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Buchschmuck

Die Macht des Karma

Buchschmuck Die Wissenschaft versichert uns, daß die Leidenschaft der ersten Liebe ihrer Entstehung nach vollkommen unabhängig von der Erfahrung des Individuums ist. Mit anderen Worten, das Gefühl, das uns das persönlichste von allen scheint, wäre überhaupt nicht individuell.

Die Philosophie entdeckte dasselbe Faktum schon lange vorher und hat nie anziehendere Theorien aufgestellt, als wenn sie versuchte, das Mysterium der Leidenschaft zu erklären. Die Naturwissenschaft hat sich hingegen auf einige wenige Vermutungen über dieses Thema beschränkt. Dies ist bedauerlich, denn die Metaphysiker konnten zu keiner Zeit befriedigende Aufklärung darüber geben, sei es, daß sie lehrten, der Anblick des geliebten Wesens rufe in der Seele des Liebenden eine bis dahin schlummernde angeborene Vorahnung eines göttlichen Ideals wach, sei es, daß sie annahmen, daß die Illusion durch ungeborene Geister bewirkt werde, die eine Inkarnation suchen. Aber sowohl die Naturwissenschaft wie die Metaphysik stimmen in dem wichtigsten Punkte überein, nämlich daß die Liebenden selbst keine Wahl haben, daß sie beide willenlos von demselben Einfluß regiert werden. Die Naturwissenschaft ist sogar in dieser Behauptung noch bestimmter – sie gibt ganz klar zu, daß die Toten, nicht die Lebenden alle Verantwortung trifft. Die erste Liebe, sagt sie, wird von irgendeiner Art geisterhafter Erinnerungen hervorgerufen.

Es ist wahr, daß die Naturwissenschaft im Gegensatz zum Buddhismus nicht anerkennt, daß wir uns unter besonders günstigen Bedingungen an Erfahrungen aus unseren früheren Existenzen erinnern und sie wiedererkennen können. Die Seelenwissenschaft, die sich auf die Physiologie stützt, leugnet sogar die Möglichkeit der ererbten Erinnerung im individuellen Sinne. Aber sie gibt zu, daß etwas viel Mächtigeres, wenn auch Undefinierbares, sich vererben kann: die Summe unzähliger ancestraler Erinnerungen, die Summe zahlloser Millionen von Erfahrungen. Auf diese Weise vermag sie unsere rätselhaftesten Empfindungen, unsere widerstreitendsten Impulse, unsere seltsamsten Intuitionen zu erklären: all das scheinbar Unvernünftige der Anziehung und Abstoßung, all die vagen Stimmungen der Freude und Trauer, für die in der individuellen Erfahrung keine Erklärung zu finden ist. Aber sie hat es noch nicht mit ihrer Würde vereinbar gefunden, sich eingehender mit dem Thema der ersten Liebe zu beschäftigen, obgleich die erste Liebe in ihrer Beziehung zu der unsichtbaren Welt das geheimnisvollste aller menschlichen Gefühle ist.

Bei den abendländischen Völkern stellt sich das Problem so: Jeder heranwachsende gesunde und kräftige Jüngling gelangt in seiner Entwicklung zu einer atavistischen Periode, in der er jene primitive Verachtung für das schwächere Geschlecht empfindet, die durch das bloße Gefühl physischer Überlegenheit hervorgerufen wird. Aber gerade in dieser Zeit, wo die Gesellschaft der Mädchen für ihn so uninteressant geworden ist, verliert er plötzlich sein Gleichgewicht. Sein Lebensweg wird von einem Mädchen gekreuzt, er hat sie früher nie gesehen, in Wahrheit unterscheidet sie sich nur wenig von den übrigen Töchtern der Menschen, den Augen anderer erscheint sie durchaus nicht wunderbar. In demselben Augenblick fühlt er, wie sein Blut in einer einzigen mächtigen Welle zu seinem Herzen strömt, und alle seine Sinne sind berückt. Von da an, bis sein Liebeswahnsinn endigt, gehört sein Leben diesem neu entdeckten Wesen, von dem er nichts weiß, als daß selbst die Sonnenstrahlen ihm schöner dünken, wenn sie auf »sie« fallen. Von diesem Zauberbann kann keine irdische Macht ihn lösen. Aber woher kommt diese Zaubermacht? Ist es irgend eine Kraft in dem lebenden Abgott? Nein, die Psychologie sagt uns, daß der Einfluß der Toten in dem »Götzenanbeter« wirksam ist. Die Toten haben ihn betört. Von ihnen kommt die Erschütterung in dem Herzen des Liebenden, das elektrische Beben, das seine Adern bei der ersten Berührung einer Mädchenhand durchzuckt.

Aber warum die Toten gerade durch dieses Mädchen zu ihm sprechen, das ist der tiefere Teil des Rätsels. Die Lösung, die der größte deutsche Pessimist gegeben hat, befindet sich nicht in Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Psychologie. Die Wahl der Toten, vom Standpunkt der Evolutionslehre betrachtet, dürfte eher auf Erinnerung als auf Voraussicht basieren. Und des Rätsels Sinn ist nicht erfreulich.

Es ist allerdings die romantische Möglichkeit vorhanden, daß dieses Mädchen vor allen anderen von ihnen auserkoren wurde, weil in ihr wie in einer Kombinationsphotographie eine schattenhafte Andeutung all der Frauen fortlebt, die sie in vergangenen Zeiten beglückt haben. Aber es ist auch ebenso wahrscheinlich, daß sie in ihr etwas von dem Zauber der zahllosen Frauen wiedergefunden haben, die sie einst vergebens liebten.

Schließt man sich der düstereren Erklärung an, so müßte man glauben, daß die Leidenschaft, obgleich oft und oft begraben, weder sterben noch ruhen könne. Diejenigen, die vergebens um Liebe geworben haben, scheinen nur zu sterben; tatsächlich leben sie in den Herzen von Generationen fort, damit ihre Sehnsucht einmal Erfüllung finde. Sie warten vielleicht jahrhundertelang auf die Reinkarnation der Züge des geliebten Wesens, ihre nebelhaften Erinnerungsbilder ewig in die Träume der Jugend verwebend. Daher die unerreichten Ideale, daher die gejagte Unruhe der Seelen, die von dem Weibe träumen, das hienieden nicht zu finden ist.

Im fernen Osten denkt man anders, und was ich nun erzählen will, bezieht sich auf die buddhistische Deutung des Problems.

Buchschmuck

Dieser Tage starb ein Priester unter sehr seltsamen Umständen.

Er war der Priester eines altbuddhistischen Tempels in einem Dorfe nahe von Osaka. (Man kann den Tempel von der Kwan-Setsubahn sehen, wenn man nach Kyōto fährt.)

Er war jung, ernst und außerordentlich schön. Allzuschön für einen Priester, sagten die Frauen. Er sah wie eine jener schönen Amidastatuen aus, die die großen buddhistischen Bildhauer der Vergangenheit geformt haben.

Die Männer seiner Gemeinde hielten ihn für einen reinen und gelehrten Priester, und darin hatten sie recht. Die Frauen dachten nicht bloß an seine Tugend und seine Gelehrsamkeit: denn er besaß die verhängnisvolle Macht, sie wider seinen Willen, anzuziehen, in seiner bloßen Eigenschaft als Mann. Sie, sowie auch Frauen anderer Gemeinden bewunderten ihn in keineswegs heiliger Weise, und ihre Huldigungen störten seine Studien und andächtigen Betrachtungen. Sie ersannen Vorwände, ihn zu allen Stunden des Tages im Tempel aufzusuchen, nur um ihn einen Augenblick zu sehen und zu ihm sprechen zu können. Sie richteten Fragen an ihn, die zu beantworten seine Pflicht war und brachten fromme Gaben, die er nicht gut abweisen konnte. Manche stellten Fragen unkeuscher Art, die ihn erröten machten. Er war von Natur zu weich, um sich mit harter Abweisung zu schützen. Die vorlauten Stadtmädchen erlaubten sich daher, ihm Dinge zu sagen, wie sie ein Landmädchen nie über die Lippen gebracht hätte: Dinge, die ihn zwangen, sie aufzufordern, seinen Tempel zu verlassen. Aber je mehr er vor der Bewunderung der Schüchternen und der Zudringlichkeit der Kecken zurückscheute, desto mehr nahmen die Anfechtungen zu, bis sie zur Qual seines Lebens wurden. Schauspieler pflegen in Japan oft einen solchen faszinierenden Einfluß auf sensitive Mädchen der unteren Klassen auszuüben und mißbrauchen diese Macht oft in grausamer Weise. Es kommt allerdings sehr selten vor, daß ein Priester einen solchen faszinierenden Einfluß ausübt.

Seine Eltern waren schon lange tot; keine irdischen Bande knüpften ihn an das Leben: er liebte nur seinen Beruf, und die Studien, die damit zusammenhingen. Er wollte nicht an eitle und verbotene Dinge denken. Seine außerordentliche Schönheit – die Schönheit eines lebendigen Gottes – dünkte ihm nur ein Unglück. Reichtum wurde ihm unter Bedingungen angeboten, deren bloße Andeutung ihn schon verletzte. Mädchen warfen sich ihm zu Füßen und flehten vergebens um seine Liebe. Er erhielt fortwährend Liebesbriefe, die er niemals beantwortete. Einige derselben waren in jenem alten bilderreichen Stil abgefaßt, der von »dem felsenfesten Ruhekissen der Liebesbegegnung«, oder von den »Wellen, die die Schatten des Angesichtes beleben« und von »Strömen, die sich nur trennen, um sich wieder zu vereinigen«, spricht. Andere wieder waren kunstlos, überströmend zärtlich, voll von dem Pathos des ersten Liebesgeständnisses eines Mädchenherzens. Lange Zeit ließen solche Briefe den jungen Priester so ungerührt wie jene Statue des Buddha, dessen Abbild er zu sein schien. Aber in Wahrheit war er kein Buddha, sondern nur ein schwacher Mensch, und seine Lage wurde immer unerträglicher.

Eines Abends kam ein kleiner Knabe in den Tempel und händigte ihm einen Brief ein, flüsterte den Namen der Absenderin und verschwand in der Dunkelheit. Nach der späteren Zeugenaussage eines Tempeldieners las der Priester den Brief, schob ihn in den Umschlag zurück und legte ihn dann auf die Matte neben sein Kniekissen. Nachdem er lange in Sinnen versunken dagesessen hätte, holte er sein Schreibzeug, schrieb selbst einen Brief, adressierte ihn an seinen geistlichen Vorgesetzten und ließ das Schreiben auf seinem Pult liegen. Dann warf er einen Blick auf die Uhr und zog eine japanische Eisenbahntabelle zu Rate. Es war sehr spät, die Nacht dunkel und stürmisch. Er warf sich vor dem Altar zu einem kurzen Gebet auf die Kniee und eilte dann aus dem Hause. Er erreichte die Bahnstation gerade in dem Augenblicke, als der Expreßzug aus Kobé brausend einfuhr. Blitzschnell warf er sich auf das Geleise vor dem schnaubenden Ungetüm nieder. Und im nächsten Augenblick hätten diejenigen, die seine seltsame Schönheit angebetet hatten, vor Entsetzen aufgeschrien beim Anblick dessen, was von seinem armen vergänglichen Körper auf den Schienen klebte.

Buchschmuck

Der Brief, den er an seinen Vorgesetzten gerichtet hatte, wurde gefunden. Er enthielt die kurze Mitteilung, daß er in dem Gefühl seiner erschöpften Widerstandskraft, beschlossen habe, zu sterben, um nicht der Sünde zu erliegen. Der andere Brief lag noch auf dem Boden, wo er ihn gelassen hatte, ein Brief in jener Frauensprache geschrieben, in der jede Silbe eine demütige Liebkosung ist. Wie alle solche Briefe (sie werden nie durch die Post geschickt), enthielt er kein Datum, keinen Namen, keine Initialen, und der Umschlag trug keine Adresse. In unsere weit sprödere Sprache übertragen, könnte er annähernd so lauten:

»Sich solche Freiheit zu nehmen, heißt allzuviel Nachsicht verlangen. Gleichwohl fühle ich, daß ich zu Euch sprechen muß, und darum sende ich diesen Brief. Was mein geringes Selbst betrifft, so sei mir nur vergönnt, zu sagen, daß erst von dem Tage, an dem ich Euch an dem ›Feste der Fernen Küste‹ zum ersten Male sah, meine Gedanken erwachten, und seither konnte ich nicht mehr vergessen. Mit jedem Tage versinke ich mehr und mehr in diesen Gedanken an Euch; er umschwebt mich im Traume, und wenn ich erwachend Euch nicht sehe und es mir bewußt wird, das Traumgesicht sei keine Wahrheit gewesen, fließen meine Tränen. Vergebt mir, daß ich, die in diese Welt als Weib geboren ward, den Wunsch auszusprechen wage, einem so Erhabenen nicht verabscheuungswert zu sein. Es mag Euch töricht und unzart erscheinen, daß ich meinem Herzen gestatte, solche Qual zu erdulden um jemandes willen, der so himmelhoch über mir steht. Aber nur weil ich weiß, daß ich außer stände bin, mein Herz zu bezwingen, aus dessen Tiefe ich diesen armseligen Worten gestattet habe emporzuquellen, um von meinem ungelenken Pinsel niedergeschrieben und Euch gesandt zu werden, bitte ich Euch, daß Ihr mich Eures Mitleids wert halten möget; beschwöre ich Euch, mir nicht mit grausamen Worten zu begegnen. Habt Erbarmen mit mir, begreift, daß dies nur ein Übermaß meiner demutsvollen Gefühle ist. Geruht, dieses Herz, das sich in seinem tiefsten Elend an Euch zu wenden wagt, zu begreifen und gerecht zu beurteilen. Jeden Augenblick des Tages harre und hoffe ich auf eine beglückende Antwort.

 

Alle guten und glückspendenden Dinge auf Euer Haupt herabflehend
am heutigen Tage
von einer in aller ihrer Geringheit
von dem Erhabenen Gekannten.
An den Ersehnten, Geliebten,
Verehrungswürdigsten
geht dieser Brief.«

Buchschmuck

Ich begab mich zu einem japanischen Freunde, einem buddhistischen Gelehrten, um ihm einige Fragen über die religiöse Auffassung dieses Vorfalls zu stellen. Selbst als Zeichen menschlicher Schwäche angesehen, erschien mir dieser Selbstmord heroisch.

Nicht so meinem Freunde. Er sprach Worte der Verurteilung, er wies darauf hin, daß der, welcher annahm, durch den Selbstmord der Sünde entgehen zu können, in den Augen des Meisters ein im geistigen Sinne Verlorener sei – unwürdig der Gemeinschaft mit heiligen Männern. Was nun den Priester betrifft, hatte er zu jenen gehört, die der Meister Toren nannte.

Nur ein Tor könne glauben, durch Zerstörung des eigenen Körpers auch zugleich die Quelle der Sünde in seiner Seele zu vernichten.

»Aber,« wendete ich ein, »das Leben dieses Mannes war rein. Nehmen Sie an, daß er den Tod bloß suchte, damit er nicht unwissentlich andere zur Sünde veranlasse?«

Mein Freund lächelte ironisch, dann sagte er: »Es war einmal eine vornehme japanische Dame von erlesener Schönheit, die Nonne werden wollte. Sie begab sich in einen Tempel und trug ihren Wunsch vor. Aber der Oberpriester sagte: ›Sie sind noch sehr jung, Sie haben das Leben am Hofe gelebt. In den Augen weltlicher Männer sind Sie sehr schön, und Ihr schönes Antlitz wird eine stete Versuchung für Sie sein, zu den Freuden der Welt zurückzukehren. Überdies kann Ihr Wunsch vielleicht nur einem augenblicklichen Kummer entspringen. Ich kann Sie deshalb jetzt noch nicht in den Orden aufnehmen.‹

Aber sie fuhr fort so beharrlich in den Priester zu dringen, daß dieser es für das Beste hielt, sich ihren Bitten zu entziehen, indem er sich rasch entfernte.

In dem Räume, wo sie nun allein war, stand ein großes ›Hibashi‹ (ein Feuerbecken mit glühenden Kohlen), sie ergriff die Zange, hielt sie ins Feuer, bis sie glühend rot war, und damit verwundete und zerriß sie erbarmungslos ihr Antlitz und zerstörte so seine Schönheit auf ewig.

Der durch den Brandgeruch erschreckte Priester eilte herbei und sah voll Betrübnis das Geschehene. Aber sie erneuerte allsogleich ihre Bitten ohne das geringste Zittern in ihrer Stimme.

›Meine Schönheit war das Hindernis für meinen Eintritt in den Orden,‹ sagte sie, ›wollen Sie mich nun aufnehmen?‹

Der Priester willfahrte nun ihrer Bitte. Sie wurde in den Orden aufgenommen und lebte als heilige Nonne. Nun, wer war weiser, die Frau, oder der junge Priester, den Sie preisen wollten?«

»Aber war es denn die Pflicht des Priesters, sein Gesicht zu verunstalten?« fragte ich.

»Sicherlich nicht! Selbst die Handlungsweise der Frau wäre nicht verdienstvoll gewesen, hätte sie sich damit nur gegen die Versuchung schützen wollen. Selbstverstümmelung irgendwelcher Art, ist durch das Gesetz Buddhas verboten; darin hat sie sich einer Übertretung schuldig gemacht. Aber da sie sich das Gesicht einzig aus dem Grunde verbrannte, um allsogleich in den heiligen Verband aufgenommen zu werden, und nicht, weil sie sich unfähig fühlte, der Sünde durch eigene Willenskraft zu widerstehen, war ihr Vergehen verzeihlich, wohingegen der Priester, der sein Leben vernichtete, sich einer großen Sünde schuldig machte. Er hätte versuchen müssen, all die, die ihn verlocken wollten, zu bekehren. Dazu war er zu schwach. Fühlte er, daß er keine Kraft habe, der Sünde als Priester zu widerstehen, so wäre es weit besser für ihn gewesen, in das weltliche Leben zurückzukehren und dort nach dem Gesetz derjenigen zu leben, die nicht den Geboten der heiligen Ordensregeln unterworfen sind.«

»Der buddhistischen Auffassung nach, hat er sich demnach kein Verdienst erworben?« fragte ich.

»Es ist schwer anzunehmen, daß dies der Fall sein könnte. Seine Tat kann nur in den Augen derer, die das Gesetz nicht kennen, verdienstlich erscheinen.«

»Und was denken diejenigen, die das Gesetz kennen, über die Folgen, über das Karma seiner Handlung?«

Nach kurzem Sinnen sagte mein Freund nachdenklich:

»Die ganze Wahrheit dieses Selbstmordes entzieht sich unserem Wissen – vielleicht war es nicht das erstemal.«

»Meinen Sie damit, er könnte schon in irgend einem früheren Leben versucht haben, der Sünde durch die Vernichtung seines Körpers zu entgehen?«

»Ja, oder in vielen früheren Leben.«

»Wie verhält es sich mit seinem zukünftigen Leben?«

»Nur ein Buddha vermöchte über diese Fragen bestimmten Aufschluß zu geben.«

»Aber was sagt Ihre Religion darüber?«

»Sie vergessen, daß es für uns nicht möglich ist, zu wissen, was in der Seele dieses Mannes vorging.«

»Nehmen wir an, er suchte den Tod nur um der Sünde zu entgehen.«

»In diesem Falle wird er der Versuchung mit all ihren Schmerzen und all ihren Qualen tausend und tausende Male wieder und wieder begegnen müssen, bis er gelernt hat, sich selbst zu überwinden. Im Tode ist kein Entrinnen vor der ewigen Notwendigkeit der Selbstüberwindung.«

Als ich meinen Freund verließ, verfolgten mich seine Worte, und sie verfolgen mich noch immer. Meine eigenen Anschauungen erschienen mir nun in einem neuen Lichte. Ich war noch nicht fähig, mir darüber klar zu werden, ob diese geheimnisvolle Interpretation des Liebesmysteriums der Beachtung weniger würdig sei, als unsere abendländische Auffassung. Ich habe darüber nachgesonnen, ob die Liebe, die in den Tod führt, nicht weit mehr bedeuten könnte, als die Wiedergeburt begrabener Leidenschaften. Könnte sie nicht auch die unentrinnbare Strafe bedeuten für längst vergessene Sünde? ...

Buchschmuck

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