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Die Jahre wurden nicht leichter für Frau Christiane Opterberg, ob sie auch schneller dahinliefen in der täglich sich mehrenden Fürsorge um Leibes- und Seelenwohl der aufschießenden Knaben. Unbemerkt zwar waren die einstigen Anfängerarbeiten Arnold Opterbergs wieder in den Truhen verschwunden, und nie hatte des Hausherrn Hand sie wieder ans Licht gezogen. Aber ein anderes war geblieben und hatte sich in der Giebelstube eingenistet, und da es kein Lärmen machte und den Hausherrn ruhig zur Tagesarbeit freigab, so war ihm in Güte nicht beizukommen und mußte schmerzlich aber schweigend ertragen werden. Arnold Opterberg saß abends einsam bei der Weinflasche.

Langsam war es angegangen. Erst bedeutete es nichts als das Hinunterspülen des Tagesstaubes und des Ärgers über das Festsitzen auf der Scholle, während draußen die Welt schöner wurde mit jedem Tag und der Duft der reifenden Felder ein Sausen ins Blut trug und ein aufbegehrend Sehnen. Als die Wandervögel schrien und die Ernte von den Apfel- und Birnbäumen gebrochen wurde, wuchs es täglich an, und als der Herbstwind über die Stoppelfelder klagte und die Wipfel der Bäume, kahlen Besen gleich, in den Regenschauern trauften, verblieb Arnold Opterberg länger und länger im Giebelturm, saß am Fenster und starrte auf die brausenden Wasser des Rheins, der in seinem kristallgrünen Gebirgskleid wie ein rechtes Bild der unbezähmbaren Jugendkraft vorüberflog, wandte sich ab, griff zum Glase und suchte in der Ferne die geheimnisvollen Höhenzüge ab, um gedankenverloren wieder zum Glase zu greifen. Während der Winterzeit, die dem Gutsherrn auch tagsüber mehr an freien Stunden ließ, als es der Gutsherrin lieb erscheinen konnte, hockte er hoch droben neben dem knatternden Eisenofen, las von morgens bis abends in alten und neuen Abenteuerbüchern und erhob sich nur, um in den Keller zu steigen und wählerisch eine andere Flasche auszumustern.

Auch diese Stimmungen waren Frau Christiane bei ihrem Gatten nicht neu, aber sie lagen doch weiter zurück in ihren ersten Ehejahren und hatten sich dazumal bis zu den maßlosen Ausbrüchen eines gänzlich unbeherrschten und nie an Zucht gewohnten Geistes zu steigern vermocht. Das waren die Stunden gewesen, in denen Frau Christiane die lebenswarme Nähe ihrer Schaffnerin so wohltuend empfunden hatte, die Christoph Attermanns Mutter wurde und nie nachgelassen hatte, ihr auf dem ersten Dornenweg der Ehe die Hände unter die Füße zu legen.

Frau Christiane vergaß nicht, wer ihr Liebes getan hatte, und wenn es auch nicht viel gewesen war und keinerlei Aufhebens davon gemacht worden war, sie besaß die seltenste Frauentugend einer Gattin und Mutter: ein tiefschwesterliches Gemüt. Und sie stellte den Dank über die Gabe.

In diesen Zeiten, in denen bei Arnold Opterberg ein Rückfall eingetreten schien, verlor die mutige Frau nicht einen Augenblick den klaren Kopf. Sie hatte den Mann genommen, weil er ihr wohlgefiel in seiner Mannesschöne und seinem überschäumenden Frohgeblüt, das in ihr Arbeitsblut den heimlich ersehnten Festtagston hineinzutragen versprach, und da er der Vater ihres Martin geworden war, war die weitere Rechnung für sie gegeben. Nicht modeln, basteln und ändern wollen, wo es an ausgewachsenem Holz nichts mehr zu ändern gab, sondern helfen und halten, daß der Wipfel wohl im Winde brauste, aber nicht im Sturme brach.

»Ich hab' ihn mir gewählt,« pflegte sie sich zu sagen, wenn ein Schatten über ihre Seele wandern wollte, »und ich hatte bei solcher Wahl zu wissen, wer er war. Ich wußte, daß es ein funkelnder Stein war, mit dem sich die liebe, schwache Eitelkeit aufputzt, und darf nun statt des Glanzes kein wärmend Kaminfeuerchen erwarten. Wollte ich nachträglich wegen des Preises hadern, so dürfte füglich er sich als der Betrogene fühlen und nicht ich mich gar. Das Beste, was er mir überdies zu geben vermochte, habe ich von ihm: unseren Martin.«

So ergab sie sich mit zunehmender Stärke der Freude an der Entwicklung ihres Sohnes, der der einzige geblieben war, und als sie Christoph Attermann ins Haus genommen und ihn dem Sohne zum Kameraden gegeben hatte, wußte ihre klarblickende Mutterliebe wohl, daß sie nun einen Teil des Sohnes an den Freund abzugeben hätte, aber sie fühlte sich auch an Liebeskraft reich genug, um die beiden Knaben zu einem einzigen Wesen in sich zu vereinen und nun beide zu besitzen.

»Christoph Attermann«, so erwiderte sie auf eine launige Frage Arnold Opterbergs, »schenkt unserem Martin, was unserem Buben fehlt und was er im Jünglings- und Mannesalter als das verläßlichste Gut empfinden wird: Bruderliebe. Und ich schenke dem Christoph dafür, was dem Christoph fehlt und was er braucht, um Boden unter den Füßen zu bekommen: Mutterliebe. Ich denke, das ist ein Austausch, der sich in der Welt sehen lassen kann.«

Und er konnte sich sehen lassen von Anbeginn an. Das feurige Roß, das Martin Opterberg zu werden verhieß, wurde von dem ruhig wägenden Christoph Attermann wie von einem getreuen Gespanngefährten zu einem geregelten Schritt angehalten, während sich hinwieder der kühlere Schlag, den Christoph Attermann darstellte, in allen Fallen, in denen es Entschlossenheit galt, von dem heißblütigeren Freund und Bruder bis zur leidenschaftlichen Tat emporreißen ließ. So befruchteten sie sich gegenseitig, halfen sich auf Schritt und Tritt mit ihren Gaben und schufen, ohne die Merkmale ihrer Persönlichkeit aufzugeben, einen Ausgleich, den Frau Christiane mit stiller Freude beobachtete und förderte.

Frei ließ sie die Knaben aufwachsen, die, nun schon Sekundaner der Gymnasialstadt, kaum die geheime Zügelführung verspürten, im täglichen Leben mit der Natur ihre Natürlichkeit behielten und an den Dingen, die gegen sie rannten, ihre Kräfte wetzten und Ecken und Kanten abschliffen. Mußte sie die Buben eines allzu kecken Streiches wegen einmal bei den Ohren nehmen, so geschah es nicht, um sie zu demütigen, sondern um sie nachdrücklich auf die Forderungen der guten Sitte und eines anständigen Benehmens hinzuweisen.

»Würdet ihr dulden, daß irgendwer durch seine Aufführung eure Mutter beleidigt?«

»Nie!« riefen sie entsetzt und ballten die Fäuste.

»So nehmt euch in Zukunft selbst bei den Ohren, wenn ihr mich lieb habt. Es ist eine Beleidigung für eine Mutter, wenn die Söhne keine gute Erziehung aufweisen und die Mutter zum Gespött der Leute machen, als besäß' sie selber keine.«

»Mutter,« brauste Martin Opterberg auf, »welcher Schmutzmichel hat das gewagt?«

»Mutter,« stieß Christoph Attermann hervor, »wir prügeln ihn durch, Mutter.«

Frau Christiane nahm mit der Linken den einen und mit der Rechten den anderen beim Schopf, schob sie mit den Stirnen aneinander und sagte: »Da habt ihr die ersten.«

Verdutzt blickten sich die Knaben in die geweiteten Augen. Dann verstanden sie, rissen sich los von der Mutterhand und fielen mit einem Jubelschrei übereinander her, um sich weidlich das Fell zu gerben. Das ließ Frau Christiane mit Vergnügen geschehen.

Von Anbeginn waren die Knaben gewöhnt, was ihre Seelen bewegte, was ihre Freude oder ihren Abscheu erregte, ihre Spottlust wachrief und vor allem ihren Zweifel, vor die Mutter zu tragen.

Die Freuden wurden von ihr in ein höheres Licht gerückt, der Abscheu untersucht und dem Ekel preisgegeben, die Spottlust vom Spotte befreit und zur Fröhlichkeit gebändigt und die Zweifel ohne jedes Versteckspiel durch Vergleiche mit dem Wesen der Natur klipp und klar gestellt, geläutert und behoben.

Nach dem Abendbrot, das schon um sieben Uhr eingenommen wurde, saß Frau Christiane in irgendeinem Winkel des Hauses oder des Gartens, am liebsten aber auf einer alten Holzbank drunten am Uferwasser des vorbeibrausenden Rheines noch lange mit den Knaben und ließ sich aus der Welt der Schulerlebnisse berichten. Oft flog das Gelächter der Erzählenden bis zu Arnold Opterberg und lockte ihn heran, und er kam, sein Weinglas in der Hand, herbeigeschlendert und drückte sich mit auf die Bank. Gern hörte er zu, wenn von den harmlosen und ewig wiederkehrenden Schulabenteuern berichtet wurde, in denen der Lehrer den kürzeren zog, denn der Lehrerstand war seiner Natur ein Greuel, und er warf die guten und die schlechten wahllos in einen Topf.

»Zucht ist diesen Bakelschwingern immer gleichbedeutend mit Züchtigung,« knurrte er grimmig.

»Zucht«, stimmte Frau Christiane ihm bei, »kommt von ziehen und nicht von züchtigen her. Öffentliche Prügel bilden immer eine Entehrung und sollten deshalb nur bei Ehrlosigkeiten in Anwendung gebracht werden. Gegen Faulheit und Unwissenheit hat man den Lehrer ja gerade mit seinem geistigen Rüstzeug versehen, und die Rüpelhaftigkeiten müßten vor seiner würdigen Haltung im Keim ersticken. Ein Ansehen muß er sich halt geben können.«

»Und gegen Dummheit?« reizte Arnold Opterberg. »Was für ein Kräutlein ist da wohl gewachsen?«

»Dummheit«, sagte Frau Christiane, »ist eine tieftraurige Krankheit. Für kranke Kinder aber gibt's nur Liebe und beileibe keine Prügel.«

»Ach, Mutter,« rief Martin Opterberg lachend, »bei uns in der Schule pfeift's aus allen Handgelenken.«

»Seid ihr denn ein solches Gesindel, ihr Buben dort? Sprich du, Christoph.«

»Mutter,« sagte der nachdenkliche Christoph Attermann, »ich glaub' fast, die meisten der Lehrer denken sich halt so wenig dabei wie die meisten der Buben. Es ist so eine Gewohnheitssache.«

»Schöne Gewohnheiten,« sprudelte Frau Christiane, fühlte im Augenblick ihre aufsteigende Heftigkeit und bezwang sich vor den Jungen. »Ich will nur hoffen, daß meine beiden Buben solcherlei Gewohnheiten nicht an sich herankommen lassen. Duckmäusige und verprügelte Hunde sind mir schon unleidlich, geschweige denn – Menschenkinder. Na, gut' Nacht, ihr beiden.«

»Der Schulmeister«, spottete Arnold Opterberg, als die Knaben sie verlassen hatten, »ist eben ein Wesen an sich und sogar dem lieben Gott über, denn der laßt sich wenigstens noch herbei, in den Menschen sein Ebenbild zu sehen. Ein Schulmeister aber sieht nur sich.«

»Nein, Arnold,« und Frau Christiane schüttelte launig den Kopf, »nun freut's dich, das Kind mit dem Bad ausschütten zu können. Es ist mit dem Lehrerstand sicherlich wie mit allen Ständen, nur daß es durch die tägliche Schulstund' stärker hervorbricht. Die Vorlauten und Überheblichen sind allemal die, denen der vollgepfropfte Schulsack die einzige Bildung bedeutet. Die wahrhaft gebildeten Männer in der Lehrerschaft aber lächeln still über alles angelernte Wissen und sehen in der echten Bildung die Gemüts- und Herzensbildung, die durch Wissen einen Ausdruck finden kann. Ein innerlich Vornehmer wird es ablehnen, seine Macht oder Laune durch Stockschläge oder Maulschellen zu bekunden.«

Arnold Opterberg schmunzelte. »Also nun erhebe deine sittliche Forderung, Christiane.«

Sie lachte ihm in die Augen und fuhr ihm übers Haar.

»Gut, ich erhebe sie. Ich fordere für den Schulamtsbeflissenen ein neues Prüfungsfach, und dieses lautet: Die gute Kinderstube. Besteht er nicht, so ist er nicht zum Erzieher, aber vielleicht zum Hundscherer geeignet. Punktum.«

»Punktum,« wiederholte Arnold Opterberg. »Was für einen erlesenen Schulmeister habe ich Glücklicher geehelicht.«

Sie saß ganz still in der Schlinge seines Armes, die Wange an seiner Schulter.

»In der Ehe erzieht man sich nicht mehr, Arnold. Man gibt zu und nach, um allzeit das gute Gleichgewicht zu halten. Darin liegt's Glück für den Vernünftigen.«

Er preßte seinen Mund auf ihre Haarflechten, ließ sein Glas stehen und ging langsam die Stufen des Gartens hinauf und dem Hause zu.

Am nächsten Abend fand er sich wieder ein, aber die Knaben fehlten. Frau Christiane rief sie herbei, und sie kamen mit ihren Büchern gesprungen. »Habt ihr so viel heut zu lernen?«

»Für den Konfirmandenunterricht, Mutter.« Und Martin Opterberg zählte auf: »Ein Dutzend Katechismusfragen mit den Antworten, dazu zwei Dutzend Sprüche –«

»Und ein halbes Dutzend Gesangbuchstrophen,« vollendete Christoph Altermann.

»Und das wollt ihr alles heut noch auswendig lernen?« forschte Arnold Opterberg ungläubig.

»Daß es nur so schnurrt, Vater.«

»Mir wär's schon lieber,« wehrte Frau Christiane, »ihr lerntet es mehr inwendig als auswendig.«

»Mit dem Herrn Pfarrer ist schlecht Kirschen essen,« gestand Christoph Attermann.

»Ich mag ihn nicht,« entschied Martin Opterberg. »Er ist ein Weichling.«

»Martin!« rief Frau Christiane streng. »Was für Redensarten erlaubst du dir, Bub?«

»Und ein Feigling,« trotzte nun auch Christoph Attermann.

»Ich habe dich nicht gefragt, Christoph,« verwies Frau Christiane nicht minder streng, aber es glitt wie ein blitzschnelles Lachen um ihren Mund. »Heraus mit der Sprache, Martin. Was habt ihr gegen euren Pfarrer?«

»Daß er die Knaben mit zweierlei Maß mißt,« sagte Martin Opterberg ärgerlich, »und mit den Aufrechten herb und überheblich und mit den Speichelleckern honigsüß verfährt, das braucht nicht meine Sach' zu sein und hat jeder mit sich abzumachen. Aber daß er vor den Mädchen schön tut und sich vor ihnen ein Ansehen geben will in seiner Körperkraft und Majestät, damit die Gäns' ihn nur noch mehr verhimmeln und seufzen und glucksen, das ist mir in der Seele zuwider.«

»Ich glaub' gar,« meinte Frau Christiane erstaunt, »der Martin ist eifersüchtig. Na wollen wir doch lieber den Christoph sprechen lassen. Aber nun bitt' ich mir einen nüchternen Bericht aus.«

»Mutter,« sagte Christoph Attermann, »der Martin ist nicht eifersüchtig. Keine Spur. Wir kriegen's nur mit der Scham, und die brennt einen höllisch im Halse, wenn der große, starke Mann erst wohlwollend den Mädchen über die Köpfe streicht und dann plötzlich einen der schmächtigsten Knaben, der just keine Antwort zu geben weiß, herausgreift, ihn über die Bank legt und ihm vor den Augen der Mädchen, Mutter, fünfundzwanzig aufzählt, wozu der Bub noch mitzählen muß. Ach, Mutter, und dann schreitet er wie ein gewaltiger Feldherr die Reihen der Mädchen ab, und sie drangen sich an ihn, die Gäns', und küssen ihm gar die Hand.«

»Mein Gott,« lachte Arnold Opterberg in hellster Heiterkeit, »die alten Kniffe.«

Frau Christiane schaute auf ihre Buben, und sie erkannte die Scham und den dumpfen Knabengrimm und spürte beides mit in ihrem innersten Herzen.

»Hört mich einmal an, ihr Buben,« sagte sie ganz ruhig, »damit ihr es ein für allemal wißt. Es gibt nur eine Sünde, die Unwahrheit. Die Unwahrheit gegen sich und andere. Ein Mensch, der wahr ist, wird immer erkennen, was gut und was schlecht, was schön und was häßlich ist. Und wenn er noch so mancherlei im Leben tut, weil sein Blut heiß ist oder seine Einsamkeit groß, er wird nie etwas aus gemeinen Regungen tun und daß er sich schämen muß. Wie ihr euch aber eurer selbst wegen nicht schämen sollt, so sollt ihr euch noch viel weniger anderer Leute wegen schämen. Und wenn der Herr Pfarr noch einmal eine solche – eine solche Aufzählung vornimmt, so sollt ihr als meine saubergehaltenen Buben aufstehn und Zeugnis ablegen: Wir wollen das nicht ansehen, und unsere Mutter hat's uns verboten.«

Frau Christiane spürte, wie ihr der Atem schwand. Von links und von rechts hatten die Knaben sie umhalst und küßten ihr zu endlosen Malen die Wangen. Da fühlte sie noch tiefer und bewußter, wie ihr Blut eins war mit den Knaben, die sie mit derselben Muttermilch gesäugt hatte. An diesem wortlosen Ausbruch fühlte sie es.

»Und nun sputet euch und lernt eure Katechismusfragen und eure Bibelsprüch' und Gesangbuchstrophen. Wer einen Stolz will, muß doppelt seine Pflicht erfüllen.«

Arnold Opterberg erhob sich. »Jungens,« rief er den Davonspringenden nach, »die Mutter meint natürlich nicht, daß ihr nun vierundzwanzig Katechismusfragen und vierundzwanzig Bibelsprüch' auswendig lernen müßt. Das runde Dutzend genügt!«

»Inwendig lernen, nicht auswendig!« wiederholte Frau Christiane heiter, sprang auf, stand neben ihrem Mann und schaute lange mit ihm über den jungen Rhein hinaus.

»Christiane,« sagte Arnold Opterberg nach einer Weile, »ich wollt', ich hätte dich zur Mutter gehabt. Da hätt' was aus mir werden können.«

»Du mußt mich nicht rühmen,« entgegnete sie und hielt das Gesicht dem Strome zu, »es gehört nur ein wenig Nachdenklichkeit dazu, um den Dingen auf die rechte Spur zu kommen. Siehst du, das waren Pfingsten zwei Jahre, daß ich mit den Buben zu den Rheinquellen gewandert bin. Und besonders das eine Bild ist mir geblieben, wie der lebendige Wasserstrahl aus der weißen Gletscherbrust springt und gleich den Kampf mit Fels und Wildnis beginnt, um zur Freiheit zu gelangen und zum Strome zu werden. Woher nimmt das kaum entsprungene Wasser gleich sein Wissen und seinen Willenstrieb, der uns staunen macht? Es wird wohl schon in der Tiefe des weißen Gletscherleibes mit tausend Kräften gespeist werden, von denen wir nicht wissen, weil wir sie nicht sehen.«

»Fahre fort,« sagte Arnold Opterberg, »ich bin mit dir auf der Reise.«

»So wirst du auch wissen, wohin sie geht, Arnold. Ich meine, mit den Kindern ist es nicht viel anders. Sie bringen mehr mit auf die Welt, als wir in unserer Gedankenlosigkeit ahnen, und empfinden schon als junge Menschen die Dinge der In- und Umwelt, während wir sie noch als Kindsköpfe betrachten und uns vor ihnen gehen lassen.«

»Du meinst doch wohl nur den Pastor, Christiane?«

Sie lachte zu ihm auf. »Auch den Pastor. Aber das schönste ist doch die Erkenntnis. Und die zweite, die allerschönste dazu: daß die jungen Ströme von der Mutterbrust unzertrennlich sind und mit ihr eins und dasselbe.«

»Christiane,« sagte Arnold Opterberg, »ich beneide die Buben, die eine solche Mutter haben, denn sie werden ihr Leben lang mit Quellwasser gespeist werden und nie versanden können. Hast du nicht auch für mich ein Sprüchlein?«

»Behalte uns lieb, Arnold. Alles andere soll mich nicht anfechten.«

»Komm,« bat er, »laß uns noch einen langen Spaziergang machen. Rheinauf. Da kommen wir den Quellen näher. Es wandert sich gut mit dir, Christiane.« –

Eine neue Lebenswoge zog über das Land am jungen Rhein und ließ auch den Opterberghof nicht beiseite liegen. Die Technik begann, sich die Kräfte der Wasser dienstbar zu machen, die der drängende Strom in brausenden Stromschnellen durch die Uferfelsen zwängte. Noch standen die ersten Pläne kaum auf dem Papier, als schon das Unternehmertum sich regte und unter der Hand mit Landankäufen vorging, um den billig erworbenen Grund und Boden zu hochgesteigerten Preisen als Fabrikgrundstücke zu vergeben. Gleich zu Beginn traten die Herren an Arnold Opterberg heran. Der beschied sie auf die nächste Woche und besprach sich mit Frau Christiane. Der alte Übermut ging in ihm hoch und die Lust an Spiel und Wagnis.

»Die Kerls schätzen mich als früheren Städter für das dümmste Mitglied des Bauernstandes ein. Aber schon beim ersten Wort bin ich ihnen auf die Sprünge gekommen. Vertraust du mir eine Handvoll Geld an, Christiane? Nur des Spaßes wegen.«

Frau Christiane erkannte nicht nur den Spaß, sondern auch den Vorteil. Und da Arnold Opterberg mit den Liegenschaften und ihren Verkaufsmöglichkeiten vertrauter war als die fremden Geschäftsleute, so hatte er bald einige der günstigst gelegenen Stücke in seine Hand gebracht und durch den Notar auf seinen und der Seinen Namen überschreiben lassen.

»Ich habe es mir überlegt,« erklärte er mit vergnügtem Augenzwinkern den verblüfften Händlern, »ich verkaufe doch lieber gleich an die Fabrikanten, die schon im Anzug sind, und mache das Geschäft selber.«

Die Fabrikanten kamen, und Arnold Opterberg machte das Geschäft. Aber er bot den Herren, die meist aus der Gegend des betriebsfleißigen Niederrheins herangereist kamen und durch Anschluß an die Wasserkraft ein billigeres und bequemeres Herstellungsverfahren für ihre Erzeugnisse suchten, gastfreundlich auch den Opterberghof als Absteigestätte und übte die Gastfreundschaft in noch ausgedehnterem Maße, als sie sich erst in den kleineren und größeren Landsitzen der Umgebung häuslich niedergelassen hatten. Es waren trunkfeste Niederrheiner darunter, die nach der Anspannung aller Kräfte bei Tage nach ihrer Heimat Sitte am Abend eine Ausspannung beim Wein liebten. Und Arnold Opterberg kam dieser Liebe von ganzem Herzen entgegen, saß oft bis Mitternacht mit den neuen Becherfreunden und schritt tagsüber wie ein Neugeborener über die Äcker.

Frau Christiane schob keinen Riegel vor. Die Männer waren ihres Lebens Herr, aber sie selber beanspruchte dasselbe Recht für sich und ihre Buben, erschien nur kurz zur Begrüßung, hielt Umschau, ob für alles Erforderliche gut Vorsorge getroffen sei, und verabschiedete sich freundlich und heiter, um sich immer mehr den Knaben zu widmen.

Als es gegen den Winter ging, kamen sie mit einer großen Neuigkeit ins Haus gestürzt.

»Rate, Mutter, wer wieder im Lande ist? Nun, du rätst es gewiß nicht. Die Barthelmeßleute sind's. Die Buben sind heute bei uns eingeschult worden. Der Siebzehnjährige in die Tertia. Er soll sich das Einjährige ersitzen. Die beiden anderen wurden knapp quartareif erklärt. Aber ein Mundwerk haben sie alle, als gehörte die ganze Welt nur den Barthelmeßleuten. Uns hatten sie gleich entdeckt und verlangten von unserem Frühstücksbrot, weil sie das ihre zu Hause liegen gelassen hatten. Die Vielfraße.«

»Und was schafft der Herr Professor?« unterbrach Frau Christiane den Redeschwall.

»Er hat wieder Kirchenaufträge in der Nähe. Auf viele Jahre, sagen die Buben, und ihr Vater sei der größte Künstler der Welt und unbezahlbar.«

Frau Christiane lachte. »Wenn er unbezahlbar ist, der Herr Professor, so wird er sich wohl wieder an die Gutshöf' halten, und der Opterberghof wird's auch zu spüren kriegen.«

Ihre Vorahnung sollte sich nur allzu rasch und allzu reichlich erfüllen. Zum Sonntag machten Herr und Frau Barthelmeß auf dem Opterberghof ihren feierlichen Besuch.

»Meine gnädige Frau,« sagte der Professor in weltmännischer Gewandtheit, als entsänne er sich nur mit Vergnügen ihres Wandererlebnisses zu Reichenau, »daß erst ein paar Jahre bis zu dieser Stunde vergehen mußten, ist wirklich nicht meine Schuld. Eine kleine Mißhelligkeit mit der Kirchengemeinde, der ich damals gerade meine Kräfte widmete, zwang mich, Schluß zu machen und einen Auftrag in Rom zu übernehmen. Die frischgepflückten Lorbeern haben gewirkt. Man hat mich zur Ausführung recht schwieriger Wiederherstellungsarbeiten über die Alpen zurückgeholt.«

»Sie müßten,« wandte sich lebhaft Frau Barthelmeß an Arnold Opterberg, der die schwarzhaarige zierliche Unrast belustigt betrachtete, »den Grund des Zwistes zwischen dem Professor und der Kirchengemeinde erfahren, um über solches Maß von Philisterei sprachlos zu sein. Wir hatten uns auf einer Fahrt nach dem Schweizerstädtchen Reichenau durch einen alltäglichen Zufall verausgabt, und der Gastwirt, statt ruhig abzuwarten, bis wir ihm den Betrag seiner lächerlichen Rechnung überweisen, beschlagnahmt schon nach wenigen Wochen in flegelhafter Art unser Guthaben bei der Kirchengemeinde, die sich, statt dem frechen Patron gründlich zu dienen, herausnimmt, einem Mann wie dem Professor Vorschriften über seine Art der Geldeinteilung zu machen und ihm die fällige Zahlung zu sperren. Was sagen Sie, mein lieber Herr Opterberg, zu solch einer Seifensiedergesellschaft?«

»Ich vermag nur die Hoffnung auszusprechen,« entgegnete Arnold Opterberg, »daß diese Seifensiedergesellschaft mehr an den Gastwirt hat auszahlen müssen, als gerade Ihr Guthaben betrug. Das wäre die gerechte Strafe gewesen.«

Das eilfertige Plappermündchen blieb ein paar Sekunden lang offen stehen. In den schwarzen Augen funkelte es ein wenig mißtrauisch. Dann berührte sie ihn mit dem zierlichen Zeigefinger kindlich-vertraulich an der Schulter und lachte. »Sie sind, glaub' ich, ein großer Leichtsinn.«

»Einer schönen Frau gegenüber gibt es gar keine andere Pflicht.«

»Wollen wir recht gute Freunde werden, Herr Opterberg?«

Frau Christiane hatte während des Gespräches nicht die geringsten Gewissensbisse empfunden, daß sie den wählerischen und großtuerischen Schlemmern zu Reichenau nicht mit der Zeche beigesprungen war. Ei, sagte sie sich, bei mir hatte der Herr Professor kein Guthaben wie bei der Kirchengemeinde, und so habe ich ihn doch gezwungen, seinen Aufwand selber zu begleichen. Und sie erkundigte sich freundlich nach dem Ergehen der Barthelmeßkinder.

»Sie sind so außergewöhnlich begabt,« erklärte der Professor, »daß es mich fast erschreckt. Die drei Jungen werden sicherlich in die Fußtapfen ihres Vaters treten, und mein kleines Mädchen entwickelt sich nicht nur zu einer reizvollen und eigenartigen Schönheit, sondern auch zu einem recht überlegenen Geist. Sie werden nachher selbst urteilen können, gnädige Frau.«

»Werden Sie von den Kindern abgeholt, Herr Professor?«

»Wir haben uns für den Nachmittag ein Stelldichein vor dem Opterberghof gegeben. Meine Frau und ich beabsichtigen, um den anstrengenden Weg zu sparen, hier in der Nähe in einem Wirthaus zu Mittag zu essen und dann später mit den Kindern die Bahn zu benutzen.«

»Eine Dorfkneipe ist gewiß kein angenehmer Sonntagmittagsaufenthalt,« erklärte die nach neuester Mode gekleidete kleine Frau Barthelmeß und zog ein lustig Mäulchen, »aber was tut man nicht seinen Kindern zuliebe.«

»Sie essen ganz einfach einen Teller Suppe bei uns,« entschied Arnold Opterberg. »Besser als in der Dorfkneipe ist sie bestimmt. Mehr kann ich nicht versprechen.«

»Mein Gott,« sagte die zierliche Frau und schaute zu ihrem stattlichen Gatten auf, »eine so herzlich entgegengetragene Freundschaft nur um einer leeren Besuchsform willen zu kränken, wäre undankbar und philisterhaft zugleich.«

So blieben sie, und es wurde ein langes und heiteres Mahl. Wohl hatte der Professor an allen Fürstenhöfen und selbst im Vatikan gespeist, aber einen solchen Kälberbraten gebe es höchstens noch in Traumbüchern, und gegenüber einer deutschen Hausfrau seien alle Köche der Welt ärmliche Stümper.

»Ich bin keine deutsche Hausfrau,« gestand Frau Hadwiga Barthelmeß flüsternd dem Hausherrn. »Ich kann lieb und fröhlich sein, das ist alles. Aber es ist nicht viel? Nein?«

»Ob es viel ist,« erwiderte Arnold Opterberg und ließ seinen Blick wohlgefällig auf dem quecksilbrigen Persönchen ruhen, »das entzieht sich leider vorläufig noch meiner Beurteilung. Ich werde mich jedoch auf Ihren Wunsch gern bemühen, hinter diese Frage zu kommen.«

Ihr zierlicher Zeigefinger tippte schon wieder an seiner Schulter. »Jetzt weiß ich's, daß Sie ein Leichtsinn sind.«

Arnold Opterberg winkte, da das Mahl zu Ende war, den Knaben zu und hieß sie, eine Flasche Champagner aus dem Keller zu holen. Frau Hadwiga hörte es und tat einen kleinen Freudenschrei. »Oh, ich werde öfter kommen,« rief sie entzückt, »ich werde öfter kommen, hier werde ich verstanden.« Zunächst aber kamen die Barthelmeßkinder und stürzten mit Geschrei in den Hof und behaupteten, nicht zu Mittag gegessen zu haben, so daß Frau Christiane, um den Lärm zu beschwören, sofort den Kaffeetisch herrichten lassen mußte. Die großen Jungen und das kleine Mädchen stopften an Weißbrot und Kuchen in sich hinein, bis der letzte Krümel vertilgt war, tobten alsbald durch die Ställe, tranken ein paar Hühnereier leer, entdeckten die Obstkeller und füllten sich die Taschen. Die kleine Sabine Barthelmeß aber bemerkte den wenig huldvollen Blick, mit dem Martin Opterberg, der Haussohn, dem Treiben zuschaute, und sie schmeichelte sich an ihn heran und wollte nur noch an seiner Hand gehen und, als sie vorgab, müde geworden zu sein, von ihm ›Huckepack‹ getragen werden.

»Du bist doch schon ein großes Mädchen,« wehrte Martin Opterberg. »Da gehört sich's nimmer.«

»Auch nicht, wenn man sich gefällt?« fragte die kleine Sabine verwundert.

Als am späten Abend der Spuk von dannen gebraust war, atmeten die Knaben auf. »Mir scheint die ganze Woch' nichts wert, wenn der Sonntag schlecht verlaufen ist,« erklärte auch Christoph Attermann. Aber ob sie auch ärgerlich waren, dieser Sonntage folgten sich viele in dieser Winterszeit, denn Arnold Opterberg war nicht ärgerlich, seit ihm die kleine, schwarzhaarige Unrast zu Weihnachten die Augen zugehalten und ihn auf den Mund geküßt hatte. Das sei ihr Weihnachtsgeschenk, aber erst die Probe.

Der Professor wollte es ihr nachtun und breitete die Arme nach Frau Christiane aus.

»Weshalb denn nicht, schönste Hausfrau? Sehen Sie doch nur Ihren Arnold?«

»Ja, der Arnold!« sagte Frau Christiane in gut gespielter Bewunderung, »das ist ein arg ritterlicher Mensch. Aber ich hab' nur den einen Mund, und auf den haben sich schon meine Buben gespitzt.« Und sie nahm den Martin und den Christoph und küßte die jubelnden Jungen weidlich ab.

Dann aber geschah es, in der Zeit zwischen Weihnachten und Ostern, daß auch Herr Arnold Opterberg aus seiner verzauberten Sonntagsstimmung aufgeschreckt wurde.

Der Konfirmationstag nahte. Martin Opterberg und Christoph Attermann saßen im Konfirmandenunterricht, und der Herr Pfarrer strich den Mädchen wohlwollend über die Scheitel. Plötzlich rief er einen träumenden Knaben an, der nicht zu antworten wußte, ließ den Erschreckten vortreten, legte ihn über die Bank und straffte ihm die Hosen. Totenblaß erhob sich Martin Opterberg.

»Ich bitte den Herrn Pfarrer, das zu unterlassen,« brachte er mit schwerer Zunge hervor.

Der Pfarrer hielt inne. Sein Gesicht war dunkelrot geworden.

»Was erfrechst du dich? Gut, du sollst mit diesem Sünder tauschen. Tritt vor.«

Martin Opterberg rührte sich nicht. »Meine Mutter hat's verboten,« stieß er hervor.

Der zornige Mann suchte ihn aus der Bank zu ziehen. Da sprang auch Christoph Attermann auf.

»Unsere Mutter hat's verboten, und wir sollen's nicht ansehen, hat sie gesagt.«

Dem Zornigen nahm's die Besinnung.

» Unsere Mutter?« höhnte er. »Das ist mir ja ein hübsches Bekenntnis! Darum also hat man dich auf den Opterberghof heimgeholt?«

Martin Opterberg hatte die Verunglimpfung schneller verstanden als der Bruder und Freund.

Er fühlte nur eins: die Mutter war beschimpft. Und mit einem schluchzenden Aufschrei warf er sich auf den Angreifer und schlug blindlings mit den geballten Fausten auf ihn los. Da hatte auch Christoph Attermann verstanden. Er schlug nicht blindlings drein. Er holte aus und zielte und schlug zwei-, dreimal wie mit Hammerschlägen, daß der schwere Mann sich nur mit Mühe vor den schäumenden und hochgereckten Buben durch die Tür in Sicherheit bringen konnte. Und Christoph Attermann ging mit Augen, die wie Kohlen glommen, die Reihen der Mädchen entlang, die Faust vorgestreckt, und schrie sie heiser an: »Nun, wollt ihr mir nicht auch die Hand küssen, ihr Gäns', ihr?«

Diesmal suchten sie nicht die Mutter auf. Diesmal galt der Vater. Das sagte ihnen auf der Heimfahrt ein seltsam zartfühlendes Jünglingsempfinden. Und sie berichteten dem Vater wortgetreu und gaben ihm die Hand darauf, daß sie nichts hinzugefügt und nichts hinweggelassen hätten, und Arnold Opterberg fuhr mit dem nächsten Zuge nach der badischen Hauptstadt zur Oberkirchenbehörde und erlangte die sofortige Beurlaubung und nachfolgende Versetzung des Mannes nach Prüfung des ärgerlichen Geschehnisses.

Einem Pfarrer der Nachbargemeinde wurde die Einsegnung übertragen. Er kam auf den Opterberghof und besprach sich mit Arnold Opterberg. Der rief die Knaben herein und befragte sie.

»Der Herr Pfarrer meint, ob ihr lieber in seiner Dorfgemeinde eingesegnet werden wollt als in der Stadt?«

»Nein,« erklärten die Knaben fest, »das dürfen wir wegen der Mutter nicht.«

Der weißhaarige Pfarrer reichte ihnen die Hand. »Es ist recht so und soll so bleiben.«

Frau Christiane aber tat, als wüßte sie von all den Geschehnissen nichts, und ihr Benehmen zu den Knaben war nicht um einen Hauch anders als ehedem. »Sie dürfen nicht des Glaubens werden, sie hätten etwas anderes als etwas Selbstverständliches getan,« sagte sie zu dem Gatten. Nur in ihren Augen stand ein noch tieferer Glanz, wenn sie heimlich auf ihre schlanken Buben schaute.

Am Tage vor der Einsegnung kam Christoph Attermann zu ihr. Sie waren allein.

»Mutter,« sagte Christoph Attermann, »ich weiß nun auch, weshalb mein Vater in Kehl begraben liegt. Es ist nicht deshalb, weil er zufällig aus der Gegend stammt.«

»Nein, Christoph, sondern weil er seinen Sohn lieber hatte als sein krankes Leben.«

»Mutter,« fragte Christoph Attermann weiter, und seine Mundwinkel zuckten, »warum reistest du gerade in diesen Tagen mit uns in die Berge und zu den Rheinquellen?«

»Es geschah, Christoph, weil ich ahnte, was dein Vater tun würde, weil ich dich deiner Knabenerinnerungen wegen aus der Nähe der Dinge forthaben und dir in der Kraft und Herrlichkeit der Berge die Freude am Leben schenken wollte.«

»Und aus keinem anderen Grunde, Mutter?«

»Doch,« sagte Frau Christiane, trat vor ihn hin und schloß ihn fest in ihre Arme, »um dich spüren zu lassen, daß du eine Mutter gewonnen hast und ich einen Sohn.«

»Deshalb komme ich,« murmelte der Junge an der Frauenbrust, »deshalb komme ich, um dir zu danken.«

Am nächsten Tage standen Martin Opterberg und Christoph Attermann Hand in Hand vor dem Geistlichen, der sie gemeinsam einsegnete. Frau Christiane saß neben dem Gatten im Kirchenstuhl, und ihre Augen leuchteten.

*

 


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