Friedrich Hebbel
Genoveva
Friedrich Hebbel

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Elfte Szene.

(Große Gesindestube im Schloß. Man sieht Jagdhörner, Spindeln usw. An der Wand ein großes Kruzifix.)
Margaretha sitzt am Tisch und legt Kräuter auseinander. Golo lehnt starr und schweigend gegen die Wand. Katharina steht vor ihm
.

Katharina (nach einer langen Pause).
Du zücktest gegen mich dein Schwert. Ich steh'
Und will's verzeihn. Doch, bitten sollst du erst.

Golo. Fort! Stört den Teufel nicht, der bei mir ist!

Katharina. Er wird verrückt! O Weib! Verfluchtes Weib!
Er wollte einen Kuß! Was ist ein Kuß?

Margaretha (lacht).

Katharina. Was lachst du?

Margaretha.                       Immer gibt's der Toren doch;
Die soweit gehn, daß sie's zum Galgen führt,
Doch nicht so weit, daß es sie glücklich macht.

Katharina. Er ging nur zu weit.

Margaretha (erhebt sich).         Nein! Nicht weit genug.
Der Ritter ist noch jung! Ach Gott! Ein Kuß!
Ein Kuß ist ein Versprechen. Gibt man erst
Versprechen ab, wenn man schon halten will?
Er war zu ungeschickt! War das Gemach
Denn abgeriegelt? Nein! Du drangst ja ein!
Das arme Weib! Mir schelte keiner sie!
Wer wagte das bei unverschloßner Tür!
Sie wurde rot, nicht? Oder ward sie bleich?
Nun, das ist gleich! Der einen dringt das Blut
Zum Herzen, und der andern zum Gehirn.
Sie sprach von ihrem Mann? Das tut man wohl,
Man ruft ihn an, wie einen Heiligen,
Sobald man weiß, daß er nicht hören kann.
Sprach sie nicht auch von Gott? Ach, daß ihr dies
So falsch verstanden habt! Ich denke doch,
Ein Weib ist weit genug, wenn sie erklärt,
Daß nur die Allmacht sie noch schützen kann.
Dort geht sie zur Kapelle! Engelschön!
Wär' ich ein Mann, ich setzte alles dran!
Doch, Männer gibt's vielleicht, die dem Gemahl
Das Licht vortragen, wenn er sie besucht.
Nun, die sind brav. Gott segne sie und Euch.

Golo. Was sprach sie?

Katharina.                   Ging's wie Wind an deinem Ohr
Vorbei? So höre mich. Wenn der Herr Graf
Zurückkommt und erfährt, was du gewagt –
Meinst du, er kann's verzeihn?

Golo.                                               Das kenn er nicht,
Doch zweifle nicht, sie schweigt.

Margaretha.                                         Sie schweigt? Ei! Ei!
Ist die ein braves Weib, die das verhehlt,
Was ihres Mannes Ritterehre mehr
Noch kränkt, als ihre Frauenehre? Die
Sich der Gefahr aussetzt, zum zweitenmal
Den Bock zum Gärtner sich bestellt zu sehn?
Nein, junger Herr, ist sie ein braves Weib,
So muß sie's beichten, beichtete sie es nicht,
So ist sie so, wie Ihr sie brauchen könnt.
Nun wär' mein Rat: versucht den zweiten Weg!
Ihr müßt zum Ziel, und treibt Euch nicht die Glut,
So treibe Euch die Sorge um Euch selbst.
Ihr habt da einen hübschen Lockenkopf,
Es wär' doch schade, wenn ein Henker dran
Beweisen müßte, daß er Meister ist.

Golo. Was meint Ihr mit dem zweiten Weg?

Margaretha.                                                 Ja, seht:
Wenn sie Euch abwies, denk' ich, so geschah's,
Weil ihrem Sinn die Ehre höher galt,
Als das Vergnügen, das sie Sünde nennt.
Kehrt einmal das Verhältnis um, und nehmt
Die Ehre ihr, die Sünde aber stellt
Als Preis, um den sie, wenn sie willig ist,
Den Leumund sich zurück erkaufen kann.

Golo. Der Teufel selbst ersinnt nicht Besseres.
Doch – wie versteht Ihr das?

Margaretha.                                 Gibt's hier im Schloß
Nicht einen Diener, dem sie Gunst beweist?

Katharina. Das ist der Drago!

Margaretha.                             Den ich draußen sah?
»Ihr seid noch krank!« »Ihr geht zu Bett!« »Zu Bett!«
        (Lacht.)

Katharina. Das ist ihr Mann! Den zieht sie allen vor!
Man weiß nicht recht, warum!

Golo.                                               Ich weiß es! Gott!

Katharina. Die andern sind ihm alle neidisch.

Margaretha.                                                     So?

Katharina. Doch häßlich ist er, wie die Nacht!

Margaretha.                                                     Was tut's!
Nun weiter. Diesen Drago schiebt Ihr still
Ins Schlafgemach. Es könnte gleich geschehn,
Sie ist noch vom Gebete nicht zurück.

Golo. Wozu?

Margaretha.   Daß man ihn finde, wo man nie
Ein Mannsbild finden darf. Nur frägt es sich:
Wie bringt man ihn hinein?

Golo.                                           Ich hab' es schon!
(Für sich.) Ich lass' ihn Wache stehn!

Margaretha.                                             Dann brecht Ihr ein,
Nehmt Zeugen mit, stürzt auf den Menschen zu,
Ergreift ihn, führt ihn, eh' er reden kann,
Von hinnen, werft ihn ins Verließ hinab
Und macht mit ihm, was Euch gefällt. Will er
Nicht sprechen, wie er sprechen muß, so ist's
Genug, wenn er nur gar nicht wieder spricht.
Die Dienerschaft ist überzeugt, sie gilt
Für eine Ehebrecherin, und Ihr
Habt's in der Macht, wie lang es dauern soll;
So lange, denk' ich, bis sie's wirklich wird.
Sobald sie sich im stillen Euch ergab,
Erklärt Ihr, daß sie rein und schuldlos ist,
Und straft den Drago, wenn er dann noch lebt,
Für dies und das, was sich erfinden läßt,
Mit ew'gem Kerker, oder schnellem Tod.

Golo. Satanisch!

Margaretha.       Ei, warum? Wenn sie besteht,
Wer wehrt Euch dann, der neuen Heiligen
Mit eigner Hand als erstes Opfertier
Euch selbst zu schlachten? Doch – versucht sie erst
Und seht, ob sie's verdient. Das tut Gott selbst,
Er reichte keiner noch die Palme dar,
Die er zuvor in Flammen nicht geprüft.

Golo. Da habt Ihr recht.

Katharina.                     Der Drago kommt!

( Drago tritt still ein.)

Golo                                                               So geht!

Margaretha. Schnell! Schnell!

Katharina.                                 Vorsichtig, Sohn!

Golo.                                                                       Ist ihr Gemach
Auch offen?

Katharina.           Ja, denn sie verschließt es nie.

(Beide ab.)

Zwölfte Szene.

Golo. Ich treib' die Sünde bis zum Äußersten,
Nur, um zu sehen, ob's auch Sünde war.
Ha! Kann sie's tun um irgend einen Preis,
So bot ich schon den höchsten, und ich darf
Verachten, was ich jetzt verehren muß.
War's nicht die innerste Unmöglichkeit,
War's nur die Ebb' im Blut, nur feige List,
Die niemals spricht: ich will! Doch oft: ich muß!
Dann ist die Welt, als deren Stern sie glänzt,
Nicht wert, daß man von Unrecht in ihr träumt!
Dann wird sie mir wie eine Fackel sein,
Die Gottes Schöpfung schrecklich mir erhellt,
Und diese Fackel, fürcht' ich, blas' ich aus,
Bevor sie alles noch erleuchtet hat.
Wohlan! Ihr Höllenhunde, Schmach und Not,
Euch hetz' ich auf sie ein! Wenn sie erliegt,
So hatt' ich's Recht zur Jagd! Wenn sie besteht,
So werd' ich um nichts schlechter sein, als jetzt!
Das merk' dir, Freund! Du bist ein Schuft! Was schont
Der Schuft sich noch? Willst du den Tugendriß
Mit Selbstverachtung flicken? Schäme dich!
Als ob dies schnöde Selbstverachten nicht
Noch ein Sichachten wäre, ein Asyl
Der Eitelkeit, worin sie keiner sucht.
Drum vorwärts! Immer vorwärts! Und wer weiß!
Sie ist mit dir aus gleichem Stoff gemacht,
Der Stoff, du siehst's an dir, hält's Feu'r nicht aus!
Vielleicht ward dir in deiner Fieberglut
Der Lindrungstropfe darum nur versagt,
Weil du auf einmal und in einem Zug
Den Becher leeren, weil du, Lieb' und Haß
Zugleich empfindend, sie in deinem Arm
Erniedrigen und dann erwürgen sollst!
        (Er wendet sich rasch zu Drago.)
Sprecht, Drago, liebt Ihr unsern Herrn?

Drago.                                                           Ihr wißt's!

Golo. Und liebt Ihr unsre Frau?

Drago.                                         Was fragt Ihr doch?

Golo. Wen liebt Ihr wohl am meisten?

Drago.                                                 Immer den,
Für den ich just das meiste tun kann.

Golo.                                                         Wie?

Drago. Ja, darin bin ich schwach. Wer mich nicht braucht,
Mir meinen Dienst erläßt, mich seitwärts schiebt,
Mir sagt: geh, ruh' dich aus! Den lieb' ich nicht,
Der macht mich ja zum Nichts. Doch, wer mich plagt,
Wer mich so müd macht, daß die Ofenbank
Ein Himmelreich mir scheint, den liebe ich,
Denn der gibt mir ein Recht auf das Gefühl:
Der Drago ist doch nötig in der Welt!
Und ohne dies Gefühl halt' ich's nicht aus.

Golo. Ich will Euch brauchen, Drago.

Drago.                                                 Das ist recht.

Golo. Schwört mir zuvor, daß Ihr nicht weigern wollt,
Was ich verlange an des Grafen Statt.

Drago. Ich einen Dienst verweigern?

Golo.                                                   Schwört!

Drago.                                                                   Ich schwör's!

Golo. So schleicht Euch in der Gräfin Schlafgemach,
Versteckt Euch dort – wo nur? – Nun, hinters Bett –
Und –

Drago.       Nein, Herr Golo, nimmer tu' ich das!

Golo. Bist du der Schuft, der Gott die Schwüre bricht?

Drago. Der bin ich nicht!

Golo.                                 So tu, was ich befahl.
Doch hör' zuvor. Es steckte einer mir,
Daß Nacht für Nacht zu Genoveva sich
Der fromme Mann, der Burgpfaff, schleichen soll.

Drago. Und Ihr, Herr Golo, hättet das geglaubt?
Seht! Seht! Ihr werdet rot und bleich! Bei Gott,
Zehn Meineid' wiegen nicht die Sünde auf,
Daß Ihr den Schelm nicht gleich erstochen habt.
Herr, fordert einen andern Dienst von mir:
Nennt mir den Buben, der so niedrig sprach –
Ich zeig' noch heut Euch, daß ich morden kann!

Golo (für sich). Schurk'! Schurk'! Sie ist jedwedem wie ein Licht.
Man kann es löschen, doch beflecken nicht!
(Laut.) Wer sagt Euch, daß ich's glaubte? Doch mein Amt
Erheischt die Untersuchung des Verdachts.
Die Gräfin ist ein Schatz, mir anvertraut,
Und wenn man mir von Diebstahl spricht und Raub,
Wer schilt mich, wenn ich auch zu ängstlich bin?
Ich will ja den Beweis nicht ihrer Schuld,
Ich will den Zeugen ihrer Unschuld nur,
Damit ich den Verleumder strafen kann.
Ihr seid der Mann, dem ich vertrauen darf,
Ihr müßt es tun, der Graf verlangt's durch mich,
Zeit ist's, die Nacht bricht ein, versteckt Euch, fort!

Drago. Ich bitt' Euch, laßt erst forschen, ob der Schelm,
Der seinen Mund so frech gemißbraucht hat,
Nicht stumm geworden ist, ich hoff's zu Gott
Und seinem Zorn, die Zung' ist ihm verdorrt.

Golo. Du hörst, mein Freund, er braucht sie ganz, wie du,
Und wenn du zögerst, macht er das, was ich
Bis jetzt allein nur weiß, im ersten Rausch
Der ganzen Dienerschaft im Schloß bekannt.

Drago. Ich tu's. Doch, wenn ich Euch nun morgen früh
Beschwören kann, daß alles Lug und Trug,
Laßt Ihr den Schelm dann hängen?

Golo.                                                       Hängen bloß?
Ich laß ihn foltern! Macht!

Drago (geht, kehr aber wieder um). Nur noch ein Wort.
Es ist doch kaum für eine Mannsperson,
Was Ihr mir auftragt, sendet doch ein Weib.

Golo. Hier handelt sich's um Leben oder Tod,
Da kann ich nicht auf Weiberzeugnis baun!

Drago. Das ist wohl wahr. In Gottes Namen denn! (Ab.)

Dreizehnte Szene.

Katharina und Margaretha treten von einer andern Seite ein.

Golo (zu Katharina, auf Drago deutend).
Ihm nach! (zu Margaretha.)
                Lacht nicht! Ihr irret Euch in mir!

Margaretha. Das wär' mir leid um Euch. Man könnte jetzt
Die Leute vorbereiten.

Golo.                                     Tut das nicht!
Es muß sie treffen, wie ein Donnerschlag.

Vierzehnte Szene.

Es ist nach und nach dunkel geworden; von einer Magd wird eine große Lampe angezündet, Krüge werden auf den langen Tisch gestellt, Brot wird gebracht. Caspar, Balthasar und Hans kommen durch verschiedene Eingänge, einer nach dem andern. Golo, im Vordergrund, geht unruhig auf und ab. Conrad kommt singend.

Golo. Der singt! Wie seltsam, daß in dieser Welt
Noch einer singt.

Conrad (tritt singend ein; zu einem Hunde, den man nicht sieht).
                            Zurück mit dir! Ist hier
Dein Stall? (Er singt.)

Der Jäger zog – wo zog er doch?
Der Jäger schoß – was schoß er doch?
Wer fragen kann, der zog nicht mit,
Ich denke auch, er aß nicht mit
Vom –

        (Er bemerkt Golo.)
                    Ich biet' Euch guten Abend, Herr!
Zum Singen hat der Jäger heut kein Recht,
Denn was er schoß, ließ er zurück im Wald.
Daß man ihn mitnahm, war der Has' nicht wert!
        (Zu Margaretha.)
Ist Käthchen untreu, oder treu? Ihr seid
Doch eine weise Frau, nicht wahr?

Margaretha.                                           So treu,
Wie Genoveva!

Conrad.                     Freu dich, mein Herz!

Golo (immer für sich).
Wie lange bleibt die Mutter! Ward der Narr
Ertappt? Ging er vorüber an der Tür?
Recht! Wechsle Frag' und Antwort mit dir selbst,
Mach' Worte, daß dich kein Gedanke stört!

Der tolle Klaus kommt herein, ein langes geschliffenes Jagdmesser in der Hand, und eilt auf Hans zu.

Klaus. Blank – scharf –sieh! (Er schneidet sich in die Hand.)

Hans (entreißt ihm das Messer). Ist's erlaubt, so toll zu sein?
Der schneidet, um zu zeigen, daß er mir
Mein Messer gut geschärft, sich in die Faust.
Klaus Ohnegrund, warum nicht in den Hals?

Conrad. Wer gibt dem Tollen auch zum Schleifen wohl
Sein Messer?

Hans.                     Wer? Ihr fragt ja, wie der Graf!
Der tut's, der selbst nicht Zeit hat. Soll man Euch
Erst um Erlaubnis bitten?

Conrad.                                   Wie man will.

Hans (erhebt sein Messer).
Es scheint, Ihr zweifelt, ob des Tollen Hand
Die Arbeit gut gemacht: wollt Ihr Beweis?

Golo. Halt Frieden, Hans!

Hans.                                 Noch ist's vorm Beten, Herr,
Und den da – nun, steck' ein! Sein Wamms ist fein!
Nicht um den Kerl wär's schad', doch um das Wamms.

Conrad (dringt auf Hans ein). Was?

Golo.                                                 Hans, du bist im Unrecht. Klaus ist toll!
Doch der ist's auch, der ihm ein Messer gibt.

Hans. Klaus ist nicht toll, wenn er den Hundestall
Verläßt, und aufrecht wandelt, wie ein Mensch.
Ja, wenn er kriecht, dann geb' ich's zu. Klaus, komm!
Das Vaterunser lehrt' ich dir! Sag's her!

(Klaus hat sich inzwischen in eine Ecke gekauert.)

Wo ist er?

Margaretha.     Dort! Er schläft!

Hans.                                             Er hat den Platz
Beim Ofen sich gewählt. Ja (Er lacht.) der ist toll!

Conrad. Noch gestern biß er mit dem Philax sich.

Hans. So?

Margaretha. Nun, dann tat er, was nicht jeder tut.
        (Zu Hans.)
Wie kommt es nur, daß solch ein Halbmensch sich
Aus Busch und Wald in dieses Schloß verirrt,
Um die hochadelige Dienerschaft
Durch seine Torheit zu entzwein?

Hans.                                                     Ja wißt:
Von Bettlern, Tollen, (mit einem Blick auf sie) alten Weibern wird's
Bei uns nicht leer, denn die Barmherzigkeit
Wohnt unter uns in eigener Person.
Nicht wir: die Gräfin herbergt jenen Klaus,
Sie traf ihn 'nmal, ich glaub', in einem Sumpf.
Klaus mag es ihr vergelten, wenn sie selbst
Einst toll geworden ist, und er ein Graf.

Margaretha. Ein wahres Ungetüm! Schneeweißes Haar,
Und rote, runde Backen, wie ein Kind.

Hans. Man sagt, er hat im Wald zur Nacht einmal
Ein Schreckgesicht gesehn, da ward das Haar
Ihm weiß, Gott steh' ihm und uns allen bei!

(Die Andern haben sich, mit Ausnahme des schlafenden Klaus, um den Tisch gestellt, jetzt treten auch Hans und Margaretha hinzu.)

Conrad. Wo bleibt der Küster denn?

Caspar.                                             Noch immer krank.
Ihr meint doch Drago?

Conrad.                               Wen wohl sonst, als ihn,
Der sich's zur Essenszeit nicht nehmen läßt,
Uns vorzubeten.

Balthasar.                 Wenn der Narr nicht kommt,
So ist er mehr, als krank noch, ist halb tot,
Er stand schon mitten aus dem Fieber auf
Und sprach den Segen zähneklappernd her.

Caspar. Was spottet ihr? Es ist sein Amt im Schloß,
Sein Ältervater hat es schon versehn.
Wenn ihr vergönnt, so bet' ich heut für ihn.

(Caspar faltet die Hände, alle übrigen tun es auch, nur Margaretha nicht.)

Caspar (betet). Gott segne unser Brot und Wein,
Laß es dem Braven wohl gedeihn,
Doch dem, der Böses sinnt und schafft,
Dem stärk' es dazu nicht die Kraft.

(Sie wollen sich setzen.)

Hans. Ein stumm Gebet für eine Seele noch,
Für eine arme Seele!

(Sie beten still, dann setzen sie sich.)

Hans (zu Conrad).             Trinke mit
Von meinem Wein, und iß von meinem Brot!

Conrad. Das tu' ich gern. Wer mir zu leben gibt,
Der zeigt mir, daß er mir das Leben gönnt.

Caspar. Das ist der Grund, weshalb man trinken muß,
Wenn man entzweit war, und sich dann versöhnt.

Hans (für sich). Ein Mord war wohl genug. Dem zweiten war
Ich heute nah. Ich mag nicht essen. Faust,
Du bist schon röter, als du sein sollst.

Conrad.                                                       War's
Für Euren Vater, das Gebet? Mir hat's
Gefallen, daß Ihr fromm seid.

Hans.                                               Nein! Nein! Nein!
Auch nicht für meine Mutter. (Er pfeift.)

Klaus (erwacht).                               Ja!

Hans.                                                       Schlaf zu!
Dir gilt's nicht immer, Klaus, wenn einer pfeift.

Conrad (am Tisch). Der Graf! Der edle Graf! Er lebe hoch!

(sie stoßen an.)

Caspar. Herr Hof- und Schloßverwalter, hört Ihr nicht?
Es gilt dem Herrn!

Golo.                             So? Nun, da trinkt man mit!

(Er geht langsam auf den Tisch zu.)
Katharina kommt und macht Golo ein Zeichen
.

Golo. Doch fürcht' ich sehr, wir müssen mehr für ihn
Heut nacht noch tun, als daß wir trinken!

(Alle werden aufmerksam.)

Golo (zu Katharina).                                         Nun?
Du bliebst ja lange!

Katharina.                       Sohn, ich zittre sehr!
Es ist doch Sünd'!

Golo.                             Die größte auf der Welt!
Allein, was hilft's? Hat Drago sich versteckt?

Katharina. Ja, Sohn!

Golo.                           Und sie?

Katharina.                                   Ist krank, und zieht sich aus.

Margaretha. Sie zieht sich aus? Da hat man, was man braucht!

Golo (tritt zum Tisch).
Ihr Leute, hört!

Caspar.                     Du ew'ger Gott! Was ist's?

Golo (zu Katharina).
Sprich du!

(Er setzt sich nieder.)

Margaretha.       Ja, tu's. Ihr aber – glaubt ihr nicht,
Auch ihm, auch mir nicht, nur euch selber glaubt!
Vielleicht ist's Augentrug. Drum rat' ich: geht
Und überzeugt euch!

Klaus (spricht die Worte nach).
                                  Trug – Drum – rat – ich – geht –
Und (schnell) überzeugt Euch!

Hans (zu Klaus).                               Schweig!

Klaus (spricht nach).                                           Schweig!

Hans (will ihn fortjagen).                                                       Fort, du Narr!

Conrad. Laßt doch den Klaus, er hört schon wieder auf!

Klaus (spricht nach) Laßt doch den Klaus, er hört schon wieder auf.

Conrad. Hört er die Hunde bellen, bellt er mit,
Und hört er Menschen reden, spricht er's nach,
Weil ihm's an Worten, wie Gedanken fehlt!
Doch, gleich ermüdet, schläft er wieder ein.

Balthasar. Wir stehen alle starr. Herr Golo, sprecht:
Was ist's?

Hans.               Ein Mord?

Caspar.                             Die Gräfin starb doch nicht?
Ist's das? Du armer Graf! Dann trinken wir
Ein andermal auf deinen Tod!

Margaretha (zu Katharina).             Sprich! Sprich!
Dein Sohn, du siehst es, ist zu sehr bewegt.
Das redliche Gemüt! Ihn greift es an,
Als wär's ihm selbst geschehn! Das ist doch Treu!
Ja, Menschen gibt's, wie Edelsteine. (Heimlich zu Katharina.). Sprich,
Sein Kopf steht auf dem Spiel, verrät er sich.
(Zu den andern.) Kein Mord! Kein Todesfall! Bloß Ehebruch!
Die Krankheit und die Unschuld paarten sich
In süßer Sünde!

Katharina.                 Ja, die Gräfin liegt
In Dragos Armen!

Margaretha.                 Oder lag darin!

Conrad. Das ist doch wohl nicht wahr!

Caspar (zu Katharina)                             Weib, kennt' ich dich
Als lügenhaft – drei Finger gäb' ich drum!

Balthasar. Je nun, warum nicht? Aber, find' ich auch
Die Tat begreiflich – niemals den Geschmack!
Der Drago, ei – – (Auf Golo deutend.) Das wär' ein andrer Mann!

Golo (springt auf).
Was soll das heißen?

Balthasar.                         Nichts! (Zu Margaretha.) Der ist noch jung!

Caspar (wild). Ich glaub's nicht, eh' ich's sehe. Sehe ich's –
        (Er hebt drei Finger in die Höhe.)
Ich schwör' zu Gott, den Drago bring' ich um,
Den Heuchler! (Zu Hans.) Leiht doch Euer Messer mir!
Mit rechten Dingen ging das nimmer zu,
Der Schurke gab ihr Zaubertränke ein.
(Zu Golo.) Nun, Herr Verwalter? Euer Schmerz gereicht
Euch zwar zur Ehre, aber Euer Amt
Verlangt die Untersuchung. Geht voran!

Margaretha (zu Caspar).
Ihr schwurt da –

Caspar.                       Was ich halte!

Katharina (zu Golo).                           Mach', mein Sohn!
Sie spricht zuweilen mit sich selbst! Wenn sie's
Auch heute tät', und Drago –

Golo.                                             Sei es denn!

(Alle ab. Katharina und Balthasar mit Lichtern.)

Fünfzehnte Szene.

(Genovevas Schlafgemach. Das Bett. Hinter dem Bett Drago, den man nicht sieht.)

Genoveva (sich entkleidend).
Ich bin mir heute selbst zu schwer. Mir ist,
Als würd' ich in die Erde mit Gewalt
Von einer ehrnen Hand hineingedrückt.
So sehnt' ich mich noch nie nach Schlaf, wie heut.
Nun, wünsch' dir selber gute Nacht. Das Licht
Zeigt dir, daß du zu Bett sollst; es verlischt.
        (Geräusch vor der Tür.)
Wer kommt? Wer es auch immer sei: zurück!

Sechzehnte Szene.

Golo, Caspar, Balthasar, Hans, Conrad, Margaretha, Katharina treten ungestüm mit Lichtern ein.

Golo. Verzeiht! Wir glaubten, daß hier Feuer sei!

Genoveva (wirft ein Tuch über).
Ihr seht, hier ist kein Feuer. Geht denn! Nun?

Hans. Sie drängt ja sehr!

Balthasar.                         Wir kommen ihr nicht recht.

Conrad. Nun, nun! Käm' man um diese Zeit ihr recht,
So wär' sie, was sie nicht ist, wie wir sehn.

Genoveva. Ich sagte: geht! Vergaßt Ihr, wer ich bin?

Caspar (zückt gegen Katharina das Messer).
Kniet vor dem Engel nieder, schlechtes Weib!

Katharina. Guckt erst mal hinters Bett!

Caspar.                                                 Ha, was ist das?
        (Er tut's. Zu Katharina.)
Ich bitt' Euch um Verzeihung! (Zu dem versteckten Drago.)
                                              Hund, hervor!

Drago (kommt, in höchster Verwirrung).
Herr Golo –

Caspar.               Wär' Herr Golo auch so schwach,
Dir zu vergeben, eh' er noch das Wort
Aussprechen kann, stehst du vor Gottes Thron!
        (Er sticht Drago nieder.)
Frau Gräfin, mit Erlaubnis: das ist schlecht!

Golo. Freund, du bist rasch!

Caspar.                                 Ho!

Margaretha (zu Golo).                   Freut Euch! Ihr habt Glück!
Wenn er's nicht tat, so mußtet Ihr es tun!

Balthasar. Was sagt Ihr nun, Frau Gräfin?

Genoveva.                                                 Nichts zu Euch!

Balthasar. Das glaub' ich. Nichts zu uns, die wir es sahn!
Was aber wohl zu dem, der's hört von uns?
(Heimlich.) Was mich betrifft, mich macht der Goldring blind!
Dann deute ich's auf einen Mordplan aus,
Den mir der Tote vorlängst schon verriet,
Durch Winke freilich, die ich nicht verstand.

Genoveva (tritt mit Würde unter sie alle).
Glaubt, was Ihr seht. Nur bitt' ich, glaubt nichts mehr,
Als was Ihr seht. Ihr brachtet Lichter mit,
Gebt mir ein Licht!

(Sie leuchtet gegen das Bett.)

Conrad.                           Das Bett ist unberührt.

Margaretha. Nun, das beweist: unschuldig ist das Bett!
Wer hat das Bett verklagt?

Genoveva (tritt vor Golo hin).     Euch ruf' ich auf!
Saht Ihr, Herr Golo, was Ihr denkt und glaubt.

Golo. Ich heiß' nicht Siegfried, bin der Richter nicht.

Genoveva. Ihr mahnt mich recht!

Balthasar.                                     Die ist ja nach dem Fall
Viel stolzer noch, als Bessere vorher.
Doch bräche sich vielleicht der Stolz im Turm.
Wär' ich der Herr – (Zu Golo.) Ihr seid's – sie müßte gleich
Hinunter; – wenn dem Grafen dann der Schmuck,
Den der ihm aufgesetzt, gefiele, nun –
So holt' er sie mit leichter Mühe ja
Zurück ins Bett, ich aber spuckte aus
Und kündigte zur Stunde ihm den Dienst.

Genoveva. Führt mich, wohin es sei, nur führt mich hin,
Wo ich dies Blut nicht seh'.

Golo.                                           Zum Turm mit ihr!

(Alle ab bis auf Golo.)

Golo (sich gegen Dragos Leichnam wendend).
Ein Mord! Was ist ein Mord? Was ist ein Mensch?
Ein Nichts! So ist denn auch ein Mord ein Nichts!
Und wenn ein Mord ein Nichts ist, dien' er mir
Als Sporn für das, was wen'ger, als ein Mord,
Und also wen'ger, als ein Nichts noch ist!

(Er folgt den übrigen.)


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