Friedrich Hebbel
Genoveva
Friedrich Hebbel

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Sechste Szene.

Dicker Wald. Hans, Balthasar, Genoveva mit dem Kinde. Hinter ihnen schleicht der tolle Klaus .

Hans. Hier schoß ich, deucht mir, eine Bache einst!

Balthasar. Ein grausam-wilder Platz!

Hans.                                                   Nun, überall
Ist's wild in diesem Walde. Endlos zieht
Er sich hinunter; wer kein Jäger ist
Und sich hineinwagt, der verhungert leicht,
Eh' er den Pfad trifft, der heraus ihn führt.
Ich fand einmal ein halbverfault Geripp
In einem Busch, das was das Scheußlichste,
Das ich noch jemals sah, der Kopf von Fleisch
Entblößt und doch an Stellen noch behaart,
Der Bauch von Schlangen wimmelnd, Groß und Klein
Zu einem Klump verflochten –

Balthasar.                                         Schauderhaft!
Besonders, wenn man denkt, daß diese hier
Bald einen gleichen Anblick bieten wird.
Erlaube mir – –

Hans.                         Was willst du?

Balthasar.                                           Nicht umsonst
Hab' ich den Umweg bis hierher gemacht.
Ich wollte, da wir ihr so nahe sind,
Zugleich doch nach der Bärengrube sehn!
Hans. Halb Part!

Balthasar (abgehend)
                            Für heute gelt' es!

Hans (zu Genoveva).                                   Ruht Euch aus!

Genoveva (setzt sich auf einen Baumstumpf).

Hans. Sie ist so still, als wäre sie schon tot.
Das dauert mich.

Klaus (bringt dem Kinde eine Blume).
                              Da! Da!

Balthasar (kehrt zurück).             Nur weiter, Hans!
Nichts sitzt im Loche, als ein Fuchs!

Hans.                                                         Da hat
Der Bär ein Frühstück, welcher nach ihm kommt.

Balthasar (zu Genoveva).
Steht auf!

Genoveva (versucht es).
                Ich kann nicht mehr!

Hans.                                                 Hier, oder dort,
Ich denke, es ist eins. Was quält man sie!

Klaus (deutet mit angstvollen Gebärden gen Himmel).
Au weh! au weh!

Balthasar.                   Was hast du wieder, Narr?
Nun, das ist grauserlich genug! (Er schaut in die Höhe.)

Hans (schaut gleichfalls auf).               Was ist's?
Ich sehe nichts!

Balthasar.                 Tritt hieher. Nun?

Hans.                                                     Daß Gott
Uns gnädig sei!

Balthasar.                 Ich schau' nicht mehr hinauf.
Mir wird dabei ganz ängstiglich zumut!

Hans. Die Sonne blickt die Erde zornig an,
Als sähe sie, was sie nicht sehen mag.

Balthasar. Schwarzrot! Solang' ich das seh', mord' ich nicht!

Hans (bekreuzt sich). Ave Maria!

Balthasar.                                     Welch ein Greuel sich
Denn wohl begibt?

Hans.                               Vielleicht vergeht die Welt.

Balthasar (ergreift Hans beim Arm und führt ihn nach der andern Seite).
Was siehst du nun?

Hans.                               Nichts!

Balthasar.                                     Nun, so geht's mir auch,
Drum denke ich, wir machen's ab!

Hans.                                                     Es muß
Ja doch geschehn, und was es immer sei,
Worauf dies Zeichen deutet, niemals wird's
Verkünden sollen, daß der heil'ge Gott
Eins der Gebote von der Tafel strich.
Drum, ehebrecherisches Weib, fahr wohl!

Balthasar. Fahr wohl!

Klaus (spricht nach).     Fahr wohl!

Hans.                                                 Ein Sturm erhebt sich auch,
Die Eichen werfen Zweig' auf uns herab!

Balthasar. Mir fällt was ein. Ein jeder hält die Hand,
Soweit er kann, von Blut sich rein. Der Graf
Schob's auf den Golo, der auf dich und mich,
Und wir – was meinst du? schieben's auf den Klaus.
Der tut's und weiß doch selbst nicht, was er tut,
Schläft ein, und weiß von nichts, wenn er erwacht.

Hans. Ein trefflicher Gedanke, wär's auch nur
Des Kindes wegen, denn das sag' ich dir:
Vor einem Mord der Unschuld schaudert's mich.

Balthasar. Man zeigt dem Klaus den Fleck, wohin der Stoß
Zu richten ist, an Kraft gebricht's ihm nicht,
Du weißt, er würgte neulich einen Wolf.
        (Zu Genoveva.)
Erhebt Euch jetzt! Wir sind noch nicht am Ort.

(Genoveva steht schweigend auf, sie taumelt.)

Hans (unterstützt sie).
Du siehst, sie kann nicht weiter.

Balthasar.                                         Wird uns das
Entschuldigen?

Hans.                       Wir gehn von hier zum Quell
Und bringen ihm die Augen und das Haar.
Unmöglichkeit ist stets Entschuldigung.
        (Zu Genoveva.)
Habt Ihr noch einen Wunsch auf dieser Welt,
So nennt ihn, wenn ich ihn erfüllen kann,
Soll es geschehen. Darauf nehmt mein Wort.

Genoveva. Verschont das arme Kind.

Hans.                                                   Das geht nicht an.

Genoveva. Wollt Ihr es schlachten, und mit Händen, rot
Von seinem Blut, das Weltgericht bestehn?
Wenn Gott Euch fragt, was es gesündigt hat,
Was sagt Ihr dann?

Balthasar.                       Wir sagen: frag' nicht uns,
Frag' unsern Herrn!

Hans.                               Von solchen Dingen schweigt.

Balthasar. Ich zähle jetzt bis hundert, dann ist's aus.

(Er fängt an, ein Grab aufzuwerfen, und zählt leise: Eins, zwei, drei usw. Zuweilen hört man eine Zahl.)

Hans. Habt Ihr nichts andres auf dem Herzen noch?

Genoveva. Wenn mein Gemahl zurückkehrt, sagt ihm dies,
Daß ich, wie hart er auch mit mir verfuhr,
Ihm alles doch, bevor ich starb, vergab.

Hans. Weib, heuchelt nicht im letzten Augenblick,
Denn mich empört's. Ich sah den Drago selbst
In Eurem Schlafgemach. Was sollt' er da?
Wollt Ihr dem Mann, an dem Ihr freveltet,
Vergebung bieten? Wahrlich, das ist keck!
Kniet lieber hin, schlagt reuig Eure Brust
Und beichtet Euer schmähliches Vergehn,
Damit dies, wenn er's hört aus meinem Mund,
Ihn rührt und ihn bewegt, Euch zu verzeihn.

Genoveva. Ich sah den Drago erst, als Ihr ihn saht!

Hans. So!

Genoveva. Golo, frevelhaft in mich entbrannt,
Und abgewiesen, wie es sich geziemt,
Spann Ränke.

Hans.                     Ei!

Genoveva.                   Den alten frommen Knecht
Betört' er, daß er in mein Schlafgemach
Sich schlich –

Hans (barsch).         Wie konnt' er das?

Genoveva.                                               Das weiß ich nicht.

Hans. Hm! Hm! Er hat's vorausgesagt. (Zu Genoveva.) Ihr wollt
Das Blutwerk uns erleichtern.

Genoveva.                                       Wie?

Hans.                                                           Ihr macht
Es wie die Schlange. Wenn man sie zertritt,
So sticht sie noch. Habt Dank! Ich bitt' Euch sehr,
Errötet, wenn Ihr könnt, und hört mich an.
Wenn Ihr den Drago gar nicht saht und spracht,
Sie könnt Ihr wissen, daß Herr Golo ihn
In Eu'r Gemach geschickt, und wenn Ihr ihn
Gesprochen: warum fand man ihn versteckt?

Genoveva. Mir sagt' es Golo selbst.

Hans.                                                 Sehr glaubhaft. Schweigt!

Balthasar (zählend). Hundert!

Hans (tastet nach dem Kinde).
                                        Gebt her!

Genoveva (hält es fest).                             Erst mich!

Hans.                                                                           Versteht sich. Gebt!

Genoveva (drückt es an sich).
Stoßt zu! Und wenn ich falle, nehmt mir's ab!

Hans. Klaus!

Klaus.             Ja!

Hans (reicht ihm das Schwert). Nimm!

Klaus.                                                   Ja!

Hans.                                                           Zieh!

Klaus (tut es).                                                         Ja!

Hans (deutet auf Genovevas Brust).                                 Ziel'!

Klaus.                                                                                       Ja!

Hans (mit einer Bewegung).                                                             Stoß zu!

(Klaus stiert ihn an.)

Hans (heftig). Stoß zu! Stoß zu! Wie ich aufs Wildschwein!

Klaus.                                                                                     Nein!

(Hans greift nach dem Schwert.)

Klaus (hält es fest und erhebt sich in drohender Stellung).
Du sollt nicht töten!

Hans.                               Und was folgt darauf?

Klaus. Du – sollst – – (Er stockt.)

Hans.                           Nicht ehebrechen! (Zu Genoveva.) Merkt Euch das!
Gib. (Er will Klaus das Schwert entreißen.)

(Klaus durchstößt ihn.)

Hans (fallend). Höll' und Teufel! (Er stirbt.)

Genoveva.                                   Ew'ger Gott, bist du's?

Klaus (schwingt das Schwert über den Kopf und kehrt sich gegen Balthasar).

Balthasar. Du sollst nicht töten, und du tötest selbst?

(Klaus dringt wütend auf Balthasar ein.)

Genoveva (tritt zwischen beide).
Halt ein! (Zu Balthasar.) Ich rettete das Leben Euch –
Bringt Ihr mich um?

Balthasar.                       Hab' ich das Schwert? Ihr seht,
Ich kann des Grafen Auftrag nicht vollziehn.
Allein, was soll nun werden? Nimmermehr
Dürft Ihr ins Schloß zurück!

Genoveva.                                   O, nimmermehr!
Dort harret mein, was schlimmer ist, als Tod.
Den Himmel rufe ich zum Zeugen auf:
Nicht, weil ich sündigte, erleid' ich dies,
Ich leide es, weil ich der Sünde mich
Geweigert habe. Schaut auf dieses Kind,
Und sagt mir, wem es ähnlich ist.

Balthasar.                                             Dem Herrn!
Das hab' ich längst bemerkt. Jedoch, was hilft's?
Unschuldig oder nicht – mir gilt es gleich.
Erfährt der Golo, oder auch der Graf,
Daß ich Euch leben ließ, so kostet's mir
Den Kopf!

Genoveva.         Ich schwör' Euch, daß ich niemals mich
Hier wieder blicken lassen, ja mich selbst
Des Namens abtun will, den ich geführt.
In dieser öden Wildnis such' ich mir
Die ödeste der Höhlen auf, wohin
Sich selbst des Jägers Dogge nie verirrt!
Um Wurzeln spreche ich die Erde an,
Den Trunk beut gütig mir ein frommer Quell,
Das Lager mach' ich mir aus Laub und Moos.

Balthasar. Ihr irrt Euch, Gräfin, das ertragt Ihr nicht!

Genoveva. So hat der erste Mensch gelebt, so wird
Der letzte nicht verderben.

Balthasar.                                   Wenn Euch nun
Ein Wild zerreißt?

Genoveva.                     Ich zittre nicht davor.
Gott lenkt den Trieb des Tieres, wie er will,
Doch nicht des Menschen widerspenstig Herz.

Balthasar. Ihr konntet nicht mehr fort.

Genoveva.                                           Als ich mein Kind
Dem Tod entgegentrug. Jetzt hab' ich Kraft,
Zu fliehn, denn jetzt entführe ich's dem Tod.

Balthasar. So geht. Doch laßt mir Euer Haar! (Er schneidet es ihr ab.)
                                                                Nun eilt!

Genoveva. Nimm du mich auf, für ewig auf, o Wald!
Wenn Gott dies Kind dem Mörderschwert entzieht,
So tut er's nicht, weil es verschmachten soll.

(Sie verschwindet im Gebüsch.)

Balthasar (sieht ihr nach).
Ich nahm dem Wurm das Fleisch und gab's dem Wolf!
Beschwöre ich's heut abend, daß sie tot
Und kalt ist, werd' ich keinen Meineid tun.
Dort liegt der Hans im Blut. Hier ist das Grab.
Ich machte es für sie, nun ist's für ihn.
Erst geh' ich jetzt zum Quell, dann kehr' ich um
Und leg' den Freund hinein. (Zu Klaus, freundlich.)
                                            Mein Klaus! Das Schwert!

(Klaus reicht Balthasar das Schwert.)

Balthasar (dringt auf Klaus ein).
Du sollst mich nicht verraten, Schuft!

Klaus (entspringend).                                   Au weh!

(Balthasar eilt ihm mit gezücktem Schwert nach.)

Siebente Szene.

(Ein anderer Platz im Walde. Quell. Rasenbank.)

Golo (geht unruhig auf und ab)
Das Maß des Grausens, statt der Seligkeit,
Hab' ich geleert. Die höchste Reue schlägt
Den Weg nicht ein, der sie zur Gnade führt.
Nein, nein! Verzweifelnd an dem letzten Recht
Des Sünders, an dem Recht zur Umkehr selbst,
Nährt sie den Fluch, indem sie ihm erliegt,
Zwingt sich, die Missetat, die sie verdammt,
Nachdem sie halb getan ist, ganz zu tun,
Und bläst ins Höllenfeuer, statt es feig
Mit Tränen auszulöschen, selbst hinein.
Jetzt steh' ich da, wo das Erbarmen mich
Nicht mehr erreicht, wo ich durch neue Schuld
Den innern Ekel mehr steigern kann,
Drum lasse ich das Letzte ungetan.
Und wie ein Mensch im Ozean das Boot,
Das ihn getragen, wegstößt mit dem Fuß
Und sich im Meer begräbt, so stoß' ich jetzt
Das Leben von mir, und entriegle mir
Die Nacht der Nächte, wo ich nichts mehr bin,
Als ein Gedanke meiner Missetat.
Das ist dein Ende, Trotz! Du darfst den Spruch,
Der dich verdammt, bekämpfen, weil du ihn
Bestätigen, weil du bekennen sollst:
Gott tat mir recht und Gott allein hat recht!
Doch, Trotz, ich schelt' dich darum nicht! Du hast
Mich mit mir selbst bekannt gemacht, ich weiß
Jetzt, wer ich bin, und was auch kommen mag:
Gott tut mir recht, und Gott allein hat recht!
Da sind sie!
        (Er tritt ins Gebüsch; nach einer Weile kommt er wieder hervor.)
                    Noch nicht? Fiel sie unterwegs
In Ohnmacht, oder – Knie, brecht nicht ein!
        (Er setzt sich auf die Bank.)
Das ist unmöglich. (Er ruft.) Hans! Balthasar! Hier!
Man hört mich nicht. Der Wind bläst gar zu stark.
Ich will die Augen schließen (Er tut's.) und mir selbst
Ein Märchen vorerzählen, grauenvoll,
Wie's nur ein Teufel, der in seiner Brust
Den letzten Schauder wecken will, ersinnt.
        (Dumpf, gedehnt.)
Ich will mir denken, daß die Knechte sich
Verirrten, daß sie, während ich mit Angst
Auf ihre Ankunft harre, roh und stumpf
Das Schlächteramt vollziehn, und blutbespritzt,
Wie ich die Augen öffne, vor mir stehn.

Langsam kommt Balthasar. Wie Golo die Augen öffnet, erblickt er ihn mit dem blutigen Schwert.

Achte Szene.

Golo (springt auf, ihm entgegen).
Ihr habt sie fliehen lassen!

Balthasar.                                 Unbesorgt!
Ist dies hier (Er erhebt das Schwert.)
                    Blut? Ist dies (Er zeigt die Locken.)
                                          ihr Haar?

Golo (bedeckt sich das Gesicht).                 Es ist's!

Balthasar. So lobt mich!

Golo.                                 Hund, ich sagte –

Balthasar.                                                     Sollten wir
Mit Ruten die Entkräftet-Taumelnde
Fortpeitschen, bis sie lautlos und entseelt
Zusammensank? Den toten Leichnam dann
Hätt' man zerhackten, keine Lebende
Exekutieren können!

(Golo wirft sich im höchsten Schmerz auf die Bank.)

Balthasar (für sich).         Sprach sie wahr?
Es scheint mir fast! So sieht kein Richter aus,
Wenn man das Schwert ihm bringt. Ich prüfe ihn.
Bring' ich's heraus, so nutz' ich's, wie ich kann.
(Laut.) Es ist doch schad' um sie!

Golo.                                                     Verruchter, schweig,
Wenn du das jetzt erst fühlst!

Balthasar.                                       Hätt' ich's gefühlt,
Als ich – (er macht die Bewegung des Kopfabhauens.)
                  so starb sie nicht!

Golo.                                             So starb sie nicht!

Balthasar. Zwar überlief's mich kalt, als ich das Schwert
Auszog, und sie das Haupt, anstatt es feig
Zu senken, wie dies sonst geschieht, erhob.
        (Er erzählt langsam und lauernd fort. Golo starrt ihn an.)
Und sonderbar, ich muß es Euch gestehn,
Ward mir zumute, als sie manches sprach
Vom Drago und von Euch. Ihr werdet bleich.
Nun – nun – ich ward nicht irre, wie der Hans.

Golo. Der Hans?

Balthasar (einen Schritt zurücktretend).
                    Rief laut: Herr Golo ist ein Schuft!

(Golo nickt.)

Balthasar. Verzeiht das Wort. Dann kehrt' er sich zu ihr
Und sprach: Ich schütze Euch!

Golo.                                               Und du?

Balthasar.                                                     Ja, ich!
Ich tat, was Ihr nicht denkt. Ihr habt in mir
Nicht eben viel gesucht, ich weiß es wohl.
Darum ergriff ich die Gelegenheit,
Euch darzutun, daß man mir trauen darf.
Ich sprach zu Hans: Du lügst! und stach ihn tot.
Nun drang der Klaus, der tolle, auf mich ein,
Von hinten mir das Schwert, eh' ich's gedacht,
Entreißend, daß mir zur Verteidigung
Nichts als mein Grabscheit blieb. Dies Menschentier
Zu fällen, ward mir schwer. Zuletzt gelang's.
Den Bauch schlitzt' ich ihm auf, dem Ungetüm.
Sprecht, ob das Eifer war in Eurem Dienst?
Zwiefacher Mörder ward ich, ehe ich
Ihr Henker werden konnte. Dankt Ihr's mir?

Golo. Vergeh, wie ich! Unschuldig, wie das Kind,
Das sie geboren, war sie.

Balthasar (für sich).                 Hab' ich dich?
(Frech.) Das weiß ich!

Golo.                                     Wie?

Balthasar.                                         Das wußt' ich, eh' ich ihr
Den Kopf herunterhieb. Sie war nicht stumm
Und ich nicht taub.

Golo (Will sich erheben, aber starre Wut fesselt ihn an die Bank).
                                Und doch?

Balthasar.                                         Ja seht, so ist
Ein Mann. Ich hatt' Euch feierlich gelobt,
Sie abzutun, und ehrlich hielt ich Wort.
Doch keineswegs versprach ich Euch, dem Herrn
Das zu verschweigen, was sie mir vertraut,
Und mein Gewissen, durch den letzten Schrei
Der Sterbenden geweckt aus seinem Schlaf,
Treibt mich –

Golo (springt auf, rasend).
                        Du wußtest, daß sie schuldlos war,
Und dennoch? Wehr' dich deines Lebens, Knecht!
Du hast ein Schwert! Ich will dich adeln! Brauch's!
        (Er reißt sein Jagdmesser heraus.)
Komm an! Ich habe nur dies Messer! Komm!

Balthasar (in Angst). Sie – ist –

Golo.                                             Unschuldig!

Balthasar.                                                           Ja – allein –

Golo.                                                                                         Wicht! Wicht!
Kannst du nur ziehen auf ein Weib?

(Balthasar wirft das Schwert weg und flieht.)

                                                          Fahr' hin! (Er ersticht ihn.)

(Balthasar fällt im Gebüsch nieder und stirbt.)

Hätt' ich's getan mit meiner eignen Hand,
Ich trüge es, und wohnt' in meiner Tat,
Wie Satan in der Hölle, die er schuf,
Indem er stürzte, einsam, unnahbar,
Doch jetzt! (Gen Himmel knirschend.)
                  Du! Du! Ich nehm' mein Wort zurück!
Das ist nicht recht!

Neunte Szene.

Caspar (stürzt atemlos herbei). Da ist er! Gott sei Dank!

Siegfried (Caspar folgend; tonlos, aber ruhig).
Ist es geschehn?

Golo.                         Es ist!

Caspar (für sich).                 Zu spät! zu spät!
Nun schweig auf ewig, mein Verdacht! Ich kann
Jetzt nichts mehr retten, auf die Folter nur
Den Herrn noch spannen. Die erspar' ich ihm.
        (Zu Golo heimlich.)
Was sagt Ihr dazu? Als der Graf ins Tor
Geritten kam, warf Eure Mutter sich,
Vom Brunnen, wo sie, wie im Wahnsinn, stand,
Hereilend, seinem Rappen in den Weg.
Das Tier zerspaltete mit ehrnem Huf
Den Schädel ihr, Gehirn und Blut flog auf,
Und in die Halle trug man sie für tot.

Golo (kalt). So?

Caspar.               Warum tat sie das?

Golo (auf Siegfried deutend).               Ich sag' es ihm.

Caspar. Was du auch immer zu gestehen hast,
Behalt's bei dir! Die Tote kannst du nicht
Erwecken, schone drum den Lebenden.

Golo. Ich will es tun, wenn du mir eins beschwörst.

Caspar. Was?

Golo.               Daß du so sie an mir rächen willst,
Wie er sie rächen würde, wenn ich ihm
Die Untat beichtete.

Caspar.                           Das schwör' ich dir!

Siegfried. Golo!

Golo.                   Herr Graf!

Siegfried.                               Mir trat in meiner Burg
Ein Maler in den Weg. Er reichte mir
Ein Bild. Sie hatte es bei ihm bestellt,
Als er ihr Konterfei, für mich gemalt,
Ihr überbracht.

Golo.                       Ich weiß.

Siegfried.                                 Der Buhle nicht,
Ich selbst bin abgemalt auf diesem Bild.

Golo. Noch klingt's mit in der Seele, wie Musik,
Was sie an jenem Tag zum Maler sprach.
Sie war –

Caspar (unterbricht ihn mit Angst, zu Siegfried).
                  Denkt nicht an das noch, was sie war,
An das nur, was sie ist! (Er bemerkt den toten Balthasar.)
                                      Wer liegt denn dort?

Golo. Ich warf Euch diesen Knecht zu Boden, Herr,
Ich bin ein freier Mann! Macht Euch bezahlt!

Caspar. Das tut! Hier ist ein Schwert! (Er nimmt das Schwert auf.)
                                                      Das Eurige!

Siegfried (ruhig). Ich strafe niemals einen Menschen mehr,
Seit ich ins Innre der Natur geschaut.
Auch sie, wenn sie noch lebte, stürbe nicht.
Was ist ein Wort! Der Hauch von einem Hauch!
Sie war das schöne Zifferblatt der Welt,
Und ihre Schuld der schwarze Weiser, still
Durch das verborgne Triebrad fortgerückt,
Und rasch vom Mittag auf die Mitternacht
Zusteuernd, die den Kreislauf schließen soll.
Weh mir, daß ich den schimmernden Kristall
Zerschlug, weil gar zu schnell der Weiser doch
Die Reise mir zurückzulegen schien.
Wer sagt mir nun, wie viel es an der Zeit!
        (Er faßt Golo bei der Hand.)
So ist's, mein Freund! Verdamm' auch du sie nicht!
Was hat (Er zeigt auf Balthasar.) der arme Narr getan, daß du
Ihn um das heut'ge Mittagsmahl gebracht?

Golo. Er war es, der die Gräfin tötete.

Siegfried. Konnt' er so viele Schönheit, die ihn nie
Beleidigt hatte, würgen? Grause Tat!
Sie starb mit Recht, doch der mit größerm noch,
Der solch ein Weib kaltblütig schlachtete.
Ich lobe dich, daß du ihn niederstachst.
        (Er stellt sich vor Golo und schaut ihm ins Gesicht.)
Du Armer dauerst mich! Du warst ein Kind,
Als ich von hinnen zog. Was bist du jetzt?
Du bist, wie jener, der zum Festmahl ging,
Und den man unterwegs ergriff und zwang,
Scharfrichterdienst zu tun. Nun war sein Kleid
Mit Blut besprengt, als bleiche Schreckgestalt
Trat er ins Haus der Freude ein, und sah,
Selbst ein Gespenst, ringsum Gespenster nur.
        (Nach einer Pause.)
Ich tadle mich. Wer eine solche Tat
Befiehlt, der muß sie auch mit eigner Hand
Vollziehn. Wem Gott die Kraft dazu versagt,
Dem zeigt er an, daß er den Spruch verwirft!

Golo (für sich). Ich trag' es nicht!

Siegfried.                                     Zieh in die Welt hinaus!
Die Welt ist groß und bunt. Vielleicht, daß du
Vergessen kannst!

Golo.                             Gebt Ihr mir Urlaub?

Siegfried.                                                         Ja!

Golo. Ich zieh' noch heute!

Siegfried.                             Wenn du wiederkehrst,
So wirst du Pfalzgraf. Dir vererbe ich,
Wofür der Sohn mir fehlt, mein Hab' und Gut,
Und durch des Kaisers Gnade auch den Stand!

(Er geht langsam ab.)

Golo (sieht ihm nach). Kein Lebewohl! Daß ich aus seinem Mund
Nicht eins zurückerhalte!
        (Als Siegfried nicht mehr gesehen wird.)
                                        Caspar!

Caspar (der Siegfrieds Schwert noch immer in der Hand behielt, dringt mit demselben auf Golo ein).
                                                        Ja!

Golo. Nicht so! Was wäre das? Der Rache Geist
Verlangt ein andres Opfer: jede Qual,
Die nur ein Mensch auf Erden dulden kann,
Und einen Tod, der kommt, als käm' er nicht.
        (Er tritt vor, und erhebt die Hand.)
Im Angesicht des Himmels heb' ich jetzt
Die Hand als Richter auf, ich steh' zugleich
Als Kläger und Beklagter da, du bist
Gezeuge, die Vollstrecker schickt der Wald.
Der Frevel ist bekannt, dies ist mein Spruch:
Die Augen hier, die viel zu viel auf sie
Und viel zu wenig auf den Herrn geschaut,
Sind auszustechen; diesem säum'gen Arm,
Der, als mein falsches Herz ihr Bild sich stahl,
Es nicht sogleich durchbohrte, leg' ich auf,
Die Strafe an den Augen zu vollziehn!
        (Zu Caspar.)
Ist das geschehn, so führst den Blinden du
Ins Innerste des Waldes, reißest ihm
Die Kleider ab, und bindest nackt und bloß
Mit Stricken ihn an einer Eiche fest,
Damit der Eber und der zorn'ge Bär,
Die Schlange, die von unten sticht, der Aar,
Der aus der Höhe schießt, sich in sein Fleisch
Mit Zahn und Kralle teilen. Wenn der Baum,
Vom Wind durchrauscht, auf den Verhungernden
Von seinen Eicheln eine niederwirft,
so darf er die nicht fangen mit dem Mund,
Doch, wenn er seine Zunge essen will,
So sei es ihm vergönnt. Und nun zum Werk!

(Er reißt sein Jagdmesser heraus, wendet sich waldeinwärts und sticht sich, ohne daß dies jedoch gesehen wird, die Augen aus.)

Caspar (tritt ihm näher).
Er blutet! Beide Augen!

Golo (tappend).                       Führ' mich jetzt,
Und wenn du wiederkehrst ins Schloß, so sprich,
Ich sei zu Roß, den Falken auf der Hand,
Ins Land hineingesprengt.

Caspar (für sich).                       Ich töt' ihn gleich!

(Sowie Caspar sein Schwert erhebt, fällt rasch der Vorhang.)


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