Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2

Ein Sonderling hatte sich das Gutshaus erbaut. Auf steilem Uferrücken stand es frank und frei über dem rauschenden Rhein, und seine weißen Mauern, nur nach der Wasserseite vom Grün des Reblaubs umrankt, winkten in weite Ferne. Der kleine Giebelturm, mit Fenstern nach jeder Windrichtung verkleidet, hielt wie ein Dachreiter Ausschau über den Strom hinüber in das nahe uralte schweizerische Städtchen und in die anrückende Bergwelt, die sich in unabsehbaren Linien übereinandertürmte und in abenteuerlichen Gebilden das Gesichtsfeld beschloß, und diesseits des Stromes über die weiten, von Obstbäumen bestandenen Wiesenflächen und die fetten Ackerspreiten des badischen Landes bis zu den tannendunklen Höhen des Schwarzwaldes.

Eher ein ruhsames Landhaus denn ein arbeitsames Gutshaus dünkte das freie Anwesen dem Blicke, und der in Stufen abfallende Garten mit seiner Fülle von seltenem Gesträuch und erlesenem Obst, der kühn den Fels hinab bis zu dem plätschernden Uferwasser kletterte, schien ebenso eher aus verfeinertem Behagen als aus ländlichen Notwendigkeiten geboren zu sein. Auf die Landwirtschaft wiesen in geräumigem Abstand nur die gutgehaltenen Wirtschaftsgebäude mit ihren herabreichenden Strohdächern.

Ein alter Oheim Opterberg, am Niederrhein nahe der holländischen Grenze zu Haus, hatte sich vor Jahrzehnten, auf einer Besuchsreise zu oberrheinischen Verwandten, in die Schönheit des Landes so heftig verliebt gehabt, daß er kurz entschlossen an Land, Wiesen und Äckern zusammenkaufte, was zusammenzukaufen war, und sich auf der felsigen Uferhöhe sein Hagestolzhaus errichtete, ganz und gar, wie es ihm seine Sonderlingslaune eingab.

Die Hofbesitzer der Umgebung hatten dazumal wohl oft den Kopf geschüttelt über die kostspielige und unwirtschaftliche Anlage des Gutshofes. Aber den alten Opterberg hatte seine Sach' just so, wie sie war, gefreut, ohne daß er ahnen konnte, wie sehr sie erst den einen seiner Erben just so, wie sie war, erfreuen würde. Vom Blute des alten Oheims, der nicht gern nach Nützlichkeiten fragte und rechnete, war auch in Arnold Opterberg, dem Gatten der Frau Christiane, und es war in erheblichem Maße in ihm.

Der Knecht hatte schon einige Male stürmisch mit der Peitsche geknallt, und Frau Christiane war schon mit den Knaben in den erleuchteten Hausflur eingetreten, als Herr Arnold Opterberg vom Giebelzimmer die Treppe hinuntergeeilt kam.

Er war ein Mann zu Anfang der Vierzig, von schlankem, ebenmäßigem Bau und breit in den Schultern. Sein Kopf zeigte einen auffallend klaren Schnitt, und aus dem sonnenbraunen, von blondem Haupthaar und weichem Barte umrahmten Gesicht blitzten die blauen Augen um so heller und feuriger hervor.

»Willkommen, ihr Weltreisenden, willkommen!« und seine Stimme drang wie ein warmer Strom in die Herzen und überwältigte sie, ohne sie lange zu befragen. »Ihr seid mir die rechten Pfingstwöchner, ihr! Bis zur allerletzten Neige den Ferienbecher auszutrinken, ob der Gatte und Vater daheim verhungert und verdurstet!« Und schon wiegte er Frau Christiane, während er sprach, in seinen Armen hin und her.

»Du bist nicht verdurstet, Arnold.«

»Bin ich's nicht, so gebührt nicht dir der Ruhm, du erzieherisches Gewissen. Aber Frau, so gib mir doch den Mund frei –«

»Der Christoph Attermann ist hier und bleibt.«

»Ah,« sagte der Hausherr. »Ich vergaß – in der Wiedersehensfreude.« Und er entließ Frau Christiane aus seinen Armen und wandte sich mit ausgestreckten Händen dem blassen Jungen zu. »Christoph, lieber Kerl, das war ein harter Schlag. Aber unter den harten Schlägen wird erst das Eisen zu Stahl, und wir haben alle den Rücken herhalten müssen.«

Er sah ein stilles Lächeln auf Frau Christianes Lippen, brach ab und schob ihr den Buben zu. »Laß dich nur von ihr betreuen. Sie tut's ja nun mal nicht anders, als die Hand über uns halten.«

»Ich bring' die Buben auf ihr Zimmer, Arnold. Sie sind müde und müssen morgen zeitig zur Schule fahren. Da gilt's noch einen Überblick tun.« Arnold Opterberg hatte mit raschem Griff seinen Sohn Martin an sich gezogen, und der Knabe drückte sich fest in des Vaters Arme. »Schade, mein Junge, ich hab' ein paar fröhliche Gäste im Haus. Aber die Mutter wird sich nicht umstimmen lassen. War's schön in den Bergen?«

»Wunderschön ...«

»Morgen! Morgen!« rief Frau Christiane, winkte den Mägden, die wartend in der Küchentüre standen, und eilte mit ihnen und den Knaben die Treppen zu den Schlafkammern hinauf.

»Christiane, es sind Gäste im Haus –!« rief der Hausherr hinter ihr drein.

»Wo sitzt ihr? Im Giebelzimmer?«

»Du hast es erraten!«

»Vergiß nicht, eine Flasche Wein anzubieten, bis ich komme –«

Arnold Opterberg blickte noch in die Höhe, aus der die Stimme gekommen war. Dann hörte er droben die Türen klappen. »O du Heimtückerin!« lachte er in sich hinein, »als ob du nicht längst schon wüßtest, daß wir an der zweiten sind – an der zweiten auf jeden Kopf.« Und in frohester Stimmung stieg er die Nebentreppe wieder hinan, die in die hellerleuchtete Giebelstube führte.

Blauer Zigarrendampf quoll ihm in Wolken entgegen, als er die Türe öffnete, und in den Wolken sah er zwei Gestalten eifrig sich verbeugen.

»Meine allergnädigste Frau –«

»Sehr verehrte Hausfrau –«

Und er antwortete mit hochgestellter Stimme: »Ich freue mich, solcherlei durch und durch gediegene Männer bei meinem Manne vorzufinden.«

Die Gestalten fuhren hoch. Sie griffen nach den Weinrömern und drängten dem Eintretenden entgegen. »Opterberg, Glückskind, sie war es noch nicht, die Hüterin deines Herdfeuers? Die Schützerin deiner Tugend? Die Bewahrerin deines Weinkellers? Wir haben noch eine Galgenfrist und dürfen sie nutzen? Carpe diem! Nutze den Tag und sein lieblichstes Teil, die Nacht!« Und als die geleerten Römer schon wieder auf der Tischplatte des Einschenkens harrten, zerrte der eine der Gäste am Achselband eine alte Gitarre nach vorn, griff in die Saiten und sang:

»Ich hab' mein Sach' auf nichts gestellt; juchhe!
Drum ist so wohl mir auf der Welt; juchhe!«

und der andere fiel ein und hob dem Hausherrn das gefüllte Glas entgegen:

»Und wer will mein Kamerade sein.
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein!«

Arnold Opterberg stieß mit an und stimmte mit ein. Und zum Gitarrenschlag sangen sie von dem Wein, der auf den Höhen wachst, und von den Mädchen, die im Tale wachsen, und immer wieder unterbrach Arnold Opterberg den Gesang und fragte nach dieser und jener, nach der dritten und der vierten, und vernahm in erregtem Staunen, daß sie den untern Weg gegangen seien, einen Mann geheiratet und Kinder gekriegt hätten – o so viele Kinder.

»Aber laß dich das nicht anfechten, Bruderherz. Unser geliebtes Düsseldorf ist von unerschöpflicher Fruchtbarkeit, und die schönen Mädchen drängen sich jahraus, jahrein lieblicher in die Schnürbrust, allen Malersleuten eine Augenweide. Und sie suchen nach dir und fragen nach dir, vom Ratinger Tor bis zu den verschwiegenen Waldwinkeln Gerresheims: Wo steckt der Arnold Opterberg, der mit dem Rubenskopf und dem Rubensfeuer? Wer sagt uns Verlassenen und Frierenden, wo der heiße Sonnengott Düsseldorfs hingeraten ist?«

»Schwindelt nicht. Vor fünfzehn Jahren lagen sie noch in den Windeln.«

»In den Windeln? Du bist verbauert, Opterberg. Solche Mädchen liegen niemals in den Windeln. Sie entspringen ihren Müttern, die sich nach dir gesehnt haben, wie Liebesgedanken, wie –«

»Schweigt. Ich schenke euch auch ohnedies ein. Ja, schön war es, schön war es.«

»Schön? War es? Es ist schön, Opterberg, und wird alle Tage schöner! Sobald uns die ersten, schüchternen Lorbeerblättlein hinter den Ohren hervorwuchsen – und sie wuchsen, Opterberg, zu ganzen Kränzen wuchsen sie, und all die lieben weißen Händchen steckten Rosen hinein. Rosen über Rosen. Erst dann ist der Lorbeer schön.«

»Habt ihr davon geerntet?« fragte der Hausherr zweifelnd. »Es muß bei Nacht gewesen sein, denn ihr stahlt dem lieben Herrgott den Tag.«

Ein Ton des Bedauerns ging von den Gästen aus.

»So weit also ist es mit dir gekommen, Opterberg, daß du meinst, der Pinselstiel müsse Schwielen in den Händen hinterlassen? Wollen wir uns den Professorentitel an den Leib arbeiten und als Lichter auf dem Leuchter stehen, damit alle Welt uns erkennt und uns mit ihrer Hochachtung die tausend kleinen und großen Freuden unseres Lebens verkümmert? O du Abtrünniger, der klingende Erfolg, der kommt mit Naturnotwendigkeit wie der Blitz, wenn die Luft am dicksten ist. Gott verläßt keinen Maler. Und wenn's dann in Strömen gießt, stellen wir unsere Regentonne hinaus.«

Arnold Opterberg reckte den Arm über den Tisch. Er griff nach dem Glas. »Düsseldorf soll leben!« und das Wort verschlug ihm fast die Stimme.

»Soll leben, soll leben!« jubilierten die Gäste. »Wer es nur immer in solchem Weine leben lassen könnte. Opterberg, Opterberg, wären wir du, wir schmissen die Hacke stieloben auf den Kartoffelacker, versilberten den ganzen Kram und kauften uns einen Malerhut. Denke, wie wonnesam es schon mit leerem Geldbeutel war, denke, wie unaussprechlich schön es erst mit einem straffen Beutel voll Zechinen werden wird. Freundesarme, Mädchenherzen, alles öffnet sich dir entgegen – und die Kunst hat dich wieder.«

»Eure Kunst – das Leben als einen einzigen Karneval zu nehmen.«

»War es nicht auch die deine? Hast du sie nicht mit solcher Meisterschaft betrieben, daß wir anderen armselige Stümper neben dir waren? Liefen dir nicht die Mädchen in hellen Haufen zu, und schlugen sich nicht die Wirte darum, dir ankreiden zu dürfen? Ach, Opterberg, dieses ›König Wikking sein‹ auf allen Meeren des Lebens, immer den Enterhaken in der Hand. Segel in Sicht, Kapitän, backbord voran! Stolze Fregatte oder niedliche Brigg? Einerlei! Alle Segel hoch! Drauf und dran! Und dann das Lösegeld –«

»Wenn ihr nur,« lachte Arnold Opterberg fliegenden Atems, »mit dem Pinsel halbwegs so malen könntet wie mit dem Maule! Aber malt nur weiter! Malt alle Regenbogenfarben in die Luft! Es behagt mir schon, es behagt mir, und morgen sind sie mit dem Wein verdunstet.«

»Nein, Opterberg, sie sind echt, so echt wie wir selber, und mehr kann kein Mensch von sich und seinem guten Stern verlangen, als sich die Dinge in den persönlichsten Sehwinkel rücken zu dürfen. Hat das Leben eine Berechtigung, uns wie Narren zu behandeln? Oho, umgekehrt wird ein Schuh draus. Wir packen den Gaul beim Kopfe und sitzen kopfüber auf. Mag er rennen, wir reiten! Wohin ist einerlei. In die Freiheit geht's immer, in die Freiheit und die Freude. Und du, Opterberg, was tust du? Es hat den hohen Herrn in einer Laune gelüstet, eine andere Maske vorzubinden, als biederer Landmann die Dunggabel zu schultern und die Felder zu bestellen und am Feierabend Weib und Kind und Ingesind das tägliche Brot vorzuschneiden. Menschlein, Menschlein, man hat dich falsch beraten, die Maske steht dir nicht, der Löwe ist ein Fleischfresser und kein Körnerbeißer, das sagte dir schon der selige Brehm. Quousque tandem, Catilina? In der Vollkraft der Jahre – wach auf und erkenne dich selbst!«

In dem rotbraunen Gesichte Opterbergs blitzten die Augen wie helle, heiße Flammen. Die Ellenbogen aufgestemmt, saß er und lauschte. Vor ihm gaukelten die Bilder der Erinnerung. Eine lange, lange Kette. Eine Kette –? Ein Rosengewinde war's. Ein Rosengewinde. Die Kette kam später. Nein, doch nicht. Was war's denn? Farbe bekennen, Farbe.

»Alles gut, alles gut,« rief er in den Stimmenschwall. »Aber von der Hauptsache redet ihr nicht. Talent muß der Künstler haben, Talent, wenn er schon die übrige Welt als Kegelschub behandeln will. Oder besser noch: Genie! Ich hab's nicht. Nicht das eine und nicht das andere. Ja, wenn ich es hätte, wenn ich es hätte ...«

Die Gäste wehrten ihm sprachlos mit den Händen. Offenen Mundes sahen sie ihn an, wie man einen Kranken, einen Verstörten anzusehen pflegt. Dann redeten sie wirr durcheinander.

»Du kein Talent? Weil du bisher keinen Gebrauch davon machtest? Weil du in aller Ruhe das Weltbild in dir reifen ließest, statt dich als Wunderknabe zu verzetteln? Weil du die seligsten Jahre in dich hineintrankst, um zunächst einmal die eigene Seele aufzufüllen, bevor du dich an die Auffüllung der anderen Seelen heranmachtest? Wer war wertvoller, du oder das Philistergehumpel? Du kein Talent? Hast du denn überhaupt schon mal in den Spiegel geschaut? Herr Gott noch, mit solchem Kopf, und mit solchen Augen erst, malt man sich schon das Glück aller Erdteile auf der Leinwand der Welt zusammen, ohne auch nur einen Groschen für eine Farbentube zu verschwenden.«

»Unsinn redet ihr, Unsinn!«

»Weshalb hörst du denn unserem Unsinn zu mit Augen wie ein kreisender Habicht? Weil du spürst, daß das, was für einen Schafbock Sinn bedeutet, für einen Steppenhengst den unverfälschtesten Unsinn darstellen würde. Weil du die Frühlingsluft witterst und die Luft der Freiheit, die einzige Luft, die Menschen deines Schlages zuträglich ist. Opterberg, uns hat in diesem schönsten aller Frühlinge dein guter Geist hergesandt. Ermanne dich, und wär's nur zu einer Probe aufs Exempel. Heraus aus der Maskerade. Heraus aus dem Bauernkittel, und in die Wanderstiefel hinein. Schließ dich uns an, Bruderherz, zu dritt über die Pässe, fahr wohl, züchtig vernebeltes Nordland, gegrüßt, du paradiesisch seliges Land Italia! Opterberg, Opterberg, zehn Eide gegen einen: die Kartoffeln wachsen hierzuland auch ohne dich, und deine fürtreffliche Hausfrau wird feierlich zum Reichsverweser und noch feierlicher zum Reichsschatzkanzler ernannt.«

»Grüß Gott, ihr Herren, grüß Gott! Ja, aber – wie ist mir dann? Schaut Arnold Opterbergs Eheliebste gar so grauslich aus wie ein herbes Erdenweib, daß es Sie aus allen Himmeln reißt?«

Mitten im Giebelzimmer stand Frau Christiane, das strohgelbe Haar in breiten Flechten um den Kopf gewunden, und lachte aus ihren klaren, blauen Augen den Männern lustig ins Antlitz. Noch immer hockten die fremden Gäste wie verschlagen auf ihren Plätzen und starrten dies Bild der Frauenkraft und Frauenfröhlichkeit an.

»Mann,« sagte Frau Christiane und fuhr Arnold Opterberg schmeichelnd durchs Haar, »willst du mir nicht deine Freunde mit Namen nennen? Oder muß man berühmte Künstler gleich nach dem Gesicht erkennen? Dann bitt' ich zu entschuldigen.«

Arnold Opterberg hatte sich hastig erhoben. »Die Herren Kunstmaler Baltes und Krönlein,« stellte er mit einer kurzen Handbewegung vor, und sein Blick glitt ein wenig mißtrauisch über Frau Christianes fröhliche Züge.

Nun waren auch die Gäste aufgefahren, dienerten und stolperten ein paar Worte hervor, und Frau Christiane sah lächelnd ihren Mann an, trat auf sie zu und reichte ihnen die Hand.

›Wie zwei Zitterespen neben einem blühenden Lindenbaum‹, fuhr es Arnold Opterberg durchs Hirn. ›Weshalb mußten die hageren Gesellen eine so schlechte Figur machen?‹ Dann horchte er auf.

»Ich wollt' Sie in Ihren übermütigen Künstlerspäßen gewiß nicht stören,« sagte Frau Christiane, »aber wie ich so die ganze Zeit vor der Türe saß und mich über Ihren Mutwillen immer mehr noch verlustierte, da stieg mir mit einemmal das Vergnügtsein von unten herauf so unbändig in die Kehle, daß es mich fast verraten hätt', und so bin ich schleunigst aufgesprungen und eingetreten. Das heißt: wenn Sie mich hierbehalten mögen. Eine Spielverderberin bin ich nimmer.«

»Ihr beiden!« donnerte Arnold Opterberg seine Gäste an. »So macht doch wenigstens nicht so erschreckend geistvolle Gesichter! Heraus mit eurem Flederwisch! Sagt euer Sprüchlein noch einmal auf!«

Die Maler hatten sich wiedergefunden. Sie schwenkten ihre Taschentücher aus den Röcken und wischten sich mit den Tüchern die Augen, als ob sie Lachtränen entfernen müßten.

»Sie haben Geist, gnädigste Hausfrau, und Sie haben die Güte des Geistes, den Humor. Wahrhaftig? Alles haben Sie mit angehört? Alles? Und sich augenblicklich gesagt: Da spricht der Wein aus Männerkehlen?«

»Ich hab' mir noch mehr gesagt,« lachte Frau Christiane sie an, »Ich hab' mir gesagt: Da hat der Arnold als richtiges Mannsbild den Gästen nur zu trinken gegeben und nicht zu essen. Kein Wunder, daß die Gedanken Kobolz schießen müssen, wenn ein handfest Abendbrot ihnen nicht die notwendige Erdenschwere gibt. Wir wollen's nachholen, meine Herren, aber nicht hier im blauen Zigarrenrauch und Geisterqualm, sondern drunten im frischen, weißen Eßzimmer.«

Ohne eine Widerrede zu beachten, nahm sie des einen Gastes Arm und schritt mit ihm die Treppe hinab, plaudernd und fragend. Und Arnold Opterberg bot mit einer tiefen Verneigung dem anderen Gast den Arm, grinste ihn an und führte ihn zur Treppe. –

Das kräftige ländliche Mahl mundete ausgezeichnet. Auch hatte Frau Christiane einen vortrefflichen, goldgelben Badnerwein heraufholen lassen und kargte nicht mit Zugießen. Aber die Kosten der Unterhaltung hatte sie dennoch fast allein zu tragen, denn die Gäste fühlten, daß sie sich in der blitzblanken Sauberkeit des Raumes und vor der blitzblanken Sauberkeit des Frauengeistes um ein erhebliches fragwürdiger vorkamen als in der durchräucherten Trinkstube und dem zügelfreien Großsprechertum. Neben der Leibesfrische Frau Christianes erschienen sie ungepflegt, und wenn auch der abgewetzte Anzug bei einem Studienfahrer angebracht oder doch zu entschuldigen war, so durften die vielerlei Flecke, Wein- und Tabakspuren doch immerhin fehlen. Das sagten sich die Gäste je länger, je mehr, und sie warfen nur heimlich aus den Augenwinkeln stumme und bewundernde Blicke auf die munter plaudernde Hausfrau.

Als ein Stündlein später Frau Christiane die Tafel aufhob, meinte sie freundlich: »Sie bleiben natürlich über Nacht Ein Gasthaus gibt's nicht in der Nähe. Aber früh aufstehen müssen Sie. Auf dem Lande beginnt der Tag mit der Sonne.«

»Wer so glücklich wäre, gnädigste Frau, auf dem Lande zu leben.«

»O, da hätt' ich einen Vorschlag. Bleiben Sie ein paar Tag' und helfen Sie uns aus. Dadurch, daß ich mit meinen Buben die Bergfahrt hab' machen müssen, ist noch ein gut Teil Land mit Spätkartoffeln zu bestellen geblieben. Freie Herberg und Verpflegung, Wein und Tabak hinzu; und für drei Tage Arbeit den Rest der Woche zum Studienmalen. Lockt's?«

»Es lockt, gnädigste Gutsherrin, oh es lockt ...« –

Frau Christiane befand sich mit ihrem Manne in dem großen Schlafgemach, Sie stand mit aufgelöstem Haar in Hemd und weißgefaltetem Rock, badete sich im eiskalten Wasser Gesicht, Brust und Hände und begann das Haar zu bürsten und neu einzuflechten. Arnold Opterberg ging mit unruhigen Schritten hinter ihrem Stuhle auf und ab. Plötzlich blieb er stehen.

»Du hast also wahr und wahrhaftig vor der Türe – zugehört, Christel?«

»Wahr und wahrhaftig, Arnold. Du könntest auch horchen sagen.«

»Weshalb kamst du denn nicht herein? Wäre das nicht passender gewesen?«

»Es ging nicht, Arnold. Siehst du, vor der Tür, da konnt' ich mir noch einbilden, ich säße im Theater und hört' mir einen tollen Schwank an. Wäre ich aber eingetreten, so hätt' ich mitspielen müssen, und dazu waren mir schon zwei Clowns zu viel da.«

Er lachte kurz und belustigt.

»Ein Körnchen Wahrheit war trotzdem in ihren Reden,« begann er von neuem.

Sie wandte sich halb nach ihm und streckte mit einer stillen und zärtlichen Bewegung den Arm nach seiner Schulter.

»Du hast in dem Wirrwarr des Giebelstübchens vorhin ein hübsches Wort gesagt, Arnold. Als du von den vorgezauberten Regenbogenfarben sprachst. ›Morgen sind sie mit dem Wem verdunstet.‹ Weißt du, so wollen wir uns beim Morgenlicht auch nach dem Körnchen Wahrheit umsehen. Aber ein anderes, bevor wir schlafen gehen. Was war's mit dem Schmid Attermann?«

»Er ist von der Klinik weg und bei Breisach in den Rhein, wie ich es dir nach Splügen drahtete. Er wollte, als er erfahren hat, daß er unheilbar sei, seine paar Ersparnisse lieber seinem Jungen hinterlassen als sie verdoktern. Bei Kehl erst hat man die Leiche herausgefischt und gleich eingegraben.«

»Er trug wohl seine Brieftasche bei sich, daß man seine arme Person gleich vermocht' festzustellen?«

»In ein Stück undurchlässiges Leinen gewickelt, daß das Wasser nicht herankonnte. Er hat an alles gedacht. Auch an einen Zettel, worin er dich und mich mit der Vormundschaft betraut.«

»Er soll sich in seinem Zutrauen nicht geirrt haben, der Ärmste.« Sie erhob sich und umhalste ihren Mann. »Der Christoph ist nun unser Sohn und bleibt. Gelt, du? Und – gute Nacht.« –

Es war sechs Uhr morgens, als die beiden Knaben zur nächsten Bahnhaltestelle abmarschierten, um mit dem Frühzuge die Gymnasialstadt zu erreichen, Frau Christiane stand auf dem Hof inmitten ihres Federviehs und winkte ihnen nach. Just kam der Hausherr aus der Stallung herübergeschritten.

»Der Franzel hätt' sie auch mit dem Wagen hinfahren können, Christiane.«

»Wär's nicht verkehrt gewesen, Arnold? Das gemächliche Wagenfahren schafft den Buben keine richtigen Muskeln, wohl aber ein falsch Bewußtsein. Und den Franzel hab' ich überdies zum Kartoffelsetzen nötig wie alle Händ'.«

Sie hielt überrascht inne.

»Ei, da hab' ich aber einmal voreilig von den Menschen Böses gedacht. Da kommen ja schon deine Malersleut' aus dem Haus und melden sich zur Arbeit. Hierher! Hierher! Grüß Gott! Das nenne ich ein pünktlich Manneswort.«

Die Gäste kamen heran, den Hut in der Hand.

»Meine gnädigste Hausfrau, wie gern, wie gern wäre ich Ihrem Rufe gefolgt. Aber beim ersten Morgendämmern erhielt ich ein dringliches Telegramm, das mich zu wichtigen künstlerischen Verhandlungen hinüber nach der Schweiz beruft.«

»Und da mein Freund,« fuhr der zweite fort, »ein Kind in geschäftlichen Dingen ist, so muß ich wohl oder übel an seiner Seite bleiben. Ich bin Ihrer Zustimmung sicher.«

Frau Christiane stutzte nur einen Augenblick, Das nächstgelegene Telegraphenamt begann erst um sieben Uhr früh seinen Austragedienst, und jetzt war es sechs Uhr morgens. Der leichte Ärger aber, sie gerade töricht genug für solchen Hokuspokus zu halten, verflog, wie er gekommen war. »Mein Gott,« sagte sie und reichte den Reisenden lachend die Hand, »da schaut man erst, was für berühmte Herren man beherbergt hat, für die eigenst die Telegraphenboten vor der Dienstzeit laufen. Also glückliche Reise dann und ein freundlich Erinnern.«

Arnold Opterberg gab den Freunden bis zur Landstraße das Geleit. Frau Christiane sah ihn, während er neben ihnen einherschritt, mit der Reitgerte den Stiefelschaft schlagen. Da wußte sie, daß er grimmig war und die Düsseldorfer keine Lieblichkeiten zu hören erhielten. –

Fleißig wurde die Woche geschafft. Arnold Opterberg war mit den Knechten auf den Feldern, und er legte selbst Hand an, wo es nottat, ja er schaffte bisweilen über Gebühr, als wolle er von einem Gedanken los oder ihn betäuben, und kam zum Feierabend dampfend und rotgebrannt, aber mit unruhigen Augen ins Haus. Frau Christiane, die mit den Mägden die Gemüsegärten bestellte und die Milchkammer versah, merkte seine Unrast wohl, und bemerkte nicht minder, daß er nach überheißem Tagewerk im Hause heimlich in den alten Truhen stöberte, Mappen und Leinwandrollen heraussuchte und sie in seine Giebelstube verbrachte.

In der zweiten Hälfte der Woche wich sein Arbeitsübereifer einer gereizten Arbeitsunlust. Wohl ging er in der Morgenfrühe mit den Knechten hinaus und wies ihnen ihre Aufgaben. Er selbst aber warf sich auf irgendeinem Hügel unter einem blühenden Baume ins Gras und starrte in die blauenden Fernen, wo Himmel und Erde geheimnisvoll lockend ineinanderflossen. Wie ein bebender Rausch lag der Frühling über der Welt und bebte in Arnold Opterbergs Blut.

Es war Abend, und das Sonnenlicht wollte nicht weichen von der blühenden, duftenden Erde. Frau Christiane hatte ihren Gatten früher als sonst zum Giebelzimmer hinaufsteigen sehen, und nach einer Weile folgte sie ihm nach. Sie fand ihn über den Studien und Entwürfen seiner längst vergangenen Malerzeit.

»Hältst du Heerschau ab, Arnold? Der Abend ist so weich wie eine Jugenderinnerung. Laß mich teilhaben.«

»Ich habe die Seite meiner Jugenderinnerungen vorzeitig abgeschlossen und befinde mich seitdem im Zustande der Zahlungsunfähigkeit. Warum, Christiane, warum?«

Sie war neben ihn getreten, und während sie mit ihm auf die farbenbunten Studien und Entwürfe blickte, hatte sie den Kopf kaum merkbar an seinen Arm gelehnt.

»Vorzeitig abgeschlossen?« wiederholte sie. »Ich glaube gar, mein alter Arnold ist eitel geworden und will von seiner Frau Schmeicheleien hören. O du liebes Menschenkind, du warst bei aller Wildheit immer die ehrlichste Natur und weißt deshalb gar wohl, daß du dein vollgerüttelt Maß an Jugenderinnerungen in die Scheuer gebracht hast, mehr als ein Dutzend anderer Männer insgesamt.«

»Du lenkst ab, Christiane,« sagte Arnold Opterberg rauh. »Was ist mir an dem Rudel toller Häsinnen gelegen, die mir über den Weg sprangen. Wollt' ich darauf mein Augenmerk richten, ich könnt' sie heut wie damals springen sehen. Ich meine die Jugenderinnerungen des Künstlers.«

»Nenn sie mir, Arnold.«

»Nennen. Nennen. Dafür gibt's keine Worte. Das muß man fühlen. Kannst du das Gefühl der Freiheit, der unbedingten Selbstbestimmung über Raum und Zeit in Worte fassen? Das einzige, was den Menschen zum Herrn der Schöpfung macht? Ich habe es mir in einem Augenblick der Kopflosigkeit eingehandelt gegen eine fette Pfründe und laufe seitdem mit hunderttausend anderen Weidetieren im Kreis rundum auf derselben Wiese, statt mit einem Juchhei drüber hinwegzuziehen.«

Ihr Kopf zitterte ein wenig an seinem Arm. Dann war sie wieder die ruhige Frau Christiane.

»Auch die Weidetiere haben ihren Zweck und Nutzen im Haushalt Gottes, Arnold, sicherlich einen größeren als der Kuckuck, der nur den Frühling ausruft und sich vor der Arbeit verflüchtigt, oder der Wanderfalke, der nur zur guten Jagd durchs Revier streicht. Werde nicht unwillig, Arnold, es ist ja nicht das erstemal, daß wir unsere Gedanken aufklären müssen, wenn ich auch nach den letzten Jahren glauben durft', wir wären aus dem Sturm und Drang hinaus und in einer klaren Sonnenluft. Siehst du, wenn ich nun solche Leut' wie unsere letzten Sonntagsgäste von der Freiheit der Kunst reden höre, so mein' ich halt immer, sie schlügen wie der Fuchs einen Staubwirbel mit dem Schweif, um von der Fährte abzulenken, und riefen ›Kunst‹ und meinten die Freiheit des Lebenswandels. Ach, Arnold, wie viele laufen hinzu, um sich einmal so recht von der Leine aller Pflichten zu lösen, ob sie berufen sind oder nicht berufen.«

»Und ich war, wenn ich deine Schlußfolgerung vollende, nicht berufen.«

Sie hob den Kopf und sah ihm lächelnd in die blitzenden Augen.

»Du warst zur Betätigung der Freiheit berufen, du Krafthuber du. Sind die großen Künstler frei? Sie wandern unter dem Kreuz ihrer Aufgaben, das mit der Länge des Weges und der Höhe des Ruhmes schwerer und schwerer wird, oder unter der Peitsche ihres Ehrgeizes, der freudeblind und neidisch macht und zum Knecht des Erfolges. Du hättest zu den ersten nicht getaugt und noch weniger zu den letzten, und für die vielzuvielen erst, die die Kunst nur als Vorwand zum stromern, bechern und borgen nehmen, dazu warst du weiß Gott zu schade.«

Arnold Opterberg wandte hastig den Kopf, aber sie legte ihm die Hände um die Schläfen und zwang ihn sacht, sie wieder anzusehen.

»Darum, Arnold, darum, weil du ein Freiheitsmensch bist, gehörst du in die Sonne, in Sturm und Wetter hinaus und als Herr auf deine eigene Scholle –«

»Um meinen Kartoffelacker zu bauen. Ein begeisternd Ding.«

»Ach, Arnold, wie mich dies Wort freut, denn es ist nicht von dir, sondern von den beiden Arbeitsscheuen, die Reißaus nahmen, als sie die Hände rühren sollten.«

»Christiane,« verwies Arnold Opterberg rauh, »sie haben dich um keinen Pfennig angeborgt. Darum hast du keinen Grund, ihre glückliche Lebensart zu schmähen.«

»Es ist wahr,« gestand sie freimütig zu, »sie haben sich in ihrer Art nicht schlecht aufgeführt. Aber sie leben von der Hand in den Mund, lassen den Herrgott und den Zufall für sich sorgen und stellen die Regentonnen heraus, wenn's Kleingeld regnet. War's nicht so? Nein, Arnold, du bist ja viel stolzer, als du zugestehst, und es macht dir nur zeitweilig Spaß, unter den Hofnarren den König zu spielen. Spiel ihn, und im übrigen wollen wir unserem Geschick dankbar sein.«

»Dem Geschicke in der Person des Oheims Opterberg.«

Sie löste sich unmerkbar von ihm und blickte wieder auf die farbenbunten Studien und Entwürfe.

»Der Oheim Opterberg,« sagte sie leise und ruhig, »schenkte mit seinem Tode und seinem Erbe dir die Rettung und mir das Glück in meinem Pflichtenkreis. Glaubst du dich im Glück verkürzt, so war es meine Schuld und nicht seine.«

»Christiane!«

»Laß es mich nur zu Ende reden. Du warst der Sohn seines Bruders, und ich die Tochter seines Vetters. Auch mein Vater war ein Opterberg vom Niederrhein, und er heiratete eine süddeutsche Frau und war seit langem im badischen Oberland angesiedelt, als er dem Oheim Opterberg Gastfreundschaft gewähren durfte. Uns beide, dich und mich, hatte der Oheim zu Gesamterben eingesetzt. Mich, weil er mich als Landwirtin kennen gelernt hatte. Dich, weil auch du auf einem Gutshof aufgewachsen seiest und der Erblasser, so heißt es im Testament, von deiner Begabung für die Landwirtschaft mehr halte als von deiner Liebe für das Malerleben. Ich fuhr zu dir nach Düsseldorf, um dir trotzdem die Auszahlung deines Teiles anzubieten –«

»Und ich nahm das Ganze. Mit totem und lebendem Inventarium. Und das handfeste, flachsblonde Mädel dazu, ob es wollte oder nicht. Komm her, Christiane, gib mir einen Kuß. Ich habe das Frühlingsfieber und einen wilden Hunger dazu. Ruf die Buben zum Abendbrot.« –

Noch war der Druck nicht aus der Luft, so sehr sich auch Arnold Opterberg Mühe gab, sich zu verstellen. Wieder und wieder kam er im Gespräch auf die beiden lustigen Kumpane zurück, die nun als Freiherren das Land Italien durchzögen, das Geld verachteten und im Anblick der Kunst erschauerten trotz ihrer fleckigen Röcke und ihrer Bänkelsängergitarre.

Am Sonnabend kam ein Knecht, der im großen Gasthof des nahen Schweizerstädtchens für Frau Christiane eine Lieferung zu machen gehabt hatte, und er erzählte seiner Auftraggeberin einen Schnurren von zwei Malern, die drüben im Gasthof Schlag neun Uhr abends auf die Bühn' träten und zum Gaudi der Gäst' nix als Unfug trieben. Und es wären die letzten Sonntagsgäst' des Herrn Opterberg gewesen. Er hätt' sie im Wirtszimmer hinter dem Krügel erkannt.

Da lachte Frau Christiane in sich hinein, gebot dem Knecht, gegen den Herrn zu schweigen, und war guter Dinge.

Als die Buben aus der Gymnasialstadt heimgekommen waren und Arnold Opterberg unruhiger als sonst, weil der freie Sonntag nahte, zum Fenster hinausschaute und einen Marsch auf die Scheiben trommelte, meinte Frau Christiane leichthin: »Es war eine harte Woche, und es lohnte sich schon, zur Aufmunterung des Bluts ein wenig ins Schweizerische hinüberzugehen. Wär's dir recht, Arnold? Es sollen allerhand lustige Hanswürste im Gasthof zum Adler auftreten. Die Buben könnten mit uns.« Arnold Opterberg schloß seinen Trommelmarsch mit einem Wirbel. »An die Pferde!« rief er. »Aufgesessen! Wir reiten!« Und mit langen Schritten, die Buben mit sich ziehend, eilte er ins Freie.

Lustig plaudernd marschierten sie zu viert durch den Frühlingsabend den Rhein hinauf der alten hölzernen Kapellenbrücke entgegen, die über den brausenden Strom hinüber zum Schweizer Ufer führte. Die Knaben erzählten dem Vater von den Rheinquellen an den Gletscherbrüsten und berichteten wichtig von ihren großen und kleinen Bergabenteuern. »In Reichenau war auch der Professor Barthelmeß, weißt du, der Kirchenbauer und Bildner, mit Frau und Kindern, und die Mutter sollt' die Zeche zahlen für die Fremden.«

»Barthelmeß?« fragte Opterberg. »Kenn' wohl seinen Namen, Aber du scheinst Glück zu haben mit den Künstlern, Christiane.«

Sie schüttelte leicht den Kopf. »Im heutigen Deutschland lebt fast ein jed's über seine Verhältnisse. Die Künstler werden dadurch nur um ein Mehr verleitet.«

»Aber sie sollen auf ihren Stolz achten und sich nicht als Schnorranten aufführen,« schloß Arnold Opterberg.

Sie saßen im Saal des Schweizer Gasthofes, und die Bürger des Städtchens bemerkten das schöne und aufrechte Paar mit den wohlgezogenen Buben in ehrlicher Freude, und es war ein achtungsvolles Grüßen von allen Seiten. Arnold Opterberg sonnte sich in dieser hohen Achtung, trank in gewinnender Haltung den angesehenen Bürgern des Städtleins zu und horchte nur zerstreut auf die ältliche Sängerin, die auf der Bühne Alpenlieder trällerte, und auf die Reden des Zauberkünstlers, der ein geehrtes Publikum um goldene Uhren bat. Dann aber fuhr er auf. »Deutsche Schnellmaler auf dem Wege nach Italien!« hatte der Mann am Klavier gerufen. Und schon tollten über die Bühne zwei hagere Gestalten, rissen sich den Hut vom Kopf, rührten Farbe darin an, zogen, ein ellenlanges und zerschlissenes Sacktuch hervor, spannten es vorsichtig über einen Rahmen, und während der eine unter verzückten Sprüngen zu malen begann, schob der andere langsam die Nase durch die Kehrseite der zerschlissenen Leinwand, schob Stirn und Augen nach, die Ohren und das stoppelige Kinn, bis das ganze Angesicht ernst und würdevoll aus der Leinwand blickte wie ein frisch gemaltes Ölbildnis. Breit fuhr der Maler mit dem Firnispinsel über das ganze Bild. Es zuckte nicht mit der Wimper. Und unter dem tobenden Gelächter des Publikums legte der Maler einen Rahmen um das Bild, trat seitwärts, wies mit der Linken erhaben auf sein Werk, mit der Rechten untertänig auf sein Herz und nahm dankend einen Schoppen Wein aus dem Zuschauerraum entgegen. Da rollten des Bildnisses Augen, da verzerrte sich sein Mund, da streckte es heischend die Zunge – und das Bildnis begann zu reden und verlangte in sprudelndem Zorn seinen Anteil, bis ihm die Neige des Weines beruhigend in die Kehle floß.

Bevor der Spaß zu Ende war, hatte sich Arnold Opterberg erhoben und mit den Seinen den Saal verlassen. »Deutsche Schnellmaler auf dem Wege nach Italien!« klang ihm die Stimme des Ausrufers noch in den Ohren, als schon die Planken der Rheinbrücke unter seinen Füßen krachten. Diese Großredner der Kunst! Diese Herrgottstagediebe! Für einen Schoppen Wein und ein paar Frankenstücke zogen sie den deutschen Künstlernamen durch den Schweizer Dreck und sich selber durch die Spottmäuler der Spießbürgergesellschaft, die noch die Wäsche von der Leine nahm, wenn Künstler und andere Vagabunden des Weges kamen.

Und doch nur ein Spaß, aus ungebändigter Malerlaune geboren.

Nichts da! Die Kerle waren über die vierzig alt und hatten sich zu bändigen, wenn sie ins Ausland kamen. Der deutsche Name war doch wohl eine Messe mehr wert als die Malerlaune der Baltes und Krönlein.

»Vater,« sagte neben ihm Martin Opterberg, »die Leut' im Saal haben die Deutschen arg verspottet.«

Himmelherrgott, da empfand es der Bub auch schon.

Arnold Opterberg ging in großen Schritten. War er doch so weit über das Possenreißen hinausgewachsen an Frau Christianes Seite, daß er die tötende Lächerlichkeit fühlte? Er zog den Arm Christianes in den seinen und schritt wortlos mit Frau und Buben heim.

*

 


 << zurück weiter >>