Friedrich Hebbel
Genoveva
Friedrich Hebbel

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Sechste Szene.

(Tiefe Mitternacht. Margarethens Zimmer, seltsam dekoriert und mit Zaubergerät erfüllt. Ein großer runder Kristallspiegel, verhüllt. Sie sitzt schlafend an einem Tisch. Nach einer Weile erwacht sie.)

Margaretha. Ich sah ein Kind im Traum, ein hübsches Kind,
Die Zähne weiß, die Backen rot und rund,
Die Augen – nein, die sah ich nicht so recht,
Zwei große dicke Tränen standen drin.
»Zum Engel – rief es – war ich dir bestimmt,
Du warfst mich in den Bach!« – Zum Engel, ei!
Ein Engel, den der Müllerknecht gemacht! –
»Die kalten Fische fraßen all mein Fleisch!« –
Kind an den Fischen kann ich nicht einmal
Dich rächen, denn ich esse keinen Fisch –
»Und als der Bach vertrocknete, da kam
Ein magrer Wolf und nagte mein Gebein!«
Laß nagen, Kind – wie heißt du doch? Je nun,
Ich gab dir keinen Namen! Dummer Traum!
Kind, willst du bitten für das andre Kind?
Da bittest du umsonst! Man soll dereinst
Nicht von mir sagen, daß ich mitleidvoll
Gewesen gegen fremdes Fleisch und Blut,
Und gegen dich – – Es rasselt an der Tür!
Kommt Ihr, Herr Graf? Der Teufel ist schon da!
        (Sie steht auf und schüttelt sich.)
Ich bin doch schlecht! Da fällt mir eben ein:
Hätt' ich das Mägdlein nicht ertränkt und wär'
Es schön gewesen, wie ich's sah im Traum,
So klopfte jetzt vielleicht ein Freiersmann,
Ein solcher, der das Geld bringt bei der Nacht.
Laß ruhn die Toten, denn sie ruhen gut.
Ei nun, wer stört sie? Stören sie doch mich!

Siegfried (tappt draußen).
Holla! Macht auf!

Margaretha (öffnet die Tür).
                              Wer da? Herr Graf – – – –
                                      (Stellt sich verwundert.) So spät?

Siegfried tritt mit Golo ein.

Margaretha (zu Golo, heimlich).
Tut unbekannt! Ihr habt mich nie gesehn!
Vergeßt es nicht! Er weiß kein Wort davon,
Daß ich auf seiner Burg gewesen bin!

Siegfried. Verzeiht mir, Golo.

Golo.                                       Was denn, edler Herr?

Siegfried. Gewiß, ich trau' Euch. Einen Sessel her!
So lange nur, bis ich ein einzig Mal
Mein Weib mir in des Knechtes Arm gedacht.
Es will nicht gehn. Ich seh' den Drago stets
So vor mir stehn, als wollt' er eben knien,
Und sie mit Augen, wie vom Himmel her,
Auf den Elenden klar herunterschaun!
        (Zu Margarethen, die den Sessel bringt.)
Laßt! Laßt! Wer sagt Euch, daß ich sitzen will?
Ich halte mich nicht lange bei Euch auf!
Was meint Ihr, Golo, hat denn Gott das Recht,
Geschehn zu lassen, was kein Mensch begreift?
O! O! Und doch! Wenn ich's nicht fassen kann,
Was zeigt's denn an, als daß sie Meisterin
Im Heucheln, wie im frechen Laster war.
Der Drago! Ha! Ein Bursch, der nicht so viel
Des Muts besaß, ihr auf den halben Weg
Entgegenkommend, sich verliebt zu nahn,
Den sie – nicht bloß durch Wink und stummen Blick,
O nein, durch offnes Wort, vielleicht, wer weiß,
Gar durch Befehl an ihre Brust gelockt,
Und der mit ekler Missetäter-Angst,
Die selbst im Rausch den Henker nicht vergißt,
Befleckend all ihr Süßestes genoß.
In meinen Armen war sie ganz, wie tot,
Wenn ich – es schüttelte sie innrer Frost,
Sie schien ein Engel, der sein Flügelpaar
Abwehrend gegen ird'schen Staub bewegt – –
Ist es denn möglich? Doch, was frag' ich dich!
Du bist ein Mann! Wo find' ich solch ein Ding,
Worin nichts Folge hat, ein Ding, wie sie,
Ein Weib. Ist hier ein Weib?

Margaretha.                                   Mein edler Herr?

Siegfried. Du bist's, die mehr sieht, als wir andern, nicht?

Margaretha. Und wenn ich's tu', so hab' ich's nicht umsonst.
Im Scheiterhaufen zahl' ich einst den Preis
Mit Leib und Seel' für meine Wissenschaft.
Was steht zu Diensten?

Siegfried.                               O, nicht viel! nicht viel!
Was meinst du, wird der Weinstock dieses Jahr
Wohl Trauben bringen? Setzt er Augen an?
Ich habe nicht darauf geachtet, doch
Ich wüßt' es gern! Wie sieht's am Himmel aus?
Die alte Wirtschaft noch mit Sonn' und Mond?
Jetzt ist es Nacht. Kann man mit Sicherheit
Drauf bauen, daß es morgen wieder tagt?

Margaretha. Gut' Nacht! Gut' Nacht!

Siegfried.                                             Steht alles so, wie sonst?
Zerriß der Faden nicht, der Gott und Welt
Zusammenknüpft? Dreht sich die Schöpfung nicht
In tollen Wirbeln, losgelassen, um?
Dann, Genoveva, komme keiner mir,
Der dich entschuldige!

Golo (stürzt, tief erschüttert, auf die Knie).
                                      Herr Graf, ich log!

Siegfried. Du logst? (Er reißt sein Schwert heraus.)
                        Steck' ein, denn eben hört' ich ja,
Daß alles noch im Weltall steht, wie sonst.
Die schnöde Sünde, welche sie beging,
Schien kurz zuvor mir alles Frevels Maß,
Doch gegen eine solche Lüge wär'
Sie schuldlos, wie ein neugebornes Kind.
Nein, Golo, wenn du dich verklagen willst,
So halte dich im Menschlich-Möglichen,
Dann helf' ich dir vielleicht mit meinem Schwert
Aus diesem Leben mitleidvoll heraus.
Du logst! Steh auf! (Er reicht ihm die Hand.)
                              Du bist ein Mann! (Er umarmt ihn.)
                                                            Ein Freund!
Du hättest gern für diese letzte Nacht
Mit deinem Leben einen letzten Traum
Von Liebe und von Treue mir erkauft.
Ich danke dir, und muß ich auch mein Weib
Verloren geben, und mir ihr zugleich
Das ganze halbe menschliche Geschlecht:
Ich fand in dir, in deiner Männerbrust,
Zu dieser Stunde, was mich trösten wird,
Und was mich jetzt schon vor Verzweiflung schützt.

Golo (kaum hörbar).
Ich log.

Siegfried.     Ich bitt' dich: sag's nicht noch einmal!
Ein Mensch ist schwach, und was ein Weib vermag,
Das weißt du nicht, du hast noch nicht geliebt.
Blindwütend gegen besseres Gefühl,
Könnt' ich dich niederhauen in den Sand,
Und gleich ins ferne Land zurück dann ziehn,
Um niemals zu erfahren, ob mein Weib
Die Sünderin, ob du der Lügner warst.
        (Er setzt sich nieder und legt seinen Kopf in die Hände.)

Margaretha (zu Golo).
Brav. Eins – Zwei – Drei! Drei? Nun, ich denk', nur zwei.
Den einen dingt Ihr ab. Mein alter Kopf
Und Katharinas Kopf sind wohl genug.
Und log! Zum drittenmal! Nur fügt hinzu:
Ich log den andern beiden nach. Verschweigt,
Warum wir logen, sagt, es sei aus Haß
Der Unschuld, sei aus Tugendneid geschehn.
Dies wär', was mich betrifft, nicht einmal falsch.
Erzähle ich das Ding auch, wie es war,
Ihr straft mich Lügen. Schwöre ich – was hilft's?
Ich bin ein Weib, Ihr seid ein Mann, ein Freund!
Zurück, daß Ihr Euren Abscheu am Verrat
Recht gründlich dartut, schlagt Ihr mir zuerst
Das Haupt herunter, Eurer Mutter dann.
Was Mutter! Eure Mutter ist's ja nicht!
Sie hatte keine Pflicht, tat, was sie tat,
Aus Liebe nur und aus Barmherzigkeit.
Wohlan! So gebt denn jetzt ihr den Beweis,
Worin ein Fremdling und ein echter Sohn
Sich unterscheiden! Ei! Ein altes Weib
Und eine schöne Frau – wer schwankte noch?
Nur zu! Ich log! Doch glaubt nicht, daß der Graf,
Wie Euch, auch uns verzeihen wird und kann.
Ihr wißt noch gar nicht alles, was geschah,
Als Ihr bewußtlos-krank darniederlagt,
Was, als sie kreißend ihrem nahen Tod
Entgegensah, die Gräfin von uns litt.
Erfährt das ihr Gemahl, so gibt er uns
Zu einem Vaterunser nicht die Frist.
Mir gleich! Ich betete ja dennoch keins.

Golo. Ho! Ho! Mein Widerruf bewirkte nichts,
Als daß er mir's nur um so fester glaubt.
Nur darum, denk' ich, ließ die Höll' ihn zu!

Margaretha. War's so gemeint?

Golo.                                           O nein! Es kam nur so!

Siegfried (steht auf).
Mein innres Auge tut mir nicht den Dienst!
Die Nacht hält fest, was sie gebar. Kein Bild,
Wie ich es brauche, stellt sich meinem Geist.
Ich seh' sie lächeln, weinen seh' ich sie,
Ich seh' die Engel, zart, wie Morgenrot,
Die ihre Tränen trinken, was den Tag
Sie schauen ließ, das alles schau' ich auch,
Doch nichts von dem, was sie im Finstern trieb.
O Golo, mal' mir solch ein Bild, daß ich,
Die Schmach erblickend, meiner Männerpflicht
Genüge, und sie räche.

Golo.                                     Könntet Ihr –

Siegfried. Ich weiß nicht, was ich kann, nur, was ich muß!
Kann sein, daß ich, wenn ich's nun tat, es schwach
Bereue, daß mein ganzes Leben dann
In Selbsthaß sich und Selbstverachtung teilt.
Kann sein – Was frag' ich! Wenn ein Pfaff dir sagt,
Du sollst verzeihen, was den Gott in dir
Ermordet und dein Eingeweid' zerreißt,
Dann lache ihn nicht aus, doch folg' ihm nicht!
Nur einer darf vergeben, er allein,
Der, unbegriffen nah und fern zugleich,
Von nichts verklärt wird, und von nichts beschmutzt.
Was dich betrifft, so halt' dich rein. Dies ist
Der erste der Gebote, und ein Mann
Erfüllt es so, als wär's das einzige.
Was ihn auch treffe – immer muß der Kraft
So viel ihm übrig bleiben, als er braucht,
Um dem Geschlecht in sich genug zu tun.
Ich will das Beil sein, das ein sündig Haupt
Vom Rumpfe trennt, und das der Blutfleck dann
Im Winkel, wo es rostet, still verzehrt.
Doch, ich bin hier, um – Alte, auf ein Wort!

Margaretha. Mein edler Herr?

Siegfried.                                   Du schlägst im Buch der Zeit
Die Blätter, sagst du, um und wieder um,
Du scharrest Frevel, heimlich beigesetzt,
Aus der vergangnen Tage Gruft hervor
Und stellst sie vor des Richters Angesicht?

Margaretha. Ich habe einen Spiegel, das ist wahr,
In dem man dies und das erblicken kann.
Ein teures Stück! Ich wollt' ich hätt' ihn nicht.
Ich selber sah noch nie hinein, mich plagt
Die Neugier selten; edlen Herren steht
Er zwar zu Diensten, doch, mir wär' es lieb,
Wenn keiner käme, denn entweder sehn
Sie das, was niemand gern sieht, oder nichts.

Siegfried. Sprich, weißt du, wer ich bin?

Margaretha.                                             Ihr seid ein Mann,
Den keiner zu belügen wagen wird,
Die Blinden, das versteht sich, nehm' ich aus.
Hier Euer Freund hat Augen, wie ich seh',
Und dennoch mein' ich, wenn man einem traut,
So traut man einem mehr schon, als man soll.
(Zu Golo.) Verzeiht mir das!

Siegfried.                                       Laßt Eure Reden jetzt
Und zeigt in Eurem Spiegel mir mein Weib
Und was sie vor neun Monden tat.

Margaretha.                                           Ja, seht:
Ich weiß nur so viel, als der Teufel weiß.
Das merkt Euch wohl. Ob Eure edle Frau
Zur rechten Zeit zur Beichte ging, ob sie
Almosen gab und Pilger kleidete,
Von diesem allen zeigt der Spiegel nichts.
Doch, ob sie etwa unerlaubt geküßt,
Ob sie – das, wenn es anders möglich wär',
Das könntet Ihr in meinem Spiegel schaun,
Doch, was man immer Euch berichtete –
Ich merk' es wohl, Ihr seid ergrimmt auf sie –
Es ist erlogen! (Zu Golo.) Nichts für ungut, Herr,
Ihr könnt ja selbst belogen sein! (Zu Siegfried.) Ein Weib,
Das einen Mann besitzt, wie Ihr – ich will
Nicht schmeicheln – alte Frauen kleidet's schlecht –
Ein solches Weib ist treu, sie fände ja
Den Zweiten kaum, der ihrem Gatten gleicht,
Und nie den Dritten, der ihn übertrifft.
Sie muß ja treu sein. Denn hinuntersteigt
Doch keiner, der sich auf der Höhe sieht.
Euch laß ich gern in meinen Spiegel schaun,
Nur bitt' ich, schlagt mir, wenn Ihr nichts erblickt,
Ihn nicht entzwei und scheltet nicht die Kunst.

Siegfried. Hör' auf!

Margaretha.           Das heißt: fang an! Ich bin bereit!
Doch, die Bedingung! Denkt jetzt nicht an Ihn,
Der einst die Welt erschuf und sie erhält.
Denkt nur an Ihn, vor dem seit Anbeginn
Sie bebt und oft im Krampf zusammenzuckt,
Wenn er ihr Innerstes mit Krallen packt.

(Sie beschreibt einen weiten Kreis, in den sie Siegfried und Golo hineinnötigt. Dann reckt sie die Hand gen Himmel und spricht mit dumpfer Feierlichkeit:)

Du, dem Der zittert, welcher mich beherrscht,
Ich weise dich heraus aus diesem Kreis!
Ihr Segenshauche menschlichen Gebets,
Die ihr vielleicht hier schwebt, euch blas' ich fort!
Du Schaffend-Zeugendes, das regsam-still
In Lüften schwimmt, verirr' dich nicht hieher!

(Lange Pause.)

Nun sind wir einsam. Doch nicht lange mehr.

(Sie senkt den Arm, streckt die Hand gegen die Erde aus und spricht beschwörend:)

Du Zweiter, der dem Ersten Leiber macht,
Und in den Leibern seine Geister fängt;
Du Heimlichster, der alles Werdende
Im Ei beschleicht, und alles Blut verdirbt,
Dich ruf' ich auf! Verdopple mir dereinst
Die Höllenqual, nur sei mir heut zu Dienst!

(Sie reißt den den Spiegel verhüllenden Flor herunter; wild, mit lebhaften Gebärden, im leidenschaftlichen Ton:)

Beim Wort der Worte, das zum Sieger den,
Zum ew'gen Sieger krönt, der allererst
Es findet, und den andern rufend stürzt:
Bei allem Bösen, das noch werden soll,
Zeig' mir sogleich das Böse, das schon war,
Und (leise) zeig' auch das, was nie gewesen ist!

(Vor dem Spiegel hüpft eine Flamme auf, die sogleich wieder verlischt. Margaretha ergreift Siegfried beim Arm und führt ihn zum Spiegel.)

Siegfried (schaut hinein). Das ist sie. Ja!

(Margaretha tanzt.)

Golo (zu Margaretha).                                 Du rasest. Höret mich!

Margaretha. Wer kann! Mich treibt's! Der Teufel fand das Wort!
Viktoria in alle Ewigkeit!
Denn Bös' ist Gut und Gut ist Bös'. Tanz' mit!
Ich gönn' es dir. Ich denk', man läßt dich zu!
Du bist ein Findling. Weißt du's ganz gewiß,
Daß du nicht deinen Vater schon erschlugst?

(Sie tanzt immer fort.)

Siegfried (vor dem Spiegel).
Sie blickt in stiller Sehnsucht vor sich hin.
Gilt's mir? Gilt's dir? Unartig Glas, du zeigst
Mir hie und da auf meinem Haupt zugleich
Ein graues Haar.

Golo.                           Mich schaudert's, wie noch nie:
Ein Käfer, schwirrend, flog zum Kreis hinein.
Tot fiel er hin, als fehlt' es hier an Luft.

Margaretha (tanzend in höchster Ekstase).
Sprich's aus! Sprich's aus! Schon lange horch' ich auf!
Was säumst du? (Zu Golo.) Kannst du beten? Bete doch!

(Sie fällt um.)

Siegfried (vor dem Spiegel).
Was? Habt Ihr keine Augen, schöne Frau?
Bursch, du bist keck! Ein Kuß auf ihre Hand!
Ich küß' die Hand nicht wieder. Seid Ihr stumm,
Daß Ihr nicht scheltet, Genoveva? Ha!
Du neigst dich auf ihn nieder? Wie er grinst!
Sie – o Verfluchte! Er wird rot, sie nicht!
Nun, das ist deutlich! Merkt er's nicht, mein Freund?
Er sieht sich um. Weshalb? Ich bin im Krieg!
Jetzt wieder solch ein Engelsangesicht?
Recht, Blattern-Drago, recht! Nun machst du's recht!

Margaretha (hat sich inzwischen wieder erhoben und sich hinter Siegfried gestellt).
Ich gratulier' Euch herzlich, edler Herr!
Ihr guckt umsonst. Grüßt Eure Frau von mir!
        (Sie sieht ihm über die Schulter.)
Was seh' ich!

Siegfried (tritt vor sie).
                        Solch ein Bursche!

Margaretha.                                           Ja, das ist
Der Kaiser nicht!

Siegfried (wütend).       Und wär's der Kaiser auch –

Margaretha. Nun, dann bezahlte sie den Fehltritt Euch
Mit einem Prinzen, und das wär' genug!
Wie steht's denn nun? (Sie sieht ihm wieder über die Schulter.)
                                    Hinweg!

Siegfried (tritt in starrer Wut vom Spiegel zurück). Der Teufel hat
Es angestiftet. Gern vergeb' ich's ihm.
Der Teufel ist's ja auch, der mir's verrät!

Margaretha. In Eurem Antlitz les' ich nicht das Wort,
Das, spricht der Mensch es aus, zum Gott ihn macht.
Du armes Weib! Wer weiß! Der Teufel ist
Der Mann der Wahrheit nicht. Ich prüfe ihn
Und riegele der Zukunft Pforten auf!
        (Kurze, stumme Beschwörung, dann blickt sie in den Kristall.)
Kristall! Verfluchter! Dich zerschlag' ich noch!
Du zeigst die schöne Frau mir ohne Kopf!
Was? Gleich den ganzen Kopf herunterhaun,
Bloß, weil der Mund ein wenig sündigte?
Was taten denn die Augen, und was tat
Der schlanke weiße Hals, den man zerschnitt!
        (Zu Siegfried.)
Macht ihn zum Lügner, Herr! Die Zukunft hängt
Von Euch allein in diesem Fall ja ab!
Und wird die Zukunft anders, als er sie
Gezeigt, was ist dann die Vergangenheit?
        (Sie rast, von der dämonischen Gewalt ergriffen, umher.)
Die Fenster auf! Die Türen auf! Hinaus!
Mich hebt's! Mich trägt's! Wohin? Ich fliege fort!

(Sie blickt in den Spiegel; statt ihres Bildes grinst ihr eine Teufelslarve entgegen.)

Weh! Weh!
Das ist ja nicht mein Bild! Das ist er selbst!
Heraus! Heraus! Mein Leib ist nicht dein Haus!
        (Sie schlägt sich.)
Ich tu' mir weh, damit du's fühlst und weichst!
        (Sie schaut wieder hinein.)
Der Teufel! Noch der Teufel! O! O! O!

(Sie fällt leblos zu Boden; alle Lichter erlöschen; von Margaretha geht ein rotes Leichten aus)

Golo (will reden und kann nicht).

Siegfried (hat von allem nichts bemerkt; schnallt sein Schwert ab und geht auf Golo zu).
Nimm dies mein Schwert. Gibt mir das deinige!
Du weißt, wozu!

Golo.                           Herr!

Siegfried.                               Töten sollst du sie,
Und widerruf' ich den Befehl, mich selbst.
Mein schnellstes Roß, gesattelt und gezäumt,
Steht schon bereit. Besteig's und reite gut!
Eilt' ich dir nach, und holte ich dich ein –
Ich hoffe, daß es nicht geschehen wird –
Dann zieh! – Du schweigst! Bei meinem Zorn! – Dann zieh,
Und haue, eh' das Wort, das mich entehrt,
Der Lippe noch entflieht, mich in den Sand.

Golo. Das Kind –

Siegfried.               Des Drago Bastard? Frägst du noch?
Und hätt' ich selbst von ihr ein Kind – hinab!
Der Sohn, damit er nicht betrogen wird,
Die Tochter, daß sie nicht betrügen kann!
Ihr Quellen der Natur! Ich kann Euch nicht
Verstopfen! (Zu Golo.) Nimm den Siegelring! Doch auch
Auf mich ist mitgerechnet! Alter Ahn,
Vergib, in mir erlischt dein Nam' und Stamm!

Margaretha (schüttelt sich; sie will sich erheben, aber sie füllt wieder zurück, sie will reden und kann nicht).

Siegfried (zu Golo). Du bist noch da? Fort, sag' ich, Knecht! Verzieh!

Golo. Ich werde tun, was Euch gefallen wird.

Siegfried. Zehn Worte sind zehn Todsünden! Fort!

Golo (ab).

Siegfried. Teufel, merk' auf! Stellst du den Drago mir
Auf eine kleine halbe Stunde nur
In Fleisch und Blut leibhaftig wieder her,
Daß ich – mich selbst verschreib' ich dir dafür
Mit Leib und Seel' und ding' kein Haar dir ab!
Mit Zähnen aus dem Grabe könnt' ich ihn –
Warum? War er's nicht, war's ein anderer!
Schlaf, Bursche, schlaf! Wohin die Schlechteste
Sich kaum verirrt, da fing sie an,
Ganz unten; tiefer sank noch nie ein Weib!
Und daß sie's trug, als sie ihn wieder sah,
Daß sie sich nicht mit ihrer eignen Hand
Erwürgte, als der ekle Rausch entfloh!
Erbärmlich! Horch! Ein Roß! Das meine erst?
Schnell, Golo, schnell! Die Peitsche reich' ich dir! (Ab.)

Margaretha (erhebt sich halb und bleibt auf den Knien liegen).
Verstrickt! Erstickt! Die Gurgel zugedrückt!
Ein Aderlaß! Ein Aderlaß! (Sie beißt sich eine Ader auf.)
                                            Ist's Blut,
Ist's Feuer, was hervorspringt? Wasser! Luft!
Noch lebe ich! Noch hab' ich drauf ein Recht!
Trink! Atme! weil du kannst, denn bald ist's aus!
Dann kommt's! Dann kommt's! Du armes Menschenkind!
Von Flammen angezehrt! Nie aufgezehrt!
Die Ewigkeit hindurch! Die Ewigkeit!
Und selbst im Auge nicht den Tropfen mehr,
Der deine Wimper vor dem Glutbrand schützt!
O, wär' ich noch einmal ein Kind! Ein Kind!
War ich denn wirklich einst ein Kind? (Sie nickt.) Ein Kind!
Im Mutterarm ein Kind! Und jetzt? O Gott!

Ein Donnerschlag. Der Geist des Drago steigt aus der Erde hervor.

Margaretha (springt auf).
Wer ruft dich, Geist?

Geist.                                 Mich sendet Gott an dich!

Margaretha. Entweich! Ich hör' ihn nicht!

Geist.                                                         Du riefst ihn an!
Und er gebietet dir durch meinen Mund:
In sieben Jahren, keinen Tag zu früh,
Und keinen Tag zu spät, erhebst du dich,
Stellst dich dem Grafen Siegfried, mußt du auch,
Eh' du ihn findest, hundert Meilen gehn,
Machst ihn, an dem zumeist du freveltest,
Zu deinem zorn'gen Richter und bekennst.
Du selbst verklagst dich jeder Missetat,
Die, schaust du rückwärts, dir entgegengrinst,
Du selber richtest dir den Holzstoß auf,
Du selber schürst ihn an und springst hinein!

Margaretha (schaudernd, sich am Tisch lehnend).
Und – da – für?

Geist.                         Dafür hast du keinen Dank!

Margaretha. Das lügst du, denn du bist ergrimmt auf mich!

Geist. Ich kenne die nicht mehr, die gegen mich
Gesündigt, die nur, die ich selbst gekränkt.
Wohl mir, wenn mir was zu vergeben blieb!

Margaretha. Gehorchend trotz' ich. Ja, ich will's gestehn,
Doch nicht nach sieben Jahren, morgen schon,
Damit Er, der mich zwingt, zum Lügner wird.
Warum auch nicht? Schon morgen ist's zu spät,
Um sie zu retten, aber nicht zu früh,
Auch ihm ins Herz zu setzen einen Wurm.
Kenn' ich ihn recht, so stürzt er, eh' er sich
Noch an mir rächen kann, schon leblos hin,
Und machte er den Henker auch an mir,
Was tut's? Ein Feuer wird mir dann erspart.

Geist. Die Zeit ist um, wo der befleckte Ball
Der Erde neu entsündigt werden muß,
Wenn nicht der Donner aus der Hand des Herrn,
Die schon sich hob, zermalmend fallen soll.
Er tat im Anbeginn den Gnadenschwur,
Daß er das arme menschliche Geschlecht
Nie tilgen will, wenn alle tausend Jahr
Auch nur ein Einziger vor ihm besteht.
Auf Genoveva schaut sein Auge jetzt
Herab und sieht die andern alle nicht;
In sieben langen, langen Jahren wird
Sie dulden, was ein Mensch nur dulden kann.
Ich seh's mit Schaudern, und ich sah doch auch
Von fern die Krone schon, die ihrer harrt.
Dann endlich ist die Zeit der Prüfung aus,
Still geht sie ein zur ew'gen Herrlichkeit,
Und ein Gefühl erneuter Zuversicht
Durchdringt belebend jede Menschenbrust.
Du aber reinigst ihr beflecktes Bild,
Damit die Welt die neue Heilige
Erkennt und preist, zu der sie beten soll.
Nicht früher tust du's, später tust du's nicht!
Eröffnest du aufrührerisch den Mund
Vor dem bestimmten Tag, so wirst du stumm,
Und lahm, wenn du durch Zeichen reden willst!

Margaretha. Stumm! Lahm! Dann töt' ich mich!

Geist.                                                                 Versuch' es nicht!
In Flammen wirst du Salamander sein!
Im Wasser Fisch! Im Schoß der Erde Wurm!
Und gegen Stahl und Eisen, wie von Stein!
Ein andrer kommt. Ich geh'!

(Der Geist sinkt in die Erde.)

Margaretha (lacht).                     Noch sieben Jahr!
Triumph! Auf, Heil'ge, in den Kampf mit mir!
Schaut er auf dich – er soll auch schaun auf mich!
        (Gegen die Erde.)
Du! Du! Verschwende nichts! Zieh dich zurück
Aus allen, welche dein sind, außer mir,
Und mach' aus mir der Hölle Mittelpunkt,
Den einz'gen Schlund, wodurch du Feuer speist!
Laß all dein Denken gehn durch mein Gehirn;
Laß, was geschehen soll, durch mich geschehn,
Und spare nichts mehr für die Zukunft auf,
Daß Er, der Sie und Mich betrachtend wägt,
Die Wage von sich schleudert, und zugleich
Den Blitz, der mehr, als eine Welt vertilgt.

(Sie steht hoch aufgerichtet da. Flammen zucken und beleuchten sie.)


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