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3. Vom Cahuapanas nach San Antonio

Es kam, wie Prieto vorausgesagt hatte. Als alle Schläfer in den Hängematten lagen, schob sich die Matte an der Seitenwand, die für die Nacht heruntergelassen war, leise auseinander. Der Krauskopf des Mestizen wurde beim Schein einer Laterne sichtbar, und Harald Kenyon sah zwei weitere Gestalten den finsteren Raum betreten und sich, abseits von den schon belegten Chinchorros, zweier der noch leeren Hängematten bemächtigen.

Kenyon wußte, daß er nicht der einzige Beobachter dieser späten Gäste war. Neben ihm wachte Prieto, und vom Fußende seiner Hängematte ging ein Bastfaden hinaus zu den an der anderen Außenwand angepflockten Mulas. Wie sich am nächsten Morgen herausstellte, hatte der kluge Mann den Faden um seine große Zehe geschlungen.

Kenyon schlief unruhig und schreckte kurz nach Mitternacht aus dem Halbschlaf auf. Er hörte Flüstern und gleich darauf ein schleichendes Geräusch auf dem Erdboden. Da wußte er, daß sich die beiden unsicheren Kantonisten auf die Beine gemacht hatten. Er bewunderte den Scharfblick Prietos, der das alles vorausgesagt hatte, und war gleichzeitig darüber beunruhigt, daß Prieto fest zu schlafen schien.

Nach einer Minute bangen Lauschens aber, in der sich die kaum hörbaren Schritte in der Finsternis verloren, richtete sich der Gaucho blitzschnell auf. Im nächsten Augenblick, in dem Kenyon das Blitzen eines Messers zu sehen glaubte, war er mit beiden Beinen aus dem Chinchorro auf die Erde gesprungen und eilte, von Kenyon gefolgt, nach der Seite, wo die Maultiere angeseilt standen.

Doch noch bevor Prieto die Matte auseinanderschlug, hörte man draußen sich überstürzt hastig entfernende Schritte. Der Hund heulte an der Kette, und der schmierige Mozo (Kellner), der Mestize, wurde wach und kam mit der Laterne, um mit einer Verwünschung festzustellen, daß die beiden von ihm begünstigten Gäste, ohne ihre Zeche zu bezahlen, auf und davon waren.

»Jetzt haben wir den Mann,« sagte Prieto, auf den Mestizen zeigend. »Er wird Ihnen morgen genau die beiden Gauner beschreiben. Für heute ist kein Überfall mehr zu gewärtigen. Die Entflohenen wissen, daß wir auf dem Posten sind.« Auch hierin sollte der Gaucho recht behalten. Der Rest der Nacht verlief ungestört. Der Mestize, frühmorgens ins Gebet genommen, bestätigte, nachdem er Kenyon beschworen hatte, ihn nicht zu verraten, daß es sich bei den beiden geheimnisvollen Gästen um einen Indianer und einen Weißen handele. Letzterer sei schon einmal vor kurzer Zeit in der Posada eingekehrt. Er sei pockennarbig, und an der linken Hand fehlten ihm zwei Finger. Er nenne sich Duponne.

Kenyon gab dem Mestizen eine Silbermünze. Er besann sich, daß Mister Dabny großes Interesse verraten hatte, über den Mann Näheres zu erfahren. »Er handelt mit Diamanten, nicht wahr?« fragte er.

»Er muß viele von den kostbaren Steinen besitzen,« flüsterte der Mischling, den das Trinkgeld zusehends redseliger machte. »Sie werden mich nicht verraten, Caballero. Ich habe manches gehört. Der Weiße will mit dem Schiff nach Nauta. Sie wissen, wo diese große Stadt liegt?«

»Weiter!« Kenyon nickte. Im Vorstellungsvermögen des Mestizen mochte Nauta eine große Stadt sein. In Wirklichkeit hatte der am Wege nach Iquitos und nahe der Einmündung des Rio Ucayali in den Amazonas gelegene Ort gegenwärtig kaum mehr als dreihundert Einwohner. Er war früher ein Hauptort gewesen, doch das emporblühende Iquitos oberhalb der Mündung des Napo, das zum Haupthandelsplatz im peruanischen Amazonien angewachsen war, hatte ihn zur Bedeutungslosigkeit hinabsinken lassen. »Wird der Mann, der sich Duponne nennt, in Nauta bleiben? Ist er dort zu Hause?«

Der Mestize schüttelte den Kopf. »Sie wollen mit dem Schiff weiter. Ich habe es genau gehört. Sie sind fort, und ich werde dem Padrone das Geld, das der Mann schuldig geblieben ist, ersetzen müssen.«

»Und von Diamanten hörtest du nichts, mit denen dieser Duponne Geschäfte macht? Weißt du, woher er die Steine hat?«

»Darüber kann ich nichts sagen, weil ich nichts weiß,« lautete die Antwort, die zögernd herauskam.

Kenyon, der ihn scharf beobachtete, fragte: »Wirklich nicht? Hast du nicht vorhin gesagt, du habest gar manches gehört?«

»Nun gut ... pues bien, señor ... ich hörte gestern, daß von Diamanten die Rede war. Der Marubo fragte den Weißen: ›Wenn er dir die Diamanten nicht geben will, weshalb erschlägst du ihn nicht?‹ Der Weiße sagte: ›Leoncito, du bist ein Narr. Wie oft soll ich dir noch erzählen, daß ich dann nie das Versteck der Steine finden würde. Hundertmal habe ich ihm lockende Versprechungen gemacht, hundertmal ihm gedroht, daß er den nächsten Tag nicht erlebe, wenn er mir die Stelle nicht zeige. Er läßt sich nicht durch Versprechungen und nicht durch Drohungen das Geheimnis entreißen. Er sagt, die Freunde werden kommen und Rache nehmen. Jede Stunde können sie kommen. Besorge uns Pässe, daß wir ungehindert über alle Grenzen gehen können, so will ich dir die Steine aus ihrem Versteck holen, will mit dir teilen, und jeder kann seiner Wege gehen, wohin es ihm beliebt. Nur weil ich versprach, die Pässe in Balsapuerto zu besorgen, händigte er mir den einen Diamanten ein.‹ – Alles das hörte ich, Herr, und so weiß ich, daß der Weiße irgendwo einen Schatz kennt ...«

»An den er nicht herankann, weil ein anderer ihn bewacht und das Geheimnis, wo er liegt, nicht preisgeben will. Es klingt wie ein Märchen, und du könntest es dir sehr wohl erdacht haben, um mich ein wenig zu unterhalten.«

» Que no me chingue ... daß ich mich nicht anrüchig mache!« widersprach der Mestize lebhaft. »Alles dies hörte ich wörtlich, Herr!«

»Dann brach das Gespräch ab, wie? Du hörtest nur noch, daß der sogenannte Duponne zu Schiff nach Nauta wolle?«

Der Mestize nickte. »Nach Nauta. Und dann sagte der Marubo: ›Du hast jetzt viel Geld. Wir werden dir helfen ... er wird das Versteck verraten. Wir werden die Semana santa ausräuchern.‹ Verstehen Sie das, Herr?«

Kenyon machte sich eifrig Notizen. »Die Semana santa ... die stille Woche ausräuchern? Nein, das kann ich nicht verstehen. Du wirst dich verhört haben.«

» Es verdad, es ist wahr, wie ich es sagte,« versicherte der Mestize hartnäckig. »Was werden Sie tun, Herr?«

»Guter Freund, vorläufig werden wir nicht viel ausrichten können. Aber du hast uns die Beschreibung des Mannes durch deine Angaben wesentlich vervollständigt. Man wird sie brauchen können. Es scheint Zeit, daß die Polizeibehörde den üblen Landstreicher und Galgenvogel hinter die Gitter setzt. Nun, in Nauta wird sich dazu Gelegenheit bieten, und damit du nicht die Rachsucht des Burschen zu fürchten brauchst, will ich dir nochmals versprechen, daß dein Name nicht genannt werden soll.«

»Mister Kenyon, wo bleiben Sie? Nun ist der Tee schon beinahe kalt geworden, und das will bei diesem Klima viel sagen,« rief Dick Dabny.

»Ich komme,« rief Kenyon und beglich die Rechnung. Der Mestize lachte übers ganze Gesicht, als Kenyon noch ein paar Silbermünzen hinzulegte, die als Bezahlung der von dem durchgebrannten Duponne hinterlassenen Schuld reichlich genügten.

Die Maultiere waren gefüttert, und wenige Minuten später saßen Dick Dabny und Kenyon im Sattel. Die letzten Schatten der Nacht waren längst vor dem aufflammenden Tagesgestirn zerstäubt. Der ganze Wald funkelte unter den Strahlen der Sonne. Ihre brennheißen Pfeile schossen auf die blanke Fläche des Rio Cahuapanas. Eine lange Strecke floß er hier frei, aber dann kamen lange Windungen, wo die gierige Vegetation überall nach seinem Wasser griff ... mit grünen oder gespenstisch weißen Zweigen, mit Wurzeln und langen Ranken, bis er, wie so viele Urwaldflüsse, gleichsam durch einen Tunnel dahinfloß, den eine verworrene Mauer aus phantastischem Flechtwerk überwölbte. Mühsam zwängte sich der Uferpfad durch die doppeltmannshohen Büsche, mühsam sogar die Sonne durch das Maschenwerk des Laubes.

Aber überall war das schwärmende Leben des Waldes erwacht, überall ein Huschen, Summen, Rascheln. Handgroße, emailglänzende Schmetterlinge kreuzten den Weg, Völker smaragdgrüner oder purpurner Libellen tanzten über dem Wasser. Große dunkle und winzig rote Ameisen hasteten über den Boden, Eidechsen huschten zwischen den Gräsern, Wespennester, große, böse aussehende Klumpen, umschwärmt von dicken Wespen, hingen an den Bäumen, oder die langen Nester der Webervögel. Oft trug ein Baum Dutzende davon, und die märchenhaft bunten Vögel umflogen sie in Liebe und Zank, während aus den Wipfeln der Udu ( Momotus momota parensis) seinen charakteristischen Morgenruf: »Hu, hu, udu, udu« ertönen ließ. Oder es rauschten schwere Flügelschläge, und ein Tukan ( Ramphasfos ariel) ließ sich auf dem Wipfel eines Baumes nieder. Fortwährend kamen und gingen die gefiederten Gäste, die meist nur in den Morgenstunden auf der Nahrungssuche unterwegs sind, einige lautlos, andere unter Geschrei, andere langsam von einem Beerenbüschel zum andern wandernd, oder sich, kreischend und flügelschlagend, von Ast zu Ast verfolgend, bestrebt, sich die Früchte abzujagen, obwohl deren übergenug da waren.

»Sie sagen ja gar nichts,« meinte Dick Dabny zu Kenyon, der nur mit halbem Auge den Wundern des Weges zusah. »Man könnte glauben, Curupira, der mächtige Waldgeist, von dem Ihnen Ihr Arriero die Ohren vollgesungen hat, hätte Sie mit Tiefsinn geschlagen. Hören Sie nicht, wie dort lustig ein Specht pocht? Huallatingo, der braune Märchenerzähler, wollte mir eben einreden, das sei der große amazonische Rübezahl, der mit einer Axt aus Schildkrot die alten Bäume beklopfe, ob sie dem nächsten Sturm noch widerstehen werden. Dichterische Erfindungsgabe und lebhafte Phantasie kann man den Rothäuten nicht absprechen.«

Kenyon nickte. »Gewiß, es liegt eine überaus feine Poesie in ihren Sagen, an die sie glauben. Wir nennen das herabsetzend ›primitiv‹ oder ›exotisch‹. Wir sind hochmütig; um den Glauben dieser Naturkinder zu begreifen, müssen wir in das Reich ihrer Wunder und Schrecknisse gehen. Es ist das Reich der schroffen Gegensätze. Wer je mit offenen, unverdorbenen Sinnen in den Schauern einer tropischen Nacht regungslos verharrte und dann – nicht in zarten, langsamen Übergängen wie bei uns – sondern plötzlich, in aufflammenden Lichtexplosionen das Wunder der Sonne dieses Himmels erlebte, der allein mag ahnen, wie stark diese Sonne als feurige Zauberin das dichtende Gestaltungssehnen der Ureinwohner auf sich ziehen mußte. Sonnensagen und Sonnenverehrung von unübersehbarer Fülle der Formen waren das Ergebnis. Und neben dem Lichtbringer hausen die finsteren Dämonen ... das Nachtgespenst Jurupary, von dem Huallatingo zu erzählen weiß, und der lahme Zwerg Maty-Taperé, der im Dunkel wie ein heiserer Vogel schreit.«

»Sie scheinen sich schon ganz gut im indianischen Göttersaal zurechtzufinden. Ich halte mich an das, was ich sehe und höre. Der Lärm in diesem Tiertreibhaus genügt für meine Ansprüche. Und jetzt, weiß der Kuckuck, fängt da vorne einer zu trommeln an!«

»Aluatas!« sagte Prieto, der nur selten den geschärften Blick vom Erdboden wandte. Er verfolgte wieder seine Fußspur.

»Aluatas – sollen das Klopfgeister sein? Geister mit Trommeln?« fragte Dick Dabny.

»Nein, Affen, Señor! Rote Brüllaffen. Wir nennen diesen Trommler hier auch Mono. Abends und morgens macht er sich weithin durch sein trommelndes oder knarrendes Geräusch bemerkbar, das sogleich verstummt, wenn man sich nähert.«

»Richtig, jetzt hat er ausgetrommelt. Nur verstehe ich nicht, wie ein Affe trommeln kann, – obwohl ich langsam verlerne, mich über etwas zu wundern.«

»Die Gelehrten sind der Sache längst auf die Spur gekommen,« sagte Kenyon. »Sie haben den kropfartig verdickten Kehlkopf der roten Brüllaffen und ihrer schwarzbraun geratenen Weibchen zergliedert und dabei eine eigenartige Umbildung des Zungenbeins in eine erstaunlich umfangreiche Knochentrommel entdeckt, der ausgedehnte Säcke als Resonanzboden dienen. Die Affenzunge bedeckt dieses Instrument und regelt das Ein- und Ausströmen der Luft, so daß eine ganze Tonleiter von Geräuschen entsteht, vom kläglichen, mitleiderweckenden Pfeifen bis zum weithin hallenden, schrecklichen Geheul.«

»Also geben sie regelrechte Konzerte,« sagte Dick Dabny kopfschüttelnd.

»Ohne Scherz,« lautete die Antwort, »das kann man wohl sagen. Allerdings ist es nicht leicht, eine Familie von Guaribas, wie der Brasilianer den Alouatta belzebub auch nennt, zu beobachten und zu belauschen, da er menschenleere Teile des Campos und des Urwaldgürtels bevorzugt. Ein Freund von mir drang aber doch einmal mit einem rothäutigen Pfadfinder, immer dem Schall nachgehend, durch Sumpf und Moder bis zu solchem Affenchorus vor und entdeckte schließlich am Rand einer kleinen Lichtung auf einem hohen, dünnbelaubten Baum drei Guaribas, die sich mit ihren langen Greifschwänzen und allen Vieren an einem Ast angeklammert hatten. Sie hielten also beim Brüllen nicht einmal den Kopf nach oben, sondern sangen, schräg nach unten ...«

»Aus voller Brust!« ergänzte Dick Dabny. »Muß einen schönen Gesang gegeben haben.«

»Man darf meinem Gewährsmann unbedingt Glauben schenken; er war musikalisch und versicherte uns, daß ein gewisser Rhythmus darin gelegen habe und daß offenbar nach ganz bestimmten Regeln gesungen werde. Der Brasilianer spricht übrigens, wenn er von dem Lied des Brüllaffen redet, auch nie von › gritar‹ (schreien), sondern er sagt: › a Guariba esta cantando‹, das heißt ›der Brüllaffe singt‹. Vielleicht ist das auch unserem Don Prieto nicht unbekannt.«

Der Gaucho nickte. »Man hat es mir erzählt,« sagte er. »Den Brasilianern ist es sehr wohl bekannt, daß der Brüllaffe beim Singen sich an gewisse Takte hält. Er nennt das alte Guaribamännchen › Capallão‹.«

»Aha! Also ›Kaplan‹ – offenbar, weil er vorsingt.«

»Solch ein Orchester muß ich mir unbedingt zusammenstellen, eh' ich heimwärts dampfe. Sehen denn die Tiere manierlich aus?«

»Nicht übel, Mister Dabny. Sie gehören zu den größeren Vertretern des Affengeschlechts, und das lange und recht dichte Fell, das nur die Gesichtszüge frei läßt, umrahmt sie wie ein Bart.«

»Ausgezeichnet. Da hab' ich eine ganze Menge von lieben Bekannten in St. Louis, die genau so aussehen.« Dick Dabny legte plötzlich die Hand ans Ohr. »Hören Sie nichts? Tönt es da nicht wie langgezogene Hornklänge? Jetzt bin ich aber wahrlich gespannt, ob das auch wieder Affen sein sollen. Dann wäre allerdings die vierhändige Urwaldkapelle, die mir vorschwebt, vollständig.«

»Es sind Signale,« klärte ihn Prieto auf. »Die Signale der Treiber, die das Vieh auf den Kamp führen.«

Gleich darauf sah man zur linken Hand inmitten der welligen Wiesen eine gewaltige Herde.

Prieto setzte hinzu: »Nun bin ich bald am Ziel. Unsere Wege werden sich trennen. Vor dem gefährlichen Burschen dürfen Sie von jetzt an sicher sein. Der Mann ist mit dem Marubo an dieser Stelle durch den Fluß gewatet. Es gibt keine Furt mehr bis San Antonio. Nur hier.« Damit zeigte er auf ein paar schwarze Felsblöcke, die aus dem Rio Cahuapanas herausragten. »Diesen Übergang haben die beiden benützt.«

»Monsieur Duponne mit Leoncito?« entfuhr es Kenyon. Prieto sah erstaunt auf. »Wie? Sie wissen seinen Namen? Woher wissen Sie, daß er sich Duponne nennt?«

»Aus einer großen Geschichte, die mir der Kellner heute morgen auftischte, während Sie die Tiere fertigmachten und Mister Dabny den Tee bereitete.«

»Was? Und das sagen Sie erst jetzt?« fuhr Dick Dabny auf. »Sie wissen etwas Näheres über den Diamantenverschärfer aus der vorletzten Herberge?«

»Nicht nur aus der vorletzten, sondern auch aus der letzten. Der Mann hat ein paar Hängematten weiter als Sie selbst geschlafen. Ich wollte Sie mit der Nachricht nicht in Ihrer Nachtruhe stören. Sie haben sich auch nicht stören lassen, Mister Dabny. Sie ruhten sanft auf den Polstern Ihres guten Gewissens, als sich der pockennarbige Fremdling von seinem Pfühl erhob, in der Absicht, mit unsern Maultieren einen Nachtritt anzutreten. Nur Prietos Wachsamkeit verdanken wir es, daß der üble Anschlag schon beim ersten Versuch scheiterte.«

Dick Dabny machte halt und sperrte die Augen auf. »Nun brat' mir aber einer einen Affen! Mir das zu verheimlichen! Also wirklich, ich habe mit Mördern und Dieben Schulter an Schulter geschlafen? Und keiner hat mich geweckt, daß ich die saubere Gesellschaft ein wenig mit meinem neuesten Haken bekannt machen konnte?«

»Keiner, und vielleicht war es besser so. Was ich von dem Kellner heute morgen hörte, will ich Ihnen natürlich nicht länger vorenthalten, obwohl es mir als ein rechtes Buschgeschwätz vorkommt.«

»Erzählen Sie! Erzählen Sie! Da bin ich ja auf jede Silbe gespannt. Aber lassen Sie uns zuvor absitzen! Sagte ich Ihnen denn nicht, daß mich alles, was mit Diamantenhändlern zusammenhängt, aufs lebhafteste interessiert? Das ist ja der springende Punkt meiner ganzen Äquatorreise!«

»Sie werden etwas enttäuscht sein, fürchte ich.« Auch Kenyon war abgestiegen. Unter dem breiten Schatten der Krone eines stattlichen Sarrapiabaumes machte man halt. Mister Dabny griff tief in seine »Giftapotheke«. »Auf den Schreck hin, – wenn die Gefahr auch an mir vorübergegangen ist,« sagte er, »erst ganz schnell eine kleine Magenstärkung!«

»Die Angaben des Mestizen waren sehr vorsichtig gehalten, er beschwor mich, seinen Namen aus dem Spiele zu lassen – ein Verlangen, das Sie, Mister Dabny, gewiß ebenso wie unser wackrer Führer Prieto berücksichtigen werden.«

»Gewiß! Der Mestize mit dem einen Rockärmel tut nichts zur Sache. Was weiß er von dem Menschen? Weiß er, woher der Mann – wie nannten Sie ihn gleich? – seine Diamanten bezieht?«

»Er kennt den Fremden unter dem Namen Duponne. Das klingt französisch, – ohne daß der Name echt und der Pockennarbige ein Franzose zu sein braucht. Ich halte den Namen für einen sogenannten nom de guerre, für einen Kriegsnamen, den er sich absichtlich beigelegt hat, denn er mag sich schon geraume Zeit auf ›Kriegspfaden‹ herumtreiben. Man weiß, daß hier selten ein Posadero nach dem Namen fragt. Duponne hätte es also gar nicht nötig gehabt, sich vorzustellen.«

Der Gaucho nickte. »Wer weiß, was er alles schon angestellt hat, und unter welchem Namen sie ihn suchen! Freiwillig macht sich keiner mit den Maruboleuten gemein.«

»Den er bei sich hatte, nannte er Leoncito, wörtlich Löwenäffchen, und war sehr vertraut mit ihm. Das darf dem Mestizen geglaubt werden, da wir ja selbst erlebten, wie er mit ihm gemeinsam Pferde stehlen geht, oder, wenn Sie Genauigkeit lieben, Maulesel. Der Mestizenjüngling will nun nicht nur gehört haben, daß dieser Duponne zu Schiff nach Nauta will, sondern von da noch weiter stromabwärts.«

»Sehn Sie wohl!« rief Dabny. »Ganz, wie ich mir's dachte!«

»Dem Mestizen war es ferner nicht nur bekannt, daß Duponne mit Diamanten handelte, sondern er will auch aus einem aufgeschnappten Zwiegespräch zwischen Duponne und dem Indianer Leoncito gehört haben, daß beide um ein Versteck wüßten, in dem ein ganzer Schatz voll der kostbarsten Steine liege ...«

»Ein Versteck? Wahrhaftig? Ein versteckter Schatz?« Mister Dabny war plötzlich ganz aufgeregt. »Sprechen Sie weiter, Mister Kenyon!«

»Angeblich handelt es sich um ein Versteck, das ein anderer bewacht, und an das Duponne bisher weder durch List noch mit brutaler Gewalt hat herankommen können.« Kenyon las aus seinem Notizbuch vor, was der Mestize gehört haben wollte, und fuhr fort: »Zuletzt soll dieser Leoncito gesagt haben: ›Du hast Geld beschafft‹ – auf welch heimtückische und blutige Weise, das wissen wir von Prieto – ›nun wird mein Stamm dir helfen; der Schatzwächter wird das Versteck verraten.‹ Und dann setzte der Indianer noch etwas hinzu – das letzte, was ich erfuhr und was mir völlig rätselhaft klang: ›Wir werden die Semana santa ausräuchern‹.«

Dick Dabny zuckte zusammen. Er faßte sich an die Stirn. Er sprang auf. Ganz erregt rief er: »Jetzt wird's richtig! Jetzt hat's geschnappt!« Zunächst schnappte er selbst nach Luft. » Semana santa hat er gesagt! Semana santa!« Es klang wie ein Jubelruf. »Wissen Sie, was das heißen will, Mister Kenyon, dieses lichtbringende Wort ›Semana santa‹?«

Harald Kenyon verstand nicht, was mit Mister Dabny vor sich ging.

»Ich begreife nicht, wie gerade dieses Wort Sie so in Aufregung versetzen kann. Semana santa heißt wörtlich ›stille Woche‹ –«

»Papperlapapp! Semana santa heißt das Ziel, das ich händeringend suche! Semana santa ist ein verfallenes Kloster im Urwald am Amazonas ... eine Kartause, oder wie man das nennt. Die Kartause, die mir niemand nennen und keine Karte mir zeigen konnte, und um derentwillen ich mich auf die Socken gemacht habe. Hier, hier«, – hastig riß Dick Dabny seine Brieftasche aus der inneren Rocktasche und kramte aufgeregt in den Briefschaften – »hier ... im letzten Brief, den mein Bruder Samuel an mich geschrieben hat, können Sie es schwarz auf weiß lesen, daß er in der › Semana santa‹ gewesen ist ... inmitten habgieriger Indianer! Jawohl! Von der alten Kartause wollte er sich mit seinen Diamanten nach Iquitos auf den Weg machen, mit einem gelehrten Herrn, der die ganze Gegend mit seinen Meßinstrumenten unsicher machte und sich dann mit meinem Bruder Samuel verlaufen haben muß. Ich sage es ja, mein Bruder hatte immer Pech, wenn er einem Professor in die Hände geriet.«

Während Mister Dabny all dies heraussprudelte, war jede Farbe aus Harald Kenyons Gesicht gewichen.

»Den Brief,« sagte er dann, und seine Stimme klang mühsam beherrscht, »bitte, geben Sie mir den Brief!«

»Aber gern! Das war schon lange meine Absicht.« Dick Dabny glättete das gesuchte Schriftstück. »Die Handschrift meines guten Samuel ist nicht schön, aber, was die Hauptsache ist, leserlich. Sie werden sie entziffern können, wie?«

Kenyon nickte. Als er das Datum des Briefes las, mußte er eine Weile innehalten. Vor seinen Augen flimmerte es. Dieses Datum deckte sich auf den Tag genau mit dem Datum jenes unglückseligen Briefes, den sein eigener Bruder, der Professor der Stanford Leland-Universität Edward Kenyon, aus der Wildnis Amazoniens nach San Franzisko geschrieben und in dem er seine Heimreise angekündigt hatte!

»Wenn es Ihnen Schwierigkeiten macht, ich lese Ihnen den Brief gern vor, Mister Kenyon. Sie scheinen zu lange in die Sonne geblinzelt zu haben.«

Kenyon schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht,« sagte er, und die Stimme schien von weither zu kommen. Dann las er: »Dicky, alter Junge! Du wirst Augen machen, wenn Du diese Zeilen liest. Staune und höre! Ich bin über Nacht ein kleiner oder, sagen wir, ein ausgewachsener Krösus geworden! Dieses Land voll Wunder über Wundern hat mitten in der schweigenden – oder, wenn Du willst, schreienden Einsamkeit das Füllhorn des Reichtums in meinen Schoß ausgeschüttet. Sozusagen für ein Butterbrot –, für das bißchen Hart- und Papiergeld, ein Pferdchen und den entbehrlichen Rest meiner Ausrüstung habe ich von einem kriegerischen, blautätowierten Indianer einen Sack mit echten Diamanten eingetauscht, dessen Wert zunächst nur zu schätzen, der aber wundervoll prächtig ist. Weiß der Geier, wie der Indianerknabe zu dem Reichtum gekommen ist! Er gab an, die blanken Steine seien einem Kaziken von den Yahuas oder Mayorunos oder wie die Rothäute alle heißen mögen, mit denen sein Stamm Giftpfeile austauscht, bei einem Scharmützel abgenommen worden. Im Handumdrehen kam das Geschäft zustande, und wir schieden voneinander, jeder in dem beglückenden Gefühl, den andern nach Strich und Faden übers Ohr gehauen zu haben, – er mit meinen Taschenmessern, meinen alten Jacken und dem Bargeld, – ich mit dem Schatz des Kaziken. Du wirst ermessen, wer das bessere Teil erwählt hat. Jedenfalls komme ich jetzt sofort, das heißt so schnell, als es die Reiseverbindungen erlauben, nach Hause. Ich hoffe, in Loreto einen Dampferanschluß zu finden. Gegenwärtig hause ich mit einem gelehrten Huhn in einer Kartause › Semana santa‹, die ganz zerfallen ist und von zwei merkwürdigen weißen Einsiedlern bewohnt wird. Den roten Teufeln trau' ich nicht über den Weg, seit ich meinen Schatz zu hüten habe. Nacht für Nacht führen diese Marubos um unsre Festung einen Höllenkrakeel aus. Morgen sind wir unterwegs. Bis Loreto schlage ich mich mit dem Professor durch, der hier jeden Weg und Steg gemessen hat. Er will nach Iquitos und dann stromauf, mit einer Kolonne Caucheros (Gummisammlern), aber ich mag nicht mit über die Anden. Ich hätte heute nach Calderon reiten können, wohin ein Orchideenjäger trotz des strömenden Regens reiten und mir diesen Brief mitnehmen will. Aber der Weg ist uns zu finster und halsbrecherisch. Man rechnet fünf Tage, und bis Loreto höchstens vier. Dabei steckt mir noch das Fieber in den Knochen. Ich danke Gott, wenn ich aus dieser letzten Station diesseits der Hölle heraus bin. Bei erster Gelegenheit telegraphiere ich. Dein Bruder Samuel.«

Harald Kenyon hatte mit wachsender Erregung, die auch Mister Dabny nicht länger entgangen war, Zeile für Zeile gelesen. Ein paarmal hatte er das Auge mit der Hand beschattet. Dann wiederholte er: »Er will nach Iquitos ... mit einer Kolonne Caucheros ...«

»Genau so heißt es,« nickte Dick Dabny. Aus einmal begriff er. Er faßte Kenyon beim Arm. »Wollen Sie etwa sagen, bester Freund ... sagen, daß ... daß der Professor ...«

»Kein anderer gewesen sein kann als mein Bruder!« fiel ihm Kenyon ins Wort. »Glied reiht sich an Glied, ein Zweifel ist unmöglich. Genau wie dieser Brief – dieser unsagbar kostbare, wertvolle Brief! – ist auch der Brief meines verschollenen Bruders in Calderon aufgegeben und von da mit dem brasilianischen Dampfer nach Manaos befördert worden. Beide Briefe, der Ihrige und der nach Palo Alto gerichtete, tragen dasselbe Datum. Beide müssen durch denselben Boten – durch den von Ihrem Bruder genannten Orchideenjäger – nach Calderon gebracht worden sein! Beide Briefe enthalten die bestimmte Angabe der Gummisammlerkolonne, zu der mein Bruder in Iquitos stoßen wollte. Er hat sie nie erreicht. Mein Bruder hatte zuletzt Vermessungen zwischen dem Rio Jutahy und dem Putumayo vorgenommen. Auch von diesen Vermessungen spricht Ihr Bruder. Alles stimmt! Alles bestätigt die Angaben im Briefe meines Bruders!«

»Aufs Haar!« rief Mister Dabny. »Ich bin ja sprachlos!« Immer wieder drückte er Kenyons Hand. Prieto und Huallatingo hatten der englisch geführten Unterhaltung nicht folgen können, aber auch sie merkten, daß sich etwas Wichtiges herausgestellt haben mußte. Die erste Frage, die Kenyon an den Gaucho richtete, war die, ob ihm eine alte Kartause bekannt sei, die den Namen › Semana santa‹ führe. Doch Prieto hatte nie von einer solchen gehört. Er fügte hinzu: »Über vielen alten Kirchenplätzen wächst jetzt der Wald, und die Gegend, von der Sie sprechen, ist ein undurchdringliches Urwaldgebiet. Viele Niederlassungen der Mönche verschlang auch der Fluß, der über seine Ufer trat und sich ein neues Bett grub.«

»Es handelt sich auch in der Tat um eine Trümmerstätte.«

»Keiner vermag die Steinhaufen zu zählen, die in den Sümpfen, Dschungeln und Wäldern liegen, Trümmer von Mauern und Toren, Bildwerken und Säulen mit Inschriften. Wie ich noch in Barranca mit der Lanze ritt, brachte ein Franziskanermönch wetterzerfressene Tafeln mit Inschriften aus einer Höhle, die kein Lebender zu enträtseln vermochte.«

Kenyon nickte. »Uns winkt ein anderes Ziel. Wir wollen keine Inschriften suchen, wie Sie vielleicht vermuten, keine alten Tempel ausgraben. Wir sind ausgezogen, unsere Brüder zu suchen. Gleich wie sie hat uns, Mister Dabny und mich, ein seltsamer Zufall zusammengeführt. Und ein Zufall hat uns den Weg jenes Diamantenhändlers kreuzen lassen, von dem Sie uns zuerst eine Beschreibung machen konnten. Ihm zu folgen und ihn zur Rede zu stellen, muß fortan unsere dringendste Aufgabe sein. Wir werden Leute anwerben und nichts unversucht lassen. Keiner aber könnte uns wertvollere Hilfe leisten als Sie, Don Prieto. Sie können sich denken, wie schmerzlich es uns ist, daß unsere Wege sich trennen sollen.«

»Sehr schmerzlich,« setzte Dick Dabny hinzu. »Alle Hochachtung, wie geschickt Sie uns geführt und welche großen Dienste Sie uns schon geleistet haben! Dabei kennen Sie den Strauchritter Duponne sozusagen persönlich. Wenn wir Sie hätten, das wäre geradezu ein Geschenk des Himmels.«

Der Gaucho hatte aufmerksam zugehört. »Nie, seit ich als Picador die Städte sah, bin ich von den Campos heruntergekommen. Aber ich stehe allein in der Welt. Wenn die Herren glauben, daß ich Ihnen von Vorteil bin, so ließe sich ein Vertrag schließen ...«

»Nichts wäre uns lieber!«

»Ich werde mit dem Kommissionär sprechen. Ich könnte Sie morgen schon in San Antonio treffen. Wenn Sie mir für etwaige Märsche eine Mula stellen würden ...«

»Zwei, wenn's sein muß!« rief Mister Dabny. »Sie mit Ihrer Ortskenntnis und Ihrer furchterweckenden, stattlichen Erscheinung – und ich mit meinen vielbestaunten Schwingern und meinen neuen Boxerhaken; geben Sie acht, wir fordern den ganzen Urwald in die Schranken!«

»Vorsicht, Herr!« schrie in diesem Augenblick Huallatingo. »Eine Cascabel! Eine Klapperschlange!«

Dick Dabny hatte gerade noch Zeit, zur Seite zu springen. Im nächsten Augenblick schwirrte dicht an ihm ein Gertenhieb herunter. Prieto hatte ihn geführt und die fast ein Meter messende Schlange so sicher getroffen, daß sie, nicht ein einziges Mal mehr zuckend, leblos ins Gras zurückfiel.

»Hol's der Geier!« Dick Dabny war einen Schritt zurückgesprungen. »Ganz so wörtlich brauchte der Urwald meine Kampfansage nicht zu nehmen. Wo kam denn das Gewürm her?«

»Da fragen Sie mich zu viel,« antwortete Prieto, »aber wenn nur jemand da ist, der die Augen offenhält, wie eben der Arriero, dann können noch mehr kommen. Ich habe Übung, ihnen eins überzuziehen.«

»Besten Dank! In Schlangen ist mein Bedarf grundsätzlich schon nach der ersten gedeckt. Und sagen Sie, ist das wirklich eine der giftigen Klapperschlangen? Dann versteht sie ihr Handwerk nicht, denn sie hat nicht ein einziges Mal geklappert, und jedes Kind in Amerika, dem Lande der großzügigen Reklame, weiß, daß ›Klappern zum Handwerk gehört‹.«

»Diese Schlange hak keine Klappern,« erwiderte Prieto, der in der Einsamkeit der Campos ein ernster, ruhiger Mann geworden war, der Mister Dabnys lustige Wortspiele wohl auch nicht verstand. »Ihr Arriero hielt sie für eine Cascabel, dies hier ist eine Cazadora, eine ›Jägerin‹, die sehr dreist ist und selbst menschliche Wohnstätten besucht, um Milch zu naschen.«

»Aha! Da hat sie wahrscheinlich unser Frühstückskorb angelockt.«

Kenyon war herangetreten und hakte den dunkelbraunen, gelbgefleckten Schlangenbalg gemustert. »Ja, eine Cazadora – eine Liophis regia. Wir hatten sie auch im Gebirge in Kolumbien, wo sie bald oliv-, bald auch purpurgefärbt war. Jedenfalls ist sie giftig, während die meisten Kolubride, zu denen die bejuco, die Liane, gehört, von der ich Ihnen erzählte, nur schwach giftig oder vielleicht auch gänzlich ungefährlich ist. Allerdings ähneln die auch hier am Amazonas anzutreffenden Kolubriden in solch überraschender Weise den Giftnattern, daß man beinahe eine Mimikry annehmen möchte, eine schutzgewährende Anpassung oder eine Nachahmung ihrer gefährlichen Schwestern, zumal sie dieselben Wohnplätze innehaben.«

»Da soll sich einer auskennen, kann ich nur immer wieder sagen.«

»Die Klapperschlange, die Cascabel, in Brasilien Cascavel genannt, kennen Sie mit Leichtigkeit, wenn Sie einmal eine haben rascheln oder, richtiger, rasseln hören. Sowie sie sich bewegt, verschieben sich ihre hornigen Glieder hinten am Schwanz und erzeugen das Geräusch, das ihr den Namen eingebracht hat. Sie liebt übrigens trockene, steinige Stellen, so daß wir hier ziemlich sicher vor ihr sein dürfen. Huallatingo hat trotzdem gut aufgepaßt, obwohl die Klapperschlange kräftiger, dicker und länger ist als diese Cazadora. Es ist auch ein sichtlicher Fortschritt, daß er nicht mehr bei jedem Schrecknis ›Curupira‹ ruft. Es scheint doch etwas Eindruck auf ihn gemacht zu haben, daß uns sein großer Waldgeist noch nichts Ernstliches hat anhaben können.«

»Durch den Fluß zu gehen und dem Mann, den Sie Duponne nennen, auf dem andern Ufer zu folgen, halten Sie wohl für falsch?« fragte Dick Dabny, als man wieder aufbrach.

Kenyon hatte schon mit Prieto darüber gesprochen; der Gaucho hatte abgeraten. »Es wäre mühselig und ziemlich aussichtslos, Mister Dabny. Mühselig wegen des dichten Buschwerks, durch das wir uns vorarbeiten müßten. Prieto sagt, wir würden das Waldmesser gebrauchen und uns jeden Schritt durch Sümpfe und scharfes Gras erkaufen müssen. Duponne hat erstens einen guten Vorsprung und zweitens einen Führer, der sich in der Wildnis auskennt. Denn das muß man den Indianern lassen, daß sie schlangengleich durch Waldpartien fast nackt durchzuschlüpfen verstehen, in denen sich unsereins am Tiririqua, jenem abscheulichen Gras, das das ganze Unterholz durchflicht, die Hände und Füße zerschneiden würde. Auch Hunderte von Rinnsalen gibt es am andern Ufer des Cahuapanas, bei denen nur der Eingeweihte den Übergang zu finden weiß, der bestenfalls in ein paar Steinen besteht, die sich die Rothäute unter Wasser hingelegt haben. Auf unserm Ufer dagegen bringt uns jeder Schritt den menschlichen Niederlassungen näher. Duponne kann uns nicht entgehen, wenn die Aussagen des Mestizenmozos aus der letzten Posada stimmen.«

Prieto verabschiedete sich, als der Uferpfad in einer Lichtung mündete. »Ich werde pünktlich bei Ihnen sein,« sagte er. Den Geldbetrag, den ihm Kenyon aufnötigen wollte, schlug er ab. »Warten Sie, meine Herren! Noch habe ich nichts geleistet.«

Dick Dabny sah dem Hünen kopfschüttelnd nach. Er erklärte, er stehe nicht an, zu behaupten, daß Prieto, an südamerikanischen Verhältnissen gemessen, ein Unikum darstelle. Ein Mann, der ein Trinkgeld von sich weise, sei ihm hierzulande noch nicht einmal im Traum vorgekommen. Kenyon antwortete, umso mehr könnten sie sich zur Erwerbung dieses seltenen Mannes beglückwünschen,

»Wichtiger, als dem sogenannten Duponne nachzulaufen,« fuhr Kenyon fort, als der Gaucho ihren Blicken entschwunden war, »ist es, daß wir uns nach jener geheimnisvollen Kartause durchfragen, die in Ihres Bruders wertvollem Brief namentlich genannt ist. Ich habe die ganze Zeit fast an nichts anderes denken mögen. Sie werden ja bemerkt haben, daß ich noch ganz benommen war. Die Überraschung war zu groß und der Eindruck zu stark. Jetzt sehe ich schon klarer, verstehe ich Ihre Eile, Mister Dabny. Ihnen winkte ein sicheres Ziel. Sie hatten den berühmten ›Punkt‹, der mir fehlte, mit dem man nach Archimedes das Weltall aus seinen Angeln heben kann. Ich, der ich ganz auf die Auskünfte der wenigen in Frage kommenden Posaderos und auf zeitraubendes Mich-Durchfragen von Ort zu Ort angewiesen war, ich, lieber Dabny, sah mich einer fast übermenschlichen, zeitraubenden Irrfahrt gegenüber. Ihr unschätzbarer Brief grenzt das Feld unsrer Ermittlungen verhältnismäßig eng ab. Besonders wichtig ist die Angabe Ihres Bruders, daß von dem verfallenen Kloster, oder was sich sonst ›Semana santa‹ nennt, fünf Tagereisen bis Calderon und vier Tagereisen bis Loreto sind.«

»Gewiß, das läßt sich mit dem Zirkel auf der Karte abgreifen.«

»Doch nicht so ganz, aber es erleichtert unsre Feststellungen.«

»Sehr! Die alte Kartause kann doch nicht in nichts zerfallen sein.«

»Mindestens bleibt uns die Hoffnung, etwas über die Bewohner der Kartause zu erfahren, die in dem Briefe als ›zwei merkwürdige weiße Einsiedler‹ bezeichnet werden. Wenn wir sie aber finden, so wird uns auch eine Kunde über unsre teuren Vermißten Gewißheit geben ... wie ich fürchte, eine traurige, schmerzende Gewißheit.«

»Die Hoffnung darf man nicht aufgeben,« sagte Dick Dabny. »Es ist mancher heimgekehrt, der für verschollen galt. Was ich mir einmal in den Kopf gesetzt habe, davon bin ich nicht abzubringen. Ich wünsche den Verbleib der Diamanten festzustellen. Die Indianerhorde, die meinen Bruder überfallen hat, soll sich gratulieren!«

Kenyon schwieg. Was waren die Schätze, wenn die Vermißten habgierigen Wilden zum Opfer gefallen waren!

Der Wald lichtete sich. Man sah die Spuren der Axt des Ansiedlers. Nach einer sanften Hügelschwelle zogen sich gewaltige mit Getreide bebaute Flächen und ausgedehnte Haine von Kaffeebäumen. Aber am Rande der Äcker sah man, daß erst vor kurzem Busch und Baum gerodet worden waren; überall lagen noch gefällte Baumstämme. Am Ende des Weges zeigten sich die flachen Dächer einer Hazienda.

Nun lag San Antonio nicht mehr fern, und die Reiter atmeten auf. Die Sonnenhitze war unerträglich geworden. Dick Dabny behauptete, er habe sich an den Metallbeschlägen seines Sattels die Finger verbrannt. Die Zahl der sechsbeinigen Blutsauger war Legion. Streifte Harald Kenyon die Ohren seines Maultieres mit der Hand, so war sie naß von Blut. Das konnte er jede Minute wiederholen, immer wieder war der Hals der Tiere dicht mit kleinen, im Augenblick blutstrotzenden Mücken besetzt.

Noch ein paar Minuten, und halb von Mangobäumen versteckt winkte das erste Haus des kleinen San Antonio, eine Bodega. Von hier führte ein breiter Weg, eine Viertelstunde lang, zum eigentlichen Ort, der sich auf hohem, abschüssigem Ufer malerisch und trostlos zugleich hinbreitete. Es war ein Dorf mit wenigen hundert Seelen, nicht viel über die Plaza und eine zum Amazonas ziehende Straße hinausgewachsen. Vor den niedrigen Lehmhäusern liefen die Bewohner zusammen, christianisierte Indianer, und ein kleines Heer von Kindern umschwärmte die Ankömmlinge, schreiend und johlend, lachend und bettelnd.

»Triumphzug!« meinte Mister Dabny. »Ist das die ganze Großstadt?«

»Die hatten Sie wohl selbst nicht erwartet? Es ist eine der Missionsgründungen aus dem achtzehnten Jahrhundert, eine von den vielen, die damals von den Jesuitenpatres errichtet und bald zu großer Blüte gebracht wurden. Doch ehe jene ihr Werk vollenden konnten, wurden sie – wenn ich nicht irre, Anno 1770 – des Landes verwiesen. Sehen Sie die Kirche dort! Sie ist ohne Türme, ihr Bau ist nur halb vollendet – ein Schicksal, das sie mit vielen Kirchen an den Stätten ehemaliger Missionen teilt. Die Bevölkerung zerstreute sich damals bald wieder, und heute sind die ehemaligen Missionen arm an Einwohnern. Es gibt manches Dorf, das wegen ungenügenden Ackerbaues oftmals Hunger leidet, manche sind sogar verlassen, und die heute noch blühenden Missionen sind an den Fingern einer Hand zu zählen. Daß hier keine größere Armut herrscht, verdankt der Ort dem Fluß, der ja bei minder günstigen Wasserverhältnissen den oberen Endpunkt der Dampfschiffahrt bildet.

»Meine Hochachtung! Der Fluß kann sich sehen lassen.«

Kenyon nickte. »Er hat in der Tat hier schon das Gepräge eines gewaltigen Tieflandstromes und hat sich vom Pongo de Manseriche, wo er in einer Seehöhe von hundertundachtzig Meter aus den Anden trat, bereits zu einer Breite von sechzehnhundert Meter ausgedehnt. Viel breiter ist er in Iquitos auch nicht.«

»Ist das auch so 'n Nest, wo man von der Dorfjugend als Weltwunder angestaunt wird?«

»Nein. Iquitos zählt heute mehr als zwanzigtausend Bewohner. Das verdankt es dem Umstande, daß es direkte Dampfschiffverbindung mit Europa und seit einigen Jahren auch engeren Verkehr mit der peruanischen Küste und der Hauptstadt Lima hat, seitdem ein drahtloser Telegraphenverkehr nach dem Berge San Cristóbal über Lima eingerichtet ist.«

»Na, das läßt sich eher hören. Wir bleiben ja hier auch keine Ewigkeit. Das da vorn ist gewiß der erste Gasthof?«

»Vielleicht auch der einzige des Ortes. Er scheint Zuspruch zu haben.«

Ein schwarzer Mozo kam und scheuchte die Kinder auseinander. »Ihr Zimmer ist bereit, Señores. Wir haben sofort alles aufs beste instand gesetzt. Ganz so, wie es der hiesige Herr Cura angeordnet hat.«

»Unser Zimmer?«

»Der Herr Cura wird den Herren dann seine Aufwartung machen. Wir haben wegen des Festes das ganze Haus voll, aber wir haben Ihnen das Zimmer frei gehalten, obwohl der Ansturm darauf groß war.«

»Hier muß ein kleiner Irrtum obwalten,« meinte Kenyon zu Dick Dabny. Der Mozo, ein Moleques, war die steile Stiege vorangeeilt und öffnete oben ein ungewöhnlich großes Zimmer, wahrscheinlich das Prunkzimmer des Hauses, inmitten dessen ein Prachtbett stand, um das Tausende von Fliegen summten.

»Wer soll denn für uns Quartier gemacht haben?«

»Der Cura, der Pfarrer des Orts. Wenigstens sagt der Moleques so.« Moleques nennt man in Südamerika die jungen Neger – ein Ausdruck, der übrigens im Sprachgebrauch auf alle farbigen Burschen ausgedehnt wird, zumal wenn sie dem Großstadtpöbel, der sogenannten molecada, angehören. »Es ist morgen ein Feiertag, zu Ehren irgend eines Heiligen. Offenbar hält uns der Mozo für erwartete Amtsbrüder.«

»Ein Zeichen dafür, daß wir sehr würdig aussehen. Ich zweifle nicht, daß meine Lackstiefel einen so feierlichen Eindruck hervorgerufen haben. Sie wollen doch nicht etwa auf das Prachtbett verzichten? So eins winkt uns nicht gleich wieder. Hier bin ich und hier bleibe ich.«

»Aber die rechtmäßigen Gäste werden kommen.«

»Ist noch gar nicht gesagt. Im Urwald kann sich auch ein frommer Mann verlaufen.«

Kenyon aber konnte sich nicht entschließen, das ungelüftete Staatszimmer zu belegen. Er ließ sich in der Ecke des Vorsaals von Huallatingo seinen Schlafsack hinbreiten. Der Neger war schon längst wieder verschwunden. Unten in der Schenke lärmte eine vielköpfige Schar von Männern. Man trank und sang. So viel hatte Kenyon längst gelernt, daß die vielen fiestas – die Feiertage –, die dem Peruaner blühen, für die untern Schichten des Volkes eine willkommene Gelegenheit waren, sich mit Pisco zu betrinken. Auch für Musik war reichlich gesorgt. Als Dick Dabny im Schweiße seines Angesichts und bei den Klängen eines unter ihm quietschenden Leierkastens, ermattet vom Fliegen-Totschlagen, auf das Prachtbett niedersank, setzte gerade das Höllenlärmen eines elektrischen Klavieres in der Gaststube ein, und schnapsheisere Stimmen gröhlten: » Viva el Peru!«

»Auch das noch!« stöhnte Mister Dabny. »Lieber ein Wald voll Affen ...! Lieber ein Wald voll Affen!«


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