Wilhelmine Heimburg
Trudchens Heirat
Wilhelmine Heimburg

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Acht Tage später kehrten die Eisenschimmel mit dem geschlossenen Wagen im scharfen Trabe vom Kirchhofe zurück. Im Fond saß neben dem Onkel Artur Fredrich mit verweinten Augen; gegenüber Linden. Sie hatten Trauerflor um die Hüte und Trauerflor am linken Arm.

Der Winter war vor dem Scheiden noch einmal in voller Herrlichkeit erschienen. Es schneite, und die großen Flocken legten sich auf ein kleines, frisches Grab in der eisenumgitterten Familiengruft der Baumhagens. Jennys blonder Liebling war tot!

Im Wagen sprach niemand ein Wort, und als die drei Herren ausgestiegen waren, ging jeder nach einem stummen Händedruck seinen eigenen Weg. Onkel Heinrich, um einen Kognak zu nehmen, Artur zu seiner trostlosen jungen Frau und Linden hinauf zu Trudchen. Er fand sie nicht in der Wohnstube, sie war wohl noch bei der Schwester. Dann glaubte er nebenan etwas rascheln zu hören. Er schritt über den weichen Teppich und trat in die geöffnete Tür des Erkerzimmers.

»Trudchen«, sagte er bestürzt, »um Gottes willen, 102 was ist dir?« – Sie lag kniend vor ihrem kleinen Sofa, den Kopf in ihre Arme geborgen. Ein wunderliches Zucken und Beben ging durch ihren Körper, wie wenn man weint ohne Tränen.

»Trudchen!« Er faßte sie und wollte sie emporziehen, da hob sie den Kopf und stand auf. »Aber sprich doch, sprich, was ist denn geschehen?« forschte er, »gibst du dich so dem Schmerze um den kleinen Liebling hin? Ich bitte dich, Trudchen, nimm dich zusammen, fasse dich – du machst dich krank!«

Sie hatte nicht geweint, sie sah nur leichenblaß aus, ihre Hände lagen eisigkalt in den seinen.

»Komm«, sagte er, »erzähle mir, weine dich aus!« Und er zog sie an sich.

Sie schmiegte sich fest in seine Arme, wie sie es noch nie bisher getan. »Nun bin ich ja bei dir«, flüsterte sie, »nun ist es gut.«

»Hast du dich gefürchtet? Hat dir jemand etwas getan?«

Sie nickte. »Ja!« sprach sie hastig, »vorhin – da hörte ich ganz zufällig ein paar Worte an, zwischen Mama und der Tante Stadträtin – sie kamen von Jenny herauf, sie vermuteten mich wohl nicht hier – ich weiß es nicht. Mama weinte noch immer sehr um den Kleinen und – dazwischen sagte sie, Jenny müsse aus dem Hause – sie müsse zerstreut werden – diese apathische Ruhe sei so gefährlich. Du weißt ja, sie hat seit drei Tagen noch kein Wort gesprochen – und ich müsse sie 103 begleiten auf einer längeren Reise – damit ich –« Sie stockte und biß die Lippen aufeinander.

»Damit du mich womöglich vergessen sollst?« fragte er ernst. Er legte die Hand unter ihr Kinn und blickte in ihre Augen. Sie antwortete nicht. Aber er las die Bestätigung in dem tränenumflorten Blick.

»So gern möchte man mich hier fortdrängen? So stark ist die Abneigung, Trudchen? – Und du?« Er fühlte, wie sie zitterte.

»Oh!« sprach sie mit einer Heftigkeit, vor der Linden fast erschrak, »– oh – ich – – siehst du, es gibt Momente, wo ein Dämon Gewalt über mein Herz bekommt. Ich bin hineingelaufen im hellen Zorn, ich – ich weiß nicht mehr, was ich alles getan und gesagt habe – ich schäme mich jetzt – ich hätte still sein müssen. Sie können uns ja gar nicht trennen, nein – sie können es nicht! Nun liegt Mama drüben in ihrem Schlafzimmer, und die Sophie wurde zu dem Doktor geschickt. Ach, Franz, ich habe so lange Jahre alles geduldig getragen – ist es denn so große Sünde, wenn endlich das unterdrückte Gefühl durchbricht, wenn einmal die Selbstbeherrschung mich verließ? Ich bin heftig gewesen – ich habe mich stets für so ruhig gehalten – wie ein Sturm rissen die Worte mich hin, die ich gehört habe. Ich weiß nicht, wie schwer meine Vorwürfe waren gegen die Mutter. Und heute, gerade heute, wo sie den einzigen Sonnenstrahl hinaustrugen, der für mich im Hause war.«

104 »Wir wollen zur Mama gehen, Trudchen, und sie bitten, uns zu verzeihen, daß wir uns so liebhaben – komm.«

Er hatte das so gesprochen, um sie zu trösten und weil er fühlte, daß irgend etwas geschehen müsse. Am liebsten hätte er das Mädchen an die Hand genommen und sie hinausgeführt über diese Schwelle.

Sie machte sich los und sah ihn erstaunt an. »Um Verzeihung bitten? Deshalb?«

»Trudchen, verstehe mich nicht falsch!« Er wurde fast verlegen vor ihren großen, verwunderten Augen. »Ich meinte damit, daß Mama es auf eine angemessene Art erfährt, wie wir voneinander nicht lassen werden. Sag ihr ein gutes Wort wegen deiner Heftigkeit. Komm, ich gehe mit dir.«

»Das kann ich nicht!« rief sie. »Ich kann nicht um Verzeihung bitten, wenn man mich so gekränkt hat in dem, was mir das Heiligste, das Liebste ist. Ich kann nicht!« wiederholte sie und trat an ihm vorüber in den Erker.

Er ging ihr nach und faßte nach ihrer Hand. Es war ihm wunderlich zumute. Er hatte bis jetzt nur das ruhige, maßvolle Weib in ihr gesehen. Aber sie verstand ihn falsch.

»Nein!« sagte sie, »bitte mich nicht darum, Franz. Ich tue es nicht, ich kann es nicht, ich habe es nie gekonnt! Auch als Kind nicht, obgleich sie mich stundenlang eingesperrt haben in eine dunkle Stube.«

»Ich wollte dich nicht bitten«, sagte er, »laß mir 105 nur deine Hand. Ich muß doch wissen, daß du es noch bist, Trudchen.«

Sie beugte sich hernieder auf seine Rechte und drückte einen Kuß darauf. »Wenn du nicht auf der Welt wärest, Franz, wenn ich hier allein stehen müßte, heute«, flüsterte sie innig.

»Aber du hast doch um meinetwegen den Kummer«, erwiderte er gerührt.

Sie schüttelte den Kopf. »Verkenne mich nur nicht«, sprach sie wieder, »und habe Nachsicht mit meinen Fehlern. Nicht wahr, Franz, das versprichst du mir?« Es klang wie Angst aus dieser Bitte. »Sieh, ich bin so trotzig, wenn ich mich gekränkt fühle. Hart werde ich dann aus Trotz wie Stein, alles Gute schweigt in mir, hassen kann ich, wenn mir niedriges Denken entgegentritt! Franz, du weißt nicht, was ich schon gelitten habe darunter –«

Sie standen noch immer Hand in Hand. Draußen wirbelte der Schnee vor den Spiegelscheiben in der Dämmerung des vergehenden Wintertages. Es war so still hierinnen, so warm und traut.

»Franz!« flüsterte sie.

»Mein Trudchen!«

»Du bist mir nicht böse?«

»Nein! Nein! Wie wollen unsere Fehler ertragen, und wir wollen sie schon bessern. Wenn wir uns nur erst ganz allein haben.«

»Du hast keine Fehler«, sagte sie stolz und überzeugt und schmiegte sich an ihn.

106 Er war ernst. »Doch, Trudchen. Ich bin ein maßlos heftiger Mensch, heftig bis zum Jähzorn.«

»Das sind nicht die schlechtesten Männer«, meinte sie und schlang den Arm um seinen Hals.

»Weißt du das so genau?« erkundigte er sich und sah ihr lächelnd in das liebliche Antlitz, das jetzt so weich in der Dämmerung vor seinen Blicken schwamm.

»Ja! Großmutter behauptete es immer«, nickte sie.

»Die Großmutter aus der engen Gasse?«

»Dieselbe, Liebster; hättest du sie doch gekannt! Aber deine Mutter möchte ich sehen«, fügte sie dann hinzu.

»Wir reisen hin, Liebling, sobald wir Mann und Frau sind. Wann wird das sein?«

»Franz«, bat sie statt der Antwort, »laß uns nicht gleich reisen, laß es mich erst wissen, wie es in einer Heimat ist, wo Liebe, Vertrauen und gegenseitiges Verstehen beieinander wohnen! Laß mich erst wissen, was Frieden ist!«

»Ja, mein Trudchen! Wollte Gott, ich könnte dich morgen hinausholen in das alte Haus.«

»Gertrud!« rief es schrill aus dem Nebenzimmer.

Sie fuhr empor. »Mama!« flüsterte sie, »komm!«

Sie gingen hinüber. Frau Baumhagen stand neben ihrem Schreibtisch. Eben brachte Sophie die Lampe, und ihr Schein beleuchtete das runde, verweinte Antlitz der Mutter, in dem sich heute eine ganz ungewöhnliche Entschlossenheit ausprägte.

107 »Es ist gut, daß Sie hier sind, Linden«, redete sie den jungen Mann an, während sie die Klappe des Schreibtisches herunterließ und Platz daran nahm. »Wieviel Zeit gebrauchen Sie, um Ihr Haus so instand zu setzen, daß Gertrud dort wohnen kann?«

»Nicht lange«, erwiderte er. »Einige Zimmer sind mit neuen Tapeten zu versehen und dergleichen Kleinigkeiten – das wäre alles.«

»Schön! Mir kann es recht sein«, erwiderte sie kühl, »so haben Sie die Güte, morgen Ihre Papiere dem Herrn Oberprediger zuzusenden und das Aufgebot zu bestellen. Ich reise in drei Wochen mit meiner ältesten Tochter nach dem Süden und wünsche vorher diese – diese Angelegenheit geordnet zu wissen.«

Linden verbeugte sich. »Ich danke Ihnen, gnädige Frau!« – Gertrud stand bleich bis in die Lippen, aber sie sah nicht herüber zu ihm. Er fühlte nur das eine deutlich, sie litt furchtbar durch diese Szene, um seinetwillen.

»Ich möchte jetzt noch einiges mit meiner Tochter besprechen«, fuhr Frau Baumhagen fort. »Es betrifft die Ausstattungsgelder und den Ehekontrakt.«

Er war sofort zum Gehen bereit und küßte die Hand seiner Braut und sah sie bittend an. »Bleibe ruhig«, flüsterte er.

Trudchen aber legte hinter dem Rücken der Mutter die Hand auf des Bräutigams Mund. »Ich will keinen Ehekontrakt!« sagte sie dabei laut.

108 »So lebt ihr in Gütergemeinschaft?« klang es zurück.

»Das ist das richtige«, erwiderte sie. »Wenn ich mich selbst gebe, werde ich mein Geld nicht ausschließen. Es käme mir vor wie ein Widerspruch.«

Frau Baumhagen zuckte die Schultern und wendete sich um. Sie standen dicht aneinander geschmiegt, die beiden, und das bittere Wort erstarb ihr auf den Lippen. »Dein Vormund mag mit dir darüber reden«, sagte sie. »Wollen Sie so freundlich sein, Linden, und meinen Schwager aufsuchen? Ich möchte mit ihm sprechen.«

Er küßte Trudchen auf die Stirn und nahm seinen Hut, dann ging er. Gott sei Dank! Er durfte sie aus dieser Lieblosigkeit bald in sein Haus hinüberretten, das arme stolze Mädchen, das ihn so liebhatte.

Rasch schritt er über den Markt. Die frische Luft tat ihm wohl. Er war im innersten Herzen empört, daß man sie hatte trennen wollen, Meilen und aber Meilen zwischen sie legen. Und wie leicht ist ein Mißverständnis angebahnt, wie leicht bei dem Charakter dieses Mädchens, dem ein Schein niedriger Gesinnung schon genügen würde, zu trotzen, zu hassen, zu verachten. Wie manches Paar, das sich von Herzen liebte, war schon auf diese Weise für immer geschieden worden. Er wagte es nicht auszudenken, was mit ihm geworden, wenn es so gekommen wäre.

109 »Pst! pst!« scholl es hinter ihm, und als er sich auf dem schlüpfrigen Trottoir umwandte, sah er Onkel Heinrich die Stufen der Hoteltreppe heruntersteigen. Er hatte offenbar diniert, und sein joviales Gesicht bot ein wunderliches Gemisch von Trauer und Behagen.

»Ich habe zu Mittag gespeist, Linden«, begann er und legte seinen Arm in den des jungen Mannes, »mir war mehr wie plundrig nach der Affäre heute früh. Sie denken doch nicht falsch von mir? he? Ich bin keiner von denen, die aus Betrübnis den Appetit verlieren. Ich lobe mir unsere Voreltern, die ihren Leichenschmaus hielten. Ich bitte Sie, Linden, das war gar kein so unästhetisches Gebaren, als was es leider unsere heutige Welt auffaßt. Man gebe den Toten alle Ehre, der Lebende will aber sein Recht, und zu diesem gehört das Essen und Trinken, es hält Leib und Seele zusammen. O la la! Mir fällt ein Begräbnis immer gleich auf den Magen. Das kleine gute Kerlchen! Aber, glauben Sie mir, ich liebte es darum nicht weniger. Sie sind sicher noch nüchtern? Frauenzimmer essen ja bekanntlich nie bei derartigen Ereignissen.«

»Ich wollte Sie aufsuchen«, erwiderte Linden, »meine Schwiegermutter läßt Sie bitten, zu ihr zu kommen. Wir – heiraten in drei Wochen.«

Der kleine Herr im Nerzpelz blieb stehen und sah Linden an, als traue er seinen Ohren nicht. »Wie? Was? Sie ist ja geschwind andern Sinns 110 geworden. Hat Trudchen die weiche Stimmung benutzt – oder –?«

»Das würde Trudchen nie tun. Nein, Frau Baumhagen wünscht mit ihrer ältesten Tochter zu verreisen auf lange Zeit, da –«

»O la la! Und Trudchen soll nicht mit?«

»Im Gegenteil – aber sie wollte nicht.«

»Aha! Jetzt dämmert es mir, es hat etwas gegeben! Sie, Serenissima, hat versucht – hm – ich verstehe schon – Reisen, andere Gegenden, andere Menschen – aus den Augen, aus dem Sinn! Ha, ha, 's ist eine geborene Diplomatin. Nun, ich komme, lassen Sie uns nur einen kleinen Umweg machen, mir tut die frische Luft gut. Aber es freut mich von Herzen. Also in drei Wochen?«

Die Herren gingen stumm nebeneinander durch das Schneegestöber. In den Straßen war es trotz des lebhaften Verkehrs merkwürdig still, Menschen und Wagen schienen auf der weißen Decke förmlich zu schweben. Die Luft war mild, wie nach Frühjahr duftend, und Franz Linden dachte an sein Daheim und an das kleine Zimmer neben dem seinigen, das nun nicht lange mehr unbewohnt bleiben würde. »Ganz ergebenster Diener!« sagte da eine Stimme, und an ihnen vorüber schob sich ein kleines Männchen, den Hut schwebend über den kahlen Scheitel haltend, eitel Freundlichkeit das spitze Gesicht. Linden grüßte. Onkel Heinrich berührte nachlässig den Rand seines Hutes.

111 »Woher kennen Sie denn diesen Monsieur Wolff?« fragte er, dem Dahineilenden nachblickend, der sich unglaublich behende durch die Menschen wand. »Sehen Sie, Linden, der ist auch so einer, der, treffe ich ihn vor Tische, mir den Appetit beinahe verderben kann.«

»Ich stehe oder stand vielmehr mit ihm in Geschäftsverbindung durch meinen alten Onkel. Er hatte Geld von ihm auf Niendorf«, erklärte Linden.

»Von diesem Krawattenfabrikanten? Der Alte ist wohl unklug gewesen!«

Linden erwiderte nichts. Sie waren eben in eine stille Seitenstraße eingebogen.

»Steht das Geld noch darauf?« fragte Herr Baumhagen.

»Nein, die Schwester meines Freundes hat die Hypothek übernommen.«

»So! – Warum haben Sie es mir nicht gesagt? Sie hätten überdies von Trudchens Geld –«

Franz Linden machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

»Na – ich hab's dem Kinde versprochen. Sie hatte mich beauftragt, Ihnen ein Kapital zur Verfügung zu stellen«, erläuterte der alte Herr.

»Ich danke!« erwiderte Linden kurz; »in meine Brautschaft mag ich keine Geldgeschichten hineinspielen lassen.«

»Und der Bau in Niendorf?«

»Trudchen weiß, daß kein Feenpalast sie 112 erwartet. Es läßt sich übrigens ganz gemütlich dort wohnen in den alten Zimmern, wenn sie auch niedrig sind und klein. – Einen Gartensaal habe ich, der sehr hübsch ist. Und das, was vor den Fenstern liegt, findet man so bald nicht wieder, und reist man noch so weit.«

»Ei, das Kind ist schon zufrieden, freilich!« stimmte Herr Baumhagen bei, »aber Serenissima?«

»Es ist mir immer noch lieber, sie sagt: ›Mein Kind ist in ein altes Bauernhaus gezogen‹, als: ›Wir haben erst bauen müssen‹«, bemerkte Linden trocken.

Der alte Herr lachte vergnügt in sich hinein. »Ja, ja, so spricht sie, so macht sie's. Und verreisen will sie – 's ist wunderbar. Meine liebe selige Mutter suchte Trost in der Arbeit, als mein Vater starb – das war noch die gute alte Sitte; die Heutigen reisen. Dem armen Ding, der Jenny tät's besser, sie trauerte recht tief innerlich in der Stille. Nein, da wird sie hinausgerissen, damit das Pfeifen der Lokomotive ihr die letzte Erinnerung an die Stimme des Kleinen übertönt. Linden!« der alte Herr blieb stehen und legte die Hand auf seine Schulter, »die Trudchen ist anders, Sie können's glauben! Sie ginge nicht fort von dem kleinen Grabe da draußen, jetzt nicht! Sie hat auch ihre Fehler, das Kind, aber – hier drinnen«, er zeigte auf seine Brust, »– da ist's richtig bei ihr. Wollte Gott, daß sie recht glücklich würde bei 113 Ihnen, in dem alten Neste. Sie hat's verdient, schon um ihre Jugend – um ihren Vater.«

Franz nickte, er wußte es ja so genau, was der alte Egoist ihm da erzählte.

»Na, nun kommen Sie aber«, fuhr Onkel Heinrich fort, »meine Schwägerin wird mich sprechen wollen wegen der Hochzeit.«

»Ich denke, wegen des Ehekontraktes«, meinte Franz Linden, »und da wollte ich Sie bitten, auch Gertrud zu bestimmen, daß sie sich den Wünschen ihrer Mutter fügt. Es ist mir lieber so.«

»Hm!« der alte Herr räusperte sich. »Ich füge mich, du fügst dich, er fügt sich, sie – fügt sich nicht! 's ist ein Trotzkopf – pardon! – Na, bange machen gilt nicht – das hat sie von meinem Bruder. Er war ein praktischer, ein tüchtiger Kaufmann, aber sobald das Herz ins Spiel kam – vorbei mit Klugheit, Vorsicht, Berechnung, was weiß ich's. – O la la! Aber, da wären wir ja.«

Frau Baumhagen empfing die Herren sehr ruhig. Gertrud war nicht bei ihr. »Sie ist in ihrem Zimmer«, erklärte sie Linden, der sich wie suchend umblickte, »und erwartet Sie.«

Er fand das Mädchen im Erker. Es brannte noch kein Licht, nur der Schein der Ofenflammen leuchtete über den Teppich. »Gertrud«, sagte er, »wie soll ich dir danken!« Und als er die Hände ergriff, brannten sie heiß in den seinen.

»Wofür?« fragte sie.

114 »Für alles, Trudchen! – Du warst doch ruhig, Mama gegenüber?« setzte er dann hinzu, als sie schwieg.

»Ganz ruhig!« erwiderte sie, »ich dachte an dich; aber fest bin ich geblieben, ich will keinen Ehekontrakt!«

»Du törichtes Mädchen! Ich kann ja Unglück haben, schlechte Ernten oder dergleichen – dann leidest du mit?«

Sie nickte und lächelte. »Freilich – und helfe dir mit allem, was ich besitze. Und wenn wir schlechte Ernten haben und nichts, nichts glücken will, gar nichts mehr unser ist, dann« – sie hielt inne und sah ihn glückselig an aus den lieben verweinten Augen, »dann hungern wir zusammen, nicht? du?«



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