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Der alte Menzel schüttet sein Herz aus

Förster Brusse war zu den Ladeplätzen gegangen, um für die nächsten Tage Anweisungen zu geben. Er traf nur noch zwei Holzfäller an, den alten Menzel und einen jüngeren Waldarbeiter, der erst in der letzten Woche ins Revier gekommen war. »Wo ist denn Elsner?« fragte er.

»Elsner hat schon Feierabend gemacht«, erwiderte Menzel. »Sie sollen ihm die Stunde abziehen, meinte er, als er wegging.«

Brusse trat dichter an den Alten heran: »Ich denke, er braucht die paar Pfennige so notwendig?«

»Freilich, Herr Förster, brauchen wird er sie schon.«

»Weshalb läuft er da vorzeitig weg? Ich muß ihm selbstverständlich die Stunde abrechnen.«

Der alte Menzel zuckte die Achseln. »Es bleibt uns sowieso nicht viel übrig. Vorigen Monat ist der Stürk nach der Stadt gezogen. Er will dort im Schacht arbeiten, weil er dann mehr verdient. Sein Häusel steht leer. Meinen Sie, daß schon einer danach gefragt hätte?«

Brusse nickte vor sich hin. »Ja, ja – halb verfallen, durchs Dach regnet es an allen Ecken und Enden ein; man müßte es wegreißen und ein neues hinsetzen.«

»Vielleicht möchte auch dann noch keiner in der verlassenen Ecke hier oben wohnen. Vier Monate Sommer und acht Monate Winter, so ist's doch, Herr Förster. Wenn der Graf mehr Holz schlagen ließe, ginge es allenfalls noch.«

»Nächstes Jahr wird es besser, Menzel; überall soll gebaut werden. Da brauchen die Leute Holz, und wir können es leichter los werden. Oder würden Sie das gute, feste Holz verschleudern, wenn Ihnen der Wald gehörte?«

»Das ja gerade nicht, Herr Förster; bloß für uns ist's halt schlimm bis dahin.«

»Aber den Kopf behalten wir oben. Wer soll denn sonst hier in diesem Wetterwinkel aushalten, etwa die Stubenhocker unten aus der Ebene?«

Das faltige Gesicht des alten Menzel verzog sich zu einem breiten Grinsen. Er holte sich aus seiner Dose den Daumennagel voll Schnupftabak und schob das schwarze Zeug behaglich in die Nasenlöcher: »Recht haben Sie, die würden sich schön ihre Ohren erfrieren, wenn der Wind ihnen im März noch die Häuser mit Schnee zuwehte, daß sie frühmorgens die Tür nicht aufmachen könnten.«

Brusse klopfte dem Alten auf die Schulter. »Ich bin zwar eine ganze Reihe Jahre jünger als Sie, lieber Menzel, aber auch ich könnte mir bessere Reviere vorstellen. Meine Frau hat mir so oft schon gesagt, ich solle mich anderswohin bewerben. Glauben Sie, ich kann's? Es ist eigenartig, wenn einer hier geboren wird, bleibt er den Bergen verschworen und kommt nimmer davon los.«

Bild: Rolf Winkler

»Ich möchte auch nicht fort«, sagte der Holzfäller, stellte die Axt beiseite und zog sich seine Jacke an, die auf einem Haufen abgeschälter Rinden lag.

Der Förster sah nach der Uhr. »So spät schon? Ich gehe mit Ihnen. Ehe ich's vergesse: nehmt mir morgen im Jagen 43 die beiden kranken Bäume weg. Gezeichnet sind sie. Wenn sie der Forstmeister sieht, gibt's erst ein langes Gerede, und gesagt hatte ich es dem Elsner neulich schon.«

»Der Elsner muß wohl seine Gedanken bei anderen Dingen haben. Sie wissen, er ist ein tüchtiger Mensch, und wir beide stimmen auch ganz gut überein, wirklich, Herr Förster, bloß … in der letzten Zeit gefällt er mir nimmer recht. Er schimpft dauernd, hat keine Lust mehr, einmal sagte er mir, er wolle die Holzaxt überhaupt beiseite stellen.«

»So? – Kommen Sie, wir können uns auch auf dem Wege ins Dorf unterhalten.« Brusse wünschte dem jüngeren Holzfäller, der sich in einem nahen Tümpel die Hände wusch, einen guten Feierabend und verließ mit Menzel den Ladeplatz.

»Ich hab' zwar mit ihm schon manchmal darüber geredet«, nahm der Alte das Gespräch wieder auf, »aber viel nutzte es nicht. Sogar um das Mädel, die Bärbel, kümmert er sich wenig oder gar nicht. Na, und früher war das doch anders, da hat er sich halb umgebracht, wenn der Bärbel etwas fehlte. Den letzten Groschen hätte er für sie ausgegeben. Sehen Sie, Herr Förster, weil ich nun den Anton Elsner seit Jahr und Tag kenne, weil ich genau weiß, daß es so, wie er's jetzt treibt, gar nicht seine Art ist, da meine ich halt …«

Menzel zögerte. Er sah Brusse von der Seite an, als trüge er Bedenken, das auszusprechen, was ihm selber schon lange zur Gewißheit geworden war. Vielleicht dachte der Förster anders darüber und hielt ihn für ein Klatschmaul.

»Nun, was meinen Sie halt …?« wiederholte Brusse.

»Herr Förster, nichts für ungut, aber ich denke mir, an allem ist der Likasch schuld.«

»Der Likasch?«

Ja, der und kein anderer. Seit nämlich der Likasch in unserer Gegend ist, hat sich manches geändert. Anfangs kam er bloß einmal im Monat ins Dorf, hernach jede Woche, und jetzt läßt er sich alle drei Tage blicken.«

»Der Likasch handelt doch mit allerlei Sachen. Ich sehe ihn öfter hinunter nach Lomnau fahren.«

»Freilich, freilich«, bestätigte Menzel, »ich kaufe ihm selber dies und das ab, und seine Leinwand ist gut, das muß man ihm lassen.«

»Was haben Sie nun gegen Likasch? Ist er nicht ein Händler wie alle andern?« wandte Brusse ein, weniger um Likasch zu verteidigen, als um den Grund von Menzels Abneigung zu erfahren.

»Ich kann den Kerl nicht leiden.«

»Aha!« lachte der Förster. »Uns werden auch manche nicht leiden mögen.«

»Nein, nein«, beharrte Menzel. »Sprechen Sie einmal mit ihm. Immer wird er an Ihnen vorbeisehen, einen geraden Blick hält der gar nicht aus. Als ich ihn fragte, wo er her wäre, wie man eben unter Dorfleuten so fragt, da lachte er bloß und meinte, er sei mal hier, mal dort, und ob ich nicht eine Wohnung für ihn wüßte, er möchte ganz gern in Panitz bleiben. Ich sagte ihm, ich wisse keine, obgleich ich im selben Augenblick an das Haus vom Stürk dachte, das kurz zuvor leer wurde. Schließlich stieß ihn der Anton Elsner darauf, der dabeistand. Der Likasch hat sich's, glaube ich, angesehen, jedenfalls erzählte mir am anderen Tage der Elsner, es wäre möglich, daß es Likasch herrichten ließe, wenn er es von der Forstverwaltung billig bekäme.«

»Meinetwegen kann er es haben«, sagte Brusse. »Wir würden es sonst sicherlich abreißen lassen, wenn sich niemand meldet.«

»Dann bleibt er doch im Dorf«, bemerkte der alte Holzfäller ärgerlich.

»Wenn er sich anständig benimmt und keinem etwas zuleide tut, darf ich es ihm nicht abschlagen, Menzel. Schließlich beschwert er sich beim Forstmeister und ich krieg eins ausgewischt, namentlich, wenn er das Haus auf eigene Kosten herrichten läßt.«

Das sah der Alte wohl ein. Trotzdem äußerte er seine Bedenken. Mochte Likasch bleiben, wo er wollte, unten in Lomnau oder drüben über der Grenze, in Harla, nur nicht in Panitz.

Wo kam er überhaupt her? Kein Mensch wußte es. Schwarzhaarig war er. Eine lange Strähne fiel ihm jedesmal, wenn er die Mütze abnahm, in die Stirn und verdeckte das linke Auge, über dem sich eine rötliche Narbe zur Schläfe hinzog. Er sprach wenig. Die schmalen, dünnen Lippen hielt er sogar geschlossen, wenn er lachte. Das klang dann so wie ein schadenfrohes Meckern, nicht wie ein fröhliches Lachen. Beständig rauchte er Zigaretten, die er sich selbst drehte, und seine Finger, vom vielen Tabakrauchen vergilbt, sahen nicht nach gröberer Arbeit aus, obgleich Likasch behauptete, er hätte jahrelang drüben in den Wäldern jenseits der Grenzpfähle gearbeitet, ehe er auf den Handel ging. Verdiente er gut, gab er öfter etwas aus, und der Wirt vom Panitzer Dorfkrug sah ihn deshalb gern kommen. Den Holzfällern, von denen sonntags manche bescheiden bei ihrem Glas Korn saßen, ließ er auf seine Kosten Bier einschenken und unterhielt sich mit ihnen. Geld schien er immer zu haben. Der Wirt war es auch, der ihm zuredete, in Panitz zu bleiben, als Likasch eines Tages beiläufig erwähnte, er wolle sich in der Gegend niederlassen.

Und wenn Likasch noch so viel Geld gehabt und beim Lindenwirt noch so viel Bier bezahlt hätte, der alte Menzel mochte ihn eben nicht leiden, auch wenn er dem Förster keinen rechten Grund dafür angeben konnte. Er mußte immer wieder an Anton Elsner denken, der so ganz anders geworden war, seit er es mit dem Fremden hielt.


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