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Buchschmuck

Die Nonne im Tempel von Amida

Buchschmuck Also Toyos Gatte, ein entfernter Vetter, der aus Liebe in die Familie aufgenommen worden war, von seinem Lehnsherrn in die Hauptstadt abberufen wurde, machte sich die Zurückgebliebene keine Sorge um die Zukunft. Nur Traurigkeit war in ihrem Herzen. Es war die erste Trennung seit ihrer Vermählung. Aber sie hatte Vater und Mutter zu ihrer Gesellschaft, und ihrem Herzen teuerer als alles (obgleich sie es sich selbst kaum eingestehen wollte) ihr Söhnchen. Überdies hatte sie immer alle. Hände voll zu tun. Viele häusliche Obliegenheiten waren zu erfüllen, viel Zeug für Kleider zu weben, sowohl in Seide wie in Baumwolle.

Einmal täglich stellte sie kleine, auf einem zierlichen Lackbrettchen tadellos servierte Miniaturmahlzeiten, wie sie den abgeschiedenen Geistern der Vorfahren und den Göttern dargebracht werden, für ihren abwesenden Gatten hin. Eine solche Mahlzeit, die dem Geiste einer abwesenden teuern Person dargebracht wird, nennt man ein Kagé-zen; buchstäblich ein »Scheintablett«. Das Wort »Zen« wird auch angewendet um die Mahlzeit zu bezeichnen, die auf dem lackierten Brett serviert wird, das Füsse hat wie ein kleines Tischchen. Das Wort »Scheinschmaus« wäre also eine korrektere Übersetzung von Kagé-zen. Diese Mahlzeiten wurden im östlichen Teil des Zimmers serviert und das Kniekissen des Abwesenden davorgeschoben. Der Grund, warum sie gerade im östlichen Teil dargeboten wurden, war, daß der Gatte nach dem Osten gereist war. Ehe O-Toyo die Speisen wieder abräumte, hob sie immer den Deckel der kleinen Suppenschüssel in die Höhe, um zu sehen, ob sich auf der lackierten Innenseite Dampf angesetzt hatte. Denn es heißt, solange man auf der Innenseite des Deckels Dampf sieht, ist der abwesende Geliebte gesund, aber wenn der Deckel trocken bleibt, ist er tot, denn dies ist ein Zeichen, daß seine Seele allein zurückgekehrt ist, um Nahrung zu suchen ... O-Toyo fand den Lackdeckel täglich dicht mit Dampfperlen bedeckt.

Der Knabe war ihre stete Freude. Er zählte nun drei Jahre und stellte Fragen, die nur die Götter befriedigend hätten beantworten können. Wollte er spielen, legte sie die Arbeit weg, um ihm zu willfahren, gefiel es ihm, ruhig dazusitzen, erzählte sie ihm wunderbare Geschichten oder gab auf seine Fragen den Dingen, die niemand verstehen kann, fromme und schöne Deutungen. Abends, wenn die kleinen Lampen vor den heiligen Altären und Bildern entzündet worden waren, lehrte sie ihn die kindlichen Gebete sprechen, und wenn man ihn zum Schlafe niedergelegt hatte, saß sie mit ihrer Arbeit an seinem Lager, versunken in den Anblick der friedlichen Lieblichkeit seines Gesichtchens. Manchmal lächelte er in seinen Träumen, und da wußte sie, daß Kwannon, die Göttliche, sein Kinderherz mit Spielen aus dem Schattenreich ergötzte, und sie murmelte die buddhistische Beschwörung an die Jungfrau, die »sich immer auf den Klang der Gebete gnädig hinabneigt«.

Manchmal, zur Zeit der klaren Tage, pflegte sie auf den Dakeyamaberg hinaufzuklettern, ihr Söhnchen auf dem Rücken tragend. Solch ein Ausflug machte ihm große Freude, denn es gab unendlich viel zu sehen und zu hören, worauf sie seine Aufmerksamkeit lenkte. Der sanft ansteigende Weg führte durch Haine und Wälder, über Wiesenhänge und zwischen steilen Felsen hindurch, und da waren Blumen mit Märchen in ihren Herzen und Bäume, in denen Geister hausten. Die wilden Tauben riefen »Korup – korup«, und die zahmen schluchzten »Owaō, Owaō«, – und Zikaden zirpten, flöteten und surrten.

Alle, die fernen geliebten Angehörigen sehnend entgegenharren, pilgern, wenn sie können, zum Gipfel des Dakeyama. Er ist von jedem Punkte der Stadt sichtbar, und von seiner Spitze aus kann man mehrere Provinzen überblicken. Auf seinem höchsten Gipfel steht ein aufrechter Stein, fast von der Größe und Gestalt eines Menschen, und kleine Kieselsteine sind rings um ihn und auf ihm aufgehäuft. Und nahe davon steht ein altes Shintoheiligtum, das in alten Zeiten dem Geiste einer Prinzessin geweiht worden war. Denn in ihrem Herzeleid um den fernen Geliebten pflegte diese von jenem Berge nach ihm auszublicken, bis sie sich vor Gram verzehrte und zu einem Steine wurde. Deshalb errichtete das Volk den Tempel, und alle Liebenden, die die Rückkehr eines fernen Angehörigen ersehnen, beten heute noch dort für seine glückliche Heimkehr. Und jeder der Betenden nimmt beim Fortgehen einen der dort aufgehäuften Steine mit. Und wenn der Ersehnte wieder zurückkehrt, muß der Stein wieder zu dem Häufchen auf dem Berge zurückgetragen und eine Anzahl anderer Kiesel dargebracht werden, als Dank und Erinnerungsgabe.

Ehe an einem solchen Tage O-Toyo mit ihrem Söhnchen das Haus erreichen konnte, senkte sich die Dämmerung schon sacht auf sie herab, denn der Weg war lang, und sie mußten hin wie zurück durch das Wirrnis der die Stadt umgebenden Reisfelder mit dem Boote fahren, was eine sehr langsame Art der Beförderung ist. Manchmal erhellten schon die Sterne und die Leuchtkäfer ihren Weg, manchmal auch der Mond, und O-Toyo sang ihrem Kinde das Kinderliedchen an den Mond:

 

Nono-San,
kleine Mondfrau,
wie alt bist du?
     »Dreizehn Tage, –
      dreizehn und neun.«
Noch so jung!
Ja, weil du den Gürtel trägst,
den schönen roten Gürtel (obi),
so prächtig geknüpft Einen hochroten »obi« oder Gürtel dürfen nur Kinder tragen.
um deine Hüften.
Willst du ihn dem Pferd geben?
     »Nein, o nein!«
Willst du ihn der Kuh geben?
     »Nein, o nein!«

 

Und in die blaue Nacht stieg aus all den feuchten meilenweiten Feldern der große, weiche wogende Chor, der die ureigenste Stimme der Erde selbst zu sein scheint, – der Sang der Frösche. Und O-Toyo deutete dem Kinde den Sinn des Sangs: »Mé Kayui, Mé Kayui, meine Augen brennen mich, ich will schlafen.«

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Das waren glückliche Tage und Stunden ...

Dann aber, plötzlich, im Verlauf von drei Tagen, verhängten jene Mächte, deren Gebote ewig unergründlich bleiben werden, großes Herzeleid über sie. Zuerst erfuhr sie, daß der gütige Gatte, für dessen Heimkehr sie so oft gebetet hatte, nie wieder zu ihr kommen würde, da er zum Staube zurückgekehrt war, aus dem alle irdischen Formen erstehen. Und kurz darauf wurde ihr die Gewißheit, daß ihr kleiner Knabe in einen so tiefen Schlaf versunken war, daß ihn der chinesische Arzt nicht wieder auferwecken konnte. All dies kam ihr nur in plötzlichem Aufleuchten zum Bewußtsein. Zwischen diesen Blitzen der Erkenntnis herrschte jene tiefe Dunkelheit, die die Götter erbarmungsvoll den Menschen geschenkt haben.

Es ging vorüber; und als das Dunkel zu weichen begann, sah sie sich dem Erzfeind gegenüber, der Erinnerung heißt. Vor andern vermochte sie ihr Antlitz sanft und lächelnd zu zeigen, wie in früheren Tagen, aber wenn sie mit ihren Erinnerungen allein war, versagte ihre Kraft. Sie ordnete kleine Spielsachen, breitete kleine Kinderkleidchen auf der Matte vor sich aus, liebkoste sie und plauderte flüsternd mit ihnen oder lächelte still vor sich hin. Aber das Lächeln ging immer in ein krampfhaftes, lautes Schluchzen über; sie schlug ihren Kopf auf die Erde und richtete törichte Fragen an die Götter.

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Eines Tages verfiel sie auf einen geheimnisvollen Trost, jenen Ritus, den das Volk »Toritsu-Banashi«, die Beschwörung der Toten, nennt. Konnte sie nicht ihren Knaben für einen kurzen Moment wieder zurückbeschwören? Es würde die kleine Seele beunruhigen, aber würde er nicht gerne den Schmerz eines Augenblicks ertragen, um der geliebten Mutter willen? – Sicherlich, das würde er.

Um Tote zum Wiederkommen zu bewegen, muß man sich an einen buddhistischen oder shintoistischen Priester wenden, der mit dem Ritus der Beschwörung vertraut ist, und die Sterbetafel (»Ihai«) des Toten muß diesem Priester übergeben werden.

Dann werden Reinigungszeremonien vorgenommen, Kerzen und Weihrauch werden vor dem »Ihai« entzündet, Gebete oder Bruchstücke von Sutras werden gesprochen, und Gaben von Blumen und Reis werden dargebracht. Aber in diesem Falle darf der Reis nicht gekocht sein.

Und wenn all dies vollzogen ist, nimmt der Priester in seine linke Hand ein bogenförmiges Instrument, und indem er mit seiner rechten Hand schnell darauf schlägt, ruft er mit lauter Stimme den Namen des Toten und spricht die Worte: »Kitazo-yo! kitazo-yo!« was bedeutet: »Ich bin gekommen!« Und indem der Priester ruft, verändert sich allmählich seine Stimme, bis sie endlich den ureigensten Klang der Stimme des Verstorbenen hat, denn dessen Geist ist in ihn eingetreten.

Der Tote beantwortet schnell die an ihn gerichteten Fragen, aber ruft unaufhörlich: »Eile, eile, denn diese meine Rückkehr ist schmerzlich, und ich kann nur eine kurze Weile bleiben!« Nachdem er also Rede gestanden hat, entweicht der Geist, und der Priester fällt besinnungslos auf sein Antlitz nieder. Aber die Toten zurückzurufen, ist nicht gut, denn sie werden dadurch geschädigt. Bei ihrer Rückkehr in die Unterwelt müssen sie einen niedrigeren Platz einnehmen, als sie früher innegehabt haben.

Jetzt sind diese Riten vom Gesetz verboten. Sie trösteten einstmals die Leidtragenden, aber das Gesetz ist ein gutes Gesetz und gerecht, da es Leute gibt, die mit dem Göttlichen im Menschen ihren Spott treiben.

So geschah es, daß O-Toyo eines Nachts in einem einsamen kleinen Tempel an der Peripherie der Stadt vor dem »Ihai« ihres Knaben kniete, den Beschwörungsriten lauschend. Und plötzlich ertönte von den Lippen des Priesters eine Stimme, die sie zu kennen glaubte – eine Stimme, die ihr über alles teuer war –, aber leise und dünn, wie Seufzen des Windes. Und die Stimme sagte ihr: »Frage schnell, schnell, Mutter, – dunkel ist der Weg und lang, und ich kann nicht länger säumen.«

Und sie fragte zitternd: »Warum muß ich um mein Kind trauern? Was ist die Gerechtigkeit der Götter?«

Und es kam die Antwort: »O Mutter, betrauere mich nicht also. Ich starb nur, damit du nicht stirbst, denn das Jahr war ein Jahr der Seuche und des Kummers, und ich wußte, daß du sterben solltest, und durch Gebet wurde mir gewährt, an deiner Statt zu sterben. O Mutter, weine nicht mehr um meinetwillen! Es ist nicht recht, um die Toten zu klagen; über den Strom der Tränen führt ihr lautloser Weg, und wenn Mütter weinen, steigt die Flut, und die Seele kann nicht hinüber, sondern muß ruhelos hin und her wandern.

Und deshalb bitte ich dich, gräme dich nicht, mein Mütterlein; gib mir nur manchmal ein wenig Wasser.«

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Von dieser Stunde an sah man sie nie mehr weinen. Gelassen und schweigsam erfüllte sie wie in früheren Tagen die frommen Pflichten einer Tochter.

Die Zeit verging, und ihr Vater hatte im Sinn, ihr einen anderen Gatten zu geben. Er sagte zu der Mutter: »Wenn unserer Tochter wieder ein Sohn beschert würde, wäre es für sie und uns alle eine große Freude.«

Aber die einsichtigere Mutter erwiderte: »Sie ist nicht unglücklich, es ist ausgeschlossen, daß sie sich noch einmal vermählt, ist sie doch wie ein kleines Kind geworden, das nichts von Sünde und Sorge weiß.«

Es verhielt sich wirklich so, daß sie aufgehört hatte, Kummer zu empfinden. Sie hatte angefangen, eine seltsame Liebe für ganz kleine Dinge an den Tag zu legen. Es begann damit, daß sie ihr Bett zu groß fand, vielleicht infolge des Gefühls der Leere, das durch den Verlust des Kindes entstanden war. Nacht für Nacht, Tag um Tag erschienen ihr auch andere Dinge zu groß: das Haus, die Wohnzimmer und die Nische mit ihren großen Blumenvasen, ja selbst das Kochgeschirr. Sie wollte ihren Reis nur aus einem winzigen Schüsselchen, mit Miniatureßstäbchen, wie sie Kinder benutzen, essen. In diesen wie in anderen harmlosen Dingen ließ man ihr ihren Willen, und sie hatte keine anderen Launen. Die alten Eltern beratschlagten viel miteinander über sie. Endlich sagte der Vater: »Es wäre sicherlich für unsere Tochter sehr peinlich, mit fremden Leuten zu leben, und wir sind doch schon so bejahrt, daß wir sie bald verlassen müssen. Vielleicht wäre es das beste für sie, wenn wir sie zu einer Nonne machten. Wir könnten ihr einen kleinen Tempel bauen.«

Am nächsten Morgen sagte die Mutter zu O-Toyo: »Möchtest du nicht eine heilige Nonne werden und in einem winzigen, winzigen Tempelchen mit einem sehr kleinen Altar und kleinen Buddhabildern wohnen? Wir würden immer in deiner Nähe bleiben. Wenn es dir recht ist, werden wir uns mit einem Priester besprechen, daß er dich die Sutras lehren soll.«

O-Toyo stimmte mit Freuden zu und bat, daß ein ausgesucht kleines Nonnenkleid für sie angefertigt werde. Doch die gute Mutter sagte: »Eine gute Nonne darf alles klein haben, mit Ausnahme ihres Gewandes. Sie muß ein großes, weites Kleid haben, denn so gebietet der Meister Buddha.«

So verstand sie sich dazu, das gleiche Kleid zu tragen, wie die anderen Nonnen.

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In einem leeren Hof, wo früher ein großer Tempel Amida-ji gestanden hatte, erbauten sie eine kleine Andera, oder Nonnentempel, für sie und nannten ihn auch Amida-ji und weihten ihn Amida-Nyorai und anderen Buddhas. Man schmückte den Tempel mit einem sehr kleinen Altar und diminutiven Gerätschaften. Es war darin ein sehr niedliches Exemplar der Sutra auf einem Miniaturlesepult und winzige Wandschirme und Glocken und Kakemonos. Und dort lebte O-Toyo lange noch, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Die Leute nannten sie Amida-ji-no Bikuni, was »die Nonne des Tempels von Amida« bedeutet.

Gerade vor dem Tor des Tempels stand eine Jizostatue. Aber dieser Jizo hatte eine besondere Aufgabe. Er war der Freund der kranken Kinder. Man sah fast immer kleine Reiskuchen vor ihm aufgestapelt. Dies bedeutete, daß man ihn für irgendein krankes Kind anflehte, und die Anzahl der Reiskuchen bedeutete die Anzahl der Jahre des kranken Kindes. Meistens lagen nur zwei oder drei Kuchen da, nur selten sieben bis zehn. Die Amida-ji Bikuni trug Sorge für die Statue, entzündete Weihrauch davor und schmückte sie mit Blumen aus dem Tempelgarten, denn hinter dem Tempel war ein kleines Gärtchen.

Nachdem sie ihre Morgenrunde mit ihrem kleinen Almosenschüsselchen gemacht hatte, pflegte sie sich gewöhnlich an einen winzigen Webstuhl zu setzen und Stoffe zu weben, die für den wirklichen Gebrauch viel zu schmal waren. Aber die Gewebe wurden immer von gewissen Ladenbesitzern aufgekauft, die O-Toyos Geschichte kannten. Sie schenkten ihr dafür kleine Täßchen, Blumenschälchen und drollige Zwergbäumchen für ihr Gärtchen.

Ihre größte Freude war die Gesellschaft von Kindern, und daran fehlte es ihr nie. Die japanischen Kinder bringen die meiste Zeit in den Tempelhöfen zu. Und viele glückliche Kindheitsjahre wurden im Tempel der Amida-ji zugebracht. Alle Mütter der Straße sahen es gern, wenn ihre Kinder sich dort aufhielten und schärften ihnen ein, ja niemals die Bikuni-San auszulachen ... »Ihre Art ist manchmal wunderlich,« pflegten sie zu sagen, »aber das kommt daher, weil sie einmal ein kleines Söhnchen hatte, das gestorben ist, und der Schmerz darüber war zu groß für ihr Mutterherz; darum müßt ihr sehr artig und ehrfurchtsvoll gegen sie sein.«

Artig, das waren sie wohl, aber nicht ganz respektvoll im gewöhnlichen Sinne. Sie fühlten besser, worauf es hier ankomme. Sie nannten sie »Bikuni-San« und grüßten sie freundlich, aber im übrigen behandelten sie sie ganz wie ihresgleichen. Sie spielten Spiele mit ihr, und sie gab ihnen Tee in ganz winzigen Täßchen und bereitete für sie Reiskuchen, die nicht viel größer waren als Erbsen, und webte auf ihrem Webstuhl Baumwolle und Seidenzeug für Kleidchen für ihre Puppen.

So wurde sie für die Kleinen ganz wie eine Schwester.

Sie spielten täglich mit ihr, bis sie zu erwachsen wurden, um zu spielen, und den Tempelhof von Amida verließen, um die bittere Arbeit des Lebens zu beginnen und Väter und Mütter von Kindern zu werden, die sie an ihrer Statt in den Tempelhof spielen schickten. Diese Kinder gewannen die Bikuni-San lieb, ebenso wie ihre Eltern es getan.

Die Bikuni-San fuhr fort, mit den Kindeskindern derer zu spielen, die sich ihrer noch aus der Zeit erinnerten, als der Tempel gebaut worden war.?

Das Volk trug Sorge, daß sie keine Not litt. Man gab ihr mehr, als sie für sich selbst brauchte. So war sie imstande, gegen die Kinder so freigebig zu sein, als sie es nur wünschen konnte, und auch kleine Tiere verschwenderisch zu bedenken. Vögel nisteten in ihrem Tempel und fraßen aus ihrer Hand und verlernten es völlig, sich, wie früher, auf den Köpfen der Buddhas niederzulassen.

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Doch eines Tages starb die Bikuni-San. Nach ihrem Begräbnis kam eine Schar Kinder in mein Haus. Ein kleines Mädchen von neun Jahren hielt im Namen aller folgende Ansprache an mich: »Herr, wir bitten um eine Gabe für die Bikuni-San, die gestern gestorben ist. Es wurde ihr ein großer ›haka‹ (Grabstein) gesetzt. Es ist ein schöner ›haka‹, aber wir möchten ihr auch einen ganz kleinen ›haka‹ setzen, weil sie zur Zeit, da sie mit uns war, oft gesagt hat, sie möchte einen ganz winzig kleinen ›haka‹ haben. Und der Steinmetz hat uns versprochen, einen solchen für uns auszuhauen und ihn sehr schön zu machen, wenn wir ihm das Geld bringen können. Wollt Ihr vielleicht geruhen, etwas dazu beizutragen?«

»Gewiß,« sagte ich, »aber jetzt habt ihr wohl keinen Spielplatz mehr?«

Die Kleine antwortete lächelnd: »Wir werden weiter im Tempel von Amida spielen. Sie ist ja da begraben, sie wird unseren Spielen zuhören und sich daran freuen.«


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