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Mariendienst eines spanischen Hirten

Da Maria unsern Heiland und unser Leben zur Welt brachte, hat sie uns alle zur Seligkeit und zum Leben wiedergeboren.

Der heilige Abt Wilhelm.

In der portugiesischen Stadt, genannt Villa-Vitiosa, wollte vor alter Zeit jemand einen Weinkeller bauen. Er schickte Leute in sein Grundstück, um die Erde auszuheben. Als diese eine gewisse Zeit gegraben hatten, ließ einer plötzlich den Spaten sinken und rief mit allen Zeichen des Erstaunens eilig seine Mitgesellen herbei. Ob sie denn nichts verspürten, fragte er sie, als sie neben ihm standen. Sie verspürten es aber deutlich, daß an dieser Stelle dem Boden ein eigentümlicher Wohlgeruch entströmte. Dieser Duft drang mit einer solchen Stärke und Süßigkeit empor, daß sie unwillkürlich zurücktraten, um nicht betäubt zu werden. »Dieser Boden ist heilig«, sagte einer, und ein anderer meinte, es wären vielleicht, aus einer kriegsgefährlichen Zeit her, noch gottesdienstliche Gefäße hier vergraben; vielleicht sei derjenige, der sie auf solche Weise vor einem heidnischen Feind habe schützen wollen, von plötzlichem Tode überrascht worden, ohne sein Geheimnis jemandem eröffnen zu können. In dieser Meinung befangen, wollten die Erdarbeiter nicht ohne besonderen Befehl weitergraben, sondern es lief einer in die Stadt, um die Geistlichkeit zu verständigen. Gleich den Arbeitern gewahrten auch die geistlichen Herren den seltsamen Wohlgeruch, und sie hießen die Leute ihren Spaten mit aller Behutsamkeit gebrauchen. Schließlich wurde eine mit schwarzem Pech dicht überstrichene Bleitruhe in der Erde vorgefunden und ausgehoben. Unter der ehrerbietigen Neugier des herbeigeeilten Volkes sorgsam geöffnet, enthielt die Truhe ein mit kostbaren Hüllen umwickeltes, holzgeschnitztes Liebfrauenbild. Das Volk verlangte, es solle sogleich eine kleine Kapelle an diesem Orte gebaut werden, um das Bild aufzunehmen; denn der Wohlgeruch bewiese, daß Maria Bild und Stätte begnaden wolle. Dem frommen Verlangen kamen sowohl die geistlichen Herren, indem sie die Erlaubnis erteilten, wie auch der Besitzer des Grundstückes, indem er dieses für den Kapellenbau schenkte, entgegen. Es erfolgte eine Sammlung im Volk, womit für die Baukosten gesorgt war. Nach kurzer Zeit stand das Kirchlein fertig da, und die kleine Statue wurde bei der Einweihung darin aufgestellt. Mit feuriger Begeisterung wanderten nun die Leute an diese trauliche Stätte. Aber wie es im Welschland und auch anderwärts nun einmal geht, oder vielmehr überhaupt in der menschlichen Natur liegt: – als man die Neuheit des Ortes gewohnt war, erlosch das fromme Feuer fast ebenso schnell wie es sich im Gemüte dieser Stadtbewohner entzündet hatte. Einige Jahre später schienen sie der Kapelle vergessen zu haben. Und als ein Menschenalter verstrichen, begann diese, weil von niemand gepflegt, zu verfallen; – ganz so wie es oftmals, nach großartigem Anlauf, mit der menschlichen Bekehrung auch wieder zurückgeht, und die mit so lebhaftem Getue, Musik auch, und geschwollenen Gebärden erstellten Seelentempel-Kulissen verkrachen und weggeräumt werden, um den Dämonen Platz in der Seele für einen neuen Modenbetrug zu schaffen.

 

Was nun die genannte Kapelle bei der Stadt Villa-Vitiosa betrifft, so wäre sie völlig verwaist und sich selbst überlassen geblieben, wenn ihr nicht ein paar gute Hirten in der dortigen Umgegend die Treue gewahrt hätten. Sie waren jetzt die einzigen Besucher dieser Stätte Unserer Lieben Frau. Unter ihnen befand sich auch ein hieher verdungener Spanier, gebürtig aus Kastilien und Ferdinand mit Namen geheißen. Dieser Mann trug in seinem einfältigen Herzen eine besondere Andacht zur Mutter Gottes. Darum ehrte er auch ihr Bild in der Kapelle und war in dieser Verehrung eines, für seinen Stand nicht geringen Opfers fähig: indem er nämlich von dem Öle, das er als Lohn für das Weiden der Herden empfing, eine brennende Lampe vor dem Marienbild unterhielt. Er kam also täglich in die Kapelle, hatte er doch – was wertvoller ist als Öl – auch sein Herz Maria geschenkt.

Weil die anderen Hirten nach anderen Weideplätzen abgezogen waren, blieb Ferdinand schließlich der einzige Gast Marias in dieser Kapelle, dafür ein treuer.

 

Als er jedoch seinen Dienstplatz in Portugal verließ, weil er in seiner spanischen Heimat, bei Cordova, sich einem anderen Herrn das Vieh zu hüten verdungen hatte, tat ihm der Abschied von dem lieben Bilde gar zu weh. Wissend, daß sich außer ihm doch niemand darum gekümmert hatte, hielt er es für ein frommes Recht, das Bild mitzunehmen in die Heimat. Ehrerbietig holte er es von seinem bisherigen Platze und packte es, sauber verwickelt, in seinen Hirtensack. Dann machte er sich damit auf nach Cordova, in die Flur Gamonaras, wo er seine neue Viehweide versah. Das Bild aber stellte er dort in einen alten, ausgehöhlten Weidenstamm, wo es, gegen Wind und Wetter geschützt, seine fromme Zuflucht war. Hier verrichtete er jetzt seine Gebete, danach aber, je nachdem die Arbeit ihm dazu Zeit ließ, sang er zu Ehren Marias die Lieder, die er wußte. Weil er aber auch die Zupfgeige zu gebrauchen verstand, spielte er Unserer Lieben Frau auf ihr vor. Allmählich zog er auch die anderen Hirten aus der Nähe zu dieser freundlichen Stätte.

 

Unterdessen hatte man aber in Villa-Vitiosa, mehr zufällig als mit Absicht, gemerkt, daß die verfallene Kapelle leer war und das Bild verschwunden. Nun auf einmal taten sie so, als ob ihnen der Schatz, den zu hüten sie sich keinerlei Mühe genommen, kostbar und unentbehrlich wäre. Durch eifriges Herumfragen stellten sie fest, daß wohl niemand anders als der spanische Hirte das Bild entführt haben könne, wozu sie übrigens nicht übermäßig viel Scharfsinn gebraucht hätten; denn Ferdinand allein hatte noch für das Bild Sorge getragen. Flugs entsandten sie ein Dutzend Reisige gen Cordova, die dann auch richtig unsern Hirten, den Hüter des Bildes, und dieses selber im Weidenstamm entdeckten. Nicht ohne Triumphgeschrei, aber auch ohne langes Federlesen bemächtigten sie sich, nachdem sie das Bild schon sorglich an sich genommen, auch der Person seines Entführers, den sie zum Angeld auf seine künftige Strafe zuerst noch mit einer Tracht Prügel bedachten. Die siegreiche Schar zog mit dem Bild und mit dem gefangenen Sünder in Villa-Vitiosa ein, woselbst das Gericht gegen den Hirten zusammentrat und ihn wegen Kirchenraubes zum Tode verurteilte. Am andern Tag sollte er an den Galgen gehängt werden.

 

In solcher Not wandte sich der Diener Marias zu seiner viellieben Königin und sprach in seinem einfältigen Herzen also zu ihr: »O du abgrundgute Herrin und Frau, das kann doch nimmer geschehen, daß dieses mein Lohn ist. Gedenke doch, wie sie dich allein gelassen in der Kapellen, nur bloß ich armer Viehhirt habe nach dir geschaut. O du vielliebe Mutter, von meinem armseligen Lohne ein gutes Teil habe ich gegeben, um dir ein Lämplein zu brennen, nun soll der Galgen mein Lohn sein. Gedenk doch, o Jungfrau, der Nacht zu Bethlehem, uns Hirten allein haben die Engel zu dir und deinem göttlichen Kinde als Erste geholt. O Maria, Maria hilf!«

Als man am andern Morgen den Hirten aus dem Kerker holen wollte, war er fort. Von einer bösen Ahnung erfaßt, stürzte man auch allsogleich in die alte Kapelle, die Blumen waren noch da, die man ausnahmsweise zum Wiederempfang des Bildes gewunden, hingegen das Bild war verschwunden.

Hurtig wurde eine neue und größere Reiterschar entsandt, denn so wenig man sich diese Flucht aus wohlverschlossenem Kerker und des Hirten wiederholten wagemutigen Raub zu erklären vermochte, hoffte man zu Pferde schon in wenigen Stunden seiner und des Bildes habhaft zu werden. Aber die Reiter mußten reiten bis in das Spanische hinein, über drei Tagereisen weit, und sie fanden in der Flur Gamonaras, bei Cordova, den Hirten, der das Bild schon vor drei Tagen wieder andächtig in den hohlen Weidenstamm hineingestellt hatte. Da überfiel die Reisigen eine heilsame Furcht, denn es war unverkennbar, daß die Flucht des Hirten und des Bildes, in so menschenunmöglicher Schnelligkeit, hatte durchaus nicht ohne göttliche Hilfe geschehen können. Und es wagte der Leutnant dieser Schar nicht mehr, Hand an den Hirten oder gar an das Bild selber zu legen, vielmehr stiegen sie in banger Ehrfurcht von ihren Pferden und verrichteten eine friedliche Andacht. Bevor sie sich wieder aufsetzten, um das Wunder in ihre Heimat zu melden, schenkten sie dem Hirten noch Geld, damit er dem Bilde hier eine kleine Kapelle erbaue, und sie sagten, als ein zweiter Habakuk solle er nun ungeschoren bleiben an dem Ort, wohin ihn Gottes Wille und die Fürbitte der Jungfrau mitsamt dem Bilde wieder entführt habe. Wer aber von den Leuten in Cordova glaube, nicht ohne zeitweilige Andacht vor diesem Bilde leben zu können, der solle es machen wie sie und hieher in die Flur Gamonaras, sei es reiten, sei es pilgern; sie aber seien christliche Soldaten und wollten nicht dem zu befürchtenden Zorne Gottes verfallen, indem sie seinem klaren Willen entgegen hier ein zweites Mal zu handeln versuchten. Damit zogen sie ab.

In der Tat wurde alsbald an jenem Weideplatz eine Kapelle gebaut, an welcher Ferdinand noch viele Jahre als Mesner Gottes- und Mariendienst tat. Und Unsere Liebe Frau segnete die neue Ruhestätte ihres Bildes mit unzähligen Gnadenerweisungen an ihren Kindern und Pilgern, bis auf den heutigen Tag.


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