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Buchschmuck

Entwicklungstendenzen

Buchschmuck In den den Ausländern erschlossenen japanischen Häfen steht die fremde Niederlassung in grellem Kontrast mit der japanischen Umgebung. In der wohlgeordneten Häßlichkeit ihrer Straßen findet man Erinnerungen an Orte, die nicht diesem Teil der Welt angehören, gerade so, als ob Fragmente des abendländischen Lebens wie durch Zauber übers Meer herübergeweht worden wären: ein Stückchen Liverpool, ein Stückchen Marseille, New-York, New-Orleans, und auch Anklänge an tropische Städte aus Kolonien, die zwölf- und fünfzehntausend Meilen entfernt sind. Die Geschäftsgebäude, kolossal im Vergleich mit den leichten, niedrigen japanischen Kaufläden, scheinen gleichsam Drohungen der finanziellen Macht. Alle nur erdenklichen Arten von Wohnstätten – von dem indischen »Bungalow« bis zu dem englischen oder französischen Landsitz mit Türmchen und Bogenfenstern – sind von alltäglichen Gärten mit gestutzten Hecken umgeben; die weißen Fahrwege sind fest und eben wie eine Tischplatte und mit Bäumen besäumt. Beinahe alles in England und Amerika Hergebrachte ist in diese Gebiete verpflanzt worden. Man sieht Kirchtürme und Fabrikschlote, Telegraphenstangen und Straßenkandelaber. Man sieht Warenhäuser aus importierten Ziegeln mit Rollläden versehen und Auslagen mit Spiegelfenstern und gußeisernen Geländern. Es gibt Morgen- und Abendzeitungen, Wochenschriften, Klubs, Lesezimmer und Kegelbahnen; Billardsalons, Barrooms, Schulen und Kapellen. Es gibt Elektrizitäts- und Telephongesellschaften, Spitäler, Gerichtshöfe, Gefängnisse und eine Fremdenpolizei. Es gibt fremde Rechtsanwälte, Ärzte und Apotheker, fremde Krämer, Konfektionäre, Zuckerbäcker, Milchhändler, fremde Schneider, fremde Schullehrer und Musikprofessoren. Es gibt ein Rathaus für Gemeindeangelegenheiten und öffentliche Meetings aller Arten, das auch für Dilettantentheateraufführungen, Vorträge und Konzerte verwendet wird; und manchmal macht eine auf einer Tournee begriffene Schauspielergesellschaft dort Halt, um die Männer zum Lachen und die Frauen zum Weinen zu bringen, wie sie es daheim zu tun pflegt. Es gibt Kricketplätze, Rennbahnen, öffentliche Parks – oder wie man sie in England nennen würde, – »Squares«, – Yachtklubs, athletische Vereine und Schwimmschulen. Zu den täglichen vertrauten Geräuschen gehört das Geklimper der Klavierübenden, das Getöse der Musikkapellen und ein zeitweiliges Quieken einer Ziehharmonika. In der Tat, es fehlt nur der Leierkasten.

Die Bevölkerung besteht aus Engländern, Franzosen, Deutschen, Amerikanern, Dänen, Schweden, Schweizern, Russen, mit einem geringen Einschlag von Italienern und Levantinern. Fast hätte ich die Chinesen vergessen. Sie sind in großer Anzahl vorhanden, und haben einen kleinen Winkel des Distrikts für sich allein. Aber das dominierende Element ist England und Amerika, wobei die Engländer überwiegen. Alle Fehler und auch die edleren Seiten der herrschenden Rassen können hier besser studiert werden, als jenseits des Meeres, weil in einem so kleinen Gemeinwesen in diesen Oasen des abendländischen Lebens in dem großen, unbekannten, fernen Osten, naturgemäß jeder jeden kennt und über ihn Bescheid weiß. Man kann häßliche Geschichten hören, über die zu schreiben nicht der Mühe wert ist; auch Geschichten über edelmütige und hochherzige Taten von Männern, die sich für selbstsüchtig ausgeben und konventionelle Masken tragen, um das Beste, was in ihnen ist, vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Aber das Territorium der Fremden ist nicht größer, als daß nicht ein kleiner Spaziergang genügte, um es zu durchmessen, und es kann vielleicht, ehe noch viele Jahre ins Land gegangen sein werden, wieder zu nichts zusammenschrumpfen, aus Gründen, die ich gleich auseinandersetzen werde. Diese Niederlassungen entwickeln sich gar plötzlich. Sie schossen pilzartig wie die Städte des amerikanischen Westens in die Höhe und erreichten bald nach ihrer Konsolidierung die wahrscheinliche Grenze ihrer Entwicklung.

Rings um die Fremdenniederlassung und über sie hinaus erstreckt sich die Stadt der Eingeborenen, – die eigentliche japanische Stadt, bis in unbekannte Regionen. Dem Durchschnittsansiedler bleibt diese eine Welt des Geheimnisses; er hält es nicht der Mühe wert, sie auch nur einmal in zehn Jahren zu betreten. Sie hat kein Interesse für ihn, denn er ist kein Erforscher nationaler Sitten, sondern einfach ein Geschäftsmann, und er hat keine Zeit, darüber nachzudenken, wie merkwürdig das alles ist. Die Ansiedlungslinie zu überschreiten, bedeutet für ihn gerade soviel, wie die Überfahrt über den Stillen Ozean zu machen, welche lange nicht so weit ist, wie die Kluft zwischen den verschiedenen Rassen. Wagt man sich allein in das endlose Gewirr japanischer Straßen, wird man von den Hunden angebellt und von den Kindern angestarrt, als wäre man der einzige Fremde, den sie jemals gesehen haben. Vielleicht rufen sie einem auch noch »Jin«, »Tojin«, oder »Kotojin« nach, welch letztere Bezeichnung » haariger Fremder« bedeutet und keineswegs ein Kompliment sein soll.

Buchschmuck

Lange Zeit wahrten die Kaufleute der Niederlassung in allem und jedem ihre eigene Art und Weise, und oktroyierten den einheimischen Firmen Geschäftsgepflogenheiten auf, denen sich kein abendländischer Kaufmann unterworfen hätte, Gepflogenheiten, die klar zeigten, daß die Fremden alle Japaner für Betrüger ansahen. Kein Fremder wollte dazumal irgend etwas kaufen, ehe er den betreffenden Gegenstand nicht wieder und wieder der eingehendsten Prüfung unterzogen hatte, und weigerte sich, irgendeine Ordre für Import entgegenzunehmen, wenn sie nicht von einer beträchtlichen Anzahlung begleitet war. Japanische Käufer und Verkäufer protestierten vergebens; sie waren genötigt, sich dareinzufügen. Aber sie warteten nur, daß die Reihe an sie komme, und fügten sich nur mit dem Vorsatz, später Revanche zu nehmen. Die schnelle Entwicklung der Fremdenstadt und das dort so erfolgreich investierte Kapital bewies ihnen, wieviel sie noch lernen mußten, bis sie imstande sein würden, sich selbst zu helfen. Sie staunten, ohne zu bewundern, handelten mit den Fremden, oder arbeiteten für sie, und verabscheuten sie in ihrem Herzen. Im alten Japan rangierte der Kaufmann unter dem gewöhnlichen Bauer; aber jene fremden Eindringlinge maßten sich den Ton von Prinzen an und die Frechheit von Siegern. Als Arbeitsgeber waren sie gewöhnlich barsch, ja manchmal brutal. Aber bei alledem erschienen sie ihnen außerordentlich klug im Geldverdienen; sie lebten wie Könige und zahlten große Gehälter. Es war wünschenswert, daß junge Leute die Leidenszeit in ihrem Dienst durchmachten, um die Dinge zu lernen, die notwendig waren, das Land vor der Fremdherrschaft zu bewahren. Eines Tages würde Japan seine eigene Handelsflotte haben, und seine Bankagenturen in der Fremde und ausländischen Kredit, und wohl imstande sein, diese hochmütigen Fremden abzuschütteln; mittlerweile mußten sie als Lehrmeister geduldet werden.

So blieb der Import- und Exporthandel gänzlich in fremden Händen, und er wuchs aus einem Nichts zu einem Wert von Hunderten von Millionen; und Japan wurde gut exploitiert. Aber es war sich wohl bewußt, daß es nur zahlte, um zu lernen; und seine Geduld war von jener Langmut, die den Schein erweckt, daß erlittene Unbill vergessen sei. Nach der natürlichen Entwicklung der Dinge kam nun auch die Reihe an die Japaner. Der große Zustrom von Glücksuchern brachte ihnen den ersten Vorteil. Durch die Unterbietung der japanischen Preise konnten die alten Geschäftsgepflogenheiten nicht mehr aufrecht erhalten werden; und da neue Firmen froh waren, Ordres mit allem Risiko auch ohne Angeld entgegenzunehmen, konnten große Anzahlungen nicht wohl gefordert werden. Gleichzeitig besserten sich die Beziehungen zwischen Fremden und Einheimischen, da die letzteren eine gefährliche Fähigkeit zeigten, sich vereint gegen schlechte Behandlung zu wehren und sich nicht durch Revolver einschüchtern ließen, Mißbrauch keiner Art dulden wollten, und sich der ärgsten Provokateure kurzer Hand zu entledigen wußten. Schon war der rohere Teil der japanischen Hafenbevölkerung, die Hefe des Volkes, geneigt, wenn sie im geringsten gereizt wurde, agressiv zu werden.

Erst nachdem zwei Dezennien seit der Gründung der Ansiedlung verstrichen waren, begannen jene Fremden, die es anfangs nur als eine Frage der Zeit angesehen hatten, daß das ganze Land ihnen gehören würde, zu verstehen, wie sehr sie die Rasse unterschätzt hatten. Die Japaner hatten wunderbar gelernt, »beinahe so gut wie die Chinesen«. Sie verdrängten die fremden kleinen Ladenbesitzer, und verschiedene Etablissements waren genötigt, wegen der japanischen Konkurrenz zu schließen. Selbst für die großen Firmen war die Zeit der leichten Gewinne vorbei, und die Periode der harten Arbeit begann. In früherer Zeit waren die persönlichen Bedürfnisse der Fremden naturgemäß nur durch Fremde befriedigt worden, so daß sich ein großer Detailhandel unter dem Schutze des Engroshandels entwickelt hatte. Der Detailhandel der Niederlassungen war offenbar dem Untergange geweiht, einige seiner Branchen waren verschwunden; die übrigen verminderten sich sichtlich. Heutzutage kann der sparsame fremde Schreiber oder Geschäftsgehilfe es sich nicht leisten, in den Hotels des Ortes zu leben. Er kann eine japanische Köchin zu einem sehr geringfügigen Monatslohn engagieren, oder kann sich seine Mahlzeiten von einem japanischen Restaurant, die Platte zu fünf bis sieben Sen, schicken lassen. Er wohnt in einem Hause, das in einem »halb fremden« Stil erbaut ist, und einem Japaner gehört. Die Teppiche und Matten auf seinem Boden sind japanische Erzeugnisse, seine Möbel wurden von einem japanischen Kunsttischler geliefert. Seine Kleider, seine Hemden, seine Schuhe, sein Spazierstock, sein Regenschirm, sind »japanische Arbeit«, selbst die Seife auf seinem Waschtisch ist mit japanischen Ideogrammen gestempelt. Ist er ein Raucher, so kauft er seine Manila in einem japanischen Zigarrenladen, um einen halben Dollar billiger die Kiste, als irgend eine fremde Firma für dieselbe Qualität verlangen würde. Will er Bücher haben, kann er sie zu einem weit billigeren Preise von einem japanischen als von einem fremden Buchhändler beziehen, und kann seine Wahl aus einem weit größeren und besser assortierten Lager treffen. Will er sich photographieren lassen, geht er in ein japanisches Atelier; kein fremder Photograph könnte in Japan reüssieren. Steht sein Sinn nach Kuriositäten, wendet er sich an ein japanisches Haus, der fremde Händler würde ihm hundert Prozent mehr anrechnen.

Hat er Familie und lebt er in einem Hausstande, so wird sein täglicher Lebensbedarf von japanischen Fleischern, Fischverkäufern, Milchhändlern, Obst- und Gemüsehändlern ins Haus gebracht. Vielleicht, daß er eine Zeitlang fortfährt, englischen oder amerikanischen Schinken, Speck und Konserven von irgendeinem fremden Lieferanten zu beziehen, aber er macht bald die Wahrnehmung, daß japanische Läden jetzt dieselben Waren zu einem weit geringeren Preise liefern. Wenn er gutes Bier trinkt, dann kommt es wahrscheinlich aus einer japanischen Brauerei, und wünscht er eine gute Wein- oder Likörsorte, kann ihm dieselbe ein japanischer Kaufmann zu weit billigeren Bedingungen liefern, als der fremde Importhändler. In der Tat, die einzigen Dinge, die er nicht bei den einheimischen Firmen kaufen könnte, sind die, deren Anschaffung er sich ohnehin nicht gestatten kann – kostspielige Dinge, die nur von reichen Leuten gekauft werden können. Und endlich, bei Erkrankungen in der Familie wird er einen japanischen Arzt zu Rate ziehen, der ihm ein Honorar anrechnet, das vielleicht nur den zehnten Teil von dem beträgt, was er einem fremden Arzt hätte zahlen müssen. Fremde Ärzte finden es sehr schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, wenn sie bloß auf ihre Praxis angewiesen sind. Selbst, wenn der fremde Arzt seine Besuche nur mit einem Dollar bewertet, kann der angesehene, japanische Arzt zwei verlangen und doch in der Konkurrenz den Sieg davontragen; denn er liefert die Medikamente selbst, zu Preisen, die einen fremden Apotheker zu Grunde richten würden. Natürlich ist ein Unterschied zwischen Arzt und Arzt, wie in allen Ländern; aber der deutsch sprechende japanische Arzt, der befähigt ist, ein öffentliches Militärhospital zu leiten, kann selten in seinem Beruf übertroffen werden; und der fremde Durchschnittsarzt kann unmöglich mit ihm konkurrieren. Er verschreibt keine Rezepte, die vom Apotheker ausgeführt werden müssen; sein Arzneivorrat ist entweder zu Hause, oder in dem Hospital, das er leitet.

Diese wenigen, aus einer Menge aufs Geratewohl herausgegriffenen Beispiele zeigen, daß die fremden Verkaufsläden bald aufhören werden, zu existieren. Das Fortbestehen einiger derselben wurde nur durch nutzlose, törichte Geschäftstricks von seiten einiger japanischen Händler verlängert. Dies geschah durch Versuche, abscheuliche Mixturen unter fremder Etikette in versiegelten Flaschen in Umlauf zu bringen, um importierte Waren zu diskreditieren. Aber der gesunde Sinn der japanischen Händler im großen und ganzen widerstrebt solch einem unfairen Geschäftsgebahren, und dem Übel wird bald gesteuert werden. Der eingeborene Kaufmann kann in anständiger Weise den fremden Händler unterbieten, weil er nicht nur imstande ist, billiger zu leben, sondern sich dabei auch noch Ersparnisse zu machen.

Darüber war man sich wohl schon einige Zeit lang in den Niederlassungen ganz klar. Aber der Irrtum bestand fort, daß die großen Export- und Importfirmen unüberwindlich seien und den Handel mit dem Westen in seinem ganzen Umfang beherrschen könnten; und daß keine japanische Gesellschaft die Mittel aufbringen könnte, sich der Macht des fremden Kapitals zu widersetzen, oder sich die Geschäftsmethoden anzueignen, nach denen es verwendet wurde. Freilich, der Detailhandel würde ihnen entwunden werden. Aber das hätte wenig zu bedeuten. Die großen Firmen würden fortbestehen und sich vermehren und ihre Leistungsfähigkeit steigern.

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Während dieser ganzen Zeit äußerer Umwandlungen hatte sich das wahre Gefühl zwischen den Rassen – die gegenseitige Abneigung zwischen Orientalen und Okzidentalen – immer mehr gesteigert. Von den neun oder zehn in den offenen Häfen erscheinenden englischen Blättern gab die Mehrzahl Tag für Tag ihrer Antipathie in ironisierender und herabsetzender Weise Ausdruck; und die einheimische Presse erwiderte in gleicher Münze und schlug einen immer schärferen Ton an. Vertraten die antijapanischen Zeitungen auch nicht tatsächlich (wie ich es glaube) die absolute Majorität in ihrer Gesinnung, so verkörperten sie doch immerhin das Gewicht des fremden Kapitals und die vorherrschenden Einflüsse der Fremdenniederlassung. Die englischen projapanischen Blätter konnten, obwohl sie von scharfsinnigen Männern geleitet wurden, die sich durch ungewöhnliche journalistische Befähigung auszeichneten, nicht die mächtige Empörung beschwichtigen, die die Sprache der Gegner Japans hervorgerufen hatte. Der Vorwurf der Barbarei oder der Unsittlichkeit, der in englischen Zeitungen erhoben wurde, wurde sofort in den japanischen Tagesblättern mit Berichten über die skandalösen Vorkommnisse in den offenen Häfen beantwortet, die sich alsbald unter all den Millionen Einwohnern des Kaiserreiches verbreiteten. Die Rassefrage wurde durch eine mächtige Anti-Fremdenliga in die japanische Politik getragen; die Fremdenniederlassungen wurden unverhohlen als Treibhäuser des Lasters bezeichnet; und die nationale Empörung erreichte einen so hohen Grad, daß nur die entschlossenste Haltung der Regierung verhängnisvolle Ereignisse verhüten konnte. Nichtsdestoweniger wurde noch Öl in das verglimmende Feuer gegossen durch fremde Zeitungsherausgeber, die beim Ausbruch des Krieges mit China offen für China Partei nahmen. Diese Politik beobachtete man während der ganzen Dauer des Kriegs. Berichte über erfundene Niederlagen wurden skrupellos veröffentlicht; unleugbare Siege wurden ungerecht verkleinert; und nachdem der Krieg entschieden war, erhob sich der Warnungsruf, daß man die Japaner allzu gefährlich hatte werden lassen. Zu einem späteren Zeitpunkte wurde die Intervention Rußlands akklamiert und die Sympathiekundgebung Englands von Engländern verurteilt. Die Wirkung solcher Äußerungen zu solch einer Zeit war die einer Insulte, die ein Volk, das niemals vergibt, auch nicht vergeben konnte. Es waren Äußerungen des Hasses, aber auch Äußerungen der Beunruhigung – Beunruhigung über die Unterzeichnung jener neuen Verträge, die alle Fremden unter japanische Jurisdiktion stellten – und Furcht, eine nicht unbegründete Furcht vor einer neuerlichen Antifremdenagitation, verstärkt durch das neuerwachte Bewußtsein der nationalen Macht. Warnende Symptome einer solchen Agitation zeigten sich in der allgemeinen Tendenz, die Fremden zu insultieren und zu verhöhnen, und in einigen wenigen, aber exemplarischen Gewalttaten. Die Regierung sah sich genötigt, Proklamationen und Warnungen gegen solche Demonstrationen des Nationalhasses zu erlassen; und sie hörten auch ebenso rasch auf, als sie begonnen hatten. Aber es ist kein Zweifel, daß diese Einstellung der Feindseligkeiten hauptsächlich der freundlichen Haltung Englands als Seemacht zuzuschreiben war, und dem Werte seiner Politik für Japan in dem Moment, wo der Weltfriede bedroht war. England hatte auch zuerst die Revision der Verträge ermöglicht, ungeachtet der leidenschaftlichen Proteste seiner eigenen Bürger im fernen Osten; und die Führer des Volkes waren dankbar. Sonst wäre der Haß zwischen Ansiedlern und Japanern gewiß so verhängnisvoll geworden, als man gefürchtet hatte.

Im Anfange war dieser Antagonismus ein Rassegefühl und als solches natürlich; und die unvernünftige Heftigkeit der Vorurteile und der Feindseligkeit, die sich später entwickelte, war bei dem sich immer zuspitzenden Interessenkonflikt unvermeidlich. Kein Fremder, der mit den Verhältnissen vertraut war, konnte sich Hoffnungen auf eine wirkliche Annäherung machen. Die Schranken des Rasseempfindens, der Verschiedenheit des Gefühls, der Sprache, des Wesens und des Glaubens, werden voraussichtlich noch auf Jahrhunderte hinaus unübersteiglich bleiben. Obwohl man auch Beispiele warmer Freundschaft, beruhend auf der gegenseitigen Anziehung exzeptioneller Naturen, die einander intuitiv erraten können, zitieren könnte, versteht doch der Fremde im allgemeinen den Japaner ebensowenig, wie der Japaner den Fremden versteht. Was für den Fremden schlimmer ist als das Unverständnis, ist die einfache Tatsache, daß seine Position die des Eindringlings ist. Er darf unter keinen Verhältnissen darauf rechnen, wie ein Japaner behandelt zu werden; und dies nicht nur, weil er mehr Geld zu seiner Verfügung hat, sondern seiner Rasse wegen. Ein Preis für den Fremden; ein anderer für den Einheimischen, das ist die allgemeine Regel, ausgenommen in jenen japanischen Warenhäusern, die fast ausschließlich vom fremden Handel abhängen. Wenn du ein japanisches Theater, ein Wachsfigurenkabinett, irgend ein Vergnügungsetablissement, ja sogar ein Gasthaus betreten willst, mußt du tatsächlich eine Taxe für deine Nationalität entrichten. Japanische Handwerker, Arbeiter oder Schreiber werden für dich nicht nach japanischem Tarif arbeiten, es sei denn, daß sie irgend einen andern Zweck im Auge haben, als die Entlohnung. Japanische Hoteliers – ausgenommen in jenen Hotels, die eigens für europäische und amerikanische Reisende gebaut und eingerichtet sind – werden deine Rechnung nicht nach den üblichen Preisen machen. Es haben sich große Hotelgesellschaften gebildet, die diese Regel aufrechterhalten – Gesellschaften, die eine Unzahl Etablissements im ganzen Lande kontrollieren und in der Lage sind, den Ladenbesitzern und den kleineren Hotels ihre Bedingungen zu diktieren. Man hat unverhohlen zugestanden, daß die Fremden höhere Preise als die Japaner für ihre Verpflegung bezahlen müssen, weil sie mehr Mühe machen; und dies ist auch wahr. Aber selbst diesen Tatsachen liegt unverkennbar das Rassegefühl zu Gründe. Jene Hotelbesitzer, welche in den großen Zentren ihre Etablissements für japanische Gäste errichtet haben, legen gar keinen Wert auf den Besuch der Fremden, vielmehr verlieren sie öfters daran; teilweise weil gutzahlende, japanische Gäste Hotels, die von Fremden begünstigt werden, nicht lieben, und teilweise, weil der abendländische Gast das Zimmer für sich allein haben will, das vorteilhafter an eine japanische Gesellschaft von fünf bis acht Personen vermietet werden kann. Eine weitere Tatsache, die im Zusammenhang damit nicht genügend gewürdigt wird, ist, daß im alten Japan die Entlohnung für geleistete Dienste dem Ehrgefühl des einzelnen überlassen blieb. Der japanische Gastwirt lieferte (und liefert auf dem Lande oft noch heute) die Speisen zum Kostenpreise; und sein wirklicher Profit hing von der Feinfühligkeit des Gastes ab. Daher die Bedeutung des »Chadai« oder des Geschenks des Teegelds für das Hotel. Von dem Armen wurde eine sehr geringfügige, von dem Reichen eine größere Summe erwartet, je nach den geleisteten Diensten. In gleicher Weise erwartete der gemietete Diener, mehr nach der Zahlungsfähigkeit seines Herrn, als nach dem Werte seiner geleisteten Arbeit, entlohnt zu werden. Der Künstler zog es, wenn er für einen wohlhabenden Auftraggeber arbeitete, vor, nie einen Preis zu nennen; nur der Kaufmann suchte durch Feilschen möglichst viel aus seinen Kunden herauszuschlagen – ein unmoralisches Privilegium seiner Klasse. Man kann sich denken, daß die Gepflogenheit, die Bezahlung dem Ehrgefühl anheimzustellen, im Verkehr mit den Abendländern keine günstigen Resultate erzielte. Wir betrachten alles Kaufen und Verkaufen als »Geschäft«; und das Geschäft wird im Abendlande nicht von rein abstrakten Ideen der Moralität geleitet, sondern im besten Falle von relativen und partiellen moralischen Ideen. Einem generösen Manne ist es überaus peinlich, wenn man den Preis des Gegenstandes, den er kaufen will, seinem Gewissen überläßt. Denn wenn er nicht den Wert der Arbeit und des Materials genau kennt, ist er genötigt, eine so große Überzahlung zu leisten, damit er die Gewißheit hat, das möglichste getan zu haben; während der knickerige Mann aus der Situation den Vorteil zieht, so wenig als nur irgend möglich zu bezahlen. Deshalb müssen die Japaner im Verkehr mit den Fremden spezielle Tarife aufstellen. Aber der Verkehr selbst gestaltet sich infolge des Rasseantagonismus immer mehr oder weniger feindselig. Der Fremde muß nicht nur höhere Preise für jede Art qualifizierter Arbeit bezahlen, sondern auch einen höheren Pachtschilling und höheren Zinsfuß entrichten. Selbst zu hohen Löhnen kann man nur die niederste Klasse japanischer Dienstleute für einen abendländischen Haushalt bekommen; und ihres Bleibens ist gewöhnlich nicht lange, da sie die von ihnen verlangten Dienstleistungen nur ungerne verrichten. Selbst der anscheinende Eifer der gebildeten Japaner, eine Anstellung bei Fremden anzunehmen, wird gewöhnlich falsch aufgefaßt, da ihre wahre Absicht in den meisten Fällen nur die ist, sich für ihre Tätigkeit in japanischen Geschäften, Warenhäusern und Hotels vorzubilden. Der Durchschnittsjapaner würde es vorziehen, für einen seiner eigenen Landsleute fünfzehn Stunden im Tage zu arbeiten, anstatt bei einem Fremden, der ihm noch dazu einen höheren Lohn zahlt, nur acht. Ich habe Graduierte der Universität in dienender Stellung arbeiten sehen, aber sie arbeiteten nur, um ganz spezielle Dinge zu erlernen.

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Fürwahr, der oberflächlichste Fremde könnte nicht annehmen, daß ein Volk von vierzig Millionen, welches alle seine Kräfte auf die Ausgestaltung seiner absoluten Unabhängigkeit konzentriert, sich damit zufrieden geben würde, den Import- und Exporthandel seines Landes den Fremden zu überlassen, besonders angesichts der Stimmung in den offenen Häfen. Das Bestehen fremder Niederlassungen in Japan unter Konsulargerichtsbarkeit war an sich dem nationalen Stolz ein ewiger Dorn im Auge – ein Symptom nationaler Schwäche. So wurde es in den Zeitungen dargestellt – in den Reden der Mitglieder der Antifremdenliga – in Parlamentsreden. Aber die Kenntnis des Volkswunsches, den ganzen japanischen Handel zu beherrschen, und die zeitweiligen Feindseligkeiten gegen die fremden Ansiedler riefen nur vorübergehende Beunruhigung hervor. Man behauptete selbstbewußt, daß die Japaner durch jeden Versuch, sich der fremden Kaufleute zu entledigen, sich nur selbst schaden würden. Obgleich beunruhigt durch die Aussicht, unter japanisches Gesetz zu kommen, hielten doch die Kaufleute der Niederlassungen eine wirkliche Gefährdung ihrer vitalen Interessen nicht für möglich, es sei denn durch eine Gesetzesverletzung. Es hatte wenig zu bedeuten, daß die »Nippon Yusen Kwaisha« während des Krieges eine der größten Dampfschiffahrtsgesellschaften der Welt geworden war; daß Japan in direktem Handelsverkehr mit Indien und China stand; daß in den großen Industriezentren des Abendlandes japanische Bankagenturen errichtet wurden; daß japanische Kaufleute ihre Söhne nach Europa und Amerika schickten, um sich dort eine gründliche kommerzielle Ausbildung anzueignen. Weil japanische Rechtsanwälte sich eine große fremde Klientele erwarben; weil japanische Schiffsbauer, Architekten und Ingenieure die Fremden aus den Regierungsanstellungen verdrängt hatten, daraus folgerte durchaus nicht, daß die fremden Agenten, die den Import- und Exporthandel mit Europa und Amerika vermittelten, entbehrlich waren. Die ganze Handelsmaschinerie war in den Händen der Japaner unbrauchbar; und Befähigung für andere Berufe ließ noch keineswegs auf schlummernde kommerzielle Fähigkeiten schließen. Das in Japan investierte fremde Kapital konnte durch keinerlei gegen dasselbe gerichtete Assoziationen ernstlich gefährdet werden. Einige japanische Häuser mochten immerhin ein kleines Importgeschäft fortführen; aber der Exporthandel erforderte eine genaue Kenntnis der Geschäftsbedingungen in den anderen Weltteilen, und Konnexionen und Kredit, wie er den Japanern nicht zu Gebote stand. Aber das Selbstvertrauen der fremden Importeure und Exporteure erhielt im Juli 1895 einen harten Stoß, als ein englisches Haus, das gegen eine japanische Gesellschaft vor einem japanischen Gerichtshof Prozeß wegen Verweigerung der Annahme bestellter Waren geführt und einen Schadenersatzanspruch von dreißigtausend Dollars zugesprochen bekommen hatte, sich plötzlich einer es bedrohenden Assoziation gegenüber sah, deren Macht es nicht geahnt hatte. Die japanische Firma appellierte nicht gegen den Urteilsspruch des Gerichtshofs: sie erklärte sich bereit, die ganze Summe auf einmal zu bezahlen, wenn dies verlangt wurde. Aber die Assoziation, der sie angehörte, teilte den siegreichen Klägern mit, daß ein Kompromiß nur zu ihrem eigenen Vorteil sein würde. Da erkannte das englische Haus, daß es von einem Boykott bedroht war, der seinen vollständigen Ruin herbeiführen mußte – ein Boykott, an dem sich alle Industriezentren des Reiches beteiligen würden. Der Kompromiß kam mit einem bedeutenden Verlust für die fremde Firma rasch zustande; und der Fremdenkolonie bemächtigte sich große Niedergeschlagenheit. Man entrüstete sich sehr über das Unmoralische des Vorgehens. Aber es war ein Vorgehen, gegen das das Gesetz nichts tun konnte; denn dem Boykott kann das Gesetz nichts anhaben, und es zeigte deutlich, daß die Japaner imstande waren, fremde Firmen zu zwingen, sich ihrem Machtgebot zu fügen – durch schlechte Mittel, wenn gute nicht verfingen. Ungeheure Assoziationen waren von den verschiedenen großen Industriezweigen gegründet worden – Organisationen, deren Maßregeln, durch den Telegraph tadellos reguliert, die Konkurrenz zu Grunde richten und selbst den Urteilen des Gerichtes Trotz bieten konnten. Die Japaner hatten in früheren Jahren den Boykott mit so geringem Erfolg versucht, daß man sie unfähig zur Assoziation glaubte. Aber die neue Lage zeigte, wie viel sie aus dem Mißerfolg gelernt hatten und daß sie bei weiterer Ausgestaltung der Organisationen mit Recht erwarten durften, den fremden Handel unter ihre Kontrolle – wenn nicht geradezu ausschließlich in ihre Hände zu bekommen. Es würde der nächste große Schritt zur Verwirklichung des Volkswunsches sein: Japan nur für die Japaner! Wenn auch das Land weiter den Fremden offen stand, würden doch die fremden Kapitalsanlagen nur von dem Gutdünken der japanischen Assoziationen abhängig sein.

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Diese kurze Darlegung der Sachlage wird genügen, um die Evolution eines bedeutenden, sozialen Phänomens in Japan zu beweisen. Natürlich wird die bevorstehende Erschließung des Landes unter neuen Verträgen, die rasche Entwicklung seiner Industrie und die große jährliche zunehmende Ausdehnung des Handels mit Amerika und Europa wahrscheinlich einen Zufluß an fremden Ansiedlern herbeiführen; und dieses zeitweilige Resultat kann viele über den unausweichlichen Gang der Ereignisse täuschen. Aber alte erfahrene Kaufleute sind selbst jetzt der Meinung, daß die voraussichtliche Ausdehnung der Häfen in Wirklichkeit den Aufschwung des nationalen Handels bedeuten wird, der naturgemäß die fremden Kaufleute verdrängen muß. Die fremden Niederlassungen werden als Gemeinwesen verschwinden: bleiben werden nur einige wenige große Agenturen, wie sie in allen Haupthäfen der zivilisierten Welt bestehen; und die verlassenen Straßen der Fremdenkolonie und die kostspieligen Häuser auf den Anhöhen werden von Japanern bevölkert und bewohnt werden. Große fremde Kapitalien werden im Inneren des Landes nicht investiert werden. Und selbst die christliche Missionsarbeit muß eingeborenen Missionären überlassen werden; denn ebenso wie der Buddhismus nicht früher in Japan definitive Gestalt annahm, ehe nicht die Lehre seiner Doktrinen völlig japanischen Priestern überantwortet war, so wird das Christentum nicht dauernde Form annehmen, bis es nicht so umgestaltet worden ist, daß es mit dem Gefühls- und sozialen Leben der japanischen Rasse übereinstimmt. Selbst so umgestaltet, kann es nicht hoffen, anders als in der Form von einigen wenigen kleinen Sekten zu bestehen.

Das eben dargelegte soziale Phänomen läßt sich am besten durch ein Gleichnis veranschaulichen. In vieler Hinsicht kann die menschliche Gesellschaft mit einem individuellen Organismus verglichen werden. Fremde, gewaltsam in das System eingeführte Elemente, die sich unmöglich assimilieren lassen, führen zu Reizzuständen und teilweiser Zersetzung, bis sie natürlich ausgeschieden oder künstlich entfernt werden. Japan erstarkt durch Ausscheidung störender Elemente; und dieser natürliche Prozeß spiegelt sich in dem Entschluß, wieder Besitz von allen Niederlassungen zu ergreifen, die Abschaffung der Konsulargerichtsbarkeit herbeizuführen, und nichts im Reiche unter fremder Kontrolle zu belassen. Dies zeigt sich auch in der Verabschiedung fremder Beamten, in dem Widerstand, den japanische Kongregationen der Autorität der fremden Missionäre entgegenstellen, und in der resoluten Boykottierung der fremden Kaufleute. Und dieser ganzen Rassebewegung liegt mehr als das Rassegefühl allein zu Grunde: die feste Überzeugung, daß die Inanspruchnahme fremder Hilfe ein Beweis nationaler Schwäche ist und daß das Kaiserreich in den Augen der Handelswelt herabgesetzt bleibt, solange sein Export- und Importhandel sich in den Händen der Fremden befindet. Mehrere große japanische Firmen haben sich ganz von der Herrschaft der fremden Mittelspersonen emanzipiert; ein ausgedehnter Handel mit Indien und China Wird von japanischen Dampfschiffahrtsgesellschaften betrieben, eine Verbindung mit den Südstaaten von Amerika durch die »Nippon Yusen Kwaisha« für die direkte Baumwolleinfuhr ist in Bälde zu erwarten. Aber die fremden Niederlassungen bleiben stets Herde der Unruhe; und ihre kommerzielle Eroberung durch unermüdliche nationale Bemühungen kann allein das Land zufriedenstellen und wird besser noch als der Krieg mit China Japans wahre Stellung unter den Nationen zeigen. Diese Eroberung wird sich meiner Überzeugung nach sicherlich vollziehen.

Wie wird sich die Zukunft Japans gestalten? Niemand kann eine positive Voraussagung auf der Grundlage wagen, daß die jetzt vorhandenen Tendenzen auch in Zukunft wirksam sein müssen. Ohne bei den grausamen Wahrscheinlichkeiten des Krieges zu verweilen, oder bei der Möglichkeit innerer Wirrnisse, die zu einer zeitweiligen Aufhebung der Konstitution und zu einer Militärdiktatur führen könnten – ein wiedererstandenes Shogunat in modernem Gewande – so werden sich doch zweifellos große Veränderungen vollziehen, sowohl zum Guten, wie zum Bösen. Vorausgesetzt, daß diese Veränderungen normal verlaufen werden, darf man schon einige Prophezeiungen wagen, begründet auf der berechtigten Annahme, daß die Nation durch rasch wechselnde Perioden des Fortschritts und der Reaktion fortfahren wird, die neu errungenen Erkenntnisse mit dem bestmöglichen Erfolge zu assimilieren.

In ihrer physischen Entwicklung werden, glaube ich, die Japaner am Ende unseres Jahrhunderts den Japanern von heute weit überlegen sein. Für diese Annahme sprechen drei gute Gründe. Der erste ist, daß das systematische militärische und gymnastische Training der körperlich gesunden Jugend in Japan in wenigen Generationen voraussichtlich ebenso gute Resultate erzielen wird, wie das militärische System in Deutschland: Zunahme der Körpergröße, des Brustumfangs und Entwicklung der Muskulatur. Ein weiterer Grund ist, daß die japanischen Städter sich jetzt einer reichlicheren Ernährung zuwenden, einer Fleischnahrung, und daß eine nahrhaftere Kost physiologische Resultate haben muß, die das Wachstum befördern. Unzählige kleine Restaurants, in denen »abendländische Küche« fast zu so billigen Preisen geliefert wird, wie japanische Speisen, schießen überall in die Höhe. Drittens muß die durch die Erziehung und den Militärdienst notwendig gewordene Hinausschiebung der Eheschließung zu einer immer besseren Qualität der Nachkommenschaft führen. Da verfrühte Heiraten jetzt eher zu den Ausnahmen als zur Regel gehören, wird die Zahl der schwächlichen Kinder dementsprechend immer mehr und mehr abnehmen. Die außerordentliche Verschiedenheit der Statur, die man jetzt in jeder japanischen Menschenmenge bemerken kann, scheint zu beweisen, daß die japanische Rasse bei strengerer sozialer Disziplin einer großen physischen Entwicklung fähig ist.

Ein moralischer Aufschwung ist kaum zu erwarten, eher das Gegenteil. Die alten ethischen Ideale Japans waren zum mindesten so hochstehend, wie unsere eigenen; und in den ruhigen Zeiten der wohlwollenden patriarchalischen Regierung konnten die Menschen ihnen wirklich nachleben. Unwahrheit, Unredlichkeit und brutale Verbrechen waren seltener als jetzt, wie die offizielle Statistik zeigt; der Prozentsatz der Verbrecher ist seit einigen Jahren beständig im Steigen begriffen, was natürlich unter anderem auch beweist, daß der Kampf ums Dasein sich verschärft hat. Der alte Kanon der Keuschheit, wie er in der öffentlichen Meinung zum Ausdruck kam, war der einer weniger entwickelten Gesellschaft als unserer eigenen; dennoch glaube ich nicht, daß man mit Recht behaupten kann, daß die moralischen Verhältnisse schlechter gewesen wären als bei uns. In einer Hinsicht waren sie sicherlich besser. Denn die Tugend der japanischen Ehefrauen war allgemein zu allen Zeiten über jeden Verdacht erhaben. Wenn die Moral der Männer eine weniger tadellose war, so braucht man nicht erst Lecky zu zitieren, um zu beweisen, daß die Dinge im Abendlande auch nicht viel anders standen.

Frühes Heiraten wurde ermöglicht, um die jungen Männer vor den Versuchungen eines leichtfertigen Lebens zu behüten; und man darf wohl annehmen, daß dieses Resultat in einer großen Anzahl von Fällen erzielt wurde. Das Konkubinat, das Privilegium der Reichen, hatte seine Schattenseiten; aber es hatte auch die Wirkung, die Gattin von der physischen Anstrengung zu befreien, viele Kinder in rascher Aufeinanderfolge aufziehen zu müssen. Die sozialen Verhältnisse waren so verschieden von jenen, die die abendländische Religion als die besten annimmt, daß man eine unparteiische Beurteilung derselben nicht von der Geistlichkeit erwarten darf. Eine Tatsache ist unbestreitbar – daß sie dem professionellen Laster nicht günstig waren. Und in vielen der größeren, befestigten Städte – den Wohnsitzen der Prinzen – wurden Freudenhäuser überhaupt nicht geduldet. Bei vorurteilsloser Betrachtung aller Faktoren wird man finden, daß das alte Japan trotz seines patriarchalischen Systems den Anspruch erheben darf, selbst in Hinsicht der sexuellen Moral, weniger Angriffspunkte zu bieten, als so manches abendländische Land. Die Menschen waren besser, als ihre Gesetze es von ihnen verlangten. Und nun, da die Beziehungen der Geschlechter durch neue Gesetze geregelt werden sollen – zu einer Zeit, wo neue Gesetze wirklich not tun, – können die gewünschten Veränderungen nicht sofort zum Guten ausschlagen. Plötzliche Reformen werden nicht auf legislativem Wege erzielt. Gesetze können nicht unmittelbar Gefühle hervorrufen. Und wahrer sozialer Fortschritt kann nur durch eine durch langandauernde Disziplin und Betätigung entwickelte Umwandlung des ethischen Fühlens hervorgerufen werden. Mittlerweile muß die Bevölkerungszunahme und die sich verschärfende Konkurrenz, während sie den Verstand anregt, den Charakter verhärten und die Selbstsucht steigern.

Intellektuell wird sich zweifellos ein großer Fortschritt vollziehen, aber kein so schneller Fortschritt, wie diejenigen, die meinen, daß Japan sich in den letzten dreißig Jahren völlig umgewandelt hat, uns glauben machen möchten. Wie sehr die wissenschaftliche Erziehung auch in die Massen gedrungen sein mag, so kann sie doch nicht sofort den Standard der praktischen Intelligenz zu dem abendländischen Niveau erheben. Die Durchschnittsfähigkeiten müssen noch auf Generationen hinaus niedriger bleiben. Natürlich wird es eine Menge bemerkenswerter Ausnahmen geben; und eine neue Aristokratie der Intelligenz tritt in Erscheinung. Aber die wirkliche Zukunft der Nation beruht mehr auf den allgemeinen Fähigkeiten der vielen, als auf der Ausnahmebefähigung der wenigen. Vielleicht hängt sie hauptsächlich von der Entwicklung der mathematischen Fähigkeit ab, die überall eifrig gepflegt wird. Gegenwärtig ist dies der schwache Punkt; eine Unzahl von Studenten wird jährlich von den wichtigeren Klassen des höheren Studiums ausgeschlossen, wegen ihrer Unfähigkeit, in Mathematik zu bestehen. In den kaiserlichen Marine- und Militärakademien jedoch sind Erfolge erzielt worden, aus denen zur Genüge erhellt, daß diese Schwäche in Zukunft behoben werden kann. Die schwierigsten Zweige des wissenschaftlichen Studiums werden für die Kinder derjenigen, die sich schon auf diesen Gebieten ausgezeichnet haben, weniger unüberwindlich sein.

In anderer Hinsicht muß man sich wohl auf einen zeitweiligen Rückschritt gefaßt machen. Gerade so gewiß, als Japan das angestrebt hat, was über die normale Grenze seiner Kräfte hinausgeht, ebenso sicher muß es zu dieser Grenze zurücksinken – oder eigentlich sogar unter dieselbe. Ein solcher Rückschlag wird ebenso natürlich wie notwendig sein: er wird einfach eine innere Kräftigung und eine Vorbereitung für größere und erhabenere Aspirationen bedeuten. Zeichen dafür zeigen sich schon jetzt in dem Wirken einiger staatlicher Departements, namentlich in dem des Erziehungswesens. Die Idee, orientalischen Studenten einen Studiengang, der die Durchschnittsfähigkeit abendländischer Studenten, übersteigt, aufzuzwingen; die Idee, das Englische zur Landessprache oder wenigstens zu einer der Landessprachen zu machen; und die Idee, ancestrale Gefühls- und Denkweisen durch eine solche Erziehung zum Besseren zu ändern, grenzten an Wahnsinn. Japan muß seine eigene Seele entwickeln: es kann sich keine fremde zu eigen machen. Ein guter Freund, der sein Leben der Philologie widmete, sagte einmal zu mir, als wir über den Verfall der guten Manieren bei den japanischen Studenten sprachen: »Bedenken Sie doch, die englische Sprache ist schon an sich ein demoralisierender Einfluß gewesen!« Diese Beobachtung war eine sehr tiefsinnige. Der auf die ganze japanische Nation ausgeübte Zwang, englisch zu lernen (die Sprache eines Volkes, dem immer nur von seinen Rechten und nie von seinen Pflichten gepredigt wird), war beinahe eine Unvorsichtigkeit. Diese Politik war ebenso zu summarisch, wie sie zu plötzlich war. Sie involvierte eine große Vergeudung an Geld und Zeit, und sie trug dazu bei, das ethische Gefühl zu untergraben. In Zukunft wird Japan so englisch lernen, wie England deutsch lernt. Aber wenn dieses Studium in vieler Richtung unfruchtbar war, so ist es in anderer Hinsicht nicht vergeudet gewesen. Der Einfluß des Englischen hat in der einheimischen Sprache Modifikationen herbeigeführt, die sie reicher, biegsamer und fähiger machten, die neuen Formen des Denkens auszudrücken, welche die Entdeckungen der modernen Wissenschaft geschaffen haben. Dieser Einfluß muß noch lange fortdauern. Das Japanische wird eine große Anzahl englischer – vielleicht auch deutscher und französischer Worte in sich absorbieren: tatsächlich macht sich diese Absorbierung schon in der veränderten Sprache der gebildeten Klassen geltend, ebenso in den Redensarten der Hafenbevölkerung, die mit kuriosen Verballhornungen fremder kommerzieller Ausdrücke gemischt sind. Ferner wird die grammatische Struktur des Japanischen beeinflußt; und obgleich ich nicht mit jenem Geistlichen übereinstimmen kann, der kürzlich erklärte, daß der Gebrauch des Passivums bei Tokioer Straßenjungen, die den Fall Port Arthurs ausriefen – (»Ryojunko ga senryo serareta!«) – das Wirken der göttlichen Vorsehung zeige, so glaube ich doch, daß es den Beweis erbracht hat, daß die japanische Sprache (assimilationsfähig wie der Geist der Rasse überhaupt), die Fähigkeit zeigt, allen Anforderungen, die die neuen Verhältnisse an sie stellen, zu entsprechen.

Vielleicht wird Japan seiner fremden Lehrmeister im Lauf der nächsten Jahrzehnte freundlicher gedenken. Aber es wird dem Abendlande gegenüber nie das fühlen, was es vor der Meijiperiode für China, empfand, die ehrfurchtsvolle Achtung, die nach altem Brauch dem geliebten Lehrer gebührte. Denn die Weisheit Chinas wurde freiwillig gesucht, während die des Abendlandes ihnen mit Gewalt aufgezwungen wurde. Vielleicht werden einige christliche Sekten in Japan entstehen; aber das Land wird unserer englischen und amerikanischen Missionäre nicht in der Weise eingedenk sein, wie es selbst noch jetzt jener großen chinesischen Priester sich erinnert, die einstmals die Erzieher ihrer Jugend waren. Und es wird keine Reliquien unseres Aufenthalts im Lande bewahren, sorgsam siebenfach in Seide gewickelt und in zierliche Kästchen aus weißem Holz verpackt, weil wir ihnen keine neue Schönheitslehre zu offenbaren hatten, gar nichts was zu ihrem Gefühlsleben sprechen konnte.

Buchschmuck

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