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Unsere liebe Frau von Falcoet oder
Das Ave Maria

Maria, –
Paradies, in dessen Mitte gepflanzt ist der Baum des Lebens, von dessen Blättern die Kranken geheilt, von dessen Wohlgeruch die Toten belebt werden, dessen Würze das Bittere in Süßigkeit wandelt, dessen Schatten die Elenden erquickt, dessen Anblick die Engel erfreut!

Der heilige Augustinus.

Im Anfange des 14. Jahrhunderts wurde im Innern der Niederbretagne, unfern der Stadt Lesneven, armen Leuten ein armes Kind geboren, Salaün oder Salomon mit Namen. Es zeigte sich bald, daß dieses Kind blödsinnig war. Was über drei ging, konnte es niemals verstehen. Mit harter Mühe wurden ihm einige Worte beigebracht, wie Brot, Wasser und weh. Nur langsam lernte es den Gebrauch seiner Glieder. Und in allem stand es weit allen andern Kindern nach.

Gleichwohl schickten es seine Eltern, als es etwas herangewachsen war, zum Kaplan in den Religionsunterricht, damit es den Katechismus lerne und die gewöhnlichen Gebete. Dieser Kaplan hatte wohl seine große Not mit ihm, aber er ließ sich die Mühe nicht gereuen, besonders weil es so gutartig war. Es saß ganz bewegungslos da, und an den Augen konnte man sehen, wie's in ihm arbeitete, aber vergebens. Da unterwies der Kaplan den Salaün gesondert, und er freute sich herzlich, als es ihm gelang, dem Buben das Notwendigste klarzumachen, nämlich daß Gott die Welt geschaffen hat und die ersten Menschen, Adam und Eva, daß diese gesündigt haben, daß der Sohn Gottes auf die Erde gekommen als ein kleines Kind, und ihn später die Menschen gekreuzigt haben; daß er im Abendmahl verborgen ist; und daß die Menschen, die Gott lieben, zu ihm in den Himmel kommen. Am besten aber verstand Salaün das, was ihm der Priester von der Mutter Gottes erzählte, nämlich, daß man in allem zu ihr rufen müsse, weil sie allezeit hilfreich ist und es Gott sagt, wenn man sie um etwas bittet. Salaün konnte die gewöhnlichen Gebete nicht behalten, nur nachsagen, aber er merkte sich die zwei Worte Ave Maria, und in der Kirche schaute er unverwandt auf das Bild Marias und des Jesukindes, bewegte dazu seine Lippen, und man konnte daran ablesen, daß er immer Ave Maria sagte, Ave Maria. Dieses Bild hatte er von nun an immer vor Augen, wo er auch war, und er setzte daher allem, was er im täglichen Leben stammelte, die Worte bei: Ave Maria! Daran, daß Salaün, obwohl so blöde, niemals zu etwas Bösem verlockt werden konnte, sondern wenn ihn die anderen Kinder dazu nötigen wollten, mit dumpfem Schreien davonlief, erkannte der Kaplan, daß seine Arbeit Gottes Lohn gefunden habe. Nach vier Jahren des so mühevollen Unterrichtes ließ er es bei dem Erreichten bewenden, ging ganz allein mit dem Knaben vor den Altar und gab ihm das heilige Abendmahl. Dann segnete er den Salaün in diesem seinem geheiligten Zustand, indem er ihm wiederholt das Kreuzzeichen auf die Stirne machte, und es vergoß der Kaplan dabei Tränen der Liebe, die unser Herrgott gesehen hat.

 

Bald darauf starben die Eltern des Salaün, und sie schieden von dem armen Jungen mit wehem Herzen. Nach ihrem Tod war er genötigt, sein Brot zu betteln; zu einer Arbeit war er nicht zu gebrauchen. Er wählte sich eine Wohnstätte im Walde, nahe bei einer Quelle, wo eine große schiefe Eiche stand, darunter er auf der Erde schlief. Es war sonderbar, daß sein Körper allen Wetters Unbill, Hitze, Regen, Kälte, Sturm und Eis, ertrug. Ungeachtet seiner Unwissenheit blieb er fromm, und unser lieber Herr Jesus, der uns alle an sich zieht, rief ihn alle Morgen nach Lesneven, dahin ging er unverdrossen und zur rechten Zeit, geleitet von der Mutter Gottes. Während der Messe schaute er wieder wie immer auf das Bild Marias mit dem Jesukind und sagte, wie immer, beständig Ave Maria. Nach der Messe bettelte er in der Stadt oder in der Umgegend, indem er dabei sprach: »Salomon würde gern Brot essen, wenn er hätte, Ave Maria!« Die Kinder, die ihn allfort die nämlichen Worte wiederholen hörten, verfolgten ihn mit dem Geschrei: Foll Salaün, Salomon der Narr! Er aber antwortete nichts auf diesen Spott, sondern von Zeit zu Zeit blieb er stehen, sah die Kinder um sich herum mit großen Augen an und sagte: Ave Maria! – Dieses Benehmen und das oft gehörte Geschrei der Kinder war der Grund, daß man ihn allerorten nur »Salomon den Narren« hieß.

Wenn Salaün seine Nahrung erbettelt hatte, zog er sich in den Wald zurück. Er war sehr froh, daß dort Stille herrschte, ohne Kindergeschrei; denn daß die Vögel mit ihrem Zwitschern und Singen nicht ihn verspotten wollten, wußte er, weil es nicht klang wie foll Salaün. Hier im Walde verzehrte er nun sein Brot, indem er jeden Bissen in den Quell tauchte und dabei jedesmal sagte: Ave Maria!

 

In jener Zeit führten der Herr Johann von Montfort und der Herr Karl von Blois einen Erbkrieg, und ihre Truppen schweiften in der Gegend von Lesneven umher. Kundschafter des Haufens von Montfort durchstreiften den Wald, da erblickten sie Salaün an seiner Quelle sitzend. Sie riefen ihm zu: »Wer da?« – Er schaute furchtlos auf sie und antwortete: »Ave Maria!« – Dieses Benehmen war den Soldaten verdächtig, sie durchsuchten ihn, was er ohne Abwehr geschehen ließ. Sie fanden natürlich nichts bei ihm, ließen ihn stehen und gingen, indem sie ihn für einen armen Narren hielten. Er schaute ihnen nach und sagte Ave Maria!

 

Salaün sah im Herbst die Vögel fortfliegen. Er winkte ihnen mit seinen ungelenken Armen und sagte: Ave Maria! Im Frühling sah er sie wiederkommen, da stiegen ihm vor Freuden die Tränen in die Augen, und er sagte dankend: Ave Maria!

Denn immer stand vor seiner Seele das Bild der Mutter Gottes mit dem Jesuskind. So lebte dieser beraubte Mensch in der gnadenreichen Gegenwart der himmlischen Mutter und des göttlichen Kindes. Im Winter aber fror es ihn zuweilen bitterlich, da sagte er, flehend um etwas Wärme: Ave Maria!

Sein Schutzengel verließ ihn nie, sondern er sah ihm auf den Grund seiner Seele, darinnen erstrahlte wie in einem klaren See das Bild der Mutter Gottes und des Jesukindes. Salaün aber saß da und streichelte das Moos, welches schneefrei war, unter der schiefen Eiche; und weil es ihm schön vorkam, sagte er dankbar: Ave Maria! Der unsichtbare Engel aber blickte zum Himmel empor, und er klagte wahrlich nicht, daß er dem ärmsten Menschen zugeteilt worden, sondern er sprach: O Gott, es ist schön, bei diesem Menschen zu weilen.

 

Salaün, als er älter wurde, erkrankte zuweilen und konnte nicht nach Lesneven gehen, um die heilige Messe zu hören und sein Brot zu betteln. Wenn es ihn im Fieber schüttelte und der Hunger ihn bitterlich quälte, sagte er mit stillen Tränen: Ave Maria!

Mildtätige Personen, von dem erbärmlichen Zustand des Armen gerührt, suchten ihn auf und boten ihm eine Zufluchtsstätte in ihren Häusern an, indem sie ihm sagten: »Salaün kommen, Bett schlafen, ausruhen!« – Er verstand sie endlich, aber er folgte ihnen nicht, sondern er schüttelte sein armes Haupt mit den langen wirren Haaren, und sagte: Ave Maria, ave Maria!

Die Wölfe und andere wilde Tiere taten ihm nichts zu leid, Maria schützte ihn. Vierzig Jahre brachte er in diesem Leben zu; als ihn ein frommer Mann bei der Quelle dem Tode nahe fand – er hatte ihn gesucht, weil er ihn schon seit einiger Zeit in der Messe zu Lesneven vermißt hatte –, wollte ihn dieser mitschleppen in seine Wohnung. Aber auch jetzt willigte er nicht ein, sondern machte dem Manne mit vieler Mühe begreiflich, daß er gehen und den Pfarrer zu ihm bringen solle; er sagte: »Salaün Himmelsbrot essen, o bitte, Ave Maria!« – Der Mann kam mit dem Pfarrer zurück, der dem Salaün dann die heiligen Sterbesakramente reichte. Gleich darauf, von Unserer Lieben Frau inniglich getröstet, verschied er in süßestem Frieden.

 

Dieses war an einem Samstag geschehen. Des andern Morgens, jedoch zu früher Stunde und noch vor der heiligen Messe, wurde Salaün auf dem Kirchhof der Pfarrei ohne alles Gepränge begraben; außer dem Pfarrer und Meßner war niemand zugegen. Aber als der Pfarrer sagte: requiescat in pace, er ruhe in Frieden, und sodann in die Sakristei zurückkehren wollte – da erhob sich in den Sphären ein wundersames Tönen, bald leise bald brausend, lieblich und gewaltig ein Engelgesang, und die Engel sangen das Ave des Narren Salaün, Ave Maria. Bestürzt blieben Pfarrer und Meßner am Grabe stehen, da standen sie lange, bis schon das Volk zur Sonntagsmesse herankam. So hörte die ganze Gemeinde die Himmelsmusik, und keiner konnte mehr etwas sagen vor Staunen. Aber alle erfuhren sie so, daß Salaün der Freund und Schützling Unserer Lieben Jungfrau gewesen. Zum Andenken des himmlischen Grabgesanges aber wurde am Orte der Eiche und Quelle Salaüns, draußen im Walde, zu Marias Ehren eine Kapelle errichtet, und hierdurch Salaüns irdischer Wohnort für immer der Mutter Gottes geweiht.


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