Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Dicke mit dem steifen Hut

Erdmann war es gewohnt, lange Schritte zu machen. Bärbel und Gerhard hielten mit, aber die beiden Frauen, die mit Sibylles kürzeren Beinen rechnen mußten, blieben ziemlich weit zurück. In der Unterhaltung über die Schmuggler merkte es keiner von den dreien, bis der Vater plötzlich stehenblieb und sich umschaute.

»Wir werden warten, bis sie uns eingeholt haben«, sagte er und setzte sich am Wegrand auf einen Baumstumpf. Bärbel und der Junge legten sich daneben ins Gras.

»Du wolltest doch die Geschichte von dem steifen Hut erzählen«, erinnerte ihn Gerhard.

»Richtig, ich bin vorhin ganz davon abgekommen. Lohnt sich's noch?«

»Ach ja«, bat das Mädchen.

»Natürlich«, meinte Gerhard wichtig, »jetzt wird's erst lustig, Bärbel, paß mal auf.«

»Von Wehrse an der polnischen Grenze hatte ich erzählt«, begann Erdmann von neuem, »und daß es verboten war, Lebensmittel herüberzubringen, nicht wahr! – Also, eines Tages bekamen wir Befehl, eine gründliche Kontrolle vorzunehmen. Es war um die Mittagszeit, als nacheinander eine Anzahl Leute anrückte, zum größten Teil Ausflügler. Wir hätten sie nicht weiter durchsucht, aber Befehl ist Befehl. Es dauerte deshalb länger als sonst, ehe sie abgefertigt wurden. Nun standen sie der Reihe nach vor dem Zollhaus, packten ihre Sachen aus und ein und zogen weiter. Zuletzt kam ein dicker Herr angelaufen. Er schien es eilig zu haben, denn er schwitzte ungeheuerlich. Es tat uns selber leid, daß er so lange warten mußte, noch dazu in glühender Hitze, aber wir durften ihn ja nicht bevorzugen. Also wartete er, bis er drankam.

›Haben Sie etwas zu verzollen?‹ fragte ihn mein Kamerad.

Der Herr war ziemlich aufgeregt. ›Wie bitte, ob ich was habe?‹

›Ob Sie zollpflichtige Sachen bei sich tragen?‹

›Nein, nein, ganz gewiß nicht. – Oh, ist das heiß‹, stöhnte er. Tatsächlich lief ihm der Schweiß nur so von der Stirn. Sein Rockkragen war bereits feucht.

›Wollen Sie bitte den Rucksack öffnen.‹

›Ja, gern. Es ist aber nichts drin‹, meinte er und nestelte an der Schnur.

Wir sahen nach und fanden außer einer Thermosflasche mit kaltem Kaffee nur noch ein Paar Socken, den Rest einer Dauerwurst und seinen Kragen und Schlips, den er wohl wegen der Hitze abgenommen und im Rucksack verstaut hatte. Obgleich ungefähr eine Viertelstunde Wartezeit bis zur Abfertigung vergangen war, während der er doch ganz ruhig dastand, schwitzte er immer noch entsetzlich. Tropfen auf Tropfen quoll unter seinem steifen Hut hervor. Aber nicht ein einziges Mal wischte er sich den Schweiß ab.

›Ihr Hut ist ja durch und durch naß‹, sagte mein Kamerad.

›Ja? – Ich … ich habe mein Taschentuch vergessen. Sehr peinlich, wirklich, sehr peinlich‹, stotterte der Dicke.

Ich dachte, dem Manne kann geholfen werden und forderte ihn, weil nach ihm keiner mehr abzufertigen war, auf, mir ins Büro zu folgen, dort könne er Wasser und Handtuch bekommen. ›Vielleicht ist es überhaupt besser, Sie ruhen eine Weile aus, ehe Sie weitergehen‹, sagte ich noch, denn es kam manchmal vor, daß auf den weiten, baumlosen Landstraßen einer vom Hitzschlag getroffen wurde, wenn die Sonne gar so arg herniederbrannte. Namentlich dicken Leuten geht es so, weil sie sich mehr als andere beim Laufen anstrengen. Kurz und gut, wir stellten ihm anheim, hereinzukommen. Er lehnte jedoch höflich ab. Weil ich nun annahm, es wäre ihm unangenehm, uns zu behelligen, holte ich von drinnen ein Handtuch und gab es ihm.

›Oh, danke sehr, meine Herren, sehr freundlich von Ihnen‹, sagte er, nahm das Handtuch und wischte sich die untere Hälfte des Gesichts ab, aber nur bis knapp über die Nasenspitze. Den Hut behielt er merkwürdigerweise auf.

Mein Kamerad und ich, wir sahen uns gegenseitig an. Er zwinkerte mir zu, was soviel bedeutete wie: Freundchen, hier stimmt etwas nicht. Auch mir kam die Sache sonderbar vor. Kaum hatte sich nämlich der gute Mann abgetrocknet, rann es von neuem unter dem Hut hervor, Tropfen auf Tropfen. Der dicke Herr hatte es plötzlich sehr eilig.

›Einen Augenblick!‹ rief ich ihm zu, als er den Rucksack umschnallte und davongehen wollte. Er schaute sich um: ›Wünschen die Herren noch etwas?‹

›Ja, nehmen Sie bitte einmal den Hut ab!‹

Er tat so, als hätte er nicht verstanden: ›Wie? Was soll ich?‹

›Den Hut sollen Sie abnehmen.‹

›Meinen Hut?‹

›Jawohl, Ihren! Es ist doch sonst keiner da als Ihr Hut.‹

Er wurde sichtlich verlegen. ›Entschuldigen Sie, das möchte ich nicht. Ich schwitze furchtbar und kann mich da sehr leicht erkälten.‹

›Lieber Herr, hier regt sich kein Lüftchen. Aber Sie brauchen sich nicht zu bemühen, ich mache es schon selber.‹ Mit diesen Worten ging ich auf ihn zu und nahm ihm den steifen Hut ab.

›Aha!‹

Wie ein begossener Pudel stand er vor uns. Auf seinem kahlgeschorenen Kopf lag ein Stück Butter, das heißt, es war ursprünglich ein Stück Butter gewesen. Die Hitze hatte es vorzeitig geschmolzen, denn das aufgeweichte Papier ließ bereitwillig die fettige Soße durch.

Wir beide mußten uns Mühe geben, nicht loszuplatzen. Dem Dicken dagegen wurde es angst und bange. Er entschuldigte sich, bat, wir möchten ihn verschonen, es sei das erstemal, daß er es mit dem Schmuggel versucht habe, jedenfalls hätte er sich weiter nichts dabei gedacht.

›Soso, und deshalb versteckten Sie die Butter unter Ihrem Hut? Wieviel ist es denn, oder besser, wieviel war es?‹ fragte ich ihn.

›Dreiviertel Pfund.‹

Ich gab ihm den Hut zurück. ›Nehmen Sie die sogenannte Butter ruhig vom Kopfe. Die sonderliche Art der Aufbewahrung hätten Sie sich sparen können. Ein Pfund Butter dürfen Sie nämlich unverzollt herüberbringen. Das ist erlaubt. Verstehen Sie?‹

Der Dicke wurde blaß vor Ärger. Er murmelte etwas in seinen Bart, das bestimmt kein Juchzer war, und suchte schleunigst das Weite. Von der Butter hat er vielleicht noch einen schäbigen Rest mit nach Haus gebracht, dazu einen fettigen Hut und einen nicht minder fettigen Rock. Und das alles nur, um ein erlaubtes Pfund Butter zu verstecken. – Wir haben damals noch lange an sein wehmütiges Gesicht denken müssen und ebenso gelacht wie du, Bärbel.«

Bild: Rolf Winkler

Erdmann mußte selbst jetzt noch schmunzeln, als er sich daran erinnerte.

Die beiden Frauen und Sibylle waren mittlerweile herangekommen. »So, nun können wir wohl weitergehen.« Mit einem Ruck stand der Grenzer auf. »Aber langsam!« rief es von hinten.

»Wir sind ja bald da«, erwiderte Gerhard. Er kannte den Weg nach Weißwasser und freute sich auf das Fliegerkarussell, von dem er in der Zeitung gelesen hatte. Sibylle wurde zum ersten Male auf einen Festplatz mitgenommen, aber auch Bärbel staunte über all den bunten Trubel, in den sie nun hineingerieten. In Lomnau stellte sich gewöhnlich zu Pfingsten ein armseliges, altes Karussell ein, das von bereitwilligen Buben für ein paar Groschen um seine eigene Achse gedreht wurde. Sonst gab es da weiter nichts zu bewundern, und zu Schützenfesten nahm sie niemand mit.

Hier in Weißwasser waren sogar zwei Karusselle aufgestellt, das mit den Flugzeugen, und für kleinere Kinder ein anderes mit Schwänen, roten Plüschsesseln, Pferdchen und Autos, in die man sich hineinsetzen konnte. Die Jungen kletterten auf die Pferde. Wie Präriereiter kamen sie sich vor, wenn sich das Karussell drehte. Die Mädchen dagegen saßen vornehm in den Polstersesseln oder auf dem Rücken der Schwäne. Sibylle hatte zuerst ein wenig Angst. Als sie dann sah, daß noch kleinere Mädchen mitfuhren und heil und gesund am Schluß abstiegen, ließ sie sich von der Mutter in einen der schönen roten Sessel setzen. Es gefiel ihr so gut, daß sie am liebsten den ganzen Nachmittag Karussell gefahren wäre.

»Na, Bärbel, was möchtest du gern?« fragte Erdmann.

»Fliegen!«

Gerhard meinte, das Fliegerkarussell wäre nur etwas für Jungens, aber Bärbel widersprach und flog mit. Sie mußte doch sehen, wie es ist, so durch die Luft zu sausen. Ganz schräg, wie richtige Flugzeuge, wenn sie Schleifen ziehen, surrten die silbern blinkenden Kabinen über den Köpfen der darunter stehenden Leute. Durch den elektrischen Motor wurden nämlich auch die zierlichen Propeller vorn am Rumpf angetrieben. Dazu schmetterte ein Lautsprecher Marschmusik, drüben vom anderen Karussell tönten Walzermelodien herüber, die Leierkästen zweier Luftschaukeln spielten zu gleicher Zeit, unten drängte sich lachend und schwatzend die Menge … es war zum Ohrenzuhalten.

Doch all das gehörte zum Schützenfest in Weißwasser wie die Würstelbuden, Zauberer, Ballonverkäufer, wie die Clowns mit den rot und weiß bemalten Gesichtern, die sich vor den Schaubuden heiser schrien, wie Zuckerstangen, Honigkuchen, Bratheringe, Himbeerlimonade, Eis und ein Dutzend andere herrliche Sachen. Kostete man sie der Reihe nach durch, blieb zu guter Letzt nur noch ein verdorbener Magen übrig. Beinahe wäre es Gerhard so gegangen, der alles mögliche durcheinander aß und danach noch einmal das Fliegerkarussell bestieg. Zwar kletterte er nach beendeter Fahrt etwas blaß aus seinem Pilotensitz, aber er benahm sich tapfer und langte sogar in die Bonbontüte, die ihm die Tante hinhielt.

»Schmeckt's noch?« fragte sie schelmisch.

»Aber klar!«

Erdmann gewann in einer Schießbude durch drei gut gezielte Treffer einen Stoffaffen für seine Jüngste. Sibylle beschloß sogleich, ihn den Puppenkindern mitzubringen, weil sie doch daheim bleiben mußten. Hoffentlich waren sie nicht aufgewacht. Als Sibylle wegging, hatte sie rasch noch einmal nachgesehen. Sie schliefen alle drei, wie es sich für gut erzogene Puppenkinder gehörte, wenn die Mutti einen Spaziergang machen will. Also konnte Sibylle unbesorgt sein. Wenn die beiden Kleinen wirklich aufwachten und weinten, war ja die große, die Bärbel, da und würde sie gewiß beruhigen.


 << zurück weiter >>