Friedrich Hebbel
Genoveva
Friedrich Hebbel

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Dritter Akt.

Erste Szene.

(Schloßraum. Links ein Garten. Rechts ein gewölbter Gang mit Aussicht auf das Tor.)
Margaretha und Katharina begegnen einander, jene aus dem Gang, diese aus dem Schlosse kommend.

Margaretha. Frau Katharina? Guten Tag!

Katharina.                                                 Weg! Weg!
Wer bist du? (Beiseite.) Scheusal!

Margaretha.                                           Keine Elster, die
Den eignen Namen nennt. Besinne dich!

Katharina. Ich kenn' dich nicht, und hab' dich nie gekannt!

Margaretha. Auch diese Narbe nicht auf meiner Stirn?

Katharina. Margretha! Schwester!

Margaretha.                                   Hi! Es ist doch gut,
Daß du als Kind mich schon gezeichnet hast!
Du weißt doch noch? Du warfst mir einen Stein
Ins Angesicht, weil ich den Apfel aß,
Der dir gehörte. Strömend floß mein Blut.
Ich weinte sehr, du weintest auch, weil du
Die Schläge fürchtetest von Vaters Hand,
Der, weil ich ihm so glich, mein Antlitz nicht
Entstellt sehn wollte. Damals war ich schön.

Katharina. Wie oft hab' ich gewünscht, noch einmal dich
Zu sehn, und nun –

Margaretha.                   Nun freut dich's nicht, nicht wahr?
O, sprich's nur aus! Es kann nicht anders sein!
Ich nehm's nicht krumm!

Katharina.                               Nun kommt's so unverhofft.

Margaretha. Ja, etwas früher, als im Beinhaus, wo
Geripp sich findet zum Geripp, wenn's glückt,
Das heißt, wenn nicht der Teufel mit der Seel'
Zugleich den Leib entführt.

Katharina.                                   Mir graust vor dir!

Margaretha. Ich habe mich verändert, das ist wahr.
Wir sehn uns, glaub' ich fast, zum letztenmal,
Als ich dir deinen roten Müllerknecht
An deinem eigenen Geburtstag still
Abspenstig machte und mit ihm entfloh.
Wie lang' ist das! Man wird doch wirklich alt!
Willst du den Galgen wissen, wo er hängt?

Katharina. Pfui! Pfui!

Margaretha.                 Du mußt doch hören, wie er starb,
Damit du weißt, was du an ihm verlorst.
Tot schlug er einen, für des Toten Geld
Betrank er sich, und in der Trunkenheit,
Besinnungslos, erzählt' er selbst den Mord,
Wie wohl ein Held von seinen Taten spricht,
Jedweden Schlag, den er mit seiner Faust
Geführt, beschreibend und mit manchem Fluch
Beteuernd, daß dies alles Wahrheit sei.
Ist das nicht lustig?

Katharina.                       Still! Ich bitte dich!

Margaretha. Nicht wahr, ich bin ein greulich Weib? (Beiseite.) Man wird's,
Wenn man sein Kind erst umgebracht, wie ich!

Zweite Szene.

Genoveva tritt auf.

Margaretha. Ist das die Gräfin, der du dienst?

Katharina.                                                         Jawohl!

Margaretha. Hochedle Gräfin! Wenn Ihr mich nicht ganz
Geblendet seht von Eurer Schönheit Licht,
So ist's, weil ich im Traum Euch schon erblickt,
Doch eine goldne Krone trugt Ihr da.

Genoveva (zu Katharina).
Wer ist die Alte?

Katharina (schnell).       Eine Pilgerin,
Seit zwanzig langen Jahren auf dem Weg
Zum heil'gen Grabe nach Jerusalem;
Jedoch der Böse, welcher mächtig ist,
Schlug mich mit Gliedergicht und Knochenpein,
So, daß ich selten von der Stelle kann!
        (Heimlich zu Katharina.)
Der Graf zog in den Heidenkrieg, nicht wahr?

(Katharina nickt.)
(Margaretha küßt Genoveva die Hand.)

Heil mir! nun kann ich sagen, daß mein Mund
Die schönste aller Hände hat geküßt.
Darf ich hineinschaun in die Hand? (Sie tut's.) O weh!
Ich nannt' Euch Gräfin! Ihr seid Königin!
Ihr staunt? Ja, ja! So ist's! Versteht mich nur!
Erst stirbt der Graf, dann wirbt der König (Mit Gebärden.) Ha!
Ihr seid schon Witwe! Sarg, hinab mit dir!
Dem Hochzeitsreigen stehst du breit im Weg!

Genoveva. Abscheuliche, du lügst!

Margaretha.                                     Ich seh's! Ich seh's!
Doch freilich sehe ich die Tränen auch,
Die züchtig Ihr um den Gemahl vergießt.
Sie werden strömen, bis der erste Blick
Euch zündend aus des Königs Auge trifft.
Vor dem vertrocknen sie.

Genoveva.                               Ich sag' dir: schweig!
Mein Herz erbebte schon, denn sterben kann
Herr Siegfried, kann es doppelt leicht im Krieg.
Doch, sähest du ihn eingesargt und tot,
So sähst du auch der Witwe ew'gen Gram.
Den zweiten Gatten wählen? Ganz so leicht
Den zweiten Vater, wenn es möglich wär'!
Nein, ist das Schwerste über mich verhängt,
So schau' ich von der Erde, die ihn deckt,
Nur noch zu Gott auf, der ihn einst erweckt.
Mir graut in deiner Nähe. (Zu Katharina.) Gib ihr schnell,
Was sie begehrt, und laß sie weiterziehn! (Ab.)

Margaretha. Das Alter, schöne Gräfin, steckt nicht an!
Die Jugend, leider, tut es auch nicht, sonst
Verfolgt' ich Euch. Die ist ja, wie ein Glas,
Worin ein Licht steht: hell und blank und rein.

Katharina. Sie ist dazu gemacht, daß man sich schämt,
Wenn man sie hört und sieht. Doch mir gefällt
Das nicht besonders. Wen ich lieben soll,
Der muß mit mir verwandt sein. Engel sind
Gar unbequeme Vettern.

Margaretha (reicht ihr die Hand).
                                        So ist's recht.

Katharina. Wo kommst du her?

Margaretha.                               Ich komm' von Heidelberg,
Und wenn ich lügen wollte, sagt' ich jetzt:
Ich komme, weil mein Herz zu dir mich trieb.
Doch nein, mein Schatz, ich komme gar nicht gern,
In jener kleinen Bergstadt ging mir's wohl,
Der Teufel hole die, die mich verjagt.

Katharina. Wer war's?

Margaretha.                   Ei, wer? Es war die ganze Stadt.
Natürlich trieb ich mancherlei Gewerb,
Zitierte Geister, stand Verliebten bei,
Verkaufte Tote an Lebendige;
Leichname an Doktoren, die mir gut
Bezahlten, was ich nachts dem Kirchhof stahl.
Verflucht! Ein totes Kind erwacht jüngst
Bei mir, die Augen riß es mächtig auf
Und griff mit seinen Händchen nach dem Kranz
Von kalten Blumen auf dem fahlen Haupt
Und stammelte mit schwerer Lipp' ein Wort.
Das war mir doch zu viel, ich floh entsetzt
Aus meiner Hütte, schrie das Wunder aus
Und faselte von Gott und jüngstem Tag.
Was folgte drauf? Die Nachbarn drangen ein,
Sie sahen, was sie längst geahnt, man zog
Als Leichenräuberin mich vor Gericht.
Dann – doch, was geht's dich an! Jetzt ziehe ich
Hinauf nach Straßburg! Wär' ich nur erst dort!
Man hat's von da zum Blocksberg freilich weit.
Was tut's, man kommt wohl hin. Ich reite gut,
Und du, ehrwürd'ge Schwester? Nun, du bist
Dem Kätzchen gleich, das nie das Haus verläßt,
Wo es geworfen ward. Ich wußte stets,
Wo du zu finden seiest, wenn ich gleich
In dreißig Jahren nichts von dir vernahm.

Dritte Szene.

Genoveva tritt wieder auf.

Katharina (zu Margaretha).
Fort! Spute dich! Die Gräfin kehrt zurück!
Wir sehn uns wohl zur Nacht noch.

Margaretha.                                           Meine Saat
Ist aufgegangen. Sei gewiß, sie will
Jetzt bei mir fragen nach dem Wie und Wo.

Katharina. Du irrst dich!

Genoveva (für sich).         Sie ist schlecht. Doch – sie ist alt.
Ich übereilte mich. Ich mach' es gut.
Sie soll, die erste, nicht von dannen ziehn,
Der ich nicht Speis' und Trank und Herberg' bot.
        (Sie nähert sich Margarethen und bleibt unentschlossen stehen.)

Margaretha (zu Katharina).
Siehst du? Sie ist verlegen. Nun, ich will
Es ihr erleichtern. Wie sie mit sich kämpft!
        (Sie faßt Genovevas Hand.)
Soll ich noch einmal lesen, edle Frau?

Genoveva (entreißt ihr die Hand).
Nein! Diesem Weibe bitte ich nichts ab!

(Sie wendet sich stolz und geht. Drago begegnet ihr. Genoveva bleibt vor Drago stehen.)

Katharina. Da hast du's!

Margaretha.                     Meinst du, daß es mich verdrießt?
Das nicht! Das nicht! Doch freilich merk' ich's mir.
Mich kitzelt's, wenn man schaudernd vor mir weicht,
Ich denke dann: Du hast ein Angesicht,
Das einst die Häscher dir verscheuchen wird,
Wenn sie zur Nacht mit ihren Stricken nahn.
        (Auf Genoveva und Drago deutend.)
Ei, wie vertraulich!

Katharina.                         Was denn?

Margaretha.                                         Weißt du nicht,
Warum ein Schwan so weiß ist? Daß man ihn
Mit Kot bewirft. Dann dient der Flügelschnee
Dazu, daß dunkler ihm die Flecken stehn,
Wie der gemeinen Gans!

Genoveva (zu Drago).             Ihr geht zu Bett,
Wenn ich nicht zürnen soll. Das Fieber hat
Euch zwar verlassen, doch Ihr seid noch schwach.
Tut's, Drago!

Drago.                   Wenn Ihr es durchaus so wollt!
(Für sich.) Ich steh' doch wieder auf!

Vierte Szene.

Golo tritt auf.

Genoveva (ruft ihm entgegen).                       Seht, Golo, doch
Auf diesen Kranken, dessen Arzt ich bin,
Und der mir nicht gehorchen will.

Golo.                                                     Das ist
Gar große Sünde. (Er zerpflückt eine Blume.)

Genoveva.                   Was zerreißt Ihr da?

Golo. Das erste Veilchen, das ich draußen fand.
Euch wollt' ich's bringen. Besser macht' ich's so!
Der Frühling macht das Leben wieder frei,
Nun regt sich's in der Erde, in der Luft,
Und wie man atmet, zieht man's ein; ich bin,
Wie einer, welchen man zum Trinken zwingt,
Und der im Rausch sich und die Welt verflucht.
Ich wollt', ich wär' der Tod!

Genoveva.                                     So zieht das Schwert!
Dies in der Hand, ist jeder Mann der Tod.
Nun, Drago?

(Drago geht ab; Genoveva ebenfalls.)

Margaretha (auf Golo deutend).
                      Diesen Jüngling zög' ich vor!
Doch, freilich, mit den Jungen hat's Gefahr,
Und mit den Alten treibt man's, wie man mag.

Katharina. Du sprichst hier Dinge, die du selbst nicht glaubst.

Margaretha. Ich zeig' dir nur, wie man die Unschuld würgt,
Wenn sie hochmütig ist. Und sei gewiß:
Die Tugend ist ganz, wie ein andrer Staat,
In den der eitle Mensch sich spreizend hüllt;
Beflecke ihn: der Träger wirft ihn weg.

Golo (tritt herzu). Wer seid Ihr?

Katharina.                                   Meine Schwester ist es, Sohn!

Golo. So hängt dir noch nicht?

Katharina (verlegen).               Golo!

Margaretha.                                       Schadet nichts.
Ich seh', des Guten sprachst du viel von mir.
Gibt mir die Hand! (Zu Golo.) Herr Ritter, schämt Euch nicht!
Ich koch' Euch dennoch einen Liebestrank,
Wen Ihr ihn brauchen könnt!

Golo.                                             Einen Liebestrank!
Gebt einen Trank mir, der zum Haß mich zwingt.
        (Er tritt zurück.)
Des Lebens schlimmste Krankheit ist's, daß wir
Noch wissen, was wir waren, wenn wir längst
Es nicht mehr sind. Da wollen wir zurück
In unsre Wurzeln kriechen, doch umsonst.
O Torheit! Ich auch möchte gar zu gern
Des Grafen Siegfried treuer Diener sein
Und doch zugleich sein Weib ihm rauben! Narr,
Dies oder das! Entschließe dich! Und schnell!
Was ist's denn auch! Der Funk', der in dir schlief,
Schlug über Nacht in lichten Flammen auf,
Und die Natur des Feuers ist bekannt:
Es macht ein andres aus jedwedem Ding,
Ein beßres oder schlechtres, wie es kömmt;
Keins bleibt dasselbe. Sieh nun, was du bist! (Ab.)

Margaretha. Ist das dein Sohn? Dann ist's ein Bastard auch!

Katharina. Ich lieb' ihn, wie mein eignes Kind, doch war
Ich seine Amme nur.

Margaretha.                     Er scheint mir sehr
In Trübsinn und Melancholie versenkt.

Katharina. O, wüßt' ich nur, was ihn bekümmert! Sonst
War er ganz anders.

Margaretha.                   Dir vertraut er nicht?

Katharina. Zum erstenmal nicht.

Margaretha.                                 Dann ist er verliebt.

Katharina. Gewiß nicht. Denn er kommt nicht aus der Burg.

Margaretha. Und in der Burg?

Katharina.                                 Ist nur die gnäd'ge Frau!

Margaretha. Wenn's die nun wäre?

Katharina.                                         Das verhüte Gott!

Margaretha. Warum?

Katharina.                     Warum? Sie ist ein ehlich Weib!

Margaretha. Liebt sie den Grafen sehr?

Katharina.                                               Du frägst, und hast
Es selbst gehört?

Margaretha.                 Sei's, wie es sei, er soll
Sie haben!

Katharina.         Wer?

Margaretha.               Dein Sohn!

Katharina.                                       Du faselst!

Margaretha.                                                       Nein!
Hast du's denn nicht bemerkt, wie rot er ward,
Als sie zwei Worte mit ihm sprach? Sie ist's!
Ich bitt' dich, laß mich hier!

Katharina.                                     Zum Kuppeln? Nein!

Margaretha. Zum Beten, wenn du willst! Du kannst mich ja
Bekehren. Doch im Ernst, ich bin zu sehr
Ermüdet, sechzig Jahre tragen sich
Nicht leicht.

Katharina.             Es sei für heut. Mein Kämmerlein
Ist abgelegen. Dort versteck' ich dich.

Margaretha (für sich). Wie einen Feuerbrand im Stroh!

Katharina.                                                                       So komm!

(Beide ab.)

Fünfte Szene.

(Man hört das Horn des Burgwarts.)
Golo kommt von der einen Seite; Caspar von der andern
.

Caspar. Der Ritter Tristan kommt mit Brief und Gruß
Von unserm Herrn!

Golo.                             So öffnet ihm das Tor!
Ich melde ihn der Gräfin!

Caspar.                                     Nach Befehl!
        (Ab nach der Seite, wo das Tor ist.)

Golo. Ein Bote! Wohl! Dem Boten folgt er selbst!
Ein Brief! Du wirst es sehn, sie küßt den Brief,
Weil sie ihn selbst nicht küssen kann. Sei still,
Sei still, mein Herz! Wenn du gesündigt hast,
Jetzt wirst du's büßen! Ha! Er kommt! Er schleicht
Sich nachts zu ihrer Kammer! Schleicht? O nein!
Ein Licht, ein unverschämtes, in der Hand,
Naht er, mit Schritten, die man hören soll,
Scheucht sie ins Bett, und – du, du stehst derweil,
Gehorsam, wie sich's für den Diener ziemt,
Und wisperst: pst! wenn einer stören will! (Ab.)

Sechste Szene.

(Genovevas Gemach)
Genoveva sitzt am Tisch. Ein aufgeschlagenes Buch liegt vor ihr
.

Genoveva. Weh'! Weh'! Die Seele kreuziget sich selbst,
Wenn sie der Kreuzigung des Herrn gedenkt.
Viel kann ich fassen, eins doch fass' ich nicht,
Nicht fass' ich's, wie das menschliche Geschlecht
Die Sündenschuld, die lastend es bedrückt,
Durch aller Sünden ungeheuerste
Hat tilgen können: durch den Mord an Gott!

Siebente Szene.

Golo (tritt ein). Der Ritter Tristan kommt mit Brief und Gruß!

Genoveva (erhebt sich). Von meinem Herrn? Willkommen ist er mir.

(Golo ab.)

Genoveva. O Gott, führ' mir ihn bald zurück! Ich darf
So beten, denn ich bete ja zugleich:
Vertilge bald den Feind der Christenheit!

Achte Szene.

Golo tritt mit Ritter Tristan ein.

Tristan. Gott grüß' Euch, edle Frau!

Genoveva.                                         Er sei mit Euch!

Tristan (halb für sich). Ein echtes deutsches Weib! Vor jedem Blick
Aus eines Mannes Aug' wird sie aufs neu'
Zur Jungfrau, und verschließt sich in sich selbst!

Genoveva. Saht Ihr noch niemals eine deutsche Frau?

Tristan. Verzeiht. Ich komme aus dem Morgenland
Und grüße drum die Heimat doppelt warm.
Mich sendet Eu'r Gemahl, mein würd'ger Freund,
Mit seinem wärmsten Gruß und diesem Brief.
        (Er überreicht Genoveva einen Brief.)

Genoveva. O sprecht, wann kommt er selbst?

Tristan.                                                             Dies weiß nur Gott,
Der uns bis jetzt erst halben Sieg vergönnt.

Golo. Wie, Ritter? Ist der Krieg nicht aus? Und doch
Seh' ich Euch hier? Verzeiht, dies wundert mich.

Tristan. Mir fesselte ein Schwur den Arm.

Golo.                                                           Ein Schwur?
Ein Schwur, daß Ihr nicht kämpfen wollt? Bei Gott,
Das Wunderbarste, das ich je vernahm.

Tristan. Ich spare, bis nachher, die Antwort mir.

Genoveva (die inzwischen gelesen hat).
Der Brief ist gut. Allein, was seh' ich hier?
Ein roter Fleck! Und offenbar von Blut!

Tristan. Verzeiht! Ich ritzte neulich mir die Hand
An meinem neu erkauften Schwert.

Genoveva.                                               Nein! Nein!
Inwendig ist der Fleck. Das ist das Blut
Von meinem Siegfried. Euer Ritterwort,
Daß Ihr mir nichts verhehlen wollt!

Tristan.                                                     Ich geb's!

Genoveva. Mir meldet er, er sei gesund und wohl.
Ist's wahr?

Tristan.             Darf ich ihn Lügen strafen?

Genoveva.                                                     Sprecht!

Tristan. Daß er verwundet wurde, schreibt er nicht?
Dann hat er's wohl vergessen. Ja, so geht's,
Wenn eine Wund' so klein ist, daß sie dem
Zum Schimpf gereicht, der sie geschlagen hat.
Ich hatte auch einmal ein solches Ding:
Eh' man's betrachten konnte war's geheilt.

Genoveva. Bedenkt, Ihr sprecht zu einer Frau!

Tristan.                                                             Nun ja!
Ich sag' auch nicht, es sei ein Nadelstich,
Das wär' gewissermaßen falsch. Doch glaubt:
Die Narbe dieser Ritze wird sich sehr
Zu schämen haben, wenn sie sich dereinst
Mit ihren Schwestern auf der Brust vergleicht.
Der Pfalzgraf Siegfried ist ein reicher Mann,
Was Wunden anbetrifft, ihm tuts nicht not,
Daß er die Schrammen mitzählt, wie ein Knapp'.

Genoveva. Wo ist die Wunde?

Tristan.                                     Wo das Herz nicht ist,
Und auch die Lunge nicht: im Oberarm.
Ich sah sie, als sie frisch war, denn ich kam
Den Tag ins Lager, wo er sie erhielt.
Mein Ritterwort: jetzt ist sie längst geheilt!

Genoveva. Ich darf nicht zweifeln, und ich zweifle doch!

Tristan (für sich). Verfluchter Blutfleck! Warum schrieb er auch,
Als ihm gerad' der Arm verbunden war!
Ich sollte schweigen. Ei, ich tat's. Der Brief,
Der unvernünft'ge, ward zum Plauderer.
(Laut.) Nun fällt mir's ein. Geschrieben war der Brief,
Bevor der Graf die Wunde noch erhielt.
Gesiegelt ward er später. Als ich ging,
Rief er mir noch mit muntrer Stimme nach:
Wenn über andern, die Euch selbst vielleicht
Betreffen, Euch mein Unfall nicht entfällt,
So sagt doch meiner Frau davon ein Wort.
Doch – setzt' er schnell hinzu – sagt ihr zugleich,
Die kleine Wunde sei ihr bester Freund,
Sie sei ein Schild, der mich vor größern schützt,
Denn aus dem Feld hält sie mich doch entfernt,
Ich kann jetzt tanzen aber fechten nicht.

Genoveva. Herr Siegfried wird den Tod mit einem Scherz
Empfangen, daß ich mich nicht ängstige.
Nicht diese Reden, muntrer, als er selbst,
Mich tröstet Euer ritterliches Wort.

Tristan. Das kann's.

Genoveva.               Ich dank' Euch, Ritter. Golo sorgt
Für unsern Gast!

Tristan.                       Nicht weil' ich, edle Frau.
Fünf Jahre sind's, seit ich mein Weib nicht sah,
Ich weiß nicht, lebt sie oder ist sie tot,
Nun mein Geschäft bestellt ist, eile ich,
Sie aufzusuchen. (Zu Golo.) Doch zuvor ein Wort
Mit Euch noch, junger Herr. (Zu Genoveva.) Verzeiht mir,
Es muß in Eurer Gegenwart geschehn.
Ich tat, wie ich gesagt, den Schwur, mein Schwert
Nie gegen einen Heiden mehr zu ziehn,
Entscheidet Ihr, ob ich ihn halten darf. –
Als ich vor Jahren mit dem großen Heer
Auszog ins Morgenland, das heil'ge Grab
Von seinen Drängern zu befrein, da fiel
Mit andern ich den Feinden in die Hand,
Weil wir zu ungestüm uns vorgewagt.
Umsonst ertrotzt' ich mir den Tod, ich ward
Zum Sklaven erst, zum Gärtner dann gemacht,
Und in der Hoffnung auf den künft'gen Tag
Trug ich des gegenwärt'gen Schmach und Leid.
Mein Herr, der König, kam zum Garten nie,
Doch, seine junge Tochter, ernst und tief
In Schleier eingehüllt, betrat ihn oft.
Lang wandelte das Mägdlein an mir hin
Und schien mich nicht zu sehen, während ich,
Wie es die Sitte dort erheischt, sie floh.
Doch plötzlich ward sie anders, stand mir oft
Zur Seite, eh' ich sie noch kommen sah,
Verlangte Blumen, oder eine Frucht,
Und wenn sie fortging, lag ein Edelstein
Zu meinen Füßen, auch wohl rotes Gold. –
In einer stummen Mitternacht, wo mich
Der Schlaf auf meinem Lager floh, trat sie
Mit leisen Schritten, zögernd bald, und bald
Zum Vorwärtsgehn sich zwingend, bei mir ein.
Sie wähnte, daß ich schliefe, lüftete
Den Schleier, seufzte, schlug ihn ganz zurück
Und trat mit ihrer Fackel an mein Bett.
Sie war so schön, daß ich, zum erstenmal
Ihr Antlitz unverhüllt erblickend, mich
Als Wachenden durch einen hast'gen Laut
Des Staunens, der Bewundrung, ihr verriet.
Den schien sie zu mißdeuten, beugte sich
Auf mich herab, und sprach: ich wußt' es ja,
Daß du mich lieben mußtest, nun gereut
Mich's nimmer, daß ich kühn mich zu dir schlich.
Wie eine Kohle, fühlt' ich ihren Mund
Auf meinem, heiße Zähren doch dabei
Entstürzten ihren Augen, Wang' und Stirn
Mir netzend, warmen Regentropfen gleich.
Ich wand mich ernst aus ihren Armen, sie
Stand regungslos, und starrte nach mir hin,
Als wär' das Ungeheuerste geschehn.
Dann ward ihr Angesicht zur Flamme, stolz
Hob sich ihr Busen, drohend rief sie aus:
Was lebst du denn, wenn du nicht lieben kannst!
»Ich habe längst ein Weib – versetzt ich sanft –
Und keine lieb' ich, als die eine nur!«
»Er hat ein Weib! – sie wiederholt' es dumpf –
Und keine liebt er, als die eine nur!«
Sie ward zu Stein, ich nahte ihr, da stieß
Sie mich zurück und schwankte aus der Tür.
Bald kehrte sie, drei Schwarze folgten ihr,
Von denen einer einen Becher trug.
Sie sah mich nicht mehr an, sie zitterte
Und sprach, wie eine Tote spricht: trink' aus!
»Ich trinke!« rief ich, heftete den Blick
Auf sie, und trank, und hielt den Trank für Gift,
Von der Verschmähten rächend mir gereicht,
Damit ich nie verriete, was sie tat.
Bald schwand mir das Bewußtsein, kalt, wie Eis,
Auf meinen Lippen fühlte ich den Druck
Der ihren, von mir stoßen wollt' ich sie,
Doch schon versagte meinem Arm die Kraft.
        (Nach einer langen Pause.)
Wo wacht' ich auf? Auf einem schnellen Schiff,
Das mich gerades Wegs zur Heimat trug!
Nicht Gift: sie hatte einen Schlaftrunk mir
Gemischt, der Hirn und Sinne still betäubt,
Und schlummernd durch verschwiegne Diener mich
Hinunterbringen lassen an den Strand.
Von solchem hohen Edelmut besiegt,
Schwur ich mir unter Tränen glühnder Scham,
In einem Heiden nie jetzt noch den Feind,
In ihm Fatimens Bruder nur zu sehn.
Darf ich ihn halten? – Edle Frau, lebt wohl!

Er geht rasch ab. Golo folgt ihm.)

Neunte Szene.

Katharina tritt ein.

Katharina. Der Maler, der Euch malte!

Genoveva.                                             Führ' ihn her!

Katharina. Dort kommt er schon mit Golo. (Ab.)

Zehnte Szene.

Golo und der Maler treten ein.

Genoveva. Mein Bild?

Maler.                             Verzeiht, daß ich nicht längst erschien!
Ich war inzwischen krank, und, daß ich's nur
Bekenne, unzufriedner, wie noch je,
Mit meiner Arbeit, fing ich viermal sie,
Vernichtend das Geschaffne, wieder an.
        (Er hat inzwischen das Bild aufgestellt.)

Golo (vor dem Bilde).
O, welch ein Bild! Ich möcht' ein Maler sein,
Und, ins Geheimnis ew'ger Schönheit mich
Versenkend, diese Züge fort und fort
Nachbilden, bis der öden Qual mein Herz
Erläge, daß es mir unmöglich sei.

Maler. Wohl ist das Qual! (Zu Genoveva.) Ich bitt' Euch, edle Frau,
Nur einen Blick – ob Ihr zufrieden seid.

Genoveva. Mich schmerzt, daß mir von meiner Schwester nicht
Ein Konterfei verblieb, wie dieses hier.
Man sieht die Toten, wie im Nebel nur,
Und immer weiter weichen sie zurück.

Golo. Hier seh' ich Tod und Leben wunderbar
In eins gemischt, die Unbeweglichkeit
Des Todes, und des Lebens frischen Reiz,
Der sich verändern möchte, und nicht kann.
Bild, lächle! Denn ich sehe, daß du's willst.

Genoveva. Zufrieden würd' ich sein, wenn dies das Bild
Von meinem Herrn wär', und das meine nicht.

Maler. Ich mal' ihn Euch, obgleich er ferne ist.
Doch, wie? Zu Pferd? In kriegerischem Kleid?
Das Auge vorwärts dringend, wie ein Pfeil?

Genoveva. So ist er, wenn er auszieht. Malt ihn mir,
Wie er zurückkehrt, sei es vom Gefecht,
Sei's von der Jagd.

Maler.                             Nachlässig sitzt er da,
Wie Herkules, der ausruht, und sein Blick –

Genoveva. Ist auf die Burg gerichtet, wo ich ihm
Entgegenharre.

Maler.                       Deutlich drückt er aus,
Daß alles eitel, nur die Liebe nicht.
Die Finsternis verhüllt die Welt, doch hell
Winkt ihm ein Licht ins trauliche Gemach –

Genoveva. Das angezündet ward von meiner Hand.

Maler. Ich mal' ihn so! (Ab.)

Genoveva.                     Was soll mir nun dies Bild!
Wenn's Flügel hätt', so spräch' ich: eil' ihm nach
Ins ferne Land.

Golo (der die ganze Zeit vor dem Bilde stand, wie im Traum).
                          Gebt mir es.

Genoveva.                                     Euch mein Bild?

Golo (für sich, aber von Genoveva beobachtet).
Halte dich! Sieh nicht mehr hin! Wie Funken spring's
Mir aus dem Bild entgegen, Funken strömt
Der Boden aus, die hellen Funken zieht
Mein Aug' aus allem, was mich rings umgibt.
Dort steht ein Stuhl – ich trat hier einmal ein,
Sie saß darauf, und er stand neben ihr,
Verwirrt und rot erhob sie sich, er sprach
Mit mir, doch war die Stimme ihm bedeckt.
Ich ging, und träumte in der Nacht – Still! Still!
Hier steht ihr Bett. Dort schläft sie. Er dabei!
Das ist doch – – Ha, ich sehe sie, die Zwei,
Zu eins verstrickt im Wollustknoten! Er
Will plaudern, sie versiegelt ihm den Mund
Mit einem Kuß, und trotz der tiefen Nacht
Erglüht sie – –
        (Er blickt nach Genoveva, die starr zu ihm hinüber sieht.)
                        Sie erglüht? Nein, sie ist bleich,
Bleich, kalt, ein Geist, mir zum Gericht bestellt!
Mich friert!
        (Er kehrt sich wieder gegen das Bild.)
                    Ich wende mich zu dir zurück!
Du bist nicht blaß geworden, seit ich dich
Verschlang mit Blicken, du verfluchst mich nicht,
Wenn ich dir näher trete, wenn ich dir
Mein Herz verrate, wenn ich einen Kuß
Dir drücke auf den roten
        (Er küßt das Bild.)
                                        kalten Mund!
Dir will ich alles sagen, und dabei
In jenen Spiegel schauen, der mir zeigt,
Ob sie zu meiner Beichte freundlich blickt,
Ob sie, das Weltgericht im Angesicht,
Die Hand erhebt und mich verdammt. Doch nein,
Das wäre feig!
        (Er wendet sich rasch wieder zu Genoveva, die starr dasteht.)
Sie steht, als wär' sie Stein. Ihr Atem stockt,
Sie fürchtet sich, mit mir dieselbe Luft
Zu trinken; wenn sie nicht ohnmächtig jetzt
Hinsinkt, so unterbleibt's aus Scheu vor mir,
Aus Angst, ich könnt' – und könnt' ich's denn nicht auch?
Weib, sprich! Ich bin gewiß, Gott legt ein Wort
Dir auf die Lippen, das mich, wie ein Blitz,
Zerschmettert dir zu Füßen niederwirft!
Sie schweigt! Mir schwindelt. Woran halt' ich mich?
Woran? An ihr! Die Heidenjungfrau steht
Vor meinem Blick, sie lächelt stolz herab
Auf meinen Schwur. Ha! Edle Frau, ein Wort!

Genoveva (tritt einen Schritt zurück).

Golo. Weicht nicht vor mir. Da ich vor Gottes Thron
Nicht treten kann, so wend' ich mich an Euch.
Euch ruf' ich auf zum Spruch, den jüngsten Tag
Auf diesen Tag verlegend. Hört und sprecht!
        (Dumpf und leise.)
Wenn einer fühlt, daß ihn die nächste Stund'
Zum ungeheuren Frevler stempeln wird;
Wenn ein Verbrechen, das die Hölle selbst
Aufs neu' entzünden könnt', wär' sie verlöscht,
Aus seiner Brust hervorbricht, hat er dann
Das Recht, sich selbst zu töten? Sprecht für Gott!

Genoveva (nach langem Stillschweigen).
Bleibt ihm die Wahl noch zwischen Sünd' und Tod,
So ist er edel, und wird nimmermehr
Vollbringen, was er schaudernd selbst verdammt.

Golo. Er wird's! Ich schwör's Euch! Doch, ich schwör' Euch auch:
Er wird sich töten, sagt Ihr, daß er's darf.
Ich kann das wissen, denn ich bin es selbst.
Seht hier mein Schwert – ein Wort, ich geh' sogleich,
Und ruft Ihr mich zurück, so denke ich:
Zuerst sprach Gott aus ihr, nun spricht sie selbst,
Ein mitleidvolles Weib, und kehre nicht.
Ich suche einen Ort mir, wo mich nie
Ein Mensch, ein Rabe höchstens, finden wird,
Ihr werdet nicht den blut'gen Leichnam schaun!
Ihr schweigt? Ich sag' dir mehr noch. Du bist schön,
O, himmelschön! Du weißt doch? Sieh dies Bild!
Nicht weiß ich, ob die Schönheit von sich selbst
Ein Sklave sein muß, wie wir andern sind,
Ich – still! Sie zittert! Seht, Ihr habt mein Schwert
Geweiht zu schlimm bedrohter Frauen Schutz,
Ihr seid bedroht, wie keine noch, von mir. –
Darf ich mich töten? Haltet's nicht zurück,
Das Ja, das Gott Euch in die Seele legt!
Aus seinem Munde wär's ein Donner mir,
Aus Eurem ist's ein letzter süßer Laut.

Genoveva. Verstummen will ich eh' auf immerdar,
Als daß ich Euch erwiderte ein Wort.
O Golo!

Golo.             Schweigst du? Wohl! Mir gilt's für Ja!
        (Er geht.)

Genoveva (in höchster Verwirrung).
Halt' ein!

Golo (bleibt stehen). So sagst du Nein? Das ist ein Ja
Zu bösen Dingen. Noch einmal!

Genoveva (zögert; Golo geht; da sagt sie) Halt ein!

Golo (schleudert das Schwert, das er gezogen hatte, von sich).

Genoveva (erfaßt ein Kruzifix).
Allmächt'ger Gott, tritt zwischen mich und ihn!

Golo. Nun bist du mein!

(Er tritt ihr nah, sie hält ihm das Kruzifix entgegen, er entreißt es ihr und schleudert es fort.)

                                Und ob der Heiland selbst
Sich stellen wollte zwischen dich und mich:
Zu seinen sieben Wunden gäb' ich ihm
Die achte – du erstarrst, das tu' ich auch,
Und doch, ich tät's, und wär's ein Stich zum Tod.
Weißt du, was Liebe ist? Und wenn du's weißt –
Von deinem Siegfried hast du's nicht gelernt.
Der liebt – ja, ihn verklag' ich! Als du bleich,
Geschloßnen Aug's, dahingesunken warst,
Des tiefen Schmerzes stummes Monument:
Mir war, als würd' es Nacht, als öffnete
Die uralt-ew'ge Finsternis den Schlund,
Als schluckte sie die Schöpfung wieder ein;
Doch er, erwägend, daß es rühmlich sei,
Der Erste aller in das Feld zu ziehn,
Er nahm den Vorteil wahr und schlich sich fort.
Held! Dieser Abschied kostet dich dein Weib!
Muß man sich trennen, sei es, wie ein Glied
Vom Leib sich trennt: Schmerz – Blut – und ein Gefühl,
Daß das uns fehlt, was unsersetzlich ist!
Er schied so kalt von dir! Da warf er dir
Dein Herz vor deine Füße, und du mußt
Es wieder nehmen, sei's dir noch so schwer!
Weißt du, was Liebe ist? Ha, weiß ich's selbst?
Noch weiß ich nur, wie sie mich elend macht,
Mir alle Lebensbrunnen rings verstopft,
So daß der tausendfach gespaltne Strahl
Nur einen Weg noch findet: den durch dich!
Doch, wissen will ich auch, wie sie beglückt!
Umarmen will ich dich! Ich schwör's bei Gott!

Genoveva (stürzt auf ihre Knie).
Aus Asche schufst du mir den armen Leib,
Zu Asche wandle, Ewiger, ihn schnell,
Daß dieser, wenn ich still vor deinem Hauch
Zerstäube, mit der Asche, die ihn jetzt
So frech empört, sein Haupt bestreuen kann!

Golo. In diesem Augenblick empfängt er Tod
Von Gott Befehl, daß er mit kalter Hand
Dich nimmermehr berühre, weil die Zeit,
Die allen nimmt, die ewig geben soll.
O, zweifle nicht! Die bildende Natur
Hat sich bisher im Schaffen nur versucht
Und Form nach Form zerbrochen, weil ihr nie
Gelang, was wert war der Unsterblichkeit.
Du bist, wie keine noch, und dürfte dir
Der Tod sich nahen, o, da würde sie
Dem Maler gleichtun, dessen Meisterstück
Der häm'sche Neid zerfetzte: starr und stumm
Hieb er den Arm sich ab, und schuf nichts mehr.

Genoveva. Nur zu! Nur zu! Des Opfrers Weihrauch zieht
Aufs Götzenbild des Himmels Blitz herab!
Gott wird dir zeigen, daß ich sterben kann.

Golo. Und kannst du sterben, warum mahnst du mich?
Die Rose sagt's nicht selbst, wenn sie ihr Feind
Entzückt betrachtet, daß sie morgen welkt,
Sie weiß es, daß er dann schon heut sie pflückt.
Ja, es ist wahr, und weil es wahr ist, will
Ich gleich mein volles Maß der Seligkeit.
Der unsichtbare Hauch, der dich und mich
Ins Nichts hineinbläst, facht in mir zugleich
Die Lebensglut zur höchsten Flamme an.
O komm! und stirb mit mir den Liebestod!
Ha, Aug' in Auge wurzelnd, Mund in Mund
Einwachsend, drängen wir, bis sie zerspringt,
In unsre Brust den Odem still zurück.

Genoveva (tritt zum Fenster).
Seht, Golo, Ritter Tristan zieht erst fort.
Ein Ruf aus diesem Fenster – er vernimmt
Und eilt herbei! (Sie tritt weit vom Fenster weg.)
                          Ich rufe nicht. Nun geht!

Golo. Wer jetzt noch bleibt, der muß ein Schurke sein.
Ich (Er nimmt sein Schwert auf und steckt es ein.)
      bin ein Schurk'. Nun hab' ich Schurken-Recht!
Denn auch ein Schurk' hat Recht. Er kann nicht mehr
Zurück, drum muß er vorwärts. Wie es sich
Vergessen läßt, daß man ein Räuber war?
Man wird ein Mörder. Vater-Mörder dann,
Welt-Mörder! Gottes-Mörder! Schüttelt's dich?
O Genoveva, halte mich! Du siehst,
Ich habe nichts, als dich! O, einmal nur,
Nur einmal gib mir, was du geben kannst!
Nur einmal laß mich ruhn an deiner Brust!
Wohl ist das viel! Doch biete ich noch mehr:
Aus meinem Arm entlassen will ich dich,
Sobald ich dich umschlang. Das sei der Preis.
Wenn's Sünde ist, so ist's die kleinste doch;
Begehe denn die kleinste Sünde, Weib,
Damit du vor der größten mich bewahrst.
Denn rauben muß ich's, wenn du mir's versagst,
Und rauben will ich's. (Er umschlingt sie.)
                                    Wohl! Nun hab' ich dich!
Nun halt' ich dich! In Flammen tauch' ich dich!

( Katharina tritt ein.)

Genoveva (stößt ihn von sich).
Zurück! Und ehrst du nicht das Weib in mir,
So ehr' in mir die Mutter, denn ich bin's!

Golo. Die Mutter! Ha, sie glüht, indem sie's sagt!
Dies Wort! – weicht, Bilder!

Genoveva.                                     Gott!

Golo (in höchster Raserei).                         Was hält mich noch?
Wer stürzt hinunter in des Abgrunds Nacht,
Und reißt die letzte rote Beere nicht,
Die sich ihm bietet, noch im Fallen ab?
        (Er dringt wieder auf sie ein.)

Genoveva. Jetzt ruf' ich!

Katharina.                       Golo!

Golo (zieht das Schwert gegen Katharina).
                                            Weib, was willst du hier?

Katharina. Komm, Bösewicht, durchstoße meine Brust!
Sie war's, die dir die Kraft gab, daß du's kannst.

Genoveva (zu Katharina).
Habt Ihr's gesehn?

Katharina.                     Ich – habe nichts gesehn!

(Golo zerbricht sein Schwert.)

Genoveva (zu Golo).
Wohl Euch, daß keiner kam. Ich schweige!

Golo.                                                                   Weib!
Du siehst, was Liebe ist! So sag' mir an:
Trieb es dich je zu ihm, wie mich zu dir?
Sprich nicht zu schnell dein Ja! Dies eine Ja
Stößt Gottes Welt in Nacht und Graus zurück.
Wenn das, worauf mein ganzes Sehnen geht,
Was ich nicht missen kann, ein andrer
Mit gleichem, ja mit größerm Recht besitzt,
Dann raste die Natur, als sie mich schuf.
Trieb es dich nicht zu ihm, wie mich zu dir?
Dann war's ein Mord, den du an mir begingst,
Als du, den Schauder, der dich warnte, feig
Erstickend, ihm, weil er der erste warb,
Die Hand gereicht zu einem ew'gen Bund,
Dann Ehweib, sei verflucht! (Er hält schaudernd inne.) Verflucht? (Stark.) Verflucht! (Ab.)

Katharina. Wenn das der Graf erfährt – – ich muß ihm nach! (Ab.)

(Genoveva drückt ihre Hände erst gegen das Haupt, dann gegen die Brust. Darauf nimmt sie das Kruzifix und geht ab.)


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