Wilhelmine Heimburg
Trudchens Heirat
Wilhelmine Heimburg

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126 Es ist köstlich, mit seinem Glück dem Lenz entgegenzugehen. Blatt um Blatt trieben die Bäume im Niendorfer Garten, wie grüne Schleier hing es über dem sprossenden Walde, und überall blühten die Veilchen, in Trudchens ganzem Revier duftete es nach den blauen Frühlingskindern. Wie Lerchenschlag drang die Stimme der jungen Frau durch das alte Haus. Wenn Franz sonnenverbrannt vom Felde heimkehrte, flatterte oben aus den blinkenden Fenstern ein weißes Tuch, und kam er auf den Hof, so flatterte es auf der obersten Treppenstufe in ihrer Hand. »Liebster, da bist du!« sagte sie dann innig.

Und die Spaziergänge im Walde, die Abende, wenn er vorlas, und dann die Einrichtung des Hauses! Wie süß war es, zusammen zu beraten, auszuwählen, einzukaufen, und wie freuten sie sich beide, wenn sie genau das nämliche gedacht hatten.

So putzte sich allmählich das alte Haus. Tapezierer und Handwerker schafften darin, nur Frau Rosas Zimmer blieb unbehelligt und das traute Stübchen des Hausherrn, in dem sie ihre glücklichsten Wochen verlebt hatten.

Und heute war alles fertig, gemütlich und wohnlich, aber ohne jeglichen Pomp. Die niedrigen Räume eigneten sich nicht zur Schaustellung kostbarer geschnitzter Möbel – so hatten sie beide im richtigen Gefühl nur einfache Sachen gewählt.

»Wenn wir uns später ein neues Wohnhaus 127 bauen, Trudchen, dann wollen wir es schöner einrichten«, meinte er, und sie nickte: »Erst die Wirtschaft, Franz. Uns gefällt es ja so gut in den lieben Räumen.«

Der Gartensaal war zum Speisezimmer umgeschaffen. Daneben ein Salon mit dunklen Tapeten und weichen Teppichen, an der Längswand das Hochzeitsgeschenk Onkel Heinrichs, zwei große Ölbilder – eine sonnendurchleuchtete Waldlandschaft und eine Seeküste bei Gewitter. Hinter grünen, üppigen Blattpflanzen leuchtete eine edle, schöne Hermesbüste. Sofas, Sessel und Sesselchen überall, und wo es nur irgend anging, befand sich eine gefüllte Blumenschale.

Oben, neben des Hausherrn Gemach war das der jungen Frau hergerichtet, dort stand jetzt des Vaters Bild hinter dem Nähtischchen am Fenster. Die Tür, die die Gemächer verband, war weit zurückgeschlagen, und die bunten türkischen Vorhänge ließen Trudchen von ihrem Fensterplätzchen den Schreibtisch sehen, an dem er arbeitete. Und aus dem Fenster konnte der Blick hinausschweifen über den grünenden Garten zu den bewaldeten Bergen und weit und weiter, bis dort, wo sich der ferne Brocken in Wolken verhüllt.

Die junge Frau hatte alle Spinde eingeräumt. In der Küche war das letzte Stückchen des neuen Geschirres an die Haken gehängt und blinkte und glitzerte in dem hereinfallenden Sonnenstrahl, als 128 wäre alles eitel Gold. In der Speisekammer standen Büchsen und Töpfe in Reih und Glied, und mit glücklichem Lächeln drehte sie den Schlüssel im Schloß und tat ihn in das funkelnagelneue Körbchen an ihren Arm. »Komm, Franz«, sagte sie zu ihm, der diese Herrlichkeit hatte bewundern müssen, »nun wollen wir noch einmal durch alle Stuben gehen.«

»Es sind nicht viele, Trudchen«, lachte er.

»Oh, genug für uns, Franz, wir brauchen nicht mehr.«

Und sie gingen durch den Gartensaal und freuten sich über das stattliche Büfett und über die Lampe aus poliertem Messing, die über dem großen Eßtisch schaukelte. Sie traten in den Salon und freuten sich an den Bildern, welche die Sonne so schön beleuchtete; und dann blieben sie stehen, sahen sich in die Augen und küßten sich.

»Das ist alles so, wie ich es gern habe, Franz«, sagte sie, »einfach und gediegen. Nur nichts Falsches, nichts Nachgemachtes. Ich hasse den Schein. Es soll alles echt sein, so echt und wahr wie meine Liebe und wie dein Herz, du großer, lieber Mensch. – Und in der Wirtschaft ist jetzt alles komplett«, fuhr sie fort und nahm ein Fäserchen vom Teppich auf, »Franz, gar nicht zum Wiedererkennen, es ist das schmuckste kleine Gut weit und breit. Franz, sieh, und das alles hat noch lange nicht so viel gekostet, wie Jennys Aussteuer und Hochzeitsreise.«

129 Sie waren in die offene Saaltüre getreten, und der junge Mann sah mit leuchtenden Augen über den Garten hinweg und zu den Wirtschaftsgebäuden hinüber, die ihr schadhaftes Ziegeldach mit bläulich glänzendem Schiefer vertauscht hatten.

»Du hast recht, Trudchen, es ist ein hübscher Anblick, wir wollen oft hier sitzen. – Und übermorgen beginnt der Bau der neuen Scheune; sie soll fertig sein, wenn wir den ersten Roggen einfahren.«

»Du«, fragte sie neckend, »denkst du noch immer so wie damals, acht Tage nach unserer Hochzeit, als wir zum ersten Male dieses Thema besprachen und du dich recht kindisch betrugst und absolut nichts von dem nehmen wolltest, was dir von Gottes und Rechts wegen zukommt? Und es lieber den Kühen in den Futtertrog regnen lassen wolltest und den Knechten in die Betten?«

»Nein«, sagte er, »nicht mehr, Trudchen.«

»Warum, du Eisenkopf?«

»Weil wir uns lieben, namenlos lieben –«

»Das Beiwort ist gar nicht nötig«, tadelte sie.

»Glaubst du nicht, daß man namenlos lieben kann?« fragte er scherzend.

»Es klingt wie eine Phrase!«

Er lachte jetzt hell und zog sie an die Brüstung der Veranda. »Unser Heim!« sagte er. »Komm, laß uns durch den Garten und ein Stückchen in den Wald gehen.«

130 Und andern Tags öffnete Trudchen die Fenster der Logierstube und rüstete dort alles aufs beste. Festlich gedeckt stand die Tafel im Saal und Franz fuhr mit der neuen Equipage nach der Stadt, um den Amtsrichter vom Bahnhofe abzuholen. Sie freute sich ihn kennenzulernen, Franz hatte ihr so viel erzählen müssen von dem Freunde. Sie hatte sich königlich amüsiert über die drollige Personalbeschreibung, daß er in den Gesellschaften mitunter nicht so recht vom Flecke komme und in der Absicht, ein Kompliment zu sagen, häufig eine wunderbare Grobheit herausbringe, zu seinem eigenen Erstaunen. Sie wollte sich ganz besonders für diese »Seele« von einem Menschen, wie Franz ihn nannte, putzen. Sie steckte eine Spitzenrosette ins Haar; das hatte Franz gern, es sah so frauenhaft aus, beinahe wie ein Häubchen. Als sie mit dem graziösen Attribut ihrer jungen Würde an den Toilettentisch trat, um in den Spiegel zu schauen, sah sie dort einen Maiblumenstrauß, und um seinen Stiel gewunden ein Zettelchen.

»Von ihm, von Franz«, flüsterte sie und wurde rot vor Freude. Er hatte ihr so lächelnd »Adieu!« gesagt. Eilig wickelte sie das Papier von den Blumen und las:

»Ich hab' Dich ›namenlos‹ geliebt!
Was schaust Du mich verwundert an?
Und warum fragst Du schier betrübt,
Wieso ich dieses Wort ersann?

131 Weil lieben schon so herrlich sei,
Daß es des Beiworts nicht bedürfe?
Es wär', als ob man in dem Mai
Noch mit gemachten Blüten würfe?

Du hast wohl recht; doch gib die Hand
Und hör, wie mir die Worte kamen,
Als mir Dein Blick ins Herz gebrannt,
Da kannt' ich längst nicht Deinen Namen.

Ich sah nur Deiner Augen Paar,
So süß wie ich sie heute kenne.
Und wußt' es gleich, daß Dein ich war,
Und wußte nicht, wie ich Dich nenne,

Noch wo Dein Haus, und wer die Deinen,
Und wer davon mir Kunde gibt!
Will Dir das Wort so recht erscheinen?
Ich hab' Dich ›namenlos‹ geliebt!«

»So redet er sich heraus«, flüsterte sie mit seligen Blicken und drückte das Papier an die Lippen. »Ja freilich, das ist richtig ›namenlos‹!« –

Es war ja ihr Lieblingsgespräch, daß sie sich schon gern gehabt hatten, ehe sie wußten: woher, wohin? Sie war doch eine sehr glückliche Frau, eine zu glückliche Frau!

Und sie steckte die Maiblumen an die Brust, den kleinen Zettel in die Tasche, nahm den Schlüsselkorb und ging noch einmal im Speisezimmer musternd um die Tafel. Und weil sie weiter nichts vorhatte im Moment, klopfte sie an Tante Rosas Tür, die nur durch einen schmalen Flur vom Saale getrennt war.

132 Die alte Dame saß am Fenster und machte Rosen. Es sollte eine Hochzeit im Dorfe sein um Pfingsten. Ihr gegenüber hatte ein kleiner Herr Platz genommen, der jetzt die eintretende junge Frau mit einer tiefen Verbeugung begrüßte.

»Bitte tausendmal um Entschuldigung, gnädige Frau – ich wollte Ihren Gemahl sprechen – höre, daß er ausgefahren ist, da hat mir das Fräulein gestattet, hier zu warten.«

»Was sagt er, Frau Gertrud?« fragte die alte Dame, ihr die Hand reichend, »ich habe ihm gar nichts erlaubt; er kam herein – und da ist er.«

»Mein Name ist ›Wolff‹, gnädige Frau«, stellte sich der Agent vor.

»Müssen Sie meinen Mann heute notwendig sprechen? Wir haben Besuch zu Mittag, es paßt sich schlecht. Kann ich es nicht ausrichten?« erkundigte sich Trudchen.

»O nein! nein!« wehrte er entschieden ab mit neuen Verbeugungen. »Ich muß Herrn Linden selbst sprechen, kann aber wiederkommen, 's ist ja nicht so umständlich, bin früher täglich den Weg gegangen. Ich empfehle mich, wünsche den Damen ›Guten Morgen!‹«

»Was er nur gewollt hat, Tantchen?« forschte die junge Frau, als er gegangen war.

»Nun, was er bei mir wollte, kann ich Ihnen sagen – ausfragen wollt' er mich. Am liebsten hätte er durch die Schlüssellöcher geguckt, um zu 133 wissen, wie es aussieht bei euch drüben. Aber setzen Sie sich doch, junges Frauchen.«

Die beiden verstanden sich ganz gut. Zuweilen trank die alte Dame bei Trudchen Kaffee, und dann mußte sie viele Fragen beantworten. Ganz zufällig war es da herausgekommen, daß sie eine Schulkameradin von Trudchens Großmutter gewesen war, aus der engen Gasse. Bisweilen gingen sie auch zusammen spazieren, und Trudchen lernte die Dorfleute kennen, erfuhr, wo es Arme gab, und ein wenig von der Chronik des Ortes. Tante Rosa zeichnete in etwas schroffen Strichen, es gefiel ihr nicht leicht jemand, dafür war aber Linden nächst einer jungen Nichte ihr Abgott. »Er ist so anständig«, pflegte sie ihn zu loben, »er ist so galant, auch gegen die Alten.« Und Trudchen vergalt ihr dies Kompliment und erklärte, sie könne sich das Haus gar nicht ohne Tante Rosa denken.

Heute litt es die junge Frau nicht lange in dem Rosenstübchen. Es war sonderbar, sie ängstete sich um ihren Mann. Wenn ihm nur nichts mit den neuen Pferden passiert, dachte sie und trat auf die Veranda. In Blütenpracht lag der Garten unter der Mittagssonne vor ihr, einsam und still allenthalben. Dann flog ein Schatten über ihre Züge. Dort hinten, unter den Kastanien, wo die Sonnenstrahlen wie goldene Flocken durch das Blättergewirr brachen, ging ein Mensch. Kein Zweifel – 134 er war es, der aus Tante Rosas Stübchen. Wie kam er dazu, in den Garten einzudringen? – Wo hatte sie doch seinen Namen schon gehört? Sie schreckte empor, als hätte sie etwas Unangenehmes berührt. »Wolff« – der Name stand auf der Visitenkarte, die dem Blumenkorbe beigegeben war, der am Hochzeitsabend – ja freilich! Aber sie hatte den Mann auch schon gesehen – wo doch gleich? Vielleicht bei Artur, draußen in der Fabrik? Es konnte sein.

Sie hob den Kopf, und ihre Augen leuchteten wieder. Dort bog der Wagen in das Gittertor. Er lenkte die Pferde und im Fond des leichten Gefährts saß, neben dem erwarteten Freunde, Onkel Heinrich und schwenkte sein rotes Taschentuch.

Die Herren waren in allerbester Stimmung; es wurde eine lebhafte Begrüßung. »Jetzt sieht's hier anders aus, Franz«, sagte der kleine Amtsrichter und klopfte Linden auf die Schulter und schüttelte der jungen Frau die Hand. Er war so vergnügt, daß er sich sogar nach Tante Rosa erkundigte.

»Oh, siehst du, Kind«, entschuldigte Onkel Heinrich sein Kommen, »ich wäre nicht schon wieder hier, aber der Wirt im ›Deutschen Hause‹ ist gestorben heute früh, ich kann da nicht essen, 's ist mir nicht möglich. Du hast doch Spargel?«

»Wird nichts verraten, Onkelchen!« Sie legte ihren Arm in den des alten Herrn und schritt zwischen ihren Gästen die Stufen hinauf. Oben 135 wandte sie den Kopf zurück und trat dann rasch an die Brüstung der Veranda.

Dort stand dieser Wolff wie hingezaubert vor ihrem Manne, den Hut devot in der Hand, und sein Gesicht war eitel Lächeln.

»O la la!« sagte Onkel Heinrich, »wo kommt der her, Trudchen?«

Der Amtsrichter sah unter seiner blauen Brille hervor mit gespannter Aufmerksamkeit auf die beiden Herren. Jetzt winkte Linden kurz mit der Hand und sie schritten den Weg entlang, der nach dem Gittertor und zum Hofe führte. Wolff immer eifrig sprechend.

Trudchen bog sich weit über das Eisengeländer. Es kam ihr vor, als ob Franz unwillig sei. Nun standen sie still, Franz öffnete die Gittertür und wies plötzlich mit einer nicht mißzuverstehenden, sehr energischen Gebärde hinaus. Herr Wolff zögerte, er sprach wieder. Da noch einmal, noch heftiger die stumme Gebärde, und wie ein Blitz verschwand der kleine Mann. Klirrend fiel die Tür ins Schloß, und Franz kam zurück, aber langsam, als müsse er sich erst sammeln, und dunkelrot, wie nach heftigem Ärger.

Sie ging ihm entgegen, aber fragte nicht. Vor den Gästen wollte sie ihn nicht zum Reden bringen. Sie drückte nur verstohlen seine Rechte und sprach heiter über die Freude, Besuch zu haben.

»Scharmant!« sagte er zerstreut, »aber bitte 136 Trudchen, unterhalte dich mit Onkel Heinrich. Richard, komm einen Augenblick – ich muß – ich will dir deine Stube zeigen.« Und die Freunde gingen zusammen hinaus.

»Weißt du auch, daß du nachmittag noch mehr Gäste bekommst?« fragte der alte Herr, sich behaglich im Salon niederlassend. »Deine Mutter und Fredrichs. Sie sind gestern zurückgekehrt. Tausend Wetter, sieht Frau Jenny fesch aus! Und, Gott sei Dank, ist auch das Milchgesicht, der Artur, ein bißchen von der Sonne angebräunt.«

»Ja«, sagte Trudchen, »er war noch vier Wochen mit ihnen an den italienischen Seen.« Und als besinne sie sich jetzt erst: »Wie es mich aber freut, daß Mama gleich herauskommen will! Ach, Onkel, wenn sie sich doch mit Franz aussöhnte!«

»I was, Trudchen, sorge dich nicht, wird sich schon machen. Er ist nicht der Mann, der sich etwas gefallen läßt.«

»Was nur dieser Wolff von ihm wollte?«

»Hm! – Wo, um's Himmels willen! bleiben sie denn aber?« fragte ungeduldig der Onkel.

»Hungert dich?« erkundigte sie sich zerstreut.

»Hungern? Wie kann man so plebejisch fragen! für den Hunger tut's ein Gericht Schweinefleisch mit Rüben. Ich habe Appetit, mein Kind! O la la – der Spargel wird schlecht werden, wenn die beiden so lange bleiben.« –

Es war ein sehr behagliches Bild, das sich der 137 Frau Baumhagen darbot, als sie nebst Jenny und Artur vor den Stufen der Veranda anlangte. Man saß eben noch beim Nachtisch, und Onkel Heinrich, die Serviette im Knopfloch, das erhobene Champagnerglas in der Hand, rief ihnen an der Saaltür ein kräftiges »Willkommen!« entgegen, während das junge Paar eilig die Stufen hinabschritt. Trudchen mit purpurroten Wangen. Sie war so stolz, so glücklich.

Frau Baumhagen sah erstaunt auf ihr Kind. Das blasse, stille Mädchen war aufgeblüht wie eine Rose; »es sind doch die Flitterwochen«, sagte sie sich, und unablässig folgten an diesem Tage ihre Augen der jüngsten Tochter.

Unter der Kastaniengruppe stand der Kaffeetisch; es war ein köstliches Fleckchen. Über den grünen Rasenflächen, an prächtig belaubten Bäumen vorbei schweifte der Blick zu dem gemütlichen alten Wohnhause hinüber, mit seinem efeubewachsenen Dache und dem hohen Giebelfeld. Die Türen des Gartensaales standen offen, an der Fahnenstange flatterte lustig ein schwarzweißer Wimpel.

»Ein Idyll, wie eine Idylle von Voß!« lachte der kleine Amtsrichter.

Der junge Hausherr führte galant die Schwiegermutter durch die Gartenwege. Jede Wolke war von seiner Stirn geschwunden, er war heiter und liebenswürdig. »Aber sehr sicher!« raunte Frau Jenny ihrer Mutter später zu, »er fühlt sich als Wirt und 138 Hausherr.« Das unbehagliche Gefühl, das ihn sonst seiner Schwiegermutter gegenüber nicht verlassen hatte, war gewichen. Zu ihrem Erstaunen erlaubte er sich, ihr ein paarmal ganz ruhig zu widersprechen – das hatte Artur nie gewagt. Und Trudchen, wie lächerlich! Während sie in ihrer ruhigen Weise am Kaffeetisch waltete, flogen ihre Augen beständig zu ihm hinüber, sobald er sprach. »Wie du willst, Franz.« – »Was meinst du dazu, Franz?« – Und auf eine Einladung der Mutter, Trudchen möge doch am morgigen Geburtstage der Tante Stadträtin als Gratulantin nicht fehlen, fragte sie lieblich bittend: »Erlaubst du, Franz? Kann ich den Wagen bekommen?«

»Sicher, Trudchen!« war die Antwort.

Da legte Frau Baumhagen ihre zierliche Kaffeeserviette auf den Tisch und lehnte sich weit zurück in den Gartensessel. Das Kind war wohl nicht recht gescheit! Das ging über alle Begriffe! Artur Fredrich aber klatschte lebhaft Beifall; »Trudchen«, rief er über den Kaffeetisch hinweg, »sprich hier zu dieser« – er faßte die Hand seiner Frau, die sie ihm ärgerlich zu entwinden suchte, »wie sagt doch Käthchen als liebenswürdige Ehefrau zu ihrer Schwester?

›Dieselbe Treue und Ergebenheit, wie sie der Untertan dem Fürsten zollt, die schuldet auch das Weib dem Eheherrn!‹

Ist's nicht so? Ach, es klingt so süß für unsereinen, wie eine Botschaft aus der besseren Welt!«

139 »Gewiß!« lachte Trudchen, nicht im mindesten verletzt von dem ironischen Tone, »›Der Gatte ist der Herr und der Erhalter, das Licht, das Haupt, der Fürst; er sorgt für dich, gibt seinen Leib mühseliger Arbeit preis, wenn du im Hause warm und sicher ruhst, und fordert zum Ersatz nicht andern Lohn als Liebe, freundlich Blicken und Gehorsam. Zu kleine Zahlung für so große Schuld!‹ – Du siehst, Artur, ich habe meinen Shakespeare im Kopfe.«

Frau Baumhagen hob urplötzlich den gemütlichen Kaffeetisch auf. Sie schien echauffiert, denn sie wehte sich heftig Kühlung mit dem Taschentuche. »Gertrud, du mußt uns noch die Einrichtung zeigen«, erklärte sie. »Komm, Jenny – wir wollen die Herren allein bei ihren Zigarren lassen.«

»Gern, Mama«, sagte die junge Frau unbefangen. Sie führte Mutter und Schwester durch Küche und Keller, durch die Zimmer, durch das ganze Haus. Im Gartensaal war eine hübsche Frau in blendend weißer Schürze beschäftigt, die Tafel abzuräumen. Trudchen gab ihr im Vorbeigehen leise einen Befehl.

»Das ist ja die Johanne, deren Mann damals verunglückte?« sagte Jenny.

»Ja«, bestätigte die Schwester, »ich habe sie als ›Mamsell‹ engagiert. Sie ist sehr tüchtig und ich möchte gern ein bekanntes Gesicht um mich haben.«

»Mit dem Kinde?« fragte spöttisch die Mutter.

»Das versteht sich«, erwiderte die junge Frau; 140 »sie wohnt im Seitengebäude; 's ist eine Lust, wie der kleine Kerl hier draußen gedeiht.«

Frau Baumhagen zuckte die Schultern.

»Wer wohnt auf jener Seite des Hauses?« erkundigte sich Jenny weiter.

»Die Tante Rosa.«

»Barmherziger! Wohl eine Art Schwiegermutter?« rief die Schwester erschreckt.

Trudchen schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist eine ganz harmlose Person, ein altes Hausinventar – sozusagen. Aber ich möchte gern, daß Franz seine Mutter hernimmt. Die alte Frau ist so allein und es geht ihr recht kümmerlich.«

Jenny lachte hell auf, Frau Baumhagen aber rauschte so heftig in das nächste Zimmer, daß alle Schleifen ihrer etwas jugendlich arrangierten Trauertoilette flatterten und wogten.

»Trudchen!« rief Jenny, »du wirst doch nicht so von Sinnen sein?«

Die junge Frau antwortete nicht. Sie öffnete gelassen eine Schranktür im Korridor und sagte: »Das ist die Gesindewäsche, Jenny. Wir müssen viel haben auf dem Lande. Dort die Spinde für andere Wäsche und für Porzellan, und hier ist mein Zimmer. Bitte, Mama.«

»Hätte etwas weniger einfach sein können«, bemerkte die Mutter, die ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, nur die Röte der Erregung lag noch auf dem runden Gesicht.

141 »Ich wollte nicht so sehr abstechen von Franz, und der hat seine alten Möbel behalten. Wir sind ja überhaupt nur ganz kleine Gutsbesitzer, Mamachen, und haben eben erst angefangen.«

Die Frau Mama räusperte sich und nahm Platz in einem der kleinen Fauteuils. Jenny ging im Zimmer umher und beschaute die Nippes und Bilder, wobei sie leise vor sich hinsummte. Trudchen aber stand gedankenvoll vor der Mutter und wie Eis legte es sich um ihr Herz. Es war das alte Gefühl von Fremdsein, das sie immer und immer wieder zurückdrängte von Mutter und Schwester; nichts war ihnen gemeinschaftlich. Es tat ihr noch immer so unendlich leid, aber sie empfand nicht den herben Schmerz wie früher. Langsam senkte sich ihre Hand in die Tasche des Kleides und faßte leise ein knisterndes Papier. »Ich hab' dich namenlos geliebt!« Ach, es war ein Ersatz für alles, alles. Und fröhlich hob sie den Kopf. »Aber ihr habt mir noch gar nicht erzählt von eurer schönen Reise, und eure Briefe waren so kurz.«

»Ja«, sagte Jenny gähnend und nahm eine Terrakottafigur in die Hand, die sie von allen Seiten betrachtete, »es war himmlisch in Nizza, man fühlt so recht, in welch kleinen Kreisen man vegetiert, jetzt, da man zurück ist – es leben die deutschen kleinen Städte!«

»Nächstes Jahr gehen wir wieder hin, so Gott will«, fügte Frau Baumhagen hinzu, »nur möchte 142 ich von Arturs Begleitung absehen. Er war genau so kindisch wie seinerzeit euer Vater. Jenny sollte dies nicht tun und jenes nicht tun, hier nicht hingehen und dort nicht stehenbleiben. Er kehrt bei solchen Gelegenheiten den richtigen deutschen Spießbürger heraus, als ob wir Frauen nicht ganz von selbst das Rechte fänden.«

Frau Jenny setzte sich ebenfalls. »Laß nur gut sein, Mamachen, er büßt noch immer für seine Albernheiten. Die Szene, die er uns in Monte Carlo machte, habe ich ihm noch lange nicht vergessen.«

»O ja, die Stimmung zwischen euch ist eine äußerst angenehme, das weiß Gott!« erklärte die Mutter. »Übrigens«, sie nahm die kleine kostbare Uhr aus dem Gürtel, »ich glaube, es wird Zeit, Jenny, daß wir heimfahren. Wir wollen deinen Mann holen; kommt.«

Die drei Damen kehrten in den Garten und an den Tisch zurück, wo die Herren jetzt bei einem Glase Bier und Zigarren sehr behaglich plauderten. Franz war in eifriger Unterhaltung mit Tante Rosa, die in ihrem herrlichsten Putz auf dem Platz thronte, den kurz zuvor Frau Baumhagen verlassen hatte. Trudchen beeilte sich, Mutter und Schwester der alten Dame vorzustellen. Es ging nicht anders, man mußte anstandshalber noch ein wenig Platz nehmen, Frau Baumhagen mit gelangweilter Miene, Jenny mit kaum verhehltem Spott über die wunderliche kleine Alte.

143 »Trudchen«, begann Franz, »Tante Rosa kam, um uns mitzuteilen, daß sie Besuch erwartet.«

»Es stört doch hoffentlich nicht«, wandte sich die alte Dame an die Hausfrau. »Meine Nichte hat mich bis jetzt jedes Jahr besucht; Sie wissen ja von mir, daß das Kind Wald und Feld leidenschaftlich liebt und mich Alte auch ein wenig aufheitert.«

»Das hübsche kleine Fräulein, von dem Sie uns schon so oft erzählten, Tante Rosa?« fragte Trudchen liebenswürdig; und als jene eifrig nickte, fuhr sie fort: »Oh, sie ist von Herzen willkommen, nicht wahr, Franz? – Wann trifft denn der Gast ein und wie heißt sie eigentlich?«

»In den nächsten Tagen erwarte ich sie, und Adelheid Strom heißt sie«, berichtete Tante Rosa; »›Heidchen‹ nenne ich sie immer.« Und nun begann sie eine Verwandtschaftserklärung, wobei der ganzen Gesellschaft schwindelig wurde. »Meiner Mutter Schwester hatte einen Strom und deren Stiefsohn ist der Vetter von Adelheids Großvater –«

Wieder erhob sich Frau Baumhagen sehr geräuschvoll. »Ich muß heim«, sagte sie, das Gespräch unterbrechend, »es ist höchste Zeit!«

Jenny, die hinter ihres Gatten Sessel getreten war, legte die Hand auf seine Schulter: »Bitte, den Wagen bestellen!«

»I was fällt dir denn ein, Kind«, sagte er ärgerlich, »wir sind ja eben erst gekommen!«

»Aber Mama wünscht es.«

144 »Mama? Warum denn?« fragte er kurz, »wir sind hier in der gemütlichsten Unterhaltung.«

»Bleiben Sie doch zum Abend, gnädige Frau«, bat Franz seine Schwiegermutter höflich.

»Ich habe etwas Kopfweh«, war die kühle Antwort.

Herr Artur griff sich verzweifelt in seine blonden Haare. Dieses ›Kopfweh‹ war ja die Keule, mit der beständig jede Vernunftvorstellung zu Boden geschmettert wurde.

»Gut, so fahrt!« murmelte er ingrimmig, »ich komme schon mit Onkel Heinrich nach Hause.«

»Jawohl, jawohl, lieber Neffe!« rief der alte Herr vergnügt, »ist mir sehr angenehm, daß du bleibst. Wir wollen nachher den Mosel probieren, wie, Franz?«

»Der Onkel hat mir zur Hochzeit den Weinkeller eingerichtet«, erklärte der junge Hausherr, indem er sich erhob, um den Wagen zu bestellen.

»Und so kostbar!« fügte Trudchen hinzu.

»O la la!« Der alte Herr war aufgestanden und half mit etwas asthmatischer Höflichkeit seiner Schwägerin beim Umlegen des Mantels. »Es war purer Egoismus, Ottilie. Nur damit man seinen gewohnten Tropfen kriegt, wenn man hier wegmüde und durstig anlangt.«

»Trudchen«, flüsterte Jenny und zog die Schwester etwas abseits, »wie kannst du so töricht sein und dir ein junges Mädchen ins Haus schmuggeln 145 lassen? Ich sage dir, es ist geradezu fürchterlich – überall sind sie, immer wissen sie sich bemerkbar zu machen, überall wollen sie helfen und stets sind sie von einer rührenden Aufmerksamkeit gegen den Hausherrn. Es ist wirklich rücksichtslos von der Alten, daß sie dir dies zumutet. Erfinde doch etwas, daß das Mädel nicht kommt. Ich spreche aus Erfahrung, Herzchen. Artur hatte einmal eine Cousine eingeladen, du weißt ja – Herr – Gott, ich bin bald gestorben vor Ärger!«

Trudchen lachte. »Ach Jenny«, sagte sie kopfschüttelnd. Dann eilte sie ihrer Mutter nach, die bereits im Wagen saß. »Kommt bald wieder«, bat sie freundlich, als auch Jenny Platz genommen hatte.

»Ich erwarte zunächst euren Besuch«, war die Antwort; »ihr werdet wohl überhaupt daran denken müssen, ein paar Besuche zu machen in der Stadt.«

»Wir haben noch nicht daran gedacht«, erwiderte Trudchen heiter.

»Bitte, sorge, daß Artur nicht erst in sinkender Nacht zurückkehrt. Onkel Heinrich sitzt, wo er sitzt«, schalt Frau Jenny ärgerlich.

Und fort rollte der Wagen.



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