Georg Herwegh
Gedichte eines Lebendigen (Band 1)
Georg Herwegh

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Ufnau und St. Helena

1841

I

              Laut mit dem Schwall der Wogen ringend,
Durchzieht den See der stolze Dämpfer,
Und braust, das Schweizerbanner schwingend,
Dahin, ein zornentbrannter Kämpfer.

»Wenn wir an Ulrich Huttens Grabe,
Dort bei des Sees größter Breitung,
Dann rufe mich, mein Schifferknabe!«
Und weiter träumt ich in der Zeitung.

Die Zeit, wie sich gebührt, in Ehren,
Kann mich die Zeitung nie erfreuen;
Doch mag der Teufel sie entbehren,
Der Mensch will nun einmal vom Neuen!

Frankreich! Ha – was wird dort verhandelt?
Gift? Dolch? Erneuten? Karbonaris?
Die Szene wiederum verwandelt?
Das Stück heißt Helena und Paris!

Sie haben ihren Unvergeßnen
Geraubt dem Schoß kristallner Wogen,
Den Helden aus dem Unermeßnen
In ihres Babels Kot gezogen.

Sie kamen über ihn im Schlafe
Wie über Simson die Philister;
Es triumphiert der große Sklave,
Und pfiffig lächelt sein Minister.

Was Albion heilig, wird man lesen,
Das hat der Franken Volk vernichtet;
England ließ ruhig ihn verwesen,
Wo ihn der Weltgeist hingedichtet;

Wo ihn des Meeres Flut umschäumte,
Wo mit dem All er im Vereine
Wohl oft von jenem Goten träumte,
Des Grab doch sichrer als das seine.

O Spott! es schleppt in ihre Mauern
Ein Hänfling dieses Adlers Leiche;
Nicht Jubelschall, nur banges Trauern
Sollt herrschen in der Franken Reiche.

Das eigne Volk saß zu Gerichte,
Des Kaisers Zauber ist geschieden;
Es schläft die fränkische Gescbichte
Mit ihm im Dom der Invaliden!

II

Ufnau! Hier modert unser Heiland,
Fürs deutsche Volk ans Kreuz geschlagen;
Ein deutsches Mekka wär dies Eiland,
Hätt ihn kein deutsches Weib getragen.

Der Hutten ist's, und ihn erkür ich
Zu meines Herzens erstem Helden;
Mein Weltmeer sei dein See, o Zürich!
Von seinen Mären laßt mich melden.

Der Hutten ist's, ob den Despoten
Verachtet ihr des Volkes Festen;
Ihr buhlet täglich mit den Toten,
Ach! und vergesset eure Besten.

Ihr weintet jener Hieroglyphe
Im Ozean manch verlorne Träne
Und ahntet nicht die Wundertiefe
Der reinen deutschen Hippokrene.

Der Hutten ist's, ihr Männer tretet
Heran zum Hügel des Verbannten!
Der Hutten ist's, ihr Männer betet
Und lernt ihn kennen, den Verkannten.

Die Freiheit schwanket zwischen Klippen
Umher auf steuerlosem Boote,
Schon nahn sich ihr mit ekeln Lippen
Zum Kusse die Ischariote.

Wir brauchen einen großen Schatten,
Des Geist um unsre Waffen schwebe,
Der, wenn im Kampfe wir ermatten,
Uns Blut von seinem Blute gebe.

O glaubet nicht, daß ihr ihn fändet
Auf jenem Fels im fernen Meere;
Hier ist ein Grab, noch ungeschändet,
Hier ist- der Stein der deutschen Ehre!

Wie zitterte manch stolzer Giebel,
Als donnernd einst in böser Stunde,
Gleich Schwerterklang zu Luthers Bibel,
Das Wort erscholl aus Huttens Munde!

Das Wort, das, als die Welt geknechtet,
Als finstrer Wahn sie unterjochte,
So kühn für alle Welt gerechtet,
So einsam an den Himmel pochte.

Ließ er sich von den Kutten meucheln,
Und hat er darum sterben müssen,
Daß nun die Enkel sonder Heucheln
Den Mantel von Marengo küssen?

Wie lang mit Lorbeern überschütten
Wollt ihr die korsische Standarte?
Wann hängt einmal in deutschen Hütten
Der Hutten statt des Bonaparte?

 


 


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