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Die Mariensäule in München

Höret, Nationen und Völker des Universums, die ihr euch nach dem Himmelreiche sehnet, vernehmet es: Ehret Maria, und ihr werdet das ewige Leben gewinnen.

Der heilige Bonaventura.

 

Volk und Reich, welche der Mutter Gottes nicht dienen, werden untergehen, weil sie, beraubt der Hilfe einer solchen Mutter, auch keine Hilfe finden bei ihrem Sohne.

Der heilige Johannes Damascenus.

Unsern Gruß zuvor, umsichtige, ehrsame, weise, liebe Getreue! Nachdem man bei vergangenem feindlichen Einfall, indem der Feind auch diese unsere Haupt- und Residenzstadt okkupiert, augenscheinlich erfahren, daß der allmächtige Gott die allhiesige Stadt, und zwar unzweifelhaft durch Fürbitt der allerseligsten Himmelskönigin und Mutter Gottes Mariä als sonderlichen Patronin und Beschützerin unserer Lande und gemeldeten Stadt, von Brand und anderem feindlichen Verderben sonderlich behütet und errettet, und wir daher zur schuldigsten dankbarsten Seiner göttlichen Majestät zu besonderem Lob, auch der heiligen Himmelskönigin zu Ehren und ewigem Gedächtnis, ein öffentliches Monumentum von einer Säule und darauf stehenden U. L. Frau Bildnis, inmitten des Platzes aufrichten und künftigen Montag damit einen wirklichen Anfang zu machen vorhaben, so haben wir's Euch zu Eurer Nachricht und Wissenschaft hiermit gnädigst notifizieren wollen und sind Euch dabei in Gnaden gewogen.«

Mit diesem Erlaß, gegeben am 12. Dezember 1637, einige Zeit nach Abzug der Schweden – also im Dreißigjährigen Krieg – lud der bayerische Kurfürst Maximilian den Bürgermeister, den Stadtrat und die Bürger der Stadt München ein, der Grundsteinlegung der Mariensäule beizuwohnen, welche noch heute am Marienplatze steht.

Es ist freilich nicht mehr die gleiche Säule, vielmehr wurde sie, weil schadhaft geworden, durch eine neue ausgewechselt am 28. August des Jahres 1855, welche Erneuerung aus Dankbarkeit für das Aufhören der damals herrschenden Cholera geschah. Am genannten Tage fand auch ein frommer Festzug zu der Säule statt, an dem viele hohe Herren, die Behörden und unzähliges Volk teilnahmen.

 

Es nahmen darunter auch teil der Jüngling Franz Xaver Brantl, Schreinergeselle, damals neunzehn Jahre alt, und Maria Giehrl, Schreinermeistertochter von München, die erst achtzehn Jahre zählte. Diese beiden Menschenkinder, die auf ehrbare Weise eine nur ihnen bekannte Liebe zueinander im Herzen trugen, hielten sich jedoch ganz hinten im Zuge, wo, wie das immer so zu sein pflegt, schon etwelche Unordnung herrschte; so konnten sie nämlich während der Feier nebeneinander stehen, wohingegen im wohlgeordneten Festzug weibliche und männliche Teilnehmer getrennt gingen. Sie störten jedoch die Feier nicht etwa durch törichtes Geschwätz, sondern es genügte ihrer Liebe, still eines neben dem andern stehen zu können.

 

Acht Jahre später wurden diese Zwei Mann und Frau, weil der Vater des Mädchens gestorben war und die Mutter jetzt in ihre Ehe einwilligte. Franz Xaver Brantl übernahm hierbei die Schreinerei, die der Verstorbene hinterlassen hatte.

Es waren aber diese Eheleute recht herzliche Verehrer Unserer Lieben Frau. – Xaver, der auch das Bildschnitzen nebenher ein wenig gelernt hatte, pflegte, soweit ihm die Schreinerei Zeit ließ, in den Mußestunden Muttergottesbilder zu schnitzen, und diese verschenkte er, nachdem er sie zu weihen gegeben, jeweilen an Verwandte und Freunde zu ihren Familienfesten. Er bemühte sich, diese kleinen Statuen derjenigen, welche von der Mariensäule getragen ist, ähnlich zu machen. Nach öfterer Wiederholung gelang ihm die Ähnlichkeit einmal besonders gut, darum schenkte er diese Statue seinem eigenen Weib, dieses trug sie zu weihen, und sie stellten sie dann in ihrer Wohnung auf, unter dem Kruzifix, das nach ehrwürdigem Gebrauch in einer nach Osten gerichteten Ecke des Zimmers angebracht war. Hier verrichteten sie auch ihre täglichen Gebete.

 

Die Ehe war nur mit zwei Kindern gesegnet, einem Sohn und einer Tochter. Der Sohn zeigte keine Neigung für das Handwerk seines Vaters, sondern ergab sich dem Handel, worin er viel Glück hatte. Mit fünfunddreißig Jahren war er ein wohlhabender Mann, da starb er eines jähen Todes; ihm folgte ein Jahr später in frühem Heimgang, zufolge schweren Kindbettes, seine Schwester nach. In diesen Jahren vergossen die geprüften Eltern viele Tränen vor dem Kruzifix und dem geschnitzten Marienbild, vor Christus unserm Herrn und Maria (denn sie wußten gar wohl, daß man nicht das Bild selber anbete).

Es fiel dem Vater Brantl späterhin noch lange aufs Herz, daß er von seinem Sohne Geld geerbt hatte und daß sie nun von den Zinsen dieses Erbes leben sollten, denn er selbst war inzwischen zu alt geworden, um weiter zu schreinern. »Maria,« sagte er zuweilen zu seinem Weibe, »ob du es mir nun glaubst oder nicht – es tut mir jeder Pfennig weh, den ich davon ausgebe.« Sie glaubte es ihm aber schon. Und sie kamen überein, daß, wenn sie einmal beide gestorben seien, dieses Geld niemand anderem gehören sollte als Unserer Lieben Frau, indem sie es nämlich als Benefiz für einen Priester der Dompfarrei vermachen wollten. –

 

Früher hatten viele Leute, wenn sie an der genannten Mariensäule vorübergingen, ehrfürchtig gegrüßt, auch konnte man nicht selten Männer und Frauen aus dem Volke vor der Einfassung des Denkmales knien und ihre Andacht verrichten sehen. Inzwischen wurde München immer größer, es gingen immer mehr Menschen an der Mariensäule vorüber, jedoch immer seltener kam es vor, daß dort jemand sein Gebet tat. Später, als die Bevölkerung noch weiter gewachsen war, wurde auch das bloße Grüßen vor dem Bilde Mariens am Platze recht selten, das Beten dort hörte überhaupt auf. Wieder ein paar Jahre später grüßte niemand mehr, und die Männer behielten alle ihren Hut auf dem Kopf.

Dieses Verhalten in seinen Veränderungen hatte das Ehepaar Brantl mit Betrübnis verfolgt. Und sie vereinbarten, daß sie zur Sühne, wenn schon in unauffälliger Weise, jedes jeden Tag ein paar Ave Maria dort beten wollten. So hätte man sie, sofern man ihrer achtete, oftmals wie zufällig in der Nähe der Säule stehen sehen können; Xaver nahm dann wie zufällig seinen Hut ab, und so beteten sie. Aufsehen wollten sie nämlich mit dieser frommen Übung nicht erregen, nicht aus Menschenfurcht, sondern aus Bescheidenheit. Hingegen sagte Brantl manchmal zu seinen, infolge allmählichen Hinsterbens seltener werdenden Freunden, wenn er ihnen etwa begegnete, mit aufrichtiger Betrübnis: »Das kann kein gutes Ende nehmen, daß alles so gleichgültig an der Mariensäule vorbeiläuft; denn das Marienbild steht da auf dem Hauptplatz der Stadt, die Stadt aber ist die Hauptstadt vom Land, und das Land ist der Mutter Gottes geweiht. Wenn aber unsere Patronin den Leuten nichts mehr bedeutet, wird eines Tages das Land selber auch nichts mehr für die Patronin bedeuten. Sollte mich wundern, wenn das ein gutes Ende nimmt, ich glaubt nicht.« Aber man hörte auf solche Worte nicht eben viel, auch sagten schließlich seine Freunde zueinander, jedesmal, wenn man den Brantl trifft, fängt er von seiner Mariensäule an, er wird halt auch schon langsam kindisch.

Hingegen sprach einmal des Brantl gutes Weib zu ihm über diese Sache, und sie sagte, seit gutding zehn Jahren, nein, schon seit fünfzehn, seien sie und er selber, ihr Mann, die zwei allereinzigen Menschen im ganzen Bayernland, die noch im Geheimen ein Ave Maria beten an diesem Marien- und Hauptplatz der Hauptstadt, wo doch das Land Maria geweiht sei; das könne wohl kein gutes Ende nehmen. – Er antwortete ihr, daß er das auch immer sage, aber er merke, daß man nicht einmal mehr auf ihn höre.

 

Xaver Brantl und sein Weib gehörten nun allgemach zu den ganz alten Bürgern der Stadt. Und es wurde, infolge des angeschwollenen Verkehrs, der elektrischen Tramways und Autos und Wägen, für sie immer gefährlicher, den Marienplatz zu passieren. Da schlug Xaver einmal vor, sie sollten nun nicht mehr an den Marienplatz selber gehen, sondern in die Nähe, am besten vom Markt herauf an der Peterskirche vorbei, und von der Gasse vorn zur Mariensäule herunterschauen. Aber als sie da in der Gasse standen und nur so von weitem zur Mariensäule hervorguckten, da war es ihnen beiden zu arg, und sie sagten zueinander: es wäre doch gar zu traurig, daß auch sie zwei allereinzigen Menschen im Bayernland, die bisher noch ein Ave Maria im Geheimen gebetet hätten an diesem Marien- und Hauptplatz der Hauptstadt, jetzt mit dieser Übung aufhören und nur so von weitem vorguckern sollten, wo doch das Land Maria geweiht sei, sie wollten doch nicht mitschuldig sein, wenn das einmal kein gutes Ende nähme. – Deshalb gingen sie doch wieder, mit großer Vorsicht, vor zum Marienplatz und in die Nähe der Säule.

 

Als sie nach diesem Spaziergang heimgekommen waren, mußte sich Frau Brantl zu Bett legen, denn es war ihr nicht gut. Sie merkte aber gleich, daß sie nicht mehr aufstehen würde, und sie sagte zu ihrem guten Mann, der saß mit einer Zeitung neben ihr, aus einem Stuhl neben dem Bettrand: »Geh, Xaver, ich mein, es wär schön, wenn du jetzt die Mutter Gottes vom Wohnzimmer da ins Schlafzimmer hereinstellen möchtest, es ist doch die von der Mariensäule, und ein Kreuz habe ich ja hier.« Sie deutete aber auf das Sterbekreuzlein neben ihrem Bett. Da erschrak Xaver heftig und sagte: »Ja, Mutter, wie meinst du denn das jetzt?« – Da schaute sie ihn freundlich an und sagte: »Ja, Xaver, ich mein, daß ich unsere Kinder bald wiedersehen werd!« – Ihm zitterten die Knie, und er ging unter dicken Tränen das geschnitzte Muttergottesbild holen, das stellte er auf ein Tischlein im Schlafzimmer und stellte das Tischlein so, daß sein Weib das Bild vom Bett aus leicht sehen konnte. Da sagte sie: »Dank schön.« – Und nach einer Weile ruhigen Liegens schlug sie die Augen auf und sagte: »Xaver!« – »Ja, Mutter.«

»Xaver, mir hat was geträumt in diesem Augenblick.« –

»Was denn, Mutter?« –

»Mir hat geträumt, es hätte mein Vater selig zu mir gesagt: Maria, wenn die Zeit kommt, wo kein Mensch mehr am Marienplatz betet, du nicht mehr und später auch der Xaver nimmer, dann kommt eine ganz böse Zeit, und für eine Zeitlang ist es dann mit dem Bayernland ganz aus. Und es wird dann nicht eher wieder gut, als bis das ganze Deutschland der Mutter Gottes geweiht ist, dann kommt auch fürs Bayernland wieder eine gute Zeit.«

Da erwidert ihr Mann: »Mutter, jetzt das ist sonderbar, ob du mirs glaubst oder nicht, aber wie du grad vorhin ein wenig geschlafen hast, habe ich dir so zugeschaut beim Schlafen, und da hab ich gedacht, daß du jetzt deinem Vater gar so ähnlich siehst. Und es ist mir vorgekommen, als wär er selber auch hier im Zimmer, und was meinst du, daß er gesprochen hat? – ganz das gleiche, denn er hat gesagt: Wenn die Zeit kommt, wo kein Mensch mehr am Marienplatz betet, dann kommt eine ganz böse Zeit, und für eine Zeitlang ist es dann mit dem Bayernland ganz aus. Und es wird dann nicht eher wieder gut, als bis das ganze Deutschland der Mutter Gottes geweiht ist, dann kommt auch fürs Bayernland wieder eine gute Zeit.« –

»Ja, Xaver,« erwiderte sein Weib, »das ist wahrhaftig sonderbar, es wird eben wahrscheinlich wahr sein, was meinst du?« –

»Ich glaub, es ist ganz sicher wahr.« –

Nach einer Weile aber bat ihn sein krankes Weib, er solle jemanden um einen Geistlichen schicken, es sei Zeit. Dieser wurde geholt. – Am andern Morgen aber war der alte Brantl allein, denn sein Weib war zu den Kindern fortgegangen.

 

Dies war im Jahr 1912. Von da ab tat er allein den kleinen täglichen Gang zum Marienplatz in die Nähe der Säule, wenngleich zuweilen mit einiger Furcht vor den Wagen und Autos. Da hielt er nun als Letzter seine kurze Andacht und Marien-Ehrenwacht. Aber im Februar des Jahres 1914 sank er am Feste Mariä Lichtmeß neben dem sogenannten Metzgerbrunnen am Marienplatz plötzlich nieder und war tot; sein Angesicht war noch der Mutter Gottes auf der Mariensäule zugewandt, und es war die Stelle, auf der er gestorben war, fast die gleiche wie die, an der er, neunundfünfzig Jahre früher, an der Seite des insgeheim von ihm geliebten Mädchens, seines späteren Weibes, dem Festgottesdienst unter der Mariensäule beigewohnt hatte.


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