Johann Gottfried Herder
Journal meiner Reise im Jahr 1769
Johann Gottfried Herder

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Von diesem Geist der Zeit hängen Sprachen, wie Regierungen ab: die Sache wird bis zum Augenschein frappant, wenn man vergleicht. Derselbe Geist der Monarchischen Sitten, den Montesquieu an seiner Person so augenscheinlich mahlt, herrscht auch in ihrer Sprache. Tugend, innere Stärke, hat diese so wenig, wie die Nation; man macht mit dem Kleinsten das Größeste was man kann, wie eine Maschine durch ein Triebrad regiert wird. Nationalstärke, Eigenheit, die an ihrem Boden klebt, Originalität hat sie nicht so viel; aber das was Ehre auch hier heißt, das Vorurtheil jeder Person und jedes Buchs und jedes Worts ist Hauptsache. Ein gewißer Adel in Gedanken, eine gewisse Freiheit im Ausdruck, eine Politeße in der Manier der Worte und in der Wendung: das ist das Gepräge der Französischen Sprache, wie ihrer Sitten. Nicht das, was man andern lehrt ist Hauptmine, sondern das, was man selbst weiß und lehren kann; was man sich selbst schuldig ist, und das weiß keiner vortreflicher als Voltaire, und Roußeau, so sehr es der letzte auch verläugnet und so gräulich verschieden sie <es> auch sind. Sie sinds doch, der erste eitel und frech auf sich; der andre stolz und hochmüthig auf sich: aber beide suchen nichts so sehr, als das Unterscheidende. Nur jener glaubt sich immer schon unterschieden zu haben, und verficht sich blos durch Witz; dieser durch seine unausstehliche, immer unerhörte Neuigkeit und Paradoxie! So sehr Roußeau gegen die Philosophen ficht; so sieht man doch, daß es auch ihm nicht an Richtigkeit, Güte, Vernunft, Nutzbarkeit seiner Gedanken gelegen ist: sondern an Grösse, Außerordentlichem, Neuen, Frappanten. Wo er dies finden kann, ist er Sophist und Vertheidiger: und daher haben die Franzosen auch so wenig Philosophen, Politiker und Geschichtschreiber; denn diesen drei Leuten muß es blos an Wahrheit gelegen seyn. Was aber opfert nun nicht Voltaire einem Einfall, Roußeau einer Neuigkeit, und Marmontel einer Wendung auf.

Die Galanterie ist daher so fein ausgebildet unter diesem Volk, als nirgends sonst. Immer bemüht, nicht Wahrheit der Empfindung und Zärtlichkeit zu schildern; sondern schöne Seite derselben, Art sich auszudrücken, Fähigkeit erobern zu können – ist die Galanterie der Französischen Romane und die Coquetterie des Französischen Styls entstanden, der immer zeigen will, daß er zu leben und zu erobern weiß. Daher die Feinheit der Wendungen, wenn sie auch nichts sind, damit man nur zeige, daß man sie machen könne. Daher die Komplimente, wenn sie nur nicht niedrig sind: daher also aus dem ersten die Crebillons, aus dem zweiten die Fontenelle, aus dem dritten die Boßvets und Flechier, die Prologen und die Journalisten. Hätte Fonten[elle] die Gaben auf den Inhalt gewandt, die er jetzt auf Wendungen und die Oberfläche der Wißenschaften wendet, welch ein grosser Mann wäre er geworden, in einer Klasse; da jetzt als Sekretär aller Klassen keiner über ihn ist unter denen die vor ihm gewesen und nach ihm kommen werden. So die Komplimenten der Journalisten: keine Nation kann beßer, feiner, genauer, reicher schildern als diese: nur immer wird diese Schilderung mehr zeigen, daß sie schildern können, daß sie Erziehung haben, daß sie nicht grob wie Deutsche sind, als die Sprache des Sturms der Wahrheit und Empfindung seyn. Die Galanterie ist nichts weniger als die Sprache des Affekts und der Zärtlichkeit: aber des Umgangs und ein Kennzeichen, daß man die Welt kenne.

So auch der Tadel: er ist immer die Sprache, die da zeigt, daß man auch zu tadeln hardi und frei und klug gnug sey: nicht die Sprache, daß der Tadel unentbehrlich, nützlich, nothwendig, gut, gründlich sey. Das ist Wahrheit des Pöbels, der sie blos aus Simplicität um ihr selbst willen sagt. – – So auch der Wohlstand: er ist Hauptsache der Manier. Man will gefallen; dazu ist der grosse Ueberfluß der Sprache an Wohlstands-Höflichkeits-Umgangsausdrücken; an Bezeichnungen fürs Gefällige, die immer das Erste sind: Bezeichnungen für das, was sich unterscheidet: an Egards, ohne sich was zu vergeben u. s. w. Die Hofmine hat die Sprache von innen und außen gebildet und ihr Politur gegeben. Geschmack ist Hauptsache und tausendmal mehr als Genie, dies ist verbannt, oder wird verspottet, oder für dem Geschmack verkleinert. Der beständige Ueberfluß von vielen Schriften und Vergnügen, macht nichts als Veränderung zur Haupttugend: man ist der Wahrheit müde: man will was Neues, und so muß endlich der barokste Geschmack herhalten um was Neues zu verschaffen. Dies Neue, das Gefällige, d[as] Amüsante ist Hauptton. Auch als Schriftsteller, auch in der ganzen Sprache ist der Honnethom[m]e der Hauptmann. Tausend Ausdrücke hierüber, die auch im Munde des Pöbels sind, geben der Sprache ein Feines und Cultivirtes, was andre nicht haben. Jeder wird von seiner Ehre, von Honnetete, u. s. w. sprechen und sich hierüber so wohl, und oft so fein, so delikat ausdrücken, daß man sich wundert. Hierinn ist sie Muster, und es wäre eine vortrefliche Sache vom Geist, vom Wohlstande, von der Ehre, von der Höflichkeit der Franz[ösischen] Sprache und ihrer Cultur zu schreiben!

Aber nun umgekehrt: wo ist Genie? Wahrheit? Stärke? Tugend? Die Philosophie der Franzosen, die in der Sprache liegt: ihr Reichthum an Abstraktionen, ist gelernt; also nur dunkel bestimmt, also über und unter angewandt: also keine Philosophie mehr! Man schreibt also auch immer nur beinahe wahr: man müste auf jeden Ausdruck, Begrif, Bezeichnung Acht geben, sie erst immer selbst erfinden, und sie ist schon erfunden: man hat sie gelernt: weiß sie praeter propter: braucht sie also, wie sie andre verstehen und ungefähr brauchen: schreibt also nie sparsam, genau, völlig wahr. Die Philosophie der Franz[ösischen] Spr[ache] hindert also die Philos[ophie] der Gedanken. – – Welche Mühe hat sich hierüber Montesq[uieu] gegeben: wie muß er oft bestimmen, sich immer an einem Wort festhalten, es oft neu schaffen um es zu sichern! wie muß er kurz, trocken, abgeschnitten, sparsam schreiben, um völlig wahr zu seyn: und doch ist ers nicht immer und das seiner Sprache halben! doch ist er nicht genau, oft seiner Sprache halben! und den Franzosen unleserlich, kurz und freilich, da man immer ins Extrem fällt, zu abgekürzt. Helvetius, und Roußeau bestätigen noch mehr, was ich sage, jeder auf seine Art. Hieraus werde beurtheilt, ob die Französische Sprache Philosophische sey? ja sie kans seyn, nur Franzosen müsten sie nicht schreiben! nicht sie für Franzosen schreiben! sie als todte Metaphysische Sprache schreiben! und da nehme man doch ja lieber gerade statt dieser Barbar[ischen,] die es damit würde, eine andre noch mehr Barbarische, die nicht Franzosen erfunden: die sich nicht wie die [der] Franzosen verändert, die todt, Metaphys[isch], bestim[m]t ist, die Lat[einische]. – – Aber freilich in Sachen lebendigen Umgangs mit etwas Teinture der Philos[ophie] keine beßer, als die Französische! Sie hat einen Reichthum an feinen und delikaten Abstraktionen zu Substantiven, eine grosse Menge Adjektiven zur Bezeichnung insonderheit [der] Dinge des Geschmacks, eine Einförmigkeit in Construktionen, die Zweideutigkeiten verhütet, eine mehrere Kürze von Verbis als die Deutsche: sie ist zur lebendigen Philosophie die beste.

Insonderheit in Sachen des Geschmacks! Grosser Gott! welche Menge, Reichthum, glücklicher Ueberfluß in Bezeichnungen, Carakterisirung der Schönheit und Fehler herrscht nicht in Clements Nouvellen! Welch ein Ueberfluß von Hof- und Galanter Sprache im Angola, im Sopha, in den feinen Romanen des Jahrhunderts! Selbst der Mangel hat hier Reichthum gegeben! Man macht Subst. aus Adject.: man macht Bezeichnungen mit dem genitive: c'est d'un etc. man formt neue Wörter: man biegt andre alte in einen neuen Sinn – was wäre hier für ein Wörterbuch und für eine Grammatik über den Geschmack in der Französischen Sprache zu schreiben[,] wie das Comische z. E. bekannt ist: so hier das Aesthetische, das Feine, das Galante, das Artige, das Polie! Ich wünsche und wäre es nicht werth mich daran zu üben! Wer von dieser Seite die Französische Sprache inne hat, kennt sie aus dem Grunde, kennt sie als eine Kunst zu brilliren, und in unsrer Welt zu gefallen, kennt sie als eine Logik der Lebensart! Insonderheit aber wollen die Wendungen derselben hier berechnet seyn! Sie sind immer gedreht, sie sagen nie was sie wollen; sie machen immer <eine> Beziehungen von dem, der da spricht, auf den, dem man spricht: sie verschieben also immer die Hauptsache zur Nebensache, und die Relation wird Hauptsache und ist das nicht Etiquette des Umgangs? Mich dünkt, diese Quelle der Wendungen hat man noch nicht gnug in diesem Licht angesehen, und verdiente doch so sehr, philosophisch behandelt zu werden. Hier geht die Französische Sprache von allen ältern ab: hier hat sie sich einen ganz neuen Weg gebahnet: hier ist sie andern und der Deutschen Sprache so sehr Vorbild geworden: hier und hier allein ist sie Originalsprache von Europa. Die Alten kannten dies Ding der galanten Verschiebungen nicht: wie oft ist Montesquieu in Verlegenheit, wenn er seinen Perser Französische Wendungen machen läßt, oder ihn Orientalisch will reden laßen und also diesen Wendungen entsagen muß. Und doch ist Montesquieu noch so edel, so simpel, so einfach in seinem Ausdruck, daß er in seinen Briefen z. E. oft wie ein Winkelmann spricht, und in seinen Sachen, die ausgearbeitet sind, und wo er nicht drechselt, noch mehr. Und doch ist Montesquieu der vielleicht, der unter allen Franzosen am meisten von seinen Freunden den Römern und Orientaliern gelernt hat! Wie viel verliert man daß sein Arsaces nicht erscheint! wie würde er da auch über die Eheliche Liebe Morgenländisch denken und Französisch sprechen! Nun nehme man aber andre, die die Franz[ösische] Sprache haben Orientalisiren wollen, um den Unterschied zu sehen! Wo bleibt da das Morgenländ[ische] Wiederholen des Chors? Es wird in Französische Wendung umgegossen. Hier will ich noch die Lett[res] Turques von S[ain]t Foix lesen und überhaupt sehen wie dieser delikate Geist den Orientalismus behandelt! Alsdenn die Peruvianerin mit ihrer Französischen Liebesmetaphysik! Alsdenn den guten Terraßon in seinem Sethos! Ramsai in seinem Cyrus und hier wäre die Parallele schön, wie Xenophon den Perser gräcisiret und Ramsai ihn französiret, oder nicht! Alsdenn ein Blick über die Türkischen Spione, Sinesischen und Jüdischen, Iroquesischen und Barbarischen Briefe, über die Französischen Heroiden aus Orient her, über die Orientalischen Erzählungen in den Englischen Wochenblättern, in Wieland, in Sonnenfels, in Bodmer – – um aus allem Verschiedenheit des Genius der Sprache zu sehen. – – Die Griechische Sprache hat eben so wenig von diesen Wendungen des blossen Wohlstandes gewußt, wie es ihre Sprache der Liebe, des Umganges, des Affekts, der Briefe, der Reden zeigt. Daher der jämmerliche Unterschied wenn Euripid und Racine seine Griechischen Liebhaber! wenn Corneille und Sophokles seine Helden sprechen läßt – bei den Griechen ist alles Sinn, bei dem Franzosen alles loser, gewandter Ausdruck. Voltaire hat Recht, daß es schwer sei, Griechische und Lateinische Verse Französisch zu machen und das Corneille dabei viel Kunst bewiesen! Viel Kunst freilich: Voltaire hat wahr, daß aus einem meist 2. werden, weil Wendung und Endreim in der Französischen Sprache gegeben sind, und vorgestochen daliegen! Aber wehe der Sprache, die so was giebt! und vorzeichnet, das sind nicht Olympische Schranken! Hier öffnet sich überhaupt die grosse Frage, ob bei dieser Bildung des Französischen Stelzenausdrucks in der Tragödie nicht viel an Corneille gelegen! an seiner schweren Art sich auszudrücken! an dem Geschmack den er vor sich fand! an der gewandten Ritter- und Höflichkeitssprache, die man liebte, der er aus dem Spanischen folgte! die ganz Europa angesteckt hatte! Und denn, Corneille war ein Normann, so wie die Scuderi, so wie Brebeuf, so wie Benserade, so wie Fontenelle! und haben alle mit ihrem Normännischen Romangeist im Ausdruck nicht eben so viel und mehr zum Verfall des guten simpeln Geschmacks beigetragen, als mans von den Seneka und Persius und Lukans aus Spanien abmißt! Seneka und Corneille, Lukan und Brebeuf, der Philos[oph] Seneka und Fontenelle, wie gut paßen sich die nicht überhaupt. Vom Fontenelle zeigts die Vorrede vor dem Esprit de Fontenelle: von Corneille hats Voltaire in einigen Remarquen gezeigt und wäre über ihn ausführlicher zu zeigen. Von Brebeuf, Scuderi, Benserade, Marot ist alles bekannt! Von hieraus ein Weg über die Verschiedenheit des Ausdrucks in der Griechischen und Französischen Tragödie! und wie viel Corneille auf diese gewürkt! eine grosse und weder vom Elogisten Fontenelle, noch vom Commentat[or] Voltaire berührte Frage. Racine folgte dieser Sprache nach und hat sie zur künstlichsten Versification zugeschmiedet: und Belloi und Marmontel, jener in der Zelmire, dieser im Dionys. und Aristomen u. s. [w.] wie übertreiben sie!

Noch artiger wäre die Aufgabe von der Verschiedenheit des Griechischen, oder Röm[ischen] und Französ[ischen] Wendungsausdrucks in Reden! Hier müßte man Uebersetzungen vergleichen und Original gegen Original halten, Demosthen gegen Boßvet, Cicero gegen Flechier und urtheilen! Daraus entscheiden sich die Inversionen der Französ[ischen] Sprache, über die Batteux und Cerceau und Dider[ot] und Clement so getheilt sind. Ohne Zweifel hat die Franz[ösische] Sprache viele, aber das sind Tours des Wohlstandes! nicht Inversionen für die Einbildungskraft! wie das Latein, wie das Griechische! Diese den Alten ganz unbekannte Sprache, so fern sie ans Dekorum gränzt, würde den zweiten Theil der Krit. W[älder] sehr heben! und wäre völlig neu!

Woher ist aber dieser Geist des Wohlstandes bei den Franzosen entstanden? Aus dem Genie der Nation? die wie StFoix will, schon als Barden das schöne Geschlecht ehrten und schon zu Julius Cäsars Zeiten leichtsinnig und Tänzer waren? Alsdenn aus dem Feudalgeist der alten Franken! wo hier die Gesetze der Ehre und der Monarchie für Montesquieu sich herleiten, da hier die Gesetze der Ehre in der Sprache! Alsdenn aus dem Spanisch-Italienischen Geschmack, der vor dem Jahrhundert Ludwichs die Welt beherrschte! Alsdenn aus dem Hofgeschmack Ludwichs, der die Teniers aus seiner Stube hinwegroch und bei dem vieles aus seinem jugendlichen Romangeist erklärt werden kann! Und endlich aus dem einmaligen Ton, in den sich die Nation gesetzt hat und auf welchen sie andre Nationen besuchen um ihre Höflichkeit zu sehen und zu lernen.

Mit diesem Geist des Wohlstandes geht aber den Franzosen das meiste in[n]re Gefühl weg! So wie die Regelmäßigkeit ihrer Sprache aus Wohlstand immer verschoben ist, daß sie sich nie recht und gerade zu ausdrückt: so macht auch überhaupt der Wohlstand Barrierre für den Geist! Ihr Vive le Roi ist Wort, Ausdruck, den sie empfinden, wie sie alles empfinden, leicht, ohne Jugement, auf der Oberfläche, ohne Grund und dabei sind sie glücklich – sie preisen ihn und dienen ihm und thun alles pour le Roi, auch wenn sie aus der Schlacht laufen! Die Deutschen grübeln schon mehr, murren, wenn ihr König Invaliden die Erlaßung gibt und der Kön. von Frankreich thuts immer: murren, wenn sie nicht aus dem Lande sollen und die Franzosen machen sich eine Ehre draus, es nicht zu wollen! murren bei Auflagen und Verpachtungen, und in Frankreich ist alles verpachtet! Kurz, in Frankreich ist alles selbst bis auf den Namen Ludwichs des Vielgeliebten Ehre des Patriotism, darüber man schreiben möchte: sie wissen nicht, was sie thun? und warum sie es thun! So die Generos[ité] des Franzosen! Sie ist Politesse; selten reelle, Gründliche Freundschaft, E[i]nlaßung in die Situat[ion] des Andern. So selbst ihr Vergnügen: Agrement, Zerstreuung; nicht innerliches Eindringen und daher hat Yorik Recht, daß es eine zu ernsthafte Nation ist: ihre Gayete ist Flüchtigkeit, nicht innerl[iche] Freude. Ihr Lachen ist mit Wohlstand verbunden; daher wenig von dem süßen beseligenden Lachen, das uns den Genuß der Natur zu fühlen gibt: sondern so wie es Clement in s[einem] ersten Briefe bei Gelegenheit des Mechants von Greßet und im letzten bei seinem Der Teufel ist los, zeigt. Daher hat ihre Komödie so grosse Schranken, und schildert nichts als Auftritte des bürgerlichen Lebens, oder Komplimentenscenen, oder Wohlstandsübungen. Worinn sind die Franzosen glücklicher als in diesen? Im Abend nach der Mode, in Visiten, in Stellungen um eine Gruppe zu machen, in Amanten nach den Affenminen des Wohlstandes. Aber den wahren Liebhaber? wer macht den mit dem Händedrücken und Affektiren – den wahren Menschen im Auftritt – das wird gemeinigl[ich] Coup de theatre wie z. E. in de la Chaussee Prejugé à la Mode der beste schönste Auftritt ein Theaterstreich wird. Das kann der Franzose nicht sehen, daß ein gerührter Ehemann wiederkehrt, und zu Füßen fällt, und die ganze Scene sich ordentlich entwickle, dazu muß Masque und Radebrechen in Epigrammatischen Versen, und ein bout rimé nöthig seyn. Das wahre Lachen ist überdem aus der feinen neuen Französischen Comödie so glücklich ausgestorben, als der wahre Affekt von ihrem Trauerspiel. Alles wird Spiel, Schluchsen, Händeringen, Deklamiren, Scene, Bindung der Scenen u. s. w. Von diesem letzten und von dem was Wahrscheinlichkeit des Orts, Zeit, u. s. w. ist, haben sie ein Gefühl von dem der Deutsche weniger, der Engländer nichts fühlt. Und es ist auch in der That nichts als Etiquette des Theaters, woraus sie das Hauptwerk machen. Man lese alle Voltairische Abhandlungen über das Theater und in seinen Anmerkungen über Corn[eille] gleich die erste Anmerkung vom Schweren und Wesentlichen des Theatral[ischen] Dichters, und man sollte schwören, den Cerimon[ien] M[ei]st[e]r, nicht den König des Theaters zu lesen. So wie bei aller Franz. Anordnung der Häuser doch nicht in allem Bequemlichkeit herrscht: so wie sie bei ihren Gesellschaftszimmern ein andres eben so nöthiges vergessen: so wie sie bei ihrem Etiquette sich Lasten aufgelegt haben, die sie nicht aber andre fühlen, so auch bei ihrem Theater, Romanen, und allem, was Scene des Wohlstandes heißt. Welche freiere Natur haben da die Engl[änder], nur auch freilich übertrieben! und was könnten wir Deutsche uns für eine schöne mitlere Laufbahn nehmen. Die Komödie vom Italiener, die Tragedie vom Engländer, in beiden die Französische Feile hinten nach[,] welch ein neues Theater! Da wird keine Zelmire sich mit hundert Verbrämungen es zu sagen schämen, daß sie ihrem Vater die Brust gegeben! Da wird kein Ehemann sich schämen, sich mit seinem Weibe zu versöhnen! Da wird die Opera comique nicht Lieder und petits airs des Wohlstands lallen, sondern Scenen der Empfindung, Lieder der Empfindung haben! und wieviel hätte sie damit gewonnen – o was wäre hierüber zu sagen! – – –


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