Wilhelmine Heimburg
Trudchens Heirat
Wilhelmine Heimburg

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202 Frau Baumhagen hatte ihre Abneigung gegen »Villa Waldruhe« überwunden und war gekommen, um mit ihrer jüngsten Tochter zu sprechen; irgend etwas mußte geschehen, jedenfalls konnte sie die teilnehmenden Fragen nach dem Befinden der jungen Frau nicht länger ertragen. Entweder – oder!

Trudchen saß am Fenster in ihrem dämmerigen kühlen Zimmer und las, wenigstens hielt sie ein Buch in der Hand. Zu ihren Füßen schlief Lindens Hund. Sie erhob sich erschreckt, als sie Tritte auf dem Korridor hörte, und einen Moment überzog ein helles Rot das blasse Gesicht. »Ach, Mama«, sagte sie müde, als Frau Baumhagen über die Schwelle rauschte, in lichtgrauer Toilette, den Hut der Halbtrauer wegen verschwenderisch mit Veilchen geschmückt, das runde Gesicht von der Frühlingssonne und Erregtheit noch lebhafter gefärbt als sonst.

»Aber Kind, so geht es nicht länger!« begann sie und küßte die Tochter zart auf die Stirn; »wie du aussiehst, und wie kalt es hier ist! Jenny läßt dich grüßen. Sie ist heute früh nach Paris, um mit Artur dort zusammenzutreffen. Warum bist du nicht mitgereist, wie ich dir vorschlug?«

»Ich fühle mich nicht wohl genug«, sagte Trudchen.

»Du siehst blaß aus! Es ist ja kein Wunder, ich habe auch nie Rücksichtslosigkeit ertragen können.«

Die junge Frau hatte ihren Platz wieder eingenommen.

203 »War Onkel Heinrich einmal hier?« erkundigte sich Frau Baumhagen.

»Gestern erst.«

»Nun, da weißt du ja, daß Linden sich einfach seine Einmischung bei Wolff verbeten hat?«

»Ja, Mama!«

»Und daß dieser Herr Wolff seit drei Tagen am Tode liegt? Es könnte nichts Besseres passieren, als daß er stirbt. Die Angelegenheit wäre damit natürlich zu Ende. Ob man in der Stadt schon eine Ahnung hat von dem wahren Sachverhalt, weiß ich nicht, aber irgend etwas ist in der Leute Mund. Man überstürzt sich mit Erkundigungen nach dir.«

Trudchen nickte leise mit dem Kopfe. Sie wußte das alles schon vom Onkel.

»Und er war nicht hier? Bat nicht um Verzeihung? Suchte keine Annäherung?« fragte atemlos Frau Baumhagen.

»Nein!« klang die Antwort, halb erstickt.

»Armes Kind!« Die Mutter führte das Batisttuch an die Augen. »Es ist roh, geradezu roh! Danke Gott, daß du so bald zur Einsicht gekommen bist. Aber du kannst doch nicht während der ganzen Zeit, die der Scheidung vorangeht, hier zubringen?«

Trudchen zuckte zusammen und sah mit starren Augen die Mutter an. Sie selbst hatte ja an weiter nichts gedacht, als an Trennung. Jetzt, wo sie das 204 furchtbare Wort aussprechen hörte, traf es sie wie ein Donnerschlag. »Doch!« sagte sie dann und wand die Hände unmerklich ineinander, »wo sonst?«

»Und was machst du hier, um Gottes willen, von früh bis spät?«

»Ich lese und gehe spazieren, und –« ich gräme mich, wollte sie hinzusetzen, aber sie schwieg. Was wußte Mama von Gram!

»Mein armes Kind!« Frau Baumhagen weinte jetzt wirklich. Der Aufenthalt hier fiel ihr auf die Nerven. Es lag etwas Beängstigendes in der Luft, und es war doch im Grunde eine schreckliche Zeit, die nun bevorstand. Wie, wenn er nicht in die Trennung willigte? Warum hatte Gott dem Kinde einen so unbeugsamen Charakter gegeben, der sie in dies Elend gebracht hatte! Wäre sie doch dem mütterlichen Rat gefolgt! Frau Ottilie hatte vom ersten Moment an einen Widerwillen gegen diesen Menschen gefaßt.

»Ich glaube, ich muß heim – meine Migräne«, stammelte sie und schraubte ihr Büchschen mit englischem Salz auf. »Wenn du irgend etwas wünschest, Gertrud, schreibe oder schicke. Willst du ein Instrument, oder Bücher? Ich hab' den neuesten Roman von Daudet. Ach, Kind! es geht bunt her im Leben und in der Ehe besonders. Du hast noch nicht das Traurigste erfahren.«

»Ich danke, Mama!« Die junge Frau folgte der Mutter den Korridor entlang und die Treppe 205 hinunter bis in die Haustür. Frau Baumhagen nahm mit heiterem Lächeln Abschied. Der Kutscher brauchte ja nichts zu wissen. »Gute Besserung, Trudchen«, sagte sie laut, »laß dir deine Brunnenkur wohl bekommen!«

Die Zurückbleibende schritt in den Garten hinein. Am Ende der Mauer, da wo der Weg umbiegt, war ein kleines Belvedere angebracht, darüber aus Borke ein pilzförmiges Dach. Dort stand sie nun und schaute in das Land hinein, das im Abendgold und Duft vor ihr lag. Hinter den bewaldeten Ausläufern des Turmberges, da wußte sie, traut und lieb, das alte Haus. Sie schritt im Geiste durch alle seine Räume, nur an einer Tür zwang sie die Gedanken vorüber, das Zimmer mit den alten Mahagonimöbeln, in das sie zuerst getreten war am Hochzeitsabend. Und sie lehnte sich fester auf die Mauer und schaute in die untergehende Sonne, die wie ein feurig roter Ball am Himmel stand, bis ihr die Tränen aus den Augen flossen. Das Herz tat ihr weh vor Scham und Demütigung. Warum nur kam immer wieder dieser Tag herauf und der Abend, der erste in eben dem Zimmer? Der Abend, da sie aus seinem Arm geglitten war, ihm zu Füßen, ihr Antlitz in seine Hände geborgen, vergehend in heißer Dankbarkeit? Mußte er nicht heimlich gelächelt haben über das törichte, leidenschaftliche, blindlings glaubende Weib? Und der Zorn trieb ihr die Tränen aus den Augen über die 206 blassen Wangen, ihre Hände zitterten und riesenhaft bäumte sich der Stolz in ihr.

Sie wandte sich um und ging dem Hause zu, immer der Hund auf ihren Fersen. In der Stube hockte sie sich wie ein Kind zur Erde und faßte den braunen Gesellen um den Hals. Sie konnte ja weinen, laut weinen, es hörte keines Menschen Ohr. Johanne war nach Niendorf gegangen und holte Bücher und allerhand Kleinigkeiten.

Als Johanne endlich kam, saß Gertrud, still wie immer, in der Sofaecke; die Lampe brannte und sie las. Die behende kleine Person bot einen schüchternen »Guten Abend!«,was mit einem stummen Kopfnicken erwidert wurde. Sie legte neben das Buch ein paar Rosenknospen: »Die ersten aus dem Niendorfer Garten, gnädige Frau.«

Und als keine Antwort darauf kam, sprach sie weiter, während sie die Wäsche aus dem Korbe nahm und in einen Schrank packte: »Die Dore ist fort, Frau Linden. Sie hat sich mit Fräulein Adelheid gezankt, da hat sie der Herr hinausgejagt. Er ist böse. Herr Baumhagen, der gerade draußen war, hat sich bitter beklagt über das Essen heute mittag. Ich stand in der Küche, da kam er herein und sagte, er hätte in seinem ganzen Leben noch nicht solch miserable Schoten bekommen, und der Schinken sei nach der verkehrten Seite geschnitten. Da hat Fräulein Adelheid geweint und lamentiert und erklärt, sie täte das alles nur aus Gefälligkeit. Und 207 der Herr Amtsrichter wollte sie trösten und sagte, es wäre schade um ihre schönen Augen. Ich soll auch vom Herrn Amtsrichter eine Empfehlung ausrichten, und er käme noch, um der gnädigen Frau Adieu zu sagen. Er reist in den nächsten Tagen ab. Herr Baumhagen läßt auch grüßen und Fräulein Rosa und die kleine Adelheid –«

»Bitte, Johanne, besorge mir den Tee«, unterbrach die junge Frau den Redestrom.

»Ich hatte eigentlich saure Milch, gnädige Frau – aber gelt, es ist kühl. Ach Gott, und wie sieht's im Milchkeller aus! Es verkommt alles. Es wäre wirklich besser, wollten die Herrschaften sich dahin einigen, daß das Fräulein Adelheid hierherkommt und ich gehe zum Herrn.«

»Du bleibst hier!« erklärte Trudchen und senkte die Augen auf ihr Buch.

»Der Herr sieht so blaß aus«, fuhr die redselige Frau fort. »Der Herr Baumhagen erzählte ihm im Gartensaal, daß es mit dem Wolff zum Sterben kommt. Da schlug er mit der Hand auf den Tisch, daß die Kaffeetassen klirrten und sagte: ›In dieser Geschichte geht mir alles quer!‹«

Trudchen sah empor. In ihr blasses Gesicht kam Farbe, und sie atmete tief. »Zum Sterben?«fragte sie.

»Ja! ich hörte noch, wie Herr Baumhagen ihn zu beruhigen suchte. Es sei wohl so am besten, und er hoffe, es werde sich nun alles in Frieden arrangieren.«

208 »Was wollte denn mein Onkel draußen?« forschte Trudchen.

Johanne war verlegen. »Ich weiß es nicht, Frau Linden, aber wenn mich nicht alles täuscht, so redete er Herrn Linden zu – daß – ach Gott, gnädige Frau!« Die schmucke, kleine Person kam herüber und blieb vor dem Tische stehen, den sie zierlich gedeckt hatte. »Was sie miteinander gehabt, die Herrschaft – das weiß ich nicht, es kommt mir auch nicht zu, darüber nachzudenken. Aber sehen Sie, gnädige Frau, ich hatte auch einmal einen Mann, dem ich herzlich gut war – das Leben ist so kurz, meine ich, man sollte sich keine Stunde verbittern, gnädige Frau. Was tot ist, kommt nicht wieder. Aber wüßte ich, mein Fritze wäre noch auf der Welt und säße da drüben hinter den Bergen, so gar nicht weit von mir – Herr Jesus, wie wollte ich laufen, daß ich hinüberkäme, und wäre er auch bitterböse auf mich! Um den Hals fiele ich ihm und sagte: ›Fritze, nun schilt mich und schlage mich, es ist alles eins, wenn ich dich nur habe!‹«

Und die junge Witwe vergaß den Respekt vor der Herrschaft und schlug den Zipfel der sauberen Schürze vor die Augen und begann bitterlich zu weinen.

»Weine nicht, Johanne«, sagte Trudchen. »Du verstehst das nicht. Mir wäre es schon lieber so – als daß er mich –« Sie stockte, es war ein Gefühl herzbeklemmender Angst, das sie überkam.

209 Johanne schüttelte den Kopf. »'s ist nicht recht!« sprach sie und ging hinaus.

Und Trudchen ließ den gedeckten Tisch und stellte sich ans Fenster und legte die Stirn an das kühle Glas. Ob es nicht Menschenworte gibt, so gewaltig, als hätte Gott selbst sie gesprochen?

Als Johanne nach langer Zeit wieder das Zimmer betrat, fand sie es leer und den Tisch unberührt. Und als sie sich anschickte, das bescheidene Tafelgeschirr abzuräumen, da trat die junge Frau eben wieder über die Schwelle und legte einen Schlüssel auf den Schreibtisch. Sie war in des seligen Herrn Stube gewesen, und wie versteinert sah das blasse Gesicht aus unter dem braunen Haar.

»Wenn Besuch morgen kommt, oder wann es sei – ich bin nicht zu sprechen«, befahl sie, »es müßte denn Onkel Heinrich sein.« Und sie nahm das Buch vor die Augen und las.

Es rührte sich schon längst nichts mehr im ganzen Hause, da ließ sie es einen Augenblick sinken und starrte ins Leere hinaus. »Nein!« sagte sie halblaut, »nein!«



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