Wilhelmine Heimburg
Trudchens Heirat
Wilhelmine Heimburg

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Und der Hochzeitstag kam. Anders wie sonst ein solches Freudenfest hub er an. Es war unheimlich still in dem Hause, das noch in tiefster Trauer stand.

Die Zimmerflucht hatte man geöffnet und erwärmt und über Trudchens Tür hing eine Girlande aus ernstem Tannengrün. Gestern war unermüdlich die Klingel gezogen worden, und ein kostbares Geschenk nach dem andern eingetroffen, und die ganze Pracht an schwerem Silberzeug, Majoliken, Teppichen und anderen kostbaren Dingen hatte man auf eine lange Tafel gestellt im Erkerzimmer. 115 Ein Gärtnerbursche hantierte noch leise im Saal, um den improvisierten Altar mit Orangenbäumen zu dekorieren. Der feine Duft von Räucherwerk schwebte in der Luft und die Flammen des Kamins spiegelten sich in den Glasbehängen des Kronleuchters und dem glänzenden Parkett des Fußbodens. Draußen aber wehte trügerische, weiche Luft. Es war der erste März.

Frau Baumhagen hatte schon seit dem Morgen geweint und gestöhnt, und zwischen den Anordnungen für die Trauung waren Befehle erlassen, die Reise betreffend. Die großen häuserartigen Koffer standen fertig gepackt in der Garderobe. Übermorgen sollte es fortgehen; zunächst nach Heidelberg zu einem berühmten Arzt.

Um Trudchens Aussteuer hatte sich die Mutter nicht bekümmern können, mochte sie sich die Einrichtung selbst aussuchen. Trudchens Geschmack war ja sowieso höchst wunderbar: wenn sie blau gewollt, hätte das Mädchen sicher rot gewählt – so war es von jeher. Ach, dieser Tag war ein schrecklicher in ihren Augen, er beschloß qualvolle Wochen. Seit dem Begräbnis des Kleinen, wo das Kind eine so leidenschaftliche Szene gemacht, war man noch kälter denn sonst aneinander vorübergegangen. Gertruds Augen konnten so groß, so fragend blicken, es stand immer die leise Anklage darin: »Warum störst du mein Glück?« – »Wenn man doch erst im Coupé säße!«

116 Jetzt waren die Damen alle bei der Toilette. Um fünf Uhr sollte die Trauung stattfinden. Die alte Sophie half Trudchen, sie wollte es sich nicht nehmen lassen.

Das bedeutungsvolle Kleid hatte Trudchen schon angelegt, nun kniete Sophie vor ihr und knöpfte die weißen Atlasschühchen zu.

»Fräulein Trudchen«, seufzte die Alte, »wie wird's so öde werden im Hause! Das Walterchen tot, und Sie nun fort.«

»Ich werde glücklich sein, Sophie!« Die weiche Mädchenhand strich über das runzlige Gesicht, das traurig zu ihr emporsah.

»Das walte Gott! das walte Gott!« murmelte die alte Frau gerührt und erhob sich. »Nun kommt wohl Schleier und Kranz? Aber Fräulein, dazu bin ich zu ungeschickt, das wird – da ist Frau Fredrich schon –«

Frau Jenny kam eben durch das Wohnzimmer des jungen Mädchens, sie war in tiefschwarzer duftiger Krepprobe, und aus den blonden Haarwellen leuchtete eine weiße Kamelie. Sie sah erschreckend bleich aus und hatte rotgeweinte Augen.

»Ich will dir helfen, Trudchen«, sagte sie matt und begann den Schleier auf dem braunen Haar der Schwester zu befestigen. »Wenn ich denke, Trudchen, wie du mir den Kranz aufgesetzt hast, weißt du noch? Ach, wenn man in der Stunde ahnen könnte, welch unendlichem Leid man entgegengeht!«

117 »Jenny«, bat Trudchen, »weine nicht so viel. Sieh, wie ich herunterkam, als Walterchen gestorben war und Artur dich so treu im Arme hielt, dachte ich, welch eine Fülle von Trost ihr noch hättet in euch selbst. Das ist doch erst das rechte, wahre Glück, wenn zwei so beieinander stehen in Kreuz und Not.«

»Oh«, sagte Frau Jenny, und um ihre Lippen zuckte es verächtlich, »glaube mir doch, Artur ist schon halb getröstet. Er kann von etwas anderem reden, er kann essen und trinken und ins Geschäft gehen, er hat sogar schon Skat gespielt. Dieses vielgepriesene Glück! Lieber Gott!«

»Ach, Jenny, du darfst nicht die tiefe Trauer von ihm verlangen, wie sie ein Mutterherz empfindet; er –«

»Du wirst es auch noch einsehen«, unterbrach die junge Frau. »Die Männer sind alle Egoisten!«

Trudchen erhob sich jäh von ihrem Sessel. Sie schwieg, doch ihre Augen hefteten sich vorwurfsvoll auf die Schwester, als wollte sie sagen: »Sind das deine Segensworte, die du mir auf den Weg mit gibst?«

Aber ihre Lippen sagten nur: »Nicht alle, ich weiß es besser!«

Jenny stand wie verlegen. »Ich möchte nun zu Artur hinunter, er wird sonst wieder nicht zur rechten Zeit fertig. Und dann ist's auch so weit, daß ich zum Empfang der Gäste heraufkomme.«

118 Wie ein dunkler Schatten rieselte die Schleppe ihres Kleides über den Teppich.

Trudchen setzte sich still noch einmal in den Erker. In schimmernden Falten floß die weiße Seide um die schöne Gestalt, und aus dem duftigen Schleier tauchte das ernste junge Gesicht wie aus einer Wolke empor. Sie hatte die Hände gefaltet und sah des Vaters Bild an. »Dich nehme ich mit heute abend, Papa!« Und ihre Gedanken flogen zu dem stillen Landhause; sie kannte es noch nicht, nur wenn sie auf einer Landpartie durch das Dorf gefahren war, hatte sie ein spitziges Ziegeldach und graues Gemäuer aus den Bäumen auftauchen sehen. Wer ihr gesagt hätte, daß dies einst ihre Heimat sein würde!

Es war wohl herzlos, daß ihr der Abschied aus dem Vaterhause nicht schwerer wurde. Und von der Mutter? – Ach, die Mama! Papa hatte sie ja doch liebgehabt, sehr lieb einmal. Sollte sie fortgehen von hier ohne eine Mutterträne, ohne ein herzliches Wort? Und Trudchen vergaß alles in dieser glückseligen Stunde, sie dachte nur noch an das Gute, an das Traute, an die Zeit, da sie ein glückliches Kind gewesen und die Mutter sie noch zärtlich geküßt hatte. – Sie wollte versöhnt scheiden.

Sie erhob sich, raffte die lange Schleppe des Brautkleides zusammen und ging durch den halbdunklen Flur zum Schlafzimmer der Mutter hinüber. Leise pochte sie an und gleich darauf trat sie ein.

119 Frau Baumhagen stand vor dem großen Ankleidespiegel im schwarzen Moirékleide, schwarze Spitzen und Federn auf dem noch immer blonden Scheitel. Trudchen konnte das Antlitz im Spiegel sehen. Es war dick mit Puder bestreut, und eben wurde mit einer Hasenpfote das feine Reismehl in die Haut gerieben.

Frau Baumhagen sah sich um und betrachtete ihre Tochter. Es war die holdeste, die lieblichste Braut, weit imposanter als Jenny – und das alles für diesen Linden! Sie sagte nichts, sie seufzte nur laut und wandte sich wieder zum Spiegel.

»Mama«, begann Trudchen, »ich möchte dich um etwas bitten.«

»Gleich!«

Trudchen verharrte ruhig, bis der letzte Strich mit der Puderquaste über die Schläfe getan war, dann nahm Frau Baumhagen die langen schwarzen Handschuhe, setzte sich auf die Chaiselongue zu Füßen ihres großen, rotdekorierten Himmelbettes und begann den ersten überzustreifen.

»Was willst du, Gertrud?«

»Mama, was ich will? – Ich wollte Abschied nehmen von dir.« Sie setzte sich neben die Mutter und nahm ihre Hand.

Frau Baumhagen nickte ihr zu. »Ja, wir werden uns längere Zeit nicht sehen.«

»Mama, bist du mir noch böse?« fragte das Mädchen stockend, und ihre Augen waren feucht. »120 Vergib mir in dieser Stunde«, bat sie, »ich war manchmal heftig und trotzig, aber –«

»O laß – laß doch!« wehrte die Mutter. »Ich wünsche nur von Herzen, daß du glücklich werdest und diesen Trotz, diesen Eigensinn nie zu bereuen brauchst.«

»Niemals!« sagte Trudchen mit innigster Zuversicht.

Frau Baumhagen knöpfte an den Handschuhen weiter. Es war im Zimmer ein so betäubender Geruch von Lavendelwasser und Patschuli, dazu krachte leise die schwere Seide, wie sie sich eifrig mühte, die Knöpfe zu schließen. Sie antwortete nicht.

»Darf ich noch eine Bitte – Mama?«

»Gewiß!«

Das Mädchen faltete unwillkürlich die Hände im Schoß. »Mama, sei ein wenig freundlich zu Linden, habe ihn ein wenig lieb, mache ihm den heutigen Tag zu einem wirklichen Ehrentage! Sieh, Mama«, fuhr sie nach einer Pause fort, »das Herz würde es mir zerschneiden mit tausend Messern, wird er heute gekränkt, liebe Mama –.« Ein paar schwere Tränen zitterten in den Wimpern.

Sie mußte noch einmal fragen: »Ja, Mama?«

Frau Baumhagen war fertig. Sie streckte ihre beiden kleinen Hände vor, besah sie innen und außen und sagte, ohne aufzublicken: »Freundlich? – natürlich; liebhaben? – das läßt sich 121 doch nicht erzwingen, mein Kind. Ich kenne ihn ja kaum.«

»Um meinetwillen!« wollte Trudchen rufen. Aber sie besann sich. Die Tage der Kindheit waren vorüber, und seitdem? –

Frau Baumhagen erhob sich. »Es ist bald fünf Uhr«, bemerkte sie, »geh hinüber in dein Zimmer, Linden wird gleich kommen.« Sie küßte Trudchen auf die Stirn, dann rasch auf den Mund. »Geh, mein Kind – ich lasse mich überhaupt nicht gern weich machen. Gott schenke dir alles Glück!«

Trudchen kam hinüber in ihr Zimmer, erkältet bis ins innerste Herz. Da trat aus dem Erker eine hohe Gestalt rasch auf sie zu, und ein fester Arm zog sie an sich. »Du!« sagte sie aufatmend, und eine Rosenglut überflog ihr Antlitz.

Drüben im Saale versammelte sich indes still die kleine Hochzeitsgesellschaft, die Mutter, Artur, Jenny, die Tante Stadträtin und Onkel Heinrich. Zwei junge Cousinen in weißen Tüllkleidern boten den einzigen lichten Anblick unter dem düsteren Schwarz.

»Um Gottes willen, macht nicht so trostlose Gesichter«, bat Onkel Heinrich, der aussah, als wäre ihm die Hochzeit wieder auf den Magen gefallen. »'s ist so trübselig sowieso, ohne Sang und Klang!«

Nun öffnete sich die Tür, der alte Prediger trat herein, und Onkel Heinrich ging zu ihm hinüber und begrüßte ihn sehr laut, dann verschwand er, 122 um das Brautpaar zu holen. Der Schein der Nachmittagssonne flutete voll in das Gemach und überstrahlte die Kerzen auf dem Kronleuchter und den Kandelabern, und diese Strahlen schimmerten und webten auch um das Paar vor dem Altare. Mild und klar scholl die Stimme des Geistlichen: Im Gotteshause hätten sie sich zum ersten Male in die Augen gesehen, sagte er, sichtbarlich habe der Herr sie zusammengeführt, und was der Herr so geeinet, das solle der Mensch nicht scheiden. Von der Liebe sprach er, die alles erduldet, erhoffet und erträgt. – Trudchen hatte sich den Text selbst gewählt.

Dann wechselte der Geistliche die Ringe. Sie knieten nieder zum Segen, und nun waren sie Weib und Mann.

Sie traten zur Mutter hinüber. Franz Linden ging es wie Trudchen vorhin, er sah alles anders in dieser Stunde. Er streckte die Hand aus, und weil er keine Worte fand, wollte er mit diesem Händedruck geloben, die ihm eben Angetraute zu schützen, zu halten wie seinen Augapfel, sein Leben lang.

Aber Frau Baumhagen küßte die junge Frau zierlich auf die Stirn, legte einen Moment ebenso zierlich die Finger in seine ausgestreckte Rechte und wandte sich dann zu dem Prediger, der ihr glückwünschend nahte. Das junge Paar sah sich an – und als er in ihre bangen Augen blickte, drückte er 123 den Arm fester, der in dem seinigen lag. Und da wurde sie ruhig, fast heiter.

Onkel Heinrich hatte das Hochzeitsdiner angeordnet. Im Eßzimmer, das nach Norden gelegen, waren die Vorhänge geschlossen und die Lichter angezündet, der ganze Silberschatz des Hauses blitzte und funkelte auf der Tafel. Der alte Herr verstand es. Er hatte in der letzten Zeit zwar schlaflose Nächte darum gehabt, aber dafür war das Menü auch raffiniert, wie er sich ausdrückte. Schade nur, daß er, die Tante Stadträtin und Artur die einzigen waren, die es zu würdigen verstanden, nach seiner Meinung. Man kam doch nicht über die frostige Stimmung hinaus. Nicht einmal bei Onkel Heinrichs Toast, nicht einmal beim Sekt. Der alte Egoist verzweifelte fast.

Als man sich zum Kaffee erhob, suchte Trudchen ihr Zimmer auf. Nach einer Viertelstunde trat sie in anderer Toilette in den Flur. Dort stand er, ihrer wartend. Von drinnen scholl nur das gedämpfte Sprechen der Tischgesellschaft heraus, hier war es lautlos still. Sie blickte sich nochmal um und nickte der alten Dielenuhr zu. »Adieu, Sophie!« sagte sie dann, als sie an seinem Arm die Treppe hinunterschritt, und die Alte sich plötzlich weinend über das Geländer beugte, »grüß sie alle noch tausendmal!«

Hellerleuchtete Fenster schimmerten ihnen entgegen, als Franz sie in Niendorf aus dem Wagen 124 hob und die Stufen hinaufführte. Wolkenverhangen war der Himmel und wunderbar weich und duftig die frühe Lenzluft.

»Tritt ein!« bat er und öffnete die altersbraune Haustür.

»Oh, so viel Rosen!« kam es entzückt von ihren Lippen. – Das Geländer der Treppe, die Türrahmen, die Ketten, an welchen die Lampe hing, alles war verschwenderisch mit Rosen geschmückt, und bei dem matten Lichte glühten und leuchteten sie aus dem dunkeln Grün in lebendiger Pracht. Gute Tante Rosa!

Und Hand in Hand stiegen sie die Treppe empor und schritten den Korridor entlang, es waren nur Gipsfliesen, aber ganz mit duftenden Tannen bestreut.

»Und hier unser Wohnzimmer, Trudchen, bis das deine eingerichtet ist.«

Sie war auf die Schwelle getreten und sah hinein mit neugierigen Augen. Unendlich traut und heimlich lag es vor ihr, das niedrige Gemach, freundlich erhellt vom Lampenschein. Winselnd vor Freude sprang der schöne Jagdhund an seinem Herrn empor, den er heut den ganzen Tag hatte entbehren müssen. Sie trat hinein an seiner Hand in banger Glückseligkeit.

»Oh, der schöne Hund und dort dein Schreibtisch, da die Bücherschränke, und welch liebes altes Frauengesicht im Goldrahmen – deine Mutter, Franz? 125 Ja, so mußte sie aussehen, so habe ich sie mir gedacht! Und wie wunderhübsch der Teetisch mit den zwei Kuverts! Ach, Liebster!« Und das verwöhnte stolze Kind des Reichtums lag weinend an seiner Brust. »Hier – so soll es bleiben, Franz, hier ist's warm und hell, hier kann kein bitteres Wort gesprochen werden!«

»Denke nicht mehr daran«, tröstete er. »Alles Böse ist hinter uns geblieben. Hier haben wir das Hausrecht und dulden nur Frieden und Freundlichkeit.«

»Ja«, sagte sie, unter Tränen lachend, »du hast recht, was geht uns die Welt da draußen an!«

Sie standen zusammen vor seinem Schreibtisch; dort prangte eine Majolikaschale voller Frühlingsblüten. »Der köstliche Veilchenduft!« flüsterte sie tiefatmend und wand sich aus seinen Armen. Eine Visitenkarte lag in den Blumen. Beider Hände streckten sich danach aus.

Die herzlichsten Glückwünsche zur Vermählung sendet

E. Wolff, Agent.

lasen sie.

»Woher kennst du ihn? Wie kommt er dazu?« fragten ihre Augen.

Aber er warf die Karte achtlos auf den Tisch und küßte sie auf die Augen.



 << zurück weiter >>