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7. Im Speisewagen

Sag mir, was du ißt, und ich sage dir, was du bist«, verkündet unter seinen zwanzig berühmten Thesen Anthelme Brillat-Savarin, Mitglied der konstituierenden Versammlung, Präsident des Zivilgerichts im Departement de l´Ain und nacheinander dann in jähem Wechsel, wie es in Revolutionszeiten so zu gehen pflegt, Sprachlehrer, Theatermusiker, Regierungskommissar und Oberappellationsgerichtsrat, Verfasser einer längst vergessenen historisch-kritischen Studie über das Duell, vor allem aber Schöpfer der unsterblichen »Physiologie des Geschmacks« und Gastrosoph. Das ist ebenso richtig, wie es falsch ist. Das »Was« sieht oft nicht in unserm Belieben, und wenn auch der Mensch, anatomisch-physiologisch betrachtet, buchstäblich das ist, was er ißt, so erhellt doch sein Temperament, sein Charakter, seine ganze Art nicht sowohl aus dem »Was« als vielmehr aus dem »Wie«. Und so sei hiermit das tiefgründige, unanfechtbare Axiom geprägt: der Mensch ist, wie er ißt.

Was er ißt … du lieber Gott, der Mensch – ich spreche hier ganz allgemein und, wohlbemerkt, ohne jegliche Anspielung vom »Menschen« schlechthin, vom Säugetier Mensch, vom » homo sapiens«, wie ihn der alte Linné getauft hat, vom »schmeckenden Menschen« (die anmaßliche Übersetzung »weiser Mensch«, zu der allerdings das doppeldeutige lateinische sapiens Gelegenheit gibt, wird nach den Erfahrungen der letzten Zeit ohnehin jeder Vernünftige ins Gebiet Ballhornscher Mißverständnisse verweisen) – der Mensch ist ein Allesesser, ein Omnivore, wie … nun ja … wie das Schwein. Auf der universellen menschlichen Speisekarte steht einfach alles und jedes verzeichnet. Da finden wir z. B. Bandwürmer, Maden, Schnecken, Fliegen, Mücken, Läuse – vielfach bevorzugten Gästen sozusagen als Konfekt dargeboten –, Frösche, Kröten, Schlangen, Holzmulm, Baumrinde, Sand, Asche und raffinierte Zusammenstellungen wie Heuschrecken in Honig, Kaviar mit Birkenrinde, Tonerde mit Butter und last not least natürlich Menschenfleisch in jeglicher Zubereitung – wobei europäisches hie und da nicht als »erste Qualität« gilt, weil es, wie die Papuas einmal Finsch anvertrauten, zu sehr nach Tabak schmeckt. Rümpfe nicht dein Näschen, liebe Reisegefährtin: wenns Leckerbissen gilt, sind wir Kulturmenschen die »besten Brüder auch nicht«. Wir essen, worüber der Chinese sich entsetzt, verfaulte Milch (wir nennen sie Käse), wir verspeisen mit Behagen lebende Austern, und was Würmer und Käfer anlangt, gelten sie uns als besondere Delikatesse, wenn sie der Magen einer Schnepfe erst gehörig – vorverdaut hat. Das alles ist wirklich nur Gewohnheitssache und gesellschaftliche Konvention …

»Auch frisset er entsetzlich«, schrieb der zartbesaitete Jean Paul einmal entrüstet an einen Freund über Goethe, und ein andrer Mittagsgast des Olympiers in Weimar war nicht minder baß erstaunt: »Unter anderm verzehrte er eine ungeheure Portion Gänsebraten und trank eine ganze Flasche Rotwein dazu.« Was, d. h. wieviel er ißt, und in welcher Zubereitung er es verspeist, das ist ganz gewiß auch von Bedeutung für den Menschen, wofür hier nur noch ein Selbstbekenntnis Goethes stehen mag. Er war wieder einmal in schweren Nahrungssorgen gewesen; nun aber hatte sein Neffe Rinaldo Vulpius die untüchtige Köchin davongeschickt und einen guten Koch für den Onkel ausfindig gemacht. Erleichtert seufzte Goethe in seinem Tagebuche auf: »Von dieser Last befreit, konnt' ich an bedeutende Arbeiten gehen; ich kann hoffen, die Epoche werde fruchtbringend sein.« Und sie ward es; denn der »Faust« ist damals vollendet worden. Damit hätten nun ja alle Dichter so etwas wie einen Freibrief für ihr Schlemmertum, dem sie erfahrungsgemäß ihr Leben lang zu frönen pflegen, und eigentlich dürfte man bei solchen notorischen Folgen des Schlemmens – auch gegen das von philiströsen Nörglern so geschmähte Wohlleben und Schwelgen der heutigen Jugend kein Wort mehr sagen.

Doch wir sind wieder weit über Gebühr vom Wege abgeschweift. »Reisender Leut' Gemüt und Sinn«, möge der alte Fischart noch einmal herhalten.

Wie der Mensch ißt – das ist die Frage. Besonders förmlich und steif wirds bei der Mahlzeit ursprünglich wohl nicht hergegangen sein. Wenn der Neandertaler sein Mammutsteak, seinen Höhlenbärenschinken und sein » Boeuf à la mode« vom Urstier (die Mode damals bevorzugte aber entschieden das » à la Tatare«) verzehrte, hat er ganz bestimmt nicht auf edle Geselligkeit Wert gelegt. Im Gegenteil: er wird in jedem etwa Anwesenden nur den Neider und Schmälerer der Kost gesehen haben, und erst, wenn er völlig gesättigt und dann noch etwas übrig war, hat er vielleicht auch dem bei der Jagd vom Glücke weniger begünstigten Hordengenossen oder gar seiner besseren Hälfte großmütig die Reste überlassen. Mit den Händen und den Zähnen, mit seinem scharfen Feuersteinmesser hat dieses »Tier unter Tieren« seine Nahrung, das rohe oder am Feuer angekohlte Fleisch, zerrissen und zerfetzt und in großen Bissen nach Art der Tiere hinuntergeschlungen. Weh dem, der dazumalen nicht ein starkes, gesundes Gebiß hatte: er mußte elend verhungern wie Hausers bedauernswerter Jüngling von Le Moustier, der in seiner Sünden Maienblüte ein Opfer des Mangels an Zahnärzten ward.

Jahrtausende noch hat es gedauert, ehe der Kochtopf erfunden wurde, und diese Erfindung ist vielleicht die größte Ruhmestat des weiblichen Intellekts. Im Zeichen des Kochtopfs siegte die Frau, ihre geheimnisvolle Speisenbereitung erst fesselte den schweifenden Mann dauernder an sie; denn schon seit ältesten Zeiten geht Gattenliebe allen lyrischen Dichtern zum Trotz durch den Magen, und damals hatte man sich, buchstäblich genommen, »zum Fressen lieb« und hat einander vor Hunger und Liebe verspeist. Das tun ja, nebenbei bemerkt, auch heutigestags noch manche Wilde, und der Philosoph Hermann Lotze tritt sogar als Lobredner dieser originellen, uralten Bestattungsmethode auf, indem er in seinem »Mikrokosmos« sie preist: »Welches Los könnte den organischen Resten geliebter Personen schicklicher widerfahren, als ohne den traurigen Rückfall in Verwesung sogleich in Fleisch und Blut ihrer Nachkommen wirksam fortzuleben?« – … Aber jedes Ding hat zwei Seiten, und die Natur läßt ihrer nicht spotten: der Kochkunst des Weibes verdankt der Kulturmensch die schlechten Zähne und das falsche Gebiß. Schon im Pharaonenreiche blühte der Weizen der Dentisten, gab es Goldplomben und »Stiftzähne«, die mit Golddraht am Kiefer befestigt wurden.

Das Messer, die Zähne und Hände sind bis weit in geschichtliche Zeiten hinein das Eßgerät des Menschen geblieben. Nur der Löffel hat sich ihnen schon frühzeitig zugesellt, ein Nachbild der hohlen, schöpfenden Hand, in Muschelschalen und mancherlei Fruchthüllen von der Natur zur Benutzung dargeboten. Noch die Griechen formten sich für gewöhnlich Löffel aus Brot oder Teig, wie es der Zieten der Anekdote tat, und wie es noch immer Sitte vieler orientalischer Völker ist. Als der Afrikaforscher Livingstone einmal einigen Kaffern blecherne Löffel geschenkt hatte, worüber sie sichtlich entzückt waren, machten sie alsbald nach seiner Erklärung von diesem ihnen noch unbekannten Kulturgeräte beim Essen von Milch Gebrauch. »Sie schöpften etwas Milch mit dem Löffel, gossen sie in die linke Hand und schlürften sie aus dieser.« Diese Neger und manche andre Wilde pflegen nämlich Milch, Honig u. dgl. mit – Pinseln zu essen, die sie sich aus Pflanzenstengeln durch Zerklopfen eines Endes herstellten. Der langstielige Löffel wurde übrigens in der vornehmen französischen Gesellschaft erst unter Katharina von Medici, der »Hausfrau der Bluthochzeit« (1572), Mode und hatte den sehr prosaischen Zweck, die feinen Halskrausen und Spitzenkragen bei Tische zu schützen, »die der Elegante eigens in Flandern stärken ließ, damit sie den nötigen Grad von Vollkommenheit erreichten«.

Solcher Kragentorheit verdankt auch die Gabel ihren raschen Siegeslauf in der Gesellschaft. Heinrich III., Katharinas jüngster Sohn, hatte sie aus Venedig nach Paris mitgebracht, »die beste Errungenschaft und die dauernde Gabe seiner Regierung«, wie Gleichen-Rußwurm urteilt. Wer sie erfunden hat, woher und wie sie in die Stadt der Lagunen gelangt ist, das umhüllt unserm Blick noch immer der Schleier des Geheimnisses. In einem alten Reisewerke, darin ein Herr von Ruysbrucks seine Abenteuer im Lande der Tataren (1253) schildert, wird zuerst eine solche kleine Gabel ( furcicula) erwähnt, mit der die Steppensöhne die Fleischbissen aus der Brühe fischen »und jedem der ringsum stehenden Gäste einen Mundvoll oder zwei, je nach ihrer Anzahl, geben«. Diese kleine Forke, schildert unser Gewährsmann weiter, glich denen, die »wir zum Essen in Wein geschmorter Äpfel und Birnen brauchen«. Das ist alles, was wir wissen. Erst im 16. Jahrhundert taucht dann die Gabel in Italien und Spanien auf und wird zunächst allgemein als Symbol der Verweichlichung verspottet. Welchen Sinn denn nun noch das Händewaschen vor Tisch und nach dem Tafeln habe, fragten entrüstet und nicht ganz mit Unrecht die Lobredner der »guten alten Zeit«. Früher wusch man sich die Hände, weil man mit den Fingern die Fleischbissen zum Munde führte – die Römer wuschen sich verwunderlicherweise sogar die Füße vor der Mahlzeit –, früher hatte die um den Hals geknotete Serviette den Zweck, die als Gabel dienenden Finger daran zu säubern; nunmehr aber?! … Was muß das im übrigen für ein possierlicher Anblick gewesen sein: diese Herrschaften mit dem riesigen, steifen Mühlsteinkragen um den Hals und darüber die kleine Serviette gebunden! Und was hat nicht der boshafte Petron in seinem »Gastmahl des Trimalchio« diesem Raffke der römischen Kaiserzeit für eine wahre Prachtserviette an Ungeschmack erdacht, eine breite, mit Purpurstreifen verbrämte, mit schweren Fransen und Troddeln besetzte Serviette! … Doch verweilen wir noch einen Augenblick bei der Gabel, die in Rußland noch im 17. Jahrhundert ausschließliches Vorrecht des Zaren war. Sie hatte anfänglich nur zwei Zinken, das 18. Jahrhundert fügte die dritte hinzu, und erst das folgende schuf die vierzinkige, platte silberne Gabel, die wir heute noch haben. Ein seltsamer Zufall will es, daß auch unsre Antipoden in der Südsee, die Fidschiinsulaner, die Gabel kennen, die freilich hier dem alleinigen Zwecke dient, bei solennem Kannibalenschmause das Fleisch damit zu spießen und zum Munde zu führen. Sie ist aus Holz, steht in abergläubisch hohem Ansehen, und jede hat ihren recht bezeichnenden Namen wie z. B. Undro-Undro, »ein kleines Ding, das eine große Last trägt«. Und noch eine absonderliche Gabel haben sich die Wilden erfunden: die brasilianischen Urwaldindianer halten mit langen zweizinkigen Gabeln ihre ziemlich großen Zigarren beim Rauchen. Der ultrakonservative Chinese hat bekanntlich bis zum heutigen Tage die Gabel nicht in Gebrauch genommen, er ißt noch immer mit den »Kwai Tsz«, den »geschickten Bürschchen«, zwei dünnen Stäbchen aus Knochen oder Holz, und als der alte Johann Reinhold Forster, der Kapitän Cook auf seiner zweiten Weltumseglungsreise begleitete, einmal einen Häuptling von den Neuen Hebriden sich zu Tisch an Bord geladen hatte, da zog der braune Natursohn seinen Haarpfeil aus der von Fett und Schmutz starrenden Frisur und fuhr »mit diesem Rohrstecken bald auf dem Teller, bald sich kratzend im Haare herum«. Im übrigen hat bei uns neben der natürlichen »fünfzinkigen Forke« ganz allgemein das Messer stellvertretend die Rolle der Gabel gespielt, woher es denn kommen mag, daß noch immer so mancher in einer Art von atavistischer Anwandlung bei Tisch mit dem Messer die Geste des Mundaufschlitzens macht.

Noch recht lange brachte sich der Gast zur Mahlzeit sein eigenes Messer und seinen Wetzstein mit, die beide häufig kunstvoll verziert waren, wie denn Elisabeth von England einmal ihrem Essex einen kostbaren, in Gold gefaßten Wetzstein schenkte. Wenn man das Messer nicht brauchte, stak es in der Scheide und wurde am Gürtel getragen; noch heute führt ja der Tiroler Bauer so sein Messer oder gar sein Eßbesteck: Messer, Gabel und Wetzstein, in einer Scheide mit sich in der Hosentasche. Bis ins 17. Jahrhundert hatte auch Hausfrau und Magd bei uns das Messer neben der Geldtasche am Gürtel hangen.

Zur Tafelfreude gehört seit altersher auch der Tafelschmuck: Tischtuch und allerlei Ziergerät. Die Alten speisten zwar noch an ungedeckten Tischen, warfen ganz ungeniert Knochen, Obstschalen und andre Speisereste unter den Tisch, und nach jedem Gange ward die Tischplatte mit wohlriechenden Kräutern wieder gesäubert. Dafür aber waren oft Blumen über die Tafel hin gestreut und manches kostbare, von Künstlerhand gefertigte Tafelgerät aus Gold, Silber, Bronze oder Glas erfreute den Blick des Gastes. Trimalchio-Raffke hatte natürlich in seine silbernen Schalen seinen Namen nebst dem – Gewicht des Stücks eingravieren lassen und ohrfeigte einen Sklaven, der einen zu Boden gefallenen silbernen Teller aufhob, anstatt ihn mit dem andern Kehricht der Mahlzeit einfach in den Müll zu fegen. Der mittelalterliche Eßtisch, roh und plump gezimmert, war bereits mit weit herabhängendem Tischtuch geziert. Und dieses Tischtuch – ein Teppich oder Tapet, wir sprachen schon davon – war aus Sammt oder sonst ein kostbares Gewebe, mit Borten besetzt und mit Fransen beschwert. Zu seiner Schonung wurde der »Doublier« darüber gebreitet, der »Doppler«, der Ahnherr unsres Tischläufers, ein linnenes Tüchlein mit Spitzen, mit Figuren bestickt, eine stabilere Platte aus Silber oder Spiegelglas. Auf unsern leinenen und darum waschbaren Tischtüchern, die viel jüngeren Datums sind – Teppich und Tapet waren inzwischen, dieses an die Wand, jener auf den Fußboden ausgewandert (wie gelegentlich bösen Zungen zufolge in ländlichen Gastwirtschaften umgekehrt das Bettlaken die Tafel usurpieren soll) –, erübrigt sich der Läufer eigentlich. Ja, eine liebenswürdige, wenn auch ein wenig barbarische Sitte heißt die russische Hausfrau, zu Beginn des Mahles ein Glas Wein über das Tischtuch zu gießen, damit die Gäste nicht mehr auf so peinliche Schonung des Tischtuchs bedacht zu sein brauchen und sich sorglos den Freuden der Tafel hingeben können.

Sein kostbares Tafelgerät baute der Protz der Ritterzeit – derlei angenehme Mitbürger hat es zu allen Zeiten gegeben – auf besonderem Gestell neben dem Tische auf, der sogenannten »Tresur« (das französische Tresor), als Augenweide für neidische oder überlegen lächelnde Gäste. Mitten auf dem Tische jedoch stand das Salzfaß, von Brot in mannigfacher Laibform umgeben, und erinnerte so an uralten Opferglauben, wie wir ja noch heute im neuen Heime zuerst sorglich »Salz und Brot« hinterm Ofen niederlegen und pietätvoll solche Gabe dem die Wohnung wechselnden Freunde zum Geschenke bringen, seis auch neuerdings ein Salzfaß aus Marzipan und ein Brot aus Biskuit mit Schokoladenguß. Im höfischen England ward nachmals mit diesem Platze des Salzfasses auf dem Tische ein absonderlicher Brauch verbunden: oberhalb des Salzfasses, » above the salt«, am oberen Ende der Tafel haben die vornehmeren Gäste ihren Platz, » below the salt«, unterhalb des Salzes aber sitzen die andern. Und noch eine andre Mode kam in diesem England der »jungfräulichen Königin« und Shakespeares auf: goldne und silberne Becher galten nicht mehr als vornehm, man zog ihnen Gefäße aus durchsichtigem Kristalle vor, da sie schon dem Blicke das – Gift verrieten, das der freundliche Wirt dem lieben Gaste vielleicht ins Getränk gemischt hatte. Wie herrlich weit haben wir's doch inzwischen in der Gesittung gebracht: wir schütten beileibe nicht mehr dem Gast einfach ein Pülverchen in seinen Wein, wir vergiften, viel raffinierter, den Abwesenden mit lächelnder Nachrede – und darum gefällt mir der eichene Lehnstuhl so sehr, den Victor Hugo jedesmal, wenn er Gäste hatte, gleichsam für Banquos Geist unbesetzt an seiner Tafel stehen ließ, und der auf der Lehne die Worte trug: »Die Abwesenden sind da!«

Die Alten »lagen« bei Tisch auf gepolsterten Ruhebänken, das war allmählich vornehme und männliche Sitte geworden. Nur Frauen und Kinder saßen noch, wie einstmals die Helden Homers, auf Stühlen oder zu Füßen des Vaters auf solcher »Kline«. Und auch Cäsars Gegner, der jüngere Cato, hat, wie uns berichtet wird, aus purer Opposition gegen das Genie nach der Schlacht von Pharsalus nur noch sitzend gegessen. Mit dem Siege des Tafelfreuden abholden Christentums wurde solche eigentlich viel bequemere Art zu speisen mehr und mehr Mode. Auf langer Bank, einer neben dem andern, »wie Spatzen aufgereiht«, saß man längs der Tafel, bis der schon genannte kühne Neuerer und Gabelheld Heinrich III. die Sitte einführte, auf einzelnen Stühlen am Tische Platz zu nehmen. Wohl bemerkt, man saß, wie das die alten Gemälde ja auch zeigen, immer nur längs einer Seite des Tischs, die andre blieb für das Herzutragen der Speisen frei. Im übrigen gabs schon in den Tagen der Minnesänger das, was wir bei Tische »bunte Reihe« nennen, und man ging in diesem Brauche damals sogar so weit, daß die Pärchen – erklärte wie noch heimlich minnende – gemeinsam nur einen Teller und einen Becher vorgesetzt bekamen. In Spanien aber durften nach alter maurischer Sitte noch ausgangs des 17. Jahrhunderts die Damen überhaupt nicht mit den Herren zu Tische sitzen, sondern mußten angesichts der Tafelnden auf Teppichen mit kreuzweis untergeschlagenen Beinen hockend von einem auf die Erde gebreiteten Tischtuche ihre Mahlzeit einnehmen.

Soll ich hier noch von jenen Obstpyramiden eines offenbar größenwahnsinnigen Küchenchefs erzählen, die so riesig waren, daß man, wie die Marquise de Sevigné verbürgt, die Türen des Speisesaals erhöhen mußte, um sie hineintragen und auf die Tafel stellen zu können? Oder von jenen monströsen Pasteten, in die Fürst Menschikow, seinem Gebieter, Peter dem Großen, eine Aufmerksamkeit zu erzeigen, Zwerge hatte einbacken lassen? Soll ich erzählen, wie noch zu Luthers trinkfrohen Zeiten die Damen es im Zechen den Männern gleichtaten; daß bei ihren Zusammenkünften diejenige »Fraß- oder Sauffschwester, so an der Reihe, die anderen zu bewirthen, mit einem Kräntzlein geschmücket« war, – wovon dann nachmals die immerhin wohl etwas harmloseren Kaffeefeten die Bezeichnung »Kränzchen« erhielten; daß noch nach der vom Jahre 1648 datierten »Hoftrinkordnung« Herzogs Ernst des Frommen zu Sachsen-Gotha »dem gräfflichen und adeligen Frauenzimmer zum Früh- und Vespertrunk 4 Maß Bier, des Abends zum Abschenken 3 Maß Bier« zustanden? …

Doch nein – ich fürchte, du möchtest dir, lieber Reisegenoß, leichtlich den Magen überladen, wenn ich dir hier noch mehr so pikanter kulturhistorischer Mixed Pickles auftischte.


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