Friedrich Hebbel
Genoveva
Friedrich Hebbel

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Erster Akt.

Saal im Schloß. Siegfried mit seinen Rittern, gerüstet. Im Hintergrund die Diener Caspar, Hans, Balthasar, Conrad. Ihm zur Seite Golo und Hildebrant. Man sieht durch die nach hinten geöffneten Fenster einen steil emporragenden Turm. In der Ferne Landschaft.

Erste Szene.

Siegfried (tritt vom offenen Fenster zurück).
Frisch ist's und kühl. Ein Schütteln, wie vor Frost,
In allen Bäumen. Und der Sonne Licht
So welk, so matt! Ein Morgen ist's, wo man
Zu Pferd muß. Ist denn alles jetzt bereit?

Hildebrant. Nichts fehlt, als Ihr. Mit ungeduld'gem Huf
Scharrt Euer Roß den Boden. Laufen wird's,
Wenn Ihr es auch nicht spornen mögt. Es friert.
Im Sattel sitzt schon Reisiger, wie Knecht,
Nur, daß der Arm der Liebe hie und da
Noch einen wieder sucht herabzuziehn.
Allein im Bügel hält der Bursch sich fest
Und lacht, um nicht zu weinen, beißt auch wohl
Die Zähn' zusammen, oder schilt und flucht.

Siegfried. Ein Beispiel für mich selbst. Dazu gehört
Der Mannskraft mehr, wie zu dem wild'sten Kampf.
Ich komm' mir hier, wie festgewachsen, vor.

Hildebrant. Deß schämt Euch nimmermehr, vieledler Graf!
Wenn ich mein Weib verließ, so war mir's stets,
Als würd' ich mitten durchgehaun. Zwar pfiff
Ich nach dem Abschied oft ein lustig Lied,
Doch so, wie jener, der die Geige strich,
Da man ihn führte in den bittren Tod.

Siegfried. Ihr, Golo, steht abseits?

Golo.                                              Ich sinne nach,
Worin ich schlechter, als die andern bin
Und kann's nicht finden, Herr.

Siegfried.                                         Das glaub' ich Euch!

Golo. Ich reit', wie einer –

Siegfried.                           Ja, und stürzt dein Pferd,
So stehst du eher auf noch, als das Tier,
Und lachst. Wir andern brechen Hals und Bein.

Golo. Ich fecht' –

Siegfried.             Wie keiner. Edelherzig lehrst
Du jeden Gegner, wie er's machen soll.
Nur, leider, frommt die Lektion ihm nicht,
Weil er sie mit dem Tod bezahlen muß.

Golo. Ich ziele –

Siegfried.           Ja, und triffst, was niemand gern
Getroffen sieht: im Aug' das Weiße, und
Zugleich das Hirn mit, das dahinter liegt.

Golo. Ihr zwingt mich, Herr, mich selbst zu loben. Kann
Ich alles das – warum denn bleib' ich hier?
Meint Ihr vielleicht, ich sei ein schlecht'rer Christ,
Wie andre, weil ich besser sing', als sie?
Ich sage Euch, ich mag auf gar kein Wild
Anlegen mehr, seit ich von Mohren weiß.
Schien nicht der Eber, den ich gestern schoß,
Ein trotz'ger, ausgemachter Heide mir:
Er blieb verschont, so feist und dick er war.
Denn billig spart man gegen Christi Feind
Die Pfeile, die man zu verschießen hat.
Ich bitt' Euch, laßt mich nicht zurück. Denn seht:
Durch Fasten und durch Beten werd' ich nie
Die Himmelstür mir öffnen. Dazu fehlt's
An Gaben mir. Ich schickte aber gern
Für jede Sünde, welche ich beging,
Zur Hölle einen Mohren. Nehmt mich mit.
Verzug gibt's meinetwegen nicht. Ich bin
Bereit, wie Ihr, hab' zeitig vorgesorgt.
Könnt Ihr mich denn nicht brauchen? Scheint mein Arm
Euch überflüssig, daß Ihr ihn verschmäht,
Ich laß es mir gefallen, wenn Ihr nur
Bedenkt, wie meine Kehl' Euch taugen kann.
Ei! Wenn Ihr abends liegt in Eurem Zelt:
So finster ist's, als würd' es nie mehr Tag,
Müd' sind die Glieder, doch es wacht das Herz
Und tritt nach Haus die lange Reise an –
Dann will ich meinen Harnisch von mir tun,
Den rasselnden, und will mich jüngferlich
Euch nahn und Euch mit Genovevas Ton
Zulispeln: lieber Siegfried! Greift Ihr dann
Nach meiner Hand, so lach' ich, doch nicht laut,
Und sing' von ihren Augen Euch ein Lied,
Und sing' so lange, bis Ihr sprecht: Du Schelm,
Meinst du, das Feuer brennt nicht hell genug?
Nicht wahr, ich bleibe nicht zurück? Ihr habt
Mich oft gescholten wegen Übermuts:
Wohlan, Herr, nehmt mich mit ins Feld, daß ich
Bescheidenheit erlerne, wenn ich Euch
Zu Dutzenden die Mohren mähen seh';
Und selbst als Stümper Euch zur Seite steh'.

Siegfried (für sich). Der ist ein Mann geworden über Nacht
Und blieb ein Kind dabei. Wie lieb' ich das!
Zu jung zum Bruder, und zu alt zum Sohn,
Gilt er als Sohn und Bruder mir zugleich,
Drum halt' ich ihn, wie keinen andern, hoch.
Doch, eben darum laß ich ihn zurück.
(Zu Golo.) Golo, dem Besten nur vertraut der Mann
Sein Bestes an, und der seid Ihr. Ihr bleibt
Und nehmt mein Weib in Obdach und in Schutz.
        (Zu den Dienern.)
Sobald das Burgtor hinter mir sich schloß,
Seht Ihr in ihm den unumschränkten Herrn,
Und dient ihm so, wie Ihr mir selbst gedient!
(Zu Golo.) Wenn mir zu Liebe Ihr auf Taten jetzt
Verzichtet, ist's nicht Eure schlechtste Tat,
Und seid gewiß, es kommt auch Euer Tag!

Golo. Ich dank' Euch dies Vertrauen, edler Graf,
Nur wüßt' ich gern, wie ich – jetzt beten soll.
»Gib mir, o Gott, Gelegenheit, daß ich's
Verdiene?« Nein, das geht nicht, denn das heißt:
Stürz' die Gebieterin in Not und Tod,
Damit ihr Knecht sie draus befreien kann.
»Nimm sie in deine Hut?« Zum Teufel, nein!
Das geht noch weniger. Das heißt: nimm mir
Die Mühe ab, und laß mich schlafen gehn,
Ich tat ja schon genug, ich aß und trank,
Bis ich fünf Fuß maß, und mein Schatten zwölf!

Siegfried. Ich lächle deinen Reden, junger Tor,
Obgleich das Herz mir in der Brust fast springt.
Doch jetzt verlaß mich! Einen Augenblick!
Gleich bin ich bei euch!
        (Alle entfernen sich; er ruft ihnen nach:)
                                      Zögre ich zu sehr,
So ruft mich mit Trompetenklängen ab.
Ich glaub' ein Mann zu sein, was es auch gilt,
Nur, wenn's zum Scheiden geht, bin ich es nicht,
Da geiz' ich nach dem tiefsten Schmerz, wie nie
Nach Lust, da bohr' ich mich in Leid und Qual
Hinein, wie Bienen in den Blütenkelch,
Und dann erst, wenn ich, zwischen meinem Weh
Und dem des andern stehend, wählen kann,
In welchem Abgrund ich versinken will,
Besinne ich mich wieder auf mich selbst,
Und reiße mich, als wär's vom Leben, los.

Zweite Szene.

Genoveva tritt auf.

Genoveva. Weh, mein Gemahl!

Siegfried.                                    Was ist dir, teures Weib?

Genoveva. Du bist schon ganz gerüstet!

Siegfried.                                                 Es ist Zeit!

Genoveva. Den Helm nimm ab!

Siegfried.                                     Warum?

Genoveva.                                                 Und auch des Schwerts
Entgürte dich!

Siegfried.                 Mißfällt dir Helm und Schwert?

Genoveva. O nein! Ich will nur so viel arme Zeit
Noch für mich retten, als du brauchen wirst,
Die beiden ab- und wieder anzutun!

Siegfried (legt Helm und Schwert ab).
Du Liebliche, wie steht es dir so schön,
Daß du dich menschlich sorgst ums Menschliche.
Mir deucht, in dieser Angst, die sich nicht mehr
Verbergen kann, noch will, vollendet sich
Dein Bild, indem sie rührend es umgrenzt.
Daß ich die Schwäche dir bekenne: oft
Hab' ich gewünscht, auf einem Augenblick
Der Ungeduld, des Zorns, der Leidenschaft
Dich zu ertappen, aber stets umsonst.
Als deiner Mutter Tod so plötzlich uns
Ward angesagt, und du zusammenbrachst,
Bewußtlos niedersinkend, aber erst
Die Händ' noch faltend – sieh, da weint' ich still,
Weil ich's verehren mußte, was ich sah,
Und doch verflucht' ich fast die Möglichkeit.
Ein holdes Wunder schienst du mir zu sein,
Das, wie ein Vogel wohl die Flügel netzt,
Nur gaukelnd sich in Fleisch und Blut versenkt,
Und das, in unverlornen Adels Kraft,
Mit allem Ernst der Zeitlichkeit nur spielt,
Weil es sich schwingen kann, sobald es mag.

Genoveva. Ich bin ein Weib. Ein Weib verhüllt den Schmerz,
Denn er ist häßlich und befleckt die Welt.
Ich bin ein Mensch. Nicht jammern darf ein Mensch,
Seitdem am Kreuz der Heiland stumm verblich.
Drum in der Brust begrab' ich still mein Weh,
Wie man mich selbst, bin ich einst tot, begräbt.

Siegfried. Mir deucht, ich tu' ins Allerheiligste
Mit aufgeschloßnen Augen einen Blick.
Dies fehlt dem Mann noch, wenn ihm nichts mehr fehlt,
Daß er das Weib nicht kennt, so wie sie ist.
Sie bildet aus sich selbst, was er umsonst
Aus äußerm Lebensstoff zu bilden sucht,
Drum ist sie auch sich selbst nur untertan,
Er jedem Element, das ihn umgibt.

Genoveva. Mein Siegfried! Deine Reden fass' ich wohl,
Doch Tränen sind's, die mir ihr Sinn entpreßt.
Du scheidest jetzt, und nimmst in deinem Schmerz
Den Kranz dir ab und drückst ihn mir aufs Haupt.
Mir aber fällt dabei mit Schaudern ein,
Daß man die Toten so bekränzt und schmückt,
Weil man es weiß, daß man sie nie mehr sieht.

(Ein Trompetenstoß)

Siegfried. Sie rufen mich!

Genoveva (fällt ihm um den Hals)
                                  Gefangen nehm' ich dich!
Sag', hast du's wohl gefühlt, wie ich dich stets
Geliebt? Nur selten hab' ich's dir gezeigt,
Hab' oft den Kuß noch, den du raubtest, halb
Zurückgehalten, und ihn Gott geweiht,
Als Zoll des Danks für unsern schönen Bund.
Die ganze Ewigkeit, so schien es mir,
Stand vor uns, um uns ineinander tief
Und immer tiefer zu verlieren. Sieh,
Da zögert' ich, wie einer, der am Quell
Den heißen Durst zu löschen noch sich wehrt.
Jetzt aber krampft gewaltsam sich mein Herz,
Mir ist, als wäre dieser Augenblick,
Der schwindet, wie ich rede, nur noch mein,
Als müßt' ich all mein Lieben, alles, was
Auch jetzt ins Innre noch zurückweicht, schnell
Dir bieten, wie den Abschiedskuß, und ach,
Dazu ist solch ein Augenblick zu kurz!

Siegfried. Verstumme nicht! Laß mich ihn ganz und voll
Genießen, diesen köstlichen Moment!
Verbirg errötend nicht an meiner Brust
Dein Angesicht, es ist der Widerstrahl
Von allem, was auf Erden göttlich ist.
Drück' nicht mit deinem Mund den meinen zu,
Ich habe keinen Raum für dies Gefühl,
Ausatmen muß ich's, wie die Luft, die mich
Erquickt, doch festgehalten mich erstickt.
Mir deucht, erst heut hast du dich mir vermählt!
Wie preis' ich diesen Tag, der alles mir
Zu nehmen drohte, und mir alles bringt!
Wie, wenn die Erd' in ihren Vesten bebt,
Wenn Feuerflammen fahren aus dem Grund,
Zugleich ein Quell hervorbricht, der sie löscht,
Und der nun ewig unversiegbar fließt,
Sie ist es mir geschehn! Ich danke dir!

Genoveva. Ich aber fühl' mich jetzt so arm, so arm!
Als ein Geheimnis, kaum mir selbst bekannt,
Durchs Leben tragen wollte ich mein Herz!
Erst in der dunklen Stunde, wo mein Grab
Sich auftut, wollt' ich's öffnen gegen dich,
Da wollt' ich sprechen: sieh, so liebt' ich dich,
Und hab's dir nie gesagt, nun kann ich auch
Beim letzten Abschied dich erfreun, wie nie.
Dann wollt' ich dich umarmend zu mir ziehn,
Und, eine Braut, die Weib geworden ist
Und sich's noch selbst verhehlt, hinüber fliehn
Und denken: sei getrost, nun folgt er bald.
In diesem meinem Ringen mit der Macht
Der starken Stunden um mein heimlich Gut
Hab' ich mich schmerzlich glücklich stets gefühlt.
Ich hab's bewahrt, wenn deine Zärtlichkeit
Die Seel' schon auf die Lippen mir gelockt,
Ich hab's zurückgehalten, als du jüngst
An deiner Wunde still darniederlagst,
Und, deinen Schmerz bezwingend, lächeltest,
Damit ich nur nicht weinte. Wehe mir!
Nun habe ich im Tod nichts mehr für dich,
Nun hab' ich nichts mehr, das dich in der Nacht
Mir nachziehn wird, wenn mich ihr Schatten deckt.

Siegfried. Mit Wollust hör' ich dich, doch auch mit Angst,
Du bist, wie eine Ader, die zerspringt:
Heiß stürzt der rote Lebensstrom hervor,
Doch er erstarrt, so wie er sich befreit.
Von innrem Frost wird deine Wange blaß,
Dein Auge brennt, erlöschend flammst du selbst
Drin auf, als wär's in Scheiterhaufens Glut.
O Böse! Daß du noch im Tod mich liebst,
Du willst mir's doch nicht zeigen durch den Tod?
Viel lieber will ich, zweifelnd für und für,
Noch um dich werben, wie ich lange warb,
Mich mit den Helden messen, die man preist,
Und mir von dem, der deiner würd'ger ist,
Den Tod ertrotzen im Verzweiflungskampf.

(Trompetenstoß. Golo tritt auf. Er bleibt im Hintergrund stehen.)

Genoveva. Du ziehst hinaus jetzt in den blut'gen Streit,
Jedwedes Eisen, das ein Heide schliff,
Jedweder Pfeil kann deine Brust bedrohn,
Und dennoch, dennoch fürcht' ich nicht für dich,
Ich fürcht' nur für mich selbst, – nur für mein Kind!
Geh, Siegfried, geh, was hab' ich da gesagt!
Sonst ward ich in der Dämmrung glühend-heiß,
Dacht' ich: die Stunde kömmt, wo er dich fragt;
Jetzt sprech' ich's aus, und es ist lichter Tag.

Siegfried. O Genoveva, wende dich nicht ab!
Willst du's bereun, daß du mich selig machst?

Genoveva. Und macht's dich selig, daß dein armes Kind,
Wenn es nun ein ins kalte Dasein tritt,
Des Vaters ersten Blick, den segnenden,
Entbehren muß, der es mit aller Glut
Der tiefsten Liebe überströmen soll?
O, wie die Taufe für den Himmel weiht,
Das Böse bannend, das uns rings umspinnt,
So weiht, mit Wunderkraft geheimnisvoll
Begabt, für's ird'sche Leben solch ein Blick.
Weh mir! Ein Auge, fremd und lieblos, wird
Mein Kind begrüßen, ja, ich weiß vielleicht
Nicht einmal, ob's noch einen Vater hat.
O Siegfried, geh! Geh, teurer Freund! Der Schmerz
Ringt um mein Selbst mit mir. Noch halt' ich's fest!
Doch zögerst du, so fleh' ich dich vielleicht,
Auf meine Kniee stürzend: nimm mich mit!

(Siegfried umarmt sie.)

Golo (im Hintergrund).
Von Bildern spricht man, heilig-fremd und kalt,
Wovor man alle Sünden doppelt fühlt,
Daß sie, die Gläub'gen sahn es schaudernd an,
Geseufzt, geweint, geächzt und Blut geschwitzt.
Mir deucht, ein solches Wunder seh' ich hier,
Denn Genoveva, der ich selten nur
Ins Aug' zu schauen wagte, weil, so oft
Ich's tat, ein Licht durch meine Seele fuhr,
Das mich erröten machte vor mir selbst;
Ja, weil ihr Auge mir ein Spiegel schien,
So rein, daß alles drin zum Flecken ward;
Dieselbe Genoveva liebt und weint,
Sie ist ein Weib! Sie ist ein Weib, wie keins!

(Drei heftige Trompetenstöße.)

Siegfried. Ich bin's, der geht. So muß denn ich's auch sein,
Der diesen Abschied endet. Lebe wohl!
(Für sich.) Ein Mann muß scheiden, eh' ins Auge ihm
Die Tränen treten. Das geschieht wohl bald.

Golo (im Hintergrund).
Ich werd' dich hassen, wenn dir das gelingt!
Ha! Willst du sie erniedrigen? Soll sie
Erkennen, daß du kälter bist, als sie,
Und drob erstarren, wie ein Quell erstarrt,
Der sich, wenn's draußen friert, ans Licht getraut?
Kein Mann zu sein, das ist jetzt deine Pflicht,
Nun sie gewagt hat, ganz ein Weib zu sein!
Läg' ich, wie du, an ihrer keuschen Brust,
Ich schiede nie, und spottete man mein,
Ich würd' es lächelnd dulden, mir wär's recht,
Ihr meinen Wert und meine Würdigkeit
Durch Opfer darzutun, die keiner bringt.
O Liebe, niemals hab' ich dich erkannt,
Doch jetzt erkenne ich dein heilig Recht!
Du bist's, die diese kalte spröde Welt
Durchflammen, schmelzen und verzehren soll!
Du bist nicht Leben, du bist Tod, ja Tod!
Du bist des Todes schönste, höchste Form,
Die einzige, die gibt, indem sie nimmt!
Dir widerstehen, heißt den Kampf mit Gott
Und mit dem Weltgeheimnis einzugehn,
Du sollst vertilgen, was nicht ewig ist,
Doch nie wird Märt'rer, wer den Holzstoß löscht!

Siegfried. Ein Baum ist besser dran doch, wie ein Mensch:
Man reißt ihn aus, vom Menschen wird verlangt,
Daß er es selber tu! Was sinnest du?

Genoveva. Ich denk', daß es im Krieg viel Wunden gibt,
Und daß ich Wunden gut verbinden kann.

Golo (im Hintergrund). Ich möchte gleich mich hauen in den Arm.

Siegfried. Ich aber sinne nach, was besser ist:
Ein letztes Wort, ein letzter Kuß. Man kann
Von beiden eines nur haben. Wähle du!

Genoveva (umarmt und küßt Siegfried).

Golo. O, wie sie küßt! Man fühlt's, indem man's sieht.
Ich trenne sie, denn ihm gebührt kein Kuß!
        (Er tritt hervor.)

Siegfried (setzt den Helm auf).

Genoveva (fällt in Ohnmacht).

(Golo und Siegfried springen hinzu; Golo fängt sie auf.)

Golo. Ihr hattet recht, Herr Graf, es muß von uns
Hier einer bleiben!

Siegfried (will Genoveva küssen).

Golo (wehrt ihn ab).         Laßt! Ihr weckt sie auf.
Dann hält sie Euch!

Siegfried.                       Und hat noch einmal ihn,
Den Schmerz, dem jetzt die Ohnmacht sie entzieht.
Ich geh'!

Golo.               Ihr seid ein Held!

Siegfried.                                     Bei Gott, dies ist
Ein Heldenstück, wie ich noch keins bestand.
Leb wohl und schütze sie! Leb wohl, mein Weib!

(Mit einem Blick auf Genoveva ab. Bald hört man hinter der Szene lustiges Trompetengeschmetter.)

Golo. Sie liegt im Arm mir, wie im Sarg. Er schleicht
Sich, wie ein Mörder, von der Toten weg.
O, ganz zurückgewichen ist sie jetzt
In die bewußtlos-fromme Majestät
Der Kindlichkeit, der sie ihr Schmerz entriß!
O weiße Ros', die von der roten träumt,
Und die der Traum mit sanfter Glut durchhaucht!
Erwachend wird's ihr sein, als ob sie sich
Geflüchtet hätt' aus einer Feuersbrunst,
Die sie im Beten unterbracht!
Jetzt steht sie zweifelnd zwischen dieser Welt
Und zwischen jener, gastlich offen sind
Die Pforten beider, jede wirbt um sie
Und zeigt ihr alles, was sie Schönes hat.
Stirbt sie – ich will nicht knirschen! Doch, sie seufzt,
Das holde Fieber, was man Leben nennt,
Es kehrt zurück, der dunkle Born des Seins
Entläßt auf's neu' die innern Strömungen,
Und auf die Lippen tritt das erste Rot.
O Lippen, süße Lippen! Wer euch küßt,
Der stiehlt sich hier die ew'ge Seligkeit,
Denn nie, o nie! verglüht ein solcher Kuß.
Ich könnt' es tun! Die heil'gen Augen stehn
Noch nicht, wie Cherubime mit dem Schwert,
Abwehrend vor dem roten Paradies.
Ich muß, ich will sie küssen, und mich dann,
Vor Wonne zitternd, von dem steilsten Hang
Hinunterstürzen in des Abgrunds Nacht.
        (Er küßt sie.)

Genoveva (umarmt ihn).
Mein Siegfried!

Golo.                         Siegfried!

Genoveva (stößt ihn fort).           Weg! Wer bist du, Mensch!

Golo. Ich glaube, ich bin Golo.

Genoveva.                                 Golo – Ihr?
Wie kam ich denn in Euren Arm?

Golo.                                                     Der Graf,
Herr Siegfried, Eu'r Gemahl, legt' Euch hinein.

Genoveva. So ist er fort!

Golo.                                 Jawohl, als Ihr vor Schmerz
In Ohnmacht sankt, da eilt' er schnell hinweg.
Euch zu erwecken, hatt' er nicht die Zeit.
(Für sich.)Wer spricht aus mir? Ich nicht! Schweig, böser Geist!

Genoveva. Mir war, als weckt' er mich mit einem Kuß.

Golo. Ich schwör' Euch zu, er hat Euch nicht geküßt.
Er wagt' es nicht, er hatte Angst, daß Ihr
Zu früh erwachtet, und das wollt' er nicht.
(Für sich.) Ich hab' ihm nichts geraubt, der Kuß ist sein!
(Zu ihr.) Vielleicht, daß er in Ohnmacht fiel, wie Ihr,
Und daß die Geister, aus der Leiber Haft
Fortstürmend, feurig sich begegneten.
        (Leise und verschämt.)
War er denn heiß, der Kuß, den Ihr gefühlt?
(Für sich.) Ha, er war so, wie Morgens ihn ein Kind
Mit glühndem Mund auf junge Rosen drückt,
Schnell abgebrochen, keinen Tropfen Taus,
Verschüttend, heilig, wie nur je ein Kuß!

Genoveva. O schwache Sinne, daß Ihr rißt, bevor
Euch noch das Bitterste geboten ward.
Nun hört' ich nicht des Liebsten letzten Gruß.

Golo. Wohl Euch! Ihr hörtet auch den Hufschlag nicht
Des Rosses, das ihn rasch von dannen trug!
(Für sich.) Und saht nicht, daß er ohne Tränen schied.

Genoveva. Der soll der Wertste mir vor allen sein,
Der ihn zuletzt gesehn. Seid Ihr's?

Golo.                                                     Ich sah
Ihm durch dies Fenster nach. Er hatte Eil'!
Er schaute nicht zu Euch und mir hinauf.

Genoveva. Er hat es nicht gewagt. Er hat gedacht,
Ich könnt' am Fenster stehn, und, gar zu schwach,
Zurück ihn winken. Doch, ich kenne mich,
Das hätt' ich nimmer, nimmermehr getan!

Dritte Szene.

Drago tritt ein.

Drago. Verzeiht mir, daß ich komme, edle Frau,
Ich bringe Euch den letzten Gruß des Herrn.

Genoveva. So bist du mir von jetzt der Werteste!

Drago. Ich schlich mich früh am Morgen aus der Burg,
Ging eine Viertelstund' und harrte sein,
Am Wege, hinter ein Gebüsch versteckt.
Und als er nun dahergezogen kam,
Der letzte, all die andern weit voraus,
Da trat ich vor und sprach: Vieledler Graf,
Habt Ihr an Genoveva noch ein Wort?
Vielleicht vergaßt Ihr etwa; tragt mir's auf,
Damit ich es bestellte, kam ich her.
Er sprang vom Roß, und hätt' ich nicht gewehrt,
Er hätte mich geküßt, mein schlechter Mund
War ihm durch Euren Namen, wie geweiht.
Nun rief er: Sag' ihr, sag' ihr – was du siehst,
Und wandte sich, und schwang sich auf sein Roß;
Ich aber sah die große Träne wohl,
Die sich verschämt aus seinem Auge schlich.
Dann sprach er: Sag' ihr dieses noch einmal:
Sie soll in allem Golo sich vertraun!
Er führt an meiner Statt das Regiment,
Denk' ich an ihn, so wird mir leicht ums Herz.
Nun trocknet' er sein Aug' und sprengte fort.

Golo. Er sprach: dächt' er an mich, so würd' ihm leicht,
Und trocknete sein Aug' und sprengte fort?

Drago. Er tat's!

Genoveva.         Schon gestern abend sprach er so,
Auch weiß ich es ja längst, wie Ihr ihn liebt,
Und wer ihn liebt, den lieb' auch ich!

Golo (will abgehen).                                     Verzeiht!

Genoveva. Ist Euch nicht wohl?

Golo.                                           Recht wohl! (Für sich.) Ich will nur sehn,
Ob nicht das Tor der Hölle offen steht.
(Laut.) Es haust da drüben, in und an dem Turm,
Verwünscht und häßlich, eine Dohlenbrut,
Durch Teufelsfarben und Gestalt den Tag
Entweihend, durch Gekrächz' die stille Nacht.
Längst hat der Graf das finstre Volk verflucht,
Doch hoffte er, daß wohl einmal der Sturm
Herunterfegen würde Nest für Nest.
Seit gestern siedeln sich auch Eulen an,
Es wird 'ne Wirtschaft, wie Beelzebubs,
Wenn man bei Zeiten nicht zu steuern sucht.
Der Sturm, so ernstlich er's auch meint, vermag
Nichts dran zu tun, drum muß ein Mensch hinauf.
Heut ist der Tag dazu, heut führ' ich's aus,
Wenn Eu'r Gemahl zu Hause kommt, so muß
Doch ihm zu Liebe was geschehen sein.

Drago. Herr Golo, wer den Schwindelrand des Turms
Umwandeln will, der bricht gewiß den Hals!

Golo. Das denk' ich auch! Ei, Narr, das denk' ich nicht!
Und wer es tut, verdient kein beßres Los,
Warum denn hat er's Klettern nicht erlernt?

Drago. Nur einer hat's bis diesen Tag versucht;
Noch sieht man an dem bröckelnden Gestein
Sein Blut, das seit Jahrhunderten der Wut
Des Wetters trotzt, weil es uns warnen soll.
Ihr kennt die Sage, daß ein grausam Weib
Einst einen Freier, der ihr lästig war,
Die Höh' erklimmen hieß, um dort für sie –
Ich weiß nicht was, zu tun. Den Knaben zeigt
Man früh den Ort, wo er zerschmettert sank,
Damit ihr Übermut sich zeitig bricht.

Golo. Mein Freund, man hat auch mit den Ort gezeigt;
Doch jener Ungeschickte, der den Turm
Verrufen machte, soll im Grabe heut
Erröten! (Will abgehen.)

Drago.             Gnäd'ge Frau, erlaubt es nicht!

Genoveva. Ihr werdet das nicht tun!

Golo.                                                   Ich muß! Ich muß!
O Heilige, halt' du mich nur nicht ab!
Bloß deinetwegen soll's geschehn! (Sich fassend.) Das heißt:
Dein holdes Auge soll nicht länger mehr
Beleidigt werden durch das Nachtgezücht;
Nein, weiße Tauben, morgenrot-beglänzt,
Sie sollen niederschaun vom Turm auf dich,
Wenn in der Früh' du zur Kapelle gehst,
Um für uns alle, die wie sündigten,
Durch dein Gebet dem Herrn genug zu tun.

Genoveva. Wenn Ihr nicht ablaßt – nie verzeih' ich's Euch!

Golo (für sich). Das heißt: sie will das beste, was ich tat,
Das beste, was ich tun kann, nie verzeihn!
(Zu ihr.) Es ist gar nichts. Bedenkt: dem Drago hier
Ist alles Wunder, was er selbst nicht kann!
Lebt wohl! (Im Abgehen.) Du aber, Gott, beschirm' mich nicht!
Ich fürcht' mich selbst, drum wend' ich mich an dich!
Brech' ich nicht Hals und Bein zu dieser Stund',
So leg' ich's aus: ich soll ein Schurke sein.

(Er geht schnell ab. Drago folgt ihm. Genoveva eilt mit einer Gebärde der Angst auf das Fenster zu, durch das man auf den Turm sieht.)


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