Friedrich Hebbel
Herodes und Mariamne
Friedrich Hebbel

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Sechste Szene

Mariamne (tritt zu Titus).
Nun noch ein Wort vorm Schlafengehn, indes
Mein letzter Kämmrer mir das Bette macht!
Du staunst, ich seh es, daß ich dieses Wort
An dich, und nicht an meine Mutter, richte,
Allein sie steht mir fern und ist mir fremd.

Titus.
Ich staune, daß ein Weib mich lehren soll,
Wie ich als Mann dereinst zu sterben habe!
Ja, Königin, unheimlich ist dein Tun
Und, ich verhehl's nicht, selbst dein Wesen mir,
Allein ich muß den Heldensinn verehren,
Der dich vom Leben scheiden läßt, als schiene
Die schöne Welt dir auf dem letzten Gang
Nicht einmal mehr des flücht'gen Umblicks wert,
Und dieser Mut versöhnt mich fast mit dir!

Mariamne.
Es ist kein Mut!

Titus.                         Zwar hat man mir gesagt
Daß eure finstern Pharisäer lehren,
Im Tode geh' das Leben erst recht an,
Und daß, wer ihnen glaubt, die Welt verachtet,
In welcher nur die Sonne ewig leuchtet
Und alles übrige in Nacht verlischt!

Mariamne.
Ich hörte nie auf sie und glaub es nicht!
O nein, ich weiß, wovon ich scheiden soll!

Titus.
Dann stehst du da, wie Cäsar selber kaum,
Als ihm von Brutus' Hand der Dolchstoß kam,
Denn er, zu stolz, um seinen Schmerz zu zeigen,
Und doch nicht stark genug, ihn zu ersticken,
Verhüllte fallend sich das Angesicht;
Du aber hältst ihn in der Brust zurück!

Mariamne.
Nicht mehr! Nicht mehr! Es ist nicht, wie du denkst!
Ich fühle keinen Schmerz mehr, denn zum Schmerz
Gehört noch Leben, und das Leben ist
In mir erloschen, ich bin längst nur noch
Ein Mittelding vom Menschen und vom Schatten
Und faß es kaum, daß ich noch sterben kann.
Vernimm jetzt, was ich dir vertrauen will,
Doch erst gelobe mir als Mann und Römer,
Daß du's verschweigst, bis ich hinunter bin,
Und daß du mich geleitest, wenn ich geh.
Du zögerst? Fodre ich zuviel von dir?
Es ist des Strauchelns wegen nicht! Und ob
Du später reden, ob du schweigen willst,
Entscheide selbst. Ich binde dich in nichts
Und halte meinen Wunsch sogar zurück.
Dich aber hab ich darum auserwählt,
Weil du schon immer, wie ein eh'rnes Bild
In eine Feuersbrunst, gelassen-kalt
Hineingeschaut in unsre Hölle hast.
Dir muß man glauben, wenn du Zeugnis gibst,
Wir sind für dich ein anderes Geschlecht,
An das kein Band dich knüpft, du sprichst von uns,
Wie wir von fremden Pflanzen und von Steinen,
Parteilos, ohne Liebe, ohne Haß!

Titus.
Du gehst zu weit!

Mariamne.                   Verweigerst du mir jetzt,
Zu starr, dein Wort, so nehm ich mein Geheimnis
Mit mir ins Grab und muß den letzten Trost
Entbehren, den, daß eines Menschen Brust
Mein Bild doch rein und unbefleckt bewahrt,
Und daß er, wenn der Haß sein Ärgstes wagt,
Den Schleier, der es deckt, aus Pflichtgefühl
Und Ehrfurcht vor der Wahrheit heben kann!

Titus.
Wohl! Ich gelob es dir!

Mariamne.                             So wisse denn,
Daß ich Herodes zwar betrog, doch anders,
Ganz anders, als er wähnt! Ich war ihm treu,
Wie er sich selbst. Was schmäh ich mich? Viel treuer,
Er ist ja längst ein andrer, als er war.
Soll ich das erst beteuern? Eher noch
Entschließ ich mich, zu schwören, daß ich Augen
Und Händ' und Füße habe. Diese könnt' ich
Verlieren, und ich wär' noch, was ich bin,
Doch Herz und Seele nicht!

Titus.                                           Ich glaube dir
Und werde –

Mariamne.           Halten, was du mir versprachst!
Ich zweifle nicht! Nun frag dich, was ich fühlte,
Als er zum zweiten Mal, denn einmal hatte
Ich's ihm verziehn, mich unters Schwert gestellt,
Als ich mir sagen mußte: eher gleicht
Dein Schatten dir, als das verzerrte Bild,
Das er im tiefsten Innern von dir trägt!
Das hielt ich nicht mehr aus, und konnt' ich's denn?
Ich griff zu meinem Dolch, und, abgehalten
Vom rasch versuchten Selbstmord, schwur ich ihm:
Du willst im Tode meinen Henker machen?
Du sollst mein Henker werden, doch im Leben!
Du sollst das Weib, das du erblicktest, töten
Und erst im Tod mich sehen, wie ich bin! –
Du warst auf meinem Fest. Nun: Eine Larve
Hat dort getanzt!

Titus.                         Ha!

Mariamne.                       Eine Larve stand
Heut vor Gericht, für eine Larve wird
Das Beil geschliffen, doch es trifft mich selbst!

Titus.
Ich steh erschüttert, Königin, auch zeih ich
Dich nicht des Unrechts, doch ich muß dir sagen:
Du hast mich selbst getäuscht, du hast mich so
Mit Grau'n und Abscheu durch dein Fest erfüllt,
Wie jetzt mit schaudernder Bewunderung.
Und, wenn das mir geschah, wie hätte ihm
Der Schein dein Wesen nicht verdunkeln sollen,
Ihm, dessen Herz, von Leidenschaft bewegt,
So wenig, wie ein aufgewühlter Strom,
Die Dinge spiegeln konnte, wie sie sind.
Drum fühl ich tiefes Mitleid auch mit ihm
Und deine Rache finde ich zu streng!

Mariamne.
Auf meine eignen Kosten nehm ich sie!
Und daß es nicht des Lebens wegen war,
Wenn mich der Tod des Opfertiers empörte,
Das zeige ich, ich werf das Leben weg!

Titus.
Gib mir mein Wort zurück!

Mariamne.                                 Und wenn du's brächest,
Du würdest nichts mehr ändern. Sterben kann
Ein Mensch den andern lassen; fortzuleben,
Zwingt auch der Mächtigste den Schwächsten nicht.
Und ich bin müde, ich beneide schon
Den Stein, und wenn's der Zweck des Lebens ist,
Daß man es hassen und den ew'gen Tod
Ihm vorziehn lernen soll, so wurde er
In mir erreicht. Oh, daß man aus Granit,
Aus nie zerbröckelndem, den Sarg mir höhlte
Und in des Meeres Abgrund ihn versenkte,
Damit sogar mein Staub den Elementen
Für alle Ewigkeit entzogen sei!

Titus.
Wir leben aber in der Welt des Scheins!

Mariamne.
Das seh ich jetzt, drum gehe ich hinaus!

Titus.
Ich selbst, ich habe gegen dich gezeugt!

Mariamne.
Damit du's tätest, lud ich dich zum Fest!

Titus.
Wenn ich ihm sagte, was du mir gesagt –

Mariamne.
So riefe er mich um, ich zweifle nicht!
Und folgte ich, so würde mir der Lohn,
Daß ich vor einem jeden, der mir nahte,
Von jetzt an schaudern und mir sagen müßte:
Hab acht, das kann dein dritter Henker sein!
Nein, Titus, nein, ich habe nicht gespielt,
Für mich gibt's keinen Rückweg. Gäb' es den,
Glaubst du, ich hätt' ihn nicht entdeckt, als ich
Von meinen Kindern ew'gen Abschied nahm?
Wenn nichts, als Trotz mich triebe, wie er meint,
Der Schmerz der Unschuld hätt' den Trotz gebrochen:
Jetzt machte er nur bittrer mir den Tod!

Titus.
Oh, fühlt' er das und käm' von selbst, und würfe
Sich dir zu Füßen!

Mariamne.                     Ja! Dann hätte er
Den Dämon überwunden, und ich könnte
Ihm alles sagen! Denn ich sollte nicht
Unwürdig mit ihm markten um ein Leben,
Das durch den Preis, um den ich's kaufen kann,
Für mich den letzten Wert verlieren muß,
Ich sollte ihn für seinen Sieg belohnen,
Und, glaube mir, ich könnt' es!

Titus.                                               Ahnst du nichts,
Herodes?

(Joab tritt geräuschlos ein und bleibt schweigend stehen.)

Mariamne.         Nein! Du siehst, er schickt mir den!
(Deutet auf Joab.)

Titus.
Laß mich –

Mariamne.         Hast du mich nicht verstanden, Titus?
Ist es in deinen Augen noch der Trotz,
Der mir den Mund verschloß? Kann ich noch leben?
Kann ich mit dem noch leben, der in mir
Nicht einmal Gottes Ebenbild mehr ehrt?
Und, wenn ich dadurch, daß ich schwieg, den Tod
Heraufbeschwören und ihn waffnen konnte,
Sollt' ich mein Schweigen brechen? Sollt' ich erst
Den einen Dolch vertauschen mit dem andern?
Und wär' es mehr gewesen?

Titus.                                           Sie hat recht!

Mariamne (zu Joab).
Bist du bereit?
(Joab verneigt sich. – Mariamne gegen Herodes' Gemächer.)
                        Herodes, lebe wohl!
(Gegen die Erde.)
Du, Aristobolus, sei mir gegrüßt!
Gleich bin ich bei dir in der ew'gen Nacht!

(Sie schreitet auf die Tür zu. Joab öffnet. Man sieht Bewaffnete, die ehrerbietig Reihen bilden. Sie geht hinaus. Titus folgt ihr. Joab schließt sich an. Feierliche Pause.)

Siebente Szene

Salome (tritt ein).
Sie ging! Und dennoch schlägt das Herz mir nicht!
Ein Zeichen mehr, daß sie ihr Los verdient.
So hab ich endlich meinen Bruder wieder
Und meine Mutter ihren Sohn! Wohl mir,
Daß ich nicht von ihm wich. Die Richter hätten
Ihn sonst noch umgestimmt. Nein, Aaron, nein,
Nichts von Gefangenschaft! Im Kerker bliebe
Sie keinen Mond. Das Grab nur hält sie fest,
Denn nur zum Grabe hat er keinen Schlüssel.


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