»Sagen Sie schnell, wann Sie wiederkommen, Mechthild.«

»Wie hübsch Sie meinen Namen sprechen. Darum verlohnte es sich allein. Vielleicht besuchen Sie mal meinen Bruder? Wollen Sie das?«

Er reichte ihr mit gemachter Höflichkeit die Hand und verbeugte sich tief. Er hatte ein Fenster klirren hören. »Und wenn ich mir beide Sohlen ablaufen müßte, ich komme.«

Diesmal wartete er nicht, bis sie in der Ferne wie ein Sommerfalter verschwunden war. Er beeilte sich, an dem Wohnhaus vorüberzukommen, und tat ganz gleichmütig und knabenhaft. Aber als er zum Abendessen in die Wohnküche trat, wurde die erkünstelte Gleichmütigkeit schnell aus den Bügeln gehoben. Schwester Amalie ging zum Angriff über.

»Nun, ist sie fort? Sie hat dich diesmal eine geschlagene Stunde von der Arbeit abgehalten.«

»Diesmal? Und wer ist überhaupt diese ›sie‹?«

»Ich glaube, du kennst sie schon besser als ich. Das letzte Mal dauerte euer Getue auch fast eine Stunde, und daß du inzwischen nicht bei der Sache warst und deine Augen mehr zum Fenster hinaus als bei der Arbeit hattest, willst du doch nicht etwa auch abstreiten.«

»Ich habe bisher überhaupt nichts abgestritten und verbitte mir deine Spioniererei,« fuhr er zornig auf.

»Ach Gott, nun will er sich gar als beleidigter Ritter aufspielen. Tu lieber deine Pflicht, wie Fritz dir aufgegeben hat.«

»Ritter? Ritter?« stieß er hervor und suchte nach einer Fortsetzung. »Einer Dame gegenüber kommt überhaupt nur Ritterlichkeit in Betracht. Aber woher solltest du so was verstehen?«

Frau Margarete hob ein wenig die Hand von der Tischplatte. Sie blickte auf die Tochter und blickte auf den Sohn.

»Mir wirst du das Verständnis dafür wohl nicht absprechen, Eberhard. Und ich bin bis jetzt gewöhnt gewesen, als Dame behandelt zu werden. Auch im kleinsten Kreise bei Tisch. Auch von meinen Kindern.«

Eberhard spürte, wie ihm die Beschämung flammend bis in die Ohren stieg. Er beugte sich über seinen Teller. Es war ihm unbehaglich.

»Entschuldige, Mutter,« murmelte er, »aber ich habe den Streit doch nicht angefangen!«

»Gewiß hast du ihn angefangen,« unterbrach ihn Amalie heftig. »Es kommt da nicht auf das erste Wort, es kommt auf die Aufführung an.«

»Beginnt ihr schon wieder?« fragte Frau Margarete. »Haltet ihr wirklich so wenig auf eure Mutter?«

»Mutter,« sagte Amalie, »was hat sie auf dem Hofe zu tun, und was hat sie in der Fabrik zu suchen? Ohne sich anzumelden oder auch nur nach uns zu fragen? Gerade du als Frau mußt mir recht geben.«

»Nun spielt Amalie die Beleidigte, Mutter. Sie fühlt sich übergangen. Das ist so recht frauenzimmermäßig.«

»Mein lieber Sohn,« sagte Frau Margarete, »wenn du schon deine Ritterlichkeit gegen Damen so stark betonst, so kommt sie gegen deine Schwester doch zu allererst in Betracht. Oder es ist nur selbstsüchtige Umschreibung. Im übrigen aber muß auch ich dir sagen, daß ich als junges Mädchen nicht vermieden hätte, die Frau des Hauses zu begrüßen und einer alten Schulkameradin die Hand zu reichen. Wenn Fräulein Schlechtendahl das unterläßt, so mag sie vielleicht ihre besonderen Beweggründe haben. Billigen kann ich es auch nicht.«

»Liebe Mutter,« entgegnete der Sohn, »vergiß doch nicht, daß Fräulein Schlechtendahl seit Jahren draußen in der großen Welt aufgewachsen ist. Da sind sie aus der Enge der Umgangsformen längst heraus, wie bei uns nun endlich auch aus den tausend Zollbaumschranken. Wir tappen ja immer hinterdrein.«

»Ich habe nichts dagegen, daß du das junge Mädchen verteidigst, Eberhard.«

Sie nickte ihm freundlich zu, und der Friede war wiederhergestellt.

Einige Tage darauf sah Amalie Stoltenkamp bei einer Besorgung in der Stadt den Bruder aus dem Hause treten, in dem der Buchhändler und Buchdruckereibesitzer Max Schlechtendahl seine Geschäftsräume und auch seine Wohnung hatte. Dort lebte er nach dem Tode der Eltern mit der Schwester allein. Und als Amalie Stoltenkamp wiederum einige Tage später den Bruder nicht an seinem Arbeitsplatz antraf, befragte sie den Meister Frowein.

»Fräulein Stoltenkamp, der Herr Eberhard hat mir gesagt, er hätte einen Geschäftsgang. Mehr weiß ich nicht.«

»Glauben Sie denn an diese Geschäftsgänge? Und die Arbeit bleibt liegen.«

Der Meister blickte steil geradeaus. »Wenn mir das ein Stoltenkamp sagt, hab ich nicht hinter ihm her zu spionieren.«

Amalie empfand den Vorwurf auf der Stelle. Was sie hier fragen wollte, war nicht Sache der Angestellten.

»Und die Arbeit bleibt liegen,« stieß sie noch einmal ärgerlich hervor.

»Die bleibt liegen,« sagte Frowein. »Das ist richtig.«

Da schrieb Amalie Stoltenkamp ihrem Bruder Fritz, daß Eberhard seine Pflichten vernachlässige, und woran es liege. – – Fritz Stoltenkamp war zurückgekehrt. Länger als ein halbes Jahr war er ohne Rast und Ruhe für das Werk in der Fremde gewesen und fand bei der Heimkehr nicht mehr als kurze Minuten, um die Mutter an sich zu drücken und den Geschwistern die Hand zu schütteln. Dann wanderte er, seinen Vertrauten Frowein zur Seite, die Fabrikräume ab.

»Frowein,« sagte er, und sein Gesicht blieb ernst, »ich bringe Arbeit für ein ganzes Jahr, und auch für die folgenden Jahre ist vorgesorgt, wenn die Lieferungen klappen. Werden sie klappen, Frowein?«

»Nein, Herr Stoltenkamp, so nicht. Der Sommer war so trocken, daß das Hammerwerk auf der Mühle fast nicht in Gang zu bringen war. Und in den Eisenhütten bleibt man aus Wassermangel mit den Lieferungen im Rückstand. Das haben wir auszufressen.«

»Die Eisenhüttenleute werde ich schon auf die Beine bringen. Hauen mich meine Kunden von unten, haue ich meine Lieferanten nach oben. Aber mit der alten Mühle geht es nicht so weiter. Da muß nun ein Entschluß gefaßt werden.«

»Der Entschluß wird viel Geld kosten. Herr Stoltenkamp.«

»Und Sie meinen, dafür hätten wir's augenblicklich nicht?« Er trat mit dem Fuß auf. »Verflucht. Immer das Geld. Seit acht Jahren arbeit ich Tag und Nacht für das Werk, verbrauche keinen Pfennig mehr als nötig für mich und die Familie, hole Aufträge herein in die vielen Tausende von Talern, und doch ist nie Geld da. Nie! Nie!«

»Sie haben jeden Groschen, sobald er verdient war, sofort wieder in die Fabrik gesteckt, Herr Stoltenkamp. Da kann nix übrig bleiben. Aber sehen Sie auch mal das Werk an. Fünfundvierzig Arbeiter! Da lacht einem das Herz im Leib.«

»Fünfundvierzig, Frowein? Da lacht es mir fünfundvierzigmal. Aber ich hab auch Sorgen fünfundvierzigmal, für jede Arbeiterfamilie mit. Die sagen sich: in dem großen Betrieb kann nix passieren. Und es soll ihnen auch nix passieren. Geld muß heran.«

Er ging mit dem Meister weiter. »Ich überleg's mir schon. Lassen Sie sich deshalb keine grauen Haare wachsen. Eine Dampfmaschine, Frowein. Vor ein paar Jahren hätte man den noch ausgelacht, der sich die neumodischen Feuermaschinen eingestellt hätte. Und heute fressen die Unkosten den Verdienst, wenn wir nicht die Dampfkraft einspannen, und der Riesenhaufe von Arbeit kann überhaupt nicht anders bewältigt werden. Auch nicht mit fünfundvierzig Mann! Wie weit sind wir denn jetzt?«

»Es könnte weiter sein, Herr Stoltenkamp. Sie wissen ja, wie das mit den Rückständen ist. Einer schiebt es auf den anderen.«

»Wo hapert's denn, Frowein?«

»Der Herr Eberhard ist mit den Zeichnungen im Rückstand geblieben. Sonst hätten wir leicht Nachtschicht einlegen können.«

»Ich werde mir den braven Jungen einmal vornehmen. Die Zeichnungen erhalten Sie jetzt wieder von mir.«

»Na, dann ist ja alles gut, Herr Stoltenkamp,« meinte Frowein und rieb sich die Hände.

Am nächsten Tage suchte Fritz Stoltenkamp den Bruder in seinem Verschlag auf. »Was treibst du denn hier?«

»Ich bin einer Maschine auf der Spur, die selbsttätig Dreharbeiten ausführt. Schau nur mal her.«

»Gar nicht dumm. Sind die Zeichnungen für die Leipziger Werkzeugbestellungen ausgeführt und für die Berliner Gußstücke? Ich schickte die Entwürfe vor vier Wochen?«

»Mein Gott, wenn man doch so einer Erfindung auf der Spur ist, so einer unglaublich wichtigen –«

»Dann hält die ganze Welt den Atem an, und die Kundschaft wartet geduldig, bis – bis ein anderer liefert. Einer, der tagsüber seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit tut und nicht an einer noch meilenweit entfernten Erfindung herumbastelt, auf die Gefahr hin, fünfundvierzig Arbeiterfamilien brotlos zu machen. Muß ich das wahrhaftig besonders betonen? Wo Wohl und Wehe der Fabrik davon abhängt, daß wir diese günstige Zeit mit Macht ausnützen, um uns fest in den Sattel zu setzen?«

»Wenn ich dir aber doch sage, daß mich die Erfindung nicht losläßt. Da kann man nix machen.«

»Da kann man nix machen? Lieber Junge, dann will ich dir mal was sagen, und zwar, daß den Ausspruch ›Da kann man nix machen‹ die Faulen und Feigen erfunden haben, die zu faul sind, aus dem gleichmäßigen Trott herauszutreten, und zu feige, Hirn und Hand eine doppelte Kräfteanspannung zuzumuten. Das ist ein Ausspruch für Waschweiber, aber nicht für Männer von Kern und Korn. Man kann, was man will, mein Junge, und wenn man dem lässigen Körper Peitsche und Sporn gibt, setzt er dir auch nachts über Hecken und Zäune. Verstehst du? Nachts!«

»Ich brauch meinen Feierabend für mich. Der Mensch muß wissen, wofür er tagsüber arbeitet.«

»He,« sagte Fritz Stoltenkamp schärfer, als er wollte, »verrat's mir doch einmal!«

Der Jüngere schwieg.

»Verrat's mir doch einmal! Lernst du des Abends die Laute schlagen?«

Eberhard Stoltenkamp fuhr herum. Kampfbereit.

»Kümmere dich doch nicht um Dinge, von denen du keine Ahnung hast! Dich möcht ich sehen! Dich mit der Laute!«

Der Ältere drehte ihm den Rücken und ging zur Tür. Der Wortwechsel wurde persönlich. Das durfte nicht sein. Und kein Name durfte fallen. Er riß sich zusammen und wandte sich in der Tür um.

»Du kannst das hier verschließen, bis einmal genügend freie Zeit vorhanden ist. Von morgen an arbeitest du wieder mit mir Hand in Hand. Leg inzwischen schon die Zeichnungen heraus.«

Das war der kühle Geschäftston, der keinen Widerspruch zuließ. Nun, so galt es, dem Bruder zu zeigen, daß die Ausführung seiner Zeichnungen ein Kinderspiel sei und keiner brüderlichen Hilfe bedürfe. Los auf das Zeug.

Fritz Stoltenkamps nächste Sorge war, daß die Eisenlieferungen wieder in Fluß kamen. Er fuhr persönlich zur Hütte hinaus und besichtigte die Vorräte. »Das gehört mir,« sagte er. Und als der Hüttenbesitzer sich sträubte und auf seine übrige Kundschaft hinwies, legte ihm Stoltenkamp die Fülle seiner Aufträge vor und malte die Zukunft des Werkes, daß es dem Manne vor den Augen flimmerte. »Stehen Sie jetzt zu mir, so stehe ich dann zu Ihnen, und Sie brauchen sich um keinen anderen Kunden mehr zu sorgen. Ihre ganze Ausbeute nehme ich, Zug um Zug, wenn Sie jetzt Pol halten.«

»Es ist Zukunftsmusik,« lachte der Eisenmann, »aber weil Sie sie so überzeugungsvoll blasen, will ich Ihnen gefällig sein.«

Todmüde kehrte Fritz Stoltenkamp am Abend heim. Er hatte gehofft, die Großmutter zu Hause vorzufinden, aber Frau Margarete teilte ihm mit, daß die gealterte Frau seit einigen Tagen bettlägerig sei. »Dann will ich zu ihr gehen,« sagte der Sohn sogleich, »ich muß sie doch begrüßen, und sie wartet gewiß darauf.«

Die Müdigkeit war abgeschüttelt. Er aß einen Bissen und machte sich bereit.

»Nimmst du mich mit, Fritz?« fragte Frau Margarete.

»Ach, Mutter, nun wird es statt eines Krankenbesuchs eine Erholung.« Und er atmete tief.

Draußen hängte sie sich in seinen Arm. Und er drückte ihren Arm fest an sich, als müßte er sich daran halten.

»Weißt du, Fritz, daß ich mich erst wieder an dich gewöhnen muß? Da trittst du nach einem halben Jahr mit einem großen Vollbart ins Haus. Aber er kleidet dich gut. Eigenartig gut. Der dunkle Bart und der blonde Scheitel. Ich werde noch ganz eitel auf meinen Pagen werden.«

»Das werden mir nicht viele Frauen sagen,« antwortete er mit einem plötzlichen Anflug von Bitterkeit.

»Höre,« sagte sie nach einem längeren Schweigen, »du mußt die Schuld nicht auf andere schieben, Fritz. Uns Frauen ist nun einmal die Rolle zugeteilt worden, zu warten, bis wir angeredet werden. Ihr könnt anreden, wen ihr wollt, und weitergehen, wenn's euch beliebt. Aber man kann sich auch zu Tode schweigen.«

»Mutter, die Zeit ist nicht danach. Entweder ich, oder das Werk. Geld, Geld, Geld muß ich schaffen. Ich muß eine Dampfmaschine kaufen, ich muß ein neues Hammerwerk errichten, ich muß große Eisenvorräte beschaffen und jeden Sonnabend den Lohn für fünfundvierzig Mann und bald für mehr. Wo soll ich da das Geld für eine Frau hernehmen, denn sie sind nicht alle wie du, Mutter. Und solange ich dich habe, brauch ich keine andere und will ich keine andere.« Und er beugte sich über sie und lachte. »Ich kann doch keiner Frau zumuten, neben meiner Mutter eine schlechte Figur zu machen. Schon aus Eigenliebe nicht.«

Es war so schön, schweigend nebeneinander hinzuwandern und doch einer des anderen Gedanken zu wissen in seinen Freuden und Schmerzen. Und sie kamen in die Stadt und zu Frau Jodokus Stoltenkamp und fanden die Weißhaarige schlafend zu Bett und eine Aufwärterin im Zimmer, die flüsternd guten Bescheid erteilte. Und schweigend wanderten sie wieder aus der Stadt hinaus und durch die Felder heim und hatten sich auf diesem Abendgang ihr ganzes Herz ausgeschüttet.

Einmal nur noch glitt sich Fritz Stoltenkamp aus der Hand. Er hatte in den Feldern seines Freundes Schwester gesehen, und er stand von der Arbeit auf und stellte sich neben Frowein, der heimliche Messungen für das Maschinenhaus ausführte.

»Frowein,« sagte er, nachdem er eine Weile zugesehen hatte» »Sie arbeiten doch unermüdlich, und doch kommen Sie auch bei den Mädels nicht zu kurz. Wie machen Sie das eigentlich?«

»Herr Stoltenkamp,« erwiderte der lustige Krauskopf und schob die Mütze von der einen Seite auf die andere, »das hätten Sie mich vor einem halben Jahre fragen sollen. Jetzt sind das nur noch schöne Leichenreden.«

»Reden Sie nicht, Frowein. Sie und der Liebe abschwören.«

»Die Liebe hat mir abgeschworen, Herr Stoltenkamp. Ich habe mich nämlich verheiratet.«

»Und davon erfahre ich heute erst? Und vor einem halben Jahre war es schon? Und das verheimlichen Sie mir?«

»Es war noch keine Veranlassung für mich, es triumphierend zu verkünden. Haben Sie nicht bemerkt, daß ich auch das Pfeifen eingestellt habe? Nun sehen Sie wohl.«

»Das gibt's nicht, Frowein. Das Pfeifen gehört zu Ihrer Arbeit, und da hab ich ein Anrecht drauf.«

»Wird sich nach dem ersten Schreck auch schon wieder einstellen, Herr Stoltenkamp. Aber das kann ich Ihnen sagen, es ist keine Kleinigkeit, über Nacht einen anderen Menschen anziehen zu sollen, in den man doch nu mal platterdings nicht hineinpaßt. Wie Sie's machen, ist's falsch. Wenn Sie fidel sind in alter Weise, die doch auch ›ihr‹ einmal so gut an Ihnen gefallen hat, so haben Sie ganz bestimmt einen über den Durst getrunken, und lassen Sie katzenjämmerlich die Ohren hängen, so sollen Sie Seil tanzen und glückberauschte Männchen machen. Recht kriegen Sie nur, wenn Sie unrecht haben und es Ihnen auf der Stelle vorgehalten werden kann. Und sagen Sie der lieben Frau, alle anderen Weiber wären Mißgeburten, so haben Sie als unverständiger Flegel das ganze Geschlecht beleidigt; sagen Sie aber, es seien auch ein paar Ausnahmen drunter, die sich sehen lassen könnten, so sind Sie ein ganz gemeiner Verräter. Ach, Herr Stoltenkamp« – und Frowein nahm seine Mütze und wischte sich die Stirn mit seinem Tuche – »man soll nicht heiraten, solang man noch jung ist und verliebt und es nicht unumgänglich nötig ist. Kommt Zeit, kommt Rat, und in älteren Jahren schließt man doch gewöhnlich mit dem Leben ab.«

»Frowein, Frowein,« sagte Fritz Stoltenkamp bedauernd,

»Sie scheinen mir an die Unrechte gekommen zu sein.«

»Es gibt nur Unrechte, Herr Stoltenkamp, verlassen Sie sich darauf.«

»Es gibt auch Frauen wie meine Mutter, Frowein.« »Da haben Sie recht,« meinte der Unverbesserliche, »und man soll den Mut auf eine zweite Ehe nicht sinken lassen.«

*

 


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