Georg Herwegh
Gedichte eines Lebendigen (Band 1)
Georg Herwegh

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Frühlingslied

1841

        Noch ein Lied dem deutschen Bürger,
Noch ein echtes Maienlied!
Frühling sei es keinem Würger,
Der sein Volk zum Staube zieht;
Frühling jedem bis zum Tod,
Frühling nie für den Despot!
Selbst der Himmel, warm und rein,
Der des Freien Brust erweitert,
Eine Klippe, dran er scheitert,
Mög er jedem Wütrich sein.

Alle Blumen sollen flüstern:
»Seht ihr, seht ihr den Tyrann?
Bleib in deinem Reich, dem düstern,
In der Hölle, finstrer Mann!
Willst du noch des Weihrauchs mehr?
Unser Kelch ist für dich leer,
Fort! Du taugst nicht an das Licht!
Weiche ferne, du Verräter,
Du verstehst den freien Äther
Und die Frühlingsfreiheit nicht!«

Jede Biene dünk Tarantel,
Jeder Rose Purpurkleid
Ihm ein Karbonarimantel,
Drin ein Dolch für ihn bereit!
Jeglich Säuseln, das er hört,
Ihm sein Volk, das sich empört;
Keine Freude und kein Scherz,
Keine Wonne soll ihm blühen,
Und von keiner Sonne glühen
Je ihm sein sibirisch Herz!

Nächtlich mit Entsetzen dreh er
Sich im sternenlosen Nichts,
Und von allen Engeln seh er
Nur den Engel des Gerichts;
Jeder Schlag der Nachtigall
Kling ihm wie Posaunenschall,
Der ihn vor den Ew'gen ruft;
Und der Lerche jubelnd Schmettern,
Wie der Blitz von tausend Wettern
Treff es ihn aus blauer Luft.

Jeder Blütenbaum am Wege
Streu aufs Haupt ihm Silberschnee,
Einen eis'gen Panzer lege
Um sein Schiff ihm jeder See;
Wo er immer landen mag,
Flieh erschreckt der goldne Tag:
In der öden, kahlen Flur
Soll sich seine Seele spiegeln,
Ihm ein Buch mit tausend Siegeln
Sei im Lenze die Natur.

Ja, o Lenz, sei für die Dichter,
Für die Völker Lenz allein!
Für Tyrannen sollst du Richter,
Für Tyrannen Rächer sein.
Schreib auf jedes grüne Blatt:
Ich bin eurer herzlich satt,
Eurer schnöden Tyrannei!
Frei sind meiner Blumen Düfte,
Meine Wolken, meine Lüfte,
Auch die Menschen seien frei!

 


 


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