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5. Winterfahrt

»Buten frür dat Pickelstein; ick har aewersten bannig inkacheln laten.« So beginnt eines der behaglichsten und lustigsten Bücher, die ich kenne. John Brinckmans »Kasper Ohm un ick«, das Hauptwerk jenes viel zu wenig gekannten, Fritz Reuter zeitgenössischen und, wie Heinrich Seidel ( auch ein Mecklenburger) einmal urteilt, »mindestens ebenbürtigen« plattdeutschen Dichters. Ja, »Stein und Bein« frierts auch heute wohl mal, aber »bannig« einkacheln lassen und nun gar »bäuken Blankholt«, blankes, schieres Buchenholz, das können heute leider nur noch Raffke, Prasse, Neureich und Konsorten.

Der Wärme spendende Ofen – wie ist nicht eigentlich das winterliche Behagen unsers Zimmers vor allem an ihn gebunden! Wie oft haben nicht die Dichter ihn besungen und gepriesen – wenn das Feuer in ihm knistert und rauscht, wenn die Äpfel in der Röhre bräteln und zischen! Und ist er nicht das geheimnisvollste Ding in unserm Zimmer? Habt ihr nicht auch wie ich eure »Mäusezähnchen«, die ausgefallenen Zähnchen eures Kindermundes, von der Mutter Hand geleitet, hinter den Ofen geworfen und dazu gerufen: »Maus, Maus, hier hast du 'nen knöchernen Zahn, gib mir dafür 'nen eisernen dran«? Heißt man nicht seit alters, ich weiß nicht weshalb, den dunklen, engen Raum zwischen Ofen und Wand die »Hölle«, und wohnt nicht in dieser Hölle so manche Spukgestalt unsrer Kinderphantasie?

Draußen ists noch stockdunkel, durch das geöffnete Fenster dringt feuchtkalte Dezemberluft, daß es dich fröstelt. Aber jetzt erhebt sich aus der Aschenglut des vorigen Tags, die aufgehäuften Scheite erfassend, die knisternde Flamme, und mit einem Male ist das Zimmer jäh erhellt. Ein warmes, lebensfrohes Rot läuft über die Dielen und klettert züngelnd an der Wand in die Höhe und malt seltsame Muster auf die Tapete. Bilder werden in dir wach. Aus frühen Kindertagen steigt empor, was halb vergessen war, und wie du nun die Lampe entzündest und ihr gelblichweißes Leuchten sich in das Rotgold der Flamme mischt, das Zimmer dämmernd erhellt, wirst du zum träumenden Dichter …

Mit der Flamme, mit der Erzeugung des Feuers hebt eigentlich die Geschichte der Menschheit erst an. Es gibt kein Tier, das sich des Feuers zu bedienen wüßte und gar es zu zähmen und beherrschen vermöchte. Und so ist, meine ich, der Besitz des Feuers, die Kenntnis seiner Erzeugung und Verwendung vielleicht das wesentlichste Kriterium der »Kultur« und dasjenige Merkmal, das »Mensch« und »Tier« am schärfsten sondert. Im Besitz des Feuers und dank diesem »sichren Wächter« ward es der Menschheit möglich, sich über alle Zonen und Klimate hin zu verbreiten und sich damit zum Herrn der Erde aufzuwerfen. Der »Mensch« ist so in Wahrheit ein Kind des Feuers, »und was er bildet, was er schafft, das dankt er dieser Himmelskraft«.

Wer war der irdische Prometheus, der es uns kennen und schätzen lehrte? Hat wirklich der zündende Blitz uns mit den Segnungen des Feuers bekanntgemacht? Haben etwa Vulkane in schreckendem Feuerspeien oder durch die langsam erkaltende Glut ihrer nächtlich leuchtenden Lava uns an Flamme und Wärme gewöhnt? Das wird unserm Wissen wohl ewig ein ungelöstes Rätsel bleiben. Kein Wunder: besaß doch bereits der ehrwürdige Ahnherr der Menschheit, der noch so tierisch schauende Neandertaler, gebändigtes, ans Haus gewöhntes Feuer, und keine Sage und Mythe reicht zu jenem Geschlechts hinauf, das kaum erst Sprache hatte. Wahrscheinlich hat der Mensch schon lange die Verwendung des Feuers gekannt, bevor er es zu erzeugen lernte.

In dem griechischen Namen des feuerraubenden »Prometheus« birgt sich nach Adalbert Kuhns Darlegung das viel ältere Sanskritwort » pramantha«, d. h. »Spindel«, das uns so verrät, wie bereits die altarischen Völkerschaften durch Reiben, Quirlen oder Bohren von Holz in Holz Feuer zu erzeugen verstanden, ganz wie das noch heut beiden meisten Naturvölkern geschieht. Uralt ist gewiß auch ebenso die Methode, aus Steinen durch Aneinanderschlagen den springenden Feuerfunken hervorzulocken.

Beide Arten, das Feuer zu gewinnen, waren unsern Vorfahren wohlvertraut, und beide hat unser Volk zäh im Gedächtnis bewahrt und wendet sie gelegentlich als besonders weihevoll immer wieder einmal an. Da war im Jahre 1828 zu Hohenhameln im Hannoverschen eine schlimme Viehseuche ausgebrochen, und alsbald ging man daran, nach Urväterweise durch Bohren von Holz ein »reinigendes Notfeuer« zu erzeugen, durch das man das Vieh zur Heilung dann hindurchtrieb. Ja, noch im Sommer 1901 haben die Bauern verschiedener Dörfer des russischen Gouvernements Kostroma an der Wolga zu gleichem Zwecke ein heiliges Feuer auf gleiche Art erzeugt! In den katholischen Alpenländern, in der Rheinpfalz u. a. m. findet noch heute am Sonnabend vor Ostern die sogenannte »Scheiterweihe« statt. Jeder Bauer löscht dabei das Feuer im Hause und bringt oder sendet ein frisches Holzscheit zur Kirche oder auf den Friedhof. Hier entfacht der Priester, nachdem auch in der Kirche alle Lichter, selbst das ewige Lämpchen, ausgeblasen worden sind, nach alter Weise mit Stahl und Stein ein »neues, reines Feuer«, segnet es, setzt damit die zu einem Scheiterhaufen aufgestapelten Holzstücke in Brand und zündet endlich mit ihm die Kerzen des Gotteshauses wieder an. Jeder Teilnehmer aber trägt nach der Weihe ein glimmendes Scheit ins eigene Haus. – Ja, ist denn nicht eigentlich unser modernes Taschenfeuerzeug mit dem Stahlring oder Stahlstift und dem Zeriumplättchen letzten Endes auch nur solch technisch weiterentwickeltes »Pinkfeuerzeug« unsrer Ahnen?

Welch tiefer Sinn birgt sich nicht in solchen uralten und heute noch lebendigen Anschauungen von der Heiligkeit des Feuers! Sooft die Griechen auszogen, eine neue Kolonie zu gründen, führten sie heimisches Feuer mit sich in das fremde Land. Ganz so taten noch die Wikinger, nahmen noch im 9. Jahrhundert die Norweger Island »mit Feuer zu eigen« und »heiligten es mit heimischem Feuer«. Wie den ins Feld rückenden Spartanerkönig der »Feuerträger« mit dem heimischen Holzbrande begleitete, so zogen einst vor den Israeliten in der Wüste Rauch- und Feuersäulen bei Tag und Nacht einher. Feuer vom Nachbar, vom Fremden zu leihen, wie wir es heute noch mit der Zigarre halten, ist uraltes Menschenrecht, und Pflicht war es auch, dem Bedürftigen von seinem Feuer mitzuteilen. Als der aus der Schlacht bei Thermopylä geflohene Aristodemus als einziger Überlebender nach Sparta heimkehrte, erzählt uns Herodot, verfiel er alsbald in Schimpf und Schande: »kein Spartaner gab ihm an seinem Feuer mehr teil und niemand sprach mehr mit ihm«. Die gleiche, wohlverdiente Strafe traf auch die Ankläger des Sokrates in Athen. Wem auf Grund des Cornelischen Gesetzes »Wasser und Feuer versagt« wird, belehrt uns der Rechtsgelehrte Gajus in seinen »Institutionen«, ist »aus der Zahl der römischen Bürger ausgeschlossen«. Auch die germanischen Weistümer kennen solche härteste Strafe.

Wie heilig dünkt vollends die Flamme manchen von Zoroaster-Zarathustras Lehre beseelten Völkern Innerasiens, die niemals ein Licht – ein brennender Fichtenzweig dient hier heute noch als Kerze – ausblasen, damit nicht der »unreine« Atem des Menschen mit der Flamme, dem »Allerreinsten«, in Berührung komme, und die deshalb die Flamme durch Handbewegungen ausfächeln!

Doch wohin hat uns die züngelnde Flamme, einem Irrlichte gleich, verlockt? Diese Flamme, die dem Spiel der Phantasie zu allen Zeiten so günstig ist, uns schöpferisch Gesichte zeigt, Vergangenheit und Zukunft, wie unsre Hoffnungen zum Himmel loht, und wie nur zu oft ihre Erfüllung in der grauen Asche versinkt und verglimmt! Dieses Feuer, das der Mensch schon seit der Urzeit Tagen sich eingefangen und wie ein Haustier an die Kette gelegt hatte, daß es ihn schütze, wärme und erleuchte! Das Wild bereitet sich ein Lager an verstecktem Orte und wärmt sein Bett, wenns draußen friert, mit der eignen Körperwärme. Der Mensch aber, im Besitze gefügigen Feuers, hat sich mitten im Winter einen dauernden Sommer zu schaffen und die bange Nacht in leuchtenden Tag zu wandeln gewußt. Wehe ihm, wenn es einmal auf immer verlöschte, wenn dereinst Kälte, Schnee und Eis über das Feuer triumphieren werden! Wehe auch zu jeder Stunde, wenn das wie ein Haustier Angewohnte seine Ketten sprengt: »einhertritt auf der eignen Spur, die freie Tochter der Natur« …!

Der Ofen, entreißen wir uns endlich diesen Träumereien, ist aus dem Herde hervorgegangen, und der Herd, eben als Stätte des wärmenden, leuchtenden, alle Unholde schreckenden Feuers, um den herum und zu dessen Schutze oft die Hütte erbaut wird, hat immer etwas Heiliges und Geheimnisvolles gehabt. Wie im alten Athen hat man auch bei uns einst die Neuvermählte dreimal um den Herd in des Gatten Hause geführt und dadurch in die Gemeinschaft und die Pflichten dieses aufgenommen.

Aus dem Herde ist dann der Kamin entstanden, in seiner lateinischen Abkunft noch »Feuerstätte«, »Zimmerherd« bedeutend und bis zum heutigen Tage in Südeuropa, Frankreich und England meist die einzige Heizvorrichtung des Zimmers. Höchst unpraktisch, weil soviel Wärme in ihm ungenutzt durch den Rauchfang abzieht. In dem flackernden Flammenspiel seines Holzfeuers aber vielleicht das poetischste aller Hausgeräte, das die Dichter immer wieder zum Sinnen und Ersinnen angeregt und einmal sogar aus einem berühmten Chirurgen einen berühmt gewordenen Dichter geschaffen hat: »an französischen Kaminen« sind im Kriege 70 die liebenswürdigen »Träumereien« Richard Volkmann-Leanders geboren worden. Wer denkt da nicht gleich auch an das »Heimchen am Herde«, an Dot und John, an Tilly Tolpatsch und das Wickelkind, an Kaleb Plummer und den alten Gecken Tackleton? Da fällt mir ein: gibts überhaupt eine Dichtung von Dickens, darin das Feuer im Kamin nicht eine Rolle spielt? Und hat Thoreau, dieser praktische und darum weiseste aller Philosophen, so unrecht, wenn er einmal klagt, seitdem das Feuer im geschlossenen Ofen verborgen, hätten wir einen Freund weniger – »wenn der Mann von der Arbeit abends heimkehrte und in das Feuer blickte, reinigte er seine Gedanken von den erdigen Schlacken, die tagsüber daran haften geblieben«?

Freilich, auch solch ein Freund kann gelegentlich zum gefährlichen Feinde werden, wenn man nämlich ein spanischer König ist, dem Kaminfeuer zu nahe sitzt, nach der peinlich streng respektierten spanischen Etikette nicht das Recht hat, aufzustehen oder seinen Stuhl wegzurücken, und wenn trotz zahlreicher anwesender Würdenträger doch gerade jener Höfling fehlt, der allein befugt ist, dem langsam röstenden Herrscher zu helfen, und endlich auch jener Schranze nicht zugegen ist, der wiederum allein besagten Edelmann auf Geheiß des Königs herbeirufen kann – was alles tatsächlich einmal zusammentraf, worauf besagter König Ferdinand an einer Art von Gesichtsrose nach kurzer Zeit selig verblich!

Sie sind gestorben, die Kamine. Zuletzt hatten sie sich, ich weiß mich noch aus Kindertagen gut daran zu erinnern, dem Namen nach wenigstens in unsre Berliner Küchen verkrochen, waren zu sargdeckelähnlichen hölzernen Ungetümen über dem Kochherde geworden und sind dann spurlos verschwunden. Der nützlichere Ofen hat sie Schritt für Schritt verdrängt. In einer Anzeige im Berliner »Intelligenzblatt« aus der Zeit des Alten Fritz preist einer noch eine Wohnung von sechs Zimmern in der Altstadt an »theils mit Ofen, theils mit Camine, einige mit Ofen und Camine zugleich« – das war wohl die Zeit des Übergangs bei uns. Und mit dem Kamin ist hoffentlich trotz Scheffel und Julius Wolff auch die so oft von den Dichtern mißbrauchte »Kemenate«, das mit einem Kamin versehene Gemach ( caminata) der Ritterburg, nun endlich dahingegangen.

Aber der Ofen, mahnt der Leser gewiß schon ungeduldig … nun, der Ofen war einstmals ein tragbarer Feuerbehälter, wie jene kleinen Wärmespender, auf die unsre Marktleute, wenns kalt ist, ihre Füße stellen, eine »Kachel«, d. h. ein kleiner irdener Topf, darin man sein Holzkohlenfeuer überallhin mitnahm. Solche Kachel ist auch schon ein recht altes, ehrwürdiges Hausgerät. Die alten Römer ließen ihre Sklaven die mit Holzkohle beschickten metallenen Feuertöpfe auf dem Hofe immer erst in Glut bringen, damit der beizende Rauch »draußen bleibe« und nicht ins Zimmer dringe, und die römischen Hausfrauen liefen damit des Morgens zur Nachbarin und holten sich Glut, wenn ihnen das Feuer auf dem Herde über Nacht ausgegangen war. Und so tat auch noch das kleine Peterle Rosegger und holte von der Knierutscherin ein »Haferl Glut«, als eines Nachts das Feuer in der Herdgrube daheim gestorben war und weder mit Blasen in der Asche wieder angefacht, noch mit Feuerschlagen neu entzündet werden konnte. »Dazumal,« erzählt der Dichter, »war das liebe Feuer noch ein rares Ding, und Feuermachen ein mühsam und heikel Stück Arbeit; beim Feuermachen konnte meine sonst so milde Mutter unwirsch werden.« Eine sozusagen stubenreinere oder salonfähigere Art von Feuertopf ist die aus Kupfer oder Messing gefertigte, mit bequemer hölzerner Handhabe versehene »Feuerkieke« gewesen, in die ein Gefäß mit glühenden Holzkohlen gestellt und auf die die Füße gesetzt wurden. Die holländischen Meister des 17. Jahrhunderts haben sie uns oft genug auf ihren Interieurs dargestellt.

Bald hat man bei uns zur Heizung der Ofentöpfe auch Torf verwendet, und der römische Naturgeschichtsschreiber Plinius, der in solchen Miszellen groß war, tischte seinen staunenden Lesern auf, die Chauken – das sind vermutlich die nachmaligen Franken – »nährten ihr Herdfeuer mit Erde«, womit er eben den ihm unbekannten Torf meinte. Torf entsteht auf moorigem Boden in der Weise, daß die niederfallenden und absterbenden Reste der an Ort und Stelle wachsenden Pflanzen eine immer stärker werdende Schicht bilden, die nun, bei der Anwesenheit von Wasser und weil die Luft nicht mehr zutreten kann, nicht völlig verwest, sondern sich zersetzt und in eine braune oder schwarze Masse verwandelt. Geht solch »Vertorfungsprozeß« langsam weiter – der Fachmann nennt das »Inkohlung« –, so bildet sich allmählich Kohle, indem von der Masse immer mehr Sauerstoff und Wasserstoff in Gestalt von Wasser abgeschieden und dadurch der Kohlenstoff »angereichert« wird. Über die »Braunkohle« hinweg wandelt sich die Masse schließlich in »Steinkohle«, und als letzte Stufe der vermutlich durch vulkanische Prozesse und ähnliches gelegentlich beschleunigten »Verkohlung« haben wir den Anthrazit, das modernste und eleganteste Ofenfeuerungsmaterial, und den Graphit zu betrachten, aus dem wir heute unsre »Blei«stifte fertigen.

Gar nicht selten findet man in den Kohlenflözen, den Lagerstätten der Kohlen, mögen sie nun an Ort und Stelle sich gebildet, mögen sie einstmals angeschwemmt sein, noch gewaltige Stämme und Wurzelböden, die uns von riesigen, versunkenen Schachtelhalmröhrichten und Steinkohlenwäldern der Vorzeit erzählen. Denn, wie Rückert, in seiner gemütlich-philiströsen Art alles und jedes wortreich und mit edler Geste bedichtend, auch einmal reimt:

»Was im Strahl der Sonn' erwuchs zu grüner Pracht
Und verschüttet ward ins starre Grab der Erde,
Wird heraufgeholt aus tausendjähr'ger Nacht,
Daß es wieder uns zu Licht und Wärme werde.«

Wenn auch die Verwendung der Steinkohlen schon recht alt ist und die griechischen Schmiede und Erzgießer sie schon zu Aristoteles' Zeiten benutzten, hat man umfangreichere Versuche zur Gewinnung und Verwertung dieser »schwarzen Diamanten« – der Diamant ist ja bekanntlich nichts andres als ein Gebilde reinsten Kohlenstoffs und verbrennt als solcher restlos Verzeih, lieber Reisekamerad, diesen neuen kleinen Verzug. Es ist heut, da ich dies schreibe, draußen ein so herrlicher Sonnentag, und da überkommt mich eine Regung besonderer Großmut. Ich will den Raffkes etwas schenken!! Eine Idee – an solchen sind sie ja trotz allem doch schließlich bitterarm! Wenn man Diamanten unter Luftabschluß über die Schmelztemperatur des Schmiedeeisens hinaus erhitzt, verwandeln sie sich in simplen Graphit. Kleopatra trank Perlen in Essig gelöst: möge sich Frau Raffke aus einem ihrer abgelegten Brillantkolliers einen Bleistift machen lassen! – bei uns doch eigentlich erst vor rund 800 Jahren gemacht. Wie in vielen Fällen waren auch hierin Mönche, die Äbte von Klosterrode bei Aachen, die Lehrmeister und Kulturförderer. Erst als das Brennholz rarer und damit empfindlich teurer wurde, begann die Kohle ihren Siegeslauf. Die »Preßkohle«, ohne die wir uns den Ofen kaum noch denken können und die wir in diesen Zeiten der Not als etwas Kostbares, als wahren »schwarzen Diamanten«, zu betrachten gelernt haben, diese von Maschinen in Backstein- oder Ziegelform (»Brikett«) gepreßte Braunkohle, ist vollends erst rund 50 Jahre alt, und die ersten Preßkohlen hatten auch bei uns die Gestalt eines Eis oder Apfels, wie wir sie im Kriege in Belgien und Frankreich wiederfanden. Im Berlin des Alten Fritz gehörte noch zu jeder komfortablen Wohnung ein Raum oder mindestens ein Verschlag für das Holz zu Kamin, Ofen und Herd, und die »Feuerordnung« bestimmte, daß niemand in dieser Holzkammer oder auf dem Hofe mehr als »einen halben oder höchstens 1 Hauffen« Holz »nach Proportion des Raums« haben sollte. War doch noch in Großvaters Tagen der mitten auf der Straße arbeitende »Holzhauer« mit seinem Sägebock, mit Axt, Säge und Holztrage eine typische Berliner Erscheinung. »Wir habenst schon Jrafen jehauen«, rechtfertigt sich bei Glaßbrenner einmal eine dieser Typen, »un Jeheimräte un Barone un alle, aberst von all die soll noch eener jekommen sind un soll jesacht haben, det wir ihn schlecht jehauen haben.« Ja, es hat bei uns ziemlich lange gedauert, ehe das Vorurteil überwunden wurde, daß »Kohlenheizung sich mit bürgerlicher Solidität nicht recht vertrage, und daß birkene Knüppel das naturgemäße Erwärmungsmaterial für den bescheidenen Mittelstand, buchene Kloben aber das für den reichen Mann seien«, wie Alexander Meyer aus seiner Jugendzeit erzählt.

»Aber der Ofen, der Ofen!« … Nun, unser Kachelofen ist noch nicht allzu alt: er ist die zweckmäßige Fortentwicklung des Kamins, und in der Geschichte seiner Erfindung spielt der berühmte amerikanische Freiheitsheld Benjamin Franklin, dem die Welt ja auch den Blitzableiter verdankt – » eripuit Jovi fulmen sceptrumque tyrannis«, er entriß dem Himmel den Blitz, den Tyrannen das Zepter – eine große Rolle. Franklin war es, der die im Kamin entweichende Wärme zwang, durch Röhren zu fließen, die er niederwärts führte, wodurch die Wärme der Heizung des Zimmers zugute kommt. Ihm folgte auf dem Wege der Verbesserung des Kamins zum Ofen ein andrer vielseitiger Erfinder: der Vater der Gefängnis- und Soldatenküchensuppe, der Engländer Rumford. Kachelöfen mit »Zügen«, wie der Techniker die der aufsteigenden Wärme sich entgegenstellenden und sie gleichsam aufspeichernden Widerstände nennt, gibts erst seit etwa rund hundert Jahren, und von allen diesen Konstruktionen ist der »Berliner Kachelofen« wohl der beste.

Die Kacheln – was hat man nicht ehedem für entzückende Dinge dieser Art geschaffen, recht als wollte man dem häusliches Behagen spendenden Ofen sich dankbar erweisen. Die treuherzige alte Hafnerkunst, diese urwüchsig derbe und doch so feine Meisterkunst, sagt Josef August Lux einmal in seinem prächtigen Buch vom »Geschmack im Alltag«, hat einst in die Kacheln und Fliesen ein Abbild des Lebens hineingemodelt, mit lustigen Farben und schönen Glasuren, ein ganzes buntes Bilderbuch, ergötzlich anzusehen. »Die Hafnerkunst stammt direkt von Gott; denn auch der liebe Herrgott hat den Menschen zuerst aus Ton geknetet. Also folgte der gute Hafner seinem allmächtigen Lehrmeister, indem er in der Einfalt seines Herzens alles getreulich nachbildete, was das Leben, die Welt und die Seele boten.« Erinnerst du dich, lieber Reisekamerad, des Ofens im Pfarrhause zu Cleversulzbach, den Mörike im »Alten Turmhahn« besungen hat? …

»Betrachtet mir das Werk genau!
Mir deucht's ein ganzer Münsterbau;
Mit Schildereien wohl geziert,
Mit Reimen christlich ausstaffiert …«

Bischof Hatto und sein Mäuseturm waren darauf, Belsazars Schmaus: »Weiber und Spielleut', Saus und Braus«, Sara, Abraham und der Herr vor Abrahams Hütte … Und von seiner ersten Schweizerreise schreibt der junge Goethe: »Es ist was Schönes und Erbauliches um die Sinnbilder und Sittensprüche, die man hier auf den Öfen antrifft.« Was gibt es nicht – von den berühmten Prachtstücken dieser Art wie dem auf der Hohenfeste Salzburg, den der »wackre und handfeste Bischof Leonhard v. Keutschach zu Gottes und seiner eigenen Ehr« um 1500 setzen ließ, ganz zu schweigen – noch in entlegenen Gegenden manchmal für köstlich gezierte Öfen! Was hab ich selber nicht in Krainer Bauernstuben für reizende Kacheln gesehen und von dem Töpfer dort, der immer noch nach den alten Formen schafft: biblische Geschichte, Ritter hoch zu Rosse, Schäfer und Schäferinnen, für wenige Pfennige erworben!

Auch der Ofen folgte in seiner äußeren Gestaltung dem Zeitgeschmack in gewissen Grenzen: Renaissance, Barock, Empire – o, diese reizvollen, säuberlich kannelierten Säulenöfen! – Biedermeier … Und immer war es anständiges Kunstgewerbe, das aus seiner Form, aus seinem Schmuck, ja, selbst aus den blühend weißen, völlig schmucklosen Glasuren sprach. Aber dann kamen die berüchtigten »Gründerjahre« nach 70/71 mit ihrem nur von der jüngsten Gegenwart übertroffenen Protzentum und schufen jene Ölgötzen und Ungeheuer von Öfen, die mit ihren gepreßten Kachelmustern jedes Zimmer verschandeln und von Ungeheuerlichkeiten gekrönt werden, die wie der Kopfputz aufgedonnerter Schlittenpferde, kriegslüsterner Indianer oder gehirnarmer Modedämchen von heute aussehen. Diesen »Öfen gegenüber ist man machtlos«, klagt Freund Lux, »man kann sie nicht einfach aus dem Zimmer werfen«, und so müssen sie eben in Gottes Namen ertragen werden, – bis sie zusammenfallen. Ein Glück, daß es neuerdings in diesem Stücke wieder etwas besser wird: es gibt doch schon wieder hie und da anständige Öfen mit schlichten Kacheln, »sittliche« Öfen, wenn anders »guter Geschmack«, wie der begeisterte englische Kunstapostel John Ruskin verkündet, »eine sittliche Eigenschaft« ist.

Und so denn nur noch ein gut gemeintes, schlecht gereimtes Sprüchlein, das auf einem Ofen vom Jahre 1655 zu Stadelhofen von frommer Hafnermeisterhand aufgemalt steht, mit auf die weitere Reise:

»Durch d' Sünd der Mensch gefallen ist,
Daß ihm an Leib und Seel viel prist.
Damit er aber nit verzag,
Sondern Gott zu preisen Ursach hab,
Hat er ihm auch für Hitz und Kält
Des Ofens Mittel hingestellt.«


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