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8. Überfall am schwarzen Flusse

Hoch über dem glänzenden Streif des Solimões, der wie ein metallener Spiegel zwischen dem blaugrünen Teppich der Wälder lag, mahlten die Schrauben des Marryat-Deckers ihren wirbelnden Kreis. Unter einer Kuppel von Stahl, sich wie ein Messerblatt durch die Luft schneidend, glitt das schneeweiße Flugzeug, das Professor Child und Harald Kenyon trug, vorwärts gegen Nordosten – dem Lauf des Riesenstromes folgend, der noch vielfach in einen durchsichtigen Schleier gehüllt, schnell unter ihnen hinwegflog.

Unter ihren Füßen, kleiner und kleiner werdend, kroch das Dampfboot, das die Freunde stromab führte.

Dick Dabny stand am Steven des »José Pombo«, mit dem Fernglas den Marryat-Decker verfolgend, der sich in gigantischen Spiralen in den Azur hinaufschraubte. Er stellte fest, daß das Flugzeug klein wie ein Insekt geworden war, und als der Dampfer, eine mächtige Rauchfahne hinter sich herschleppend, vorsichtig durch die Mündung des Ucayali lavierte, entschwand es gänzlich der Sicht. Die Lancha, die Bento Araúyo wieder heimwärts tragen sollte, war schon vorher den Blicken entschwunden. Jetzt fesselte der mächtige Andenstrom die Aufmerksamkeit aller, der Ucayali, der »große Rauscher«, wie er in seinem Oberlaufe, dem Apurimac, heißt. Gewiß nicht zu Unrecht, denn sein Tal ist eines der wildesten der Kordilleren überhaupt, eine enge Erosionsschlucht, in deren Tiefe der blaugrüne Fluß tobt und braust, um allmählich von viertausend Meter bis auf dreihundert zu fallen. Aus derselben Höhe kommt sein zweiter südlicher Quellfluß, der an gewaltigen Felsschluchten, Wasserfällen und Stromschnellen so überreiche Urubamba. Von der Einmündung des Urubamba und des Apurimac-Tambo bis Pará legt der Ucayali die gewaltige Strecke von fünftausendsechshundert Kilometer zurück. Kein Wunder, daß er bei seiner Vereinigung mit dem Maranhão unterhalb von Nauta den Amazonenstrom oft bedeutend an Breite übertrifft, dann besonders, wenn ihn seine ausschließlich im peruanischen Hochlande entspringenden Nebenflüsse mit ungeheuren Wassermassen speisen und anschwellen lassen. Der Maranhão pflegt erfahrungsgemäß, wegen des späteren Beginnes der Regenzeit in Ekuador, erst zwei Monate danach anzuschwellen. So kommt es, daß Reisende beispielsweise im November den Ucayali merklich breiter vorfinden als den Maranhão, während andere ihn zu einer andern Zeit nur halb so breit und wieder andere ihn ebenso breit dahinströmen sehen wie diesen.

Das Indianerdorf Omaguas, einst als San Jachimo d'Omaguas eine blühende Mission, blieb unweit der Mündung des Ucayali zur Linken liegen, dann hielt der »José Pombo« auf die nördliche Fahrtrinne zu. Am nördlichen Ende der langgestreckten Flußinsel tauchten die Hütten von San Carlos aus dem Grün des Uferwaldes, und noch am selben Tage wurde die sich schon von weitem durch die langen Dächer ihrer Faktoreien ankündigende Stadt Iquitos erreicht. Kapitän Loja vergewisserte sich hier, daß der »Rodrigues Alves« seinen Kurs auf Loreto fortgesetzt hatte. Ebenso hatte das Flugzeug Professor Childs seinen Flug ostwärts gehalten. Professor Childs Pilot sollte in Iquitos bleiben, um das Gepäck der Hilfsexpedition nach Loreto weiterzuleiten. Gleich bei der Ankunft gab er das Telegramm nach Manaos auf, das die andern Expeditionsteilnehmer über die geänderten Reisepläne in Kenntnis setzte.

Auch Dick Dabny und Miquelino waren nicht müßig. Ersterer hatte alle Hände voll zu tun, um seine Reiseausrüstung zu ergänzen, denn es war damit zu rechnen, daß von Loreto aus, bis wohin nur noch dreihundertfünfzig Kilometer mit dem Dampfer zurückzulegen waren, gleich nach dem Eintreffen in die Wildnis aufgebrochen werden mußte. Daß man sich dann im wahrsten Sinne des Wortes am Rande der Zivilisation befand, darüber hatte es unter allen, die jenes außerordentlich unzugängliche Waldgebiet aus eigener Anschauung oder vom Hörensagen kannten, nur eine Stimme gegeben. Auch Kapitän Loja hatte nur warnen können. »Es ist Indianerland, ganz gleich, ob Sie sich zu Lande oder im Boote vorarbeiten. In seine geheimnisvollen Tiefen hat schon mancher einen Blick getan, aber gar mancher ist nie zurückgekehrt.«

»Ich weiß schon,« hatte Dick Dabny geantwortet, der gleich den ersten Abend mit Kapitän Loja bei einer guten Flasche Freundschaft geschlossen hatte. »Curupira will das nicht. Er ist halb Jaguar, halb Baumaffe und wirft mit Riesenschlangen und Schildkrotäxten um sich herum, um die kleinen Kinder davonzujagen, die seinen Wald betreten wollen. All das hat mir Huallatingo, unser Cholo, gleich am ersten Abend erzählt. Damit schrecken Sie uns nun nicht mehr. Wenn Curupira unser Flugzeug rasaunen hört, wird er sich genau so geschwind seitwärts in die Kaktusbüsche schlagen wie die Rothäute von Nauta.«

»Ich will's Ihnen wünschen, aber verlassen Sie sich nicht unbedingt darauf! Rechnen Sie damit, daß in jenen Zwielichtwäldern ein Affe schon ein begehrtes Frühstück bildet!«

Daraufhin kaufte Dick Dabny so viel Büchsenfleisch, als Huallatingo und Bento in zwei Stunden aufs Schiff schleppen konnten. Auch ein anderes Zugeständnis machte er den zu erwartenden Schrecken des Waldes: er nahm in Iquitos Abschied von seinen Lackstiefeletten. Unnötig reizen wollte er die Anakondas nicht.

Miquelino und Prieto suchten an jenem Abend, wo der »José Pombo« einen Teil seiner Ladung umschlug, alle Caucheros und Orchideenjäger auf, von denen sie hörten, daß sie aus dem Stromdreieck des unregulierten Grenzgebiets nach der Stadt gekommen waren. Sie saßen mit den wetterharten, bärtigen Gesellen in den Posaden und Venten – den kleinen Schankstätten in den Kramläden – und horchten sie aus, ob sie zwischen Loreto und Calderon auf die Ruinen eines alten Klosters gestoßen seien. Keiner kannte eine Kartause des Namens ›Semana santa‹. Dafür tauchte wieder der Name des alten Klosters ›Santa Catalina‹ auf, das zuerst der italienische Padre erwähnt hatte. Ein Orchideenjäger wollte vor einigen Jahren die Ruinen gesehen haben und gab zu, daß sie unter glücklichen Verhältnissen in vier Tagemärschen von Loreto aus zu erreichen seien.

»Was verstehen Sie unter glücklichen Verhältnissen? Meinen Sie außerhalb der Regenzeit?«

»Nein. Ich meine, wenn dort nicht gerade einer der roten Stämme herumschwärmt und das ganze Gebiet unsicher macht.«

»Sie liegen sich immer in den Haaren,« rief ein Gummisammler. »Ich konnte mich nach Tabatinga durchschlagen, aber ich hörte, daß Marubos und Tekunas an der Grenze sich wieder einmal beim Schopfe haben. Man wird es Ihnen in Loreto bestätigen.«

Das wichtigste Ergebnis der Umfrage blieb die Aussage des Orchideenjägers. Miquelino erbat sich von ihm eine Skizze der Gegend, wo er auf die Trümmer des Klosters ›Santa Catalina‹ gestoßen war, von dessen genauer Lage selbst der italienische Padre in Loreto nichts hatte erfahren können. Der Mann strengte sein Gedächtnis an und brachte eine Zeichnung zustande, die gewiß kein formvollendetes Kroki darstellte, aber immerhin einige wesentliche Anhaltspunkte zur Orientierung nach Flußrinnen und Waldinseln gab. Bei den einzelnen Merkmalen dieser Kartenskizze notierte der gefällige Mann die Zeiten, die er seines Erinnerns von dem einen bis zum andern Punkte gebraucht hatte, und bezeichnete vornehmlich die Stelle, wo das ehemalige Kloster liegen sollte.

Miquelino dankte herzlich; er wollte nur noch wissen, woher der Orchideenjäger den Namen des Klosters kenne, den weder Karten, noch die frommen Brüder in Nuestra Señora di Loreto der Lage nach anzugeben imstande seien.

»Das letzte glaube ich wohl. Die Überreste des Klosters sind zu armselig, als daß eine große Karte sie verzeichnen könnte. Ja, es steht nicht einmal fest, ob die Trümmer überhaupt von einem Kloster herrühren. Möglich, daß dort ein einzelner Eremit gehaust hat. Es sind umgestürzte Mauerreste und ein paar Erdlöcher – das richtige Dorado für Schlangen und andres Gewürm. Daß die Leute von Loreto den Schutthaufen nicht kennen, erklärt sich aus der großen Entfernung. Es sind Wälder, in die sich von zivilisierten Menschen bestenfalls ein verwegener Gummisammler oder unsereins einmal verirrt. Den Namen ›Santa Catalina‹ nannte mir, soviel ich mich erinnere, ein Kamerad, der damals gutes Mutes mit mir auszog und wenige Wochen später tot in einem Igarapé am schwarzen Cajaru (Fluß, der sich östlich Loreto in den Amazonas ergießt) aufgefunden ward. Porraqués (Zitteraale, Gymnotus electricus) hatten ihn durch elektrische Schläge gelähmt. Er war ohnmächtig zusammengebrochen und ertrunken. Solche und andere Gefahren lauern auf Schritt und Tritt. Wie durch ein Wunder bin ich damals der Umarmung einer Suçureju (in Brasilien gebräuchlicher Name für die Riesenschlange Anakonda) entgangen, und die Zahl der giftigen Ottern ist Legion.«

»Wir werden auf der Hut sein. Nochmals unsern Dank!« Miquelino und Prieto erhoben sich. Harte Hände drückten sich zum Abschied.

Am nächsten Morgen ging der »José Pombo« Anker auf, und hinter ihm verlor sich die Mündung des fünfhundert Fuß breiten Rio Nanay hinter einem Vorsprung des linken Ufers mit seinem Teppich von rötlichem Gras, das von der Sonne versengt war. Wieder ging es durch ein Gewirr malerischer Inseln, die meist die Namen der bei ihnen einmündenden Flußläufe trugen, so die Eilande Bacali, Chochio und Puccalpa an der linken, und die Inseln Itinilari, Maniti, Moyoc und Tuyuca an der rechten Seite. Hinter der Insel Sinicuro führte von Nordwesten der reißende Rio Napo in einer etwa achthundert Meter breiten Mündung seine opalgrünen Fluten dem Amazonas zu, der, vielleicht infolge des Einflusses dieses Zustroms, nun wieder eine östliche Richtung annahm.

»Hier beginnt das Gebiet der Marubos,« sagte Kapitän Loja zu Dick Dabny, der mit Miquelino an der Reling stand. »Wild aussehende Gesellen, aber nicht alle wilde Rothäute. Mitunter trifft man sie auch auf der Nordseite des Flusses. Das hat dann meist nichts Gutes zu bedeuten.«

»Wie jetzt,« sagte Miquelino. »Der Mann in Iquitos erzählte gestern, daß sie sich mit den Tekunas in den Haaren liegen.«

»Das ist wohl möglich. Wir auf dem Fluß erfahren das nicht. Aber Ihre Quelle wird schon richtig sein. Händel haben diese Stämme immer. Für Sie ist es wichtig, genaue Auskunft darüber einzuziehen, da Sie mir ja erzählt haben, daß Ihr Moßjöh Duponne sich mit den Marubos gemein gemacht hat.«

»So sagte man uns,« Dick Dabny nickte. »Sie wollen sagen, daß wir uns infolgedessen besser auf die Seite der Tekunas schlagen? Sind das angenehme Bundesgenossen?«

»Ich bin noch mit keinem der roten Stämme zu Felde gezogen. Ich bin Pazifist, was soviel heißen soll, daß ich zu den Leuten gehöre, die kein Mittel unversucht lassen, ehe es zum Blutvergießen kommt. Ich wollte sagen: machen Sie einen großen Bogen um die friedlosen Burschen!«

»Das hängt ganz davon ab, ob sie unsere Zirkel stören oder nicht, verehrter Kapitän. Ist das letztere der Fall, sollen sie schnell genug merken, daß mit uns nicht gut Kirschen essen ist – oder wie auf Indianisch der betreffende Fachausdruck lautet. Daß wir nicht in Filzschuhen und in Glacéhandschuhen zu unserer Kartause aufbrechen, ist wohl klar, und ebenso, daß wir uns in Loreto eine Handvoll fester Jungen mieten. Sind die Tekunas handfeste Burschen?«

»Es sind noch keine unter mir als Matrosen gefahren, aber ich glaub's wohl.«

»Dann ist alles richtig. Wie heißt das Dorf da drüben?«

»Bella Vista. Nun kommt bald der Rio Ambiyacu, und dann legen wir in Pebas an.«

Es zeigte sich, daß auch Pebas, einst ein vielgenannter Missionsort, längst wieder zum armseligsten Dorf herabgesunken war. Eine alte Missionsstation, San José, lag, wie die Karte zeigte, ungefähr fünf Stunden nördlich des Dorfes im Urwalde, und hier wies die Karte auch eine ausgedehnte Strecke hohen Landes, einen Bergrücken, der sich bis zum Putumayo und weiter zum Yapura hinzog. »Unter Umständen,« meinte Dick Dabny, »haben wir, wie's scheint, auch noch mit Bergpartien zu rechnen.«

»Das wäre noch lange nicht so schlimm wie die Sümpfe,« bemerkte Kapitän Loja, »mit denen dürfen Sie bestimmt rechnen.«

Das Flußbett erweiterte sich allmählich – bei Iquitos war der Strom noch achtzehnhundert Meter breit gewesen, jetzt waren es weit über zwei Kilometer – aber auch die Inseln waren zahlreicher und damit der durch diese Hemmnisse eingeengte Strom stärker. Die große Insel San Pablo wurde mit größter Vorsicht vom »José Pombo« umschifft. Eine Strecke weiter, bei Moromoros und ebenso am Furo-Kanal, der nach dem Caballocochasee führt, lagen zwei alte Heckraddampfer als Wracks, nachdem sie den Untiefen zum Opfer gefallen waren. Endlich ward hinter der Flußinsel Tarapote Loreto gesichtet. Eine halbe Stunde später ließ Kapitän Loja dicht neben dem »Rodrigues Alves« den Anker in die gelbe Tiefe rasseln. Harald Kenyon stand winkend am Ufer.

»Hoffentlich haben Sie sich so gut erholt, wie ich mich während des herrlichen Fluges erholt habe,« rief er, nachdem er Dick Dabnys Hand geschüttelt hatte. »Was war das für ein Fliegen! Welch riesenhafte, strahlende Landkarte unter uns ... dieses grüne, vom Riesenband des Amazonas durchzogene Land, grüne Pflanzungen, schwarze Wälder ohne Grenzen, braune Hügel, glänzendes Wasser! Die Augen flammten in das Wunder der Naturschönheit, die so zu schauen, wie wir sie schauten, bisher nur wenigen beschieden war.«

»Halb so wild!« dämpfte Dick Dabny die helle Begeisterung. »Ich kenne den Zustand, zwischen Himmel und Erde zu schweben. Wenn ich nicht irre, verdanke ich ihm Ihre Bekanntschaft ... damals, als die beiden bezopften Jünglinge mich fliegen lassen wollten. Im übrigen, warum fragen Sie, ob ich mich gut erholt habe? Habe ich je zu Klagen Anlaß gegeben?«

»Gewiß nicht, lieber Dabny! Ich frage nur, weil wir in kürzester Frist von hier aufbrechen müssen – so das Geschick will, mit gutem Erfolg zum ersehnten Ziel. Als der ›Rodrigues Alves‹ hier beidrehte und Duponne mit Leoncito das Schiff verließ, hatte ich schon alle Netze gelegt.«

»Ausgezeichnet! Und der Hecht zappelt darin? Sie lassen ihn seitdem bewachen? Ist er noch im Orte?«

Kenyon nickte. »In der Indianer-Venta am Platz, die sich ›El Consuelo‹ – ›der Trost‹ – nennt, ist er untergekrochen und wird seitdem unauffällig beobachtet. Wir haben zuverlässige Leute gemietet. Seit Professor Child zu uns gestoßen ist, konnten wir wählerisch die besten Fährtensucher mieten, und auch sonst gestatteten die größeren Geldmittel, die uns jetzt zur Verfügung stehen, daß wir unsere Expedition so ausrüsteten, daß wir zufrieden sein können. Die Indianer, die sich an Leoncito herangemacht haben, konnten bereits erkunden, daß Duponne morgen in aller Frühe aufbrechen will. Wir haben Tekunas gemietet ...«

»Sehr vernünftig! Die können ja keinen Marubos ausstehen.« Dabny und Miquelino berichteten, was sie in Iquitos erfahren hatten. Kenyon nickte. Auch er hatte von den kriegerischen Streifzügen gehört. Mit lebhafter Spannung vernahm er den Bericht, den Miquelino über sein Gespräch mit dem Orchideenjäger erstattete. Lange hielt er die Kartenskizze in der Hand. »Es drängt sich mir immer mehr die Überzeugung auf,« sagte er, »daß jene Trümmer, die ›Santa Catalina‹ genannt werden, dieselben sind, die wir suchen. Die Entfernung stimmt ganz zu der Lage, die wir uns von unserer Kartause ›Semana santa‹ vorstellen müssen.«

Dieser Ansicht schloß sich auch Professor Child an, mit dem noch bis spät in den Abend hinein alle Verhaltungsmaßnahmen in einer Posada besprochen wurden. Man hatte herausbekommen, daß Duponne außer mit Leoncito noch mit drei andern Marubos seine Herberge verlassen wollte. Die Leute hatten ein Pferd mitgebracht, das einen Reitsattel trug. Kenyon hatte Pferde und Tragtiere besorgt; mit ihnen und den Tekunas wollte er Duponne folgen, während Professor Child die Ankunft seiner Kollegen Salton und Peacock erwarten und inzwischen die andere Hälfte der Hilfsexpedition ausrüsten wollte. Mit dem Flugzeug wollte er zunächst nicht folgen, da alles darauf ankam, nicht Duponnes Argwohn zu wecken.

»Dazu ist immer noch Zeit, wenn Ihnen Gefahr droht,« sagte er. »Die wäre ganz beseitigt, wenn unser Funkergerät schon zur Stelle wäre, das Salton und Peacock mitbringen. Das ist nun leider nicht der Fall, und die Aufnahme der Spur erlaubt keinen Aufschub. Wir müssen also zum alten System der Meldegänger zurückgreifen, wenn Sie etwas Wichtiges mitzuteilen haben.«

»Unnötig werden wir Sie nicht alarmieren,« sagte Dick Dabny. »Die Hauptsache ist, wir können uns auf die Ehrlichkeit unserer indianischen Begleiter verlassen. Im übrigen zöge ich am liebsten noch in dieser Stunde los. Ich werde vor Reisefieber kein Auge schließen können.«

Gleich darauf streckte er sich in die weichen Kissen und war sofort eingeschlafen; er schlief fest und tief, bis im Morgengrauen das Leben in der Posada erwachte. Prieto hatte sich zu den Wachposten gesellt und war eben mit der Nachricht gekommen, daß Duponne sich anschicke, mit Leoncito und den drei andern Marubos die indianische Venta zu verlassen.

Es war heller Sonnenschein, und die schneidend hellklingende Glocke der Kirche von Nuestra Señora di Loreto rief zur Frühmesse, als Kenyon mit seinen Begleitern von Professor Child Abschied nahm. Auf der einen Seite der Plaza wurde marsch- und rittfertig noch einmal halt gemacht; es erschien angezeigt, vorerst nur durch Verbindungsleute dem Trupp Duponnes zu folgen, denn von ihnen vorzeitig bemerkt und als Verfolger erkannt zu werden, war nicht weniger schädlich, als wenn die Spur verlorenging.

Als sich aber die Plaza, der einzige einigermaßen stattliche Teil des Ortes, der armselig genug dalag, obwohl er Sitz des Departamento war, mit Landbevölkerung und Neugierigen füllte, folgte der entscheidende Aufbruch. In wenigen Minuten war der Saum der Stadt erreicht. Wiesen und Äcker, in denen verstreut ein paar letzte Hütten lagen, waren schnell auf gangbaren Wegen überquert; dann endeten ein paar sich gabelnde Feldwege in einer in wilder Tropenüppigkeit grünenden Waldschlucht, die, obgleich jetzt trocken, offenbar zu Zeiten unter Wasser liegen mochte. Man bemerkte einen völlig verrosteten Schienenstrang einer Feldbahn und traf einige hundert Schritt weiter auf die Trümmer einer kleinen Lokomotive. Sie lag umgestürzt im hohen Grase, aus dem Schornstein wucherte ein Strauch, und dieser schien ein vertrauter Platz für wilde Tauben und kleine schwarze Finken zu sein. Diese längst verfallene Feldbahn und einige Holzfällerhütten auf einer gleichfalls schon wild überwucherten Rodung waren die letzten Denkmäler menschlicher Arbeit. Was dann kam, war undurchdringlicher Wald, der, so weit das Auge reichte, mit dichtem Busch- und Strauchwerk umzogen war.

Der beschrittene Pfad, der in die grüne Wirrnis führte, war ohne Schwierigkeit gefunden, denn vom ersten Schritte aus dem Orte an hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit den Huf- und Fußspuren gegolten. Sie waren so unverkennbar und kehrten an jeder feuchten Stelle so übereinstimmend wieder, daß es nicht des vielgerühmten indianischen Falkenblickes bedurfte, um ihnen folgen zu können. Zudem waren zwei der gewandten Indianer längst vorausgeeilt und hatten Weg und Richtung festgestellt, die Duponnes Trupp genommen hatte.

Dann stiegen kerzengerade, vierzig und fünfzig Meter hoch, die Urwaldstämme empor, aber sie standen nicht dicht genug, um mit ihren Wipfeln und Kronen die Sonnenstrahlen abzusperren. Auch der Fação brauchte nicht den Weg zu bahnen; wohl war der Pfad so schmal, daß mehr als einmal die Reiter aus dem Sattel steigen und die Tragtiere von der Carga befreien mußten, um den Durchgang zu erzwingen, aber es war ein begangener Steig, auf dem das Waldmesser saubere Arbeit gemacht hatte. Mitunter wies eine der armdicken Lianen eine frische Wunde auf. Hier mochten Duponnes Begleiter die Seile des Waldes durchhauen haben, die erfahrungsgemäß oft in einer einzigen Nacht von der wachstumsfreudigen Kraft der Erde von einem Baum zum andern gerankt werden.

Ohne Pausen begleitete die vorsichtig Vordringenden das vielstimmige Morgenorchester der gefiederten Welt, und Dick Dabny bedauerte, daß er nicht mit einstimmen dürfe, obwohl er bisher noch niemals Proben seiner Sangeskunst zum besten gegeben hatte. Es verstand sich von selbst, daß möglichste Lautlosigkeit beobachtet wurde, denn der Weg, oft in wunderlichen Krümmungen abirrend, aber doch die allgemeine Nordostrichtung einhaltend, blieb unübersichtlich. Immer wieder mußte das Zeichen zum Halten gegeben werden, um erst einmal wieder die Späher das Feld absuchen zu lassen. Wenn sie meldeten, daß die Luft rein sei, nickte der ganz in blauen Zigarrenqualm gehüllte Dick Dabny befriedigt, und der Vormarsch durfte fortgesetzt werden. Bento hatte es sich nicht nehmen lassen, sich mit Kaiman an die Spitze zu setzen, und das kluge Tier schien zu wissen, worauf es ankam; seine Spürnase ließ die Fußspuren der erst in Loreto hinzugekommenen Begleiter Duponnes unbeachtet, während er wiederholt den Boden beschnüffelte, wo dann die Spuren Leoncitos mit Sicherheit von Prieto festgestellt wurden. Dieser alte Picador und Gaucho hatte nicht zu viel gesagt, als er sich gerühmt hatte, es im Fährtenlesen mit jedem indianischen Pfadfinder aufzunehmen. Man sah ihm an, daß er mit dem Sattel sozusagen verwachsen war. Wo die andern Tiere vor einem Hindernis scheuten, sei es, daß es einen steilen Hang hinunterging, sei es, daß Wasserlöcher den Weg sperrten, sein Pferd war immer allen andern ein Vorbild.

»Dichter kann der Wald nun nicht gut mehr werden,« sagte Dick Dabny. »Und dabei diese unerträgliche Schwüle! Mit der hohlen Hand muß man sich den perlenden Schweiß von der Stirn löffeln. Welcher Artenreichtum an Moskitos und Zancudos oder wie die Mückensorten alle heißen! Ich qualme wie ein Fabrikschornstein, und trotzdem sind ich und mein Vollblüter mit Beulen bedeckt, als hätten wir einen Kampf hinter uns, wo der Gegner mit Schlagringen gearbeitet hat. Das ist das Heimtückische an diesem Walde, daß er von lauter Untieren wimmelt, denen ich ihre Aufdringlichkeit nicht mit einem eleganten Haken heimzahlen kann. Soll mir einer erklären, wie ein Mensch auf die ausgefallene Idee geraten kann, in diesem Moskitoparadies ein Kloster zu bauen!«

Kenyon war an diesem Tage schweigsam; er kam nicht von dem Gedanken los, daß sein Bruder Edward vor Jahr und Tag auf diesem selben Indianerpfad seines Weges gezogen war. Durch diese Gegend hatte er zurückziehen und den Anschluß an eine Gummisammlerkolonne erreichen wollen. In diesen Wäldern waren seine Spuren verweht. Die Hoffnung, ihn wiederzufinden, lag begraben; darüber gab sich Kenyon keiner Täuschung hin. Allzu genau hatte alles seine Bestätigung gefunden, was der Mestize in dem Rancho am Rio Cahuapanas aus dem Zwiegespräch zwischen Duponne und Leoncito erlauscht hatte. In jenem Zwiegespräch war die Rede davon gewesen, daß der Mann in der Kartause › Semana santa‹ sich weder durch Duponnes Versprechungen noch durch Drohungen »das Versteck der Steine« habe entreißen lassen. Er habe gesagt, die Freunde könnten kommen und Rache nehmen. Was sollte das anders heißen, als daß jener unbekannte Mann, auf dessen Suche sie jetzt waren, sich vor den Freunden der Männer fürchtete, die ihre Schätze – und um dieser leidigen Schätze willen wohl auch ihr Leben – in jener geheimnisvollen Kartause hatten lassen müssen! Wenn die Sonne noch zweimal über dieser Urwaldeinsamkeit aufgegangen war, mußte sich das traurige Rätsel lösen.

Der Pfad schlängelte sich um einen ausgedehnten Sumpf, den über sechs Meter hohe, armdicke Stauden ankündigten, die ein fast undurchdringliches Dickicht bildeten, und durch die sich der Weg wie ein Schacht hinzog. Die Stauden überragten das wirre Durcheinander der alten, abgestorbenen Pflanzen, und am Boden huschten überall Schlangen. Kaiman zerrte in wildem Jagdeifer manche aus ihrem rasch gesuchten Versteck, und eine besonders große schwarze Schlange, eine Eunectes, schleppte er herbei, die durch Stockhiebe getötet zu sein schien. Prieto stellte fest, daß das Tier von niemand anders erlegt sein konnte als von den Männern, deren Fußspuren man folgte.

Als man glücklich dem Dickicht entronnen war, glaubten die Reisenden eine weite, ebene Rasenfläche vor sich zu haben, doch zu ihrer Enttäuschung wurden sie inne, daß, sobald einer den Rasen betrat, der ganze Boden schwankte und nur die trügerische Decke eines überwachsenen Morastes bildete. Mit Stangen und Stricken mußte man sich darüber hinweghelfen, um endlich wieder auf etwas besseren, einigermaßen gangbaren Boden zu gelangen. Zwischen den Spuren von Reihern und Sporengänsen fanden sich hier die Fährten der Männer wieder, aber weder Mensch noch Tier kam den Vorwärtseilenden zu Gesicht, das ganze Gebiet machte einen unheimlichen, von allen Lebewesen verlassenen Eindruck. Alle waren todmüde und über und über mit Schlamm bedeckt, als sie die grundlose Fläche, wo nur der Wurzelfilz der Grasbüschel dem Fuß hier und da Halt bot, hinter sich hatten.

Der Abend überraschte sie an einem namenlosen schwarzen Fluß. Er war glücklicherweise, wie die meisten sogenannten »schwarzen« Flüsse Südamerikas, fast moskitofrei, eine oft gemachte Bemerkung, die man sich noch nicht zu erklären weiß. Allgemein gelten die schwarzen Flüsse, von denen es am Orinoko und Amazonas wimmelt, für gesunder als die weißen Flüsse.

Prieto ließ es sich nicht nehmen, den Fluß, der nicht tief war, zu durchwaten und am jenseitigen Ufer die Fußspuren des Trupps festzustellen. Er folgte dem Pfad noch eine größere Strecke und kehrte mit der Meldung zurück, daß von menschlichen Wesen weit und breit nichts zu sehen sei. So wurden die Zelte aufgeschlagen und alle Vorbereitungen für Mahlzeit und Nachtlager getroffen. Bald glühte ein Feuer, dessen Schein Duponne nicht zurücklocken konnte, wenn er es wirklich sah, da man allgemein der Ansicht war, daß er sich nicht verfolgt glaubte. Natürlich mußte abwechselnd gewacht werden. Der Wald war dicht, und das Feuer konnte nicht nur herumstreifende Indianer zu räuberischen Überfällen reizen, sondern auch die Vierfüßer des Dickichts zu einem unliebsamen Besuch einladen. Oft genug hatte man davon gehört, daß Jaguare sich an die Pferde eines Biwaks herangeschlichen hatten.

Kenyon nahm mit Miquelino die erste Nachtwache. Zu ihren Füßen hatte sich Kaiman niedergelegt. Mehrmals fuhr er lauschend in die Höhe und blickte angestrengt nach einer Baumgruppe, die sich in scharfem Schattenriß vom Himmel abzeichnete. Aber er streckte sich meist beruhigt rasch wieder hin. Prieto löste mit Huallatingo die Wache ab, sobald das Urwaldkonzert der Insekten verstummt war. Jetzt war auch das Feuer schon niedergebrannt. Tiefe Finsternis, die augenlose Urwaldnacht, lastete über den Schlafenden.

Ein paarmal hörte Prieto, angestrengt lauschend, das Brechen von Zweigen. Auch der Hund straffte sich und stand sprungbereit, ohne sich zu rühren. Dann war wieder tiefe Stille. Nichts störte die Ruhe, gemächlich steckte Prieto, nachdem er einen Rundgang um die Pferde gemacht hatte, seine Pfeife an, aber nicht wenig war er überrascht, als er im selben Augenblick einen Pfiff hörte. Er kam von jener Baumgruppe am andern Flußufer, zu der schon immer der Hund geäugt hatte. Es war nur ein kurzer Pfiff, aber er hatte eine seltsame Wirkung: gleichzeitig fuhren drei der Indianer, die bei den Pferden lagen, in die Höhe. Prieto beobachtete sie scharf. Sie flüsterten sich etwas zu, das er nicht verstand. Einer lachte; dann lauschten sie noch einmal in die Nacht hinaus und zogen sich darauf die Wolldecken wieder über die Ohren.

Prieto senkte das Gewehr, er hatte schnell begriffen. Diese Tekunas hatten einen Pfiff gehört, den sie gut kannten – einen Pfiff, der ihnen keine Gefahr kündete, sonst wären sie nicht so ruhig geblieben. Er schüttelte den einen an der Schulter und fragte: »Was hörtest du?« Und alsbald bekam er bestätigt, was er gedacht hatte.

»Es war ein Zeichen unserer Leute, Herr. Es ist nichts zu besorgen. Wir legten uns wieder hin, weil wir glaubten, geträumt zu haben. Wenn Ihr wollt, daß ich den Pfiff erwidere, so wird sich herausstellen, daß Leute unseres Stammes in der Nähe sind. Ich weiß es jetzt genau, da auch Ihr den Pfiff gehört habt.«

Prieto schüttelte den Kopf. »Bleibt ruhig!« sagte er. Er selbst verdoppelte seine Aufmerksamkeit, aber nichts regte sich in den Büschen. Dafür entdeckte Huallatingo einige Zeit später seitab von der großen Baumgruppe den Widerschein eines Lagerfeuers. Es mußte weit entfernt sein. Als jetzt Prieto den Tekunas von vorhin das Feuer zeigte, erklärte deren Sprecher, es könne sich nur um das Lagerfeuer von Leuten seines Stammes handeln. Sie seien friedlich gesinnt, sonst hätten sie das Feuer gelöscht. Auf dem Kriegszug werde nie des Abends oder in der Nacht ein Feuer unterhalten.

»Und warum,« fragte Prieto, »sind sie nicht herangekommen? Denn sicherlich sehen sie unser Feuer.«

»Sie sind friedlich,« wiederholte Arizanas, wie der Sprecher von seinen Kameraden gerufen wurde. »Sie wünschten nicht, daß Ihr gestört würdet.«

Prieto zog Miquelino ins Vertrauen. Der meinte, zum Teil möge Arizanas recht haben. Wenn sie sich nicht herangeschlichen hätten, so liege der Grund jedoch wohl hauptsächlich darin, daß sie die Vorsicht für das bessere Teil der Tapferkeit gehalten und sich nicht herangemacht hätten, weil sie nicht erkundet hatten, wie stark man hier sei.

»Sobald es tagt, werden wir uns die Gesellschaft näher ansehen müssen,« setzte er hinzu. »Wahrscheinlich ist das aber ein Wunsch, der auf Gegenseitigkeit beruht. Jedenfalls können es ihrer nicht viele sein, sonst würden wir etwas gehört haben.«

Es war kaum hell geworden, als sich Miquelinos Mutmaßungen bestätigten. In den Büschen vor der großen Baumgruppe wurde es lebendig: Hier und da tauchte ein Kopf auf, der mit dem Fernglas deutlich zu erkennen war, ehe er blitzschnell wieder verschwand. Dem Spuk machte Prieto dadurch ein Ende, daß auf sein Geheiß gleichzeitig Arizanas und seine Stammesgefährten den bewußten Pfiff ertönen ließen. Er wurde ungesäumt erwidert, und wo sich vorher nur Köpfe verstohlen gezeigt hatten, da erschienen jetzt winkende Gestalten.

Arizanas wurde über den Fluß geschickt, und wenige Minuten später ließ sich die ganze rotbraune Schar am Ufer sehen und watete unter Führung eines fast völlig nackten Riesen, lebhaft schreiend und gestikulierend, durch das Wasser herüber. Es waren nur fünfzehn Mann, aber ihr Lärm, der eine Begrüßung sein sollte, hätte gut für eine Hundertschaft genügt.

»Um Himmels willen!« rief Dick Dabny. »Diese rostbraunen Knaben verderben uns ja das ganze Konzept! Wenn das Duponne hört, macht er kehrt und steht in fünf Minuten unter uns!«

»Schwerlich!« Kenyon lächelte. »Wenn er den Pfiff der Tekunas gehört hat, den seine Begleiter, die Marubos, natürlich genau kennen, so wird er vielmehr die Beine unter den Arm nehmen und seine Leute mit ihm. Sie hörten ja, daß die beiden Stämme einander blutige Fehde geschworen haben.«

»Ausgerechnet in dieser Gegend! Können sich die Völkchen nicht ein paar Breitengrade weiter ihr Mütchen kühlen?«

Prieto und Miquelino hatten die Tekunas, durchweg sehnige Gestalten, deren glänzende Haut mit roten Figuren bemalt war, wie es bei ihnen auf Kriegszügen Brauch ist, mit Hilfe der Dolmetscherkünste Arizanas' ausgeforscht. Sie waren mit Bogen und Pfeilen und Speeren bewaffnet, kamen viele Tagereisen von Osten und wollten zu Stammesgenossen südlich des Rio Patue stoßen. Sie ließen durch ihren langen Führer Ambiza sagen, daß sie jedermanns Freund seien und nur einen Feind kennten, und das sei der Stamm der Marubos. Sie selbst bildeten den Vortrupp einer größeren Kriegerschar, als deren »Augen« sie vorgesandt seien. Auf die Frage, weshalb sie in der Nacht nicht herangekommen seien, erklärten sie, daß sie nicht sicher gewesen seien, ob sie nicht auf Marubos stoßen würden; einer ihrer Kundschafter, derselbe, der den Verständigungspfiff ausgestoßen habe, sei schon am Abend zuvor weiter nordwärts – die Himmelsrichtungen wurden durch Zeigen mit der Hand angedeutet – auf vier Marubos gestoßen, die mit einem weißen Reiter nach Norden unterwegs gewesen seien.

»Seid ihr von jenen Leuten gesehen worden?« fragte Miquelino.

Die Antwort lautete verneinend. Der Beobachter hatte auf einem Baum gesessen, als die Leute vorbeikamen.

»Aber die Marubos waren Mietlinge. Ihr hättet ihnen doch nichts getan, wenn sie in eure Gewalt gefallen wären?« ließ Kenyon den Tekunasführer fragen.

Arizanas übersetzte: »Ambiza sagt, daß die Krieger vom Stamm der Tekunas keinen Wehrlosen töten, aber er sagt, daß er die Marubos mit dem weißen Mann festgehalten hätte, wenn die Nacht nicht den Wald mit ihrem Mantel zugedeckt hätte. Aber auch die Nacht hätte uns nicht abhalten dürfen, wenn uns die Marubos gesehen hätten. Das ist nicht der Fall gewesen.«

Kenyon wandte sich an seine Freunde. »Das ist eine ganz scharfsinnige Antwort. Sie verrät uns, daß diese Tekunas, die sich als ›Augen‹ ihrer nachfolgenden Kriegsmacht fühlen, keinem vom Stamm der Marubos trauen. Duponne und seine Leute, sagten sie sich, konnten nichts vom Anmarsch des Trupps verraten, weil sie nichts gesehen hatten. Das war ihr Glück, und nicht zuletzt auch unseres, die wir Duponnes Spur brauchen.«

»Schön,« sagte Dick Dabny, »bedanken wir uns bei dem rötlich strahlenden Master Ambiza, daß er uns nicht – um mit unserem gelehrten Freund Child zu sprechen – den Ariadnefaden abgeschnitten hat, bevor wir das ersehnte Tor unseres Zieles vor Augen haben! Und sagen Sie, wollen uns die Bogenschützen etwa von nun an das Geleit geben?«

»Nein,« antwortete Miquelino, »sie werden sich nach nordwestlicher Richtung zu einem anderen Heerbann durchschlagen, während unser Pfad nach Nordost führt. Und das ist gut so.«

»Ganz meine Ansicht. Wir könnten sonst erleben, plötzlich nolens volens in ihre Schlachtordnung eingereiht zu werden. Das könnte den Männchens so passen.«

»Den Wunsch, daß wir ihre Phalanx verstärken, haben sie in der Tat soeben durch Arizanas äußern lassen. Sehen Sie nur, wie neugierig sie unsere Gewehre betrachten! Ambiza fährt eben liebkosend über Miquelinos Flintenlauf. Er hat gesagt, daß man mit unserm ›großen Feuer‹ jeden Krieg gewinnen müsse.«

»Sehr schmeichelhaft,« antwortete Dick Dabny. »Doch wir wollen es lieber nicht darauf ankommen lassen.«

Miquelino trieb zum Aufbruch. Der schwarze Fluß war schnell überschritten. Die Tekunas waren beschenkt worden und freuten sich der Lebensmittel und Zuckerwaren, die Kenyon ihnen überlassen hatte. Etwa zweihundert Schritt hinter der Übergangsstelle trennten sie sich von den Männern, die an ihren schmalen Pfad und die Fußspuren gebunden waren. Doch kaum waren sie hinter den Büschen einer Niederung den Blicken entschwunden, als ein so entsetzliches Geheul durch den Wald gellte, daß die Tiere in Kenyons Trupp erschreckt aufbäumten und kehrt zu machen versuchten, während alle Männer unwillkürlich, wie auf den Fleck gebannt, atemlos stillstanden.

Doch nur eine Sekunde verharrten sie regungslos, dann kam Leben in sie. Wenn es noch einen Zweifel gab, um was es sich handelte, dann löste ihn der Anblick eines aus den Büschen zurücktaumelnden Indianers. Es war einer von Ambizas Kriegern, dem ein langer, gefiederter Pfeil in der einen Schulter steckte, und der blutüberströmt auf der Flucht zusammenbrach.

Das Geschrei in den Büschen wurde lauter. Ein zweiter Tekuna stürzte auf die Lichtung heraus, wankend wie der erste, und hinter ihm schwirrte eine blitzende Wurflanze.

Prieto hatte sein Pferd herumgerissen. Der Spieß fuhr dicht vor ihm in den Boden. »Marubos! Marubos!« riefen Arizanas und die andern Mietlinge. »Feuert, Herr! Feuert!«

Prieto hob den Revolver, aber Miquelino fiel ihm in den Arm. »Wartet noch! Wartet!« Doch da fluteten auch schon sämtliche Tekunas in eilendem Laufe zurück, und hinter ihnen brachen die Angreifer, von denen sie unerwartet überfallen waren, durch das Gestrüpp. Es mochten fünfzig bis sechzig Wilde sein. Mit einem Schlage war der ganze Waldrand besetzt. Ein ohrenbetäubendes Geheul, das Kriegsgeschrei der ungestümen Marubos, mischte sich in das Geschrei der Tekunas, in das der ganze Wald einzustimmen schien.

Aber in das Geheul hinein krachte endlich ein scharfer Schuß! Miquelino hatte ihn, die ganze Gefahr des Überfalls erkennend, als erster abgefeuert. Kenyon und Prieto feuerten gleichzeitig, und dann prasselte eine ungeleitete Salve aus allen Flinten über die Köpfe der zurückweichenden Tekunas hinweg. Dick Dabnys Maschinenpistole tackerte nicht anders als ein Maximgewehr.

Die Wirkung war unbeschreiblich. Der mit Marubos gespickte Waldrand war im selben Augenblick wie reingefegt. Nicht einer der wilden, tätowierten Krieger, die schon die Lanzen zum erbarmungslosen Wurf erhoben hatten, war noch zu sehen. Alles floh in jähem Entsetzen.

Ambiza nahm sofort die Verfolgung auf. Seine Handvoll Leute erfüllten den Wald mit ohrenbetäubendem Geschrei. In ihrem Geheul erstarben die dumpfen Todesschreie der Gegner, die sie überrannten oder einholten, aber deren waren nicht viele. Die gefürchteten Feuerwaffen, deren verheerende Wirkung den Angreifern genau bekannt sein mochte, hatten alle das Heil in der Flucht suchen lassen.

»Satansbraten!« schimpfte Dick Dabny. »Eine schöne Bescherung! Was nun?«

Kenyon füllte das Magazin seines Gewehrs. »Diese Leute haben für heute genug. Aber wir haben einen Feind mehr in diesem Walde. Wo immer uns Marubos begegnen werden, haben wir mit ihrer Rache zu rechnen.«

»Dafür haben wir die Tekunas zu Freunden gewonnen,« sagte Prieto. »Und wir haben den Streiftrupps der Marubos gezeigt, daß wir nicht mit uns spaßen lassen. Der Erfolg des Geplänkels, in das wir unfreiwillig hineingerieten, wird sich wie ein Lauffeuer bei Freund und Feind verbreiten.«

»Auf unsere Nachtruhe werden wir freilich von heute an verzichten müssen,« sagte Kenyon. »Es sei denn, wir entschlössen uns zur Umkehr.«

»Niemals!« rief Dick Dabny und steckte seine Maschinenpistole ins Futteral. »Leute, die beim ersten Pistolenknall wie ein Volk aufgescheuchter Hühner auseinanderstieben, werden mich nicht um meinen Schlummer bringen.«

Ambizas Leute blieben so lange am Feind, bis sie dessen völlige Flucht festgestellt hatten. Ambiza selbst ließ seinen weißen Rettern durch einen Läufer sagen, daß sie getrost ihren Marsch fortsetzen könnten. Er werde ihnen folgen, bis die Hauptmacht seines Stammes erreicht sei.

»Weitermarsch, ja,« antwortete Dick Dabny, als Arizanas die Meldung übersetzte. »Aber die Hauptsache bleibt, daß wir selber auf unserem Posten sind!«


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