Friedrich Hebbel
Genoveva
Friedrich Hebbel

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Vierter Akt.

Erste Szene.

(Halle im Schloß, wie im zweiten Akt.)

Katharina (tritt auf). Er ging zum Turm! Es ist das erstemal!
Wie wird's ihm sein, wenn er sie wieder sieht!

Golo (kommt von der andern Seite).
Weib! Ist sie tot?

Katharina.                   Tot?

Golo.                                   War es ihr Gespenst,
Das ich erblickte, oder war sie's selbst?

Katharina. Mich überläuft's. Sie wird doch nicht – – Du machst
Mir Angst – –

Golo.                       Ich spähte durch den Mauerspalt
Hinein. O! O! So stand sie! (Mit einer Pantomime.) Übers Kind
Gebeugt, ein Geist, der eine letzte Pflicht
Erfüllen möchte und nicht kann; die Brust
Dem stummen Bettler reichend, der sie nicht
Ergriff, weil sie verwelkt und trocken war;
Doch sie nicht weichend, starr und regungslos
Beharrend, nicht einmal den Augenstern
Bewegend, wie versteinert durch den Blick
Des abgezehrten Säuglings, und ihn selbst
Versteinernd durch den ihrigen – – ich hielt's
Nicht aus, sie anzusehn, ich wandte scheu
Das Auge ab, statt ihrer sah ich nun
Ein schlechtes Brot und einen Wasserkrug
Und in der Ecke eine Schütte Stroh.

Katharina. Tratst du nicht ein?

Golo.                                         Du meinst, um ihr den Kopf
Herabzuhaun und ihrer Qual das Ziel
Zu setzen? Nein! Ich stürzte schaudernd fort.
So mag der Mörder, der den letzten Blick
Aufs blut'ge Opfer warf, von dannen fliehn;
Er denkt nicht mehr ans Plündern und vergißt
Des Mordes Zweck, nun er den Mord vollbracht.

Katharina. Du selbst befahlst das alles. Hör' mich an.
Des Abends spät warfst du sie in den Turm,
Am nächsten Morgen stieg ich, in der Hand
Den Becher Wein, den ich für sie gezapft,
Zu ihr hinab. Als ich der ehrnen Tür,
Die in die Tiefe führt, mich näherte,
Flog sie mit Krachen auf, du tratst heraus,
Dein Antlitz glühte, schrecklich war dein Blick,
Und düstre Schauer des Entsetzlichsten
Durchzuckten eiskalt mir Gehirn und Brust.
»Was soll das noch?« So riefst du, mir den Wein
Entreißend und den Becher an der Wand
Zerschmetternd. »Brot und Wasser ziemt sich hier,
Dazu ein Bett von Stroh und weiter nichts.«
Ich sah dich an. »Du zweifelst? –riefst du dann –
Sie selbst hat's mir gesagt, nun glaubst du's doch?
Drum bring' ihr Brot und Wasser, bring' ihr Stroh,
Und bei dem Teufel, der den Meineid rächt,
Dem, der ihr mehr gibt, geb' ich weniger!«

Golo. Ich weiß. Du aber weißt nicht, was im Turm
Vorher geschah. Vernimm es jetzt. Ein Traum
Hatt' mir in jener Nacht mein Innerstes
Enthüllt, wie wohl ein Licht, ins Schlangennest
Gestellt, den krausen Würmerknäul erhellt.
O, welche ein Traum! Mir war, als säh' ich sie
Mit aufgeschnittnen Adern vor mir stehn,
Bleich, totenbleich; ich hatt' ihr das getan,
Dieweil sie schlief, sie aber wußt' es nicht;
Aus allen Adern blutete ich selbst,
Denn mir, wie ihr, riß ich sie auf; sie sah
Nur meine Wunden, ihre nur sah ich,
Mitleidig trat sie auf mich zu und schloß
Die Ader, die am stärksten sprudelte,
Mir mit der Hand, ich drückte meinen Mund
Auf ihren aufgeschlitzten Puls, den Strom
Des Lebens rückwärts drängend in sein Bett.
Doch, für uns beide war's zu spät, sie sank,
Ich sank mit ihr, und sah ihr ins Gesicht
Und sparte meinen letzten Odemzug,
Bis sie den letzten Odemzug getan.

Katharina. Ha! Fürchterlich! Mir ist, als säh' ich das!

Golo. Nun waren Haß und Liebe ausgesöhnt,
Der Haß fand in der Wunde, die er schlug,
Sein süßes Grab, die Liebe, die umsonst
Zu heilen suchte, was unheilbar war,
Verging in Tränen, und ein höheres
Gefühl, das alle beide lind vereint,
Ein uranfänglich-allumfassendes,
Zog, wie auf Wogen, tief und tiefer mich
Hinunter in die Nacht, wo man vergißt.
So war mein Traum. Mit Wollust hatt' ich ihn,
Mit schaudriger Befriedigung, geträumt,
Doch namenlose Angst erfaßte mich,
Als ich erwachte und das düstre Bild
Beleuchtet sah von des Bewußtseins Strahl.
Mir war, als würd' ich dies tun, wenn ich schnell
Nicht etwas andres täte. Ich sprang auf
Und eilte in den Turm. »Sie soll von ihm –
Rief ich zu mir, – sie trennen, wie von mir,
Damit sie keinem angehört, als Gott!«
Ich trat vor sie. Sie wich entsetzt zurück,
Als wär' ich, was ich damals nicht mehr war,
Was ich erst wieder ward, als ich sie so
Mit stiller Angst vor mir entweichen sah.
Ich stand und schwieg, die Furcht, die sie verriet,
Die ausgestreckte Hand, erfüllte mich
Mit dumpfem Grimm, doch ihre Schönheit drang,
Wie Licht, in meine tiefste Seele ein.
Und sie war schön, wie nie. Nur kaum vom Schlaf
Erwacht, erst halb bekleidet, drängte sich
Jedweder Reiz, den unter ernster Tracht
Sie sonst gefangen hielt, mutwillig vor.
Sie war der Juwelier, dem eben jetzt
Das Kästchen, drin er Gold und Edelstein
Vor fremder Blicke Neid verwahrt, zerbrach,
Und ich der Räuber, der ihn überrascht.
Sie wandte ihr Gesicht, da sagte ich:
»Mißfällt's dir, daß du mir gefällst? Was gibst
Du für ein Mittel, das dich häßlich macht?«
»O nenn' es!« rief sie. »Rede mir von ihm!«
Versetzt' ich spöttisch. »Siegfried, reite schnell!«
Rief sie, als säh' sie ihn. Ich sah ihn auch,
Gemächlich schreitend, und den Stern der Welt
Ans Knopfloch heftend, wie'n Vergißmeinnicht.
Ich knirschte, und nicht ruhig-ernst, wie ich's
Beschlossen, als ich ging, nein, rasend, wild,
Beschwor ich sie, durch einen teuren Eid
Von ihm sich abzuscheiden, wie von mir.
Sie kehrte sich entrüstet ab. Ich sprach:
»Gleichviel! Wenn du's nicht tust, so tut er's selbst,
Denn Drago steht schon zwischen dir und ihm!«
»Du wagst es?« rief sie – doch, dann hielt sie ein
Und schien zu sinnen, nun mit einem Blick
Voll stolzen Mitleids sah sie auf zu mir
Und sprach halblaut: »Es gibt nur einen Mann,
Der mir vertrauen muß, denn einen nur
Ließ ich hinab in meine Seele schaun!«
Doch dann, als ob sie das Gefühl der Schmach
Jetzt übermannte, trat sie vor mich hin,
Erhob die Hand und rief erglühend aus:
»Auf deine Knie! Noch kann ich dir verzeihn!
Du säumst, als ob dich nicht dein Innerstes
Der Lüge ziehe? O, dann zeig' es kühn
Mir durch die Tat, daß du mich schuldig glaubst.
Bin ich ein schändlich-ehebrechrisch Weib,
Wie ziemte mir ein Bett und Frucht und Wein?
Kaum Brot und Wasser, kaum ein Bündel Stroh!«
Nicht Hochmut war's, nicht Trotz, der aus ihr sprach,
Nur das Vertraun, das Menschliche in mir
Zu wecken, nur kindliche Zuversicht,
Ich würde, vor des Frevels Äußerstem
Erzitternd, ihn bereun. Ich aber sprach:
»Das kann geschehn, und wenn du's müde bist,
So laß mir's sagen, durch den ersten Kuß
Kaufst du von Schmach und Not dich wieder los!«
Dann – doch, du sahst, wie ich den Turm verließ!

Katharina. Ich sah dich, ich vernahm dein hartes Wort
Und widersprach dir nicht. Bald hört' ich dich
Von dannen sprengen in den Wald hinein.
Nun füllt' ich einen anderen Pokal
Und bracht' ihr den. Ich war nur kaum zurück,
Da kam ein trauervoller Zug ins Tor:
Vier Knechte trugen einen Sterbenden,
Verhüllt, auf einer Bahre, in die Burg.
»Wer ist es?« fragt' ich. »Golo!« sprach der Hans
Dumpf und gedämpft. »Tot?« »Noch nicht, aber gleich!«

Golo. Als ich ins Freie kam, als ich die Luft
Umspielte, als die ew'ge Sonne mir
Ins Auge schien, von Laub und Blumen mir
Der Tau entgegenglänzte, alles rein
Und keusch und heilig schön, da preßte ich
Die Lippen zu, als wollte ich der Luft
Den Eingang wehren in die heiße Brust,
Nach Gottes Sonne hätt' ich einen Pfeil
Verschießen mögen und ins grüne Laub
Hieb ich hinein, als säh' ich einen Feind.
Blut mußt' ich sehn, ein Hirsch kam vor mir auf,
Ich hinterdrein, mir war, als jagt' ich sie,
Ich warf den Spieß nach ihm und traf ihn gut,
Im Grimm des Schmerzes wandte sich das Tier
Und stellte sich, ich sprang vom Roß herab,
Da strauchelt' ich, der Hirsch drang auf mich ein,
Hei, Kühlung! rief ich –

Katharina.                               Ja, und breitetest
Die Arme, als das spitzige Geweih
Den Leib dir aufriß, wie umschlingend, aus
Und fielst dem Ungetüm wie um den Hals.
Hans sah's und riß dich los.

Golo.                                             Ich dank's ihm nicht.

Katharina. Doch ich. »O, würde ihr der Wein zu Gift!«
Rief ich, als ich in deinem Blut dich sah,
Als ich von Hans erfuhr, was du getan.
Margretha kam herbei, sie schüttelte
Den Kopf, verband dich, seufzte still und schwieg.
Ist Hoffnung? fragt' ich. »Wenn auch – sagte sie –
Was hilft's? Die Kunst ist groß! So lange er
Bewußtlos liegt, wie jetzt, verbürge ich
Mich für sein Leben, doch wenn er erwacht,
Erwacht sein Liebesgram mit ihm und schleift
Dem Tod die Sense. Hätt' das Weib ein Herz,
So – – doch, sie hat ja keins!« »Wie wollen sehn!«
Rief ich und eilte fort, zum Turm hinab,
Auf deinen bleichen, zugekrampften Mund
Das Auge richtend, in verbißnem Grimm
Der letzten Worte denkend, die er sprach,
Und schwörend, sie aufs treuste zu vollziehn.
Auf meinen Knien sank ich vor ihr hin
Und flehte laut: »Die Feder regt sich nicht
Auf Golos Lippen, die den Odem prüft,
Und seine Finger zupfen schon am Bett.
So sagt denn, ruf' ich jetzt ihm noch ins Ohr,
Daß ihr ihn lieben, ihm gewähren wollt?
Ihn zu erretten kommt das Wort zu spät,
Doch einmal lächeln, denk' ich, wird er noch.«

Golo. Und sie? Was sprach sie?

Katharina.                                   Was sie sprach? Nicht ja!
Nicht ja! Da ballt' ich grimmig meine Faust
Und rief ihr zu: Stirbt er, so stirbst du auch!
Sein Leben soll die Uhr des deinen sein!
Zu Margarethen aber sagte ich:
Sie hat auch dich gekränkt, geh, räch' dich jetzt,
Dir stell ich alles heim. – Die trieb's so weit,
Daß keine Umkehr möglich ist!

(Man hört des Burgwarts Horn.)

Golo.                                                 Das Horn!

Katharina. Mich schüttelt's, wenn ich's höre!

Zweite Szene.

Caspar (tritt im Reiseanzug auf).                       Einen Gruß
Von Frau Margaretha!

Katharina.                           Ihr seid schnell zurück!
Habt Ihr sie ganz nach Straßburg – –

Caspar.                                                       Nein. Verzeiht!
Doch bis zur Rheinbrück' hab' ich sie gebracht.

Katharina. Warum nicht weiter?

Caspar.                                         Weil ein Reisiger
Mich dort durch eine Nachricht schlimmer Art
Zur Umkehr zwang. Blickt nicht so bös' auf mich,
Nicht eben gern hab' ich das alte Weib
Geleitet, denn, vergebt, sie taugt nicht viel,
Doch, weil sie einmal Eure Schwester ist,
So übernahm ich das verhaßte Amt,
Und seid gewiß, daß ich nicht eher sie
Verließ, als bis sie völlig sicher war.
Allein in Straßburg selbst konnt' ich sie nicht
Hineinbegleiten, nein, ich war zu feig,
Den kranken Herrn, wie mir die Pflicht gebot,
Zu töten durch die Zung' in meinem Mund.

Golo. Was heißt das?

Caspar.                       Nun, das heißt, ich wollte nicht
Der sein, der ihm den Todesstreich versetzt,
Obgleich ich weiß, daß er ihm nicht entgeht.
Ritt ich in Straßburg ein, so mußt' ich's tun,
Ich bin sein Knecht, mußt' ich nicht zu ihm gehn?
Und wenn er frug: Wie steht's mit meinem Weib?
So konnt' ich doch nicht sagen: Es steht gut!

Golo. Ist denn der Graf in Straßburg?

Katharina.                                           Ist er's Sprich!

Caspar. Ja, freilich. Würd' ich's sagen, wär' er's nicht?
Der Krieg ist aus, der Heide ist verjagt
Und hat, wie's heißt, auf hundert Jahr genug.
Nun flog denn jeder, der was Liebes hat,
Zu Haus, und allen unser Herr voran.
Die Wunder hatte ihn nicht aus der Schlacht
Entfernt gehalten, noch viel weniger
Hielt sie, obgleich noch immer ungeheilt,
Beim alten Juden-Doktor ihn zurück.
Das lief schlecht ab; zwar hielt er lange sich
Im Bügel fest und achtete das Blut,
Das ihm entging, nicht mehr, als wär' es Schweiß,
Doch fühlt' er sich am Ende todesmatt,
Und sank in Straßburg, einem Leichnam gleich,
Vom Roß, der Landsknecht, der mir das erzählt,
Hatt' ihn in seiner Herberg' selbst gesehn.

Katharina (ängstlich). Hat Margaretha all dies auch gehört?

Caspar. Was fragt Ihr doch? Versteht sich's nicht von selbst?
Es war am Mittag, von dem scharfen Ritt
War Euer Schwester müde, durstig ich,
Und ob wir gleich schon klar den Münster sahn,
So hatten wir es doch noch weit zur Stadt.
Da trafen wir ein kleines Haus, worin
Die Gastfreundschaft auf eine neue Art
Geübt wird, Trank und Speise reicht man dort,
Und andres, was der Wandrer braucht, für Geld.

Katharina. Für Geld!

Caspar.                         Es wohnt kein Edelmann im Haus,
Auch kein gesunder Mensch, ein Krüppel nur,
Der von den Reichen sich bezahlen läßt,
Daß er umsonst den Armen geben kann.
Wir kehrten ein, der Landsknecht saß am Tisch,
Fest eingeschlafen, auf den leeren Krug,
Der vor ihm stand, sein schweres Haupt geneigt.
Wir setzten uns, der Krüppel hinkt' herbei
Und bracht' uns Wein. Da fuhr der Schläfer auf,
Ich grüßte ihn, und reicht' ihm einen Trunk,
Er gab zum Dank mir von dem Krieg Bericht.

Katharina (lauernd). Margretha ist, was Wunden anbetrifft,
Geschickt, wie keine; brach sie nicht sogleich,
Als sie erfuhr, wie's um den Grafen steht,
Mit Eifer auf, um ihm zu Dienst zu sein?

Caspar. Sie tat's.

Katharina (zu Golo, heimlich).
                      Nun bin ich ruhig. Sie ist klug
Und haßt die Gräfin, wie die Nacht den Tag.
Gewiß, sie baut uns vor. Sie tat's schon hier.
Hat's doch kein Mensch im Schloß, kaum nur ich selbst,
Erfahren, wann die Schwangre niederkam.
(Zu Caspar.) Und trug sie Euch nichts auf?

Caspar.                                                               Ich hätt' es bald
Vergessen. Ja, als ich von dannen ritt,
Rief sie mir nach: Schickt mir Herrn Golo zu,
Er darf nicht länger krank sein!

Katharina.                                         Sie hat recht!

Caspar. Wenn mein Wort gilt, so senden wir ihm nicht
Den Raben übern Rhein. Wir schlagen's Schloß
Mit schwarzem Tuch aus, stellen ins Gemach,
Das sie bewohnte, einen leeren Sarg,
Der schweigend mahnt, daß er zu füllen ist,
Und kleiden sie in Grabgewande ein.
Dies wird er gleich verstehn, ich bürge Euch,
Ein altes Märchen schließt so, das er kennt.

Golo. Mein Pferd!

Caspar.                   Ihr wollt –

Golo.                                           Sogleich! Hans reitet.

Caspar (ab).

Golo. Ich wälze meine Tat, wie einen Stein,
Bergan, und mir ist's recht, wenn sie zuletzt,
Herunterrollend, mich zermalmt!

Katharina.                                           Getrost!
Wenn du's nur klug machst, geht noch alles gut!

Golo. Was kann noch gut gehn, Weib? Ich wollte sie
Erniedrigen. Das war der einz'ge Weg,
Der mir noch blieb, mich wieder zu erhöhn.
Sie aber hat, wie jener edle Stein,
Für jeden Schlag durch einen Funken sich
Gerächt, der sie verklärt. So hab' ich nichts
Durch all mein Tun erreicht, als daß ich selbst
Vor Gott mich ihrer unwert nennen muß,
Daß ich bekennen muß: Du bist ein Schuft,
Und nur, daß du erführest, welch ein Schuft,
Ward dir dies Weib versagt und doch gezeigt!
Nun sollt' ich gehn und ihr die Kerkertür
Aufriegeln und mit einem Stierkopf mich
Einmauern lassen in den Hungerturm.
Mich aber lockt's, mit einem blanken Schwert
Vor sie zu treten und in bittrem Hohn
Zu sprechen: Edle Frau, dies schickt der Mann,
Den Ihr in Eure Seele schauen ließt,
Er zeigt Euch jetzt, wie fest er Euch vertraut!
        (Ab.)

Dritte Szene.

Straßburg. Siegfrieds Herberge. Später Abend. Hinten Siegfrieds Schlafgemach. Edelknecht putzt einen Helm.

Edelknecht. Verdammt! Schon morgen! Gestern war mir's recht!
Doch heute – – gar zu lieblich ist das Kind,
Das ich im Münster sah. Er hört's doch nicht?
        (Horcht am Schlafgemach.)
O nein! Er schläft! Warum auch schäm' ich mich?
Ich denke doch, wer mit zu Felde zieht,
Der darf wohl auch nach einem Mädchen schaun!
Wüßt' ich nur, wo sie wohnt. Dann müßt' er mir
An ihren Fenstern morgen mit vorbei,
Ich tummelte mein Roß, sie säh' hinaus,
Ich grüßte sie, sie würde rot. Verdammt!
Heut trug ich just den alten Federhut,
Und in dem Helm hier, der so gut mir steht,
Wird sie mich nicht mehr sehn. Verzeih' mir's Gott,
Ich wollt', er würde kränker, als er war,
Damit er bliebe! (Er legt den Helm weg und nimmt einen andern.)
                            Nun den seinen noch.
Ein wenig nur! Denn ihm gilt alles gleich.

Vierte Szene.

Golo tritt ein im Reitmantel und mit Sporen.

Golo. Sieh, Edelknecht!

Edelknecht.                   So spät noch?

Siegfried (inwendig).                             Wer ist da?

(Edelknecht geht in Siegfrieds Schlafgemach.)

Golo. Nun gilt's! Er haut vielleicht mich in den Sand!
Dann nutz' ich meinen letzten Odemzug
Und decke sterbend den Verrat ihm auf.

Fünfte Szene.

Siegfried (kommt halb entkleidet).
Ihr, Golo? In der Nacht noch? Und so bleich
Und abgehärmt, als kämt Ihr aus der Gruft?

Golo. Sprecht lieber so: als wollte ich hinein!
Ich fürchte sehr, Ihr seht in mir Euch selbst,
Wie Euch mein Auge gleich erblicken wird,
Sobald mein Mund ein einzig Wort noch sprach.

Siegfried. Mein Weib ist tot! Du sagst nicht Nein? Sprich nie
Zu mir ein Wort mehr, oder sprich dies Nein!

Golo. Sie lebt.

Siegfried.         Sie lebt? Dann sei es, was es sei,
Nimm im voraus mein Wort: ich trag' es leicht.

Golo. Ihr Kind lebt auch!

Siegfried.                         Mein Kind!

Golo.                                                     Das sagt' ich nicht!

Siegfried. Ha!

Golo (feierlich). Edler Herr, ich fühl' mich nicht geschickt,
Durch eine Meldung ungeheurer Art
Eu'r Herz zu spalten, und den Riß zugleich
Zu heilen durch ein weich gewähltes Wort.
Drum, wie man Mord ruft in das Ohr der Nacht,
Den Schlaf zerreißend, wie man, wenn die Stadt
In Flammen steht, den Strang der Glocke zieht,
Nicht an die Fenster klopft, so ruf' auch ich:
Ihr trefft es nicht zu Hause, wie Ihr sollt!
        (Pause.)
Wie schwer es sei, der treuen Gattin Tod
Dem Gatten anzusagen, kinderleicht
Ist's gegen das, was ich Euch künden muß.
Ich traf Eu'r Weib in Ehbruch mit dem Knecht,
Dem Drago, und der Knab', den sie gebracht,
Kam vor drei Tagen erst, Ihr selber müßt
Am besten wissen, ob zur rechten Zeit.

Siegfried (dumpf, langsam).
Eins –zwei – zehn Monde bin ich fort! – Erst jetzt?
Und als ich zog, da sagte sie – – Erst jetzt!
(Er lacht.) Ich ging ja schon zu Bett! Was quäl' ich mich!
Von allen Träumen ist's der dümmste Traum,
Und auch der sündlichste. Gib acht! Gib acht!
Gleich kommt's dir vor, die Lilie sei schwarz.
        (Er schließt die Augen.)
Woher nur nimmt die Seele, die doch wohl
Geordnet ist und nicht im Irren schweift,
Zum reinen Widerspruch den Stoff im Schlaf?
Ei nun! Man kann ja auf dem Turme stehn,
Den festen Boden unter sich, und hat
Doch schwindelnd ein Gefühl, als ob man stürzt.
        (Er sieht Golo an.)
Du bist noch da? Dann bist du ein Gespenst,
Das mir die Hölle schickt, und trügest du
Nicht Züge, die mir wert und teuer sind,
Ich dränge mit dem Schwerte auf dich ein,
Obgleich ich weiß, daß man die Schatten nicht
Verletzen kann.

Golo (Als ob er gehen wollte).
                            Ich komme morgen früh.

Siegfried. So wach' ich, und du bist es wirklich?

Golo.                                                                     Ja!
Doch überrascht mich's nicht, daß Ihr's nicht glaubt.
Denn leichter ist es, einen Lebenden
Für ein Gespenst zu halten, als ein Weib,
Wie Euer Weib, für eine Sünderin.

Siegfried (richtet sich stolz auf).
Jawohl! jawohl! Ich bin ein Mann, und hab'
Als Mann ein Recht auf ein getreues Weib!
Und fass' ich dies mein Recht und ihre Pflicht
In ein Gefühl zusammen: frei und stolz
Möcht' ich da sagen: Wer so sprach, der log.

Golo. Ich log vielleicht schon einmal.

Siegfried.                                             O, das ist's!
An dir zu zweifeln, hab' ich nicht das Recht,
An ihr zu zweifeln, hab' ich nicht den Mut.
Wie in zwei Wageschalen sehe ich
Die höchsten Güter, die ich mein genannt,
Gleichschwebend kämpfen einen stillen Kampf;
Nicht weiß ich, wohin werf' ich mein Gewicht.
        (Pause.)
Und doch! Ich weiß! Ich fragt nicht mein Herz!
Wenn's bricht, so tut es seine Schuldigkeit!
Ich stelle mich als Mann zum Mann. Ich kann
Nur stehn für mein Geschlecht, für ihres nicht.
Was einem Weibe möglich ist, wer hat's
Erforscht! Doch, was ein Mann zu tun vermag,
Das sagt die Ahnung in der Brust mir an,
Und die spricht jetzt mit tausend Zungen: Nein!
Nun aber sei nicht unbarmherzig, Freund,
Rett' vor dem Wahnsinn mich und mach' mir klar,
Wie das geschehen konnte, was geschah.
Mir deucht, du nanntest – doch das kann nicht sein!
Ich hörte falsch! Nicht wahr, ein Sänger kam,
Ein goldgelockter, in mein stilles Schloß.
Er sang – er sang vielleicht von mir! Und sie
Verwechselte in süßem Rausch den Mund,
Der ihr mein Angedenken sanft erneut,
Mit meinem eignen Mund und küßte ihn,
So, daß die Liebe, die sie zu mir trug,
Doch noch zum neuen Brand den Funken gab.
War's so? Die Schande ist für mich gleich groß,
Doch nicht für sie.

Golo.                             Den Sängern hätt' ich wohl
Das Tor verschlossen, wie es sich gebührt.
Ihr hörtet recht. Kein Sänger: Drago war's!

Siegfried. Mann, treu wie Gold! Jetzt schwöre ich für dich,
Daß alles sich verhält, wie du gesagt.
Auf einen Drago fällt die Lüge nicht,
Und käme sie aus eines Tollen Hirn.
Das Herz ist listig! Satisfaktion!
Ja, ja! Nur darum darf's der Knecht nicht sein!
Nun, Freund, das Nähere. Ergötze mich!
Du hast gewiß den Drago mitgebracht.
Ruf' ihn herbei! Ich will dem Schuft verzeihn,
Wenn er die Schnurre gut erzählen kann.
Auf Gottes Kosten möcht' ich über Nacht
Ein wenig lachen; bis zum sechsten Tag
War er ein Meister, ich begreif' es kaum,
Wie er zuletzt noch solch ein Stümper ward.
Nun? Nun?

Golo.                   Den Drago stach der Caspar tot.
Doch ist der Hans hier. Ist es Euch genehm,
Den zu befragen?

Siegfried.                     Aus des Reitknechts Mund
Ein Siegel mir erbetteln für den Schimpf?
Nein, Golo!

Golo.                   Ihr vergebt. Es fällt mir schwer,
Euch Pfeil nach Pfeil ins Herz zu bohren.

Siegfried.                                                           Tu's!
Ich sterbe nicht davon. Nur schnell und kurz.
        (Zu Edelknecht.)
Du kleid' mich an! Dann führ' mich hin! Du weißt
Ja, wo sie wohnt.

Edelknecht.                 Wer denn?

Siegfried.                                         Die alte Frau,
Die meiner Wunde pflegte. Unbesorgt!
Ich werde sie nicht töten, weil sie's tat.

Golo. Was sinnet Ihr?

Siegfried.                     Mit eignen Augen will
Ich's Wunder schaun! (Zu Edelknecht, der ihn ankleidet.)
                                  Mein Schwert! Vergiß es nicht!

Golo (für sich). Er will zu Margaretha! Seltsam ist's!
Wie scharf der Teufel sieht! Sie hat es mir
Vorausgesagt, und hält sich schon bereit.

Siegfried. Nun, Golo?

Golo.                             Gleich nach Eurem Abzug ward
Die unbegreifliche Vertraulichkeit
Bemerkt, die Drago an die Gräfin band.
Ging sie zur Messe – Drago folgte ihr,
Rief sie, und war's auch aus dem Schlafgemach,
So rief sie meine Mutter nicht, noch sonst
Der Dienerinnen eine, immer ihn.
Doch weiß ich dies nur, weil man mir's erzählt,
Ich selbst hab' nichts davon gesehn.

Siegfried.                                                 Ich glaub's!
Dir lag der Argwohn fern!

Golo.                                           Am Ende zwar
Ward das Geflüster, das im Schlosse lief,
Das schlimme Deuteln, mancher freche Witz
Auch mir bekannt. Nun paßte ich mit Ernst.
Doch – nichts entdeckt' ich!

Siegfried (setzt sich den Helm auf).
                                              Nichts?

Golo.                                                           Kaum fiel mir's auf,
Daß sie ein paarmal ihre Tür verschloß,
Wenn Drago drinnen war.

Siegfried.                                   Du warst ein Kind!

Golo. An einem Morgen sprach die Mutter mir
Von Händedrücken.

Siegfried.                         Ha!

Golo.                                         Da dachte ich:
Du schickst auf gute Art den Burschen fort.
Ich rief ihn zu mir. Drago, sagte ich,
Im Bergschloß wurde der Verwalter krank,
Nun hab' ich keinen, dem ich trauen darf,
Als Euch, drum macht noch heut Euch auf den Weg,
Damit ihr seine Stelle dort verseht.
»Weiß sie's?« versetzt' er plump. Ich fragte: Wer?
»Ei, sie, die Gräfin!« – Nein! – »So fragt sie erst,
Ob sie mich ziehen läßt!« Ich tat's. Da griff
Sie mir ans Kinn –

Siegfried.                       Ans Kinn?

Golo.                                                 Und sprach: Mein Sohn,
Es gibt wohl andre, die du schicken kannst;
Geh lieber selbst, den Drago brauch' ich hier.

Siegfried. Wozu? (Er drückt sich den Helm tief ins Gesicht.)

Golo.                     So fragt' ich auch. Da aber ward
Sie zornig, wie ein Mensch denn zornig wird,
Wenn ihm die Antwort fehlt. So ging es fort.

Siegfried. Ich war im Krieg. Im Krieg, da stirbt sich's leicht,
Und Tote fordern keine Rechenschaft.
Was deucht dir, Freund, hat sie nicht so gedacht?

Golo. Was sie gedacht hat, davon weiß ich nichts.
An einem Abend, als die Dienerschaft
Beim Essen saß – ich stand und härmte mich,
Weil ich nicht mit am Tisch den Drago sah;
Da trat auf einmal, stier und totenbleich,
Die Mutter in die Tür und sprach zu mir:
Der Drago geht mit ihr zu Bett! Ich hielt
Es gleich für wahr und spie sie dennoch an.
Sie aber, drob erglühend, ging zum Tisch
Und rief's den Leuten zu, die sprangen auf,
Nach Lichtern griffen Balthasar und Hans,
Der Caspar schwur dem Drago Mord und Tod,
Ich ward vorausgedrängt –

Siegfried (fühlt sich mit der Hand nach der Stirn).
                                            Genug! Genug!
Komm, Edelknecht! – Das weitre unterwegs!
Ich könnt' es wissen! Warum schaute ich
Nicht längst ins Glas der Wahrheit! Ahnt' ich's schon?
Du sahst, nicht wahr? der Caspar und der Hans,
Der Balthasar, der Conrad, wer noch mehr?
Die ganze Welt, Ihr sahet –

Golo.                                           Hinterm Bett
Versteckt den Drago und entkleidet sie!

Siegfried (grimmig). Ein Glück für dich, daß es so viele sahn!
Wärst du's allein – den Spiegel meiner Schmach
Haut' ich in Stücke, eher noch als sie!

Golo (reißt sich die Brust auf und deutet auf Siegfrieds Schwert).

Siegfried (reicht ihm die Hand).
Still! Still! Nichts weiter! Wissen muß ich mehr,
Ja, alles! Denn ich muß ja alles tun!
Ja! Ja! Allein aus deinem Mund kein Wort.
Der schweigende Kristall, vor dem ich nicht
Erröten darf, soll mir's vertraun. Kommt! Kommt!
        (Zu Edelknecht.)
Du gehst sogleich, wenn du mich hingebracht,
Zurück und sattelst mein arabisch Roß! (Ab.)

Golo. Er ist ein Mann, wie sie ein Weib. Und ich! –

(Er folgt Siegfried.)


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