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14

Frau Rehorst Traum war in ganz jäher Weise im Herzen ausgeträumt. Als Tag und Stunde kam, wo Einhart sie in der Dämmerung gewöhnlich besuchen kam, sah sie bleich und erschöpft aus, weil sie einen Kampf gekämpft und alles heiße, heftige Drängen ihres Blutes in einem bestimmten Entschluß zur Ruhe gebracht.

Der Feiertagsfrieden lag im Hause. Das rührige Fest des Bescherungsabends war verklungen.

Frau Rehorst hatte ausdrücklich gewünscht, daß der eigentliche Feiertag zu einer stillen Freude der Zurückgezogenheit werden möchte, und zu einem Sichbesinnen oder auch Sichverlieren in fernen, fremden, schönen Dingen. In Frau Rehorsts Zimmer lagen tausenderlei Kunstmappen und neue Literatur jetzt herum. Sie las mit großer Leidenschaft noch, und hatte auch Herrn Rehorst und den Kindern heute ausdrücklich gesagt, daß sie nach all der Einkaufshast und den Beschenkungsunruhen endlich wieder einmal in die Gefilde der Träume eingehen wollte, ungestört.

Herr Rehorst ängstigte sich im geheimen noch ein wenig. Die melancholische Erregung von Frau Rehorst am Weihnachtsabend hatte ihn erschreckt, zumal in der Familie von Frau Rehorst einige an derartigen Anwandlungen nervöser Gebrechlichkeit krankten. So hatte er Frau Rehorst nur am Nachmittag auf die Stirn geküßt, und ehe er sich selber in seine Arbeitsräume zurückzog, den Kindern leise und ausdrücklich gesagt, daß im Hause jeder Laut vermieden werden müßte. Die Kinder waren im Schlitten aufs Land gefahren. So saß Frau Rehorst bleich und in der eigentümlichen Schwäche, in der große Herzensentschließungen das Gemüt zurücklassen, und versuchte vergeblich in einem der Eindrücke zu haften, die sie dem Auge jetzt darbot.

»Es ist wunderlich,« dachte sie, »daß wir nur Stärke und Ruhe gewinnen, wenn wir entsagen. Dann gewinnen wir uns selbst wieder. Sonst verbrennen wir unsere Kerze und verzehren unsere Hoffnung.«

Sie hatte allerhand Bücher, köstliche, in Pergamentbänden mit goldenen Leisten und Blumen aufgeschlagen, und in jedes mit äußerem Blick hineingelesen. Und nichts hatte sie wirklich auch nur mit einem Hauche in ihre verzehrte Seele genommen. Alles trieb nur ein leeres Spiel draußen in den Vorhöfen des Lebens, wo die Eindrücke noch nicht wiedergeboren sind, keine Seele haben und keine Sprache reden.

Auch Bilder besah sie.

Den Milletschen Reiter im fliegenden Mantel am einsamen, sturmumschrieenen Heideteiche hatte sie angesehen und flüchtig eine Tröstung empfunden und eine selige Ausschau, daß da auch einer nun Heimat und das Geliebte verlassen in eigener Bestimmung und mit sicheren Blicken, von Gewalten umheult und umrissen neu ins Ungewisse sich verlierend. So war auch ihr jetzt zumute. Sie saß bleich und verloren lange in ihrem Lehnsessel zurückgebogen und lauschte heimlich in die tiefe Feiertagestille, die draußen und drinnen herrschte.

Dann beschloß sie an dem Tage niemand mehr bei sich einzulassen.

»Wer auch kommen möge. Ich bin nicht zu Haus,« sagte sie dem Diener, der auf ihr Klingeln eingetreten.

Sie hatte sich am Schreibtisch niedergelassen und begann jetzt in ein Tagebuch einige Notizen zu machen. Sie hatte sich ein dunkles, glattfließendes Sammetkleid angetan, das in weichem Schwunge um sie lag, und trug einen breiten Silberschmuck mit seinen Gehängen um die Spitzen am Halse. Ihre Arme lagen weiß in dem Dunkel der Seidenbehänge, die durchbrochen waren. Sie sann. Sie versuchte einiges aufzuschreiben, von dem, was vorgegangen und noch vorging.

»Rehorst ist die Himmelsgüte selber. Und ein Mensch ohne Mißtrauen. Wie war er geduldig! Und wie sinnlos kann mein Herz sich gebärden!« schrieb sie. Dann horchte sie. Es schienen durch den Garten Schritte zu stapfen. Sie war gleich aufgesprungen und hatte hinausgesehen. Aber es war auf dem Trottoir drüben außerhalb der Gitter. So daß sich Frau Rehorst zurück zum Schreibtisch niedersetzte. Das Bild ihres Vaters, der auch ein reicher Fabrikant gewesen, stand vor ihr in einer feinen Miniature, und das Bild ihrer Mutter, das sie lange anstarrte. Sie dachte an ihre Mädchenzeit.

»Ach ja,« schrieb sie dann, »es gibt Menschen, die sehr, sehr lange herumirren und immer mit heiterem Gesicht, und die erst finden mit Leiden. Ich mußte längst eine Mutter sein, ehe ich begreifen lernte – und verstehen – und heiß begehren und verschweigen und verstummen und weinen und doch leben.«

Sie weinte eine helle Träne, erhob sich, überwand sich, schloß das Buch in ein Geheimfach zurück und sah in den Silberspiegel, um sich die Träne zu nehmen und sorglich mit der feinen Spitze Kühlung ins Auge zu wehen.

Aber sie lief dann wie hochgerichtet sogleich an die Tür. Jetzt war Einhart draußen. Ein Ton hatte sie erreicht, unbegreiflich, durch alle möglichen Räume. Sie klingelte. Sie riß die Tür ein wenig hastig auf und rief hinaus:

»Nein ... nein nein nein! nicht etwa wegschicken!« rief sie hinaus. Daß man Einhart zurückrief, den man schon abgewiesen, und daß er im nächsten Augenblick auch schon in der Tür erschien.

Frau Rehorst hatte sich in ihrem Lehnsessel zurückgeworfen, und ehe er in ihr Zimmer eintrat, die Arme ausgereckt und den Kopf krampfhaft nach hinten geworfen, nur um noch einmal sich zu fühlen und sich zu erraffen.

Einhart war es ziemlich unangenehm. Er kam in großem Zwiespalt. Er sah in dem Augenblick, als er eintrat, durchaus wie jemand aus, der sich nach allen möglichen Gefahren umsieht, die ihn hier umdrohten, und dem die tiefe Ruhe rings wie Unheil verkündete. Er wagte auch gar nicht laut zu reden. Er versuchte »Guten Abend« zu sagen. Aber das Wort war ganz in der Kehle sitzen geblieben, daß es nur wie ein heiseres Geräusch klang.

Frau Rehorst saß ewig und hatte sich nur jetzt die Augen mit den Händen bedeckt, ohne zu erwidern.

Und Einhart stand noch immer im Türrahmen.

Aber er schloß dann leise die Tür hinter sich.

Es war eine dumpfe Stille, in die eine kleine, feine Uhr leise ein Schnarren trug und dann ein scharfes, verhallendes Pinken.

Frau Rehorst mußte einfach hinauslachen.

Einhart kam sich unglaublich dumm vor. Er fühlte, daß sich etwas in seinem Blute zusammenkrampfte, was mit diesem Raum, mit dieser Stille, mit dieser Frau in ihn hineinwuchs. Er sah so demütig aus, daß er an sich halten mußte, um nicht Frau Rehorst vor die Füße zu knien, und ihr Ungeheuerliches an Worten und Preisungen einfach leidenschaftlich jetzt erregt zuzuflüstern.

Es war eine solche heiße Luft um ihn, wie in einem Brande.

Er sah diese sanfte, hoheitsvolle, brütende Schwermut aus den tiefen Frageaugen sich zu ihm stehlen, und begriff nicht, daß er noch stand und stand, wie gebunden und in unsagbarer Erniedrigung. Er hatte alles vergessen, was sonst und gestern und ehegestern gewesen. Das Lachen von Frau Rehorst hatte ihn geschlagen, wie eine Peitsche. Das Lachen schien ihm ein Weinen zu sein.

»Nicht doch,« sagte er zu ihr mit fast stechenden Augen und ging wie ein Schlafwandler näher.

»Nein, nein, nein, nein! bleiben Sie, Einhart! bleiben Sie, Einhart!« Fast in Angst geschrien von Frau Rehorst, fast in furchtbarer Angstwallung.

Einhart war innerlich durch diese Abwehr und den Schrei so matt, er fühlte sich so zusammenbrechend, daß er an sich halten mußte, um nicht einfach zusammenzusinken.

Aber Frau Rehorst war in ihrer Haltung geblieben. Sie saß im Lehnstuhl und hielt die Hände wieder vor die Augen.

Da überkam es Einhart wie ein Wahnsinn. Daß er nicht mehr an sich hielt. Und Schwäche und Leidenschaft in gleichem Sinne rissen ihn nieder zu Frau Rehorsts Füßen, Schwäche und Leidenschaft griffen bittend nach ihren schönen, weißen Händen. Schwäche barg sich mit seinen schwarzen Haarsträhnen in ihrem Schoß, und machte ihre Hände in seinen Haaren wühlen. Und Einhart zog ihre Arme nieder und ihren Mund an seine Lippen und redete nicht und versank in ewiges stummes Leuchten und Blicken von Auge zu Auge. Zwei Augenpaare voll scheuen, seligen Feuers in sanftschwarzen Lichtern glommen, unausgesungenen Glanzes. Die Stunde war stumm. Ihr Sinn war unendlich. Die Lippen brannten aufeinander und sprachen die stumme Sprache unerhörter Wonnen, die auch Einhart jetzt zum ersten Male eintrank, längst begreifend, längst lächelnd, und nach keinem Sinne begehrend.

Es war ruhig geblieben. Es war der Feiertagsfriede im Hause.

Als die Kinder mit Grottfuß heimkamen und über Einhart herfielen, wegen gestern, tat er wie ein Einfältiger und gab lächelnd Erklärungen, ohne zurückzudenken. Er sah nur Frau Rehorst manchmal sorglich an.

Und Frau Rehorst war seltsam fern und fremd mit den Ihrigen, als man sich zum Abendbrot zusammenfand. Wie wenn sie erhaben aufgerichtet wäre in strenger Bleiche, tonlos und wortlos, und im Räume für sich, und immer erst sich besinnen müßte, daß Herr Rehorst, ihr Mann, und die Kinder und Grottfuß um sie wären.

Einhart saß in seinem Festrocke. Er fand sich zu einem blitzenden Blicke manchmal nur zufällig.

Grottfuß hatte sich mit den Kindern und Margit im Schnee draußen in der Heide vergnügt. Die Kinder beschrieben mit eiliger Aufregung ihrer Atemgänge das große Schneeballen, das sie draußen getrieben. So verging der Abend, indem Margit heimlich verliebte Blicke auf Grottfuß warf und die Stelle am Busen fühlte, wo seine Hand lange bei der Fahrt gelegen, und Einhart und alle, auch Herr Rehorst sahen manchmal heimlich auf Frau Rehorst, die wie eine Königin dasaß, bleich und von der Gewißheit gezeichnet.


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