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11. Um die Schummerstunde

»Friedlich bekämpfen Nacht sich und Tag. Wie das zu dämpfen, wie das zu lösen vermag«, besingt Hebbel die Dämmerstunde. Wer hat sich wohl nicht schon so manches liebe Mal an den geheimnisvollen Zauber verloren, der um diese Dämmerstunde webt? Wenn draußen der Lärm der Arbeit mählich verebbt, ein letztes Sonnenleuchten die Decke deines Zimmers vergoldet, wenn's Feierabend rings von den Türmen läutet. Du hast getan, was dir als Pflicht dein Wille oder die eiserne Notwendigkeit des Tages auferlegte. Nun sehnst du dich, ein Weilchen aufzuatmen, du willst dir eine kurze Rast vergönnen, bevor das helle Licht der Lampe deine müden Augen noch einmal in die Frone zwingt. Die Plagen des Werktags verschwinden in dem fahlen Dämmern, die Sorgen der Zukunft verflüchtigen sich: das, was gewesen, steigt vor deiner Seele auf und gewinnt Gewalt über sie. Schatten umschweben dich und sehnen sich nach Zwiesprache mit dir. Und wie einst Odysseus in der Unterwelt läßt du, Opfernder nun und Opfer zugleich, sie von deinem Blute trinken oder wehrest ihnen. Und da es gar zu viele werden, je mehr dein Haupt ergraut, befällt dich wohl gleich den Kindern, die sich im Dunkeln vor den Gespenstern ihrer Märchen fürchten, auf einmal ein schnürendes Bangen, dein Herz pocht schneller, und du fährst auf: »Macht Licht!«

»Das Licht«, meditiert Humboldt einmal in der Dämmerstunde, »hängt, ohne daß man selbst sagen kann, wie das zugeht, mit dem Leben selbst zusammen, und Leben, Licht und Luft sind wie verwandte, immer zusammengedachte, das irdische Dasein erst recht möglich machende Dinge. Wunderbar ist es auch, daß die Finsternis selbst den Reiz, den sie offenbar hat, verlieren muß, wenn sie zur beständigen Begleiterin des Lebens wird. Jetzt ist es nicht zu leugnen, daß die Finsternis der Nacht eine süße Ruhe gegen das Licht des Tages gewährt. Allein die angenehme Empfindung beruhet nur darauf, daß der Tag vorangegangen ist, und daß man sicher ist, daß er nachfolgen wird. Nur der Wechsel ist wohltätig. Unaufhörliches Tageslicht ermüdet.« Aus solchen überraschend neuen und tiefen Gedankengängen heraus hat wohl auch Palmströms Freund, Christian Morgensterns famoser Herr v. Korf, seine »Tagnachtlampe« konstruiert:

»die, sobald sie angedreht,
selbst den hellsten Tag
in Nacht verwandelt.« …

Ach, liebe Reisegenossen, wie herrlich banal darf man doch sein – und wird obendrein noch dafür von aller Welt bewundert –, wenn man zufällig Wilhelm v. Humboldt heißt und Briefe an seine Freundin Charlotte schreibt! … Weh mir, daß ich ein Enkel bin! …

Nirgends anders ist wohl die Zeremonie des abendlichen Lichtanzündens feierlicher vollzogen worden als einst im etikettesteifen Spanien. Die mokante Madame d'Aulnoy schildert uns das einmal von einer Damengesellschaft in Madrid. Zuerst trat der Haushofmeister in den Saal, kniete inmitten der Gesellschaft nieder und sprach mit lauter Stimme: »Gelobt sei das allerheiligste Sakrament«, worauf alle Damen einstimmig antworteten: »In Ewigkeit. Amen!« »Danach kamen 24 Pagen paarweise herein, jeder trug zwei silberne Leuchter oder einen ›Belon‹, d. h. eine hohe silberne Öllampe mit 8-12 Dochten. Hierauf machten sich die Damen große Komplimente, wie es bei uns nach dem – Niesen üblich ist.« Im übrigen kauerten die Damen bei dieser Gesellschaft nach spanischer Sitte mit kreuzweis unterschlagenen Beinen in kleinen Gruppen um messingene Zimmerherde herum, darin ein Feuer mit Olivenkernen unterhalten wurde. Besonders schicke junge Damen trugen große Brillen auf der Nase, was ihnen, so verrieten sie der lachlustigen Pariserin, einen Anstrich von Würde geben sollte …

Feuer und Licht, wie der alte Nachtwächterruf verbindet, Wärme und Helle, das ist jahrtausendelang in der menschlichen Kulturgeschichte nur eines gewesen, und weit bis in geschichtliche Tage hinein vermochte der zur Beleuchtung dienende Kienspan seine Abkunft von dem Feuerbrand des Herdes nicht zu verbergen. Eine Anzahl solcher mit Harz, Pech, Wachs oder Öl getränkter, mittels Bändern von Schilf oder Bast zusammengehaltener Späne ergab die leuchtkräftigere, wenn auch nicht minder qualmende Fackel, die der Grieche schon früh in einen metallenen Halter steckte. Aus diesem bald mit einer Schale zum Auffangen des herabtropfenden Harzes versehenen Fackelhalter ging unser Leuchter hervor. Die Fackel selber wandelte sich nachmals, kleiner und handlicher werdend, bei den Römern zur Kerze. Als Brennmaterial benutzten sie Wachs oder Talg, als Docht das Mark ihrer heimischen Papyrusstaude, und von der griechisch-römischen Bezeichnung dafür (» charta«) stammt wahrscheinlich unser Wort »Kerze«. Da man sich aber noch nicht auf rechtes »Ziehen« der Kerze verstand, sich vielmehr damit begnügte, den Papyrusdocht einfach mehrmals in die flüssig gemachte Tränkmasse zu tauchen und das Wachs oder den Talg dann daran erhärten zu lassen, waren diese Kerzen nur recht mangelhafte Beleuchtungsmittel. Und doch hat sich diese primitive Form – später mit einer Binse oder Werg als Docht bis in die Neuzeit hinein zu erhalten vermocht, und noch im 14. Jahrhundert galten bei uns derartige Talglichter als übertriebener Luxus! Erst im 17. Jahrhundert wurde das Lichtgießen mittels Formen erfunden, und bald verwandte man auch gedrehte Baumwollfäden als Docht. Das war ein bemerkenswerter Fortschritt. Aber leider:

»Wüßte nicht, was sie Bessers erfinden könnten,
Als wenn die Lichter ohne Putzen brennten«,

seufzt Goethe. Dadurch, daß im tierischen Talg Stoffe sind, die das völlige Verbrennen des Dochtes verhindern, gabs an der Kerze nach einem Weilchen »Putzen« (Butzen), »Schnuppen« oder »Räuber«, und erst wenn die Lichtputzschere ihres Amtes geschickt gewaltet und den kohlenden Kopf des Dochtes entfernt hatte, brannte das Licht wieder genügend hell. Dieser Lichträuber ward Immermann im »Tulifäntchen« geradezu zum Symbol irdischer Unzulänglichkeit: »O du helle Hochzeitskerze mit der langen schwarzen Schnuppe« – so stark empfand man ganz allgemein damals diesen Übelstand. Das richtige Putzen des Lichts mit der eigens dazu konstruierten Schere war übrigens nicht so ganz einfach. Goethe, der die »Tücke des Objekts« schon lange vor Vischers »Auch Einer« kannte, pflegte das deshalb auch in Gesellschaft stets selber zu tun. Sein Sekretär Theodor Kräuter schildert einmal der Gräfin v. Hopfgarten neben andern Menschlichkeiten des greisen Olympiers eine höchst ergötzliche Goethesche Lichtputzszene. »Noch in einer andern Art«, heißt es in dem Briefe, »ist er sehr eigen und leicht zu reizen; er kann nämlich kein zu kurz geschnaubtes Licht leiden, weil bei solchen die überflüssige Nahrung gewöhnlich herabfließt. So fügte es sich einmal in Jena, daß sein ältester Freund, der Major v. Knebel, Professor Riemer und ich auf dem Abend bei Goethe um den Tisch herum saßen, die Lichter waren lange nicht geschnaubt und leuchteten nur schwach. Knebel wollte endlich diesem Übelstande abhelfen und griff nach der Lichtbutze. ›Halt!‹ rief Goethe, nahm ihm die Schere aus der Hand und schnaubte die Kerze selbst. Niemand durfte sich dieses Geschäfts annehmen, und so mußten wir diesen Abend, wenn er eine Weile nicht daran dachte, noch manchmal in der Dämmerung sitzen.« (Ernst v. Wolzogen hat, nebenbei bemerkt, in seiner »Gloriahose« diese Goethesche Absonderlichkeit aufs lustigste persifliert.) … Und wie eigen diese Kerzen »dufteten«, wenn sie ausgeblasen waren, der Docht aber noch eine Weile weiterschwelte! So etwa wie »oll Bur Witts« Zigarre, auf die der Wirt vom »Stillen Frieden« (wißt ihr, der Schneider aus der »Reis' nach Belligen«?), weil sie nicht richtig ziehen wollte, »'n beten Talg« schmierte:

»Dat is 'ne köstliche Zigahr,
de ganze Stuw, de rückt dornah!« …

Diese üblen Kerzen – bei deren Lichte aber schließlich doch manch unsterbliches Dichtwerk geboren wurde; der Wert einer Dichtung steht nicht immer in reziprokem Verhältnisse zur Güte der Beleuchtung, und elektrisches Licht allein tut's auch nicht – verschwinden erst, als der Franzose Cambacère (1834) auf den scheinbar so naheliegenden Gedanken kam, die Baumwollfäden des Dochtes nicht mehr einfach zusammenzudrehen, sondern miteinander zu verflechten, und ungefähr um dieselbe Zeit von den Chemikern das Stearin und Paraffin entdeckt und dargestellt wurde.

Die weit vornehmere Wachskerze ist von allem Anbeginn her ihre eigenen aristokratischen Wege gegangen, die sie aus dem Zimmer des Reichen bald auf wohlbekannten Seitenpfaden zum Altar und damit in den Himmel führten. Schon im Altertume war sie Opfergabe und wuchs sich in der Folge immer mehr zum Kirchenlichte aus. Wohlbeleibt wie der Prior eines pfründereichen Klosters, ein »dickes Dreierlicht« – »unsre Freundschaft, die soll brennen wie ein dickes Dreierlicht«, wie eine Kerze, von der nur drei aufs Pfund gehen, schrieb man sich einst ins Stammbuch –, und dank der Einfalt, Sündenlast und Gottesfurcht des Spenders gar zu einem wahren Mammut geschwollen, steht sie noch immer auf dem Tische des Herrn und auf der Tafel der Herren. Noch immer liest naiver Glaube aus ihrem Leuchten und Flackern Glück und Unglück, Leben und Sterben heraus. Die zu Mariä Lichtmeß vom Priester geweihte Kerze schützt, bei Gewitter angezündet, vor Blitzschlag, zu Häupten des Toten stellen wir Kerzen auf. Drei brennende Kerzen im Zimmer verraten die heimliche Braut; das betrogene Mädchen aber sticht um Mitternacht ihre Nadeln in die brennende Kerze: »Ich steche das Licht, ich steche das Licht, ich steche das Herz, das ich liebe« – und der ungetreue Liebste muß sterben.

Wie unsre Kerze ein Nachfahr des Kienspans, ist unsre Lampe (griechisch » lampas«) in Wort und Begriff ein Abkömmling jenes Feuerbeckens, das schon zu Homers Tagen das Gemach erwärmte und erhellte, ein tragbarer Herd gleichsam. Als der Abend in der Halle des Königsschlosses zu Ithaka über die schmausenden und zechenden Freier der Penelope und den unerkannt in Bettlergestalt unter ihnen weilenden Odysseus herabsank:

»Stellten sie alsobald drei Feuerbecken im Saale,
Ihnen zu leuchten, rings auf und häuften trockene Späne,
Welche sie frisch mit dem Erz aus dürrem Holze gespalten,
Und Kienstäbe darauf. Die Mägde des Helden Odysseus
Gingen vom einen zum andern und schürten die sinkende Flamme.«

Wann und wo ein findiger Kopf auf die Idee verfiel, solches Feuerbecken mit Öl zu füllen statt mit Kien, wird sich kaum noch mit Sicherheit feststellen lassen. Aber bereits Herodot erzählt von einer Art »italienischer Nacht« größten Stils, die man an bestimmtem Tage der Gottheit zu Ehren im Pharaonenreiche feierte, und wobei rings um die Häuser im Freien kleine Lämpchen brannten. »Diese Lampen«, sagt er, »sind Schalen voll Salz und Öl, und oben drauf ist ein Docht«, und wenn wir dazu die Abbildungen auf den Wandgemälden betrachten, werden wir vollends an unsre Illuminationslämpchen und unsre Nachtlichte erinnert oder jene naiven Öltrögchen, die am Tage der Toten zu tausend und aber tausend, ein einziges Lichtmeer, an den Kindergräbern des Armenfriedhofs zu Musocco da draußen vor den Toren Mailands ihr zitterndes Flämmlein leuchten lassen. Ganz ähnlich sahen auch die ältesten griechischen Lampen aus – flache Schalen, deren Rand an zwei Stellen zur Aufnahme des Dochtes eingedellt war. Klöden berichtet uns aus seiner Kindheit (1794), wie die Knaben in Preußisch-Friedland für die Beleuchtung des Schulzimmers im Winter selber sorgen mußten: »Zu dem Ende schnitt jeder neben seinem Platze eine tüchtige Vertiefung in den Schultisch, brachte Talg und Docht hinein und behandelte das Ganze als Lampe« – das ist noch immer sozusagen das Licht der ägyptischen Finsternis. Erst die häuslicheren Römer schufen aus Leuchtpfannen und Ölnäpfchen eine wirkliche Lampe, indem sie den mit einer Schneppe zur Führung des Dochts und einem Griff zu bequemerer Handhabung versehenen Ölbehälter durch einen festen Deckel schlossen, der eine Öffnung zum Einfüllen des Öls erhielt. Man muß diese tönernen Lampen damals geradezu fabrikmäßig hergestellt haben, in solchen Mengen sind sie überall gefunden worden, wo einst Römer siedelten. Mit dem üblichen Glückwunsch und manchem scherzhaften Embleme geziert, waren sie ein beliebtes Neujahrsgeschenk. Man goß und trieb sie aus Bronze und Edelmetallen, stellte sie auf schlanke Säulen, hängte sie an prächtigen Kandelabern auf oder gab ihnen einen Fuß zum Stehen. Das Kunsthandwerk ward nicht müde, immer neuen Schmuck und neue Formen zu ersinnen, wobei dann gelegentlich Prachtexemplare für ein Museum der Geschmacklosigkeiten zutage kamen – auch in dieser Beziehung hat unser Kunstgewerbe kaum etwas vor dem antiken voraus. Mit einer kleinen Zange zog man den wergenen, sich rasch verzehrenden Docht aus der Tülle und putzte ihn: die Lampen qualmten so brav, daß jeden Morgen die Dienerschaft mit einem Schwamme den Ruß von den Möbeln und Wänden des Zimmers entfernen mußte.

»Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmaucht«,

klagt noch ganz ähnlich Faust: ja, bis fast in unsre Tage hinein hat sich solche »Tranfunzel«, wie die respektlose Nachwelt nun die ehrwürdige Leuchte schilt, in Form wie Technik beinah unverändert erhalten. Erst um die Wende des 18. Jahrhunderts konstruierten französische Physiker zweckmäßigere Lampen, erfand man den Rundbrenner, den Flachdocht und den geregeltem Luftzuge dienenden Zylinder, technische Neuerungen, die ihre revolutionierende Bedeutung aber erst erlangten, als etwa um 1855 das Petroleum an Stelle der sogenannten »fetten« tierischen oder pflanzlichen Öle die Speisung der Lampe zu übernehmen begann, was endlich in logischer Entwicklung rund ein Jahrzehnt später die Begründung der »Standard Oil Company« durch den ebenso frommen (»ein Licht, zu erleuchten die Heiden«) wie geschäftstüchtigen John D. Rockefeller zur Folge hatte.

» Vanitas vanitatum et omnia vanitas«, »Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist eitel«, seufzt (natürlich auf Hebräisch) der Prediger Salomo vernehmlich und zu mehreren Malen (1,2; 12,8); »es ist alles ganz eitel«, spricht der Koheleth, der mit siebenhundert Weibern und dreihundert Kebsen gesegnet war, also gewiß in puncto Eitelkeit Erfahrung hatte. Wo ist die Petroleumlampe geblieben?! Das Leuchtgas hat sie verdrängt, und das elektrische Licht hat sie vertrieben. Nun mag allenfalls Rockefeller noch den Chinesen predigen, wie er tut: »Wenn ihr Glück, langes Leben, Trost, Gesundheit und Frieden zu besitzen wünscht, müßt ihr von Helligkeit umgeben sein. Um aber in Helligkeit zu leben, müßt ihr meine Mei-Fu-Hong-Lampe mit meinem echten Mei-Fu-Öl brennen« – bei uns hat längst der Bauer nicht nur, wie Heinrich IV. wünschte, »Sonntags sein Huhn im Topfe«, sondern selbst auf dem verschwiegenen Örtchen elektrisches Licht, zum mindesten aber Gasglühlicht in der guten Stube.

Die Gasbeleuchtung mit dem aus der Steinkohle gewonnenen Leuchtgase geht auf den englischen Maschinenbauer William Murdoch zurück, der bereits 1792 sein Haus mit Steinkohlengas erleuchtete und bald auch größere Anlagen baute. Im Jahre 1819 zählte London schon über 51 000 Gasflammen, im heiligen Köln aber erhob sich im gleichen Jahre ein Sturm der Entrüstung gegen die geplante Einführung einer so – gottlosen Beleuchtungsart. »Jede Straßenbeleuchtung«, behauptete damals ein leider anonym gebliebener Dunkelmann in der »Kölnischen Zeitung«, »ist verwerflich, zunächst schon aus theologischen Gründen, als Eingriff in die Ordnung Gottes. Nach dieser ist die Nacht zur Finsternis eingesetzt, die nur zu gewissen Zeiten vom Mondlicht unterbrochen wird. Dagegen dürfen wir uns nicht auflehnen, den Weltplan nicht hofmeistern, die Nacht nicht in den Tag verkehren wollen. Auch aus medizinischen Gründen ist der Plan verwerflich; denn durch das erleichterte nächtliche Verweilen im Freien entsteht Schnupfen, Heiserkeit und Husten. Die künstliche Helle verscheucht ferner in den Gemütern das Grauen vor der Finsternis, das die Schwachen von mancher Sünde abhält. Diese Helle macht auch den Sünder sicher, so daß er in den Zechstuben bis in die Nacht hinein schwelgt. Und endlich: öffentliche Feste haben den Zweck, das Nationalgefühl zu heben. Illuminationen sind hierzu vorzüglich geschickt. Dieser Eindruck wird aber geschwächt, wenn er durch nächtliche Quasi-Illuminationen abgestumpft wird; daher gafft sich der Landmann toller an dem Lichtglanz als der lichtgesättigte Großstädter.« »Im Dunkeln ist gut munkeln« und »Nacht muß es sein, wo Friedlands Sterne strahlen«, würde die famose Alice Berend hier ihre Sprüchlein hersagen. Aber Scherz beiseite – hat der brave Mann nicht durchaus recht?! Ich will dich dazu nur eines noch fragen, lieber Reisegenoß: hätten sich wohl so zahllose unglücklich Liebende, wie notorisch feststeht und statistisch zu belegen ist, mit Leuchtgas vergiften können, wenn's keinen Gashahn im Zimmer gäbe?!

Wer weiß vollends einen Ausdruck, kräftig genug, die moralische Verworfenheit jener allerneuesten Beleuchtungsweise zu kennzeichnen, die »ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«, eine Äußerung jener wahrhaft mephistophelischen Kraft, die wir ganz und gar noch nicht kennen und deshalb auf deutsch »Elektrizität« nennen, kurzum, die heut jedem gewöhnlichen Mitteleuropäer gestattet, Schöpfer zu spielen, indem er einfach am Schalter dreht: »Es werde Licht!« und es wird Licht?! Vorausgesetzt, daß die Elektrizitätswerke zufälligerweise nicht streiken oder es sonstwelchen Kurzschluß gibt. Mußte dieser unselige Zimmermannssohn, Apothekerlehrling, Chemiker und endlich Physiker Sir Humphry Davy, nicht genug, daß er der Welt eine sogenannte »Sicherheitslampe« geschenkt, die, wenn sie defekt ist, in den Kohlenschächten die schönsten schlagenden Wetter auszulösen vermag, 1808 auch noch als erster den elektrischen Lichtbogen beobachten und damit das »Bogenlicht« erfinden; mußte der Belgier Jobard dreißig Jahre später auf den Gedanken kommen, den als Widerstand in den elektrischen Stromkreis eingeschalteten und dadurch zum Glühen gebrachten Kohlenfaden, um sein Verbrennen zu verhindern, in einen luftleer gemachten Glasballon zu sperren, und so das »Glühlicht« erschaffen? Auch hier, lieber Reisegefährte, nur eine einzige Frage: ist nicht der furchtbare Wahnsinn des Weltkrieges mit allen seinen Folgen erst im Jahre 1914 über die Kulturmenschheit hereingebrochen? » Post hoc ergo propter hoc«, sagen die Philosophen. Ich bin gewiß kein Freund ihrer vagen Hirngespinste – aber wenn eine Folgerung so durchaus logisch ist wie dieses »Danach-also-deswegen«, vermag auch ich mich der Macht der Idee nicht zu entziehen. Nein, man soll den Weltplan nicht hofmeistern wollen, sage ich mit jenem dunklen Ehrenmann aus Köln, und wenn Luther dreihundert Jahre vor meinem Kölner Gesinnungsgenossen und vierhundert vor mir in einer seiner Tischreden die These verfocht:

»Die Nacht, die Liebe, darzu der Wein
Zu nichts Gutes Ratgeber sein«,

so hat er eben weder Gas noch elektrisches Licht gekannt.


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