Wilhelmine Heimburg
Trudchens Heirat
Wilhelmine Heimburg

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Trudchen erwachte, als eben der Tag zu dämmern begann, aus tiefem traumlosen Schlaf. Sie war nicht krank, und sie wußte ganz genau, was mit ihr vorgegangen war gestern abend. Sie lag in Tante Rosas Zimmer auf dem Sofa. Über ihr lächelte die Urahne in der Puderfrisur, und das ganze rosenbekränzte, wunderliche Zimmerchen stand in purpurrotem Morgenschein.

Zu Füßen des Lagers auf einem niedrigen Schemel saß ein junges Mädchen in schwarzem Kleidchen und weißer Schürze. Der dunkle Kopf war gegen die Sofalehne gesunken. Die Kleine schlief süß und fest.

Leise erhob sich die junge Frau. Man hatte ihr gestern abend die durchnäßten Kleider ausgezogen und sie in einen Schlafrock gehüllt. Es war ja noch allerhand Garderobe von ihr in Niendorf. Auch die schmalen Pantoffeln fand sie vor dem Lager, in 244 welche sie sonst beim Aufstehen zu schlüpfen pflegte. – Sie war sehr eilig und sehr behutsam, um das Mädchen nicht zu wecken. Wie sie aber leise die Tür aufklinkte, fuhr die Schlafende empor, und ein Paar verwunderte dunkle Augen schauten Trudchen an.

»Wo wollen Sie denn hin?« fragte die klare Stimme.

Trudchen blieb zögernd stehen.

»Herr Linden ist so spät erst schlafen gegangen«, fuhr Heidchen Strom fort, »er hat bis vor einer Stunde hier an Ihrem Lager gesessen – Sie wollen ihn doch nicht wecken? Es ist kaum vier Uhr.«

Ein Paar feste, kleine Hände zogen die junge Frau von der Tür fort und drängten zum Sofa. Im Widerspruch zu den kindlichen Worten schauten sie ein Paar ernste Augen an, und die sagten deutlich: »Tue, was du willst – fort lasse ich dich nicht!«

Trudchen saß wieder auf dem improvisierten Bette und biß sich die Lippen wund. Das junge Mädchen aber machte sich am Nebentische zu schaffen, und bald durchzog würziger Kaffeeduft das Zimmer.

»Hier!« sagte sie und bot der jungen Frau eine Schale des heißen Getränkes, »nehmen Sie, es wird Ihnen gut tun. Ich habe Herrn Linden auch Kaffee gekocht in der Nacht – trinken Sie nur ruhig aus, es ist seine Tasse, und ein anderer hat sie nicht an dem Munde gehabt.«

245 Und als Trudchen schwieg und die Tasse, ohne zu trinken, in der zitternden Hand hielt, fuhr die Kleine fort, ohne darauf zu achten: »Ja, das war ein böser Tag gestern, das furchtbare Wetter und der entsetzliche Schlag, und im Nu stand die große Scheune in Flammen, und ehe Hilfe kam, da brannte schon die andere, und mit Müh' und Not sind die Tiere gerettet. Wenn Herr Linden nicht so ruhig gewesen wäre und so besonnen, es hätte schrecklich werden können! Aber der ging in den Pferdestall, als ob nicht schon die Flammen hinter ihm drein züngelten, und da hat er den Gäulen das Geschirr aufgelegt, und die vorher nicht herauszukriegen waren, gingen mit ihm ruhig unter dem brennenden Vordache hin wie die Lämmer. Und, denken Sie nur, als der Tumult am allergrößten, und die Flammen die sprühenden Garben in die Luft warfen, als wären es Raketen, da schreit etwas so arg und jammervoll aus der Luke des Futterbodens, und da ist es Lore, die große Bernhardinerhündin, die da oben ihre Jungen hat. Und wie die unvernünftige Kreatur die Menschen um Erbarmen anflehte! Ich hörte vom Fenster aus, daß keiner hinaufwollte. ›Um so ein Vieh!‹ sagten sie alle. Und da auf einmal sehe ich eine Leiter, und eins – zwei – drei – eine Gestalt oben in den Flammen verschwinden. Was meinen Sie, Herr Linden hat sie alle geholt, die Alte und die Jungen – alle!«

Die Augen der Kleinen funkelten in Tränen. 246 »Aber an seinem Arme spürt er es freilich«, setzte sie hinzu, »und es war doch nur ein Hund. Gelt, was könnte der erst für einen Menschen tun! – Tante Rosa war so böse mit ihm und sagte, als er blaß und von Schmerz gepeinigt herunterkam, er hätte verunglücken können. Da meinte er, so ein dummes Ding, wie sein Leben, wäre keinen Pfifferling wert! Und gerade wie er es heraus hatte, da kratzt die Diana so ungestüm an der Saaltür, und da stürzte er hin, daß ich meine, es habe wieder eingeschlagen, und wie ich hinterher renne, da hatte er Sie schon in dem gesunden Arme und sagte, er hätte es gewußt, er hätte es gewußt, daß Sie kommen.«

Trudchen stand nun doch auf und schritt zur Tür. Aber siehe, da kam ein anderes Hindernis. Das war Tante Rosa, die aus ihrer Schlafstube trat im wunderlichsten Negligé und der riesigsten weißen Schlafhaube, die je eine alte Dame getragen hatte. Sie nickte Trudchen zu und legte die kleine welke Hand auf ihre Schulter.

»Der liebe Gott gibt dem verstockten Herzen immer einen Fingerzeig«, sagte die uralte Frau. »Ja, in der Not, da wachsen dem Herzen Flügel, damit es sich hinwegheben kann über all das kleinliche Gerümpel von Stolz und Trotz. Es war gerade noch vor Toresschluß, mein liebes Kind, denn gestern nachmittag, nachdem ein gewisser Jemand eine Unterredung mit ihm gehabt hat, da habe ich 247 die Hände gefaltet und gebetet, daß dem Manne Kraft gegeben werde, den Schlag zu ertragen. – Es sah nicht aus danach, als könnte er darüber fortkommen.«

Heidchen Strom ging jetzt leise aus der Tür, und die alte Frau blieb vor dem schönen jungen Weibe stehen, und unter ihrer mageren durchsichtigen Hand schien die hohe Gestalt fast zusammenzusinken. Aber keine von beiden sprach. Das Frührot glühte höher auf, und dann spielten die ersten Strahlen der Sonne auf dem braunen Haar Trudchens.

Und nun schlug sie die Hände vor das Gesicht. »Das Glück ist dahin – ich kann ihm nichts mehr sein!« stammelte sie.

»Sagen Sie lieber: ›Ich will ihm nichts mehr sein!‹«

»Ach ja, und wenn ich auch wollte!« schrie sie auf. »Es wird ein so elendes Dasein!«

»Wer nicht gern und freudig etwas will, soll es lieber lassen, und wen es zum Gebet nicht drängt, der soll die Hände nicht falten.« Und Frau Rosa wandte sich kurz zum Fenster, setzte sich in ihren Sorgenstuhl und ergriff das Andachtsbuch. Sie überließ Trudchen sich selbst und las halblaut ein Kapitel zur Morgenandacht.

Die Worte schlugen wunderbar an das Ohr der Kämpfenden: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht –« klang es durch das Stübchen.

248 »Die Liebe ist langmütig und freundlich. Und sie erträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles und duldet alles.«

Hatte sie denn die Liebe nicht, die wahre Liebe? Ach, Glaube – Liebe – wie sollen sie bleiben, wenn man so grausam betrogen wird! Und das Haus stand vor ihren Blicken, das einsame traurige Haus am Waldesrand, und das Leben der letzten Wochen, so furchtbar öde und leer.

Und die »Liebe erträgt alles, und sie hoffet alles« – heißt es.

»Amen!« sagte Tante Rosa laut. Und Heidchen kam herein, und die junge Frau fühlte plötzlich ihre Hände heruntergezogen, und durch die Tränen in ihren Augen sah sie, wie die Kleine lächelnd das Schlüsselbund vom Gürtel hakte und es ihr entgegenhielt. »So gut ich es verstand, habe ich Ordnung gehalten«, sprach sie, »aber so ganz recht wird's wohl nicht alles geworden sein, Sie dürfen mir nicht zürnen.«

Sie fühlte die Schlüssel in ihrer kraftlosen Hand. Hatte sie sich nicht bis in den Staub gebeugt? – »Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht«, sprach etwas in ihrem Herzen.

»Ich will ihm vergeben«, sagte die junge Frau laut. Aber ihr Antlitz war blaß und starr.

»Vergeben mit den Augen?« fragte Tante Rosa. »Und was dann? Daß Sie ihm weniger glaubten wie einem ausgesprochenen – na, er ist tot, Gott 249 verzeihe ihm – wie einem Menschen, der Ihnen völlig fremd war? Nein, kleine Frau, fassen Sie das Herz zusammen und gehen Sie hinauf zu Ihrem Franz, und –«

»Ich zu ihm?« klang es schneidend durch das Stübchen. – »Ich?« Klirrend fiel das Schlüsselbund zur Erde. Mit bebender Hand riß sie das Kleid vom Stuhle, das sie gestern getragen hatte, und nahm aus seinen Falten die Börse, die den Zettel, den schrecklichen Zettel barg. Ein Weilchen hielt sie das Stückchen Papier in der Hand, dann reichte sie es stumm der alten Dame.

»Ich will nicht gar so kindisch trotzig vor Ihnen erscheinen«, sagte sie dazu.

Tante Rosa schob die Brille zurecht und las. Es flog wie ein Schreck über die Züge – nun wie ein Lächeln. Mit unendlicher Verlegenheit sah sie dann in Trudchens Gesicht. »Heidchen«, rief sie, »du kannst Zeuge sein, ich war immer die ordentlichste Person mein Lebtag!«

»Ja, Großtantchen, das muß dir der Neid lassen.«

»Und um vorige Weihnacht ist es mir passiert, daß ich einen Brief verlegte. An Linden war er, von Wolff. Vier Tage lang haben wir ihn gesucht wie eine Stecknadel. Warte, das war am zweiundzwanzigsten Dezember – fort war der Brief, und am sechsundzwanzigsten da hebe ich zufällig mein Fensterkissen auf, und da liegt das Ding. Wer war 250 froher als ich! Da blieb ich auf bis spät in die Nacht – Linden war bei Baumhagens in Gesellschaft – und wie er endlich kommt, gebe ich ihm den Brief, und er steckte ihn achtlos in die Tasche und sagte: ›Tante Rosa, Sie sollen's zuerst erfahren, vorhin habe ich mich verlobt.‹ Und in seiner Herzensfreude nahm er mich in die Arme, als wäre ich nochmal achtzehn Jahre. Sehen Sie, und das –« sie schlug mit der rechten Hand gegen das Zettelchen – »das ist ein Fetzen von dem Brief, kleine Frau, es stimmt ja ganz genau mit dem Datum!«

Trudchen war schon bei ihr. »Ist es Wahrheit?« kam es bebend von ihren Lippen.

Die alte Dame nickte. »Wahrheit!« bestätigte sie. »Rufe mal die Dore. Sie hat damals mitgesucht nach dem Briefe und sich dabei eine gehörige Bruse an den Kopf gestoßen, als sie den Schrank abrücken wollte.«

Aber Trudchen wehrte ab. Sie stand noch ein Weilchen stumm, den Kopf gesenkt, Röte und Blässe in raschem Wechsel auf dem Antlitz. Dann ging sie auf die Tür zu, und im nächsten Augenblick war sie verschwunden.

Unhörbar schritt sie die Treppen hinauf, und das alte verdrießliche Gefüge schien die kleinen Füße zu verstehen, die so behutsam auftraten, und wagte nicht wie sonst, zu knacksen und zu knarren. Mäuschenstill war es im ganzen Hause. Der Korridor stand noch im Dämmerschein, und die alten Bilder 251 an der Wand sahen schläfrig herunter zu dem jungen Menschenkinde. Die Dielenuhr aber sagte ihr bedächtiges Tack! Tack! Das klang so wundersam in Trudchens Ohren, als sie zögernd an der braunen Zimmertür stand und den Messingdrücker faßte.

Tack! Tack! Wie die Zeit läuft! Nicht eine Minute sollte man zögern, wenn man etwas gutzumachen hat. Eine jede Minute ist ihm genommen – rasch! rasch!

Leise drückte sie die Tür auf und schlüpfte hinein. Sie hatte das Kleid eng an sich gezogen, damit die Schleppe nicht rauschte. Aus dem blassen Gesicht schauten zwei große Augen angstvoll in dem Gemach umher, das von der Morgensonne durchglüht war. Jetzt wollte ihr Herz aufhören zu klopfen, nun wieder raste es in vollen Schlägen – dort auf dem großen Stuhl – er war nicht schlafen gegangen, aber der Schlummer hatte ihn doch gefunden. Dort saß er, der kranke Arm lag auf der Lehne des Sessels, der andere stützte den Kopf. Er war noch in der beschmutzten, angesengten Joppe von gestern, und ach – er sah so bleich aus, so verändert.

Der Hund, der zu seinen Füßen lag, hob den Kopf ein wenig und wedelte. Und nun kam sie herüber: »Mach Platz«, flüsterte sie, »da muß ich jetzt hin!« Und sie kniete vor dem Manne und faßte die leise zuckende, verwundete Hand und zog sie an ihre Lippen.

252 »Trudchen, was tust du denn?«

»Vergib mir, Franz, vergib mir!« flüsterte sie weinend, und wehrte seine Bemühungen, sie emporzuziehen. »Nein, Franz, nein, laß mich, es soll so sein –«

»Verzeihen? Davon ist ja keine Rede. Gott sei gelobt, du bist da!«

Aber ehe sie aufstand, zerpflückte sie ein Stückchen Papier in tausend Atome, dann lief sie ans Fenster und öffnete die Hand, und wie Schneeflocken wirbelte es in die Luft hinaus. Und als sie sich umwandte, schaute sie in seine ernsten Augen.

»Was war das?« fragte er und zog sie an sich.

Da schlang sie die Arme um seinen Nacken und versteckte ihre weinenden Augen an seiner Brust. Und so standen sie am offenen Fenster im Lichte der hellsten Sonnenstrahlen. Zirpend schossen die Schwalben an ihnen vorbei, über die Wipfel der Bäume in den blauen Himmel hinein. »Wieder da! Wieder da!« klang ihr Gezwitscher.

Und unten im Haus ward's lebendig. Ein kleines brünettes Mädchen deckte den Kaffeetisch im Gartensaal. »Zwei Tassen, zwei Teller und in die Mitte ein Rosenstrauß – das letztemal«, sagte sie, »nun kann sie es wieder besorgen und schaffen.« Dann stand sie sinnend und hielt den kleinen rosigen Finger an das Näschen. »Er weiß gar nicht, wie gut er es hat, daß er eine so fügsame, lammfromme Frau bekommt, wie ich bin«, flüsterte sie. »Freilich, ich 253 könnte nicht in die Verlegenheit geraten, mir einzubilden, er habe mich ums Geld gefreit.« Sie lachte plötzlich hell auf. »Das wird 'ne nette Aussteuer, wenn Tante Rosa sie besorgt!« Und sie wirbelte die Gartentür auf und lief hinaus in die grüne Pracht.

Die Welt war so schön, die Sonne so golden, und Heidchen hatte den kleinen Amtsrichter so lieb. Sie war verlobt, heimlich verlobt, denn der gute Mensch wollte dem Freunde nicht in lauter Bräutigamsseligkeit unter die Augen treten, da sein Glück im Begriff war, zu zerschellen. So hatten sie sich beide heimlich Treue gelobt und sich heimlich geküßt – nach der Erdbeerbowle damals. Tante Rosa hatte sie nicht gestört. Sie schlief in der Sofaecke, und Franz – Gott wußte allein, wo er umherlief.

Aber nun – sie besah ihre niedlichen Händchen – ja, es war Tinte daran. Sie hatte es gleich nach Frankfurt berichtet: »Großes Feuer, große Angst, große Versöhnung!«

Sie stand plötzlich vor einem kleinen runden Herrn in staubgrauem Sommerüberzieher und weißem Strohhut.

»O la la! Kleine, rennen Sie mich nicht um!« Er war sehr verdrießlich, der gute Onkel Heinrich. »Schöne Geschichten! Kommt man die Nacht von Hamburg mit dem Eilzug, kaum aus dem Coupé: ›Herr Baumhagen, wissen Sie schon, in Niendorf 254 war großes Schadenfeuer?‹ Hundemüde, wie man ist, setzt man sich in einen Wagen und fährt her. Man kann ja doch nicht schlafen nach solcher Nachricht. Ich bitte Sie um des Himmels willen, Sie machen ja ein Gesicht, als ob Heiliger Christabend wäre!«

»Die ganze Ernte ist hin«, berichtete Heidchen in einem so freudigen Tone, als sagte sie etwa: »Wir haben das große Los gewonnen.«

»Der arme Kerl hat Pech«, murmelte Onkel Heinrich. »Ist schon jemand hinüber« – er wollte den Namen nicht aussprechen – »zu – nach Waldruhe? Oder hat man die Verkündigung der freudigen Botschaft wieder für mich aufgehoben?«

»Es ist niemand hinüber«, antwortete der Schalk.

Onkel Heinrich faßte sie plötzlich schärfer ins Auge. »Na, was ist denn los, Sie Hexe? Irgend etwas hat's gegeben!«

»Ich habe mich verlobt!« platzte die selige kleine Braut heraus. Gott sei Dank, daß sie es aussprechen konnte!

»Sie Unglückskind!« gratulierte Onkel Heinrich. Aber sie lief lachend davon, dem Hause zu.

»Das Frühstück ist fertig!« rief sie von der Terrasse herunter, »Kaffee, Tee, Schinken und Eier!«

Der alte Herr, der nach dem Hofe gewollt hatte, um den Brandschaden zu sehen, schwenkte rechts um und folgte ihr. »Es ist auch wahr«, sagte er, »es wird mir besser werden, wenn ich etwas esse. Mir ist nach 255 der Fahrt gar nicht recht im Magen.« Und Onkel Heinrich pustete die Treppe hinan und faßte die Tür.

Ja, du barmherziger Himmel, sah er denn recht? Da sitzt Linden, den Arm in der Binde, und neben ihm – den braunen dicken Haarknoten sollte er doch kennen und die feine Gestalt, die sich herunterbiegt und ihm das Fleisch zerschneidet. Nun hebt sie den Kopf und küßt ihn auf die Stirn und setzt sich wieder still auf ihren Platz.

»Himmelsakrament! Man soll nur einmal fortreisen –!« Onkel Heinrich läßt den Drücker fahren. Es ist ihm wunderlich zumute, er ist so ungern gerührt, und er stört auch nicht gern. Er möchte sich am liebsten aus dem Staube machen, vielleicht geht es noch an.

Aber nein. Da klinkt Trudchen die Tür auf. »Onkel Heinrich!« sagt sie bittend. Und er kommt herein und tut gar nicht, als ob es hier je anders gewesen wäre. 's ist der pure Egoismus, Gemütserregungen bekommen ihm nicht.

»Ich wollte mal nachfragen bei euch. Das scheint ja ein netter Brand gewesen zu sein«, beginnt er.

»Gottlob! – kein Mensch ist verunglückt«, sagt nun auch Linden, »kein Vieh verbrannt, die Ernte freilich ist völlig hin, aber dafür ist aus der Asche etwas anderes neu erstanden!« Und er reicht Trudchen die gesunde Hand.

»O la la!« murmelt Onkel Heinrich und nimmt sich hastig Schinken und Butter, »ich sage euch, 256 Kinder, das Reisen ist eigentlich Strapaze, und wenn in Helgoland die Hummern nicht wären und in Hamburg die Aalsuppe, so – aber Trudchen, du lachst ja unter Weinen! Na ja, ich bin froh, wieder daheim zu sein. Es geht doch nichts über die Heimat; und wenn ihr erlaubt, so nehme ich dies Glas mit gutem Portwein und leere es auf euer Wohl und eures Hauses Frieden!«


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