Johann Gottfried Herder
Journal meiner Reise im Jahr 1769
Johann Gottfried Herder

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Also ists nur eine gewiße Annäherung an die kältere gesunde Vernunft, die die Franzosen den Werken der Einbildungskraft gegeben haben: das ist Geschmack und ihr Gutes. Es ist aber auch Erkältung der Phantasie und des Affekts, die sie ihm damit haben geben müssen; und das ihr Geschmack im bösen Verstande, der endlich nichts, als das bleibt, was Montesq[uieu] Politische Ehre ist. Dieser grosse Mann gibt auch hierinn eine Bahn zur Aussicht. Griechenland war gleichsam wahre Republ[ik] der Wissenschaften; da galt auch seine Triebfeder, Litt.-Tugend, Liebe zu den Musen. In Rom wars Aristokratie: da schrieben nur einige Vornehme und ihre Tugend war Moderation. Mit einemmal wards Despotism unter der Päbstischen Regierung. Eine andre Art von Gestalt bei der Wiederauflebung, wo es Ehre war die Alten nachzuahmen; das war Aristokratische Monarchie: die Alten das Depot der Gesetze und des Senats. Vergleichung dieses Zeitpunkts mit den Römern, bei denen die Griechen auch ein Depot der Gesetze und Senat waren; aber bei ähnlichem Sitten, Sprachen, Zustande; also minder tyrannisch, minder Venetianisch, wie die letzte. – In Frankreich wars Monarchie! Ehre und wie sie Montesq[uieu] beschreibt, ward Triebfeder in Allem – in England ists Despotism und Demokratie, Shakesp[eare] u. s. w. regieren: und werden verspottet: Bolinbrocke regierte und wird verspottet – was ists in Deutschland. – In Holland Despotism und Schaarwerksarbeit; in Deutschland Akademische Aristokratie, die sich inDer Satz bricht am Anfang der letzten Zeile einer Seite ab.

Wie kann sie in Deutschland nachgeahmt werden? Eben um so weniger, da wir von dieser Monarchie, von diesem Hofzustande, von dieser Honneur in der Litteratur wenig wissen, sie nicht haben können und wo wir sie haben, mit Verlust erkaufen. Der Franzose weiß nichts vom Reellen der Metaphysik und kann nicht begreifen, daß es was Reelles in ihnen gebe (s. Clement bei Gelegenheit Condillacs, Maupertuis, Königs u. s. w. Siehe eben so die Spöttereien Voltaires, Crebillons u. s. w.). Er hat lauter Convention des Gesellschaftlichen in seiner Philosophie, die er hat und sucht; wir lieben Abstrakte Wahrheit, die an sich liebenswürdig ist, und das Faßliche ist nicht Hauptwerk sondern Conditio sine qua non. So auch in der Physik u. s. w. Bei Fontenelle erstickt alles unter Gespräch, in seinen Lobreden alles Materielle unter schöne Wendung, daß die Wissenschaft selbst Nebensache wird. So auch in der Menschlichen Philosophie: bei Roußeau muß alles die Wendung des Paradoxen annehmen, die ihn verdirbt, die ihn verführt, die ihn gemeine Sachen neu, kleine groß, wahre unwahr, unwahre wahr machen lehrt. Nichts wird bei ihm simple Behauptung; alles neu, frappant, wunderbar: so wird das an sich Schöne doch übertrieben: das Wahre zu allgemein und hört auf Wahrheit zu seyn; es muß ihm seine falsche Tour genommen; es muß in unsre Welt zurückgeführt werden, wer aber kann das? Kans jeder gemeine Leser? ists nicht oft mühsamer, als daß es das lohnt, was man dabei gewinnt? und wird nicht also Roußeau durch seinen Geist unbrauchbar oder schädl[ich] bei aller seiner Größe? – Endlich Voltäre gar – was ist bei dem Historie als ein Supplement und eine Gelegenheit zu seinem Witze, seiner Spotterei, seiner Betrachtungslaune? Diese ist an sich schön; sie kann, insonderheit die Deutschen, sehr bilden; nur nachgeahmt werden? in der Historie nachgeahmt werden? Muster der Historie seyn? mit oder ohne Volt[aires] Geist – nie! mit ihm wird die Historie verunstaltet; ohne ihn noch mehr verunstaltet – man lese ihn also als Volt[aires] Einfälle über die Historie! so recht und kann viel lernen. Dies gilt noch mehr die Abstrakten Wißenschaften, die Newtonische Philosophie und am meisten seine Metaphysik. = = Thomas was muß man ihm nehmen und geben, daß er würdig lobe! Geben den Geist der Helden, die er lobt, Sulli, und D'Agueßeaus, Trouins und des Marschalls, und insonderheit Deskartes – hat er den? kann er den haben? Er ist also ihr Deklamateur, was man bei allen, am meisten bei Deskartes, Sulli und dem Marschall sieht: macht Kleinigkeiten groß, und vergißt Grössen: hat so viel ers auch verbergen will, seine loci communes von Erziehung, Schutzgeist, Ungewöhnlichem der grossen Seele, Charakter aus Trüblet und Boßvet: hat noch mehr seine erschreckl[ichen] loci communes bei Beschreib[ung] der Länder, der Wißenschaften, der Völker, Kriege und grossen Unternehmungen – da siehet man die Thomasschen Aufstutzungen, die, ihm genommen, was bleibt übrig? seine Anekdoten, die er anführt, und histor[ische] Umstände! Indessen ist er bei seinen Fehlern zu lesen: diese sind süße, bildende Fehler! aber nicht das sie das Hauptwerk der Lobreden werden. Ein Deutscher, der Wolf und Leibniz lobte, wie anders der?

Rochefoucault! wie entfernt er sich! wie vertieft er sich! seine Hauptmaxime selbst ist nur halbwahr: und welche unmenschliche Anwendung! politisch wahr und vielleicht auch nützl[ich]! aber Menschl[ich] nicht wahr und erniedrigend, demüthigend, nicht beßernd, sondern verschlimmernd – die Ausgeburt eines scharfsinnigen Kopfs, eines witzigen Gesellschafters, der oft betrogen ist, und sich durch seinen Stand ein ernsthaftes Deßus gibt; eines Melanchol[ischen] Temper[aments] und gallichten Herz[en]s. Ich lese meinen Tristram lieber! – Montesquieu endlich selbst; ist er ganz frei vom faux-brillant? man sehe, wie oft er in der Uebersetzung unkenntlich ist, und es zum Theil seyn muß, der Güte und Fehler seiner Sprache halben. Ganz frei vom falsch Philosophischen? noch minder! und seine Uebersetzung in unsre Philosophischere Sprache ist hier noch mehr Zeugin. – Man sieht, die Mühe, die er sich gibt, Abstrakt, tiefsinnig zu seyn: Ideen zu verkürzen um nur viel zu denken zu geben und es scheine, daß er noch mehr gedacht habe: Aufstutzungen kleiner juristischen Fälle und Phänomene unter Gerüste von grossen Aussichten, Continuat[ionen] desselben Sujets, Bemerkungen, Zubereitungen u. s. w. Selbst seine Grundsätze sind wahr, fein, schön; aber nicht vollständig und einer unendl[ichen] Mischung unterworfen: Es gibt Demokratische Aristokratien und v[ice] v[ersa] Aristokratien und Demokratien in verschiedner Stuffe der Cultur diese, der Macht und des Ansehens jene. Aristokratische Monarchien und Monarchische Aristokratien wie z. E. Rom, Florenz u. s. w. diese; jenes Schweden und Polen sind, und selbst diese wie verschieden sind sie? und noch mehr können sie seyn, nach Einricht[ungen], Sitten, Kult[ur,] Macht der Aristokraten und des Monarchs. Monarchischer Despotism, da dieser durch jenen nur gemildert wird, wie unter Ludw[ig] XIV. und Richelieu in Frankreich; und Despotische Monarchie, wie in Preußen und mit schwächern Zügen in Dännemark. Aristokratischer Despotism, wie in Rußland; Demokratischer, wie in der Türkei – Demokratisch Aristokratische Monarchie wie in Schweden; Monarchische Aristokratische Demokratie wie in England, u. s. w. wer kann alle Kleinere Republ[iken] und Staatsverfaßungen durchgehen? in allen Zeiten? Ländern, Veränderungen? Das einzige Rom wie viel hats gehabt? wenn war es sich gleich? Nie! welch ein feines Werk ist da noch aus Montesq[uieu] (G[ei]st der Gesetze) über Montesq[uieu] (G[ei]st der Römer) zu schreiben, was er und Mably nicht geschrieben! – Wie muß er also verstanden, vermehrt, ausgefüllt, recht angewandt werden! wie schwer ist das letzte insonderheit? Das zeigt das grösseste Beispiel, die Gesetzgebung Rußlands! Wie groß für Montesquieu, wenn er so geschrieben hätte, um nach seinem Tode ein Gesetzgeber des größesten Reichs der Welt seyn zu können? jetzt ist ers, der Ehre nach; aber ob auch der Würde, dem würklichen Nutzen nach? Das weiß ich nicht.

Die Monarchin Rußlands setzt eine Triebfeder zum Grunde, die ihre Sprache, Nation, und Reich nicht hat, Ehre. Man lese Montesq[uieu] über diesen Punkt, und Zug für Zug ist die Rußische Nation, und Verfaßung das Gegenbild: man lese ihn über Despotism und Crainte, und Zug für Zug sind beide da. Nun höre man ihn selbst, ob beide zu einer Zeit da seyn können.

Die Ehre will, daß man sich von Mitbürgern unterscheide, schöne, grosse, außerordentliche Handl[ungen] thue: ein Ruße kann nicht diese Triebfeder haben, denn er hat keine Mitbürger: er hat für Bürger kein Wort in seiner Sprache. Der junge Ruße von Stande sieht an Bürgern nichts als Knechte, wovon ich selbst ein redendes Beispiel gekannt habe: der junge Ruße ohne Stand sieht nichts als Pfiffe, wodurch er sich heben kann. Diese Pfiffe sind nicht Geist der Nation, weil sie Grösse des Geistes sind, sondern weil sie Vortheile bringen: so hebt sich der Grosse, wenn er glücklich rebellirt, und der Arme, weil er dadurch reich wird. Beide wagen, als Sklaven, ein letztes! unglücklich oder glücklich! Furcht oder Hoffnung! = ganz also das Gegentheil der Ehre! Ists honett ein betrügerischer Kaufmann, ein Schmeichler, ein Rebell, ein Königsmörder zu seyn? Der Ruße ist alles durch Natur!

Die Ehre will, daß man nicht niedrig schmeichle: der Ruße ist nie andres, als niedrig in seiner Schmeichelei, damit er groß gegen andre sei: d. i. er ist Sklave um Despot zu werden. Die Ehre will, daß man die Wahrheit spreche, wenn es Honetete gebeut; der Ruße sagt sie denn am wenigsten, und wenn es auch nur der geringste Vortheil wollte. Die Politeße der Rußen ist grob Despotisch z. E. im Saufen, Küssen u. s. w. hat grobe Ehre; oder ist grobe Gewohnheit; oder endlich Betrügerei. Kein Ruße ist fein, um zu zeigen, daß er nicht grob und niedrig ist: denn sonst würde ers immer seyn, auch gegen Bediente, Untere u. s. w. sondern gegen die ist er eben Despot. Solche Sitten haben sich z. E. dem Rathe in R[iga] selbst eingeflößt, und der dicke B. ist ein Muster Rußischer Politesse: sein Anhängling hat wahrere Französische, um ihr selbst willen, daß er doch nicht B. sey.

Diese Triebfeder ist also nicht blos nicht; die Sklavische Furcht ihr Gegentheil ist um so mehr würksam. Wie kann jene nun zur Triebfeder genommen werden? Damit sich der Hof betrüge! damit das Gesetzbuch nie gehalten werde! damit eine völlige Verwilderung einbreche! Der Furcht und ihren greulichen Unternehmungen wird nicht zuvorgekommen, sie nicht eingehalten, sie nicht gelenkt: die Gesetze sind zu gelinde! Von der andern Seite werden Gesetze keine Ehre einflössen, diese also nicht würksam machen: der Staat hat also keine Triebfeder; er wird Despotische Aristokratie, oder wenigstens Demokrat. Aristokr. Despotism. bleiben, und sich in eine grosse Umwälzung hineinrollen, so bald das Gesetzbuch und nicht die Person eines Prinzen regiert. Diese regiert jetzt: wird sie aber immer regieren?

Die Monarchin will, um ihre Nation nicht zu schmälern, den Despotism verkennen, in der Triebfeder: vielleicht verkennet sie ihn auch im Effekt: denn wie und welche Art und woher sie regiert, ist sie keine Despotin und kann es auch nicht seyn. Aber sieht sie denn keine Despoten ihrer Selbst? sieht sie keinen Senat, Grossen u. s. w., denen sie sich bequemen muß. Und was ist nun ärger, als ein Aristokratischer Despotism? = = Sie sieht nichts als Aristokratische Republik im Senate: sie ehrt ihn mit dem Namen eines Depots der Gesetze u. s. w. sie nimmt Regeln aus einer Republik her, um sie auf ihn zu passen. Grosse Kaiserin! wie unrecht genommen! = = Diese Herren stellen sie das Reich vor? sind sie aus dem ganzen Adel des Landes genommen? durch rechte Wege hineingekommen? sind sie die Gewährleute der Gesetze, da Rußland keine Gesetze hat? haben sie die gehörige Macht zu wiedersprechen? die gehörige Triebfeder fürs Reich zu reden? was ist ihr Reich? ihre Unterthanen? Die sind Sklaven. Dein Reich! Große Kaiserin! Nein! ihr Palais, Güter, Luxus, Bedürfniße, Parthen, die sie durch Geschenke gewonnen, das ist ihr Reich, dem sie dienen! für das sie alles thun werden – für welches sie Pöbel für Dir sind, um Despoten über Dich und das Reich zu seyn; welche Republik! welch eine Zerstreuung! = = und nun wo ist Montesquieu an seiner Stelle. Ein zweiter Montesquieu, um ihn anzuwenden!

Die Normandie = o Land, was bist du gewesen? Wo ist dein Geist der Galanterie und des Heldenthums, der Gesetze; und der Erziehung, wo ist er? und wie groß war er? was hat er nicht in Europa ausgerichtet? in Frankreich, in England, in Neapel, in Sicilien, in Italien, in Asien durch die Kreuzzüge, in Cypern, in der Welt? Eine Geschichte von ihm wäre mehr als eine Geschichte des Französischen Patriotismus: sie enthielte zugleich einen grossen Theil des Ritter- und Riesengeschmacks, mithin der Französischen, Englischen und Italienischen Litteratur. Und wohin ist dieser Geist verflossen? Er hat sich im Fluß der Zeiten verdünnet, er ist in Orden und Cerimonien, in Kreuzzüge und Wanderungen verflossen: er ist nicht mehr. Indessen warens doch noch meistens aus der Normandie, die die berühmtesten Schriftsteller Frankreichs gewesen: Marot, Malherbe, Sarrazin, Segrais von Kaen: Scuderi von Havre, die Corne[i]llen, Brebeuf, Fontenelle von Rouen, Benserade dabei, und der Kardinal Perron aus Niedernormandie. Einer in den Ana zerbricht sich darüber den Kopf wie dies mit dem Phlegma der Provinz zu reimen sey: ich hätte Lust hievon zu abstrahiren, und die zweite Wiederauflebung ihres Geistes hier zu suchen.

In Frankreich: alles spricht hier Französisch, so gar Piloten und Kinder! Man legt die letzte Frage einem Deutschen Bedienten in den Mund und es wird Buffonnerie. Wie viel Sachen aber sind nicht von den Alten, die wir so untersuchen, daß uns nur immer ein Bedienter diese Frage zuruffen sollte. So wenn wir die Griechische Sprache im Homer untersuchen: diese Sprache muß man alsdenn denken, sprachen alle Kinder! verstanden alle Leute! Poeten und Narren sangen sie auf den Gassen. Das waren Götter des Volks und des Pöbels! Geschichte und Heldenthaten des Volks und der Kinder! Accente und Sylbenmaasse des Volks und der Nation! So muß man sie lesen, hören, singen, als ob man sie in Griechenland hörte, als ob man ein Grieche wäre! = = Was das für Unterschied gibt zwischen einer lebendigen und todten Sprache, das weiß ich! Diese lieset man mit den Augen: man sieht sie; man hört sie nicht: man spricht sie nicht aus: man kann sie oft nicht aussprechen, wenn man sie gleich verstehet. So entbehrt man allen lebendigen Klang, und bei einem Poeten, bei einem Griechischen Poeten allen lebendigen Wohlklang: alles malende im Ton der Wörter. alle Macht des Sylbenmaasses, des Schalls, der Annehmlichkeit. So wenig ich alle Süßigkeiten in Voltairs Sylbenmaassen fühlen kann: so wie ichs immer mehr lernen muß, sie in ihm und Greßet und Racine zu fühlen; tausendmal mehr mit der lebendigen, tönenden, im Leben abgezognen, lebendig gesungnen Griechischen Sprache. Welche Zauberei gehört dazu, sie zu singen, nicht zu deklamiren, sondern zu singen, zu hören, wie sie Io bei Plato sang und hört und fühlte und wer kann das? = Wie viel Bemerkungen Clarks, Ernesti fallen da nicht weg! werden unleserlich! unausstehlich! In Holland will ich Homeren so lesen und den dürftigen 2t. Th. meiner Crit. W[älder] damit vollfüllen! =

Zweitens! fällt mit der todten Sprache aller lebendige Accent weg: die Flick- und Bindewörter, auf die sich die Rede stützt, wenn es auch nur ein eh bien! ma foi! u. s. w. seyn sollte, aber so hörbar ist, um Leben oder nichts zu geben. So sind im Französischen das n'allés pas etc. das je m'en vais etc. und 1000. andre Ausdrücke, und viele Phrases, Bindewörter, u. s. w. müßens im Griechischen seyn. Hier ist Clarke sehr zu brauchen und für mich zu wünschen, daß ich einen gebohrnen Griechen fände oder selbst nach Griechenland käme, auch nur, wie es jetzt ist: um diesen lebendigen Ton des Sinnes, den Accent des Ausdrucks u. s. w. zu hören, um NationalGriechisch sprechen zu können. Wie viel 1000. kleine Unterschiede gibts da nicht, bei Construktionen, temporibus, Partikeln, Aussprache, die man blos durch die lebendige Rede hört. Die Franzosen z. E. scheinen mit ganz andern und höhern Organen zu reden, als wir: unsre scheinen tiefer im Munde und Rachen zu liegen: so Holländer, Engländer; jene höher, öffnen mehr den Mund: insonderheit wird das beim Singen merklich. Daher auch mit je höhern Organen man spricht, man Musikalischer wird und sich dem Gesange nähert: s. Roußeaus Wörterbuch unter Accent, Schall, Ton, Stimme u. s. w. Die Deutschen singen also wenig oder gar nicht: der Franzose mehr: der Italiener seiner Sprache und Organen nach noch mehr: der Grieche noch mehr und sang. Das gehört zu haben, so sprechen zu können, so die Sprache in allen Accenten der Leidenschaft kennen: das heißt Griechisch können. O könnte ich Homer so wie Klopstock lesen! Skandire ich nicht: welch andrer Poet! Weiß ich für die Leidenschaft und Natur ihn zu scandiren; was höre ich da nicht mehr! Welche Verstärkung, Stillstand, Schwäche, Zittrung u. s. w. O sänge mir Homer, Pindar, und Sophokles vor.

Drittens endlich; der Sinn und Inhalt der Rede: Lieblingsausdrücke und Bezeichnungen der Nation: Lieblingswendung und Eigenheit in der Denkart – Gott! welcher Unterscheid! Wie hier der Franzose das Jolie liebt, immer vom Amusanten spricht, von Honnetete, die bei ihm ganz was anders ist; was hatte da der Geist der Griechischen und Lateinischen Sprache? Nicht, was das Wort heißen kann, nach ein Paar Wörterbüchern; sondern nach dem Sinn des lebenden Volks, hier, jetzt, und mit Eigensinn heißet? So muß Thersit charakterisirt werden und alle Charaktere und Homer und Alles! Welch ein Feld zu lernen, den Geist der Griechischen Sprache zu lernen! nach Zeitaltern und Schriftstellern. Da muß man aber in der Erziehung ein Monta[i]gne und Shaftesburi gewesen seyn und lebendig Griechisch können, oder kann nichts! Welche grosse Sache, wenn ein Professor der Gr[iechischen] und Lat[einischen] Spr[ache] diese so kann! nicht durch Wörterbücher, und Grammatik, sondern durch ein feines innerliches Gefühl, was uns unsre Ammen beßer beibringen, als unsre gelehrte Aristarche! Dies feine Gefühl am Sinn der Worte, der Redarten, der Construktion, des Klanges haben es im Lateinischen Geßner und Ernesti? hat es Klotz gehabt? kann er Geßner und Christ und Crusius beurtheilen? Wie beurtheilt er sie und Reiske und Sannazar insonderheit und Vida u. a.? Hier muß man sich aus den alten Lateinern und aus den neuen Italienern und aus den Favoritsprüchen in ana bilden, und ja gewisse Jahre und Fertigkeiten und am meisten lebendige Eindrücke nicht versäumen. Hat Ruhnke dies Gefühl im Griechischen? Herel im Griechischen? Heine nicht im Lateinischen! das wäre Weg ihn zu loben (im 2t. Th. der Kr[it]. Wälder) Hats Klotz in Absicht auf Horaz? Hats Algarotti in Absicht auf diesen mehr? Wie sind in diesem Betracht die verschiednen Urtheile verschiedner von einem Manne zu vereinigen! Siehe die Bibliothek der ana p. 84. 85. u. s. w. Hat Lambin, B. – – – und Ramler ein solch Gefühl von Horaz! Klotz von Tyrtäus, Weiße? = = Dies ist auch der beste Weg mich herauszuziehen, wo man mich der Wörtlichen Schwäche im Gr[iechischen] und Lat[einischen] beschuldigt. Hiedurch werden die Krit. Wälder sich im 1. und 2. Th. sehr heben und das soll Holland thun! So will ich in Frankreich Französisch, in Holland Lateinisch und Griechisch, in England Englisch, in Ital[ien] Italien[isch) und Lat[einisch] und Gr[iechisch] lernen: ei wo Hebräisch und Arabisch? = = ja aber, das ich nirgends die Frage vergesse: in Frankreich reden auch die Kinder Französisch?


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