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16

Und solche sonderbare Zeichen kamen immer mehr. Johanna war gegen den Frühling viel wach mit weiten Augen. Sie redete viele Dinge ohne alle Scheu. Das war für Einhart allmählich noch eine rechte Prüfung.

Wenn Johanna Einharts Hände manchmal in ihre schlanken, bleichen, kaum noch schweren Hände nahm, sann sie allerlei Geheimnis nach, besonders dem Laufe ihres eigenen Lebens. Sie war in solchen Momenten eigentümlich streng. Sie fragte dabei nach niemand, der hinter ihren Erkennungen zurückblieb.

Einhart hatte jedesmal, wenn in Johanna solche Anwandlungen aufkamen, ein Gefühl, wie wenn eine ganz Unbekannte und Fremde vor ihm läge. Ihre Hände hielten sich bleich und heiß in seiner Hand, und die Pulse hämmerten sichtlich in den seinen, weißen Schläfen.

Einmal hatte sie zu erzählen begonnen und hin und her zu sprechen von Poncet.

»Am Meere hat es begonnen,« sagte sie ganz hart.

Einhart hatte nur gedacht, daß sie die Krankheit meinte.

Wie sie es an Einhart merkte, weil sie jetzt außerordentlich schwach war, daß er die Worte nur gleichgültig hingenommen, versuchte sie lauter und deutlicher zu sein.

»Nicht doch!« sagte sie ein wenig unwillig. »Ich meine das Jahr vorher! Die Nacht! Ich meine doch die Nacht, wo du mich einsam am Meere gelassen. Wo du auf den Felsen stiegst, um zu malen. Wo ich mutterseelenallein auf dem Dünenhügel stand und dann ans Meer ganz nahe herantrat, wo die tausend Blutzungen nach mir leckten.« – – »Hu!« sagte sie noch, wie sie eine Weile geschwiegen.

Einhart wußte noch immer nicht recht.

»Du kannst es mir glauben, daß es erst damals begonnen!« sagte Johanna jetzt ganz eindringlich.

»Ja, ja, an den Abend erinnere ich mich,« sagte Einhart beteiligt. »Ich weiß schon. Wo ich die Skizze in Purpurfarben malte und dann zu dir ans Meer kam.«

»Nein, nein, du kamst nicht. Du kamst ewig nicht. Das war es. Das düstere Meer war unsäglich in seiner Pracht. Unsäglich in seiner herandrängenden Begehrlichkeit!«

»In einer gräßlichen, blutigen Begehrlichkeit,« sagte sie in sich hinein fröstelnd. »Alles war blutig und eintönig herandrängend und eindringend. Ich wäre schließlich doch zu dir geflohen, wenn mich nicht jemand im letzten Aufschrei der Seele gegriffen und meine Lippen lebendig geküßt hätte, bis ich wieder eine Menschenseele ganz fühlen konnte. Oh!«

Einhart war ganz stumm geworden.

»Einhart,« sagte Johanna, »wußtest du das?«

»Nein,« sagte Einhart.

»Sei mir nicht böse, Einhart!« sagte Johanna zärtlich.

»Damals war ich noch gesund,« sagte sie in demselben Tone.

»Du dachtest nie an solche Not,« redete Johanna dann lächelnd weiter. »Du warst immer nur aufs Verklären aus. Auf die Arbeit. Auf die Kunst. Poncet stand hinter mir.«

»Ja, wer kann sagen, warum es mir so süß dünkte, dich zu betrügen mit seiner Liebe?« sagte sie flüchtig hin.

»Ach, Johanna!« sagte Einhart.

»Weißt du. Betrügen ist ein dummes Wort,« sagte Johanna heiter. »Nein, nein, das kann ich dir mit aller Bestimmtheit sagen, daß ich Poncet beständig ersehnt und begehrt hatte. Meine Seele hatte ihn an dem Abend ohne Namen tausendmal gerufen. Er hatte gar keine Schuld. Nicht die geringste. Ich hatte ihn gerufen. Wie ich diese wundersamen Düsternisse anstaunte, die mich blendeten und gräßlich schreckten, hatte ich nach Einem gerufen, der wie ein Räuber furchtlos sein, mich stark anfassen und mich sicher forttragen würde durch die tausend züngelnden Höllenfeuer. Mich! Mich! Mich!«

Johanna schwieg lange, ehe sie leise lachte.

»Ha, ha, ha, ha, damals war ich noch gesund,« sagte sie vor sich hin.

»Poncet mußte mich gehört haben. Mußte es gehört haben, daß ich beständig so gerufen hatte. Er stand zu rechter Zeit hinter mir und preßte seine heiße Glut auf meinen verbleichenden Mund und hüllte seine Seele wie einen Mantel um meine Seele.«

»Ja, Einhart!« sagte Johanna leise.

Dann redete Johanna noch leise Worte.

»Deshalb war ich immer heimlich an Poncet gebunden in allen Ängsten. Du hast mich damals nicht gehört, Einhart. Du kamst viel später,« sagte sie ganz zärtlich, und als wenn sie nichts gesprochen hätte als arglose Dinge. Sie ließ auch Einharts Hände nicht los. Sie zog die Hände an ihre weiche, fast vergangene Brust. Einhart sah heimlich erschüttert ins Auge dieser wunderlichen Erzählerin, die unter ihren Lebensgeheimnissen hinwandelte und alle verhangenen Bilder in den Sälen ihrer Erinnerung wie gleichgültig enthüllte.

»Oh, du,« sagte Johanna einmal ganz plötzlich, »glaube mir, Einhart, du und Poncet seid aus zwei verschiedenen Himmelsstrichen. Du konntest mir nie zu Hilfe kommen. Aber einmal wird sich dein Kreis auch vollenden,« sagte sie seherisch. »Wer weiß, auf welche Art?«

Zu Poncet war Johanna immer gleich sanft. Aber sie redete jetzt, wo ihre Kräfte mehr und mehr abnahmen, zu ihm nichts Sonderliches. Und ihre Kräfte nahmen wirklich sehr ab. Rapide sogar nach den Aprilwettern.

»Oh! Einhart! Einhart! Einhart!« rief sie einmal plötzlich klagend und starrte vor sich hin, mit einem Blick, der kaum zu erwecken war.

»Was ist dir, Geliebte?« hatte Einhart ihr zuspringend gerufen, den der Klang tief erschrocken hatte.

Aber Einhart kannte jetzt das Geheimnis. Denn alle Dinge sind in dem Schauenden, wenn ihm ihre Seele auch nur einen Hauch gab. Aus solchem Hauche wachsen sie auf in ihm zu klarem, vollem Bilde und Leben. Er sah jetzt alles, wie es immer zwischen Johanna und Poncet gewesen war. –

Eines Tages stand Einhart, Johanna beobachtend, stumm am Bette, wo auch Poncet saß. Der Puls Johannas war schwach und klein. Johanna hatte gar nichts mehr gesagt. Den ganzen Tag war sie zu schwach gewesen. Nur als Poncet ins Zimmer gekommen, hatte sich Johannas Auge ein wenig aufgetan und dann lange nach ihm hingewandt. Der Husten hatte sie noch geplagt, aber verhältnismäßig gering gegen sonst. Und sie schien danach eine Weile auch wieder ganz ruhig und wie im Traume Zärtliches mit einer murmelnden Lippenbewegung auszudrücken.

Dann hatte sie mit großen Augen plötzlich aufgeblickt.

Da, wie Einhart so in die bleiche, ersterbende, aufstarrende Johanna hineinsah, erhob sie sich immer höher und mit dem weit aufgetanen Auge, wie wenn eine Nachtwandlerin aufstünde, allein dem Monde noch zugewandt und ganz dahin gerichtet, woher ihre Seele jetzt noch Licht gesehen. – Und jetzt tastete sie mit zitternder Inbrunst nach Poncet, seinen Namen mit letzter Seele flüsternd, suchte und suchte sich an ihn zu drängen, seine Lippen heiß und verzehrt zu erreichen und mit dem letzten Atem der Sterbenden sanft anzurühren. –

Dann lag Johanna zurückgesunken, nur noch ein Hauch, nachdem sie danach einen langen, tiefen Atemzug getan, der nicht zu enden schien. Sie hustete nicht mehr. Alle Unruhe und Krankheit schien von ihr genommen. Die Augen abgewandt, doch leicht aufgetan. Nach niemand hatte sie mehr gerufen. Nichts mehr begehrt. Man hatte ihr die trockenen Lippen ein paarmal mit Wein genetzt. Die Hände lagen still wie Blumen. Nach niemandem mehr hatte sie sie ausgestreckt.

Poncet und Einhart, die beide wie erstorben aussahen und fröstelten, merkten bald, daß sie vor einer Toten standen. Johanna hatte Leid erfahren, Sünde gelebt und Glück. Die Tote begann lächelnd auszusehen und wie frei schwebend. Einhart bebte. Poncet staunte in die Augen, die noch immer offen standen und doch jetzt leer schienen.

»Drücke ihr die Lider zu!« sagte Einhart bestimmt, aber verhalten. »Nach dir hatte ihre Seele immer verlangt.«

Die Freunde umarmten sich und standen dann noch lange stumm versunken vor Johannas Totenbett.


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