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8

Einhart war am anderen Tage ganz frei und froh. Er war heiter und bereit zur Wanderung im Parke und zu Fahrten in die Meierhöfe. Und war ein bevorzugter Gast im Schlosse. Daß er Nachtgespenster gesehen, das hatte sein Blut im Lichte noch vollends vergessen.

Er war am Morgen vom Kammerdiener rechtzeitig geweckt worden. Und man vergnügte sich erst eine Weile im Anschauen einiger Kunstblätter in der Bibliothek, ehe man in ein kleines Gehölz hinausgefahren, wo auch schließlich die Diener auf weißen Tüchern am Waldboden das Frühstück aufgestellt, und wo man im Kreise darumgesessen, viel geplaudert und gelacht hatte.

Und Tage gingen dann in solchem Behagen hin und in der Fülle Freiheit, die unter allen Menschen hier herrschte.

Das Schloß der Gräfin Schleh lag ein wenig entfernt von den zahlreichen Gutsgebäuden auf einem kleinen Hügel mitten in dem uralten Parke. Die blaue Flagge derer von Schleh wehte hoch vom Turme in die Lande. Um den Park dehnten sich nach einer Seite die Weiden.

Einhart durchschritt oft einsam die stillen Schattengänge des Parkes, durchbrach Büsche und herbstbunte Dickichte und Dornen, die den Park am äußersten Ende eingrenzten, sprang über Hürde und Graben und stand dann unversehens in der weiten, schweigenden Flur.

Hier war es, wo er zum ersten Male in die Ferne sah. Hier war es, daß er plötzlich wie nie im Leben seines Blutes uralte Triebe in einer schier grenzenlosen, verhallenden Einsamkeit in der Stille der Steppe vernahm, wie einer ganzen, weiten, unermessenen Grasflur tiefste Sehnsucht selber. Hier stand er und fühlte seinen Atem aus tiefster Brust, wie aus seinem innersten Leben drängend. Daß er erschrocken stand. Daß er ewig lauschte. Daß es ihm deuchte, als wenn in den reinen Lüften, die im Weidenstumpfe knarrten, und in den fernen, freien Tieren dasselbe seit Anbeginn lebendig wäre wie in ihm. Ungebunden und mit freiem Fluge, die Seele voll Licht und den Weg voll blumigen Grases hinauszuspringen, ohne Band, ohne Ziel, weil allenthalben das Ziel der Stunde, die Rast, der Aufenthalt, die Stärkung unter Fuß oder Huf gebreitet daliegt, von der Sonne geweckt, vom wehenden Luftzuge erzitternd.

Hier quollen Gefühle der Freiheit auf. Und er wähnte so hin in seinen wachen Träumen, als wenn er hineingestellt wäre, ein alter Zigeuner, in die weite Steppe und hätte irgendwo da sein Wanderzelt aufgeschlagen.

Als wäre er nicht geboren in einer fremden, gebundenen Gesellschaft, sondern aus dem Boden aufgesprungen, wie eines jener schlanken, schönen Schwertgräser, die mit ihren toten Ähren jetzt am Wassergraben entlang sich stolz wiegten.

Hier vergaß Einhart, daß noch eine andere Welt lebte, darin er als ehrgeiziger Künstler umgegangen. Und sein einstiges Treiben und Trachten schien erstorben zu einem fernen, leeren Gemurmel.

Hier hockte Einhart stundenlang auf einer Hürde und sah hinaus. Sein dunkles Gesicht war jetzt noch vollende richtig bronzen gebrannt. Seine Hände waren fein und dürr wie braune Zigeunerhände. Hier begann in ihm zum ersten Male eine Stimme leidenschaftlich zu rufen nach einem freien, eigenen, aus sich bestimmten Leben.

Nie hatte er gewußt, daß es im Blute einen Laut gibt, so unaufhaltsam, so unstillbar tief, so ewig alle Stimmen der Zeit und der Welt überrufend, daß nichts bleibt als diese eine Stimme. Unter den Tieren wanderte er manchmal weit hinaus, ohne Hut, ohne Stab, ganz nur er, einsam und achtlos, daß man ihn schließlich ängstlich ein paarmal suchen kam und ihn an die Ordnung im Schlosse gütig zu mahnen.

Er konnte hier alles vergessen. Er starrte einem Blatte nach, das frei im Winde lebte. Und einem Füllen, das nach seiner Mutter Laut die Ohren neckisch vorwarf.

Er sah auch immer darin eine Weibesgestalt bewegungslos stehen, streng in sich selber und von zärtlicher Güte, wie nur die Schönsten sie haben. Mit der Süße der Züge einer Geliebten und auch eines ein wenig ängstlichen, lieblichen Kindes.

Fern kam es. Fern ging es. Diese Bilder von Verena tauchten von ferne in die Fülle Gefühl, die ihn in der Steppe zum Leben aufrief.

Und wenn dann Einhart heimgekommen, waren seine Augen von dem Glanz, der in jedem Grase gefunkelt, noch tiefer und fröhlicher, noch ahnungsvoller und leidenschaftlicher zugleich. Es ging dann aus seinen Augen und aus seinen Worten, wenn er sich so vollgesogen mit der kühnen, hinauslockenden Freiheit des Weidetieres und des ziehenden Vogels, eine solche stählerne Festfreude aus, daß mancher an der besonnten Schloßtafel, verstohlen auf Einhart blickend, nicht begriff, wie mit diesem schlanken, jetzt in gewählter Salontracht dasitzenden, leicht ergrauten Manne, dessen Mienen und Gebärden sanft und gütig waren, sich ein solcher Hauch freien Wandertums und losen Abenteuers, eine solche rücksichtslose Ungebundenheit und Lust am namenlosen Leben auf der weiten Erde je zusammengefunden.

Einhart saß an der Tafel sanft geneigt. Die Gräfin Schleh sah ihn wie beglückt an. Aller Blicke suchten ihn manchmal. Er konnte mit lustiger Laune auch nur von dem springenden Blatte erzählen, dessen Spiel über die Ebene hin er mit spannenden Augen aufgesogen. Oder das Zwiegespräch von ein paar rauhhaarigen Füllen, das er, als sie miteinander weideten, vorgab selber erlauscht zu haben. Innige Wahrheit barg sich immer hinter seinen lustigen Lügen. Man sah alles, was Einhart sich so aus den blauen Lüften eingebildet. Denn Einhart hatte wie ein Raubvogel so sicher die kleinsten Seelendinge angesehen, die in Luft und Steppe hinstrichen. Das alles hatte er erspäht. Das alles lebte in seinen Worten. Daß ein Pferdewiehern wie ein Lachen der Freiheit und das Auseinanderbrausen einer jungen Hengsteschar wie der letzte Ton einer ganzen Geschichte der Leidenschaft ausklang.

Man liebte Einhart. Alle liebten ihn.


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